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Samstag, 24. Oktober 2015
BSG, 7 RAr 37/80 vom 21.07.1981
Bundessozialgericht 7 RAr 37/80 vom 21.07.1981

Bundessozialgericht

- 7 RAr 37/80 -

I m N a m e n d e s V o l k e s

U r t e i l

in dem Rechtsstreit

Klägerin und Revisionsbeklagte,
Bevollmächtigter

g e g e n

Beklagte und Revisionsklägerin.

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne

mündliche Verhandlung am 21. Juli 1981
für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
Hessischen Landessozialgerichts vom 10. Mai 1979

— L 1/Ar - 958/78 und L 1/Ar — 1018/78 — in

Ziffern I und IV aufgehoben.

Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das Landessozialgericht zurück-
verwiesen.

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G r ü n d e :

Die Klägerin wendet sich gegen eine Sperrzeit nach § 119
des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).

Die 1951 geborene Klägerin war vom 1. September 1969 bis
28. Februar 1977 als kaufmännische Angestellte im Unter-
nehmen ihres Vaters beschäftigt gewesen. Sie meldete sich
am 5. März 1977 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld
(Alg). Am Tag der Arbeitslosmeldung wurde der Klägerin eine
Arbeit als kaufmännische Angestellte beim Verband der Bau-
industrie in K angebotene Die Beklagte gab die Art der
angebetenen Arbeit mit "Kaufmännische Angestellte” das
vorgesehene Entgelt mit “tarifliches Entgelt" an.

Der vorgesehene Arbeitgeber teilte dem Arbeitsamt mit
Schreiben vcm 24. März 1977 mitg die Klägerin habe ihm mit
Schreiben vom 4. März 1977 lediglich den Vermittlungsvor—
schlag übermittelt und angefragt, ob die Stelle noch frei
sei. Daraufhin habe der Verband die Klägerin um einen An—
ruf gebeten, um einen Vorstellungstermin vereinbaren zu
können. Am 18. März 1977 habe die Klägerin angerufen und
die Meinung geäußert sie habe sicherlich nicht die er-
forderlichen Voraussetzungen für den zu besetzenden Arbeits-
platz. Die Klägerin gab gegenüber dem Arbeitsamt an die
ihr angebotene Arbeit habe sie nicht erhalten. Die Sekre-
tärin der Verbandsgeschäftsstelle in R habe ihr mitge-
teilt, es würde eine ältere Dame gewünscht, sie (die Klä—
gerin) sei zu jung (Schreiben vom 5. April 1977).

Mit Bescheid vom 25. Oktober 1977 stellte die Beklagte den
Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen vom 19. März bis
15. April 1977 fest und hob die Bewilligung von Arbeits-
losengeld (Alg) für die Dauer der Sperrzeit auf. Die

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Beklagte hatte am selben Tag Alg ab 5. März 1977 für eine
Auspruchsdauer von 312 Wochentagen bewilligt. Mit einem
weiteren Bescheid vom 25. Oktober 1977 versagte die Be-
klagte die Leistung von Alg gemäß § 66 des Sozialgesetz-
buches - Allgemeiner Teil — (SGB 1) mit Wirkung vom
19. April 1977, weil die Klägerin der Aufforderung zur
Vorsprache am 19. und 26. April 1977 nicht nachgekommen
sei und hierdurch die Ermittlungen über das Vorliegen der
Anspruchsvoraussetzungen vereitelt habe, Die Widersprüche
der Klägerin gegen diese Bescheide blieben erfolglos
(Widerspruchsbescheide vom 7. Februar 1978).

Während des Klageverfahrens änderte die Beklagte ihre Auf—
hebungsentscheidung durch Bescheid vom 30. März 1978 dahin—
gehend ab, daß die Bewilligung von Alg mit Wirkung ab
3. Mai 1977 aufgehoben wurde. In der Begründung des Be—
scheides wurde ausgeführt, die Klägerin sei nicht bereit,
jede zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes anzunehmen, was sich aus
ihren Erklärungen ergebe. Die Klägerin wandte sich mit
ihrer Klage auch gegen diesen Bescheid.

Durch Urteil vom 17. Juli 1978 hat das Sozialgericht (SG)
Kassel den Bescheid vom 25. Oktober 1977 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 1978 über den Ein-
tritt einer Sperrzeit aufgehoben, im übrigen die Klage ab-
gewiesen und die Berufung zugelassen. Gegen dieses Urteil
haben sowohl die Beklagte als auch die Klägerin Berufung
eingelegt, die Klägerin hat ferner beantragt, das ihr noch
zustehende Alg mit 10 vH zu verzinsen.

Durch Urteil vom 10. Mai 1979 hat das Landessozialgericht
(LSG) die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, auf die
Berufung der Klägerin das Urteil des SG dahingehend abge-
ändert, daß der Bescheid der Beklagten vom 30. März 1978
aufgehoben wird; die Klage auf Zahlung von Zinsen hat das
LSG abgewiesen. Zur Begründung hat das LSG insbesondere

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ausgeführt: Für den Eintritt einer Sperrzeit nach § 119
Abs 1 Nr 2 AFG habe es an einer ausreichenden Belehrung
über die Rechtsfolgen gefehlt, die eintreten, wenn ein
Arbeitsloser eine vom Arbeitsamt angebotene Arbeit nicht
annehme oder antrete, Die Belehrung müsse den Arbeitslosen
nicht nur über die Möglichkeit von Folgen iS des § 119 AFG
unterrichten, sondern insbesondere auch alle Einzelheiten
bezüglich der angebotenen Arbeit vermitteln, die für eine
sachgerechte Entscheidung über die Annahme oder Nichtan-
nahme nötig seien, Sie müsse in allen Punkten verständlich
sein und die Auffassungsgabe des einzelnen berücksichtigen.
Sie müsse vor allem erfolgen, bevor der Arbeitslose Ver-
handlungen mit dem Arbeitgeber aufnehme und bevor es zu
einer Ablehnung des Arbeitsangebotes gegenüber dem Arbeit-
geber komme. Im vorliegenden Fall hätte eine solche Be-
lehrung gefehlt. Die Angaben der Beklagten hätten nicht
deutlich genug erkennen lassen, wie die tarifliche Ein-
stufung und nach welcher tariflichen Gehaltsgruppe die
Entlohnung hätte erfolgen sollen. Der Bautarifvertrag sehe
nämlich für kaufmännische Angestellte mehrere Tarifgruppen
mit unterschiedlichen, zum Teil stark abweichenden Gehalts-
tarifen vor. Die Angaben der Art der Tätigkeit mit "Kauf-
männische Angestellte" und der Entlohnung mit "tarifliches
Entgelt" erfüllten nicht die Voraussetzungen einer aus-
reichenden Belehrung.

Der Bescheid vom 30. März 1978, der den Bescheid vom
25. Oktober 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 7. Februar 1978 ersetzt habe und der Gegenstand des
Verfahrens geworden sei, sei aufzuheben gewesen. Es habe an
der gemäß § 34 SGB 1 erforderlichen Anhörung der Klägerin
gefehlt.

Der geltend gemachte Zinsanspruch der Klägerin sei bereits
deshalb abzuweisen gewesen, weil sie die Klage, mit der sie
in erster Instanz denselben Anspruch erhoben hätte, inso-
weit zurückgenommen habe.

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Der erkennende Senat hat auf die dahin beschränkte Nichtzu-
lassungsbeschwerde der Beklagten mit Beschluß vom
20. März 1980 die Revision insoweit zugelassen, als das
LSG auf die Berufung der Beklagten über den Sperrzeit-
bescheid vom 25. Oktober 1977 idF des Widerspruchsbescheides
vom 7. Februar 1978 entschieden hat.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des
§ 119 Abs 1 Nr 2 AFGo Nach der bisherigen Rechtsprechung sei
ein Arbeitsangebot ausreichend bestimmtg wenn es alle Ans
gaben enthalte, deren der Arbeitslose bedürfe, um sich über
die zulässigen Ablehnungsgründe schlüssig werden zu können.
Dabei sei zB die Nennung des Arbeitsentgelts nicht erforder-
lich, es genüge und entspreche regelmäßig auch dem Intern
esse der Beteiligten„ daß dem Arbeitslosen eine eigene
Prüfungsmöglichkeit eröffnet sei, denn nur der Nachweis der
Gelegenheit zum Vertragsabschluß sei Aufgabe der Beklagten
Diese Rechtsprechung sei durch das Urteil des Bundessozial-
gerichts (BSG) vom 10. Oktober 1978 (BSGE 47, 101 =
SozR 4100 § 119 Nr 5) nicht aufgegeben worden, was sich
aus der Gesamtheit der Ausführungen dieses Urteils ergebe.
Somit sei auch das Arbeitsangebot für die Klägerin aus-
reichend bestimmt gewesen. Die Klägerin habe es auch so auf-
gefaßt und sich bei dem Verband nach der offenen Stelle er-
kundigt. Aus seiner rechtlichen Sicht habe das LSG nicht
geprüft, ob das Verhalten der Klägerin ursächlich für das
Nichtzustandekommen des Arbeitsverhältnisses gewesen sei.
Der Rechtsstreit müsse deshalb zur Nachholung dieser Feste
stellungen an das LSG zurückverwiesen werden.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit in ihm
(unter I) die Berufung der Beklagten gegen das Ur—
teil des SG Kassel vom 17. Juli 1978 zurückge—
wiesen wurde„ und den Rechtsstreit insoweit zu
neuer Verhandlung und Entscheidung an die Vor-
instanz zurückzuverweisen.

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Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht durch einen
zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne münd-
liche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt ($ 124
Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG—).

II

Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung der
Sache an das LSG begründet.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG
nur insoweit, als es über die Rechtmäßigkeit des Sperrzeit-
bescheides vom 25. Oktober 1977 in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheides vom 7. Februar 1978 entschieden hat. Als
Folge des Zulassungsbeschlusses des Senats vom 20. März 1980
hat die Beklagte nämlich nur insoweit eine zulässige Re-
vision eingelegt. Im übrigen ist das Urteil des LSG rechts-
kräftig geworden.

Eine Sperrzeit tritt nach § 119 Abs 1 Nr 2 AFG ein, wenn
der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine
Arbeit nicht annimmt oder nicht antritt, ohne für sein
Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, Diese Rechts-
folge tritt jedoch nur ein, wenn die abgelehnte oder nicht
angetretene Arbeit vom Arbeitsamt "angeboten" worden ist:
durch dieses gegenüber dem früheren Recht (vgl § 78 des
Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenver-
sicherung -AVAVG-; ebenso § 90 AVAVG aF) erweiterte Er—
fordernis der angebotenen Arbeit soll insbesondere sicher-
gestellt werden, daß der Arbeitslose in jedem Einzelfall
über die Rechtsfolgen, die im Falle der Ablehnung ein-
treten können, belehrt wird (vgl schriftl Bericht des
Bundestagsausschusses für Arbeit zu BT-Drucks V/4110 S 21).

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Das heißt, die Belehrung muß im Zusammenhang und in Ver-
bindung mit dem jeweils konkreten Angebot die jeweils
hierfür drohende Rechtsfolge nach Dauer und Wirkung be-
zeichnen, die eintreten kann, wenn dem Arbeitslosen für
die Nichtannahme oder den Nichtantritt der Arbeit kein
wichtiger Grund zur Seite steht. Daraus ergibt sich zu-
gleich, daß das Angebot der Arbeitsverwaltung auch dazu
dienen soll, bereits in der Phase der Arbeitsvermittlung
eine Prüfung zu ermöglichen, ob die angebotene Arbeit
"zumutbar" ist oder ob dem Arbeitslosen - im Hinblick
auf seine Eignung und seine persönlichen Verhältnisse -
zulässige Ablehnungsgründe zur Seite stehen. Die insoweit
von der Arbeitsverwaltung bereits bei der Arbeitsver-
mittlung in Beachtung der Grundsätze der §§ 14 ff AFG zu
treffende Abwägung zwischen der Eignung und den persön-
lichen Verhältnissen des Arbeitsuchenden einerseits und
dem zu vermittelnden Arbeitsplatz andererseits erfordert
ein ausreichend bestimmtes (konkretisiertes) Angebot;
nur ein solches Angebot ermöglicht dem Arbeitslosen die
Prüfung, ob zulässige Ablehnungsgründe gegeben sind
(BSGE 4, 1, 3). Genügt das Angebot diesen Bestimmtheits»
anforderungen nicht, ist es rechtsunwirksam und daher
grundsätzlich nicht geeignet, die Rechtswirkungen einer
Leistungssperre im Falle unbegründeter Weigerung der An—
nahme oder des Antritts der angebotenen Arbeit auszulösen.
Dasselbe gilt, wenn das Arbeitsangebot zwar ausreichend
bestimmt ist, aber nicht den Grundsätzen einer sachge—
rechten Arbeitsvermittlung entspricht (BSGE 44, 71, 74
= SozR 4100 § 119 Nr 3),

Der Eintritt der Rechtsfolge einer Leistungssperre nach
§ 119 Abs 1 Nr 2 AFG setzt mithin voraus,

1. daß das Angebot ausreichend bestimmt ist,

2. daß das Angebot nicht gegen die Grundsätze sachgerechter
Arbeitsvermittlung iS von §§ 14 ff AFG verstößt und

3. daß es außerdem mit einer ausreichenden Rechtsfolgen—
belehrung verbunden ist bzw in Zusammenhang steht,

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Liegen diese Voraussetzungen nicht vor so löst die Ab-
lehnung des Angebots eine Leistungssperre grundsätzlich
nicht aus.

Die Frage, wenn ein ausreichend bestimmtes Angebot vor-
liegt, kann nicht generell beantwortet werden, sondern muß
nach den besonderen Umständen des jeweiligen Vermittlungs-
falles beurteilt werden (BSGE 4, 1, 3). Maßstäbe für die
Beurteilung ergeben sich aus den Aufgaben der Arbeitsver-
mittlung einerseits und dem Zweck der Sperrzeitregelung
andererseits. Da Aufgabe der Arbeitsvernittlung nur die An-
bahnung eines Arbeitsvertrages ist, der Abschluß des
Arbeitsvertrages hingegen dem Arbeitsuchenden und Arbeit-
geber vorbehalten bleiht, ist das Arbeitsangebot des § 119
Abs 1 Nr 2 AEG nicht mit der Arbeitsvertragsofferte
(§§ 145 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-) zu ver-
wechseln (vgl Eckert ua, Gemeinschaftskommentar zum AFG,
Stand: Dezember 1979, RdNr 31 zu § 119). Das Angebot eines
Arbeitsplatzes durch die Arbeitsverwaltung (Vermittlungs-
angebot) dient lediglich dem Nachweis der Gelegenheit zum
Abschluß eines Arbeitsvertrages (BSGE 44, 71, 73 = SozR 4100
§ 119 Nr 3). Demgemäß muß das Vermittlungsangebot nicht alle
Arbeitsbedingungen enthalten deren es zum Abschluß eines
Arbeitsvertrages bedurfte. Es genügt vielmehr, daß dem
Arbeitsuchenden eine eigene Prüfungsmöglichkeit beim Arbeit-
geber eröffnet wird. Durch die Arbeitsvermittlung soll weder
dem Arbeitsuchenden noch dem Arbeitgeber die Selbstverant-
wortung für die Gestaltung ihrer wirtschaftlichen oder
beruflichen Existenz abgenommen werden; deshalb muß die
Klärung der näheren Einzelheiten des angebahnten Arbeiten
Verhältnisses grundsätzlich der Fühlungnahme zwischen
Arbeitsuchendem und Arbeitgeber vorbehalten bleiben.

Andererseits muß aber das Arbeitsangebot in Hinblick auf
die drehenden Rechtsfölgen der Leistungssperre so weit kon-
kretisiert sein, daß sich der Arbeitsuchende über die zu
lässigen Ablehnungsgründe schlüssig werden kann (BSGE 4, 1,3;

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BSGE 44, 71, 73 = SozR 4100 § 119 Nr 5; BSGE 47, 101, 105
= SozR 4100 § 119 Nr 5). Das heißt, der Arbeitsuchende muß
sich aufgrund der Angaben der Arbeitsverwaltung eine Vor—
stellung von der angebotenen Beschäftigung machen können,
die es ihm ermöglicht zu prüfen, ob er die angebotene Arbeit
annehmen bzw antreten will oder nicht. Dafür genügt es zu-
nächst, wenn aus den Informationen des Arbeitsamtes ersicht-
lich wird, daß es sich um einen bestimmten Arbeitsplatz an
einem bestimmten Ort handelt, den der Arbeitsuchende auf-
grund seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit grundsätzlich
auszufüllen vermag; das Arbeitsangebot muß deshalb im allge—
meinen mindestens den Arbeitgeber, die Arbeitsstätte und die
Art der zu verrichtenden Tätigkeit benennen. Welche Angaben
über diese Mindestangaben hinaus erforderlich sind, hängt
von den Umständen des einzelnen Vermittlungsfalles ab. Ange-
sichts der Komplexität des Vermittlungsauftrags der Bundes-
anstalt für Arbeit und der Vielfalt der Lebenssachverhalte,
die für die Ablehnung einer Arbeit aus wichtigem Grund in
Betracht kommen können, lassen sich diesbezügliche An-
forderungen nicht generell, sondern nur nach den Gegeben—
heiten des einzelnen Vermittlungsfalles aufstellen. Hierbei
ist zunächst danach zu differenzieren, ob es sich um die
Vermittlung in eine Tätigkeit der bisher ausgeübten Art oder
jedenfalls eine verwandte Tätigkeit handelt oder ob das An-
gebot für den Arbeitslosen eine neue Tätigkeit betrifft. Soll
der Arbeitsuchende wieder in seinen bisherigen Beruf bzw ver-
wandten Beruf oder einen ähnlichen Beruf in der gleichen
Branche vermittelt werden, sind an die Bestimmtheit im all-
gemeinen weniger hohe Anforderungen als bei der Vermittlung
in einen neuen Beruf zu stellen, weil regelmäßig davon aus-
gegangen werden kann, daß der Arbeitsuchende bezüglich des
bereits ausgeübten Berufs hinreichende Vorstellungen über die
zu erwartenden Arbeitsbedingungen besitzt. Das gleiche gilt,
wenn die zu vermittelnde — neue - Tätigkeit einem typischen,
üblichen Berufsbild entspricht, dessen Bedingungen als be-
kannt vorausgesetzt werden können. Dies gilt allerdings nur
mit der Einschränkung, daß hinsichtlich des anzubietenden

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konkreten Arbeitsplatzes keine Besonderheiten bestehen
(§ 1h Abs 1 AFG); auf derartige Besonderheiten bzw unüb-
liche Arbeitsbedingungen hat die Arbeitsverwaltung hinzu—
weisen. So sind zB Angaben über die nähere Gestaltung der
Arbeitszeit erforderlich, wenn diese von der üblichen
Arbeitszeit abweicht, etwa Nacht— oder Schichtarbeit zu
verrichten ist.

Auch die Frage, ob das Arbeitsangebot Angaben über die
Höhe der zu erwartenden Entlohnung enthalten muß, hängt im
wesentlichen von den Umständen des einzelnen Vermittlungs-
falles ab. Da die Höhe des Entgelts zur Ablehnung der ange—
botenen Arbeit jedenfalls dann berechtigt, wenn nicht der
Tariflohn bzw der im Beruf ortsübliche Lohn gezahlt wird
(§ 16 AFG, § 78 Abs 2 Nr 1 AVAVG), bedarf es grundsätzlich
der Information, daß das zu erwartende Entgelt diesen An-
forderungen entspricht. Dies genügt im allgemeinen aber
auch nur dann, wenn der Arbeitsuchende sich über die Höhe
des zu erwartenden "tariflichen"Entge1ts eine ausreichende
Vorstellung machen kann, dh wenn ihm die Entlohnungsmaß—
stäbe des in Betracht kommenden Tarifvertrages - etwa auf-
grund seiner bisherigen Tätigkeit - bekannt sind oder wenn
er aus sonstigen Informationen über die Qualität der ange-
botenen Arbeit (zB Hilfspolier, Former mit Facharbeiter-
qualifikation) auf die in dieser Qualifikationsstufe üb-
liche Entlohnung schließen kann. Da der Arbeitslose eine
Verschlechterung seines Status und der Arbeitsbedingungen
im allgemeinen nur hinzunehmen braucht, wenn dies nach Lage
und Entwicklung des Arbeitsmarktes unvermeidbar ist (vgl
Regierungsentwurf zum HStruktG — BR-Drucks 575/75 S 52;
Bericht des Haushaltsausschusses - BR—Drucks 7/4243 S 9/10),
gehört zu einem ausreichend konkretisierten Arbeitsangebot
für den Regelfall auch, daß sich der Arbeitslose eine Vor-
stellung von der qualitativen Wertschätzung der angebotenen
Beschäftigung bzw dem für sie üblichen (tariflichen) Ent—
gelt machen kann, das Indiz für die qualitative Wertschätzung
sein kann. Dies gilt Jedenfalls in Fällen wie dem vorliegen-
den, in dem das Arbeitsangebot in die erste Zeit der

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Arbeitslosigkeit fällt (vgl BSGE 44, 71 = SozR 4100 § 119 Nr 5).
Denn da in diesen Fällen von der Arbeitsverwaltung zunächst
eine dem Berufsbild und der sozialen Stellung des Arbeit-
suchenden entsprechende Vermittlung (in eine berufsgerechte,
berufsnahe und gleichwertige Tätigkeit) versucht werden muß,
kann für die Frage, ob ein wichtiger Grund zur Arbeitsab—
lehnung vorliegt bzw die angebotene Tätigkeit zumutbar ist,
von Bedeutung sein, ob diese gegenüber dem früheren Qualifi—
kationsstand des Arbeitsuchenden einen Abstieg bedeutet bzw
Lohneinbußen mit sich bringt.

Auch in diesen Fällen bedarf es näherer Angaben über die Höhe
des zu erwartenden Entgelts lediglich dann nicht, wenn bei
dem Arbeitsuchenden Kenntnisse über die Entlohnungsmaßstäbe
des einschlägigen Tarifbereichs aufgrund seiner bisherigen
Tätigkeit sicher vorausgesetzt werden können und aufgrund der
Angaben über die zu verrichtende Tätigkeit feststeht, daß bei
ihm eine ausreichende Vorstellung über die Höhe des Entgelts
- etwa hinsichtlich der Zuordnung in die maßgebliche Qualifi-
kationsstufe bzw Tarifgruppe - vorhanden ist. Hingegen bedarf
es konkreter Informationen über das Arbeitsentgelt immer dann,
wenn der Arbeitsuchende in einen neuen Beruf vermittelt wer—
den soll oder wenn die angegebene Tätigkeit im bisherigen
Berufsbereich so allgemein umschrieben ist, daß sich der zu
Vermittelnde ohne entsprechende Hinweise - etwa auf die zu
erwartende tarifliche Einstufung — keine Vorstellung über
die Entlohnung machen kann.

Allerdings wird es häufig vom Inhalt des einzelnen Ver—
mittlungsauftrages des Arbeitgebers abhängen, ob die Beklagte
konkrete Hinweise auf das Entgelt geben kann, so zB wenn die
Höhe des Arbeitsentgelts bzw die tarifliche Einstufung bewußt
offengehalten und von der speziellen Leistungsfähigkeit des
Arbeitsuchenden (seiner Ausbildung, Eignung, Erfahrung usw)
für den speziellen Arbeitsplatz oder den betreffenden Betrieb
abhängig gemacht wird. Dies kann bei Aufträgen zur Vermittlung
von Bewerbern für sogenannte gehobene Berufe der Fall sein

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oder bei Vermittlungsaufträgen, die - etwa bei Produktions-
erweiterung oder Neuansiedlung von Betrieben - bestimmte
Gruppen von Fachkräften umfassen, über deren Einsatz und
damit über deren endgültige Entlohnung bzw tarifliche Ein-
stufung erst nach Vorstellung der in Betracht kommenden Be-
werber entschieden wird. In derartigen Fällen hat die
Arbeitsverwaltung jedoch, sofern nicht wenigstens ein Rahmen
für die zu erwartende Entlohnung bzw tarifliche Einstufung
angegeben werden kann, darauf hinzuweisen, daß das Arbeits—
entgelt erst in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber ausge-
handelt werden kann.

Information über das Arbeitsentgelt bedeutet mithin nicht,
daß die Beklagte regelmäßig dem Arbeitslosen das Entgelt
genau ("auf Heller und Pfennig") anzugeben hätte; es genügt
vielmehr - abgesehen von den vorgenannten Sonderfällen -,
daß die angebotene Arbeit nach Tätigkeitsart oder -merkmalen,
evtl nach ihrer tariflichen Einstufung, genau bezeichnet ist,
wenn erwartet werden kann, daß dem zu Vermittelnden die Ent-
lohnungsgrundsätze bekannt sind„ Andernfalls bedarf es kon-
kreter Angaben über die Höhe des Entgelts. Dies gilt insbe—
sondere in den Fällen, in denen die Vermittlung in die erste
Zeit der Arbeitslosigkeit fällt. Insoweit weicht der Senat
nicht von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. Soweit im Ur-
teil vom 22. Juni 1977 (BSGE 44, 71, 75 = SozR 4100 § 119
Nr 5) allgemein ausgeführt wurde, daß es Angaben der Arbeits—
verwaltung zB zum Entgelt nicht bedürfe und soweit im Urteil
vom 10. Oktober 1978 (BSGE 47, 101, 105 = SozR 4100 § 119 Nr. 5)
gefordert wurde, daß alle diejenigen Einzelheiten bezüglich
der angebotenen Arbeit mitzuteilen seien, derer es für eine
sachgerechte Entscheidung über Annahme oder Nichtannahme der
Arbeit bedürfe, findet dies seine Grundlage in den dort ent-
schiedenen Einzelfällen.

Unter Beachtung der vorgenannten Grundsätze kann im Falle der
Klägerin, wie das LSG zutreffend entschieden hat, nicht von
einem ausreichenden Arbeitsangebot gesprochen werden (aA LSG
Schleswig—Holstein, Breithaupt 1980, 607, 611). Aufgrund

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der Berufsangabe "Kaufmännische Angestellte" und der Be-
zeichnung des Entgelts als "tariflich" konnte sich die Klä-
gerin, obwohl sie bereits mehrere Jahre als kaufmännische An-
gestellte tätig war, keine Vorstellungen machen, welcher
Qualifikationsstufe die angebotene Arbeit zuzuordnen war bzw
wie hoch etwa ihr Arbeitsentgelt sein würde. Die Berufs-
bezeichnung "Kaufmännische Angestellte" umschreibt allgemein
kaufmännische Angestellte und umfaßt eine Vielzahl qualita-
tiv unterschiedlicher Tätigkeiten, für die in den Tarifver-
trägen im allgemeinen mehrere Tarifgruppen mit unterschied-
lichen, zum Teil stark voneinander abweichenden Gehalts-
tarifen (Vergütungsstufen) vorgesehen sind, wie es das LSG
auch für den vorliegenden Fall festgestellt hat. Die Klägerin,
die eben erst arbeitslos geworden war und daher vorrangig zu—
nächst in eine gleichwertige Tätigkeit zu vermitteln war,
konnte sich mangels näherer Hinweise über die Zuordnung der
angebotenen Arbeit zu den im kaufmännischen Bereich üblichen
Qualifikationsstufen über die Frage eines wichtigen Grundes
zur Arbeitsablehnung nicht schlüssig werden. Über die Frage,
ob die Angabe "tarifliches Entgelt“ ausgereicht hätte, wenn
der Klägerin eine wesentlich genauere Beschreibung der Tätig-
keit gegeben worden wäre, braucht der Senat nicht zu ent-
scheiden.

Arbeitsangebote, die - wie im Falle der Klägerin - nicht
ausreichend bestimmt sind, sind rechtsunwirksam und können
daher die Rechtswirkungen einer Sperrzeit grundsätzlich nicht
auslösen. Der Arbeitslose ist in solchen Fällen berechtigt,
das derart fehlerhafte Angebot dem vermittelnden Arbeitsamt
gegenüber unmittelbar abzulehnen.

Gleichwohl kann der Arbeitslose sich im Nachhinein nicht
darauf berufen, daß das Angebot unzureichend konkretisiert
war, wenn er von dem Recht zur Ablehnung zunächst keinen Ge-
brauch macht, sondern aufgrund des ihm unterbreiteten Ange-
bots Kontakte mit dem Arbeitgeber aufnimmt und sich dadurch
selbst die Gelegenheit verschafft, bisher fehlende Infor-
mationen über das Arbeitsangebot zu erhalten. Er hat dann
durch sein Verhalten zum Ausdruck gebracht, daß er das

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Angebot als ausreichend bestimmt akzeptiert, und hat sich
damit des Rechts begeben, dessen Mangel nachträglich zur Ab—
wendung der gesetzlichen Folgen der Leistungssperre geltend
zu machen. Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens ("venire
contra factum proprium") als Sonderfall des Rechtsgrund—
satzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gilt auch im Bereich
des öffentlichen Rechts, insbesondere auch des Sozialver-
sicherungsrechts, und kommt in diesem Sinne sowohl für das
Handeln der Verwaltungsbehörden bzw der Versicherungsträger
als auch für das Verhalten des einzelnen in Betracht (vgl
Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd I, 10. Aufl,
S 172; Staudinger/Weber, Kommentar zum BGB, Bd II, Teil I b,
11. Aufl 1961, § 242 RdNrn A 60 ff; A 106, D 589 f mwN;
BSGE 7, 199 f; 25, 62, 65). Es muß sich allerdings bei der
Rechtsgestaltung um Beziehungen handeln, deren sachgemäße Ab-
wicklung nur möglich ist, wenn beide Teile ihr Verhalten in
einer dem Erfordernis des § 242 BGB für das bürgerliche Recht
entsprechenden Weise dem Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme
unterstellen (BSGE 7, 199, 201). Insoweit ist zu berücksich-
tigen, daß der Arbeitslose, der im Leistungsbezug steht und
alsbald wieder in Arbeit vermittelt werden soll, aufgrund.des
zur Beklagten bestehenden Versicherungsverhältnisses nicht
nur zur Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen (Alg) be-
rechtigt ist und Anspruch auf Betreuung durch die Beklagte
hat, sondern als Glied der Solidargemeinschaft auch zur Mit-
wirkung im Rahmen des Versicherungsverhältnisses — hier bei
der Anbahnung eines neuen Arbeitsverhältnisses - verpflichtet
ist (vgl BSGE 4, 1, 7). Ungeachtet der Verpflichtungen der Be-
klagten aus §§ 4, 15, 14 AFG muß von ihm erwartet werden, daß
er Bemühungen der Arbeitsverwaltung bei der Vermittlung eines
Arbeitsplatzes unterstützt; dazu gehört auch die Mitteilung
derjenigen Umstände, die im Rahmen einer ordnungsgemäßen Durch-
führung der Arbeitsvermittlung dazu dienen, die Interessen der
Beklagten und damit der Versichertengemeinschaft zu wahren
(vgl BSGE 45, 119, 121). Nimmt der Arbeitslose ein von der
Arbeitsverwaltung unterbreitetes - nicht ausreichend bestimmtes -
Vertragsangebot widerspruchslos hin und verwendet er es

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bestimmungsgemäß, indem er sich an den Arbeitgeber wendet
und sich dadurch selbst Gelegenheit verschafft, noch
fehlende Informationen zu erhalten, so kann er sich nach-
träglich, wenn es aus anderen Gründen nicht zum Vertrags-
abschluß kommt, nicht auf die mangelhafte Konkretisierung
des Angebots berufen; denn sein Verhalten läßt auf den
Willen schließen, daß er von seinem Recht auf Ablehnung des
Angebots wegen nicht ausreichender Bestimmtheit keinen Ge-
brauch machen will, so daß die - spätere - a Berufung auf
dieses Recht als treuwidriges Verhalten ("protestatio facto
contraria") zu werten wäre.

Ist das der Klägerin unterbreitete Vertragsangebot deshalb
vorliegend im Hinblick auf ihr Verhalten als rechtswirksam
zu behandeln, so kommt es für die Entscheidung der Frage, ob
eine Sperrzeit nach § 119 Abs 1 Nr 2 AFG eingetreten ist,
auf die weitere Prüfung an, ob das Angebot nicht gegen die
Grundsätze sachgerechter Arbeitsvermittlung iS der §§ 14 ff AFG
verstößt und ob im Zusammenhang mit dem Angebot eine rechts—
wirksame Rechtsfolgenbelehrung erteilt war, ferner ob ein
Ablehnungstatbestand (Nichtannahme oder Nichtantritt der ange-
botenen Arbeit) gegeben ist und ob der Klägerin für die Ab-
lehnung ein wichtiger Grund zur Seite gestanden hat. Hierzu
hat das LSG - von seiner Rechtsauffassung aus zu Recht -
noch keine Feststellungen getroffen,

Bezüglich der Prüfung der Frage, ob eine ausreichende Rechts—
folgenbelehrung erteilt war, wird das LSG zu beachten haben,
daß die oa Erwägungen über den Verlust des Rechts, sich auf
die Unbestimmtheit eines Angebots berufen zu können, bei einer
unvollständigen oder aus sonstigen Gründen unzureichenden
Rechtsfolgenbelehrung keine Anwendung finden. Denn die in
§ 119 Abs 1 Nr 2 AFG ausdrücklich angeordnete Belehrungs-
pflicht dient einem übergeordneten sozialen Schutzzweck, näm—
lich den Arbeitslosen vor den Folgen einer unbegründeten
Arbeitsablehnung - Sperrzeitwirkung - zu warnen: sie hat des-
halb zwingenden, formalen Charakter und muß im Zusammenhang
mit jedem einzelnen Vermittlungsangebot erneut erfüllt werden°

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In diesem Bereich ist das Verhalten des Arbeitslosen wegen
des zwingenden Charakters der der Beklagten auferlegten
Pflicht einer Beurteilung nach den Grundsätzen des § 242 BGB
entzogen; eine mangelhafte Belehrung steht dem Eintritt einer
Sperrzeit stets entgegen.

In dem Umfang, in dem die Beklagte Revision eingelegt hat,
kann das Urteil des LSG (Ziffer I) demnach keinen Bestand
behalten. Dies hat gleichzeitig die Aufhebung der Kostenent-
scheidung (Ziffer IV) zur Folge. Die Sache ist insoweit an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das die erforder-
lichen Feststellungen noch nachzuholen und sodann erneut
über die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zu
entscheiden haben wird.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens
zu entscheiden haben.

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Samstag, 11. Juli 2015
BVerfG, 1 BVR 1294/15 vom 29.06.2015, Bundesverfassungsgericht
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
-1 BVR 1294/15 -

In dem Verfahren
über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn
— Bevollmächtigte:

gegen den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 6. Mai 2015 - L 8 SF 62/15 AB —

und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
und Beiordnung eines Rechtsanwalts

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten K
den Richter E
und die Richterin B
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekannt-
machung vom 11. August 1993 (BGBl l S. 1473)
am 29. Juni 2015 einstimmig beschlossen:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und
Beiordnung von Rechtsanwältin Zelinskij-Zunik wird abge—
lehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hin-
reichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung
angenommen.

Von einer Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Kirchhof Eichberger Britz

Ausgefertigt

(Wagner)
Amtsinspektorin
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
des Bundesverfassungsgerichts

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Mittwoch, 1. Juli 2015
SG DD, S 12 AS 192/15, 29.04.2015, Sozialgericht Dresden
Beglaubigte Abschrift

S 12 AS 192/15

SOZIALGERICHT DRESDEN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

— Kläger -

gegen

Landkreis Meißen Jobcenter Meißen, vertreten durch den Landrat, Brauhausstraße 21,
01662 Meißen

— Beklagter —

hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Dresden auf die mündliche Verhandlung vom
29. April 2015 in Dresden durch die Richterin am Sozialgericht und die ehrenamtli—
chen Richter Herr und Frau für Recht erkannt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, den Überprüfungsantrag des Klägers vom
11.07.2014, eingegangen am 11.07.2014, auf Überprüfung aller Leistungsbe-
scheide für ihn und seinen Sohn rückwirkend zum 01.09.2013 zu bescheiden.

II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

— 2 — S 12 AS 192/15

Tatbestand:

Gegenstand des Verfahrens ist eine Untätigkeitsklage, mit welcher der Kläger die Verurtei-
lung des Beklagten zur Entscheidung über seinen Überprüfungsantrag vom 11.07.2014 be—
gehrt.

Der im Jahr geborene Kläger bewohnt seit Mai 2010 eine 74 m2 große erdgasbeheizte
Drei-Raum—Wohnung in Meißen. Die monatliche Gesamtmiete für diese Wohnung beträgt
Euro und setzt sich aus einer Grundmiete von Euro und den Vorauszahlun-
gen für Heiz— und Warmwasserkosten von Euro sowie für sonstige Betriebskosten
von Euro zusammen.

Vor dem Amtsgericht Meißen schlossen der Kläger und seine von ihm getrenntlebende
Ehefrau am 22.08.2013 eine Vereinbarung dahingehend, dass sie die elterliche Sorge für
den im Jahre geborenen gemeinsamen Sohn des Klägers künftig gemeinsam ausüben
werden und das Kind sich im wöchentlichen Wechsel bei jedem Elternteil aufhalten wird.
Das Kindergeld für den Sohn des Klägers erhält die Kindsmutter. Der Kläger bezieht vor—
läufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II und erhält seit
dem 01.09.2013 den Regelsatz für seinen Sohn sowie den alleinerziehenden Mehrbedarf
anteilig zu 50 % ausgezahlt.

Mit Schreiben vom 11.07.2014, eingegangen beim Beklagten per Fax am gleichen Tage,
machte der Kläger geltend, dass sein Sohn entgegen der familienrechtlichen Vereinbarung
nicht im Wechselmodel beim Kläger und seiner geschiedenen Ehefrau lebt, sondern sich
bei der Kindesmutter maximal zwei Tage pro Woche, nämlich von Mittwochabend
17:30 Uhr bis zum Kitabeginn am Donnerstagmorgen sowie von Freitagabend bis Sams—
tagabend, maximal Sonntagmorgen, aufhält. Dass der Regelsatz und der alleinerziehenden
Mehrbedarf vor diesem Hintergrund nur hälftig gezahlt würden, sei aufgrund der tatsächli—
chen Gegebenheiten nicht korrekt.

— 3 — S 12 AS 192/15

Am 12.01.2015 hat der Kläger die hier streitgegenständliche Untätigkeitsklage mit dem
Ziel erhoben, den Beklagten zu verpflichten. über den Überprüfungsantrag vom
11.07.2014 zu entscheiden. Zur Begründung hat er ausgeführt, für die Nichtbescheidung
sei kein zureichender Grund erkennbar. Auch auf die Nachfrage vom 09.12.2014 sei eine
Reaktion des Beklagten nicht erfolgt.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zum Erlass eines rechtmäßigen Bescheides mit Leistungen in
rechtmäßiger Höhe zu verpflichten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung. dass die begehrte Überprüfungsentscheidung noch nicht habe getrof—
fen werden können. da der insofern maßgebliche Sachverhalt noch nicht geklärt sei. Der
Kläger habe sich zu dem konkreten Umfang des Aufenthaltes seines Sohnes bei sich nicht
näher erklärt und auch mit der Klage keine genauen Angaben gemacht. Darüber hinaus
handele es sich bei dem geltend gemachten Mehrbedarf lediglich um eine bedarfserhöhen—
de Position, die nicht gesondert beansprucht werden könne. Es könne sich lediglich unter
Zugrundelegung eines insoweit bestehenden höheren Bedarfs ein höherer Leistungsan-
spruch insgesamt ergeben. Eine diesbezügliche Prüfung setze jedoch eine bestehende
Klarheit insbesondere über die Einkommensverhältnisse des Klägers in dem zu überprü—
fenden Leistungszeitraum ab 2013 voraus. Hierüber habe sich der Kläger nicht erklärt. Ab—
gesehen hiervon sei ein Anspruch auf höhere SGB—II—Leistungen auch dann nicht gegeben.
wenn der leistungsrechtliche Bedarf ohne Notwendigkeit erhöht werde. Zwischen dem
Kläger und seiner zwischenzeitlich geschiedenen Frau sei vor dem Familiengericht Meißen
eine Umgangsregelung getroffen worden. Diese Regelung sei auch durch keine neue rich-
terliche Entscheidung abgeändert worden. Dass eine anderweitige Praktizierung zwingend
erforderlich sei, sei nicht dargelegt worden.

— 4 — S 12 AS l92/15

Hinsichtlich des weiteren Sach— und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten. die beigezo—
genen Verfahren S 43 AS 4197/14, S 43 AS 2298/14 ER sowie S 43 AS 5294/14 ER und '
die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und
Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Die fom— und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig und begründet. Der Beklagte war
verpflichtet. über den Überprüfungsantrag des Klägers vom 11.07.2014 grundsätzlich in—
nerhalb der Frist des § 88 Abs. l Satz 1 SGG zu entscheiden.

Nach § 88 Abs. l Satz l SGG ist eine Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem
Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes zulässig, wenn ein Antrag auf Vornahme
eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht be—
schieden worden ist. Die Frist war bei Klageerhebung abgelaufen und der für einen zu—
reichenden Grund darlegungspflichtige Beklagte hatte keinen hinreichenden Grund für die
Nichtbescheidung. Soweit der Beklagte in der Klageerwiderung vorgetragen hat. der Klä-
ger habe sich zum konkreten Umfang des Aufenthaltes seines Sohnes bei sich nicht näher
erklärt, ist dies nicht zutreffend. Der Kläger hatte bereits in seinem Überprüfungsantrag
vom l.07.2014 genau dargestellt, in welchen Zeiträumen sich sein Sohn bei der geschie-
denen Ehefrau aufhält und damit in welchen anderen Zeiträumen bei ihm. Insofem er—
scheint die erneute Nachfrage des Beklagten im Schreiben vom 19.08.2014 an den Kläger
diesbezüglich nicht nachvollziehbar, da der Kläger die Antwort auf die Frage schon gege—
ben hatte. Die Einholung weiterer Auskünfte, insbesondere von der geschiedenen Ehefrau
des Klägers obliegt der Amtsermittlungspflicht des Beklagten. Der Beklagte hätte im
Rahmen dieser Pflicht eine Bestätigung der geschiedenen Ehefrau selbst anfordern können
und müssen.

Zutreffend hat der Kläger hervorgehoben, dass er in Kenntnis der Tatsache, dass es sich bei
dem Mehrbedarf nur um eine bedarfserhöhende Position handelt, eine Überprüfung der
Leistungsbescheide insgesamt für den Überprüfungszeitraum beantragt hat. Eine etwaige

— 5 — S 12 AS l92/l5

fehlende Mitwirkung des Klägers für die Neuberechnung des gesamten Anspruches stellt
keinen sachlichen Grund für die Nichtbescheidung des Überprüfungsantrages dar. Gegebe—
nenfalls nach Prüfung der entsprechenden Voraussetzungen muss der Leistungsträger
nämlich nach § 66 SGB I vorgehen, um einer Untätigkeitsklage die Grundlage zu entzie—
hen (BSG, Uiteil vom 26.08.1994, L 13 RJ 17/94; LSG Nordrhein—Westfalen, Beschluss
vom 16.05.2013 L 19 AS 535/13 B). Auch im vorliegenden Falle gilt nichts anderes. Ne-
ben einer Versagungsentscheidung hätte der Beklagte darüber hinaus die Möglichkeit ge-
habt, über den Anspruch des Klägers erneut vorläufig zu entscheiden. Es ist kein Grund
erkennbar, warum eine vorläufige Entscheidung auch nach Ablauf des Bewilligungszeit—
raumes nicht zulässig sein sollte. Die Kammer teilt die insofern vom LSG Sachsen im
PKH—Beschluss vom 23.01.2013 (L 7 AS 1033/12 B PKH) vertretene Auffassung nicht.
Die Auffassung, einer Klage auf höhere vorläufige Leistungen fehle das Rechtsschutzbe—
dürfnis, wenn der betreffende Leistungszeitraum abgelaufen ist, kann nur dann richtig sein,
wenn zugleich der Grund für die Vorläufigkeit entfallen ist. Wenn hingegen eine endgülti-
ge Festsetzung für den abgelaufenen Bewilligungszeitraum tatsächlich noch nicht möglich
ist, z. B. weil Einkünfte noch nicht sicher feststehen, ist eine Klage auf höhere vorläufige
Leistungen auch für diesen Zeitraum zulässig (so zutreffend auch 3. Senat des Sächsischen
LSG vom 22.04.2013. Az.: L 3 AS 1310/12 B PKH. SG Berlin, Beschluss vom 29.08.2014
S 197 AS 8527/13, SG Dresden, Urteil vom 27.08.2013, Az.: S 49 AS 2681/12). Weiterhin
hätte der Beklagte im Falle unklarer Einkommensverhältnisse die Möglichkeit, das Ein-
kommen zu schätzen.

Ob die Voraussetzungen einer vorläufigen Bewilligung bei Klageerhebung vorgelegen ha—
ben, ist vorliegend jedoch für den Ausgang des Rechtsstreits unerheblich, denn Streitge—
genstand ist lediglich die Pflicht des Beklagten zur Bescheidung. Insofern genügt hier die
Feststellung, dass auch eine gegebenenfalls unklare Tatsachengrundlage den Beklagten
grundsätzlich nicht daran hindert, über einen Antrag zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Die Berufung ist von Gesetzes wegen zulässig, da der Gesamtbetrag der in Streit stehenden
Leistungen den Beschwerdewert nach § 144 Abs. l Nr. l SGG übersteigt.

— 6 — S 12 AS 192/15

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Sächsischen Landessozialgericht.
Kauffahrtei 25, 09120 Chemnitz. schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäfts—
stelle oder in elektronischer Form einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Dresden.
Fachgerichtszentrum, Hans-Oster-Straße 4, 01099 Dresden schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Ur-
kundsbeamten der Geschäftsstelle oder in elektronischer Form eingelegt wird.

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der
Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa über den elektronischen Rechts-
verkehr in Sachsen (SächsERVerkVO) vom 6. Juli 2010 (SächsGVBl. S. 190) in den elektronischen Ge-
richtsbrielkasten zu übermitteln ist: nähere Hinweise finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de,

Die Einlegung der Berufung durch einfache E-Mail wahrt daher die Form nicht. Es wird darauf hingewiesen,
dass das Rechtsmittel innerhalb der Frist in der vorgeschriebenen Form einzulegen ist.

Die Berufungsschritt soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur
Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Vorsitzende der 12. Kammer

Richterin am Sozialgericht

Für die Richtigkeit der Abschrift:

Sozialgericht Dresden

Dresden, den 06.05.2015

Sozialgericht Dresden Dresden, den 29.04.2015

- öffentliche Sitzung -

S 12 AS 192/15

Niederschrift

über die mündliche Verhandlung der 12. Kammer

In dem Rechtsstreit

- Kläger —

gegen

Landkreis Meißen Jobcenter Meißen, vertreten durch den Landrat, Brauhausstraße 21,
01662 Meißen

- Beklagter -

Anwesend:

Vorsitzende: Richterin am Sozialgericht
ehrenamtlicher Richter Herr
ehrenamtliche Richterin Frau

Auf die Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wird verzichtet. Die Vor-
sitzende übernimmt die Protokollierung durch Aufzeichnung auf einem Tonträger.

Nach Aufruf der Sache erscheinen:

fiir den Kläger der Kläger persönlich

für den Beklagten Herr unter Berufung auf eine bei
Gericht hinterlegte Generalterminsvoll-
macht sowie Herr ,

- 2 – S 12 AS 192/15

Beigezogen ist die Verwaltungsakte des Beklagten unter dem Az.: 1104.0012157, die zum
Gegenstand des Verfahrens gemacht wird.

Die Vorsitzende eröffnet die mündliche Verhandlung und trägt den Sachverhalt vor. So-
dann erhalten die Beteiligten das Wort. Das Sach— und Streitverhältnis wird mit ihnen erör-
tert.

Der Kläger erklärt:

Bis Juli 2014 war meine geschiedene Frau wegen ihrer Ausbildung nicht in der Lage, das
vorm Familiengericht geschlossene Wechselmodel einzuhalten, weshalb mein Sohn sich
mehr bei mir als bei ihr aufgehalten hat. Deshalb habe ich den Überprüfungsantrag gestellt,
wobei ich den Antrag im Hinblick auf den Regelsatz bezüglich meines Sohnes zwischen—
zeitlich zurückgenommen habe und nur den Antrag auf den erhöhten alleinerziehenden
Mehrbedarf aufrechterhalten habe, weil ich im Hinblick auf meinen Sohn nicht mehr genau
angeben kann, an welchen Tagen er bei mir war.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, über den Überprüfungsantrag des Klägers vom
11.07.2014, eingegangen am 11.07.2014, auf Überprüfung aller Leistungsbe-
scheide für ihn und seinen Sohn rückwirkend zum 01.09.2013 zu bescheiden.

- vorgespielt und genehmigt '

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

- vorgespielt und genehmigt -

Die Vorsitzende schließt die mündliche Verhandlung. Das Gericht zieht sich zur geheimen
Beratung zurück.

-3- S 12 AS 192/15

Nach geheimer Beratung verkündet die Vorsitzende

IM NAMEN DES VOLKES
folgendes

Urteil:

1. Der Beklagte wird verurteilt, den Überprüfungsantrag des Klägers vom 11.07.2014,
eingegangen am 11.07.2014, auf Überprüfung aller Leistungsbescheide für ihn und
seinen Sohn rückwirkend zum 01.09.2013 zu bescheiden.

2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Der wesentliche Inhalt der Entscheidungsgründe wird den Beteiligten mitgeteilt.

- F.d.R.d.Ü.V. Tonträger -

Richterin am Sozialgericht Justizbeschäftigte

Beginn der Verhandlung:
Ende der Verhandlung:


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SG DD, S 12 AS 1184/15, 29.04.2015, Sozialgericht Dresden
Beglaubigte Abschrift

S 12 AS 1184/15

SOZIALGERICHT DRESDEN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

Kläger zu l:

— Kläger zu 2.
gegen

Landkreis Meißen Jobcenter Meißen. vertreten durch den Landrat. Brauhausstraße 21,.
01662 Meißen

- Beklagter

hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Dresden auf die mündliche Verhandlung mm
29. April 2015 in Dresden durch die Richterin am Sozialgericht und die ehrenamtli-
ehen Richter Herr und Frau fiir Recht erkannt:

I. Der Beklagte wird verurteilt, den Weiterbewilligungsantrag der Kläger vom
25.08.2014 betreffend den Leistungszeitraum Oktober 2011 bis März 20l5 zu
bescheiden.

II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.

- 2 - S 12 AS 1184/15

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Untätigkeitsklage, ob der Beklagte derzeit ver-
pflichtet ist, über den Weiterbewilligungsantrag der Kläger vom 25.08.2014 zu entschei-
den, insbesondere ob der Beklagte die Entscheidungsfrist des § 88 Abs. 1 SGG ohne zu-
reichenden Grund überschritten hat.

Der im Jahre geborene Kläger zu 1. mit deutscher Staatsangehörigkeit ist Vater des
im Juli geborenen Sohnes (nachfolgend: Kläger zu 2.). Vor dem Amtsgericht Meißen
schloss der Kläger zu 1, mit der Mutter des Klägers zu 2. am .2013 eine Vereinba-
rung dahingehend. dass sie die elterliche Sorge für den im Jahre geborenen gemein-
samen Sohn künftig gemeinsam ausüben werden und das Kind sich im wöchentlichen
Wechsel bei jedem Elternteil aufhalten wird Dieses Wechselmodell wird von den geschie-
denen Eheleuten seit August 2011 gelebt.

Seit Mai bewohnt der Kläger zu 1. eine 74 qm große 3-Raum Wohnung in Meißen.
Die monatliche Gesamtmiete für diese Wohnung betrug € (Grundmiete:
Vorauszahlung für Heiz— und Warnmasserkosten: € Vorauszahlung für kalte Be»
triebskosten: €. Ab 01.10.2014 erhöhte der Vermieter die monatliche Vorauszah-
lung für Heiz— und Warmwasserkosten auf In einer korrigierten Fassung erhöht
der Vermieter mit Schreiben vom 23.06.1014 die monatliche Vorauszahlung für Heiz- und
Warmwasserkosten ab 01.07.2014 auf €. Zudem forderte der Vermieter mit Schrei-
ben vom 23.06.2014 die Zustimmung zur Erhöhung der Grundmiete auf € ab
01.08.2014, die der Kläger zu 1. verweigert hat. Der Vermieter kündigte mit Schreiben
vom 11.06.20l4 das Mietverhältnis fristlos und forderte den Kläger zu 1. auf, die Woh—
nung zu räumen und an ihn herauszugeben. Derzeit wohnen die Kläger weiterhin in dieser
Unterkunft.

Im 2014 heiratete der Kläger zu 1. die im Jahre geborene die
Mutter des im April geborenen Sohnes ist. Beide zogen der An-

- 3 – S 12 AS 1184/15

meldebestätigung der Stadt vom 2014 zufolge aus der um
2014 in die Wohnung des Klägers zu 1.

Seit 2010 bezogen die Kläger zu 1. und 2. vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Auf Antrag hat das
Sozialgericht Dresden mit Beschluss vom 23.04.2014 (S 43 AS 2298/14 ER) den Beklag-
ten im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet. den Klägern zu 1. und 2. für die
Zeit vom 01.04.2014 bis 30.09.2014 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunter-
halts nach dem SGB II zu gewähren.

Am 25.08.2014 stellte der Klüger zu 1. für die Zeit ab 01.10.2014 einen Antrag auf Wei-
tergewährung von Grundsicherungsleistungen an ihn und den Kläger zu 2. beim Beklagten.
Gleichzeitig reichte er beim Beklagten Kontoauszüge seiner Konten bei der Deutschen
Bank, der Postbank und einem Paypalkonto ein. Mit Änderungsmitteilung vom 02.09.3014
wurde dieser Antrag auf die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
und erweitert.

Am 01.09.2014 haben die Kläger zu 1. und 2. beim Sozialgericht Dresden im Wege der
einstweiligen Anordnung die Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebens-
unterhalts für die Zeit ab 01.10.2014 sowie höhere Leistungen für den Zeitraum vom
01.06.2014 bis 30.09.2014 unter Abänderung des gerichtlichen Beschlusses vom
23.04.1014 (S 43 AS 2298/14 ER) beantragt. Mit Schreiben vom 34.09.2014 sowie
26.09.2014 haben und ebenfalls Leistungen nach
dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht.

Mit gerichtlichen Beschluss vom 01.10.2014 wurde der Beklagte daraufhin verpflichtet.
den Klägern zu 1. und 2. und den weiteren Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft
und vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II im Zeitraum Oktober bis März 2015 zu gewähren (S 43 AS 5294/14
ER).

- 4 - S 12 AS 1184/15

Die vom Beklagten gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde wurde vom Sächsi-
schen Landessozialgericht mit Beschluss vom 03.02.2015 (L 2 AS 1326/14 B ER) zu-
rückgewiesen.

Über den Weiterbewilligungsantrag vom 25.08.2014 in der Fassung der Änderung vom
02.09.2014 hat der Beklagte bislang nicht entschieden. Leistungen an die Kläger erfolgten
ausschließlich faktisch aufgrund des gerichtlichen Beschlusses vom 01.10.2014 und des
Beschlusses im Beschwerdeverfahren L 2 AS 1326/14 B ER.

Am 05.032015 hat der Kläger zu 1. die hier streitgegenständliche Untätigkeitsklage für
sich und - nach sinngemäßer Auslegung des Klagebegehrens - für seinen Sohn, den Kläger
zu 2. erhoben.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verurteilen. über den Weiterbewilligungsantrag vom 25.08.2014 zu ent-
scheiden

Der Beklagte beantragt.

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung. über die Anträge habe bislang nicht abschließend entschieden wer—
den können. du insbesondere die Einkommensverhältnisse des Klägers zu 1. noch nicht
hinreichend geklärt seien.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakten zu den Verfah—
ren S 43 AS 2298/14 ER und S 43 AS 5293/14 ER beigezogen. Auf den Inhalt der Verwal-
tungs- und Gerichtsakten wird sachverhaltsergänzend Bezug genommen.

- 5 - S 12 AS 1184/15

Entscheidungsgründe:

Die von den Klägern erhobene Untätigkeitsklage im Sinne des § 88 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) ist zulässig und begründet.

Die Untätigkeitsklage ist zulässig. Insbesondere ist die Sperrfrist des § 88 Abs. 1 SOG von
sechs Monaten für die Entscheidung über den Weiterbewilligungsantrag des Klägers vom
25.08.2014 abgelaufen.

Die Untätigkeitsklage ist auch begründet. Der Beklagte hat über den Weiterbewilligungs-
antrag der Kläger vom 25.08.2014 den streitgegenständlichen Zeitraum betreffend nicht in
angemessener Frist entschieden. Ferner besteht kein zureichender Grund im Sinne des § 88
Abs.1 SGG dafür, dass der Beklagte noch nicht über den Weiterbewilligungsantrag der
Kläger entschieden hat. Ein solcher Grund ist insbesondere nicht darin zu sehen. dass aus
Sicht des Beklagten die Einkommens— und Vermögensverhältnisse des Klägers zu 1. sowie
der Umfang der Tätigkeit der Ehefrau des Klägers zu 1. noch nicht ausreichend aufgeklärt
sind. Unabhängig von der Frage, ob der Beklagte dem Vortrag des Klägers zu 1. zu seinen
Einkommensverhältnissen Glauben schenkt, sind die Ermittlungen des Beklagten an einem
Punkt angekommen, an dem die Kläger einen Anspruch auf eine Sachentscheidung und
damit auch auf eine Eröffnung des Rechtsweges zu den Sozialgerichten haben.

Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes des zureichenden Grundes im Sinne
des § 88 SGG. der unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen ist.
sind die Garantien des effektiven Rechtschutzes gemäß §§ 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) und

- 6 - S 12 AS 1184/l5

des Rechts auf eine Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist gemäß Art. 6 Abs 1
der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu berücksichtigen (so Leitherer in
Meyer - Ladewig/ Keller/ Leitherer. Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz. 10. Auflage
2012. zu § 88 SGG Rn 7a m.w.N.). Um das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht des
Klägers auf effektiven Rechtsschutz und eine zeitnahe Verwaltungsentscheidung einerseits
und der Pflicht des Beklagten zur umfassenden Aufklärung des wesentlichen Sachverhalts
(vgl. § 20 Abs 1 und 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X) andererseits aufzulösen.
muss der Beklagte das Verwaltungsverfahren so zügig wie möglich betreiben und bei
Überschreitung der gesetzlich zugebilligten Entscheidungsfrist des § 88 Abs. 1 SGG aus
Sicht der Kammer spätestens bei Erschöpfung der wesentlichen Ermittlungsmöglichkeiten
eine Sachentscheidung treffen.

Vorliegend hat der Beklagte mit der Klageerwiderung vorgetragen, der Kläger zu1l. sei
zuletzt mit behördlichen Schreiben vom 25.03.2015 aufgefordert worden. Angaben im
Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Leistungszeitraum zu machen. Insoweit ist
festzustellen, dass diese Aufforderung erst nach Ablauf der Frist des § 88 Abs. 1 Satz 1
SGG erging‚ so dass davon auszugehen ist, dass der Beklagte das Verwaltungsverfahren
nicht mit der gebotenen Konsequenz und Schnelligkeit betrieben hat. Das zuvor an den
Klüger zu 1. und seine Ehefrau gesandte Schreiben vom 14.11.2014 haben diese mit
Schriftsätzen vom 03.12.20l4 beantwortet Die davor liegenden Anfragen des Beklagten
betreffen entweder nicht den zu bescheidenden Leistungszeitraum, wurden vom Kläger zu
1. bereits beantwortet oder übersteigen die Grenzen zumutbarer Mitwirkung (wie z.B. die
Frage nach den genutzten IP-Adressen). Die Kammer ist unter Würdigung des sich aus den
Verwaltungsakten und den Akten der vielfach geführten gerichtlichen Streitigkeiten erge—
benden Sachverhaltes zu der Überzeugung gelangt, dass die bisherige Verfahrensweise des
Beklagten. den Klägern eine Sachentscheidung vorzuenthalten, da Einkommen des Klägers
zu 1. vermutet wird, nicht haltbar ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den
Verdachtsmomenten des Beklagten nach wie vor um bloße Mutmaßungen handelt. Greif—
bare Anhaltspunkte für erzieltes Einkommen sind nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte
von Einkommenszufluss ausgeht, hat er eine entsprechende Sachentscheidung zu treffen.
die den Klägern den Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet. Soweit der Beklagte nach
erfolgter Bewilligung Anhalt für eine Betrugshandlung des Klägers zu 1. hat. obliegt ihm.

- 7 – S 12 AS 1184/15

den Sachverhalt den zuständigen Strafermittlungsbehörden zu übergeben. Allerdings hat
die Kammer derzeit Zweifel. dass der hierfür erforderliche Anfangsverdacht überhaupt be-
steht.

Soweit der Beklagte weiterhin davon ausgeht, die Entscheidung über den Leistungsantrag
sei davon abhängig. dass der Kläger zu 1. sich zu einer Äußerung erkläre, die er im Zu-
sammenhang mit einem Bundesfreiwilligendienst vom 01.09.2013 bis 12.10.2013 getätigt
haben soll, ist darauf hinzuweisen, dass existenzsichernde Leistungen nicht aufgrund von
bloßen Mutmaßungen verweigert werden dürfen, die sich auf vergangene Umstände stüt—
zen, wenn diese über die gegenwärtige Lage eines Anspruchstellers keine eindeutigen Er-
kenntnisse ermöglichen (so auch LSG Sachsen, Beschluss vom 05.03.2015. AZ L 2 AS
1326/14 B ER). Nur wenn unter Angabe von Tatsachen konkret vorgetragen werde. über
welches - bisher verschwiegene - Einkommen der Arbeitssuchende aktuell verfügt. so
dass diesem auch eine Widerlegung möglich wäre, könnten berechtigte Zweifel an der Hil-
febedürftigkeit bestehen. Umstände in der Vergangenheit dürfen daher nur soweit herange—
zogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Arbeitssu-
chenden ermöglichen (vgl. auch LSG Hessen, Beschluss vom 07.11.2005. AZ 1. 7 AS
81/05 ER. L 7 AS 102/05 ER). So liegt es vorliegend nicht. Die für den streitigen Zeitraum
vorliegenden Kontoauszüge des Klägers zu 1. und seiner Ehefrau lassen weder den Bezug
von Einkommen erkennen. noch den Besitz von verwertbarem Vermögen. Auch finden
sich in der Verwaltungsakte findet sich keinerlei Hinweise. die die Mutmaßung des Be-
klagten. der Kläger zu 1. würde Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielen. irgend-
wie untermauern. Unter Berücksichtigung der mehrfachen und wiederholten Äußerungen
des Klägers zu 1., er erziele kein Einkommen, hätte der Beklagte über den Antrag ent—
scheiden müssen. Angaben zu den weiteren Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft lagen
vor Ablauf der Frist des § 88 SGG ebenfalls vor.

Streitgegenstand ist vorliegend allein die Pflicht des Beklagten zur Entscheidung über den
Antrag vom 25.08.2014. Insofern kommt es auf den Beweisantrag des Beklagten im
Schreiben vom 16.04.2015 nicht an, da das Gericht die Sachentscheidung des Beklagten
über den Weiterbewilligungsantrag der Kläger nicht vorwegnahmen darf.

— 8 - S 12 AS 1184/15

Der Antrag ist darüber hinaus nur als Beweisermittlungsantrag zu verstehen. da er den
formellen Anforderungen an einen Beweisantrag nicht genügt (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG)
und einen bloßen Ausforschungsbeweis darstellt. Es ist nicht angegeben dass die benann-
ten Zeugen Angaben zur Höhe des vom Kläger zu 1. etwa erzielten Einkommen machen
können.

Die Kostenentscheidung, beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Suche.
lm Hinblick auf den Gesamtbetrag der in Streit stehenden Leistungen fiir den Zeitraum
Oktober 2014 bis März 2015 ist die Berufung von Gesetzes wegen zulässig da der Be—
schwerdewert nach § 144 Abs. 1 Nr. I SGG überschritten wird.

— 9 - S 12 AS 1184/15

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Sächsischen Landessozialgericht.
Kauffahrtei 25. 09120 Chemnitz. schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäfts—
stelle oder in elektronischer Form einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Dresden.
Fachgerichtszentrum, Hans-Oster-Straße 4 01099 Dresden schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Ur-
kundsbeamten der Geschäftsstelle oder in elektronischer Form eingelegt wird.

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der
Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa über den elektronischen Rechts-
verkehr in Sachsen (SächsERVerkVO) vom 6. Juli 2010 (SächsGVBl. S. 190) in den elektronischen Ge-
richtsbriefkasten z übermitteln ist: nähere Hinweise finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de,

Die Einlegung der Berufung durch einfache E-Mail wahrt daher die Form nicht. Es wird darauf hingewiesen,
dass das Rechtsmittel innerhalb der Frist in der vorgeschriebenen Form einzulegen ist.

Die Berufungsschritt soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur
Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Vorsitzende der 12. Kammer

Richterin am Sozialgericht

Für die Richtigkeit der Abschrift:

Sozialgericht Dresden


-------------------------------------------- -

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.

- vorgespielt und genehmigt -

Die Vorsitzende schließt die mündliche Verhandlung. Das Gericht zieht sich zur geheimen
Beratung zurück.

Nach geheimer Beratung verkündet die Vorsitzende

IM NAMEN DES VOLKES

folgendes
Urteil:

1. Der Beklagte wird verurteilt, den Weiterbewilligungsantrag der Kläger vom
25.08.2014 betreffend den Leistungszeitraum Oktober 2014 bis März 2015 zu be—
scheiden.

2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Der wesentliche Inhalt der Entscheidung wir den Beteiligten mitgeteilt.

- F.d.R.d.Ü.v. Tonträger -

Richterin am Sozialgericht J ustizbeschäftigte

Beginn der Verhandlung:
Ende der Verhandlung:

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Dienstag, 30. Juni 2015
BSG, B 4 AS 417/13 B vom 25.02.2014, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT
Beschluss
in dem Rechtsstreit

Az: B 4 AS 417/13 B
L 34 AS 224/13 (LSG Berlin-Brandenburg)
S 82 AS 33442/11 (SG Berlin)

.................................,
Kläger, Antragsteller
und Beschwerdeführer,
Prozessbevollmächtigte:
............................................,

g e g e n

Jobcenter Berlin Neukölln,
Mainzer Straße 27, 12053 Berlin,
Beklagter und Beschwerdegegner.
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 25. Februar 2014 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. V o e l z k e
S. K n i c k r e h m
sowie die Richterinnen
und B e h r e n d
beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-
sozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. August 2013 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und
Rechtsanwältin N. A.
in B.
beizuordnen, wird abgelehnt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

- 2 -

G r ü n d e :

I

[1] Der Beklagte forderte den durchgehend SGB II-Leistungen beziehenden Kläger mit drei Melde-
aufforderungen vom 9.9.2011 (Meldetermin am 22.9.2011 um 8:45 Uhr), vom 20.10.2011 (Mel-
determin am 31.10.2011 um 8:45 Uhr) und vom 7.11.2011 (Meldetermin am 14.11.2011 um
9:15 Uhr) auf, bei ihm zu erscheinen, um über sein Bewerberangebot bzw seine berufliche Situ-
ation zu sprechen. Das Alg II werde um 10 % des maßgebenden Regelbedarfs für die Dauer
von drei Monaten gemindert, wenn er der Einladung ohne wichtigen Grund nicht folge. Die Wi-
dersprüche gegen die Meldeaufforderungen wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheide
vom 28.11.2011).

[2] Der Beklagte minderte die SGB II-Leitungen für den Zeitraum vom 1.1.2012 bis 31.3.2012 um
10 % des maßgebenden Regelbedarfs, weil der Kläger trotz schriftlicher Belehrung über die
Rechtsfolgen zu dem Meldetermin am 31.10.2012 ohne wichtigen Grund nicht erschienen sei
(Bescheid vom 13.12.2011; Widerspruchsbescheid vom 31.1.2012), ebenso für den Zeitraum
vom 1.2.2012 bis 30.4.2012 (Bescheid vom 13.1.2012; Widerspruchsbescheid vom 19.3.2012).
Das LSG hat die Berufung gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid vom 15.1.2013 zu-
rückgewiesen (Urteil vom 28.8.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt,
ein Rechtsschutzbedürfnis für die Fortsetzungsfeststellungsklage zu der Rechtswidrigkeit der
Aufforderung zur persönlichen Meldung am 9.9.2011, 20.10.2011 und 7.11.2011 fehle. Die auf
Aufhebung der Bescheide vom 13.12.2011 und 13.1.2012 gerichtete Klage könne keinen Erfolg
haben, weil diese rechtmäßig seien. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Absenkung des
Alg II für den hier auf vier Monate begrenzten Zeitraum bestünden nicht. Das LSG hat die Revi-
sion nicht zugelassen.

[3] Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revi-
sion und beantragt die Bewilligung von PKH.

II

[4] Die Beschwerde ist nicht zulässig, weil die als Zulassungsgründe geltend gemachte grundsätz-
liche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und ein Verfahrensfehler (§ 160 Abs
2 Nr 3 SGG) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind (§ 160a
Abs 2 S 3 SGG). Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169
SGG zu verwerfen.

- 3 -

[5] Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwer-
debegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu
entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im
allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revi-
sionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG
SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch: BVerfG SozR
3-1500 § 160a Nr 7). Der Beschwerdeführer hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage
unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und ggf des Schrifttums nicht
ohne Weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur
Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

[6] Mit seinem Vorbringen wird der Kläger diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Er for-
muliert als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung: "Stellt die Sanktionierung von Empfän-
gern von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch durch Kürzungen der Regelleis-
tung ohne die ersatzweise Erbringung von Sachleistungen einen Verstoß gegen das Grundrecht
auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Ver-
bindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG dar?" Nach der Entscheidung des
BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) sei das
Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dem Grunde nach
unverfügbar und müsse eingelöst werden. Die Unterschreitung des in § 20 Abs 2 SGB II fest-
gelegten Regelbedarfs durch den Gesetzgeber sei - jedenfalls sofern die Minderung nicht durch
die Gewährung von Sachleistungen ausgeglichen werde - zwangsläufig ein Eingriff in das
Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Die aufgeworfene
Frage sei bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. In der rechtswissenschaftli-
chen Literatur überwiege die Auffassung, dass Sanktionen grundsätzlich zulässig seien. Auch in
der Rechtsprechung sei die Verfassungsmäßigkeit des Sanktionsrechts bisher nicht wesentlich
in Frage gestellt worden.

[7] Mit diesem Vorbringen hat der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht
ausreichend dargetan. Zwar weist er zutreffend darauf hin, dass es der Senat in seinem Urteil
vom 9.11.2010 (B 4 AS 27/10 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 6) offen gelassen hat, ob verfassungs-
rechtliche Bedenken gegen die Absenkung des Alg II für einen auf vier Monate begrenzten Zeit-
raum vom 1.11.2007 bis 29.2.2008 bei einer Absenkung um 20 vH bzw 30 vH bestehen, weil im
konkreten Fall ergänzende Sachleistungen "in angemessenem Umfang" angeboten worden
waren. Der Kläger hat sich jedoch nicht in dem erforderlichen Umfang mit der grundsätzlichen
Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage im Hinblick auf den hier konkret vorliegenden Ein-
zelfall, insbesondere der Minderung wegen eines Meldeversäumnisses um 10 vH der Regel-
leistung für einen auf einige Monate befristeten Zeitraum auseinandergesetzt. Insofern hätte
sich der Kläger auch mit den Aussagen des BVerfG zu einem Abzug von 10 % des Regelbe-

- 4 -

darfs über einen gewissen Zeitraum im Rahmen der Darlehensregelung (vgl nunmehr § 42a
SGB II) befassen müssen. Dieses hat die Rückführung eines Darlehens zur Deckung eines
unvermutet auftretenden und unabweisbaren einmaligen Bedarfs durch Einbehalt der Regel-
leistung in Höhe von 10 % als "vorübergehende monatliche Kürzung der Regelleistung" im
Grundsatz verfassungsrechtlich nicht beanstandet (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09,
1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - juris RdNr 150).

[8] Soweit der Kläger "die Einordnung der unterbliebenen Entscheidung des Sozialgerichts über den
mit Schriftsatz vom 02. Mai 2012 klageerweiternd gestellten Antrag auf Erstattung von 221,40 €
wegen der Sanktionen vom 01. Januar 2012 bis 30. April 2012 als offensichtlich versehentlich"
sowie die Übertragung auf den Einzelrichter beanstandet, ist ein Verfahrensfehler nicht ausrei-
chend bezeichnet. Insofern fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung der Tatsachen,
aus denen sich der Mangel ergeben soll (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG,
10. Aufl 2012, § 160a RdNr 16 mwN). Auch reicht nicht die hier nur aufgestellte Behauptung,
dass das angefochtene Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruht.

[9] Dem Kläger steht PKH nicht zu, weil seine Rechtsverfolgung aus den genannten Gründen keine
Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a SGG). Aus diesem Grund entfällt auch die Beiordnung eines
Rechtsanwalts.

[10] Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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SG R, S 2 KR 252/12 vom 21.09.2012, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 252/12

SOZIALGERICHT REGENSBURG

In dem Rechtsstreit

- Klägerin -

Proz.-Bev‚:
Rechtsanwälte Treutler u.KoIi., Prüfeninger Straße 62, 93049 Regensburg - 897/2012"

8109017 -
gegen
AOK Bayern - Die Gesundheitskasse -, Direktion Regensburg, vertreten durch den Direk-
tor, Bruderwöhrdstraße 9, 93055 Regensburg

- Beklagte -

erlässt der Vorsitzende der 2. Kammer Vizepräsident des Sozialgerichts P. ohne
mündliche Verhandlung am 21. September 2012 folgenden

Beschluss:

Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstat-
ten.

Gründe:

Die Klägerin stand im Bezug von Krankgeld, als die Beklagte mit Bescheid vom
29.02.2012 entschied, die Zahlung von Krankengeld zum 04.03.2012 zu beenden.

- 2 – S 2 KR 252/12

Dies wurde mit dem Ende der Arbeitsunfähigkeit begründet. Zuvor war vom Medizini—
schen Dienst der Krankenversicherung (MDK) eine Stellungnahme eingeholt worden.

Der schriftlich erhobene Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.02.2012 ging bei der
Beklagten am 12.03.2012 ein.

Die Beklagte holte daraufhin noch eine Stellungnahme des MDK ein, die am 23.03.2012
bei der Beklagten einging. Unter Bezugnahme auf das Ergebnis dieser Stellungnahme
wurde der Klägerin mit Schreiben vom 26.03.2012 die Nichtabhilfe mitgeteilt. Hierzu äu—
ßerte sich die Klägerin am 29.03.2012 und teilte auf die ausdrückliche Anfrage durch die
Beklagte mit, den Widerspruch aufrecht zu erhalten. Am 12.04.2012 folgte ein Telefonge-
spräch einer Mitarbeiterin der Beklagten mit der Klägerin. Es wurde dann am 27.04.2012
eine weitere Stellungnahme des MDK eingeholt, die dieser am 03.05.2012 verlegte.

Am 18.06.2012 ging bei Gericht die Untätigkeitsklage ein.
Der Widerspruchsbescheid der Beklagten datiert vom 01.08.2012.

Mit der Klage wurde auf den Umstand verwiesen, dass über den Widerspruch vom
12.03.2012 noch nicht entschieden war.

Nach Erlass des Widerspruchsbescheides ist die Klage in der Hauptsache mit dem am
08.08.2012 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz für erledigt erklärt werden.

Zugleich hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Dieser Antrag wird damit begründet, dass für die Kostentragung auf den vermutlichen
Verfahrensausgang abzustellen ist. Nach bisherigem Sach- und Streitstand sei die erho-
bene Untätigkeitsklage vom 18.06.2012 im Zeitpunkt des Eintritts des erledigenden Ereig—
nisses zulässig und begründet gewesen. Die Beklagte habe den Widerspruch nicht inner-
halb der Frist des § 88 Abs. 2 SGG verbeschieden. Ein zureichender Grund für die Frist—
überschreitung habe nicht vorgelegen. Die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt gegenüber
der Beklagten erklärt, dass sie mit der Überschreitung der 3—Monats-Frist einverstanden
sei. Die Klägerin sei auf die Krankengeldzahlung dringend angewiesen.

- 3 – S 2 KR 252/12

Die Beklagte beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.

Sie begründet dies damit, dass im vorliegenden Fall auf Grund der Notwendigkeit der me—
dizinischen Beurteilung und damit der Einschaltung des MDK ein Grund für die Fristüber-
schreitung vorlag. Insbesondere wird in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass die
Beklagte auf den von der Klägerin im Widerspruchsverfahren vorgelegten Bericht und ihre
Beschwerden eingegangen sei. Die starre Betrachtung der dreimonatigen Frist durch den
Prozessbevollmächtigten könne dazu führen, dass Sachverhalte ohne ausreichende
Überprüfung mit einem Widerspruchsbescheid abzulehnen seien. Auch habe die Klägerin
bei einem Telefonat in keinster Weise zum Ausdruck gebracht, mit der Erteilung des Wi-
derspruchsbescheides am 01.08.2012 nicht einverstanden zu sein. Die Beklagte habe
davon ausgehen können, dass die Überschreitung der Frist akzeptiert werde.

Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders als
durch Urteil beendet wird (§ 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Vorschrift
des § 193 SGG geht den Regelungen in den §§ 91 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) vor, die
auch nicht über § 202 SGG entsprechend anwendbar sind. Über die Kosten ist nach
sachgemäßen richterlichen Ermessen zu entscheiden. Dabei ist der Ausgang des Verfah—
rens mit zu berücksichtigen und der zu diesem Zeitpunkt bestehende Sach- und
Streitstand.

Im vorliegenden Fall war am 18.06.2012 eine Untätigkeitsklage nach § 88 SGG erhoben
worden. Die Untätigkeitsklage war darauf gerichtet, dass von der Beklagten ein Wider-
spruchsbescheid erlassen wird (vgl. § 88 Abs. 2 SGG). Ziel der Untätigkeitsklage ist auch
in einem solchen Fall die bloße Bescheidung und nicht der Erlass eines Verwaltungsaktes
mit einem bestimmten Inhalt (vgl. BSGE 72, 118, 121; BSGE 73, 244). Als am 01.08.2012
der Widerspruch erlassen wurde, entfiel nachträglich für die Untätigkeitsklage das
Rechtsschutzbedürfnis. Mit der (einseitigen) Erklärung der Erledigung in der Hauptsache
durch die Klägerin wurde diesem Umstand Rechnung getragen. Damit hat sich das Ver-
fahren in der Hauptsache erledigt.

- 4 – S 2 KR 252/12

Die Untätigkeitsklage war im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zulässig. Die Erhe-
bung der Untätigkeitsklage setzt nach § 88 Abs. 2 SGG in Fällen wie dem vorliegenden
den Ablauf einer Frist von 3 Monaten ohne Entscheidung der Widerspruchsbehörde vor-
aus. Diese Sperrfrist war im vorliegenden Fall abgelaufen. Die Untätigkeitsklage war auch
begründet. Dies ist der Fall, wenn die Behörde ohne zureichenden Grund nicht innerhalb
der Frist entscheiden hat (vgl. BSGE 73, 244). Ein solcher Grund kann durchaus in aut-
wändigen Sachverhaltsermittlungen liegen, etwa in der Einholung von Sachverständigen»
gutachten. im vorliegenden Fali wurden jedoch zwei Stellungnahmen vom MDK eingeholt,
was auch kurzfristig möglich ist. Hinzu kommt, dass nach dem Telefonat mit der Klägerin
(vgl. Gesprächsnotiz hierüber) vom 12.04.2012 erst 27.04.2012 eine weitere Stellungw
nahme des MDK nach Aktenlage eingeholt wurde. Auch wenn der Klägerin telefonisch
mitgeteilt worden sein sollte, dass der Fall in der Widerspruchssitzung vom 01.08.2012
entschieden werde, kann daraus nicht geschlossen werden, dass sich die Klägerin mit der
Erhebung der Untätigkeitsklage widersprüchlich verhalten habe. Es ist nicht davon auszu-
gehen, dass die Klägerin Kenntnis von den Fristen des § 88 Abs. 2 SGG hatte und damit
von der Möglichkeit der Erhebung der Untätigkeitsklage. Nur wenn dies der Fall wäre und
die Beklagte auch ausdrücklich auf diese Fristen hingewiesen hätte, könnte ein etwaiges
widerspruchsloses Einlassen überhaupt Bedeutung erlangen. Unter Berücksichtigung al-
ler Umstände nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand erscheint es angemessen, dass
die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt.

Dieser Beschluss ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG unanfechtbar.

Der Vorsitzende der 2. Kammer

P

Vizepräsident des Sozialgerichts

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Sonntag, 28. Juni 2015
SG DD, S 12 AS 194/15, 29.04.2015. Sozialgericht Dresden
Beglaubigte Abschrift

S 12 AS 194/15

SOZIALGERICHT DRESDEN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

— Kläger zu l.-

- Kläger zu 2.—

gegen

Landkreis Meißen Jobcenter Meißen, vertreten durch den Landrat, Brauhausstraße 21,
01662 Meißen

- Beklagter -

hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Dresden auf die mündliche Verhandlung vom
29. April 2015 in Dresden durch die Richterin am Sozialgericht und die ehrenamtli-
chen Richter und für Recht erkannt:

I. Der Bescheid vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
19.12.2014 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

— 2 – S 12 AS 194/15

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte zu Recht Leistungen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen fehlender Mitwirkung versagt hat.

Die Kläger beziehen Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 10.01.2014 hatte der
Beklagte den Klägern für den Zeitraum Januar bis März 2014 vorläufig Leistungen der
Grundsicherung wie folgt bewilligt:

Januar 2014
Februar 2014
und März 2014

Am 17.03.2014 beantragte der Kläger zu 1 die Weiterbewilligung der Leistungen zur Si-
cherung des Lebensunterhaltes für sich und seinen minderjährigen Sohn, den Kläger zu 2,
ab 01.04.2014. Aufgrund eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens leistete der Beklagte
im Zeitraum von April 2014 bis September 2014 vorläufig auf der Grundlage des Be-
schlusses des Sozialgerichts Dresden vom 23.04.2014, Az.: S 43 AS 2298/14, für April
und Mai 2014 Euro, für Juni Euro, für Juli und August 2014 jeweils

Euro und für September 2014 Euro. Dabei wurden die Kosten für Unterkunft und
Heizung in Höhe von jeweils monatlich Euro direkt an den Vermieter der Kläger

sowie ein Betrag von Euro monatlich direkt an die
bezahlt.

Mit Schreiben vom 11.04.2014, 18.08.2014, 19.08.2014, 26.09.2014 07.10.2014 und
10.10.2014 forderte der Beklagte vom Kläger zu 1 unter Hinweis auf die Mitwirkungs-
pflichten nach §§ 60 und 66 SGB I weitere Unterlagen und Auskünfte zur Bearbeitung des
Antrages vom 17.03.2014 an. Diese Auskünfte hielt der Beklagte für die Aufklärung der
im Bewilligungszeitraum maßgeblichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der
Kläger für erforderlich.

Nachdem der Beklagte davon ausging, dass die angeforderten Unterlagen und Auskünfte

-3— S 12 AS 194/15

nicht vollständig übermittelt bzw. erteilt wurden, versagte er mit Bescheid vom 30.10.2014
die beantragten Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.04.2014 bis 30.09.2014 wegen
fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I. Der Kläger habe Angaben zu seinen Aufenthalten
nur bedingt gemacht. Eine geordnete Aufstellung von Einnahmen und Aus-
gaben aus der Beteiligung an dem Betrieb sei nicht vorgelegt worden.
Absprachen mit Frau , die den übernommen haben soll,
seien nicht offenbart worden. Weitere Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit
würden ebenfalls weiteren Aufklärungsbedarf erfordern. Anderweitige Tätigkeiten seien
nicht unaufgefordert offenbart worden, auch auf die Anfrage, ob von
Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft betrieben werden, sei keine Auskunft erteilt worden.
Es sei dabei zu beachten, dass durch das Betreiben von Einnahmen erwirt-
schaftet werden könnten, auch wenn es nur Einnahmen aus Werbung seien. Zur Erzielung
von Einnahmen auf Konten Dritter sei nicht Stellung genommen worden. Eine nähere
Überprüfung dahingehend, ob Tätigkeiten im Internet auf die Erzielung von Einkommen
gerichtet gewesen sind durch die Forderung nach Offenlegung von Domains und Zustim-
mung zur Auskunftserteilung durch die Telefongesellschat sei wegen fehlender Zustim-
mung nicht möglich gewesen. Es könne auch nicht festgestellt werden, welche Kranken-
geldleistungen der Kläger zu 1 im Zeitraum vom 17.04.2014 bis 20.06.2014 erhielt. Kon-
toauszüge vom 20.08.2014 bis 30.10.2014 seien nicht vorgelegt worden. Ob und in wel-
chem Umfang bei Vorliegen der Voraussetzung des § 66 SGB I Maßnahmen ergriffen
werden, stehe im Ermessen des Beklagten als Leistungsträger. In diesem Zusammenhang
sei in erster Linie zu berücksichtigen, dass sich der Beklagte über einen längeren Zeitraum
um eine Klärung bemüht habe. Diese Bemühungen würden bereits deutlich vor dem streit—
gegenständlichen Leistungszeitraum einsetzen, wobei sich im Rahmen der Prüfung immer
mehr der Behörde verheimlichte Tatsachen herausgestellt hätten und weitere Unklarheiten
auftraten. Zu keinem Zeitpunkt sei erkennbar gewesen, dass der Kläger zu 1 von sich aus
bestrebt gewesen wäre, durch unaufgeforderte umfassende Angaben keinen Raum für das
Auftauchen neuer Unklarheiten aufkommen zu lassen. Insbesondere lege die Verheimli-
chung eines Bankkontos bei der Deutschen Bank bei diversen Folgeantragstellungen nahe,
dass der Kläger zu 1 ganz bewusst von einer vollständigen Aufdeckung der tatsächlichen
Vermögensverhältnisse abgesehen habe. Dieses Verhalten sei nicht länger hinnehmbar,
zumal die aufzuklärenden Umstände sämtlich der Sphäre des Klägers zuzurechnen sei, in

-4- S 12 AS 194/15

die die Behörde keinen Einblick habe. An diesem Abwägungsergebnis ändere sich auch
nichts deshalb, dass weitere Personen zur Bedarfsgemeinschaft gehören. Diesem Aspekt
komme im Hinblick auf den Sohn des Klägers zu 1, den hiesigen Kläger zu 2, ohnehin nur
geringere Bedeutung zu, da sich dieser nur zeitweise beim Kläger zu 1 aufhalte. Auch blei-
be ohne Auswirkung, wenn der Kläger in irgendeinem von ihm an das Sozialgericht unmit-
telbar gerichteten Schriftsatz näher auf die Forderungen des Beklagten zur Mitwirkung
eingegangen sein sollte. Insoweit erscheine insbesondere die fehlende Bereitschaft zur Klä-
rung durch eigene Angaben beizutragen oder diese Klärung durch den Landkreis zuzulas—
sen gleichermaßen als ausreichend für die getätigte Ermessenentscheidung.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Kläger vom 10.11.2014 wies der Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 19.12.2014 zurück. Zur Begründung führte er lediglich aus,
dass soweit die Versagung gestützt wurde auf die unvollständigen Angaben zu den Ein-
kommens- und Verrnögensverhältnissen, es sich um relevante Verhältnisse handelt, die
zum Zeitpunkt des Erlasses des Versagungsbescheides noch nicht aufgeklärt waren und
auch zwischenzeitlich nicht aufgeklärt worden seien. Weitere Erwägungen finden sich im
Widerspruchsbescheid vorn 19.12.2014 nicht.

Hiergegen richtet sich die am 12.01.2015 erhobene Klage. Die Kläger tragen zur Begrün-
dung vor, dass die Begründung des Widerspruchsbescheides nicht nachvollziehbar sei. Der
Beklagte habe in keinem der bereits gerichtlich gefiihrten Verfahren einen substanziellen
Nachweis für ein durch den Kläger erzieltes Einkommen außerhalb des Bezuges der Regel-
leistungen vorgelegt. Überdies habe der Kläger zu 1 alle behördlichen Schreiben beantwor-
tet, teilweise über die geführten einstweiligen Rechtsschutzverfahren beim Sozialgericht
Dresden. Das Gericht habe die entsprechenden Schreiben auch an den Beklagten weiterge-
leitet. Unklarheiten aus der Vergangenheit dürfe der Beklagte nicht heranziehen, um die
Bescheidung des Antrags vollständig abzulehnen. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen,
dass in der Bedarfsgemeinschaft minderjährige Kinder leben. Es sei unzulässig, das Kin—
deswohl durch die Verweigerung der Leistung zu gefährden.

Die Kläger beantragen,

—5- S 12 AS 194/15

den Bescheid des Beklagten vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbe-
scheids vom 19.12.2014 aufzuheben und den Klägern ihre außergerichtlichen
Kosten zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist weiterhin der Auffassung, dass der Kläger zu 1. den Forderungen immer nur teilwei-
se nachgekommen sei, wobei häufig nur das eingeräumt worden sei, was zwischenzeitlich
ohnehin der Behörde bekannt geworden sei. Darüber hinaus hätten sich immer wieder Ver-
änderungen in den Verhältnissen feststellen lassen, über die der Kläger zu 1. den Beklagten
nicht von sich aus unterrichtet habe. Die vom Kläger gemachten Angaben würden regel-
mäßig einer näheren Überprüfung nicht standhalten bzw. es ergäben sich unter deren Zu—
grundelegung völlige Ungereimtheiten. Insbesondere sei der Kläger zu 1. Erklärungen
schuldig geblieben im Zusammenhang mit der bereits mehrere Jahre vor dem streitgegen-
ständlichen Leistungszeitraum von ihm ins und im
dortigen Dienstleistungsangebot zur Erstellung von Webseiten. Aufgrund der Ungereimt-
heiten im Klägervortrag werde auch beantragt, Frau und als
Zeugen zu vernehmen. Mitwirkungshandlungen, die es dem Beklagten ermöglichen wür-
den, die Richtigkeit der vom Kläger zu 1. behaupteten Angaben zu überprüfen, verweigere
dieser. Im Hinblick auf die Behauptung des Klägers zu 1., seine jetzige Ehefrau habe
kein Konto gehabt und sei ohne jedes Bargeld nach Deutschland übergesiedelt,
werde auch die Vernehmung der Ehefrau des Klägers zu 1. als Zeugin beantragt.

Das Gericht hat die Leistungsakte des Beklagten beigezogen und zum Gegenstand des Ver-
fahrens gemacht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach— und Streitstandes wird auf das gegenseiti-
ge Vorbringen in der Gerichtsakte sowie die beigezogene Leistungsakte Bezug genommen.

— 6 – S 12 AS 194/15

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Wider-
spruchsbescheides ist wegen Ermessensmissbrauchs rechtswidrig und daher aufzuheben.
Die Klage der anwaltlich nicht vertretenen Kläger war sachdienlich dahingehend auszule-
gen, dass diese die vollständige Aufhebung des Versagungsbescheides des Beklagten be-
gehren.

Streitgegenstand kann vorliegend allein die im Wege der Anfechtungsklage begehrte Auf-
hebung des auf § 66 Abs. 1 SGB I gestützten Versagungsbescheides vom 30.10.2014 in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vorn 19.12.2014 sein. Gegen die Versagung einer So-
zialleistung wegen fehlender Mitwirkung ist grundsätzlich nur die reine Anfechtungsklage
gegeben. Eine unmittelbare Klage auf existenzsichemde Leistungen kommt nur aus-
nahmsweise in Betracht, wenn sich bei einer Aufhebung der Entscheidung über die Versa-
gung wegen fehlender Mitwirkung das Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen würde
(vgl. BSG Beschluss vom 25.02.2013 B 14 AS 133/12 B). Diese Konstellation ist vorlie-
gend nicht ersichtlich.

Die Rechtmäßigkeit eines auf § 66 SGB I gestützten Bescheides richtet sich allein danach,
ob die dort nominierten Tatbestandsmerkmale der mangelnden Mitwirkung gegeben sind
und zwar unabhängig davon, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Leistung
vorliegen.

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 66 Abs. 1 Satz l SGB I. Nach die-
ser Vorschrift kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlung bis zur Nachholung der
Mitwirkung die Leistung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraus-
setzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung
beantragt, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt
und hierdurch die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert wird.

Der Beklagte hat hier den Kläger zu 1 vor Erlass des Versagensbescheides nach § 66
Abs.3 SGB I mit Schreiben vom 11.04.2014, 18.08.2014, 19.08.2014, 26.09.2014,

—7- S 12 AS 194/15

07.10.2014 und 10.01.2014 unter Fristsetzung zur Mitwirkung aufgefordert und auf die
Folgen einer mangelnden Mitwirkung schriftlich hingewiesen. Dabei ergibt sich der Um-
fang der streitigen Mitwirkungspflicht auf § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I. Danach hat, wer Sozi-
alleistungen beantragt, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind.

Ob vorliegend tatsächlich entscheidungserhebliche Angaben unterlassen bzw. nicht durch
entsprechende Unterlagen nachgewiesen worden sind bzw. welche Anforderungen an die
Konkretisierung der anzugebenden Tatsachen zu stellen, kann offen bleiben. Die Beschei—
de sind schon aus formellen Gründen rechtswidrig und damit aufzuheben. Selbst wenn das
Vorhandensein der tatbestandlichen Voraussetzung für eine Versagung nach § 66 Abs. 1
SGB I unterstellt wird — was jedoch höchst zweifelhaft ist —‚ fehlt es an einer ordnungsge-
mäßen Ermessenausübung des Beklagten.

Nach § 66 Abs. 1 Satz l SGB I „kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die
Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entzie-
hen“. Das Gesetz räumt den Verwaltungsträgem einen Entscheidungsspielraum ein, den
die Gerichte zu beachten haben. Gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG dürfen sie nur prüfen, ob
die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Er-
messen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch ge-
macht hat, ob sie also die ihr durch das Verwaltungsverfahrensrecht (vgl. § 39 Abs. 1
Satz 1 SGB I) auferlegte Verhaltenspflicht beachtet hat, ihr Ermessen entsprechend dem
Zweck der Ermächtigung entsprechend auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Er-
messens einzuhalten. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob der Leis—
tungsträger seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist (falls nein: Ermes-
sensnichtgebrauch), ob er mit dem Ergebnis seiner Ermessenbetätigung, der Entscheidung,
die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, d. h. eine nach dem Gesetz nicht
zugelassene Rechtfolge gesetzt (Ermessensüberschreitung) und ob er von dem Ermessen in
einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat
(Abwägungsdefizit, Ermessensmissgebrauch; zu Vorstehendem: BSG, Urteil vom l4. De—
zember 1994 — 4 RA 42/94 — SozR 3/ 1200 5 39 Nr. 1 und Urteil vom 25. Januar 1994 —
4 RA 16/92 — SozR 3/1300 § 50 Nr. 16 jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Ermessen—
erwägungen sind dem Betroffenen im Bescheid im Einzelnen darzulegen. Die Begründung

- 8 — S 12AS 194/15

muss ersehen lassen, welche Gesichtspunkte der Beklagte bei der Ausübung des Ermessens
berücksichtigt und wie er diese gesichtet hat (Engelmann in von Wulffen: SGB X, 8. Aufl.
§ 35 Rn 7). Konkret erstreckt sich das Ermessen bei der Versagung darauf, ob der Leis-
tungsträger überhaupt von der Möglichkeit der Versagung Gebrauch macht (also auch, ob
er die Leistung gleichwohl gewährt oder belässt; vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 1983 —
10 RKG 13/82 — SozR 1200 § 66 Nr. 10), in welchem Umfang weitere Ermittlungen ange—
stellt werden sollen (es sei denn, die leistungserheblichen Tatsachen sind von Amts wegen
schlechterdings nicht ermittelbar), ob eine Nachfrist eingeräumt wird und ob die Leistung
befristet oder ohne die Fristbestimmung ganz oder teilweise entzogen wird (vgl. Trenkhin-
terberger in Gieße/Kramer, Kommentar SGB I bis X 2. Aufl. § 66 SGB I Rn 17).

Vorliegend ist festzustellen, dass der Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2014 kei-
nerlei Ermessenserwägungen enthält. Im Ausgangbescheid vom 30.10.2014 stellt der Be-
klagte auf Seite fünf zutreffender weise fest, dass das Ergreifen von Maßnahmen nach § 66
SGB I im Ermessen des Leistungsträgers steht. Die daran anschließenden „Erwägungen“
stellen jedoch keinen Ermessengebrauch dar, da es sich hierbei um eine Wiederholung des
Tatsachenvortrages handelt, der nochmals in andere Worte gefasst wurde. Dabei ist aller-
dings zu beachten, dass sich das Ermessen nur auf die Rechtsfolgen einer Norm (Engel-
mann in von Wulffen SGB X § 35 Rn 6; Wagner in Juris-Praxiskommentar SGB I § 39 Rn
8) bezieht, sodass grundsätzlich die Vermengung von Tatbestandsvoraussetzungen mit
Rechtsfolgen unzulässig ist. Die Frage, welche konkreten Tatsachen im Rahmen einer Be-
antragung von Sozialleistungen anzugeben und welche Unterlagen vorzulegen sind, bzw.
inwieweit eine Mitwirkung hierzu erforderlich und zumutbar ist, ergeben sich aus den Tat-
bestandsnorrnen der §§ 60 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB I i. V. m § 65 Abs. 1 SGB I. Im Rah-
men ihrer „Ermessenserwägungen“ schildert der Beklagte den Klägern im Wesentlichen
erneut die Tatbestandsvoraussetzungen, welche sich bereits aus dem ersten Teil des Be-
scheides ergeben. Einziger Gesichtspunkt, den der Beklagte in die Ermessensabwägungen
auf der Rechtsfolgenseite einbezogen hat, ist vorliegend die Frage der Zeit- und Bearbei-
tungsdauer im Hinblick auf die Verpflichtung Sozialleistungen möglichst Zeitnah zu er—
bringen. Weitere Erwägungen auf der Rechtsfolgenseite finden sich nicht. Insbesondere
hält es die Kammer für ermessensfehlerhaft, dass der Beklagte die persönliche Situation
des Klägers zu 1. mit einem minderjährigen Kind nicht angemessen berücksichtigt hat.

-9— S 12 AS 194/15

Mit einem Nebensatz stellt der Beklagte fest, dass diesem Aspekt nur geringe Bedeutung
zukommt, da sich das Kind (der Kläger zu 2.) nur zeitweise beim Kläger zu 1. aufhält. Je-
doch lebt der sechsjährige Sohn des Klägers zu 1. mindestens zu 50 % bei diesem, so dass
keinesfalls von einem nur geringen Umfang des Aufenthaltes auszugehen ist. Der Beklagte
hätte diesen Aspekt zwingend berücksichtigen müssen und gegebenenfalls über eine nur
teilweise Versagung nachdenken müssen. Hierzu fehlen jedoch jedwede Ausführungen des
Beklagten. Darüber hinaus hat der Beklagte mit keinem Wort abgewogen, dass es sich bei
den beantragten Leistungen um existenzsichemde Leistungen handelt und durch die voll-
ständige Versagung das Existenzminimum des Klägers zu l. als auch des minderjährigen
Klägers zu 2. gefährdet ist. Zusammengefasst enthält die angefochtene Bescheidung ledig—
lich durch den Gebrauch von Leerformeln Anhaltpunkte dafür, dass der Beklagte sich
überhaupt bewusst war, vorliegend eine Ermessensentscheidung treffen zu müssen. Etwai-
ge Auswirkungen auf die Kläger werden in keiner Weise in die Erwägungen einbezogen,
insbesondere findet eine Abwägung unter Berücksichtigung der klägerischen Belange ge—
rade nicht statt.

Abwegig ist in diesem Zusammenhang auch die Auffassung des Beklagten, es sei nicht zu
berücksichtigen, wenn der Kläger zu . auf die Anforderungen des Beklagten im Rahmen
von Schriftsätzen gegenüber dem Sozialgericht Dresden in einstweiligen Rechtsschutzver-
fahren eingegangen sein sollte. Der Beklagte hätte die in diesem Zusammenhang getätigten
Äußerungen des Klägers zur Kenntnis nehmen müssen. Denn es handelte sich bei den ge-
führten einzelnen Rechtsschutzverfahren um den gleichen Leistungszeitraum, weshalb der
Beklagte auch die in diesem Zusammenhang geführten Ermittlungen bzw. Ergebnisse
wahrzunehmen hat. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Anforderung des Beklagten
in den Aufforderungsschreiben teilweise datenschutzrechtlich erheblich bedenklich sind.
Insbesondere dürfte die geforderte Zustimmung zur Auskunftserteilung der Telefongesell-
schaft rechtlich nicht zulässig sein.

Eine Versagung wäre daher nur dann rechtmäßig, wenn eine Ermessensreduzierung auf nur
eine mögliche Entscheidung vorliege, eine andere, als die vom Beklagten getroffene Ent-
scheidung also nicht in Betracht käme. Dies ist nach Auffassung der Kammer hier nicht
der Fall. Insbesondere hat der Beklagte weiterhin Möglichkeiten, eigene Ermittlungen

- 10 - S 12 AS 194/15

durchzuführen, vorläufig bzw. darlehnsweise Leistungen zu gewähren oder aber auch, so-
fern er den Angaben des Klägers zu 1. keinen Glauben schenkt, die Leistung abzulehnen.
Denn eine Entscheidung nach § 66 Abs. 1 SGB I darf dann nicht ergehen, wenn der Sozial-
leistungsträger die Angaben des Leistungsberechtigten für unwahr hält. In diesem Falle ist
dessen Vorbringen nach § 20 SGB X zu würdigen und der Antrag gegebenenfalls abzu-
lehnen. Dies setzt aber grundsätzlich Entscheidungsreife in der Sache selbst voraus. Inso-
fern muss der Beklagte auch die ihm zur Verfügung stehenden Ermittlungsmaßnahmen
ausschöpfen, insbesondere z. B. solche nach § 60 Abs. 2 und Abs. 4 SGB II.

Zur Klarstellung wird nochmals darauf hingewiesen, dass es der Kammer nicht zusteht, ihr
Ermessen anstelle desjenigen der Verwaltung zu setzen. Ob und in welchem Umfang hier
weitere Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen sind, hat der Beklagte daher im Ein-
zelfall im Wege des zustehenden Ermessens zu entscheiden (vgl. LSG Baden-
Württemberg, Urteil vom 19.07.2007, L 7 AS 1703/06 Rn 24 ff zitiert nach juris).

Dem Beweisantrag des Beklagten aus dem Schreiben vom 16.03.2015, Frau

Frau sowie Frau im Rahmen der mündlichen Verhand-
lung zu vernehmen, war nicht zu folgen. Es ist hier durch den Beklagten weder das Be-
weisthema angegeben worden noch wurde umrissen, was genau die Beweisaufnahme der
benannten Zeugen ergeben soll, sodass es sich um keinen ordentlichen Beweisantrag im
Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG handelt, sondern um einen reinen Beweisermittlungsan-
trag. Darüber hinaus kommt es vorliegend, da es sich um eine reine Anfechtungsklage ge-
gen einen Versagensbescheid handelt, auf die Aussage der Zeugen gerade nicht an, da über
den materiell-rechtlichen Anspruch nicht entschieden wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der Entscheidung in
der Hauptsache.

Die Berufung war von Gesetzes wegen zulässig, da der Gesamtbetrag der versagten Leis-
tungen den Wert von 750,00 Euro übersteigt (§ 144 Abs. 1 Nr. l SGG).

-11- S 12 AS 194/15

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Sächsischen Landessozialgericht,
Kauffahrtei 25, 09120 Chemnitz, schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäfts-
stelle oder in elektronischer Form einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Dresden,
Fachgerichtszentrum, Hans-Oster-Straße 4, 01099 Dresden schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Ur-
kundsbeamten der Geschäftsstelle oder in elektronischer Form eingelegt wird.

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der
Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa über den elektronischen Rechts-
verkehr in Sachsen (SächsERVerkVO) vom 6. Juli 2010 (SächsGVBl. S. 190) in den elektronischen Ge-
richtsbriefkasten zu übermitteln ist; nähere Hinweise finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de.

Die Einlegung der Berufung durch einfache E-Mail wahrt daher die Form nicht. Es wird darauf hingewiesen,
dass das Rechtsmittel innerhalb der Frist in der vorgeschriebenen Form einzulegen ist.

Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur
Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Vorsitzende der 12. Kammer

Richterin am Sozialgericht

Für die Richtigkeit der Abschrift:
Sozialgericht Dresden

Dresden. den 06.05.2015


Urkundsbeamter de Geschäftsstelle


Sozialgericht Dresden Dresden, den 29.04.2015
- öffentliche Sitzung -

S 12 AS 194/15

Niederschrift

über die mündliche Verhandlung der 12. Kammer

In dem Rechtsstreit

1.

- Kläger —
2.

- Kläger -

gegen

Landkreis Meißen Jobcenter Meißen, vertreten durch den Landrat, Brauhausstraße 21,
0 l 662 Meißen

- Beklagter -

Anwesend:

Vorsitzende: Richterin am Sozialgericht
ehrenamtlicher Richter Herr
ehrenamtliche Richterin Frau

Auf die Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wird verzichtet. Die Vor-
sitzende übernimmt die Protokollierung durch Aufzeichnung auf einem Tonträger.

Nach Aufruf der Sache erscheinen:

für den Kläger der Kläger persönlich auch als gesetzlicher
Vertreter des Klägers zu 2

für den Beklagten Herr unter Berufung auf eine bei

Gericht hinterlegte Generalterminsvoll-
macht sowie Herr.

-2- S 12 AS 194/15

Beigezogen ist die Verwaltungsakte des Beklagten unter dem Az.: 1104.0012157, die zum
Gegenstand des Verfahrens gemacht wird.

Die Vorsitzende eröffnet die mündliche Verhandlung und trägt den Sachverhalt vor. So-
dann erhalten die Beteiligten das Wort. Das Sach- und Streitverhältnis wird mit ihnen erör-
tert.

Der Kläger erklärt:

Aus seiner Sicht ist er den Mitwirkungsaufforderungen in jedweder Hinsicht nachgekom-
men. Wobei er zuzugeben habe, dass dies im Laufe des Verfahrens S 43 AS 2298/14 ER
auch gegenüber dem Gericht erfolgte, da das einstweilige Rechtsschutzverfahren den strei-
tigen Leistungszeitraum betraf. Keine Angaben seien dann gemacht worden, wenn der
Kläger die Grenzen der zulässigen Mitwirkungspflicht bezweifle; in diesen Punkten habe
er um Benennung der Rechtsgrundlage gebeten. Dieser Aufforderung sei der Beklagte aber
bis heute nicht nachgekommen. Im Übrigen sei die Versagung insbesondere für den Kläger
zu 2, den minderjährigen Sohn, aus Sicht des Klägers zu 1 nicht zulässig, da dieser keine
Mitwirkungspflichten verletzt habe. Auch für seine jetzige Ehefrau und deren Sohn, die ab
August Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sind, gelte das gleiche, da diese von Mitwir-
kungsverpflichtungen ebenfalls nicht betroffen sind.

Der Beklagtenvertreter verweist im Hinblick auf die Rechtsgrundlage für die geforderten
Mitwirkungshandlungen auf § 60 SGB I und nimmt nochmals Bezug auf die bereits getä-
tigten Ausführungen, dass im Versagungszeitraum ständig Veränderungen, betreffend die
Webseite des Klägers, im Internet zu erkennen waren. Außerdem sei der Kläger, wie im
Versagungsbescheid aufgeführt, Mitwirkungshandlungen nur unzureichend nachgekom-
men. So sei beispielsweise bis zum Erlass des Versagungsbescheides das erzielte Kranken-
geld nicht mitgeteilt worden. Auch habe der Beklagte erst im Nachhinein von der Existenz
eines Kontos bei der erfahren. Abschließend erklärt der Beklagtenvertre-
ter, dass sich insgesamt aus der Vielzahl der vom Kläger zu leistenden Kosten, als Beispiel
werden die Kosten für den jetzt zur Verfügung stehenden PKW genannt, indiziert werde,
dass auch Einkommen zur Verfügung stehe, was dem Beklagten so nicht bekannt ist.

Hierauf erwidert der Kläger, dass er seinen Krankengeldbezug im Verfahren S 43 AS
2298/14 ER offen gelegt habe und darüber hinaus dem Beklagten mittlerweile auch lü-
ckenlos alle Kontoauszüge vorliegen würden. Im Bezug auf den genutzten PKW erklärt
der Kläger, dass es eine Vereinbarung mit seinem Schwiegervater gebe, der nach wie vor
Eigentümer des Fahrzeuges sei. Die laufenden Kosten für das Auto würden aus dem Re-
gelsatz finanziert, was aus Sicht des Klägers zu 1 auch möglich sei. Auch die Reise in die
mit dem Bus war aus dem Regelsatz finanzierbar und wurde aus diesem finanziert.

Der Beklagtenvertreter wendet diesbezüglich noch ein, dass es nur auf den Zeitpunkt des
Erlasses der Versagungsentscheidung ankommt und die Frage, welchen Mitwirkungs-
pflichten der Kläger bis dahin nachgekommen ist, nicht, ob er eventuell im Nachgang in
einem der führten Gerichtsverfahren weitere Unterlagen eingereicht hat.

Der Kläger erklärt hierzu ergänzend, dass aus seiner Sicht alle Mitwirkungshandlungen im

- 3 – S 12 AS 194/15

Rahmen der laufenden Verfahren betreffend die jeweiligen Leistungszeiträume auch er-
folgt sind. Die Zweitschriften habe der Beklagte auch insofern über die Schriftsätze des
Sozialgerichts erhalten. Der Kläger ergänzt darüber hinaus nochmals, dass aus seiner Sicht
nicht nachvollziehbar ist, wie die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, insbeson-
dere sein minderjähriger Sohn sowie seine jetzige Frau und sein Stiefsohn mit in die Mit—
haftung genommen werden können, wenn der Beklagte der Auffassung ist, er, der Kläger
zu 1, wirke nicht ausreichend mit.

Der Kläger ergänzt weiter, dass der Beklagte immer wieder die Formulierung verwendet:
"würde der Kläger Einkommen erzielen, wäre ....". Jedoch habe der Beklagte bis heute
keinen Nachweis erbracht, dass der Kläger Einkommen erziele und der Kläger selbst kön-
ne keinen negativen Beweis dafür antreten, dass er kein Einkommen erzielt. Im Hinblick
auf die Mitwirkungspflichten ist er im Übrigen der Auffassung, dass diesen Mitwirkungs-
pflichten auch Grenzen gesetzt sind, insbesondere wenn die informationelle Selbstbestim-
mung und die Persönlichkeitsrechte betroffen sind.

Der Kläger ergänzt weiter, dass nach seiner Auffassung in dem Falle, dass ihm der Beklag-
te einen Sozialbetrug vorwirft, er ein Aussageverweigerungsrecht hätte, worauf ihn der
Beklagte aber bisher in den Mitwirkungsaufforderungen nicht hingewiesen hat. Bisher hat
der Kläger auch immer mitgewirkt und von dem Aussageverweigerungsrecht keinen Ge-
brauch gemacht.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom

19.12.2014 aufzuheben und ihnen die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

- vorgespielt und genehmigt -

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.

- vorgespielt und genehmigt -

Die Vorsitzende schließt die mündliche Verhandlung. Das Gericht zieht sich zur geheimen
Beratung zurück.

- 4 – S 12 AS 194/15

Nach geheimer Beratung verkündet die Vorsitzende

IM NAMEN DES VOLKES

folgendes

Urteil:

1. Der Bescheid vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
19.12.2014 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Der wesentliche Inhalt der Entscheidung wir den Beteiligten mitgeteilt.

— F.d.R.d.Ü.v. Tonträger -

Richterin am Sozialgericht Justizbeschäfiigte

Beginn der Verhandlung:
Ende der Verhandlung:

Faksimile

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Samstag, 6. Juni 2015
Anrechnungsfreie Nachzahlung bei widerrechtlicher Sanktion

Gekürzte Chronologie

der Petition Pet 4-18-11-81503-021496

 

Kurzfassung der Petition

(mit der Bitte um Veröffentlichung)

 

Titel Sozialrecht “Anrechnungsfreie Nachzahlung bei
widerrechtlicher Minderung"

01.05.2015

 

Seite2

 

Wortlaut der Petition

 

Es wird folgender § 31a Abs. 5 SGB II eingefügt

(5) Erweisen sich Minderungen als
zu Unrecht vorgenommen oder wurde zu Unrecht auf andere als
Geldleistungen verwiesen, sind die Geldleistungen vollständig und
anrechnungsfrei nachzuentrichten.

Anm.: Die Einzelheiten der Nachentrichtung richten sich nach den
Normen des SGB I und SGB X, etwa die Verzinsung nach § 44 SGB I.
Dienst- und Sachleistung sind im SGB II nach § 4 SGB II
grundsätzlich möglich, jedoch die Ausnahme (etwa § 24 Abs. 2 SGB
II).

Begründung

Gesetzgeberische Absicht ist, dass auch
Hilfebedürftige vorrangig zu selbständigem Wirtschaften angehalten
werden sollen. Der Handel mittels Zahlungsmittel ist die dominierende
Warenaustauschform und somit hat jede Abweichung hiervon ein erhöhtes
Stigmatisierungsrisiko. Die Dispositionsfreiheit (§ 20 SGB II, Art 2
Abs. 1 GG), das heißt das Recht auf dem gesamten Markt das
bevorzugte Angebot selbst wähen zu können, kann nur mit allgemein
geltenden Zahlungsmittel zur Entfaltung gelangen.

Einschränkungen gelten im Fall sogenannter Sanktionen. In diesem
Fall sollen Geldleistung teilweise oder vollständig gestrichen
werden, können und soll das Existenzminimum durch andere
Leistungsformen gesichert werden. Wie oben dargelegt ergibt sich,
dass im Wertesystem der Grundsicherung ein solcher Verweis auf
Nichtgeldleistungen als belastend zu sehen ist. Die vorliegende
Petition befasst sich nicht mit Sanktionen an sich. Gegenstand hier
ist allein die Frage, wie in Fällen zu verfahren ist, in denen sich
Sanktionen schlussendlich als rechtswidrig herausstellen oder
generell ein Verweis auf Dienst- oder Sachleistungen, auch in Form
etwa von Gutscheinen erfolgte, für die sich später ergibt, dass
dieser rechtsgrundlos erging.

Derzeit ist die Situation so, dass zwar Nachzahlungen erfolgen,
die Grundsicherungsträger aber hiergegen etwa den Nominalwert der
zwischenzeitlich erteilten Gutscheine etwa für Lebensmittel
gegenrechnen. Dass der zu Unrecht sanktionierte, durch den Entzug der
Geldleistung de facto gezwungen war, diese anzunehmen, findet keine
Berücksichtigung. Nimmt der zu Unrecht Sanktionierte die
lebensnotwendigen Gutscheine an, wird ihm dies als Annahme an
Erfüllungs statt gemäß § 364 Abs. 1 BGB vorgehalten (so auch
Bayerisches Landessozialgericht,
L 11 AS 654/14 vom 26.11.2014).

Ein Rechtsstaat ist dem Legalitätsprinzip und dem
Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet. Besonders in Bereichen in
denen er noch belastende Eingriffe am Existenzminimum vornimmt, muss
er sich an höchsten Sorgfaltsmaßstäben messen lassen. Eine
Nachentrichtung ist grundsätzlich geeignet die Belastung während
Zeiten überdurchschnittlicher Einschränkung durch einen
vergrößerten Freiraum in der Folgezeit wenigstens teilweise zu
kompensieren.

Anregungen für die Forendiskussion

Eine im Einzelfall möglicherweise unbeabsichtigt auftretende
Überkompensation - etwa wenn ein zu Unrecht Sanktionierter vorhatte
in nächster Zeit besonders sparsam zu leben, um etwa für einen
einmaligen Bedarf anzusparen - dürfe in der Praxis oft unnachweisbar
sein und ist im Hinblick auf die grundrechtlich gebotene
Gleichbehandlung und darauf, dass Unschuldige nichts zu befürchten
haben sollen, hinzunehmen. Ohnehin verbleibt es bei einem
hinzunehmenden Sonderopfer für die Allgemeinheit für diejenigen
Personen, die zufällig gerade in der Zeit der zu Unrecht erlittenen
Sanktion, besonderen Bedarf decken wollten, der nicht mehr ohne
Weiteres nachgeholt werden kann. Beide Restrisiken der Lebensführung
verbleiben. Es ist nicht einzusehen, warum der Staat sich des seinen
einseitig zu Lasten Unschuldiger entledigen können sollte.

Schreiben des
Petitionsausschusses vom 21.05.2015

Berlin, 21. Mai 2015

Bezug: Ihre Eingabe vom 1. Mai 2015

Arbeitslosengeld II

Sehr geehrter Herr ...,

 

hiermit bestätige ich den Eingang Ihrer Petition, mit der Sie
fol-

gendes Anliegen vortragen:

 

Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass Hilfsbedürftige

zum selbständigen Wirtschaften angehalten werden sollen und

Geldleistungen vollständig und anrechnungsfrei bei unrechten

Minderungen nachzuentrichten sind.

 

Der Ausschussdienst, dem die Ausarbeitung von Vorschlägen für

den Petitionsausschuss obliegt, hat das von Ihnen vorgetragene

Anliegen sorgfältig geprüft.

 

Nach Prüfung aller Gesichtspunkte ist der Ausschussdienst zu

dem Ergebnis gekommen, dass eine Umsetzung Ihres Anliegens

angesichts der gegenwärtigen Handlungsprioritäten auf diesem

Gebiet ausgeschlossen erscheint. Diese Auffassung stützt sich

insbesondere auf folgende Erwägungen:

 

Die Nichtanrechnung der geleisteten Sachleistungen oder geld-

werten Leistungen würde zu einer rechtswidrigen Erhöhung des

Regelbedarfs führen.

 

Sofern Sie keine entscheidungserheblichen Bedenken gegen die

inhaltliche Bewertung Ihrer Eingabe vortragen, wird den Abge-

ordneten des Petitionsausschusses in sechs Wochen vorgeschla-

gen werden, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil Ihrem

Anliegen nicht entsprochen werden kann. Folgen der Ausschuss

und das Plenum des Deutschen Bundestages diesem Vorschlag,

erhalten Sie keinen weiteren Bescheid.

 

Seite 2

 

Weil Ihre Petition nicht den gewünschten Erfolg haben wird,

sieht der Ausschuss von einer Veröffentlichung auf der Internet-

seite des Petitionsausschusses ab. Diese Entscheidung erfolgte

auf der Grundlage der „Richtlinie für die Behandlung von
öffent-

lichen Petitionen“ (Pkt. 4e) gemäß Ziffer 7.1 (4) der
Verfahrens-

grundsätze, die unter www.bundestag.de/Petitionen veröffent-

licht sind.

 

Personenbezogene Daten werden unter Wahrung des Datenschut-

zes gespeichert und verarbeitet.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Schreiben des Petenten vom 10.06.2015

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit erhebe ich Bedenken gegen Ihr in obigem Schreiben
angekündigtes Vorgehen.

Soweit Sie ausführen


… hiermit bestätige ich den Eingang Ihrer Petition, mit der Sie
folgendes Anliegen vortragen:


Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass Hilfsbedürftige zum
selbständigen Wirtschaften angehalten werden sollen …

ist dies unrichtig.

Zwar ist ein ähnlicher Passus in der Begründung enthalten,
allerdings eben dort und nicht im Wortlaut der Petition. Er dient
überdies dort ersichtlich nicht zur weiteren Ausformulierung des
Petitionsbegehrens, sondern zur Beschreibung des status quo, denn er
lautet


Gesetzgeberische*
Absicht ist, dass auch Hilfebedürftige vorrangig zu selbständigem
Wirtschaften angehalten werden sollen.

Da dies überdies bereits lege lata ist, vergleiche etwa § 20
SGB II


Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten
Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich;
dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu
berücksichtigen.

wäre eine hierauf gerichtete Petition ohnehin im Wesentlichen
sinnlos, da nicht mehr erreicht werden muss, was schon der Fall ist.

Im Wesentlichen richtig hingegen ist, dass die Petition erreichen
soll, dass Geldleistungen bei unrechten Minderungen wenigstens
vollständig und anrechnungsfrei nachzuentrichten sind. Hierzu hat
der Petent auch eine konkrete Gesetzesformulierung vorgeschlagen,
verschließt sich jedoch nicht Alternativen mit gleicher Wirkung.

Weiter führen Sie aus


Nach Prüfung aller Gesichtspunkte ist der Ausschussdienst zu dem
Ergebnis gekommen, dass eine Umsetzung Ihres Anliegens angesichts der
gegenwärtigen Handlungsprioritäten auf diesem Gebiet ausgeschlossen
erscheint. Diese Auffassung stützt sich insbesondere auf folgende
Erwägungen:


Die Nichtanrechnung der geleisteten Sachleistungen oder geldwerten
Leistungen würde zu einer rechtswidrigen Erhöhung des Regelbedarfs
führen.

Zunächst stellt der Petent hiermit klar, dass er sich mit seiner
Petition an den deutschen Bundestag in seiner Funktion als
demokratischer Gesetzgeber wendet. Schon deswegen ist der Vorwurf,
der Petent fordere Rechtswidriges ohne jeden Sinn, insbesondere
selbst dann, wenn der Vorschlag tatsächlich geltendem Recht
widersprechen würde, denn es steht dem Gesetzgeber grundsätzlich
zu, eben dieses geltende Recht jederzeit außer Kraft zu setzen, wenn
er es für tunlich hält.

Es ist im Übrigen auch nicht erkennbar, dass der Vorschlag geltendem
Recht widersprechen würde. Vielmehr wendet er sich gegen eine
bestimmte Rechtsauslegung. Die Behauptung, die Nichtanrechnung der
geleisteten Sachleistungen oder geldwerten Leistungen würde zu einer
rechtswidrigen Erhöhung des Regelbedarfs führen, wird vom
Petitionsausschuss nicht weiter begründet und ist nicht
nachvollziehbar. Gemäß § 20 SGB II steht dem
Hilfebedürftigen ein Geldbetrag als Pauschale zu


Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt.
Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten
Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich;
...

diesen hat er nicht oder nicht im vollen Umfang erhalten, wenn er
eine widerrechtliche Sanktion zu erdulden hatte. Ob daneben
Sachleistungen erbracht wurden ist für die Erfüllung dieses
Anspruchs zunächst irrelevant.

Wie bereits in der Petition dargelegt, beruht die rechtliche
Bewertung, die zur Anrechnung führt, darauf, dass dem zu Unrecht
Sanktionierten vorgeworfen wird, er hätte die Gutscheine angenommen.
Das überzeugt jedoch nicht, da die Beantragung und die Annahme
dieser Gutscheine durch vis compulsiva (etwa bei
Lebensmittelgutscheinen durch Hunger) oder der Drohung damit
erzwungen wurde und wie sich herausgestellt hat, dies alles keine
hinreichende Rechtsgrundlage hatte.

Der Verweis des Petitionsausschusses auf „gegenwärtigen
Handlungsprioritäten“ ist unverständlich, denn weder wird gesagt,
was diese Handlungsprioritäten wären, noch warum sie zwangsläufig
einer Umsetzung des Begehrens des Petenten entgegenstehen.

Der Petent hält daher seine
Bitten im vollen Umfang aufrecht und bittet um Entscheidung hierüber.

 

Beschlussempfehlung

 

 

 

Anmerkungen

Der Schreibfehler im Original
„Gesetzgeberischen Absicht ist, dass auch Hilfebedürftige
vorrangig zu selbständigem Wirtschaften angehalten werden sollen.“
wurde korrigiert.

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Montag, 1. Juni 2015
Petition zur Begründung des Gerichtsbescheids
Gekürzte Chronologie
der Petition Pet 3-18-11-8206-014539
vorgezogene Begründung des Gerichtsbescheids


Petition vom 08.11.2014

Petition an den Deutschen Bundestag
(mit der Bitte um Veröffentlichung)

Titel Gesetzgebung - Sozialgerichtsgesetz, vorgezogene Begründung des
Gerichtsbescheids nach § 105 SGG

Petition 55791 - 08. November 2014

Seite2

Wortlaut der Petition

Der Deutsche Bundestag möge beschließen ...
§ 105 SGG wird dergestalt neu gefasst, dass den Beteiligten vorher die Gründe des beabsichtigten
Gerichtsbescheids mitzuteilen und sie zu hören sind. Dies wird als durchsetzbares Recht der Beteiligten
gestaltet.

Begründung

Eine mögliche konkrete Formulierung von § 105 SGG nF wäre etwa die Folgende.

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache
keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Den Beteiligten sind vorher die Gründe des Gerichtsbescheids mitzuteilen und sie sind zu hören. Die
Vorschriften über Urteile gelten entsprechend. Der Gerichtsbescheid darf nur auf Gründe gestützt werden, die
gemäß Satz 2 mitgeteilt wurden.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel
einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben,
kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche
Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt oder wird in dem
durch das eingelegte Rechtsmittel eröffneten Verfahren festgestellt, dass er nicht den Voraussetzungen des
Abs. 1 genügt, gilt er als nicht ergangen. Die Feststellung des Fehlens der Voraussetzungen und die
Zurückverweisung erfolgt von Amts wegen. § 159 Abs. 2 ist entsprechend anzuwenden.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung
des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheids
folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

Die folgenden Anmerkungen beziehen sich auf die derzeitige Gesetzesfassung.

Das Gehörsrecht der Beteiligten nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG wird von den Sozialgerichten dahingehend
verstanden, dass die Beteiligten nur zur Tatsache dass ein Gerichtsbescheid beabsichtigt ist, zu hören sind
(Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, C. H. Beck § 105 RdNr. 10a) und es entbehrlich ist, dass das Gericht
auch nur mitteilt wie es zu entscheiden gedenkt, oder seine Rechtssicht mitteilt oder die Gründe, dafür anführt,
dass es der Ansicht ist, die Sache sei einfach und geklärt. Ebensowenig wird es für erforderlich gehalten die
Gründe zu nennen, auf denen der Gerichtsbescheid selbst beruhen wird. Dementsprechend bestehen derzeit
Mitteilungen an die Beteiligten mitunter inhaltlich nur aus dem Satz, dass das Gericht beabsichtigt durch
Gerichtsbescheid zu entscheiden und der Angabe einer Frist bis zu der sich diese hierzu äußern können.
Es ergibt sich aus dem Änderungsvorschlag keine Belastung der Sozialgerichte.

Seite3

Anregungen für die Forendiskussion

§ 105 Abs. 1 SGG ermöglicht es dem Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung, also rein auf dem
Schriftweg, zu entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher
Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Ein Gerichtsbescheid ist somit geeignet in einfachen Fällen das
Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, was sich sowohl zugunsten des Gerichts als auch der
Beteiligten auswirken kann.

Die Entscheidung per Gerichtsbescheid zu entscheiden ist allerdings grundsätzlich beschwerend. Ein
Betroffener, der der Ansicht ist, dass die Sache zur weiteren Klärung doch eine mündliche Verhandlung
erfordert, kann diese nur erhalten wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel möglich ist. Ist gegen
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts beispielsweise die Berufung zum Landessozialgericht möglich, so ist
er, wenn er nicht vollständig auf Rechtsmittel verzichten will, gezwungen, diese einzulegen.

Schreiben des Petitionsausschusses vom 08.11.2014

Sehr geehrter Herr ...,

hiermit bestätige ich den Eingang Ihrer Petition mit der ID-
Nummer 55791.

Sie möchten eine Änderung der Vorschrift § 105 Sozialgerichts-
gesetz (SGG) erreichen.

Die inhaltliche Prüfung Ihrer Eingabe beginnt zunächst damit,
dass der Ausschussdienst von dem für Ihr Anliegen zuständigen
Bundesministerium eine Stellungnahme anfordert. Sobald der
Sachverhalt unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme aufge-
klärt und die Rechtslage beurteilt ist, erhalten Sie weitere Nach-
richt.

Um Petitionen auf der Internetseite des Deutschen Bundestages
sachgerecht präsentieren zu können, ist es schon angesichts der
Vielzahl von Eingaben nicht möglich, allen Veröffentlichungs-
wünschen nachzukommen. Zu berücksichtigen ist insbesondere,
inwieweit eine Bitte oder Beschwerde ein Anliegen von allge-
meinem Interesse zum Gegenstand hat und ob sich Anliegen und
Darstellung für eine sachliche öffentliche Diskussion eignen. Zu-
dem soll sich in der Auswahl der veröffentlichten Eingaben eine
Vielfalt von Themen und unterschiedlichen Sichtweisen mög-
lichst vieler Petenten widerspiegeln.

Vor dem Hintergrund der vorgenannten Erwägungen konnte Ihrer
Bitte, Ihre Eingabe auf der Internetseite des Petitionsausschusses
zu veröffentlichen, leider nicht entsprochen werden.

Darüber hinaus könnte die Veröffentlichung Ihrer Petition zu
Missverständnissen führen. Denn die Beteiligten sind gemäß
§ 105 Abs. 1 S. 2 SGG zu hören. Das Gericht muss den Beteiligten
mitteilen, dass es eine Entscheidung ohne mündliche

Seite 2

Verhandlung durch Gerichtsbescheid in Betracht zieht und Ihnen
Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern. Die Beteiligten können
dann Gründe für die Anberaumung einer mündlichen
Verhandlung vorbringen oder Beweisanträge stellen.

Damit ist keine Bewertung Ihres Anliegens verbunden. Das Er-
gebnis des Petitionsverfahrens hängt allein vom Inhalt der Peti-
tion ab und nicht von einer möglichen Zahl von Unterstützern
oder Gegnern. Ihre Petition wird so sorgfältig und gründlich ge-
prüft wie jede andere an den Deutschen Bundestag gerichtete
Eingabe.

Sobald die Prüfung Ihrer Zuschrift abgeschlossen ist, werden Sie
über das Ergebnis unaufgefordert unterrichtet. Ich bitte Sie, sich
bis dahin zu gedulden.

Schreiben vom 28.11.2014 an den Petitionsausschuss

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke für Ihr oben genanntes Schreiben, in dem Sie auch inhaltlich auf das Anliegen des Petenten eingehen und zu möglichen Missverständnissen ausführen. Daher und aufgrund der Zeichenbeschränkung bei der Einreichung einer Petition über das Internet teilt dieser hierzu weiter mit.

§ 105 Abs. 1 SGG ermöglicht es dem Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung, also rein auf dem Schriftweg, zu entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Ein Gerichtsbescheid ist somit geeignet in einfachen Fällen das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, was sich sowohl zugunsten des Gerichts als auch der Beteiligten auswirken kann.

Die Entscheidung per Gerichtsbescheid zu entscheiden ist allerdings grundsätzlich beschwerend. Ein Betroffener, der der Ansicht ist, dass die Sache zur weiteren Klärung doch eine mündliche Verhandlung erfordert, kann diese nur erhalten wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel möglich ist. Ist gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts beispielsweise die Berufung zum Landessozialgericht möglich, so ist er, wenn er nicht vollständig auf Rechtsmittel verzichten will, gezwungen, diese einzulegen. Er ist damit gezwungen eine weitere Instanz anzurufen und die weitere rechtliche Auseinandersetzung am oft weiter entfernten Landessozialgericht zu führen. Das Bemühen die Angelegenheit zügig und möglichst in einer Instanz zu klären wird damit konterkariert.
Durch den Gerichtsbescheid ist die erste Instanz beendet. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass eine für die erste Instanz gewährte Prozesskostenhilfe endet und keine anwaltliche Vertretung mehr besteht, sondern erst ein weiteres Prozesskostenhilfeverfahren zu führen ist. Für die Führung des Prozesskostenhilfeverfahrens sind auch bei Bedürftigen keine Hilfen vorgesehen (Bundesgerichtshof VIII ZR 298/83 vom 30.05.1984).

Das Gehörsrecht der Beteiligten nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG wird von den Sozialgerichten dahingehend verstanden, dass die Beteiligten nur zur Tatsache dass ein Gerichtsbescheid beabsichtigt ist, zu hören sind (Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, C. H. Beck § 105 RdNr. 10a) und es entbehrlich ist, dass das Gericht auch nur mitteilt wie es zu entscheiden gedenkt, oder seine Rechtssicht mitteilt oder die Gründe, dafür anführt, dass es der Ansicht ist, die Sache sei einfach und geklärt. Ebensowenig wird es für erforderlich gehalten die Gründe zu nennen, auf denen der Gerichtsbescheid selbst beruhen wird. Dementsprechend bestehen Mitteilungen an die Beteiligten mitunter inhaltlich nur aus dem Satz, dass das Gericht beabsichtigt durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und der Angabe einer Frist bis zu der sich diese hierzu äußern können.

Es ist schwer zu sehen, welchen Sinn die Vorschrift, die Beteiligten im Voraus zu hören überhaupt haben soll, wenn diesen nur bekannt wird, dass es sich nach Auffassung des Gerichts um einen einfachen Fall handelt, aber noch nicht einmal klar ist, ob das Gericht beabsichtigt die Klage abzuweisen, ihr stattzugeben oder sonstwie zu entscheiden. Da das Gericht alleine festlegt, ob es per Gerichtsbescheid entscheidet und es insbesondere einer Zustimmung der Beteiligten nicht bedarf, besteht deren einzige Möglichkeit, einen etwaigen Irrtum des Gerichts zu korrigieren und auf dieses einzuwirken, darin, in der Sache vorzutragen und auf die Kraft der Argumente zu vertrauen. Ohne Wissen, worauf es dem Gericht ankommt, ist ein solcher Vortrag aber nur ins Blaue hinein möglich.

Soweit das Gericht neue, im bisherigen Verfahren noch nicht erörterte Sach- und Rechtsfragen der Entscheidung zugrunde legen will, besteht schon aufgrund des allgemeinen Gehörsrechts die Pflicht dies vor der endgültigen Entscheidung mitzuteilen. Somit wäre § 105 Abs. 1 Satz 3 SGG überflüssig, wenn der Gesetzgeber nicht ein darüber hinausgehendes Gehörsrecht der Beteiligten schaffen will, das sich darauf bezieht, welche von den bisher bereits angesprochenen Punkten das Gericht für erheblich hält. Die Petition beabsichtigt, dieses Gehörsrecht auch effektiv nutzbar zu machen. Hierdurch kann das Verfahren weiter beschleunigt werden, etwa indem Beteiligte zum Nachgeben veranlasst werden, wenn ihnen die Auffassung des Gerichts frühzeitig bekannt wird, aber auch, wenn sie schon im schriftlichen Verfahren einen etwaigen Irrtum des Gerichts berichtigen können.

Es ergibt sich aus dem Änderungsvorschlag keine Belastung der Sozialgerichte, denn der Gerichtsbescheid selbst ist wegen § 105 Abs. 1 Satz 3 SGG ebenso wie ein Urteil zu begründen. Eine Mitteilung der Gründe schon im Schreiben, das mitteilt, dass Gerichtsbescheid ergehen kann, verlagert somit allenfalls die Arbeit zur schriftlichen Ausformulierung der Begründung zeitlich nach vorne und erspart diese dafür später. Eine Pflicht des Gerichts zusätzlich zu den Gründen des beabsichtigten Gerichtsbescheids ausdrücklich darzulegen, warum die Voraussetzungen für die Entscheidung per Gerichtsbescheid vorliegen, besteht auch nach der vorgeschlagenen Änderung nicht.

Im oben genannten Schreiben vom 08.11.2014 führen Sie aus

Darüber hinaus könnte die Veröffentlichung Ihrer Petition zu Missverständnissen führen. Denn die Beteiligten sind gemäß § 105 Abs. 1 S. 2 SGG zu hören.

Dass die Petition über das übliche Maß, das eine Kommunikation im Internet mit sich bringt, hinaus besonders dazu geeignet ist Missverständnisse zu erzeugen, kann der Petent nicht erkennen. Insbesondere bestreitet er nicht, dass die Beteiligten zu hören sind, vielmehr geht es ihm darum durch ein zeitliches Vorziehen der Begründung das Verfahren weiter in der Effizienz zu steigern, da so ein gezielter und damit präziser und verschlankter Vortrag möglich ist, der insbesondere bereits die Rechtssicht des Gerichts berücksichtigt und auf diese eingeht. Im Idealfall können etwa die Argumente des Gerichts eine Seite zum Nachgeben bewegen, so dass zudem das Verfahren verkürzt wird.

Weiter führen Sie aus

Das Gericht muss den Beteiligten mitteilen, dass es eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid in Betracht zieht und Ihnen Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern. Die Beteiligten können dann Gründe für die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vorbringen oder Beweisanträge stellen.

Wie oben dargelegt bestreitet der Petent dies nicht, vielmehr baut sein Petitionsanliegen gerade hierauf auf. Auf das Gehörsrecht nach § 105 Abs. 1 S. 2 SGG hat der Petent auch in der per Internet eingereichten Begründung der Petition ausdrücklich hingewiesen. Im Übrigen haben die Beteiligten auch ohne Aufforderung des Gerichts die Möglichkeit sich in jeder Hinsicht zu der Sache zu äußern, so etwa der Kläger schon in seiner Klage und der Beklagte in seiner Stellungnahme hierzu. Insbesondere können die Beteiligten bereits hier alle ihnen wesentlich erscheinenden Punkte anbringen und Anträge stellen und es ist nicht ersichtlich, warum sie dies nicht tun sollten. Die reine Mitteilung, dass das Gericht durch Gerichtsbescheid entscheiden kann, hat keinen inhaltlichen Informationswert und ist daher weder geeignet die Beteiligten zum Überdenken ihrer Position zu veranlassen noch ihnen einen Anhaltspunkt zu geben, welcher weitere Vortrag oder welche Beweisanträge am zweckdienlichsten sein könnten.

Wie dargelegt ist die verkürzte Begründung der Tatsache geschuldet, dass längere Erläuterungen über die Schnittstelle im Internet nicht vorgebracht werden können und im Übrigen auch Links zu ausführlicheren Darlegungen nicht gestattet sind. Andererseits ist aber darauf hinzuweisen, dass eine sich ergebende Diskussion nicht nur dazu geeignet ist, zu Lücken in der Darlegung nachzutragen, sondern auch dazu Missverständnisse direkt im Dialog auszuräumen. Zusammenfassend ist es für den Petenten daher nicht verständlich, warum gerade die Veröffentlichung dieser Petition vermehrt zu Missverständnissen Anlass geben sollte die nicht ohne Weiteres in einer öffentlichen Diskussion sofort wieder ausgeräumt werden können.

Schreiben des Petitionsausschuss vom 12.02.2015

Sehr geehrter Herr ...,

die aufgrund Ihrer Eingabe eingeleitete Prüfung dauert noch an.
Sie erhalten so bald wie möglich weitere Nachricht.

Schreiben vom 21.05.2015 an den Petitionsausschuss

Sehr geehrte Damen und Herren,
mit obigem Schreiben teilten Sie mir mit, dass die Prüfung noch andauere. Dies ist die letzte Nachricht, die mir von Ihnen vorliegt. Da mir die mit Ihrem Schreiben vom 08.11.2014 angekündigte Stellungnahme des zuständigen Bundesministerium ebenfalls noch nicht vorliegt, möchte ich, um etwaigen Irrläufern auf dem Postweg entgegenzuwirken, hiermit auf diese Umstände hinweisen.

Schreiben des Petitionsausschuss vom 27.05.2015

Sehr geehrter Herr ...,
ich bestätige Ihnen den Eingang Ihres Schreibens.

Ihre Eingabe habe ich den Abgeordneten, die dem Petitionsaus-
schuss zu Ihrem Anliegen Bericht erstatten werden. zugeleitet.

Die Antwort der Bundesregierung bzw. die Stellungnahme des
BMAS wurde ebenfalls den Berichterstattern des Petitionsaus-
schusses durch den Ausschussdienst übersandt. Sie dient dem
parlamentsinternen Meinungs- und Willensbildungsprozess im
Hinblick darauf, ob die Antwort der Bundesregierung als ab—
schließend akzeptiert werden kann.

Nach abschließender Behandlung Ihrer Petition durch den Deut-
schen Bundestag werden Sie unaufgefordert über das Ergebnis
unterrichtet werden. Ich bitte Sie, sich bis dahin zu gedulden.

Schreiben vom 01.06.2015 an den Petitionsausschuss

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke für die Weiterleitung meines Schreibens an die Berichterstatter.

Um jedes Missverständnis zur Intention meiner Nachfrage vom 21.05.20125 auszuschließen möchte ich hierzu noch Folgendes nachtragen. Ich bitte die Mitglieder des Petitionsausschusses ausdrücklich mir Stellungnahmen der Bundesregierung beziehungsweise von Behörden wie dem BMAS im Volltext und rechtzeitig genug zur Verfügung zu stellen, dass ich hierauf, falls erforderlich, inhaltlich eingehen kann.

Es kann leider nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass eine Behörde, auch ein Bundesministerium, bei einmaliger Darlegung ohne klärende Diskussion einen Sachverhalt oder eine Rechtslage auch zutreffend erfasst. Ich weise beispielhaft auf meine frühere Petition Pet 2-17-15-8271-052556 hin, in der das Bundesministerium für Gesundheit ursprünglich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht für maßgebend hielt und erst auf meinen Hinweis hin sich mit der einschlägigen Rechtsprechung des tatsächlich zuständigen Bundessozialgerichts befasste, welches zum damaligen Thema zu wesentlich anderen Schlüssen gelangte als bei einer bloße analoge Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht zu erwarten gewesen wäre. Ein solches „aneinander vorbei reden“ sollte natürlich unbedingt vermieden werden, weil es sachgerechte Äußerungen und Entscheidungen behindert.

Eine gegebenenfalls erforderliche Klärung kann am besten in einer Vordiskussion direkt zwischen dem Petenten und der Behörde erreicht werden und entlastet auch den Petitionsausschuss, dem damit eine bereits völlig geklärte Angelegenheit vorgelegt werden kann.

Eine Antwort des Referats Pet 3 auf dieses Schreiben ist nicht erforderlich, ich bitte lediglich wie gewünscht mein Schreiben weiter zu leiten. Im Übrigen warte ich weiter ab.

Schreiben des Petitionsausschusses vom 29.02.2016

Berlin, 29. Februar 2016

Bezug: Ihre Eingabe vom

8. November 2014; Pet 3-18-11—8206-014539

Platz der Republik 1
11011 Berlin

Sehr geehrter Herr ,

der Deutsche Bundestag hat Ihre Petition beraten und am
25. Februar 2016 beschlossen:

Das Petitionsvelfahren abzuschließen.

Er folgt damit der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(BT-Drucksache 18/7571), dessen Begründung beigefügt ist.

Mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages ist das
Petitionsverfahren beendet.

Mit freundlichen Grüßen



- 52 — Anl. 3 z. Prot. 18/54

Pet 3-18-11-8206-014539

Sozialgerichtsbarkeit

Beschlussempfehlung

Das Petitionsverfahren abzuschließen.

Begründung

Der Petent fordert eine Änderung des § 105 Sozialgerichtsgesetz.

Der Petent führt aus, dass gemäß § 105Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für das
Sozialgericht die Möglichkeit bestehe, ohne mündliche Verhandlung - also rein auf
Grundlage der dem Gericht vorliegenden schriftlichen Unterlagen - zu entscheiden,
wenn die zu behandelnde Sache keine besondere Schwierigkeit tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt grundsätzlich geklärt sei. Betroffene, die
der Ansicht sind, dass die Sache zur weiteren Klärung eine mündliche Verhandlung
erfordere, könnten diese nur dann erzwingen, wenn gegen den Gerichtsbescheid
kein Rechtsmittel möglich sei. In solchen Fällen seien Betroffene gezwungen, Beru—
fung beim zuständigen Landessozialgericht einzulegen. In diesem Zusammenhang
fordert der Petent, dass den Beteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens die
Gründe des beabsichtigten Gerichtsbescheides ohne mündliche Verhandlung zwin—
gend vorher mitgeteilt werden müssten. Zudem müsse eine Anhörung durch das zu-
ständige Gericht erfolgen. Nach Einschätzung des Petenten hätten die von ihm vor-
geschlagenen Änderungen des § 105 SGG keine erhöhte Belastung der Sozialge—
richte zur Folge.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die vom Petenten
eingereichten Unterlagen Bezug genommen.

Der Bitte des Petenten um Veröffentlichung seiner Eingabe auf der Internetseite des

Deutschen Bundestages hat der Ausschuss nicht entsprochen.

- 53 - Anl. 3 z. Prot. 18/54

noch Pet 3—18-11—8206—014539

Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung - dem Bundesministerium für Arbeit
und Soziales (BMAS) - Gelegenheit gegeben, ihre Haltung zu der Eingabe darzule—
gen.

Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich unter Einbeziehung der sei-
tens der Bundesregierung angeführten Aspekte wie folgt zusammenfassen:

Nach § 105 Absatz1 Satz 2 SGG muss das Gericht alle Beteiligten dazu anhören,
dass es beabsichtigt, in einer Sache durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Nach
dem Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. auch Artikel 103 Abs. 1 Grund-
gesetz und § 62 SGG) sind die Beteiligten darüber zu informieren, dass das Gericht
von dem Vorliegen eines Sachverhalts ausgeht, der weder besondere tatsächliche
noch besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist, und dass außerdem nach Auf—
fassung des Gerichts der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten müssen darauf hin-
gewiesen werden, dass sie sich in der Sache äußern und Bedenken gegen die vom
Gericht beabsichtigte Verfahrensweise geltend machen können. Aus der Anhörung
muss jedenfalls ersichtlich sein, dass die Beteiligten die Gelegenheit-haben, Gründe
für die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vorzubringen oder Beweisan—
träge zu stellen. Die Anhörung muss konkret auf den einzelnen Fall bezogen sein.
Ein formularmäßiger Hinweis reicht nicht aus.

Aus Sicht des Petitionsausschusses besteht weder eine Verpflichtung noch ein Be—
darf, darüber hinaus zu regeln, dass das Gericht generell verpflichtet ist, seine

Rechtsauffassung zur Sache selbst mitzuteilen. Insbesondere enthält Artikel 103 Ab—
satz 1 des Grundgesetzes keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung, keine
allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage und auch nicht über
seine Rechtsauffassung zur Rechtssache und den Erfolgsaussichten. Auch aus dem
Zweck der Regelung des § 105 Absatz1 Satz 2 SGG ergibt sich kein zwingendes

Argument für eine derartige Hinweispflicht. Der Zweck der Regelung besteht lediglich
darin, den Beteiligten Gelegenheit zu geben, innerhalb einer bestimmten Frist Grün—
de vorzutragen, die für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sprechen.

Wären in der Anhörungsmitteilung inhaltliche Ausführungen zu tatsächlichen oder
rechtlichen Fragen erforderlich, würden die Beteiligten, über deren Angelegenheit per

- 54 - Anl. 3 z. Prot. 18/54

noch Pet 3-18—11-8206—014539

Gerichtsbescheid entschieden werden soll, gegenüber denjenigen Beteiligten besser
gestellt, in deren Verfahren nach mündlicher Verhandlung entschieden werden soll.

Denn in der mündlichen Verhandlung erörtert der Vorsitzende zwar das Sach- Und
Streitverhältnis mit den Beteiligten (§ 112 Absatz 2 Satz 2 SGG), eine Pflicht zur
Darstellung seiner Rechtsansicht oder zu einem umfassenden Rechtsgespräch
ergibt sich daraus aber nicht.

Der mit § 105 SGG verfolgte Zweck der Beschleunigung des Verfahrens darf zudem
nicht durch überzogene Anforderungen an die Anhörung unterlaufen werden. Die
Auffassung des Petenten, mit seinem Änderungsvorschlag ergebe sich keine Mehr—
belastung der Sozialgerichte, wird seitens des Petitionsausschusses nicht geteilt.

Der Ausschuss hält die geltende Rechtslage für Sachgerecht und vermag sich nicht
für eine Rechtsänderung im Sinne des Petenten auszusprechen. Er empfiehlt des-
halb, das Petitionsverfahren abzuschließen, da dem Anliegen nicht entsprochen
werden konnte.

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Montag, 25. Mai 2015
BVerfG, 1 BVR 641/14 vom 16.04.2014, Bundesverfassungsgericht
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BVR 641/14 -

In dem Verfahren
über den Antrag

auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

des Herrn

für die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 20. Januar 2014 - L 8 SO 2/13 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten K,
den Richter M
und die Richterin B
gemäß § 93d Abs. 2 in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 11. August 1993 (BGBI l S. 1473)
am 16. April 2014 einstimmig beschlossen:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird
abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne
Aussicht auf Erfolg ist.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

K M B

Faksimile

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LSG NSB, L 11 AS 676/15 B ER vom 13.05.2015, Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
LANDESSOZIALGERICHT
NIEDERSACHSEN-BREMEN
BESCHLUSS

L 11 AS 676/15 B ER
S 49 AS 1268/15 ER Sozialgericht Hannover

In dem Beschwerdeverfahren

A.

- Antragstellerin und Beschwerdeführerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte B.

gegen

Jobcenter Schaumburg,
Breslauer Straße 2 - 4, 31655 Stadthagen

- Antragsgegner und Beschwerdegegner -

hat der 11. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 13. Mai 2015 in Celle
durch die Richter C. - Vorsitzender - und D. sowie die Richterin Dr. E. beschlossen:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts
Hannover vom 24. April 2015 aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet,
der Antragstellerin vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache
im Rahmen einer freien Förderung nach § 16f SGB II ein Darlehen in Höhe von
2.000 Euro zur Bezahlung des bereits gekauften Pkw zu bewilligen.

Der Antragsgegner erstattet der Antragstellerin die Kosten beider Rechtszüge.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter
Beiordnung von Rechtsanwalt F. gewährt.

Ratenzahlung wird nicht angeordnet.

Gründe

I.Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung eines
Darlehens, um damit einen von ihr gekauften Pkw zu bezahlen.

Die Antragstellerin und ihre minderjährigen Kinder wohnen in G. und beziehen seit Längerem
Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Nach Anga-
ben der Antragstellerin ist eines ihrer Kinder auf einen Rollstuhl angewiesen, ein anderes erlitt
im vergangenen Jahr einen Schlaganfall und hat Herzrhythmusstörungen. Zuletzt wurden ihr
und dreien der vier Kinder als sog. Aufstocker mit Bescheid vom 1. April 2015 Grundsiche-
rungsleistungen vorläufig bewilligt.
Im Januar 2015 schloss die Antragstellerin einen Arbeitsvertrag mit der H. GmbH über eine
Tätigkeit als Pflegehelferin im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung ab.
Am Sonntag, dem 1. März 2015 übersandte die Antragstellerin dem Antragsgegner eine E-
Mail, in welcher sie mitteilte, dass ihr Auto am Vortag endgültig liegengeblieben sei. Eine Re-
paratur würde sich auf etwa 1.000 Euro belaufen und einige Zeit dauern, da Ersatzteile nicht
vorrätig seien. Sie frage an, ob der Antragsgegner ihr helfen könne, die drohende Arbeitslo-
sigkeit zu vermeiden. In einer Gesprächsnotiz einer Mitarbeiterin des Antragsgegners vom
Folgetag, dem 2. März 2015, ist festgehalten, dass die Antragstellerin an diesem Tag telefo-
nisch ein Darlehen für einen Pkw nach § 16f SGB II beantragt habe (Bl. 1063 Verwaltungsak-
te - VA). Der Antragstellerin seien die Konditionen für eine Darlehensgewährung erläutert
worden. Die Kundin wolle den ausgefertigten Antrag abholen. Einer weiteren Gesprächsnotiz
vom gleichen Tage zufolge (Bl. 1065 VA) hat die Antragstellerin am 2. März dann mitgeteilt,
dass der Pkw nicht auf sie, sondern wegen der Schwerbehinderten-Förderung und der güns-
tigeren Kfz-Versicherung wieder auf ihren 16-jährigen Sohn zugelassen werden solle. Eine
Bewilligung des Darlehens sei ihr, so der Vermerk, nicht zugesagt worden, sondern lediglich
die Prüfung nach Eingang der vollständigen Unterlagen.
Am selben Tag kaufte die Antragstellerin bei der Firma I. Automobile einen Pkw. Wie sich aus
der in der Verwaltungsakte enthaltenen Kopie des Fahrzeugbriefs ergibt, wurde am gleichen
Tage auch die Zulassung des erworbenen Pkw auf den Namen des schwerbehinderten Soh-
nes der Antragstellerin im Fahrzeugbrief vorgenommen (Bl. 999 VA).

Nachdem das ausgefüllte Antragsformular auf die Gewährung des Darlehens, Kostenvoran-
schläge über andere Pkw und weitere Unterlagen am 5. März 2015 beim Antragsgegner ein-
gegangen waren, lehnte dieser die Darlehensgewährung mit Bescheid vom 6. März 2015 ab.
Die Kaufpreise sämtlicher drei Kostenvoranschläge lägen über 2.000 Euro, denn der Rester-
lös für das alte Auto habe 400 Euro betragen und hätte in die Kaufpreisbetrachtung mit einbe-
zogen werden müssen. Außerdem habe die Kaufpreissumme schon vorgelegen, da das
Fahrzeug bereits auf den Sohn der Antragstellerin zugelassen worden sei. Das Fahrzeug sei

Seite 2/9

auch nicht marktpreisgerecht. Aus Gründen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit könne
daher kein Darlehen gewährt werden.
Den Widerspruch der Antragstellerin wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom
31. März 2015 zurück.
Dagegen hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 10. April 2015 unter dem Aktenzeichen J.
Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Sie hat außerdem mit Schreiben vom sel-
ben Tage Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und diesen damit begrün-
det, dass der Autohändler den Pkw zwischenzeitlich zurückfordere. Aufgrund der Aussagen
der Mitarbeiter des Antragsgegners sei die Antragstellerin davon ausgegangen, dass sie die
Förderung erhalten werde. Dies habe sie dem Autohändler erzählt. Er und auch sie seien da-
von ausgegangen, dass kurzfristig eine Zahlung durch den Antragsgegner erfolgen werde.
Die Darlehensgewährung sei der einzige Weg, um die Erwerbstätigkeit aufrechtzuerhalten.
Sie werde an wechselnden Arbeitsorten eingesetzt und könne nicht auf öffentliche Verkehrs-
mittel zurückgreifen. Sie habe auch nicht lange mit dem Erwerb eines Fahrzeugs warten kön-
nen. Aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sei sie nicht in der Lage,
die Mittel selbst aufzubringen. Kein Autohändler würde ihr ein Auto auf Ratenzahlungsbasis
verkaufen. Sie habe die Äußerungen des Antragsgegners so verstanden, dass sie mit einem
Darlehensbetrag in Höhe von 2.000 Euro rechnen könne, ohne dass der Wert des Altfahrzeu-
ges zu berücksichtigen sei.
Die Richtigkeit dieser Angaben hat die Antragstellerin an Eides statt versichert.
Sie hat außerdem ein Schreiben des Autohändlers vom 9. April 2015 vorgelegt, in welchem
dieser die Zahlung anmahnt und darauf hinweist, dass er auf die Angaben der Antragstellerin
vertraut habe, wonach das Jobcenter die Zahlung übernehmen werde.

Mit Beschluss vom 24. April 2015, der dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am
27. April 2015 zugestellt wurde, hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anord-
nung abgelehnt. Es bestünden bereits Zweifel am Vorliegen eines Anordnungsgrundes, da die
Antragstellerin und ihre Kinder Grundsicherungsleistungen erhielten und daher zweifelhaft sei,
ob durch die Ablehnung der Darlehensgewährung eine gegenwärtige Notlage geschaffen
werde. Letztlich könne dies aber dahinstehen, da kein Anordnungsanspruch glaubhaft ge-
macht worden sei. Einen Anspruch auf Darlehensgewährung auf der Grundlage des – allein
in Betracht kommenden - § 16f SGB II hätte die Antragstellerin, so das SG, nur bei einer Er-
messensreduzierung auf Null. Diese liege aber nicht vor, da die Antragstellerin den Weg zur
Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen könne. Es könne dahinstehen, ob
bereits der Umstand, dass der Antrag erst am 5. März 2015 und damit drei Tage nach dem

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Kauf des Kfz beim Antragsgegner eingegangen sei, grundsätzlich einen Anspruch entfallen
lasse.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 30. April 2015 eingeleg-
ten Beschwerde. Es sei unzutreffend, dass sie öffentliche Verkehrsmittel nutzen könne, um
zur Arbeitsstelle zu gelangen. Dies werde durch die nunmehr vorgelegte Auskunft des Arbeit-
gebers bestätigt. Ein Anordnungsgrund liege vor, denn der Kfz-Händler sei nach einem Tele-
fonat mit dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin nur bis maximal Anfang Mai bereit,
mit dem Zurückholen des Fahrzeugs zuzuwarten. Sofern der Antragstellerin kein Kfz mehr zur
Verfügung stehe, werde sie ihren Arbeitsplatz verlieren.
Der Antragsgegner nimmt auf den Schriftverkehr und auf die Gesprächsvermerke aus dem
Verwaltungsverfahren sowie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 31. März
2015 Bezug. Er hält den angefochtenen Beschluss für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird
auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist – auch in Ansehung von § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) –
zulässig, da im Hauptsacheverfahren die Berufung zulässig wäre. Der insoweit maßgebliche
Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG von mehr als 750 Euro ist erreicht. Zwar be-
gehrt die Antragstellerin den Betrag von 2.000 Euro nicht als Zuschuss, sondern lediglich als
Darlehen, welches naturgemäß zurückzuzahlen ist. Daraus folgt aber keine Minderung des
Beschwerdewertes auf 750 Euro oder weniger. Entscheidend ist, dass die Antragstellerin den
Betrag in Höhe von 2.000 Euro nach ihrem Vorbringen benötigt, um damit - dauerhaft - das
Kraftfahrzeug mit einem entsprechenden Wert zu erwerben. Daher bestehen keine Zweifel an
der Zulässigkeit der Beschwerde.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufi-
gen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Rege-
lung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Voraussetzungen dafür, d. h.
der Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren
beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen
Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 3 Zivilprozess-
ordnung – ZPO -). Steht dem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraus-

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sichtlich zu und ist ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, hat er
Anspruch auf die beantragte Leistung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes. Zwar sind im
Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich die Erfolgsaussichten in
der Hauptsache zu prüfen. Ist aber im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und
Rechtslage nicht möglich, so ist eine Entscheidung auf der Grundlage einer Folgenabwägung
unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers einerseits und der
öffentlichen Belange des Antragsgegners andererseits vorzunehmen (vgl. Bundesverfas-
sungsgericht – BVerfG – Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – NVwZ 2005, S.
927ff.).

Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass der Antragsgegner vorläufig bis zu einer Ent-
scheidung in der Hauptsache zu der begehrten Darlehensgewährung zu verpflichten ist. Ins-
besondere liegt ein streitiges Rechtsverhältnis vor, da die Antragstellerin gegen den Wider-
spruchsbescheid vom 31. März 2015 Klage erhoben hat.
Im Hinblick auf den Anordnungsanspruch ergibt sich bei der im einstweiligen Rechtsschutz-
verfahren gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung, dass ein solcher Anspruch
gegeben sein dürfte. Jedenfalls erweist sich die Ablehnung der Darlehensgewährung als
rechtswidrig. Als Anspruchsgrundlage für die Gewährung eines Darlehens zum Erwerb eines
Pkw kommt § 16f Abs. 1 SGB II in Betracht. Demnach kann die Agentur für Arbeit die Mög-
lichkeiten der gesetzlich geregelten Eingliederungsleistungen durch freie Leistungen zur Ein-
gliederung in Arbeit erweitern, wobei die freien Leistungen den Zielen und Grundsätzen des
SGB II entsprechen müssen. Leistungsträger nach dieser Vorschrift sind nicht nur die Bundes-
agentur für Arbeit, sondern auch die nach § 6a SGB II zugelassenen kommunalen Träger
(Harks in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 16f, Rn. 9), zu denen nach der
Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 24. September 2004 auch der Antragsgegner
gehört. Bei § 16f SGB II handelt es sich um eine eigenständige Anspruchsgrundlage, die als
Generalklausel ausgestaltet ist (Stölting in: Eicher, SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchen-
de, Kommentar, 3. Auflage 2013, § 16f Rn. 7). Sie ist auch dann anwendbar, wenn Leistun-
gen präventiv erbracht werden, etwa zur Sicherstellung einer die Hilfebedürftigkeit verringern-
den selbständigen Tätigkeit (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Juni 2010 – L
14 AS 933/10 B, zit. nach juris: Finanzierung eines Arbeitszimmers) oder zur Abwendung des
Arbeitsplatzverlustes, sofern trotz der Erwerbstätigkeit weiter Hilfebedürftigkeit besteht (Stöl-
ting, a.a.O.), was gerade bei sog. Aufstockern wie der Antragstellerin der Fall ist (vgl. auch
Grühn in: Gagel, SGB II/SGB III, Grundsicherung/Arbeitsförderung, § 16f Rn. 6 sowie Voelzke
in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: 2015, K § 16f Rn. 15). Aufgabe und Ziel der Grundsicherung
für Arbeitsuchende ist nämlich nach § 1 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 SGB II unter anderem, den Um-
fang der Hilfebedürftigkeit durch eine Erwerbstätigkeit zu verringern. Leistungen im Rahmen
einer Einzelförderung können als Zuschuss, Darlehen oder als Kombination beider gewährt

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werden (vgl. die „Gemeinsame Erklärung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und
der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Ministerien der Länder als auf-
sichtsführende Stellen nach § 47 SGB II zu den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach
§ 16 SGB II i.V.m. §§ 45, 46 und nach § 16f SGB II“, 3. Aktualisierte Fassung: Oktober 2012,
S. 25). Hinsichtlich des möglichen Leistungsinhalts sind die nach § 16f SGB II denkbaren
Leistungen allerdings an § 20 SGB II zu messen (Grühn, a. a. O., Rn. 9). Die vom Regelbe-
darf erfassten Leistungsinhalte können grundsätzlich nicht Gegenstand der sog. freien Leis-
tungen sein (vgl. Grühn, a. a. O.).

Da der Erwerb eines Pkw nicht vom Regelbedarf abgedeckt ist, kommt insoweit grundsätzlich
eine freie Förderung nach § 16f SGB II in Betracht (so auch ausdrücklich: Gemeinsame Erklä-
rung des BMAS u.a., a.a.O., S. 44).
Voraussetzung für die Leistungsgewährung ist, da es sich um eine Eingliederungsleistung
handelt, ferner die Einhaltung der in § 3 Abs. 1 Satz 1 SGB II normierten Grundsätze (Stölting,
a.a.O.). Eine freie Leistung kann demnach nur dann erbracht werden, wenn sie zur Vermei-
dung oder Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit für die Einglie-
derung erforderlich ist. Dies hat die Antragstellerin im Hinblick auf die begehrte Darlehensge-
währung für den Kauf eines Pkw glaubhaft gemacht. Sie hat an Eides statt versichert, dass
sie nicht auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen kann. Diese Ausführungen sind - bei der
im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung – nachvoll-
ziehbar. So ist unbestritten, dass die Antragstellerin schon bislang einen Pkw besaß, mit dem
sie die Arbeitsstelle erreicht hat. Aus den von ihr vorgelegten Stundenzetteln (Bl. 88 bis 91
GA) ergibt sich, dass der morgendliche Arbeitsbeginn – auch an Sonntagen – um 6.00 Uhr
oder 6.30 Uhr liegt. Bei Arbeitsbeginn um die Mittagszeit liegt das Arbeitsende um 20.30 Uhr.
Bereits diese Uhrzeiten stellen üblicherweise in weniger großen Städten wie G. eine Heraus-
forderung dar, wenn es um die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel geht. Hinzu kommt, dass
die Antragstellerin an unterschiedlichen Arbeitsstellen zum Einsatz kommt. Die vorgelegten
Stundenzettel für den Monat April belegen zwei verschiedene Arbeitsstätten. Die eingereichte
Bestätigung des Arbeitgebers (Bl. 101 Gerichtsakte - GA) schildert die Rahmenbedingungen
ihrer Tätigkeit derart, dass sie auch kurzfristig im Raum K. L., M., N., O., P. und Q. eingesetzt
werden könne. Für die Einsätze sei Mobilität mit dem Pkw zwingend erforderlich. Die Schicht-
zeiten seien mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu realisieren und der Wechsel erfolge in-
nerhalb weniger Tage. Diese Angaben entsprechen der in § 1 Nr. 1 des Arbeitsvertrages ent-
haltenen Regelung, wonach die Antragstellerin bei Kunden der H. GmbH an verschiedenen
Orten eingesetzt wird (Bl. 788 VA).
Gegen eine Darlehensgewährung zum Erwerb des Pkw spricht auch nicht der Umstand, dass
das Fahrzeug bereits auf den Namen des Sohnes der Antragstellerin zugelassen wurde und

Seite 6/9

sie das Fahrzeug faktisch bereits besitzt. Die Antragstellerin hat an Eides statt versichert,
dass der Autohändler sich darauf eingelassen habe, den alten Pkw unter Anrechnung von 400
Euro in Zahlung zu nehmen und im Übrigen auf eine kurzfristige Zahlung des Antragsgegners
zu warten. Der Kaufvertrag vom 2. März 2015 (Bl. 69 GA) und das Schreiben des Verkäufers
vom 9. April 2015 bestätigen diese Angaben. Soweit der Antragsgegner im Verwaltungsver-
fahren angedeutet hat, dass möglicherweise die volle Kaufpreissumme bereits beglichen wor-
den sei, fehlen hierfür Anhaltspunkte. Die Antragstellerin und der Verkäufer müssten aller-
dings mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen, wenn sich dies im Hauptsacheverfahren
bewahrheiten sollte.

Auch der kurze zeitliche Abstand zwischen Einholung von Kostenvoranschlägen und dem
Erwerb des Pkw spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit der von der Antragstellerin gemachten
Angaben. Hätte sie längere Zeit mit dem Erwerb eines Pkw gewartet, so hätte man ihr umge-
kehrt vorhalten können, dass dieser offensichtlich nicht dringend benötigt werde.

Gegen einen Anordnungsanspruch spricht schließlich auch nicht, dass die Antragstellerin den
Pkw erworben hat, noch bevor sie den schriftlichen Antrag eingereicht und der Antragsgegner
über diesen abschließend entschieden hatte. Eine Antragstellung hat der Antragsgegner
selbst bereits im Anruf der Antragstellerin am 2. März 2015 gesehen, wie dem Vermerk auf Bl.
1063 der Verwaltungsakte zu entnehmen ist. Auch die in § 16f Abs. 2 Satz 1 vorgesehene
Beschreibung des Leistungsziels durch den Leistungsträger ist ohne Weiteres noch nach Er-
werb des Pkw und vor der Darlehensbewilligung möglich. Anders als der Antragsgegner in der
Verwaltungsakte vermerkt hat (Bl. 1062), folgt aus dem bereits erfolgten Pkw-Erwerb kein
grundsätzlicher Förderausschluss.

Auch der vom Antragsgegner angeführte und in § 3 Abs. 1 Satz 4 SGB II verankerte Grund-
satz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit spricht bei summarischer Betrachtung nicht ge-
gen die Darlehensgewährung. Dass die Reparatur des alten Pkw unwirtschaftlich gewesen
wäre, hat der Antragsgegner selbst anerkannt (vgl. Bl. 1001 VA). Die vom Antragsgegner be-
nannte 2000-Euro-Grenze für den Neuerwerb findet keine direkte Stütze im Gesetz und die
Einschätzung, dass der gekaufte Pkw nicht marktpreisgerecht sei, muss im Hauptsachever-
fahren überprüft werden. Auch ein Pkw für 2.400 Euro erscheint nicht von vornherein unwirt-
schaftlich.

Der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis der Antragstellerin bis Ende Oktober 2015 befristet
ist, spricht ebenfalls nicht gegen dessen Sicherung durch die Darlehensgewährung. Auch eine
zeitlich begrenzte Verringerung der Hilfebedürftigkeit ist ein legitimes und anzustrebendes Ziel
von Eingliederungsleistungen. Im Übrigen führen befristete Arbeitsverhältnisse nicht selten zu
unbefristeten und damit zur dauerhaften Überwindung oder Verringerung der Hilfebedürftig-

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keit. Offensichtlich fordert auch der Antragsgegner selbst nach seiner Verwaltungspraxis für
derartige Eingliederungsleistungen ein zum Zeitpunkt der Antragstellung noch für mindestens
sechs weitere Monate laufendes Arbeitsverhältnis (Aktenvermerk Bl. 1063 VA).
Liegen somit die Voraussetzungen des § 16f SGB II nach summarischer Prüfung vor, so ge-
währt die Norm einen Anspruch auf eine Ermessensentscheidung des Leistungsträgers. Ein
gebundener Anspruch auf die Gewährung eines Darlehens ließe sich nur bei einer Ermes-
sensreduzierung auf Null begründen.
Bei summarischer Prüfung erweist sich die ablehnende Entscheidung des Antragsgegners als
ermessensfehlerhaft. So ist nicht nachvollziehbar begründet worden, warum der Antragsgeg-
ner eine Begrenzung auf genau 2.000 Euro vornimmt. Auch muss im Hauptsacheverfahren
geprüft werden, ob der Antragsteller die individuelle Lebenssituation der Antragstellerin, ins-
besondere ihre familiäre Situation im Rahmen seiner Ermessensentscheidung berücksichtigt
hat, wie es § 3 Abs. 1 Nr. 2 SGB II vorsieht. Dagegen spricht, dass er dies im angefochtenen
Bescheid nicht erwähnt hat. Im Aktenvermerk auf Bl. 1062 der Verwaltungsakte wird ausführt,
dass die familiäre Situation der Antragstellerin höchst bedauerlich sei und es ihr hoch anzu-
rechnen sei, dass sie trotz ihrer behinderten Kinder einer beruflichen Tätigkeit nachgehe.
Nichtsdestoweniger habe kein Entscheidungsspielraum bestanden. Dies belegt, dass die fa-
miliäre und individuelle Situation der Antragstellerin gerade nicht in eine Abwägung einbezo-
gen wurde und die im SGB II angelegte Individualisierung der Leistungserbringung (vgl. Grei-
ser in: Eicher, SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Kommentar, 3. Auflage 2013, § 3
Rn. 9) gerade nicht erfolgt ist.
Der Senat lässt offen, ob - wofür durchaus nicht unerhebliche Anhaltspunkte bestehen - eine
Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Die Antragstellerin hat nämlich unter Berücksichti-
gung des ebenfalls glaubhaft gemachten Anordnungsgrundes zumindest aufgrund der im vor-
liegenden Fall gebotenen Folgenabwägung Anspruch auf Erlass der begehrten einstweiligen
Anordnung.

Die Eilbedürftigkeit und daraus folgend ein Anordnungsgrund ergeben sich aus dem Umstand,
dass die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, dass sie für die Ausübung ihrer Berufstätigkeit
auf einen Pkw angewiesen ist und ohne Pkw die reale Gefahr des alsbaldigen Arbeitsplatzver-
lustes besteht. Es erscheint auch glaubhaft, dass der Verkäufer tatsächlich den Pkw zurück-
fordern wird, wenn die Zahlung des Kaufpreises ausbleibt. Der Prozessbevollmächtigte hat
nach eigenen Angaben mit dem Autoverkäufer telefoniert und dessen Zuwarten bis Anfang
Mai erreicht. Daraus folgt, dass ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren
nicht zumutbar ist. Der drohende Verlust des Arbeitsplatzes wäre durch eine erst im Haupt-
sacheverfahren ergehende Entscheidung nicht mehr rückgängig zu machen.

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Demgegenüber sind die Folgen für den Antragsgegner auch angesichts des Umstandes, dass
er zur wirtschaftlichen und sparsamen Leistungserbringung angehalten ist, überschaubar. Er
wird lediglich zur Darlehensgewährung verpflichtet und dürfte keinen endgültigen Verlust er-
leiden, zumal die Antragstellerin sich mit der Zahlung von Raten in Höhe von 200 Euro monat-
lich einverstanden erklärt hat.
Da die Rechtsverfolgung aus den genannten Gründen erfolgreich und die Antragstellerin pro-
zessarm ist, war ihr für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
C.
D.
Dr. E.

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Freitag, 22. Mai 2015
SG KI, S 36 AS 1459/13 vom 30.04.2015, Sozialgericht Kiel
Az.: S 36 AS 1459/13

SOZIALGERICHT KIEL
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

ln dem Rechtsstreit
1. Frau . Kiel
2. Herrn , Kiel
3. Herrn Kiel
4. Herrn , Kiel.

- Kläger -

Prozessbevollmächtigter ‚ zu 1—4: Rechtsanwalt Helge Hildebrandt,
Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel
256/13

gegen

Jobcenter Kiel, vertreten durch den Geschäftsführer, Adolf-Westphal-Straße 2, 24143 Kiel

- Beklagter -

hat die 36. Kammer des Sozialgerichts Kiel auf die mündliche Verhandlung vom 30. April
2015 in Kiel durch den Richter am Sozialgericht , den ehrenamtlichen Richter
den ehrenamtlichen Richter für Recht erkannt:

Der Bescheid des Beklagten vom 18.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbe-
scheides vom 24.10.2013 wird abgeändert, und der Beklagte wird verurteilt, den
Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Widerspruchsverfah-
ren W 2264/13 zu erstatten.

Der Beklagte erstattet den Klägern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten
dieses Verfahrens.

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann nur dann mit der Berufung angefochten werden, wenn sie nachträglich zugelassen
wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten wer-
den.

Die Berufung ist zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

- das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemein-
samen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
und auf dieser Abweichung beruht oder

- ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird
und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem

Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht
Gottorfstr. 2
24837 Schleswig

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten einzulegen.
Die Frist beträgt bei einer Zustellung im Ausland drei Monate.

Die Beschwerdeschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen und die zur Begründung dienenden i
Tatsachen und Beweismittel angeben.

- 3 -

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Erstattung von Kosten eines Widerspruchsverfahrens.

Die Kläger beziehen dauerhaft Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten. Sie leben in ei-
ner Wohnung, für die monatlich Kosten oberhalb der vom Beklagten angesetzten Mietober—
grenze anfallen. Hierauf wurden die Kläger erstmals mit Schreiben vom 06.04.2010 hinge-
wiesen. Wegen nachgewiesener dauerhafter gesundheitlicher Einschränkungen hat der Be-
klagte in der Folge jedoch keine Absenkung vorgenommen.

Mit Schreiben vom 17.01.2013 forderte der Beklagte die Kläger erneut zur Senkung der
Unterkunftskosten auf. Die Kosten für die von Ihnen bewohnte Unterkunft sei zu hoch und
müsse innerhalb von sechs Monaten durch Umzug oder Untervermietung gesenkt werden.
Das Schreiben enthielt zudem die Bitte, sich im Fall der Unzumutbarkeit an die zuständige
Integrationsfachkraft zu wenden; die bisher berücksichtigten gesundheitlichen Einschrän—
kungen wurden nicht erwähnt. In der Folge gab es wiederholten telefonischen Kontakt, wobei
der Inhalt der Gespräche umstritten ist.

Mit Bescheid vom 26.07.2013 gewährte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Zeit—
raum August 2013 bis Januar 2014 unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in
Höhe der Mietobergrenze.

Hiergegen erhoben die Kläger mit der Begründung Widerspruch, es sei Ihnen aus verschie-
denen Gründen nicht zumutbar umzuziehen. So seien der Schulbesuch der Kinder, die be-
vorstehende Verkleinerung der Bedarfsgemeinschaft und die gesundheitlichen Einschrän-
kungen zu berücksichtigen. Außerdem sei die vom Beklagten angesetzte Mietobergrenze
ohnehin fehlerhaft festgesetzt.

Mit Abhilfebescheid vom 18.10.2013 half der Beklagte dem Widerspruch in der Sache ab.
Kosten seien für das Widerspruchsverfahren jedoch nicht zu erstatten, da die Kläger erst-
mals im Laufe des Widerspruchsverfahrens aktuelle medizinische Nachweise vorgelegt hät-
ten, die die Unzumutbarkeit des Umzuges belegten.

Gegen diese Kostenentscheidung erhoben die Kläger Widerspruch. Der Beklagte habe seit
Jahren Kenntnis von den dauerhaften gesundheitlichen Einschränkungen. Außerdem sei hie-
rauf von der Klägerin zu 1. auch im Laufe des Kostensenkungsverfahrens ausdrücklich im
Rahmen der telefonischen Kontakte hingewiesen worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2013 wies der Beklagte den Widerspruch aus den
Gründen des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.

Mit der vorliegenden Klage machen die Kläger geltend, es bestehe ein Anspruch auf Erstat—
tung der Kosten des Widerspruchsverfahrens, da sie die entsprechenden Angaben nicht erst
nach Erlass des Bescheides vom 26.07.2013 gemacht hätten. Außerdem fehle es auch an
einer entsprechenden Mitwirkungsaufforderung durch den Beklagten.

- 4 -

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Beklagten vom 18.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 24.10.2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern die not—
wendigen außergerichtlichen Kosten für das Widerspruchsverfahren W 2264/13 zu er-
statten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf seine Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden. Ausweislich der in der
Verwaltungsakte befindlichen Vermerke seien von den Klägern im Kostensenkungsverfahren
keine Angaben zu den gesundheitlichen Einschränkungen gemacht worden

Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten haben der erkennenden Kammer '
vorgelegen und. sind Grundlage der vorliegenden Entscheidung. Hinsichtlich der Einzelheiten
des Sach- und Streitstandes wird auf diese Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Kostenentscheidung des angegriffenen Abhilfebescheides erweist sich als rechtswidrig
und verletzt die Kläger in ihren Rechten.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen
Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen. der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckent-
sprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Wider-
spruch erfolgreich ist. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, aus weichen Gründen '
ein Widerspruch erfolgreich gewesen ist. ‘

Erfolgreich ist ein Widerspruch im Sinne des § 63 SGB X jedoch regelmäßig nur dann, wenn
er auch ursächlich für die abhelfende Entscheidung ist. Dies ist nach der Rechtsprechung
regelmäßig dann nicht der Fall, wenn die abhelfende Entscheidung zum Beispiel auf der
Nachholung von Mitwirkungspflichten oder veränderten Tatsachen beruht.

Es kann insofern vorliegend dahin stehen, ob die Kläger im Rahmen des Kostensenkungs-
verfahrens auf die fortbestehenden gesundheitlichen Einschränkungen hingewiesen haben,

denn es fehlt bereits an einer entsprechenden Mitwirkungsverpflichtung.

-5-

Die die Kostenfolge des § 63 SGB X ausschließende Nachholung einer Mitwirkungshandlung
setzt nämlich zunächst voraus, dass eine entsprechende Mitwirkungsverpflichtung besteht.
Welche Mitwirkungspflichten bestehen, ergibt sich im Wesentlichen aus § 60 SGB l. Danach
besteht insbesondere die Pflicht, alle leistungserheblichen Tatsachen und alle diesbezüglich
erfolgenden Änderungen mitzuteilen. Die leistungserheblichen Angaben sind dabei grund-
sätzlich mit den in den entsprechenden Antragsformularen abgefragten Sachverhalten iden-
tisch. Insoweit sind aber keine fehlerhaften oder unzureichenden Angaben der Kläger er-
sichtlich. Gleiches gilt für die Mitteilung leistungserheblicher Änderungen, da hinsichtlich der
gesundheitlichen Einschränkungen gerade keine Änderung der Tatsachen vorliegt. Weiter—
gehende Mitwirkungspflichten bestehen aber nur insoweit, wie die Behörde den Leistungs-
bezieher hierzu ausdrücklich auffordert. Dies gilt auch dann, wenn die Behörde das Fortbe-
stehen bestimmter Umstände — wie hier der gesundheitlichen Einschränkungen - überprüfen
will, denn ohne eine solche Aufforderung sieht das Gesetz keine Verpflichtung vor, unverän-
derte Tatsachen in bestimmten Abständen erneut durch entsprechende Nachweise zu bele-
gen. Es besteht dann ein Spannungsfeld zwischen Mitwirkung (§§ 60 ff. SGB I) und. Amtser—
mittlung (§ 20 SGB X). Will die Behörde eine grundsätzlich bekannte und in der Vergangen-
heit bereits belegte Tatsache auf ihr Fortbestehen überprüfen, muss sie dies von Amts we-
gen selbst ermitteln. Benötigt sie dafür die Mitwirkung des Betroffenen (z.B. weil sie aus
Gründen der Schweigepflicht keinen Zugang zu medizinischen Unterlagen erhält), muss sie
diesen individuell und konkret hierzu auffordern.

Dies ist vorliegend jedoch nicht erfolgt. Die Kostensenkungsaufforderung vom 17.01.2013
enthält zwar alle für den Standardfall erforderlichen Angaben, sie fordert die Kläger aber
nicht auf, neue Nachweise über ihre gesundheitliche Situation vorzulegen. Dies wäre aber
aufgrund der Umstände des konkreten Falles erforderlich gewesen, da gerade hierauf das
bisherige Absehen von einer Kostensenkung beruhte. Insofern reicht auch der allgemeine
Hinweis auf die Benennung von Gründen für eine Unzumutbarkeit des Umzugs nicht aus,
wenn konkrete Gründe bislang für eine Unzumutbarkeit als ausreichend angesehen worden
sind. Denn wenn der Behörde ein derart konkreter Sachverhalt bekannt ist, muss sie diesen
auch konkret im Rahmen der bestehenden Pflicht zur Amtsermittlung überprüfen und kann
dies nicht durch einen pauschalen Hinweis auf den Leistungsbezieher abwälzen. Ein solcher
allgemeiner Hinweis ist allenfalls dann ausreichend, wenn für die Behörde nach Aktenlage
keinerlei Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit des Umzuges bestehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und orientiert sich am_Ergebnis in der
Hauptsache.

Richter am Sozialgericht

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Donnerstag, 21. Mai 2015
Kilometerpauschale für Krankenfahrten
Gekürzte Chronologie
der Petition Pet 2-17-15-8271-052556
Kilometerpauschale für Krankenfahrten

04.07.2013 Kurzfassung der Petition

Petition an den Deutschen Bundestag
(mit der Bitte um Veröffentlichung)

Titel Sozialrecht - Kilometerpauschale für Krankenfahrten

Seite 2

Wortlaut der Petition

Der Deutsche Bundestag möge beschließen

"Es wird klargestellt, dass der Bezug auf den Höchstbetrag in § 60 Abs. 1 Nr. 4 SGB V so zu verstehen ist,
dass für Krankenfahrten die höchste im Bundesreisekostengesetz genannte Kilometerpauschale maßgebend
ist. Derzeit ist diese 30 Cent."

Die Petition betrifft die Kilometerpauschale, die von der gesetzlichen Krankenversicherung für Fahrten mit
einem privaten Kfz gezahlt wird. Sie ist darauf gerichtet, den gesetzmäßigen Zustand wieder herzustellen.

Begründung

Einschlägig ist für die Bestimmung der Kilometerpauschale § 60 SGB V.
§ 60 Abs. 1 Nr. 4 SGB V lautet auszugsweise

"Als Fahrkosten werden anerkannt ... bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen
Kilometer den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für
Wegstreckenentschädigung ... "

Der maßgebende Auszug des § 6 Abs. 1 des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) über
Wegstreckenentschädigung lautete in der Fassung vor dem 01.09.2005

"Für Strecken, die der Dienstreisende mit einem ihm gehörenden Kraftfahrzeug zurückgelegt hat, wird als
Auslagenersatz eine Wegstreckenentschädigung gewährt, und zwar je Kilometer bei Benutzung von
1. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum bis 80 ccm 10 Cent,
2. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 80 bis 350 ccm 13 Cent,
3. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 350 bis 600 ccm 16 Cent,
4. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 600 ccm 22 Cent."

Die Krankenkassen haben zur damaligen Zeit ohne Ermittlung des Hubraums des Fahrzeugs unterschiedslos
22 Cent erstattet. Dies entspricht dem Wortlaut der Norm, da § 60 Abs. 1 Nr. 4 SGB V ausdrücklich den
Höchstbetrag vorschreibt und diese lex specialis somit die Unterscheidung nach Hubraum außer Kraft setzt.
Seit 01.09.2005 ist die Wegstreckenentschädigung nach den Vorschriften des § 5 Abs. 1 Satz 2 und
§ 5 Abs. 2 Satz 1 in 20 Cent beziehungsweise 30 Cent differenziert. Eine strikte gesetzliche Vorgabe, wie
vormals die Bindung an den Hubraum, existiert innerhalb des Bundesreisekostengesetzes nicht mehr, sondern
wurde durch das gebundene Ermessen des Dienstherrn ersetzt. In seiner aktuellen Fassung lautet der relevante
Teil des BRKG nunmehr

"(1) Für Fahrten mit anderen als den in § 4 genannten Beförderungsmitteln wird eine
Wegstreckenentschädigung gewährt. Sie beträgt bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen
motorbetriebenen Fahrzeuges 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke, ...
(2) Besteht an der Benutzung eines Kraftwagens ein erhebliches dienstliches Interesse, beträgt die
Wegstreckenentschädigung 30 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke."

Seite 3

Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben beschlossen, 20 Cent zu erstatten. Eine Durchsetzung des
höheren, dem Wortlaut nach eigentlich vorgesehen Betrags von 30 Cent auf dem Rechtsweg ist nicht möglich.
Neben der Normenklarheit sprechen für die begehrte Klarstellung auch sozialstaatliche und
Gerechtigkeitsüberlegungen. Eine Kilometerpauschale von 20 Cent ist ersichtlich zu niedrig, um die
tatsächlichen Betriebskosten eines Kfz zu decken. Kosten für Fahrten zu ambulanten Behandlungen zeichnen
sich dadurch aus, dass ihnen keine sonstigen Einnahmen gegenüberstehen, wie es etwa bei Fahrten zur
Arbeitsstätte durch den Arbeitslohn der Fall sein kann. Somit kommt es bei Notwendigkeit ambulante
Behandlung mit dem Kfz aufzusuchen unweigerlich zu einem Vermögensverzehr, der bis zum Verlust des Kfz
führen kann.

Anregungen für die Forendiskussion

Einige Sachverhalte kann ich vorliegend wegen der Beschränkung der Zeichenzahl leider nur behaupten, nicht
näher erklären, siehe etwa die Behauptung, dass der Rechtsweg aussichtslos ist. Falls an vertiefenden
Ausführungen Interesse besteht, bitte ich um Nachfrage.

04.07.2013 Langfassung der Petition

Öffentliche Bitte 43893 zur Kilometerpauschale für Krankenfahrten

Der Deutsche Bundestag möge beschließen

Es wird klargestellt, dass der Bezug auf den Höchstbetrag in § 60 Abs. 1 Nr. 4 SGB V so zu verstehen ist, dass für Krankenfahrten die höchste im Bundesreisekostengesetz genannte Kilometerpauschale maßgebend ist. Derzeit ist diese 30 Cent.

Begründung:

Die Petition betrifft die Kilometerpauschale, die von der gesetzlichen Krankenversicherung für Fahrten mit einem privaten Kfz gezahlt wird. Sie ist darauf gerichtet, den gesetzmäßigen Zustand wieder herzustellen.

Einschlägig ist für die Bestimmung der Kilometerpauschale § 60 SGB V. § 60 Abs. 1 Nr. 4 SGB V lautet auszugsweise

Als Fahrkosten werden anerkannt … bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung …

Der maßgebende Auszug des § 6 Abs. 1 des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) über Wegstreckenentschädigung lautete in der Fassung vor dem 01.09.2005

Für Strecken, die der Dienstreisende mit einem ihm gehörenden Kraftfahrzeug zurückgelegt hat, wird als Auslagenersatz eine Wegstreckenentschädigung gewährt, und zwar je Kilometer bei Benutzung von

1. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum bis 80 ccm 10 Cent,

2. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 80 bis 350 ccm 13 Cent,

3. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 350 bis 600 ccm 16 Cent,

4. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 600 ccm 22 Cent.


Die Krankenkassen haben zur damaligen Zeit ohne Ermittlung des Hubraums des Fahrzeugs unterschiedslos 22 Cent erstattet. Dies entspricht dem Wortlaut der Norm, da § 60 Abs. 1 Nr. 4 SGB V ausdrücklich den Höchstbetrag vorschreibt und diese lex specialis somit die Unterscheidung nach Hubraum außer Kraft setzt.

Seit 01.09.2005 ist die Wegstreckenentschädigung nach den Vorschriften des § 5 Abs. 1 Satz 2 und § 5 Abs. 2 Satz 1 in 20 Cent beziehungsweise 30 Cent differenziert. Eine strikte gesetzliche Vorgabe existiert innerhalb des Bundesreisekostengesetzes nicht mehr, sondern wurde durch das gebundene Ermessen des Dienstherrn ersetzt. In seiner aktuellen Fassung lautet der relevante Teil des BRKG nunmehr

(1) Für Fahrten mit anderen als den in § 4 genannten Beförderungsmitteln wird eine Wegstreckenentschädigung gewährt. Sie beträgt bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen motorbetriebenen Fahrzeuges 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke, ...

(2) Besteht an der Benutzung eines Kraftwagens ein erhebliches dienstliches Interesse, beträgt die Wegstreckenentschädigung 30 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke.


Diese Änderung des BRKG war Gegenstand einer Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Leistungsrecht am 01./02. Juni 2005 in Bonn. Das Rundschreiben zu dieser Besprechung führt hierzu aus

Am 31. Mai 2005 (Bundesgesetzblatt Nr. 30; Seite 1418 ) wurde mit dem Gesetz zur Reform des Reisekostenrechts ein neues Bundesreisekostengesetz (BRKG) veröffentlicht. Das Gesetz tritt am 01. September 2005 in Kraft.

Diese Gesetzesänderung hat unmittelbaren Einfluss auf die Höhe der Fahrkosten bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs (PKW), denn nach § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V wird bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer der jeweils auf Grund des BRKG festgesetzte Höchstbetrag als Fahrkosten anerkannt. Das BRKG sieht in § 5 eine differenzierte Betrachtung der Kilometer-Sätze vor. Es stellt sich die Frage, welcher Satz bei Anwendung des § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V in Betracht kommt.

Besprechungsergebnis:

Mit In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Reform des Reisekostenrechts zum 01. September 2005 ist bei einer PKW-Nutzung die Wegstreckenentschädigung nach § 5 Abs. 1 BRKG in Höhe von 20 Cent je Kilometer bei Anwendung des § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V maßgebend. Eine Differenzierung der Wegstreckenentschädigung unter Berücksichtigung des höheren Kilometersatzes nach § 5 Abs. 2 BRKG kommt nicht in Betracht, da es in den Leistungsfällen an einem "erheblichen dienstlichen Interesse" mangelt.


Die Krankenkassen haben sich also entschlossen, die lex specialis, dass der Höchstbetrag und nicht etwa der Betrag nach dem BRKG zu wählen ist, ab 01.09.2005 zu ignorieren und stattdessen das BRKG direkt anzuwenden. Warum so vorzugehen ist wird nicht begründet. Dadurch ergibt sich das Problem, wie es nunmehr überhaupt möglich sein soll, einen Kilometersatz für Krankenfahrten zu ermitteln, da ja das BRKG in der neuen Fassung nach dienstlichem Interesse unterscheidet, indem es bei erheblichem im Gegensatz zu nur gewöhnlichem dienstlichem Interesse 30 Cent statt 20 Cent zugesteht. Der Versicherte steht aber gegenüber seiner Krankenkasse in keinem Dienstverhältnis. Die bisherige Interpretation, dass das Wort „Höchstbetrag“ eine lex specialis Regelung vorgibt würde hingegen keinen Problemen begegnen, da dann wie vormals die Differenzierung nach Hubraum nunmehr die Differenzierung nach Erheblichkeit des dienstlichen Interesses ohne Belang wäre und der Höchstbetrag der gegebenen Kilometersätze, also nunmehr 30 Cent, zu wählen wäre.

Die Spitzenverbände der Krankenkassen lösen dieses Problem dadurch, dass sie eine Festlegung auf 20 Cent treffen. Sie begründen dies damit, dass es in den Leistungsfällen an einem "erheblichen dienstlichen Interesse" mangle ohne näher zu erklären, warum dem so ist. Gleichzeit sagen sie damit unausgesprochen, dass ein gewöhnliches dienstliches Interesse vorliegt, denn andernfalls käme nach dem BRKG überhaupt keine Erstattung in Frage (§ 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 13 Abs. 1 Satz 1 BRKG). Warum die Spitzenverbände der Krankenkassen zu der Auffassung gelangten, Krankenfahrten wären gerade mit gewöhnlichen Dienstreisen ohne erhebliches Interesse gleichzusetzen, ist ebensowenig ersichtlich wie warum sie das Wort Höchstbetrag mit Betrag gleichsetzen.

Den Antrag B 1 KR 6/10 BH, der unter anderem zum Ziel hatte, die Korrektheit dieser Festlegung durch die Spitzenverbände der Krankenkassen zu überprüfen, wurde vom Bundessozialgericht am 21.05.2010 abgelehnt, da es sich nicht um eine klärungsbedürftige Frage handle, da ihre Beantwortung so gut wie unbestritten sei oder die Antwort von vorneherein praktisch außer Zweifel stehe. Hierzu führt das Bundessozialgericht wie folgt aus

Auch unabhängig von einer höchstrichterlichen Klärung ist indes eine Rechtsfrage dann als nicht klärungsbedürftig anzusehen, wenn ihre Beantwortung so gut wie unbestritten ist (vgl zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 17) oder die Antwort von vorneherein praktisch außer Zweifel steht (vgl zB BSGE 40, 40 = SozR 1500 § 160a Nr 4). So liegt es hier bei der vom Kläger indirekt aufgeworfenen Frage unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 12/3608 S 82) und dem Sinn und Zweck der Verweisungsregel in § 60 Abs 3 Nr 4 SGB V, die für den Ausnahmefall des § 5 Abs 2 Satz 2 BRKG keinen Anwendungsraum bietet.

Was nach Ansicht des Bundessozialgerichts der Sinn und Zweck der Verweisungsregel ist, wird von diesem nicht weiter erklärt. Der betreffende Abschnitt der Bundestagsdrucksache 12/3608 lautet

Zu Buchstabe b)

Die Regelung nach der für jeden gefahrenen Kilometer 0,31 DM anerkannt werden, entsprach bei ihrer Einführung durch das Gesundheitsreformgesetz zum 1. Januar 1989 dem seinerzeit geltenden Höchstsatz für die Wegstreckenentschädigung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Bundesreisekostengesetz (BRKG). Dieser Höchstsatz wurde durch die Verordnung zur Änderung reisekostenrechtlicher Vorschriften des Bundesministeriums des Inneren vom 29. November 1991 (BGBl. S 2154) mit Wirkung vom 1. Oktober 1991 im Hinblick auf die geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse auf 0,38 DM erhöht. Künftige Anpassungen sollen nunmehr auch für die Kilometerpauschale der gesetzlichen Krankenversicherung gelten.


Dies bezieht sich auf Seite 8 Nr. 28 derselben Drucksache die ausführt

§ 60 wird wie folgt geändert

b) in Absatz 3 Nr. 4 wird die Bezeichnung „31 Deutsche Pfennige“ ersetzt durch „ den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung“


Durch Rückänderung folgt, dass das Gesetz im Endeffekt wie folgt geändert wurde. Von

Als Fahrkosten werden anerkannt … bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer 31 Deutsche Pfennige ...

zu

Als Fahrkosten werden anerkannt … bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung …

Die Begründung des Gesetzgebers hierfür ist, dass sich der Kilometersatz in Zukunft dynamisch mit Änderung des BRKG ändern solle, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die bisher direkt im Gesetz angegebene Erstattungshöhe sich am Höchstsatz des BRKG orientierte. Als nun mit der Änderung des BRKG zum 01.09.2005 der Änderungsfall eintrat, für den der Gesetzgeber die Dynamisierung vorgesehen hatte, stieg der Höchstsatz des BRKG von 22 Cent auf 30 Cent, gleichzeitig sank der Kilometersatz für Krankenfahrten von 22 Cent auf 20 Cent. Es ist nicht erkennbar, warum es Sinn und Zweck der Dynamisierung gewesen sein soll, diese gegenläufige Veränderung auszulösen. Dass die Spitzenverbände der Krankenkassen die Auswirkung der Änderung des BRKG zu einem Tagesordnungspunkt machten, also offenbar Klärungs- und Abstimmungsbedarf sahen, stützt ebenfalls nicht die Meinung des Bundessozialgerichts, die Auslegung sei so gut wie unbestritten oder die Antwort würde von vorneherein praktisch außer Zweifel stehen.

Neben der Normenklarheit sprechen für die begehrte Klarstellung auch sozialstaatliche und Gerechtigkeitsüberlegungen.

Eine Kilometerpauschale von 20 Cent ist ersichtlich zu niedrig, um die tatsächlichen Betriebskosten eines Kfz zu decken. So beliefen sich laut „ADAC Autokosten“ etwa schon 2009 Kosten eines Toyota Yaris 1.33 bei üblicher Nutzung auf 31,6 Cent pro km. Kosten für Fahrten zu ambulanten Behandlungen zeichnen sich auch dadurch aus, dass ihnen keine sonstigen Einnahmen gegenüberstehen, wie es etwa bei Fahrten zur Arbeitsstätte durch den Arbeitslohn der Fall sein kann. Somit kommt es bei Notwendigkeit ambulante Behandlungen mit dem Kfz aufzusuchen unweigerlich zu einem Vermögensverzehr. Ist kein genügend hohes sonstiges Einkommen oder Vermögen vorhanden, führt dies früher oder später zum Verlust des Fahrzeugs, etwa können Reparaturen nicht mehr bezahlt werden oder eine erforderliche Anschaffung ist nicht möglich, da hierfür nicht angespart werden konnte. Sind aber weiterhin Behandlungen und somit weitere Transporte erforderlich müssen diese etwa per Taxi erfolgen, was zu Kostensteigerung führen kann, soweit eine solche Lösung rechtlich überhaupt zulässig ist.

Nämlich gehen die Krankentransport-Richtlinien (KrTransp-RL) schon der Langbezeichnung als „Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten“ nach sowie gemäß § 1 KrTransp‑RL und aufgrund der Regel-Ausnahme Formulierung von § 2 sowie § 7 KrTransp-RL anscheinend davon aus, dass außer in den explizit genannten Ausnahmen jeder Krankentransport einer Verordnung bedarf (so auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 9 KR 100/06 vom 10.09.2008). Ein Taxitransport ist jedoch keine der explizit genannten Ausnahmen und bedarf also somit einer Verordnung. Diese darf gemäß § 7 Abs. 3 KrTransp-RL nur erfolgen, „wenn der Versicherte aus zwingenden medizinischen Gründen öffentliche Verkehrsmittel oder ein privates Kraftfahrzeug nicht benutzen kann.“ Es ist fraglich, ob das schlichte Nichtvorhandensein eines privaten Kraftfahrzeugs als zwingender medizinischer Grund gilt, denn etwa hat das Hessische Landessozialgericht im Urteil L 1 KR196/04 vom 06.09.2005 zum Fall eines täglich notwendigen Arztbesuchs im Rahmen einer Methadontherapie ausgeführt

Nach der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 15/1525 vom 8. September 2003, Seite 94) hat der behandelnde Arzt zu entscheiden, ob und inwieweit zwingende medizinische Gründe vorliegen. Fahrten zur ambulanten Behandlung bedürfen der vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse und dürfen nur in ganz besonderen Ausnahmefällen von den Krankenkassen übernommen werden.

Eine solche medizinische Notwendigkeit und insbesondere die Voraussetzung, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist, liegt bei der Klägerin nicht vor. Sie hebt vielmehr darauf ab (vgl. insbesondere Schriftsatz vom 11. Mai 2004 im Verfahren S 12 KR 950/04 ER), dass sie als Bezieherin von Hilfe zum Lebensunterhalt und allein erziehende Mutter aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sei, die Kosten zur Methadon-Substitution zu bezahlen. Dies sind zwar nachvollziehbare finanzielle Gründe, jedoch keine zwingenden medizinischen Gründe. In der Stellungnahme vom 27. April 2004 führt Dr. G. vom MDK überzeugend aus, dass es sich bei der Heroinabhängigkeit, die zur Substitutionstherapie geführt hat, nicht um ein Krankheitsbild handelt, das in seiner Schwere mit einem Nierenversagen mit Dialysepflicht oder einem bösartigen Tumor mit onkologischer Therapie vergleichbar sei. Vergleichbar seien Substitutionspatienten vielmehr mit Patienten, die einer dauerhaften medikamentösen Therapie bedürften, wie beispielsweise insulinpflichtige Diabetiker. Auch hier sei eine regelmäßige, mehrfach täglich Therapie notwendig, die allerdings selbständig durch die Patienten erfolge. Eine solche Form der häuslichen Therapie sei medizinisch gesehen auch bei der Substitution möglich. Die Notwendigkeit, die Substitution innerhalb der Praxis durchzuführen, bestehe nämlich nicht aufgrund medizinischer Sachverhalte, sondern werde durch die Richtlinien der Bundesärztekammer i. V. m. der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung begründet. Somit fehle allein deshalb schon die zwingende medizinische Notwendigkeit.


Eine bloße Notwendigkeit im Zusammenhang mit einer erforderlichen Behandlung, auch wenn sie wie hier absolut zwingend, da durch Rechtsvorschriften gegeben ist, ist daher nicht ausreichend, eine medizinische Notwendigkeit zu begründen.

30.08.2013 Schreiben des Bundesministerium für Gesundheit

Bundesministerium
für Gesundheit

Gesetzliche Krankenversicherung — Leistungen — ;

Der Petent fordert, die Wegstreckenentschädigung für die Nutzung eines privaten Pkw für
Fahrten zu ambulanten Behandlungen von 20 auf 30 Eurocent zu erhöhen.

Zunächst ist anzumerken, dass es sich bei der Erstattung von Fahrkosten nach § 60 SGB V nicht
um eine Hauptleistung, sondern um eine Nebenleistung der gesetzlichen Krankenversicherung
handelt.

Die Krankenkassen übernehmen im Rahmen des § 60 Absatz 1 bis 3 SGB V in Verbindung mit
den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss über die Verordnung von Krankenfahrten,
Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 Absatz 1 Nummer 12 SGB V
(Krankentransport-Richtlinien) die Kosten von Fahrten, wenn die Fahrten im Zusammenhang
mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig ist. Die
Versicherten haben, soweit keine Zuzahlungsbefreiung nach § 62 SGB V vorliegt, dabei nach § 61
Satz 1 SGB V entsprechende Zuzahlungen zu leisten.

Gemäß § 60 Absatz 1 Satz 2 SGB V bestimmt die medizinische Notwendigkeit, welches Fahrzeug
im Einzelfall benutzt werden kann. Bei der Auswahl des jeweiligen Transportmittels ist daher
von dem verordnenden Arzt vor allem der Gesundheitszustand des jeweiligen Versicherten zu
berücksichtigen. In Übereinstimmung hiermit regelt § 4 der Krankentransport-Richtlinien, dass
bei der Art der Beförderung ausschließlich die zwingende medizinische Notwendigkeit im

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Einzelfall maßgeblich ist, wobei der Gesundheitszustand des Patienten und dessen Gehfähigkeit
zu berücksichtigen sind. Erstattungsfähig sind, in den von § 60 Absatz 3 SGB V vorgegebenen
Grenzen, die Fahrkosten, die bei der Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels, der
Benutzung eines Taxis oder Mietwagens, der Benutzung eines Kranken- oder Rettungsfahrzeuges
und der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeuges entstehen.

Die Reihenfolge der in § 60 Absatz 3 Nummer 1 bis 4 SGB V genannten Verkehrsmittel spiegelt
wider, welche Verkehrsmittel aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebotes vorrangig zu benutzen
sind. In erster Linie sollen die erforderlichen Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln
durchgeführt werden (§ 60 Absatz 3 Nr. 1 SGB V). Nachrangig soll die Benutzung eines Taxis oder
Mietwagens (§ 60 Absatz 3 Nr. 2 SGB V) erfolgen und erst wenn dies alles nicht möglich ist,
kommt die Benutzung eines Krankenkraftwagens oder Rettungsfahrzeuges (§ 60 Absatz 3 Nr. 3
SGB V) in Betracht. Die Anerkennung von Fahrkosten bei der Benutzung eines privaten
Kraftfahrzeugs (§ 60 Absatz 3 Nr. 4 SGB V) hängt zwar nicht davon ab, dass ein anderes
Verkehrsmittel nicht benutzt werden kann, allerdings werden höchstens die Kosten anerkannt,
die bei der Inanspruchnahme des nach Nummern 1 bis 3 erforderlichen Transportmittels
entstanden wären.

Nach § 60 Absatz 3 Nr. 4 SGB V wird bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeuges für jeden
gefahrenen Kilometer der jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes - BRKG -
festgesetzte Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung erstattet, begrenzt allerdings auf den
Betrag der Kosten, die bei Inanspruchnahme des nach § 60 Absatz 3 Nr. 1-3 SGB V erforderlichen
Transportmittels entstanden wären. Gemäß § 5 Absatz 1 Satz 1 BRKG beträgt die
Wegstreckenentschädigung bei der Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen
motorbetriebenen Fahrzeuges 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke, höchstens jedoch
130 €.

Soweit vom Petenten angemerkt wird, dass die Höhe der Wegstreckenentschädigung von 20
Cent je gefahrenen Kilometer nicht angemessen sei, ist zu berücksichtigen, dass der Benutzung
öffentlicher Verkehrsmittel der Vorrang einzuräumen ist. So lag der Überarbeitung des BRKG im
Jahre 2005 unter anderem die Zielsetzung zugrunde, Anreize zur Wahl umweltverträglicher
Verkehrsmittel und zu umweltgerechtem Verhalten im Verkehr zu setzen (Bundesrats-
Drucksache: 16/05, Seite 1). Die mangelnde Kostendeckung des Betrages ist, wie das
Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 1. Juli 2010 (Az.: 6 PB 7/10) entschieden hat,
auch gerechtfertigt. Wer in Ausübung der reisekostenrechtlichen Wahlfreiheit ein privates
Kraftfahrzeug benutzt, obwohl die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel möglich und
zumutbar ist, hat im Regelfall ein überwiegendes privates Interesse.

Zusammenfassend lasst sich feststellen, dass die Übernahme von Kosten für die Benutzung eines
in § 60 Absatz 3 SGB V genannten Verkehrsmittels sichergestellt ist. Der Versicherte hat mit
Ausnahme gegebenenfalls zu tragender Zuzahlungen, die auch bei der Nutzung eines privaten
Kraftfahrzeuges anfallen, hinsichtlich der in den Nummern 1 bis 3 genannten Verkehrsmittel,
keine finanziellen Lasten zu tragen. Soweit sich eine mangelnde Kostendeckung bei der
Erstattung der Kosten ergibt, die bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeuges nach § 60
Absatz 3 Nummer 4 anfallen, sind die zum Bundesreisekostengesetz genannten Gesichtspunkte
zu berücksichtigen. Eine Änderung der bestehenden Rechtslage ist nicht beabsichtigt.

05.09.2013 Schreiben des Ausschussdienstes

Sehr geehrter Herr ...

der Ausschussdienst, dem die Ausarbeitung von Vorschlägen für den Petitions-
ausschuss obliegt, hat das von Ihnen vorgetragene Anliegen sorgfältig geprüft und in
diese Prüfung die beigefügte Stellungnahme einbezogen.

Nach Prüfung aller Gesichtspunkte kommt der Ausschussdienst zu dem Ergebnis,
dass eine Umsetzung Ihres Anliegens ausgeschlossen erscheint. Diese Auffassung
stützt. sich insbesondere auf die in der Stellungnahme des Fachministeriums
schlüssig dargelegte Begründung, weshalb eine Gesetzesänderung im Sinne Ihres
Anliegens nicht in Aussicht gestellt werden kann.

Einwendungen gegen diese Bewertung können Sie innerhalb von sechs Wochen
mitteilen. Nach Ablauf dieser Zeit wird den Abgeordneten des Petitionsausschusses
vorgeschlagen, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil Ihrem Anliegen nicht
entsprochen werden kann. Folgen der Ausschuss und das Plenum des Deutschen
Bundestages diesem Vorschlag, erhalten Sie keinen weiteren Bescheid.

Weil Ihre Petition nicht den gewünschten Erfolg haben wird, sieht der Ausschuss von
einer Veröffentlichung auf der Internetseite des Petitionsausschusses ab (vgl. Nr. 4e
der Richtlinie für die Behandlung von öffentlichen Petitionen gemäß Ziffer 7.1 (4) der
Verfahrensgrundsätze; veröffentlicht unter www.bundestag‚de/Petitionen).'

01.10.2013 Stellungnahme zum Schreiben des Bundesministerium für Gesundheit vom 30.08.2013

Sehr geehrte Damen und Herren,

zu Ihrem mit oben genanntem Schreiben übersandten Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 30.08.2013 erhebe ich folgende Einwendungen:

Zunächst ist klarzustellen, dass der Petent keine Gesetzesänderung fordert. Er fordert weder eine Änderung des Bundesreisekostengesetzes noch des § 60 oder 92 SGB V. Er fordert auch keine Änderung der untergesetzlichen Krankentransport-Richtlinen.

Vielmehr fordert er eine Klarstellung der Auslegung des Wortes „Höchstbetrag“ in § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V. Er fordert, dass klargestellt wird, dass wieder verstärkt auf den Wortlaut abzustellen ist, insbesondere, dass zu berücksichtigen ist, dass die Norm auf den „Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung“ verweist, nicht etwa auf den „Betrag für Wegstreckenentschädigung“. Dies ist die einzige Forderung des Petenten. Da das Bundesreisekostengesetz zwei mögliche Beträge, nämlich 20 Cent und 30 Cent nennt, und der höchste Betrag hieraus somit 30 Cent ist, hat eine am Wortlaut orientierte Auslegung zur Folge, dass der Erstattungsbetrag 30 Cent beträgt. Dies ist keine zusätzliche Forderung des Petenten, sondern eine sächliche Folge, wenn der Forderung nach stärker am Wortlaut orientierter Auslegung entsprochen würde. Der Petent fordert insoweit eine Rückkehr zur früher praktizierten Auslegung, bei der von damals vier möglichen Beträgen der Höchstbetrag, der damals 22 Cent betrug, erstattet wurde. Auch dies ist keine zusätzlich Forderung des Petenten, sondern ergibt sich als Folge aus seiner einzigen Forderung und ist dieser im Übrigen äquivalent, das heißt der Petent könnte seine Forderung auch so formulieren, dass er eine Rückkehr zur alten Auslegung fordert. Der Gesetzgeber war sich bei Änderung des Bundesreisekostengesetzes mutmaßlich bewusst, dass dieses auch Auswirkungen auf die Erstattung von Fahrkosten für Krankenfahrten hat, denn er hat mit dem Änderungsgesetz gleichzeitig korrespondierende Änderungen am SGB V vorgesehen (Art. 9 Bundestagsdrucksache 16/05). Er hat somit in diesem Bewusstsein die Bezeichnung „Höchstbetrag“ im § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V belassen.

Zum Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit nimmt der Petent im Einzelnen wie folgt Stellung:

Im ersten Satz führt das BundesminiHubersterium für Gesundheit aus, dass der Petent eine Erhöhung der Wegstreckenentschädigung von 20 auf 30 Cent pro Kilometer fordert. Das ist, wie oben dargelegt, nur insoweit zutreffend als dies eine Folge der Forderung des Petenten ist.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt dann zunächst bis einschließlich Zeile 21 Seite 2 zu verschiedenen Normen aus, insbesondere zur Wahl des Transportmittels nach der medizinischen Notwendigkeit. Es ist nicht zu erkennen, welchen Bezug diese Ausführungen zur Forderung des Petenten haben. Der Petent fordert keine Abschaffung der genannten Gesetzeskriterien oder eine Ausweitung oder sonstige Änderung des Kreises der Personen, die Anspruch auf Fahrkostenerstattung in Form des Höchstbetrags nach § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V für ein privates Kfz bei Fahrten zur Behandlung haben. Geändert werden soll nicht der Personenkreis, sondern die Festlegung der Höhe des Anspruchs den Personen aus diesem Kreis geltend machen können.

Ab Zeile 21 Seite 2 teilt das Bundesministerium für Gesundheit mit

Gemäß § 5 Absatz 1 Satz 1 BRKG beträgt die Wegstreckenentschädigung bei der Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen motorbetriebenen Fahrzeuges 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke, höchstens jedoch 130 €.

Dies ist richtig, jedoch unvollständig, denn es kommt für die hier vorliegende Fragestellung nicht nur auf § 5 Abs. 1 Satz 1 BRKG an, denn es geht hier um Fahrkostenerstattungen, wie sie § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V vorsieht. Der hier relevante Teil von § 60 Abs. 3 SGB V lautet

(3) Als Fahrkosten werden anerkannt

4. bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung, höchstens jedoch die Kosten, die bei Inanspruchnahme des nach Nummer 1 bis 3 erforderlichen Transportmittels entstanden wären.


Mit der Formulierung „auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten“ bezieht sich § 60 Abs. 3 SGB V offensichtlich auf das gesamte Bundesreisekostengesetz als Grundlage für die Festsetzung, insbesondere heißt es nicht „... auf Grund des § 5 Abs. 1 Satz 1 des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten ...“. Damit ist zunächst jede Regelung im Bundesreisekostengesetz in Betracht zu ziehen, welche Wegstreckenentschädigung für private Kfz festlegt, also auch der gesamte § 5 BRKG. Der hier relevante Teil besteht somit zunächst zumindest aus den ersten beiden Absätzen des § 5 BRKG und lautet also.

1) Für Fahrten mit anderen als den in § 4 genannten Beförderungsmitteln wird eine Wegstreckenentschädigung gewährt. Sie beträgt bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen motorbetriebenen Fahrzeuges 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke, höchstens jedoch 130 Euro. Die oberste Bundesbehörde kann den Höchstbetrag auf 150 Euro festsetzen, wenn dienstliche Gründe dies im Einzelfall oder allgemein erfordern.

(2) Besteht an der Benutzung eines Kraftwagens ein erhebliches dienstliches Interesse, beträgt die Wegstreckenentschädigung 30 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke. Das erhebliche dienstliche Interesse muss vor Antritt der Dienstreise in der Anordnung oder Genehmigung schriftlich oder elektronisch festgestellt werden.


Es sind demnach zunächst offensichtlich zwei Kilometerpauschalen, nämlich 20 Cent und 30 Cent möglich. Auf dieser Grundlage ist nun durch Anwendung der weiteren einschlägigen Normen eine Auswahl zu treffen.

Wählt man das althergebrachte, dem Wortlaut entsprechende und vom Petenten geforderte Verfahren, die Verwendung der Bezeichnung „Höchstbetrag“ als lex specialis zu deuten, so kommt hier diese ohne Weiteres zur Anwendung und als Kilometerpauschale ergibt sich somit der Höchstbetrag aus 20 Cent und 30 Cent, also 30 Cent.

Ignoriert man diese Vorgabe aus § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V, so stellt sich die Frage, wie überhaupt weiter vorzugehen ist, denn es wäre nun nach dem Wortlaut des § 5 BRKG zu ermitteln, ob ein erhebliches dienstliches Interesse oder lediglich eine gewöhnliches dienstliches Interesse vorliegt. Da es sich bei der zu beurteilenden Krankenfahrt jedoch nicht um eine Dienstfahrt handelt, es insbesondere schon eines Dienstherrn und eines dienstlichen Zwecks ermangelt, ist nicht ohne Weiteres klar, wer dies und nach welchen Kriterien entscheiden soll. Wie bereits in der Begründung der Petition dargelegt und wie das Bundesministerium hier selbst nochmal vorführt besteht die derzeitige „Lösung“ dieses Auslegungsproblems darin, sich nicht mit diesem zu befassen, indem § 5 Abs. 2 BRKG kommentarlos als nicht existent behandelt wird. Dies benachteiligt Kranke gegenüber Bediensteten, da bei letzteren immerhin noch in manchen Fällen eine Erstattung in Höhe von 30 Cent möglich ist.

Würde der Versicherte konsequent analog zu einem Bediensteten behandelt, indem die Krankenkasse analog zu den reisekostenrechtlichen Vorschriften über das Vorliegen eines erheblichen Interesses an der Benutzung eines Kfz entscheidet, so würde dies im Übrigen voraussichtlich ebenfalls zu einem Erstattungsbetrag von 30 Cent führen, denn nach 5.2.2 BRKGVwV liegt ein erhebliches dienstliches Interesse vor, wenn ein Dienstgeschäft sonst nicht durchgeführt werden kann oder das Kfz nach Sinn und Zweck eines Dienstgeschäfts notwendig ist und ein Dienstkraftfahrzeug nicht zur Verfügung steht, insbesondere wenn das Dienstgeschäft bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden Beförderungsmittels nicht durchgeführt werden kann oder ein solches nicht zur Verfügung steht. Dies dürfte als erfüllt anzusehen sein, wenn ein Kfz erforderlich ist und nur in diesen Fällen kommt nach § 60 Abs. 3 SGB V überhaupt eine Wegstreckenentschädigung in Frage.

Erst im letzten Absatz der Seite 2 befasst sich das Bundesministerium für Gesundheit direkt mit dem Anliegen des Beschwerdeführers.

Soweit vom Petenten angemerkt wird, dass die Höhe der Wegstreckenentschädigung von 20 Cent je gefahrenen Kilometer nicht angemessen sei, ist zu berücksichtigen, dass der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel der Vorrang einzuräumen ist.

Wie dargelegt bezieht sich die Petition einzig darauf, den Rechtsanspruch von Versicherten, die Anspruch auf Fahrkostenerstattung als Höchstbetrag nach § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V für ein privates Kfz haben, festzulegen und zwar nicht seinem Umfang, sondern nur der Höhe nach. Einen wirksamen Anspruch auf Fahrkostenerstattung nach § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V für ein privates Kfz haben Versicherte aufgrund der Einschränkung „... höchstens jedoch die Kosten, die bei Inanspruchnahme des nach Nummer 1 bis 3 erforderlichen Transportmittels entstanden wären.“ aus § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V indes nur, wenn das private Kfz als Transportmittel erforderlich ist, denn sofern beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden können, und dies günstiger ist als die Erstattung des Höchstbetrags aus dem Bundesreisekostengesetz, wird in jedem Fall nur der geringere Betrag für das öffentliche Verkehrsmittel erstattet, unabhängig vom tatsächlich verwendeten Transportmittel. In diesen Fällen wirkt sich also die vom Kläger vorgeschlagene Klarstellung überhaupt nicht aus. Es verbleiben somit, soweit ein öffentliches Verkehrsmittel günstiger wäre, nur mehr die Fälle, in denen ein Kfz erforderlich ist, nur diese können von der vorgeschlagenen Änderung profitieren. In diesen Fällen kann jedoch der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel kein wie immer gearteter Vorrang eingeräumt werden, da diese kein geeignetes Transportmittel sind und somit überhaupt nicht in Frage kommen, sondern eben ein privates Kfz erforderlich ist.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

So lag der Überarbeitung des BRKG im Jahre 2005 unter anderem die Zielsetzung zugrunde, Anreize zur Wahl umweltverträglicher Verkehrsmittel und zu umweltgerechtem Verhalten im Verkehr zu setzen (Bundesrats-Drucksache: 16/05, Seite 1).

Anreize zu einer bestimmten Wahl können nur gegeben werden, wenn überhaupt eine Wahl zwischen verschiedenen Alternativen möglich ist. In den vorliegend vor allem interessierenden Fällen, dass ein privates Kfz erforderlich ist, ist gerade keine Wahl des Versicherten möglich. Ist es dem Versicherten möglich ein öffentliches Verkehrsmittel zu wählen, so werden ohnehin höchstens dessen Kosten erstattet. Die Petition betrifft Versicherte nicht, die aus eigenem Entschluss ein privates Kfz benutzen, obgleich ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt werden könnte, wenn ein öffentliches Verkehrsmittel günstiger für die Krankenkasse ist.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Die mangelnde Kostendeckung des Betrages ist, wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 1. Juli 2010 (Az.: 6 PB 7/10) entschieden hat, auch gerechtfertigt.

Zunächst ist die Meinung eines Gerichts vorliegend schon deswegen von untergeordneter Bedeutung, weil der Petent ein Wort des Gesetzgebers begehrt und dessen Wille nach Art. 20 Abs. 3 GG die Gerichte bindet. Die Entscheidung 6 PB 7.10 des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.07.2010 ist außerdem deswegen dem Ansinnen des Petenten nicht entgegengerichtet, weil es sich dort um die Beurteilung einer tatsächlichen Dienstfahrt handelt und das Bundesverwaltungsgericht zudem in Abs. 26 ausdrücklich ausführt

Anders liegt es, wenn die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ausscheidet und die zugunsten des Personalratsmitgliedes eingreifenden Regelungen in § 5 Abs. 1 BRKG eine auch nur annähernd kostendeckende Erstattung nicht zulassen. In solchen Fällen hält die "große Wegstreckenentschädigung" nach § 5 Abs. 2 BRKG eine Regelung bereit, die bei sachgerechter Anwendung im Einklang mit dem Benachteiligungsverbot des § 8 BPersVG sicherstellt, dass der Beschäftigte nicht mit Kosten belastet bleibt, die er bei ordnungsgemäßer Wahrnehmung seines Personalratsmandats nicht vermeiden kann (vgl. Beschluss vom 12. November 2009 a.a.O. Rn. 19).

Das Bundesverwaltungsgericht hält die Unterdeckung also in dem Zusammenhang für gerechtfertigt, dass Bediensteten der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel generell tatsächlich möglich ist und dass in den Fällen, in denen dies nicht möglich ist, eine Erstattung in Höhe von 30 Cent gewährt werden kann und bei korrekter Anwendung auch zu gewähren ist.

Wie dargelegt garantiert im Falle der Krankenfahrten bereits § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V, dass höhere Kosten für ein Kfz nicht übernommen werden, wenn dieses nicht erforderlich, sondern ein öffentliches Verkehrsmittel ausreichend ist. Die Petition ändert hieran nichts, sie versucht lediglich sicherzustellen, dass geschieht, was das Bundesverwaltungsgericht in Abs. 26 fordert, im Bereich der Krankenfahrten aber nicht realisiert ist: dass eine wenigstens annähernd kostendeckende Erstattung erfolgt, wenn die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ausscheidet.

Im Gegensatz zum Reisekostenrecht ist nach der derzeitigen Auslegung des Wortes „Höchstbetrag“ in § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V im Fall von Krankenfahrten keine Öffnungsklausel gegeben. Der Erstattungsbetrag von 30 Cent kommt nie zur Anwendung. Eine Möglichkeit, dass etwa die Krankenkasse nach Ermessen auch 30 Cent bewilligen könnte, gibt es nicht. Das Krankenversicherungsrecht ist an dieser Stelle defizitär und stellt den Versicherten deutlich schlechter als den Bediensteten. So bleibt der Versicherte mit Kosten belastet, die er nicht vermeiden kann. Dies selbst dann wenn er wegen geringen Einkommens und Vermögens überhaupt nicht in der Lage ist, die Kosten zumutbar selbst aufzubringen. Dieser Zustand ist schon aus rechts- und sozialstaatlichen Gründen bedenklich.

Das Bundesverwaltungsgericht ist für den Bereich des gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes nicht zuständig. Das zuständige Bundessozialgericht hat bereits entschieden, dass § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V für den Ausnahmefall des § 5 Abs. 2 Satz 2 BRKG „keinen Anwendungsraum bietet“ (B 1 KR 6/10 BH vom 21.05.2010, Abs. 6), das heißt eine Erstattung von 30 Cent statt 20 Cent ist nie möglich, auch nicht in begründeten Ausnahmefällen. Eine Änderung dahingehend, dass Kranke, die zwingend auf ein Kfz angewiesen sind, wenigstens annähernd die entstehenden Kosten erstattet bekommen, kann daher nur mehr durch Tätigwerden des Gesetzgebers erzielt werden. Eben dies begehrt der Petent.

Das Bundesministerium für Gesundheit teilt weiter mit

Wer in Ausübung der reisekostenrechtlichen Wahlfreiheit ein privates Kraftfahrzeug benutzt, obwohl die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel möglich und zumutbar ist, hat im Regelfall ein überwiegendes privates Interesse.

Der Petent weist nochmals darauf hin, dass in den Fällen, die durch seine Petition hauptsächlich betroffen sind, keine Wahlfreiheit besteht, da ein Kfz erforderlich ist. Dementsprechend besteht auch keine „reisekostenrechtlichen Wahlfreiheit“ und es ist auch kein Ausüben der – real nicht bestehenden – Freiheit möglich. Versicherte, die auf die Benutzung eines privaten Kfz angewiesen sind erleiden den in der Petitionsbegründung erläuterten (...) Vermögensschaden bis hin zum Verlust des Kfz.

Soweit das Bundesministerium für Gesundheit hier darauf abstellt, dass es auch Personen, die nur Anspruch auf die Kosten eines öffentlichen Verkehrsmittels haben, freisteht, ein Kfz zu benutzen, haben diese zusätzlich entstehende Kosten schon jetzt zu tragen. Hieran ändert sich durch Umsetzung der Petition nichts. Soweit also die Erstattung nach der Kilometerpauschale, die für die Benutzung des privaten Kfz zu zahlen wäre, schon jetzt höher ist, als die der Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels, kann hier kein Anreiz entstehen, ein privates Kfz statt eines öffentlichen Verkehrsmittels zu benutzen, da immer nur der niedrigere Betrag erstattet wird, hier also nach wie vor nur der Betrag für die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels erstattet wird, sich am Erstattungsbetrag also nichts ändert. Dieser ist auch nach Umsetzung der Petition ebenso wie bisher durch den Betrag, der für öffentliche Verkehrsmittel erstattet wird, gedeckelt.

Nur wenn ein Versicherter lediglich Anspruch auf die Kosten eines öffentlichen Verkehrsmittels hat, zugleich diese Kosten aber höher sind als die der Benutzung eines privates Kfz kann sich eine Erhöhung ergeben. Diese ist ihrerseits wieder durch den Betrag, der für öffentliche Verkehrsmittel erstattet wird, gedeckelt. Es ist also auch in diesem Fall gesichert, dass die Erstattung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel höher oder wenigstens gleich hoch, wie bei Benutzung eines Kfz ist. Insoweit also überhaupt eine Wahlfreiheit besteht, ist die Erstattung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel immer höher oder wenigstens gleich hoch wie bei Benutzung eines Kfz. Dies wird durch gesetzliche Vorgaben garantiert, die von der Petition nicht betroffen sind.

Nur für Personen, die eine Wahl haben und die dadurch, dass sie aufgrund eigener Wahl ein Kfz benutzen zugleich der gesetzlichen Krankenversicherung Kosten ersparen - oder im Grenzfall höchstens dieselben Kosten verursachen, wie bei Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels - kann sich also durch eine erhöhte Kilometerpauschale überhaupt ein Anreiz ergeben dieses Verhalten fortzusetzen oder ein solches Verhalten aufzunehmen. Ein Anreiz zur Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel kann hier also nur geschaffen werden, wenn gleichzeitig für die gesetzliche Krankenversicherung überhöhte Ausgaben in Kauf genommen werden. Hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu fördern, selbst wenn dies nur um den Preis höherer Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung zu erreichen ist, hätte er dies am einfachsten und effektivsten dadurch sicherstellen können, dass er nur die Kosten für das erforderliche und tatsächlich benutzte Transportmittel erstattet. Diese Änderung ist ihm nach wie vor und unabhängig von der vorliegenden Petition jederzeit möglich.

Das Bundesministerium für Gesundheit teilt weiter mit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Übernahme von Kosten für die Benutzung eines in § 60 Absatz 3 SGB V genannten Verkehrsmittels sichergestellt ist.

Dies ist falsch, denn in Fällen, in denen ein Kfz erforderlich ist, wird nur eine Erstattung von 20 Cent pro Kilometer geleistet. Dies dürfte für nahezu alle marktüblichen Kfz unzureichend sein (laut http://www.adac.de/infotestrat/autodatenbank/autokosten/autokosten-rechner/default.aspx etwa Toyota iQ 1.0 ab 31,8 Cent, Toyota Aygo 1.0 ab 28,2 Cent, Skoda Citigo 1.0 Green tec Elegance ab 30,2 Cent, Fiat Panda 1.2 8V ab 31,4 Cent, Fiat 500 1.2 8V Start&Stopp Pop Star ab 33,8 Cent, KIA Picanto 1.0 Attract ab 28,2 Cent). Zudem widerspricht das Bundesministerium für Gesundheit hier der von ihm selbst gegebenen Lesart des von ihm angeführten Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine mangelnde Kostendeckung besteht.

Das Bundesministerium für Gesundheit teilt weiter mit

Der Versicherte hat mit Ausnahme gegebenenfalls zu tragender Zuzahlungen, die auch bei der Nutzung eines privaten Kraftfahrzeuges anfallen, hinsichtlich der in den Nummern 1 bis 3 genannten Verkehrsmittel, keine finanziellen Lasten zu tragen.

Das ist ersichtlich falsch. Der Versicherte der auf ein Kfz angewiesen ist, hat zusätzlich zu den Zuzahlungen die Kosten pro Kilometer zu tragen, die sich als Differenz seiner tatsächlich notwendigen Ausgaben pro Kilometer abzüglich lediglich 20 Cent Fahrtkostenerstattung ergeben. Wie oben dargelegt, ist selbst unter günstigsten Annahmen davon auszugehen, dass die tatsächlichen Kosten diese 20 Cent deutlich überschreiten. Eine Obergrenze für die zusätzlichen Kosten existiert nicht, sie können also auch ruinös sein.

Das Bundesministerium für Gesundheit teilt weiter mit

Soweit sich eine mangelnde Kostendeckung bei der Erstattung der Kosten ergibt, die bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeuges nach § 60 Absatz 3 Nummer 4 anfallen, sind die zum Bundesreisekostengesetz genannten Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

Es erschließt sich nicht, auf welche Fälle das Bundesministerium für Gesundheit abstellt, wenn es nunmehr einräumt, was es soeben noch bestritten hatte: dass eine Unterdeckung bestehen kann. Mit dem Hinweis auf „zum Bundesreisekostengesetz genannten Gesichtspunkte“ will das Bundesministerium für Gesundheit vermutlich auf seine Darlegung, es solle die Wahl eines öffentlichen Verkehrsmittels statt eine privaten Kfz gefördert werden, hinweisen. Es bleibt dem Petenten nur, abermals darauf hinzuweisen, dass vorliegend nicht nur die reisekostenrechtlichen, sondern auch die krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften zu beachten sind, nach denen die Erstattungshöhe ohnehin auf die Kosten eines öffentlichen Verkehrsmittels gedeckelt ist, sofern dieses ausreichend ist. Übersteigende Kosten durch Benutzung eines privaten Kfz werden von der gesetzlichen Krankenversicherung nur erstattet, wenn dessen Benutzung erforderlich ist. Daran ändert sich durch die Petition nichts.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Petition, im Fall des Erfolgs, keinerlei Auswirkungen auf die Unterdeckung hat, die möglicherweise entsteht, wenn ein Versicherter, für dessen Transport lediglich ein öffentliches Verkehrsmittel erforderlich ist, dennoch aus eigenem Entschluss ein privates Kfz benutzt, denn in diesen Fällen kommt der Höchstbetrag ohnehin nicht zum Tragen. Diese aus eigener Wahlfreiheit entstehende Differenz trägt der Versicherte nach wie vor selbst. Die Differenz um die es hier geht ist nicht die zwischen den Kosten eines öffentlichen Verkehrsmittels und den Kosten eines Kfz, sondern die zwischen 20 Cent und 30 Cent, also 10 Cent pro Kilometer. Hier können bei häufigen Behandlungen in großer Entfernung, etwa wenn ein Dialysepatient aus dem ländlichen Raum dreimal in der Woche zur Dialyse und zurück fährt, erhebliche Summen entstehen, die insbesondere Menschen der unteren Einkommensschichten überfordern.

Obwohl sie im ersten Satz zutreffend die sächliche Änderung, die sich aus einer Umsetzung der Petition ergibt, wiedergibt, ist aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Stellungnahme zweifelhaft, dass das Bundesministerium für Gesundheit Art, Wirkung und Umfang der Petition vollumfänglich erfasst hat. Da sich aus der Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit keine nachvollziehbaren Gründe ergeben, warum die Petition, so sie sach- und rechtsfehlerfrei bewertet würde, aussichtslos wäre, hält der Petent sie aufrecht und bittet, sie nochmals zu überdenken. Er bittet eine Abschrift dieses Schreibens dem Bundesministerium für Gesundheit zu übersenden und diesem die Gelegenheit zu weiterer Stellungnahme zu geben. Er bittet um Mitteilung der Entscheidung des Petitionsausschusses.

06.11.2013 Schreiben des Bundesministerium für Gesundheit

Bundesministerium
für Gesundheit

Gesetzliche Krankenversicherung - Leistungen

Eingabe des ... vom 4. Juli 2013


Hier: Ergänzende Äußerung vom 1. Oktober 2013

Zu der o. a. Eingabe nehme ich wie folgt Stellung:

Der Petent fordert, die Wegstreckenentschädigung für die Nutzung eines privaten PKW für
Fahrten zu ambulanten Behandlungen von 20 auf 30 Eurocent zu erhöhen.

In diesem Zusammenhang wird zunächst auf unser Schreiben vom 30. August 2013 verwiesen.

Ergänzend ist Folgendes anzumerken: Die vom Petenten angesprochene Höhe der
Erstattungsbeträge im Falle der Benutzung eines privaten Fahrzeugs bemisst sich nach § 60
Absatz 3 Nr. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Hierin erfolgt eine Anknüpfung an das
Bundesreisekostengesetz (BRKG). Der somit einschlägige § 5 Absatz 1 Satz 2 BRKG sieht eine
Wegeentschädigung von 20 Eurocent je gefahrenem Kilometer vor. Die vom Petenten
gewünschte Möglichkeit einer darüber hinausgehenden Kostenerstattung besteht indes nicht.

Insbesondere ist nach derzeitiger Rechtslage der vom Petenten angesprochene Rückgriff auf § 5
Absatz 2 BRKG, der einen Erstattungsbetrag von 30 Eurocent je gefahrenem Kilometer vorsieht,
nicht möglich. Dies stellte jüngst das Bundessozialgericht klar, das eine sich hiergegen wendende
Revision nicht zur Entscheidung annahm (BSG, Beschluss vom 21. Mai 2010 - B 1 KR 6/10 BH).

Darin bestätigte das Gericht explizit, dass es den Krankenkassen verwehrt ist, aus
Billigkeitsgesichtspunkten im Einzelfall auf § 5 Absatz 2 BRKG zurückzugreifen. Zur Begründung
führte es aus, dass nach derzeitiger Rechtslage eine entsprechend enge Auslegung der Norm

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allgemein anerkannt sei. Zudem böten die insoweit maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialen
auch keinen Raum für eine anderweitige Interpretation der Vorschrift, da in diesen ebenfalls nur
auf den damals geltenden § 6 Absatz 1 Satz 1 BRKG verwiesen werde (vgl. BT-Drs. 12/3608, S. 82
f.) Dieser entspricht dem heutigen § 5 Absatz 1 BRKG.

Abschließend sei angemerkt, dass die gegen diesen Beschluss erhobene Verfassungsbeschwerde
vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen wurde (BVerfG, Beschluss
vom 28. September 2010 - 1 BvR 1484/10). Auch aus grundgesetzlicher Sicht bestehen gegen die
Regelungen damit keine Bedenken, so dass eine Änderung des § 60 SGB V insoweit nicht
angezeigt ist.

19.11.2013 Schreiben des Ausschussdienstes

Deutscher Bundestag
Referat Pet 2

Sehr geehrter Herr ...,

beigefügt übersende ich Ihnen eine weitere, zu Ihrer Eingabe an-
geforderte Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesund-
heit vom 06.11.2013 mit der Bitte um Kenntnisnahme.

Der Ausschussdienst des Petitionsausschusses, dem die Aus-
arbeitung von Vorschlagen für den Ausschuss obliegt, hat das
von Ihnen vorgetragene Anliegen erneut geprüft und in diese
Prüfung die beigefügte Stellungnahme einbezogen.

Auch nach erneuter Prüfung aller Gesichtspunkte kommt der
Ausschussdienst zu dem Ergebnis, dass Ihre Petition nicht den
gewünschten Erfolg haben wird. Diese Auffassung stützt sich
insbesondere auf die in der Stellungnahme des Fachministe-
riums schlüssig dargelegte Begründung, weshalb eine Gesetzes-
änderung im Sinne Ihres Anliegens nicht in Aussicht gestellt
werden kann.

Einwendungen gegen diese Bewertung können Sie innerhalb von
sechs Wochen mitteilen. Nach Ablauf dieser Zeit wird den Abge-
ordneten des Petitionsausschusses vorgeschlagen, das Petitions-
verfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen
werden kann. Folgen der Ausschuss und das Plenum des Deut-
schen Bundestages diesem Vorschlag, erhalten Sie keinen weite-
ren Bescheid.

03.12.2013 Stellungnahme zum Schreiben des Bundesministerium für Gesundheit vom 06.11.2013

Sehr geehrte Damen und Herren,

zu Ihrem oben genannten Schreiben beziehungsweise dem mit diesem übersandten Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 06.11.2013 erhebe ich folgende Einwendungen:

Zunächst ist erneut klarzustellen, dass der Petent keine Gesetzesänderung fordert. Er fordert weder eine Änderung des Bundesreisekostengesetzes noch des § 60 oder 92 SGB V. Er fordert auch keine Änderung der untergesetzlichen Krankentransport-Richtlinen. Vielmehr fordert er, dass klargestellt wird, dass wieder verstärkt auf den Wortlaut abzustellen ist, insbesondere, dass zu berücksichtigen ist, dass die Norm auf den „Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung“ verweist, nicht etwa auf den „Betrag für Wegstreckenentschädigung“ oder den „Betrag für Wegstreckenentschädigung ausschließlich nach § 5 Abs. 1 BRKG“.

Im Einzelnen nimmt der Petent zum Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit wie folgt Stelllung:

Das Bundesministerium für Gesundheit behauptet

Der Petent fordert, die Wegstreckenentschädigung für die Nutzung eines privaten PKW für Fahrten zu ambulanten Behandlungen von 20 auf 30 Eurocent zu erhöhen.

Dies ist nur teilweise zutreffend. Würde dem Begehren des Petenten entsprochen, würde dies nicht zu einer Verpflichtung der Krankenkassen führen, in jedem Fall, in dem ein privates Kraftfahrzeug benutzt wird, eine Kilometerpauschale von 30 Cent zu erstatten. Dies ist nämlich nicht der der Fall, wenn die Kosten, die bei Inanspruchnahme des erforderlichen Transportmittels entstanden wären, niedriger sind. Somit greift die Erstattungserhöhung höchstens dann, wenn ein privates Kraftfahrzeug oder ein noch teureres Transportmittel erforderlich ist. Dies ergibt sich direkt aus § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V, der durch die Petition unangetastet bleibt.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Die vom Petenten angesprochene Höhe der Erstattungsbeträge im Falle der Benutzung eines privaten Fahrzeugs bemisst sich nach § 60 Absatz 3 Nr. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Hierin erfolgt eine Anknüpfung an das Bundesreisekostengesetz (BRKG).

Dies ist zutreffend und zwar erfolgt die Anknüpfung ausdrücklich per Verweis auf den „auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag“.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Der somit einschlägige § 5 Absatz 1 Satz 2 BRKG sieht eine Wegeentschädigung von 20 Eurocent je gefahrenem Kilometer vor.

Soweit das Bundesministerium für Gesundheit mit dem Bezug „somit“ auf den vorhergehenden Satz aussagen will, dass die Anknüpfung an das Bundesreisekostengesetz bereits begründet, dass nur § 5 Absatz 1 Satz 2 BRKG einschlägig sein könne, ist dies nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, weil der Wortlaut der Bezugnahme eben gerade nicht nur auf diesen Teil des Bundesreisekostengesetzes geht, sondern auf den „auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag“. Eine Einschränkung auf einzelne Paragraphen des Bundesreisekostengesetzes oder gar einzelne Absätze hierin als Grundlage zur Ermittlung des Höchstbetrags sieht der Wortlaut gerade nicht vor.

Soweit der Deutsche Bundestag sich dem Begehren des Petenten verweigern sollte, würde es dieser allerdings für sinnvoll halten, ersatzweise den Wortlaut des § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V dahingehend zu ändern, dass dieser zukünftig Bezug nimmt auf den „Betrag für Wegstreckenentschädigung ausschließlich nach § 5 Abs. 1 BRKG“. Damit wäre auch bei Ablehnung der Petition zumindest der Normenklarheit gedient.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Insbesondere ist nach derzeitiger Rechtslage der vom Petenten angesprochene Rückgriff auf § 5 Absatz 2 BRKG, der einen Erstattungsbetrag von 30 Eurocent je gefahrenem Kilometer vorsieht, nicht möglich. Dies stellte jüngst das Bundessozialgericht klar, das eine sich hiergegen wendende Revision nicht zur Entscheidung annahm (BSG, Beschluss vom 21. Mai 2010 – B 1 KR 6/10 BH). Darin bestätigte das Gericht explizit, dass es den Krankenkassen verwehrt ist, aus Billigkeitsgesichtspunkten im Einzelfall auf § 5 Absatz 2 BRKG zurückzugreifen.

Diese Darlegung ist im Ergebnis korrekt, wiewohl es sich bei dem bezeichneten Beschluss um die Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags handelt, da diese Ablehnung wegen Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Beschwerde erfolgte. Es ergibt sich somit, dass es nicht etwa ohne Weiteres aus dem Wortlaut der einschlägigen Normen ersichtlich ist, dass nur 20 Cent erstattet werden, sondern dass dies maßgebend auf eine Entscheidung der Rechtsprechung zurückzuführen ist.

Dementsprechend begehrt der Petent auch keine Änderung einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Norm, sondern eine Klarstellung durch den Deutschen Bundestag in seiner Rolle als Gesetzgeber, die die bisherige Auslegung der Normen durch das Bundessozialgericht unterbindet und die Auslegung stattdessen zurückführt zum Wortlaut der Normen.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Zur Begründung führte es aus, dass nach derzeitiger Rechtslage eine entsprechend enge Auslegung der Norm allgemein anerkannt sei.

Der Petent hat bereits in seiner Petition vom 04.07.2013 ab Seite 4, Zeile 1 Stellung zu den Ausführungen des Bundessozialgerichts genommen. Leider geht das Bundesministerium für Gesundheit auf diese Darlegungen nicht ein.

Damit, dass das Bundesministerium für Gesundheit ausführt, das Bundessozialgericht sei der Ansicht, dass die „Auslegung der Norm allgemein anerkannt“ sei, stellt es vermutlich auf die Ausführung des Gerichts ab, dass eine Revisionszulassung auch bei Nichtvorliegen höchstrichterlicher Rechtsprechung ausscheide, wenn die Antwort auf die Rechtsfrage „so gut wie unbestritten ist“ oder „die Antwort von vorneherein praktisch außer Zweifel steht“. Zum ersten Nichtzulassungsgrund ist anzumerken, dass das Bundessozialgericht keinerlei Rechtsprechung anführt, die seine Auffassung bestätigt. Auch sonst ist dem Petenten keine Gerichtsentscheidung aus der Zeit vor dem 21.05.2010 bekannt außerhalb des durch B 1 KR 6/10 BH selbst bestimmten Instanzenzugs, die sich mit der Frage der Höhe der Kilometerpauschale nach § 60 SGB V befasst. Dass die Auffassung des Bundessozialgerichts „unbestritten“ ist, scheint demzufolge nicht etwa darauf zu beruhen, dass sich mit der Frage bereits eine Vielzahl von Gerichten befasst hat und diese im Wesentlichen zum selben Ergebnis wie das Bundessozialgericht gekommen wären, sondern darauf, dass es nie eine Befassung mit der Frage und somit nie eine Möglichkeit zum Bestreiten der vom Bundessozialgericht favorisierten Antwort gegeben hat. Es handelt sich somit mutmaßlich um eine einsame ad hoc Entscheidung des Bundessozialgerichts. Zum zweiten Nichtzulassungsgrund fehlt es an jeder Darlegung, warum eine Abweichung vom Wortlaut der Vorschrift hier nicht nur möglich, sondern sogar unausweichlich sein soll.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Zudem böten die insoweit maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien auch keinen Raum für eine anderweitige Interpretation der Vorschrift, da in diesen ebenfalls nur auf den damals geltenden § 6 Absatz 1 Satz 1 BRKG verwiesen werde (vgl. BT-Drs. 12/3608, S. 82 f.) Dieser entspricht dem heutigen § 5 Absatz 1 BRKG.

Zu den entsprechenden Ausführungen des Bundessozialgerichts hat der Petent bereits in seiner Petition vom 04.07.2013 ab Seite 5, Zeile 7 Stellung genommen. Leider geht das Bundesministerium für Gesundheit auf diese Darlegungen nicht ein. Es ist schlicht nicht ersichtlich, wie das Bundessozialgericht hier überhaupt argumentiert, da es nur unter Benennung der Bundesdrucksache eine Behauptung aufstellt, ohne dass ein argumentativer Zusammenhang zwischen der in Bezug genommenen Drucksache und der gezogenen Folgerung dargelegt oder erkennbar wäre. Es ist insbesondere nach wie vor nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Bezeichnung „Höchstbetrag“ gedankenlos verwandt hat oder dass er mit der Einführung einer Dynamisierung beabsichtigte die Fahrkostenpauschale in den Fällen, in denen ein privates Kraftfahrzeug erforderlich ist, zu reduzieren.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Abschließend sei angemerkt, dass die gegen diesen Beschluss erhobene Verfassungsbeschwerde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen wurde (BVerfG, Beschluss vom 28. September 2010 - 1 BvR 1484/10). Auch aus grundgesetzlicher Sicht bestehen gegen die Regelungen damit keine Bedenken, so dass eine Änderung des § 60 SGB V insoweit nicht angezeigt ist.

Das Bundesministerium für Gesundheit verkennt die Aussagekraft einer nicht zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerde. Alleine dass eine gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde ohne Erfolg bleibt, belegt nicht, dass die dem Verfahren zugrundeliegenden Normen oder Rechtsauslegungen des Gerichts verfassungskonform wären. Verfassungsbeschwerden können aus vielfältige Gründen bis hin zu reinen Formalia wie beispielsweise nicht oder zu spät übersandter vollständiger Unterlagen, unvollständigen Vortrags oder Nichterschöpfung anderer Abhilfemöglichkeiten scheitern. Insoweit bedürfte es einer Darlegung durch das Bundesministerium für Gesundheit, warum vorliegend aus der Entscheidung 1 BvR 1484/10 folgt, dass die Regelung und ihre Auslegung keinen Verfassungsbedenken begegnen.

Im Übrigen ist es auch nicht notwendig, dass die Normen oder Rechtsauslegungen verfassungswidrig wären, damit dem Begehren des Petenten entsprochen werden kann, denn dem Deutschen Bundestag steht es zu, auch nicht verfassungswidrige Normen abzuändern und auch nicht verfassungswidrige Rechtsauslegungen der Gerichte für obsolet zu erklären. Letzteres begehrt der Petent. Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob zusätzlich aus „grundgesetzlicher Sicht“ Änderungsbedarf besteht.

In seinem Schreiben vom 19.11.2013 führt der Petitionsausschuss aus

Auch nach erneuter Prüfung aller Gesichtspunkte kommt der Ausschussdienst zu dem Ergebnis, dass Ihre Petition nicht den gewünschten Erfolg haben wird. Diese Auffassung stützt sich insbesondere auf die in der Stellungnahme des Fachministeriums schlüssig dargelegte Begründung, weshalb eine Gesetzesänderung im Sinne Ihres Anliegens nicht in Aussicht gestellt werden kann.

Dies greift jedoch ins Leere, denn der neuerlichen Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit ist keinerlei Empfehlung für das weitere Vorgehen zu entnehmen, insbesondere behauptet das Bundesministerium für Gesundheit nicht, der Petition könne oder solle nicht entsprochen werden. Das Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit gibt lediglich einen, im im oben dargelegten Umfang teilweise zutreffenden, teilweise unzutreffenden Kommentar zur Rechtslage ab, ohne eine ausdrückliche Empfehlung in die eine oder andere Richtung überhaupt auszusprechen, geschweige denn eine entsprechende Empfehlung zu begründen.

Zwar führt das Bundesministerium für Gesundheit aus

Insbesondere ist nach derzeitiger Rechtslage der vom Petenten angesprochene Rückgriff auf § 5 Absatz 2 BRKG, der einen Erstattungsbetrag von 30 Eurocent je gefahrenem Kilometer vorsieht, nicht möglich.

und dies wird vom Petenten auch nicht bestritten. Jedoch ist gerade dies der Anlass für die Petition. Wäre die derzeitige Rechtslage so, dass 30 Cent erstattet werden könnten, wäre die Petition in ihrer vorliegenden Form unnötig, da dann jeder betroffene Bürger durch Anrufung der Gerichte selbst auf Abhilfe dringen kann. Da dem jedoch nicht so ist, ist ein Wort des Gesetzgebers, welches die Rechtslage ändert, erforderlich. Der Petent ist der Auffassung, dass sein Vorschlag, insoweit er ohne eine Gesetzesänderung auskommt die mildeste und insoweit er die Normenklarheit wieder herstellt zugleich konsequenteste Variante darstellt, dem Missstand abzuhelfen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die neuerliche Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit ausschließlich mit formellen Rechtsgründen beschäftigt, die darlegen, wie die derzeitige Lage ist. Rechtliche oder inhaltliche Gründe die gegen die Petition sprechen führt das Bundesministerium für Gesundheit nicht mehr an. Auch scheint es von seiner bisherigen Ansicht im Schreiben vom 30.08.2013, Seite 3 abgerückt zu seine, dass die derzeit gewährte Pauschale kostendeckend sei, da es auf die vom Petenten aufgezeigte Fehlerhaftigkeit dieser Auffassung nicht weiter eingeht. Es führt jedoch nicht aus, ob und gegebenenfalls warum es diesen Zustand für hinnehmbar hält oder wie seiner Ansicht nach diesem abgeholfen werden könnte.

Das Bundesministerium für Gesundheit geht nicht auf die inhaltliche Darlegung des Petenten ein, dass und warum die begehrte Klarstellung aus rechts- wie sozialstaatlichen Gründen wünschenswert ist. Da sich somit auch unter Berücksichtigung der zweiten Stellungnahme keine nachvollziehbaren Gründe ergeben, warum die Petition, so sie sach- und rechtsfehlerfrei bewertet wird, aussichtslos wäre, hält der Petent sie aufrecht und bittet, sie nochmals zu überdenken. Er bittet eine Abschrift dieses Schreibens dem Bundesministerium für Gesundheit zu übersenden und diesem die Gelegenheit zu weiterer Stellungnahme zu geben. Da das Bundesministerium für Gesundheit mit seiner Wiedergabe des Beschlusses B 1 KR 6/10 BH des Bundessozialgerichts vom 21.05.2010 möglicherweise beabsichtigt, sich inhaltlich auf diesen zu stützen, sowie aufgrund der dargelegten Unklarheiten in der Begründung dieses Beschlusses, bittet der Petent, dem Bundessozialgericht eine Abschrift der Petitionsakte zu übersenden und diesem die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Er bittet um Mitteilung der Entscheidung des Petitionsausschusses.

25.09.2014 Beschlussempfehlung

- 144 -

Gesetzliche Krankenversicherung

— Leistungen —

Beschlussempfehlung

Das Petitionsverfahren abzuschließen

Begründung

Der Petent fordert eine Klarstellung, wonach für Krankenfahrten die höchste im Bun-
desreisekostengesetz genannte Kilometerpauschale maßgebend ist.

Die Petition betrifft die Wegstreckenentschädigung für die Nutzung eines privaten
Pkw für Fahrten zu ambulanten Behandlungen, die von 20 auf 30 Eurocent zu erhö-
hen sei.

Zu den Einzelheiten des Vortrags des Petenten wird auf die von ihm eingereichten
Unterlagen verwiesen.

Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung stellt sich auf der Grundlage von Stel-
lungnahmen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) wie folgt dar:

Der Petitionsausschuss weist auf die ausführliche erläuternde Stellungnahme des
BMG vom 30.08.2013 hin, welche er inhaltlich unterstützt. Sie ist dem Petenten be-
reits im Rahmen des Petitionsverfahrens übersandt worden. Zur Vermeidung von
Wiederholungen verweist der Petitionsausschuss auf diese Ausführungen.

Mit ergänzendem Vortrag verfolgt der Petent sein Anliegen weiter. Der Petitions-
ausschuss verweist insoweit auf die dem Petenten übersandte zweite Stellungnahme
des BMG vom 06.11.2013, die der Petitionsausschuss inhaltlich unterstützt.

Im Übrigen weist der Petitionsausschuss auf Folgendes hin:

§ 60 (Fahrkosten) Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V bestimmt, die
Krankenkasse übernimmt nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten ein-
schließlich der Transporte nach § 133 (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit
einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig
sind. Welches Fahrzeug benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen
Notwendigkeit im Einzelfall. Die Krankenkasse übernimmt Fahrkosten. zu einer am-
bulanten Behandlung unter Abzug des sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrages
nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemein-
same Bundesausschuss in den Richtlinien festgelegt.hat.

Nach § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V werden als Fahrkosten anerkannt bei Benutzung ei-
nes privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer der jeweils aufgrund des
Bundesreisekostengesetzes festgesetzte Höchstbeitrag für Wegstrecken-
entschädigung, höchstens jedoch die Kosten, die bei Inanspruchnahme des nach Nr.
1 bis 3 erforderlichen Transportmittels entstanden wären.

Der Petitionsausschuss verweist insoweit wie bereits das BMG auf den Beschluss
des Bundessozialgerichts vom 21.05.2010, B 1 KR 6/10 BH, nach dem die "Ver-
weisungsregelung in § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V hinsichtlich der Höhe der Weg-
streckenentschädigung bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für den Aus-
nahmefall des § 5 Abs.2 Satz 2 Bundesreisekostengesetz bezüglich erhöhter Weg-
streckenentschädigung, sofern ein erhebliches dienstliches Interesse an der Benutz-
ungleines Kraftwagens besteht, keinen Anwendungsraum bietet."

Eine erhöhte Wegstreckenentschädigung von 30 Cent je Kilometer, wie mit der Peti-
tion gefordert, kommt daher nach der ausdrücklichen Entscheidung des BSG nicht in
Betracht.

Die gegen diesen Beschluss erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundes-
verfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom
28.09.2010 - 1 BvR 1484/10).

Das BSG bestätigte damit die Vorinstanz (Bayerisches Landessozialgericht), die in
ihrem Urteil (17.11.2009, L 5 KR 187/08) ausführte: "Schließlich kann der Kläger kei-
ne höhere als die Fahrtkostenpauschale von 20 Cent pro gefahrenen Kilometer wie
von der Beklagten erstattet erhalten. Dieses ist gemäß § 5 Bundesreisekostengesetz
der regelmäßige Erstattungsbetrag, auf welchen § 60 Abs. 3 SGB V Bezug nimmt.
Der höhere Erstattungsbetrag von 30 Cent ist für die Regelungen des SGB V nicht
zugänglich, weil sich dieser ausschließlich auf dienstliche Erfordernisse bezieht, die
nur mit Besonderheiten des Reisekostenrechtes des öffentlichen Dienstes zu be-
gründen sind"...

Für diese Auslegung spricht im Übrigen bereits der Wortlaut des § 5 Abs. 2 Satz 2
Bundesreisekostengesetz, wonach das erhebliche dienstliche Interesse vor Antritt
der Dienstreise in der Anordnung oder Genehmigung schriftlich oder elektronisch
festgestellt werden muss.

Vor dem Hintergrund des Dargelegten vermag der Petitionsausschuss ein weiteres
Tätigwerden nicht in Aussicht zu stellen und empfiehlt daher, das Petitionsverfahren
abzuschließen.

Anfrage vom 09.10.2014

... ich danke für die Übersendung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses zur oben genannten Petition. Interessant ist für mich vor allem, dass darin ein weiteres Argument aufgeführt wird, welches mir bislang nicht bekannt war. Nämlich heißt es im vorletzten Absatz der Beschlussempfehlung

Für diese Auslegung spricht im Übrigen bereits der Wortlaut des § 5 Abs. 2 Satz 2 Bundesreisekostengesetz, wonach das erhebliche dienstliche Interesse vor Antritt der Dienstreise in der Anordnung oder Genehmigung schriftlich oder elektronisch festgestellt werden muss.

Ich wäre daher an weiteren Informationen hierzu interessiert und bitte daher gemäß § 1 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (IFG) um Aktenauskunft zu allen Unterlagen, Stellungnahmen, Protokollen, Akten des Ausschussdienstes und dergleichen die bei der Erstellungen der Beschlussempfehlung herangezogen wurden oder diese in sonstiger Weise betreffen, soweit mir diese noch nicht bekannt sind und soweit die Auskunft nicht gesetzlich ausgeschlossen ist. Es handelt sich meines Erachtens um eine einfache Auskunft für welche somit nach § 10 IFG keine Gebühren anfallen sollten. Sollte die Auskunft Ihrer Meinung nach gebührenpflichtig sein, bitte ich, mir dies vorab mitzuteilen und dabei die Höhe der Kosten anzugeben. Natürlich sind mir auch Erläuterungen außerhalb der förmlichen Akteneinsicht willkommen, falls der Petitionsausschuss oder ein Mitarbeiter oder Mitglied desselben von sich aus solche abzugeben wünscht.

Um Missverständnissen vorzubeugen erlaube ich mir, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass mir bekannt ist, dass das Petitionsverfahren abgeschlossen ist; die Nachfrage ist kein Teil des Petitionsverfahrens und dient nur meiner sonstigen Information. Das Aktenzeichen der erledigten Petition habe ich angegeben, um Ihnen die Zuordnung des Vorgangs zu erleichtern.

Bescheid vom 06.11.2014
Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG)

Sehr geehrter Herr ...,

mit Ihrem an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages
adressierten Schreiben vom 9. Oktober 2014 baten Sie unter Be—
zugnahme auf das IFG um weitere Ausführungen hinsichtlich
des vorletzten Satzes des Ihnen übersandten Beschlusses des
Deutschen Bundestages vom 25. September 2014. Sie beantragten
in diesem Zusammenhang den Zugang zu den Petitionsakten
Ihrer Petition (Pet 2-17-15-8271-052556), insbesondere zu allen
Unterlagen, Stellungnahmen, Protokollen und Akten des Aus-
schussdienstes.

Ihrem Antrag kann auf Grundlage des IFG nicht entsprochen
werden.

Begründung:

Das IFG ist auf die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deut-
schen Bundestages nicht anwendbar.

Der Deutsche Bundestag ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 IFG zur Ge—
währung des Zugangs zu amtlichen Informationen verpflichtet,
soweit er Öffentlich—rechtliche Verwaltungsaufgaben wahr—
nimmt. Nach der Gesetzesbegründung bleibt der spezifische Be-
reich der Wahrnehmung parlamentarischer Angelegenheiten von
der Anwendung des IFG ausgenommen (vgl. Rossi, IFG-Kom—
mentar, 5 1 Rn. 33 ff). Hierzu gehört insbesondere auch der Be-
reich der Petitionen (vgl. Bundestags—Drucksache 15/4493, S. 8).

Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages handelt auf—
grund der Regelungen der Art. 17 und 45 c Grundgesetz (GG). Er
erfüllt dabei keine öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgaben,
sondern Aufgaben, die er als Teil des Verfassungsorgans Deut—
scher Bundestag wahrzunehmen hat. Dabei überprüft der Petiti—

Seite 2

onsausschuss aufgrund der verfassungsrechtlichen Regelungen
die Tätigkeit der Verwaltung.

Bei der Tätigkeit des Petitionsausschusses handelt es sich somit
um die Wahrnehmung verfassungsrechtlicher Aufgaben. Dies
wurde von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bestä-
tigt (vgl. zuletzt VG Berlin, Urteil vom 24. April 2013,
Az.: 2 K 63.12). Auch die Bundesbeauftragte für den Datenschutz
und die Informationsfreiheit (BfDI) vertritt unter Punkt 5.1.4 des
Tätigkeitsberichts zur Informationsfreiheit für die Iahre 2010 und
2011 diese Auffassung (vgl. Bundestags-Drucksache 17/9100,
S. 46).

Sie haben daher gegenüber dem Petitionsausschuss des Deut—
schen Bundestages gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 IFG keinen Anspruch
auf Zugang zu den von Ihnen begehrten Unterlagen.

Bundestags-Drucksache 18/4990 vom 09.06.2015, Seiten 70 und 71

2.12.4 Wegstreckenentschädigung für Pkw-Fahrten zu ambulanten Behandlungen
Mit dieser Petition wurde gefordert, die Wegstreckenentschädigung für die Nutzung eines privaten Pkw für
Fahrten zu ambulanten Behandlungen von 20 auf 30 Cent zu erhöhen.
Der Petitionsausschuss verwies auf die Regelung zu den Fahrkosten in § 60 Absatz 1 des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch (SGB V). Dieser bestimmt, dass die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für
Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 SGB V übernimmt, wenn die Fahrten im Zusammenhang mit
einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Welches Fahrzeug
benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall. Die Krankenkasse
übernimmt Fahrkosten zu einer ambulanten Behandlung nur in besonderen Ausnahmefällen, die der
Gemeinsame Bundesausschuss in
seinen Richtlinien festgelegt hat. Für die Übernahme der Fahrkosten ist eine
vorherige Genehmigung erforderlich. Von den Fahrkosten abgezogen wird der zuzahlungsbetrag nach § 61
Satz 1 SGB V. Bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs wird nach der Regelung zu den Fahrkosten in § 60
Absatz 3 Nummer 4 SGB V für jeden gefahrenen Kilometer der jeweils aufgrund des Bundesreisekosten-
gesetzes festgesetzte Höchstbeitrag für Wegstreckenentschädigung anerkannt, es werden jedoch höchstens die
Kosten anerkannt, die bei Inanspruchnahme des nach § 60 Absatz 3 Nummer 1 bis 3 SGB V erforderlichen
Transportmittels entstanden wären.

Der Petitionsausschuss verwies wie bereits das BMG auf den Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom
21. Mai 2010, B 1 KR 6/10 BH, nach dem die „Verweisungsregelung in § 60 Absatz 3 Nummer 4 SGB V
hinsichtlich der Höhe der Wegstreckenentschädigung bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für den
Ausnahmefall des § 5 Absatz 2 Satz 2 Bundesreisekostengesetz bezüglich erhöhter Wegstreckenentschädigung,
sofern ein erhebliches dienstliches Interesse an der Benutzung eines Kraftwagens besteht, keinen
Anwendungsraum bietet."
Die in der Petition geforderte erhöhte Wegstreckenentschädigung von 30 Cent je Kilometer kommt daher nach
der ausdrücklichen Entscheidung des BSG nicht in Betracht. Die gegen diesen Beschluss erhobene
Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen
(Beschluss vom 28. September 2010 - 1 BvR 1484/10).
Das BSG bestätigte damit die Vorinstanz (Bayerisches Landessozialgericht), die in ihrem Urteil (17. November
2009 - L 5 KR 187/08) ausführte: „Schließlich kann der Kläger keine höhere als die Fahrtkostenpauschale von
20 Cent pro gefahrenen Kilometer wie von der Beklagten erstattet erhalten. Dieses ist gemäß § 5 Bundes-
reisekostengesetz der regelmäßige Erstattungsbetrag, auf welchen § 60 Absatz 3 SGB V Bezug nimmt. Der
höhere Erstattungsbetrag von 30 Cent ist für die Regelungen des SGB V nicht zugänglich, weil sich dieser
ausschließlich auf dienstliche Erfordernisse bezieht, die nur mit Besonderheiten des Reisekostenrechtes des
öffentlichen Dienstes zu begründen sind..."
Für diese Auslegung spricht im Übrigen bereits der Wortlaut des § 5 Absatz 2 Satz 2 des Bundesreise-
kostengesetzes, wonach das erhebliche dienstliche Interesse vor Antritt der Dienstreise in der Anordnung oder
Genehmigung schriftlich oder elektronisch festgestellt werden muss.
Vor dem Hintergrund des Dargelegten empfahl der Petitionsausschuss, das Petitionsverfahren abzuschließen,
weil dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte.

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Mittwoch, 20. Mai 2015
Vergabepraxis von Betreuungsplätzen in Einrichtungen freier Träger
Gekürzte Chronologie
der Petition Pet 3-18-17-2165-18257
Vergabepraxis von Betreuungsplätzen in Einrichtungen freier Träger

20.03.2015 Kurzfassung der Petition

Petition 58089 an den Deutschen Bundestag (mit der Bitte um Veröffentlichung) vom 20.03.2015

Kinder- und Jugendhilfe - Vergabepraxis von Betreuungsplätzen in Einrichtungen freier Träger

Wortlaut der Petition

Der Deutsche Bundestag möge, gegebenenfalls durch eine Gesetzesänderung, wirksame Vorkehr treffen, dass
es bei der Vergabe von Betreuungsplätzen in Einrichtungen jeglicher Träger, insbesondere auch jeglicher
freier Träger nicht zu Diskriminierungen, insbesondere nicht aufgrund rein glaubensbasierter Vorgaben
kommt. Die Begründung nimmt Bezug auf die Sachverhaltsdarstellung in der Petition 45587 „Kinder- und
Jugendhilfe - Vergabepraxis von Betreuungsplätzen in konfessionellen Einrichtungen".


Begründung

Eine betroffene Mutter legte dar, dass ihr in KITAs freier, in ihrem konkreten Fall konfessioneller Träger,
gesagt wurde, dass ihre Kinder keine Chance auf Plätze hätten, da sie nicht getauft sind. Sie führte weitere,
gleichartige Erfahrungen von Personen aus ihrem Umfeld an. Mit der genannten Petition hatte die Petentin
beantragt, der Deutsche Bundestag möge die Rolle der Konfession bei der Vergabepraxis von
Betreuungsplätzen in konfessionellen Einrichtungen überprüfen.

Der Deutsche Bundestag hat beschlossen, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht
entsprochen werden könne. Zur Begründung hat der Petitionsausschuss im Wesentlichen ausgeführt, dass sich
die Petentin auf konfessionelle Träger bezieht, der Petitionsausschuss aber eine Einschränkung der
Trägerautonomie nur für diese nicht unterstütze. Obwohl die Petentin nicht ausdrücklich verlangt hatte, dass
die Regelungen für andere Träger unangetastet bleiben, sondern diese nur nicht ausdrücklich für auch möglich
erklärte, hat der Petitionsausschuss das Anliegen implizit so interpretiert als wäre eine Sondereinschränkung
nur für konfessionelle Träger begehrt. Bei dieser Interpretation ist die ablehnende Haltung nicht
verwunderlich.

Durch die Nichtweiterbefassung verbleibt es jedoch beim von der Petentin bemängelten Zustand, dass Kinder
aufgrund einer an ihnen vollzogenen reinen Kulthandlung beziehungsweise des Fehlens einer solchen, bei der
Vergabe von regelmäßig in erheblichem Umfang öffentlich finanziell geförderten Betreuungsplätzen
systematisch benachteiligt werden. Das trifft für konfessionelle Einrichtungen sicher zu und mag in ähnlicher
Weise auch für andere freie Träger zutreffen. Der jetzige Petent hält diesen Zustand für nicht erstrebenswert
und im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung für bedenklich und zwar
unabhängig davon bei welchen freien Trägern solche Benachteiligungen auftreten mögen. Die Erfüllung des
Anspruchs nach § 24 SGB VIII ist staatlicherseits zu garantieren, sie muss daher zwingend
diskriminierungsfrei sein, auch wenn sich der Staat – was ihm ja freisteht – freier Träger als Gehilfen bedient.
Der Petent macht sich daher das Begehren der Petentin zu eigen, indes mit der wesentlichen Modifikation,
dass er ausdrücklich fordert sämtliche freien Träger gleichermaßen zu verpflichten.

Anregungen für die Forendiskussion

Für Ansätze, welche Normen sinnvollerweise angepasst werden könnten, verweist der Petent auf die bereits
abgeschlossene Petition, hebt allerdings ausdrücklich hervor, dass dies nicht von vorneherein andere oder
weitere Anpassungen ausschließen soll, wenn diese im Hinblick auf die formulierten Ziele zweckmäßig
erscheinen. Insbesondere schließt der Petent auch weitere Folgeänderungen des SGB VIII oder anderer
Normengefüge ausdrücklich nicht von vornherein aus, soweit solche erforderlich sein sollten.

Als konkrete Möglichkeit käme etwa eine Verankerung im SGB VIII, Zweites Kapitel, Zweiter Abschnitt und
Drittes Kapitel, Zweiter Abschnitt in Frage, die die Zulassung der Träger und deren (Teil-)Finanzierung aus
öffentlichen Mitteln an eine entsprechende Selbstverpflichtungserklärung bindet, deren Einlösung kontrolliert
und Verletzung sanktioniert wird und ein Diskriminierungsverbot, das notfalls von Betroffenen mit
Rechtsmitteln durchsetzbar ist.

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LSG BAY, L 5 KR 381/09 B PKH vom 09.11.2009, Bayerisches Landessozialgericht
L 5 KR 381/09 B PKH
S 2 KR 296/08

BAYERISCHES LANDESSOZIALGERICHT

In dem Beschwerdeverfahren

- Kläger und Beschwerdeführer -

gegen

Krankenkasse,

— Beklagte und Beschwerdegegnerin -

wegen Prozesskostenhilfe

erlässt der 5. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in München
am 9. November 2009

ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landes—
sozialgericht Mayer sowie den Richter am Bayer. Landessozialgericht Rittweger

und die Richterin am Bayer. Landessozialgericht Körner folgenden
Beschluss:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschlüss des Sozialgerichts Regens—
burg vom 09.09.2009 Wird zurückgewiesen.

-2— L 5 KR 381/09 B PKH

Gründe:

Der Kläger begehrt in der Hauptsache Kostenerstattung in der Vergangenheit angefalle-
ner sowie die Feststellung der Erstattungspflicht der Beklagten- künftig entstehender
Parkgebühren anlässlich medizinischer Behandlungen. insoweit hat der Kläger am
08.10.2008 Prozesskostenhilfe beantragt. Diese hat das Sozialgericht mit Beschluss vom
09.09.2009 mangels Erfolgsaussicht abgelehnt.

Die form— und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, gem §§ 172, 173, 73a So—
zialgerichtsgesetz (SGG) IVm § 127 Abs 2 S 2 Zivilprozessordnung (ZPO), aber unbe-
gründet.

Wie aus dem Beschluss des Senates vom 07.10.2009 - L 5 KR 9/09 B PKH und den dor-
tigen weiteren NachWeisen ersichtlich ist, besteht für den Kläger die grundsätzliche Be—
rechtigung, durch die DGB Rechtsschutz GmbH Regensburg, Richard-Wagner-Str. 2„
93055 Regensburg in sozialgerichtlichen Verfahren vertreten zu werden. Diese Berechti—
gung genügt, um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (BSG SozR 3-1500
§ 73a Nr. 4). Denn hätte ein mittelloses Gewerkschaftsmitglied die Wahl zwischen kosten-
losem gewerkschaftlichem Rechtsschutz und der Beiordnung eines frei gewählten
Rechtsanwaltes, so stünde es besser als ein Beteiligter, der über genügend Mittel zur
Prozeßführung. durch einen Rechtsanwalt verfügt. Dieser Beteiligte würde in aller Regel
verständigerweise aus wirtschaftlichen Gründen das Kostenrisiko meiden und sich regel—
mäßig für kostenlosen Rechtsschutz durch einen Verbandsvertreter entscheiden. Es be—
steht deshalb kein Grund, dem finanziell minderbemittelten Beteiligten aus staatlichen Mit—
teln die Wahlfreiheit zu finanzieren, die der bemittelte Beteiligte verständigerweise nicht in
Anspruch nähme.

Die Beschwerde des Klägers bleibt somit allein aus diesem Grund ohne Erfolg. Dieser
Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Faksimile 1 2

Hauptverfahren S 2 KR 296/08 vom 18.02.2010

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SG R, S 2 KR 296/08 vom 09.09.2009, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 296/08

SOZIALGERICHT REGENSBURG

ln dem Rechtsstreit

- Kläger -
Proz.-Bev.:

gegen

-Krankenkasse‚

- Beklagte -

erlässt die Vorsitzende der 2. Kammer, Richterin am Sozialgericht G, ohne
mündliche Verhandlung am 9. September 2009 folgenden

Beschluss:

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

- 2 — S 2 KR 296/08

Gründe:

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seinen Rechtsstreit gegen die Beklagte.
Streitgegenstand des zu Grunde liegenden Rechtsstreites ist, ob die Beklagte in
der Gestalt tätig bzw. untätig war, als dass sie nicht beschieden hat, ob und wa-
rum dem Kläger die nach § 43 Abs. 1 SGB I beantragte Leistung gewährt bezie-
hungsweise versagt wird.

Mit Schreiben vom 08.05.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstat-
tung von im April 2007 angefallenen Fahrtkosten, woraufhin die Beklagte mit Be-
scheid vom 08.05.2007 mitteilte, dass die geltend gemachten Fahrtkosten teilwei-
se erstattet werden könnten; Kosten für die Taxifahrt am 26.04.2007 könnten je-
doch nicht übernommen werden, da die diesbezügliche Behandlung bei Dr. S
nicht im Zusammenhang mit der Dialyse gestanden hätte.

Dagegen legte der Kläger mit Schriftsatz vom 15.05.2007 Widerspruch ein, wobei
er ausführte, dass die Praxis Dr. S und Dr. P wegen der Praxiszeiten
nur an einem dialysefreien Tag aufgesucht werden könne, wodurch zusätzliche
Fahrkosten anfallen würden. Zugleich beantragte er, die Leistung als vorläufige
Leistung gemäß § 43 SGB I zu erbringen.

Mit Bescheid vom 24.05.2007 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass
kein anderer Leistungsträger für die begehrte Leistung zuständig sei, weswegen
§ 43 SGB l nicht einschlägig sei.

Mit Schreiben vom 07.07.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstat-
tung von im Juni 2007 angefallenen Fahrtkosten, wobei er auch einen Antrag auf
vorläufige Leistungsgewährung nach § 43 SGB I stellte.

— 3 — S 2 KR 296/08

Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22.08.2007 mit, dass
im Falle des Klägers nur die Fahrten im Zusammenhang mit der Dialyse erstat-
tungsfähigseien; angesichts dessen könnten die Krankenfahrten am 26.04.2007
und 28.06.2007 zur ambulanten Behandlung nicht erstattet werden.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 04.09.2007 Widerspruch ein. Zur
Begründung führte er aus, dass er aufgrund seiner Gesundheitsstörungen auch zu
den übrigen Behandlungsmaßnahmen und Kontrolluntersuchungen außerhalb der
Dialyse aus zwingenden medizinischen Gründe nur per Taxi erscheinen könne,
wobei er eine entsprechende ärztliche Bescheinigung von Dr. L vom
07.09.2007 und ein ärztliches Attest von Dr. S vom 18.09.2007 beifügte.
Der Seitens der Beklagten befasste Medizinische Dienst der Krankenversicherung
(MDK) führte in zwei Stellungnahmen nach Aktenlage vom 13.11.2007 und
27.11.2007 aus, dass beim Kläger zwar die Mobilität beeinträchtigt sei, allerdings
keine hohe Behandlungsfrequenz von dreimal pro Woche vorliegen würde, wes-
wegen die Voraussetzungen für die Kostenerstattung der Fahrtkosten durch die
gesetzliche Krankenversicherung nicht erfüllt seien. Darüber hinaus läge beim
Kläger keine vergleichbare Beeinträchtigung der Mobilität analog den Merkzeichen
"aG, "Bl "‚ "H" beziehungsweise der Pflegestufen II oder III und keine Behandlung
über einen längeren Zeitraum vor.

Dementsprechend wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Wider-
spruchsbescheid vom 05.02.2008 zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid wurde seitens des Klägers kein Rechtsbehelf
eingelegt.

Mit Klage vom 18.10.2008, beim Sozialgericht Regensburg am 20.10.2008 einge-
gangen, hat der Kläger Untätigkeitsklage gegen die Beklagte der Gestalt erhoben,
dass die Beklagte zu verurteilen sei, unverzüglich zu bescheiden, ob und warum
dem Kläger die in seinem Schreiben vom 15.05.2007 nach § 43 Abs. 1 SGB I be-
antragte Leistung gewährt beziehungsweise versagt wird. Zudem hat er einen An-
trag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt.

Die Beklagte hat beantragt, den Antrag abzulehnen.

- 4 — S 2 KR 296/08

Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass über den entsprechenden Antrag des
Klägers auf Erstattungvon Fahrtkosten längst - und zwar noch vor Erhebung der
Untätigkeitsklage — entschieden worden sei. Soweit der Kläger eine Auseinander-
setzung mit der Vorschrift des § 43 SGB I vermissen würde, beziehe er sich auf
sein Widerspruchsschreiben vom 15.05.2007. Die hiesige Klage sei als unzulässig
zurückzuweisen.

Das Gericht hat die Beklagtenakte, sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers
vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ferner die Akten des Sozialgerichts
Regensburg S 2KR 284/08, S 2 KR 175/09, S 2 KR 379/08 und S 2 KR 264/08
zum Verfahren beigezogen, auf deren lnhalt im Übrigen ergänzend Bezug ge—
nommen wird.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Nach § 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 114
S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil
oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beab—
sichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Er-
folg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Vorliegend scheidet die Gewährung von Prozesskostenhilfe schon deshalb aus,
weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, da für die Rechtsverfol-
gung nicht einmal eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit besteht, so dass es auf
die weiteren Voraussetzungen nicht ankommt. ln dem Zusammenhang hat die
Kammer auch verfassungsrechtliche Vorgaben (vor allem das Verbot überspann—
ter Anforderungen, um eine Rechtsschutzgleichheit zwischen bemittelten und un-
bemittelten Klägern zu gewährleisten (Art. 3, 20 lll, 19 lV GG)) berücksichtigt, da

- 5 - S 2 KR 296/08

die hier vorliegende Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung ohne
Schwierigkeiten beantwortet werden kann (vergleiche dazu Bundesverfassungs-
gericht, Beschluss vom 14.06.2006, Aktenzeichen 2 BVR 626/06) und eine Be-
weiserhebung nicht notwendig ist (vgl. Meyer—Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG,
9.Aufl.‚ § 73 a Rn. 7a).

Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Abs. 2 und 3
die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 (Fahrtkosten),
wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingen-
den medizinischen Gründen notwendig sind.

Die vorliegenden Anträge des Klägers vom 08.05.2007 und 07.07.2007 auf Über-
nahme der geltend gemachten Fahrtkosten hat die Beklagte mit Bescheiden vom
08.05.2007 und 22.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.02.2008 abgelehnt. Darüber hinaus hat die Beklagte dem Kläger mit Bescheid
vom 24.05.2007 mitgeteilt, dass auch kein anderer Leistungsträger für die begehr-
te Übernahme der Fahrtkosten zuständig sei, weswegen eine Leistungsgewäh-
rung nach § 43 SGB I ausscheide.

Vorliegend hat die Beklagte zur Überzeugung des Gerichts über die Anträge des
Klägers vom 08.05.2007 und 07.07.2007 durch die Bescheide vom 08.05.2007,
24.05.2007 und 22.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.02.2008 bestandskrätig entschieden, da gegen den Widerspruchsbescheid
vom 05.02.2008 keine Klage beziehungsweise verspätet — d.h. außerhalb der Mo-
natsfrist des § 87 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz - eingelegt wurde. Für eine Un-
tätigkeitsklage des Klägers (wie hier mit Klageschriftsatz vom 18.10.2008 begehrt)
ist daher kein Raum, da über die zwei Anträge des Klägers vom 08.05.2007 und
07.07.2007 auf Vornahme eines Verwaltungsaktes mit den oben genannten Ver-
waltungsakten sachlich beschieden worden ist. Die Voraussetzungen für eine Un-
tätigkeitsklage nach § 88 SGG sind daher nicht gegeben, so dass die vorliegende
Klage mangels Erfolgsaussicht als unzulässig abgewiesen werden müsste.

Sofern der Kläger vorträgt, dass über seinen Antrag nach § 43 SGB I (mit Wider-
spruchsschreiben vom 15.05.2007 und Antrag vom 07.07.2007) nicht entschieden
worden ist, ist auszuführen, dass die Beklagte mit Bescheid vom 24.05.2007 dem
Kläger mitgeteilt hat, dass kein anderer Leistungsträger für die begehrte Leistung
zuständig sei, so dass die Voraussetzungen des § 43 SGB l nicht vorliegen wür—

- 6 — S 2 KR 296/08

den. Damit hatte die Beklagte aber gerade auch — entgegen der Ausführungen des
Klägers — zum § 43 SGB I Stellung bezogen. Darüber hinaus hat sie durch die ge-
nannten Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2008
zum Ausdruck gebracht, dass kein Anspruch auf die begehrte Sozialleistung
"Fahrtkosten" besteht. Darüber hinaus handelt es sich bei § 43 Abs. 1 SGB I auch
nicht um eine Anspruchsgrundlage, auf die der Kläger sein Klagebegehren stützen
kann, sondern lediglich um eine Regelung der Gestalt, wer zur vorläufigen Leis-
tungsgewährung verpflichtet ist, wenn ein Anspruch auf Sozialleistung besteht und
zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist.
Vorliegend sind diese Voraussetzungen schon deshalb nicht erfüllt, da die Beklag-
te unstreitig für Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung zuständig ist, während
demgegenüber für diesen Regelungsbereich eine Zuständigkeit eines anderen
Sozialleistungsträgers nicht gegeben ist. Ihre entsprechende Zuständigkeit hat die
Beklagte auch durch die oben genannten Bescheide in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheides vom 05.02.2008 und zudem durch den Bescheid vom
24.05.2007 zum Ausdruck gebracht. Eine Untätigkeit der Beklagten im Sinne des
§ 88 SGG vermag das Gericht vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen. Für den
Kläger war durch die Bescheide vom 08.05 2007, 24.05.2007 und 22.08.2007 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2008 eindeutig erkennbar,
dass die Beklagte für die begehrte Leistung (Übernahme beziehungsweise Erstat—
tung der Fahrtkosten) der zuständige Leistungsträger ist.

Die vorliegende Untätigkeitsklage müsste daher als unzulässig abgewiesen wer-
den, so dass der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels Er-
folgsaussicht der Klage abzulehnen ist.

- 7 - S 2 KR 296/08

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist gemäß §§ 73a, 172 Abs. 1 SGG iVm § 127 Abs. 2 Satz
2 ZPO Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Beschwerde ist
binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Re-
gensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder zur Nieder-
schrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist
beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der
Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt,
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstel—
le eingelegt wird .‚

Die Vorsitzende der 2. Kammer

G
Richterin am Sozialgericht

Ausgefertigt - Beglaubigt
Sozialgericht Regensburg

Regensburg, den

als Urkundsbeamtin der Geschäfts-
stelle

Faksimile 1 2 3 4 5 6 7

L 5 KR 381/09 B PKH

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Montag, 18. Mai 2015
SG R, S 2 KR 296/08 vom 18.02.2010, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 296/08

SOZIALGERICHT REGENSBURG
GERICHTSBESCHEID

in dem Rechtsstreit

- Kläger -

gegen
-Krankenkasse,

20097 Hamburg - 003401/stö -
- Beklagte -

Untätigkeit

Die 2. Kammer des Sozialgerichts Regensburg erlässt durch ihre Vorsitzende, Richterin
am Sozialgericht G, am 18. Februar 2010 ohne mündliche Verhandlung folgenden

Gerichtsbescheid:

l. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 - S 2 KR 296/08

Tatbestand:

Streitgegenstand des Rechtsstreites ist, ob die Beklagte in der Gestalt untätig war,
als dass sie nicht beschieden hat, ob und warum dem Kläger die nach § 43 Abs. 1
SGB I beantragte Leistung gewährt beziehungsweise versagt wird.

Mit Schreiben vom 08.05.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstat-
tung von im April 2007 angefallenen Fahrtkosten, woraufhin die Beklagte mit Be-
scheid vom 08.05.2007 mitteilte, dass die geltend gemachten Fahrtkosten teilwei-
se erstattet werden könnten; Kosten für die Taxifahrt am 26.04.2007 könnten je—
doch nicht übernommen werden, da die diesbezügliche Behandlung bei Dr. S
nicht im Zusammenhang mit der Dialyse gestanden hätte.

Dagegen legte der Kläger mit Schriftsatz vom 15.05.2007 Widerspruch ein, wobei
er ausführte, dass die Praxis Dr. S und Dr. P wegen der Praxiszeiten
nur an einem dialysefreien Tag aufgesucht werden könne, wodurch zusätzliche
Fahrkosten anfallen würden. Zugleich beantragte er, die Leistung als vorläufige
Leistung gemäß § 43 SGB l zu erbringen.

Mit Bescheid vom 24.05.2007 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass
kein anderer Leistungsträger für die begehrte Leistung zuständig sei, weswegen §
43 SGB I nicht einschlägig sei.

Mit Schreiben vom 07.07.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstat-
tung von im Juni 2007 angefallenen Fahrtkosten, wobei er auch einen Antrag auf
vorläufige Leistungsgewährung nach § 43 SGB I stellte.

- 3 - S 2 KR 296/08

Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22.08.2007 mit, dass
im Falle des Klägers nur die Fahrten im Zusammenhang mit der Dialyse erstat—
tungsfähig seien; angesichts dessen könnten die Krankenfahrten am 26.04.2007
und 28.06.2007 zur ambulanten Behandlung nicht erstattet werden.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 04.09.2007 Widerspruch ein. Zur
Begründung führte er aus, dass er aufgrund seiner Gesundheitsstörungen auch zu
den übrigen Behandlungsmaßnahmen und Kontrolluntersuchungen außerhalb der
Dialyse aus zwingenden medizinischen Gründe nur per Taxi erscheinen könne,
wobei er eine entsprechende ärztliche Bescheinigung von Dr. L vom
07.09.2007 und ein ärztliches Attest von Dr. S vom 18.09.2007 beifügte.

Der seitens der Beklagten befasste Medizinische Dienst der Krankenversicherung
(MDK) führte in zwei Stellungnahmen nach Aktenlage vom 13.11.2007 und
27.11.2007 aus, dass beim Kläger zwar die Mobilität beeinträchtigt sei, allerdings
keine hohe Behandlungsfrequenz von dreimal pro Woche vorliegen würde, wes-
wegen die Voraussetzungen für die Kostenerstattung der Fahrtkosten durch die
gesetzliche Krankenversicherung nicht erfüllt seien. Darüber hinaus läge beim
Kläger keine vergleichbare Beeinträchtigung der Mobilität analog den Merkzeichen
"aG, "Bl ", "H" bzw. der Pflegestufen ll oder lll und keine Behandlung über einen
längeren Zeitraum vor.

Dementsprechend wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Wider-
spruchsbescheid vom 05.02.2008 unter Bezugnahme auf diese Ausführungen zu-
rück.

Gegen den Widerspruchsbescheid wurde seitens des Klägers kein Rechtsbehelf
eingelegt.

Mit Klage vom 18.10.2008, beim Sozialgericht Regensburg am 20.10.2008 einge-
gangen, hat der Kläger Untätigkeitsklage gegen die Beklagte der Gestalt erhoben,
dass die Beklagte zu verurteilen sei, unverzüglich zu bescheiden, ob und warum.
dem Kläger die in seinem Schreiben vom 15.05.2007 nach 5. 43 Abs. 1 SGB l be-
antragte Leistung gewährt beziehungsweise versagt wird. Zudem hat er einen An-

- 4 - S 2 KR 296/08

trag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt, der mittels Beschluss des
Sozialgerichts Regensburg vom 09.09.2009 abgelehnt wurde und die dagegen
eingelegte Beschwerde durch Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 09.11.2009 zurückgewiesen wurde.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, unverzüglich zu bescheiden, ob und warum dem
Kläger die in seinem Schreiben vom 15.05.2007 nach § 43 Abs. 1 SGB I be-
antragte Leistung gewährt bzw. versagt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass über den entsprechenden Antrag des
Klägers auf Erstattung von Fahrtkosten längst - und zwar noch vor Erhebung der
Untätigkeitsklage - entschieden worden sei. Soweit der Kläger eine Auseinander-
setzung mit der Vorschrift des § 43 SGB I vermisse, beziehe er sich auf sein Wi-
derspruchsschreiben vom 15.05.2007. Die hiesige Klage sei als unzulässig zu-
rückzuweisen.

Mit Schreiben vom 25.11.2009 hat das Gericht die Beteiligten zu der Absicht an—
gehört, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu
entscheiden und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11.12.2009 eingeräumt,
womit sich die Beklagte mit Schreiben vom 30.11.2009 und der Kläger mit Schrei-
ben vom 07.12.2009 einverstanden erklärt haben.

Das Gericht hat die Beklagtenakte sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers

- 5 - S 2 KR 296/08

vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ferner die Akten des Sozialgerichts
Regensburg S 2KR 284/08, S 2 KR 175/09, S 2 KR 379/08 und S 2 KR 264/08
zum Verfahren beigezogen, auf deren Inhalt im Übrigen ergänzend Bezug ge—
nommen wird.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschei-
den, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher hier—
zu gehört wurden (vgl. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die durch den Kläger mit Schriftsatz vom 18.10.2008 erhobene Untätigkeitsklage
ist unzulässig.

Die vorliegenden Anträge des Klägers vom 08.05.2007 und 07.07.2007 auf Über-
nahme der geltend gemachten Fahrtkosten hat die Beklagte mit Bescheiden vom
08.05.2007 und 22.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.02.2008 abgelehnt. Darüber hinaus hat die Beklagte dem Kläger mit Bescheid
vom 24.05.2007 mitgeteilt, dass auch kein anderer Leistungsträger für die begehr-
te Übernahme der Fahrtkosten zuständig sei, weswegen eine Leistungsgewäh—
rung nach § 43 SGB l ausscheide.

Vorliegend hat die Beklagte zur Überzeugung des Gerichts über die Anträge des
Klägers vom 08.05.2007 und 07.07.2007, durch die Bescheide vom 08.05.2007,
24.05.2007 und 22.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.02.2008 bestandskräftig entschieden, da gegen den Widerspruchsbescheid
vom 05.02.2008 keine Klage bzw. verspätet - d.h. außerhalb der Monatsfrist des §
87 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz — eingelegt wurde. Für eine Untätigkeitsklage
des Klägers (wie hier mit Klageschriftsatz vom 18.10.2008 begehrt) ist daher kein
Raum, da über die 2 Anträge des Klägers vom 08.05.2007 und 07.07.2007 auf
Vornahme eines Verwaltungsaktes mit den o.g. Verwaltungsakten sachlich be—
schieden worden ist. Die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage nach § 88
SGG sind daher nicht gegeben, so dass die vorliegende Klage abzuweisen ist.

— 6 — S 2 KR 296/08

Sofern der Kläger vorträgt, dass über seinen Antrag nach § 43 SGB I (mit Wider-
spruchsschreiben vom 15.05.2007 und Antrag vom 07.07.2007) nicht entschieden
worden sei, ist auszuführen, dass die Beklagte mit Bescheid vom 24.05.2007 dem
Kläger mitgeteilt hat,dass kein anderer Leistungsträger für die begehrte Leistung
zuständig sei, so dass die Voraussetzungen des § 43 SGB I nicht vorliegen. Damit
hat die Beklagte aber gerade auch — entgegen den Ausführungen des Klägers - zu
§ 43 SGB I Stellung bezogen. Darüber hinaus hat sie durch die genannten Be-
scheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2008 zum Aus-
druck gebracht, dass kein Anspruch auf die begehrte Sozialleistung "Fahrtkosten"
besteht. Ferner handelt es sich bei § 43 Abs. 1 SGB I auch nicht um eine An-
spruchsgrundlage, auf die der Kläger sein Klagebegehren stützen kann, sondern
lediglich um eine Regelung der Gestalt, wer zur vorläufigen Leistungsgewährung
verpflichtet ist, wenn ein Anspruch auf Sozialleistung besteht und zwischen meh—
reren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist. Vorliegend sind
diese Voraussetzungen schon deshalb nicht erfüllt, da die Beklagte unstreitig für
Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung zuständig ist, während demgegenüber
für diesen Regelungsbereich eine Zuständigkeit eines anderen Sozialleistungsträ-
gers nicht gegeben ist. Ihre entsprechende Zuständigkeit hat die Beklagte auch
durch die oben genannten Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 05.02.2008 und zudem durch den Bescheid vom 24.05.2007 zum Ausdruck
gebracht. Eine Untätigkeit der Beklagten im Sinne des § 88 SGG vermag das Ge—
richt vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen. Für den Kläger war durch die Be—
scheide vom 08.05.2007, 24.05.2007 und 22.08.2007 in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheides vom 05.02.2008 eindeutig erkennbar, dass die Beklagte für
die begehrte Leistung (Übernahme beziehungsweise Erstattung der Fahrtkosten)
der zuständige Leistungsträger ist.

Die Klage ist daher als unzulässig abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der
Sache.

- 7 - S 2 KR 296/08

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids
beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der
Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2,97421 Schweinfurt,
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstel—
Ie einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim
Sozialgericht Regensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder
mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt
wird.

Die Berufungsschrift soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen
bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden
Tatsachen und Beweismittel angeben.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die
übrigen Beteiligten beigefügt werden.

G
Richterin am Sozialgericht
/K.

Ausgefertigt Beglaubigt
Sozialgericht Regensburg


als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

Faksimile 1 2 3 4 5 6 7

L 5 KR 131/10 vom 28.06.2011

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Sonntag, 17. Mai 2015
LSG BAY, L 5 KR 382/09 B PKH vom 09.09.2009, Bayerisches Landessozialgericht
L 5 KR 382/09 B PKH
S 2 KR 379/08

BAYERISCHES LANDESSOZIALGERICHT

ln dem Beschwerdeverfahren

- Kläger und Beschwerdeführer -

gegen

-Krankenkasse,

- Beklagte und Beschwerdegegnerin —

wegen Prozesskostenhilfe

erlässt der 5. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in München

am 9. November 2009

ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialge—
richt M sowie den Richter am Bayer. Landessozialgericht R und die Richterin
am Bayer. Landessozialgericht K folgenden

Beschluss:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regens—
burg vom 09.09.2009 wird zurückgewiesen.

- 2 — L 5 KR 382/09 B PKH

Der Kläger begehrt in der Hauptsache eine vorherige Genehmigung für alle Fahrtkosten,
die bei Fahrten zu seinen ambulanten Behandlungen anfallen. Insoweit hat der Kläger am
16.12.2008 Prozesskostenhilfe beantragt. Diese hat das Sozialgericht mit Beschluss vom
09.09.2009 mangels Erfolgsaussicht abgelehnt.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, gem §§ 172, 173, 73a So-
zialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 127 Abs 2 S 2 Zivilprozessordnung (ZPO), aber unbe-
gründet.

Wie aus dem Beschluss des Senates vom 07.10.2009 - L 5 KR 9/09 B PKH und den dor-
tigen weiteren Nachweisen ersichtlich ist, besteht für den Kläger die grundsätzliche Be-
rechtigung, durch die DGB Rechtsschutz GmbH Regensburg, Richard—Wagner—Str. 2,
93055 Regensburgin sozialgerichtlichen Verfahren vertreten zu werden. Diese Berechti-
gung genügt, um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (BSG SozR 3—1500
§ 73a Nr. 4). Denn hätte ein mittelloses Gewerkschaftsmitglied die Wahl zwischen kosten—
losem gewerkschaftlichem Rechtsschutz und der Beiordnung eines frei gewählten
Rechtsanwaltes, so stünde es besser als ein Beteiligter, der über genügend Mittel zur
Prozessführung durch einen Rechtsanwalt Verfügt. Dieser Beteiligte würde in aller Regel
verständigerweise aus wirtschaftlichen Gründen das Kostenrisiko meiden und sich regel-
mäßig für kostenlosen Rechtsschutz durch einen Verbandsvertreter entscheiden. Es be-
steht deshalb kein Grund, dem finanziell minderbemittelten Beteiligten aus staatlichen Mit-
teln die Wahlfreiheit zu finanzieren, die der bemittelte Beteiligte verständigerweise nicht in
Anspruch nähme.

Die Beschwerde des Klägers bleibt somit allein aus diesem Grund ohne Erfolg.

—3— L 5 KR 382/09 B PKH

Nach § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

Eine Kostenentscheidung ist daher nicht erforderlich.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

N K R

Faksimile 1 2 3

Hauptverfahren S 2 KR 379/08

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SG LA, S 1O SO 13/08 vom 23.04.2009, Sozialgerichte Landshut
S 10 SO 13/08

SOZIALGERICHT LANDSHUT
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

in dem Rechtsstreit

A.‚ A-Straße, A-Stadt
— Kläger —

gegen

Bezirk Niederbayern, Sozialverwaltung‚ vertreten durch den Bezirkstagspräsidenten
Gestütstraße 10, 84028 Landshut
— Beklagte -

B e i g e l a d e n :

1. Landkreis Passau, -—Sozialverwaltung—‚

— Beigeladener -

2. DAK

— Beigeladene -

Streitigkeiten nach dem SGB Xll (Sozialhilfe)

Die 10. Kammer des Sozialgerichts Landshut hat auf die mündliche Verhandlung in
Passau

am 23. April 2009
durch den Richter am Sozialgericht B als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen
Richter S und M
für Recht erkannt:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

—2— S10 SO 13/08

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob dem Kläger gegen den Beklagten ein Anspruch auf
Übernahme von Betriebskosten für sein Kraftfahrzeug in Höhe von monatlich 50,00 Euro
als Leistung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zusteht.

Der 1934 geborene Kläger ist schwerbehindert. Nach dem Schwerbehindertenausweis
vom 01.07.2005 betrug der Grad der Behinderung 80; außerdem sind die Merkzeichen G,
aG und B eingetragen (Bl. 7 der Beklagtenakte). Er lebt mit seiner 1941 geborenen Ehe-
frau zusammen; beide beziehen Altersrenten und ergänzende Leistungen der Grundsi-
cherung im Alter von dem Beigeladenen zu 1. (Bl. 11 — 15, 77 — 80 der Beklagtenakte).

Am 23.10.2006 beantragte der Kläger bei dem Beklagten einen Zuschuss zu den monatli-
chen Betriebskosten seines Kraftfahrzeugs. Er legte die Kopie des Fahrzeugscheins vor;
aus dieser ergibt sich, dass es sich um einen PKW der Marke Mazda handelt, der erst-
mals 1996 zugelassen wurde (Bl. 10 der Beklagtenakte). Der Beklagte holte eine Stel-
lungnahme des Landratsamtes Passau — Gesundheitsamt - ein. Dieses teilteunter dem
08.11.2006 mit, der Kläger habe 1998 eine Kniescheibenfraktur rechts erlitten. Als Folge
sei eine vollkommene Versteifung des rechten Kniegelenks in Streckhaltung aufgetreten.
Er benutze außer Haus zwei Gehstöcke, mit denen er nur kurze Wegstrecken zurückle-
gen könne. Die Ehefrau des Klägers leide an intermittierendem Asthma bronchiale. Des-
wegen könne sie nicht über längere Strecken schwer heben und tragen. Sie besitze kei-
nen Führerschein. Beide Eheleute seien auf die regelmäßige Benutzung und Verfügbar-
keit eines Kraftfahrzeugs angewiesen. Dieses werde in erster Linie für Einkaufsfahrten
sowie für Arztbesuche und Krankengymnastiktermine venNendet. Zusätzlich dienten die
Fahrten der Aufrechterhaltung des sozialen Lebens (Bl. 30 f. der Beklagtenakte).

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 13.02.2007 ab. Der Kläger sei wegen
Art und Schwere seiner Behinderung zum Zweck seiner Teilnahmeam Leben in der Ge-
meinschaft gelegentlich auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen. Überwie-
gend und vorrangig werde das Kraftfahrzeug jedoch für Arzt-‚ Therapie- und Einkaufsfahr-
ten genutzt. Diese Lebensbereiche seien im Rahmen der Kraftfahrzeughilfe für Schwer-
behinderte nicht berücksichtigungsfähig (Bl. 35 f. der Beklagtenakte).

-3- S 10 SO 13/08

l\/lit Schreiben vom 15.02.2007, bei dem Beklagten eingegangen am 16.02.2007, erhob
der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 13.02.2007 (Bl. 37 der Beklagtenakte).
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger benötige das Fahrzeug auch regelmäßig
für Fahrten im Zusammenhang mit Freizeitaktivitäten. Diese nähmen seine Ehefrau und
er 10 - 12 mal im Monat wahr. Ab 24.04.2007 sei ihm ein Grad der Behinderung von 100
zugebilligt worden (Bl. 47 f, 58 und 60 der Beklagtenakte).

Die Regierung von Niederbayern wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
04.02.2008 zurück. Auf die Begründung des Widerspruchsbescheides wird verwiesen.

Am 26.02.2008 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Landshut. Er benötige sein
Kraftfahrzeug ständig in allen Lebensbereichen. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel
sei ihm nicht zuzumuten. Den Sonderfahrdienst für Behinderte könneer nicht in Anspruch
nehmen, weil dieser nur für Personen zur Verfügung stehe, die kein eigenes Fahrzeug
besäßen. In der mündlichen Verhandlung am 23.04.2009 stellte der Kläger folgenden
Antrag:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 13.02.2007 und des Wi-
derspruchsbescheides vom 04.02.2008 verurteilt, Betriebskosten des Kraftfahrzeugs
des Klägers in Höhe von monatlich 50,00 Euro zu übernehmen.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Er verteidigte die angegriffenen Bescheide und führte aus, Kosten für Arzt- und Therapie-
fahrten fielen in die vorrangige Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2. als zuständiger
Krankenkasse. Auch Einkaufsfahrten seien nicht berücksichtigungsfähig, weil diesbezüg-
liche Leistungen der Grundsicherung im Alter zuzuordnen seien, für die der Beigeladene
zu 1. zuständig sei. Der Kläger benötige sein Fahrzeug daher allenfalls gelegentlich, z. B.
für Besuchsfahrten und für Fahrten zu Veranstaltungen. Nach den Kfz- Empfehlungen sei
damit allenfalls die Bezuschussung eines notwendigen behindertengerechten Umbaus

eines Kraftfahrzeugs bzw. ein Zuschuss für die Kosten eines Automatikgetriebes möglich.

-4- S 1O SO 13/08

In der mündlichen Verhandlung am 23.04.2009 erklärte der Vertreter des Beigeladenen
zu 1., der Kläger und seine Ehefrau erhielten gegenwärtig auf der Grundlage von 5 28
Abs. 1 Satz 2 SGB Xll einen Aufstockungsbetrag in Höhe von monatlich insgesamt 31,00
Euro. Dieser Betrag sei für eine Haushaltshilfe im Umfang von vier Stunden pro Monat zu
je 7,75 Euro bestimmt. Jeweils die Hälfte des Betrages werde dem Kläger und seiner
Ehefrau zugerechnet. Der Kläger habe einen Antrag auf Erhöhung dieses Betrages ge-
stellt; der Beigeladene zu 1. sei bereit, den gegenwärtig gewährten Aufstockungsbetrag
zu verdoppeln. Der Fahrdienst für Behinderte könne in der Tat nur in Anspruch genom-
men werden, wenn im Haushalt kein fahrbereites Fahrzeug vorhanden sei oder wenn
niemand im Haushalt in der Lage sei, ein Fahrzeug zu führen. Im Übrigen wird auf die
Niederschrift vom 23.04.2009 verwiesen.

Am 27.03.2008 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Übernahme von Kosten für
die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs sowie für notwendige Reparaturen und ggf. Aus-
tauschteile (BI. 104 der Beklagtenakte). Der Beklagte teilte dem Kläger unter dem
31.03.2008 und nochmals unter dem 10.06.2008 mit, über diese Anträge werde erst nach
Abschluss des vorliegenden Klageverfahrens entschieden (BI. 108, 117 der Beklagtenak-
te).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die bei-
gezogene Akte des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers sind die §§ 53 Abs. 1 Satz 1 und
54 Abs. 1 Satz 1 SGB Xll i.V.m. § 10 Abs. 6 EinglH-VO heranzuziehen. Diese Vorschrif-
ten regeln die hierin Betracht kommende Eingliederungshilfe für behinderte Menschen.
Der Kläger gehört zu diesem Personenkreis; entgegenstehende Anhaltspunkte sind nicht
ersichtlich und wurden auch von dem Beklagten nicht vorgetragen.

-5- S 10 SO 13/08

Einschlägig ist damit § 10 Abs. 6 EingIH-VO. Diese Verordnung beruht auf der Verord-
nungsermächtigung in § 60 SGB XII, wonach u.a. Bestimmungen über Art und Umfang
der Leistungen der Eingliederungshilfe durch Verordnung erlassen werden können. § 10
EingIH-VO regelt den Umfang der Versorgung mit Körperersatzstücken, orthopädischen
oder anderen Hilfsmitteln. Nach § 10 Abs. 6 EingIH-VO kann als Versorgung Hilfe in an-
gemessenem Umfange auch zur Erlangung der Fahrerlaubnis, zur Instandhaltung sowie
durch Übernahme von Betriebskosten eines Kraftfahrzeuges gewährt werden, wenn der
behinderte Mensch wegen seiner Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines
Kraftfahrzeuges angewiesen ist oder angewiesen sein wird.

Vorliegend sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 6 EingIH-VO nicht
gegeben. Der Kläger bedarf nicht der regelmäßigen Benutzung eines Kraftfahrzeugs.

1. Das Tatbestandsmerkmal „regelmäßig“ in § 10 Abs. 6 EingIH-VO entspricht in seiner
Bedeutung dem Tatbestandsmerkmal „insbesondere zur Teilnahme am Arbeitsle-
ben“ in 5 8 Abs. 1 Satz 2 EingIH-VO. Das Bundesverwaltungsgericht hat zum Ver-
hältnis der beiden Vorschriften folgendes ausgeführt (Urteil vom 20.07.2000, 5 C
43/99, juris Rn. 15):

„Hinsichtlich des Eingliederungszweckes wird in 5 8 Abs. 1 Satz 2 EinglH—
VO durch die Verwendung des Tatbestandsmerkmals "vor allem in das Ar-
beitsleben" deutlich gemacht, dass hierin der vom Gesetz vorgesehene
Schwerpunkt der Versorgung mit einem Kraftfahrzeug liegt. Sind damit an-
dere Gründe zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, so müssen sie je-
doch mindestens vergleichbar gewichtig sein. Dazu gehört — wie derSenat
aus der Bezeichnung des Hauptzwecks geschlossen hat — auch, dass die
Notwendigkeit der Benutzung ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich
besteht (Urteil vom 27. Oktober 1977 - BVerwG 5 C 15.77 — BverwGE 55,
31, <33> = Buchholz 436.0 5 40 BSHG Nr. 8 S. 15). In 5 8 Abs. 1 Satz 2
EinglH— VO F. 1964 hieß es nämlich: "wenn er (der Behinderte) wegen sei-
ner Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeuges
angewiesen ist". In derjetzt geltenden Fassung des § 8 Abs. 1 Satz 2
EingIH-VO, die er durch die Zweite Änderungsverordnung vom 28. Mai
1971 (BGBI l S. 728) erhalten hat, fehlt zwar das Wort "regelmäßige". Auch
wenn es in der Begründung der Bundesregierung heißt, die Neufassung
bedeute insgesamt eine gewisse Besserstellung des Behinderten, sollte mit

-6- S 10 SO 13/08

dem Weglassen des Tatbestandsmerkmals "regelmäßige" nicht zum Aus-
druck gebracht werden, dass eine nur vereinzelt und gelegentlich beste-
hende Notwendigkeit der Benutzung ausreichen sollte. Denn zu § 10 Abs.
6 EinglH—VO in seiner Fassung durch die Zweite Änderungsverordnung
1971, die dort das Tatbestandsmerkmal "regelmäßige" eingeführt hat, heißt
es in der Begründung der Bundesregierung (BRDrucks 127/71 Begründung
zu Nr. 11 S. 11): wird die Anpassung der Bestimmung insoweit an die
für die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges geltende Regelung in 5
8 Abs. 1 vorgeschlagen." Was der Senat in BVerwGE 55, 31, 33 dahin for-
muliert hat, dass die Notwendigkeit der Benutzung ständig, nicht nur ver-
einzelt und gelegentlich, bestehen muss, hat der Verordnungsgeber in § 10
Abs. 6 EinglH—VO dahin ausgedrückt, dass der Behinderte wegen seiner
Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeuges ange-
wiesen ist.“

Entsprechende Ausführungen finden sich auch in dem Urteil des Bayer. VGH vom
26.07.2004 (12 B 03.2723, juris Rn. 26). Anhaltspunkte dafür, dass diese Recht-
sprechung durch zwischenzeitliche Änderungen der EinglH—VO obsolet geworden
wäre, sind nicht ersichtlich. Die Kammer schließt sich ihr nach eigener Prüfung in
vollem Umfang an.

Soweit die Hilfe — wie vorliegend — zu anderen Zwecken als der beruflichen Einglie-
derung beantragt wird, müssten diese Gründe also mindestens vergleichbar gewich-
tig sein. Dazu gehört auch, dass die Notwendigkeit der Benutzung eines Kraftfahr-
zeugs ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich besteht (Bayer. LSG, Beschluss
vom 22.09.2008, L 8 B 684/08 SO ER, juris Rn. 9; BVerwG, a.a.O.; Bayer. VGH,
a.a.O. sowie Beschluss vom 24.02.2000, 12 ZB 00.219, juris Rn. 3).

Bei der Prüfung der Frage, in welchem Umfang der Kläger ein Kraftfahrzeug benö-
tigt, haben Fahrten zu Ärzten und zu ärztlich verordneter und verantworteterKran—
kengymnastik außer Betracht zu bleiben. Insoweit ist der Kläger auf die vorrangigen
Leistungen der Beigeladenen zu 2. als zuständiger Krankenversicherung zu ven/vei-
sen. Diese gewährt auf Antrag Leistungen nach § 60 SGB V.

-7- S 10 SO 13/08

Hilfe, die wegen erforderlicher Einkäufe notwendig ist, ist Bestandteil der Grundsi-
cherung im Alter (vgl. Bayer. VGH, Beschluss vom 24.02.2000, 12 ZB 00.219,juris
Rn. 5 m.w.N., zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG; durch die Einführung
des SGB XII ist keine sachliche Änderung eingetreten). Bei einer solchen Hilfe muss
es sich im Übrigen nicht notwendig um die (teilweise) Übernahme von Betriebskos-
ten eines Kraftfahrzeugs handeln (Bayer. VGH, a.a.O.). In Betracht kommt alternativ
insbesondere die Bezahlung einer Haushaltshilfe (vgl. Bayer. VGH, Urteil vom
13.12.1996, 12 B 94.4117, juris Rn. 24). Der insoweit zuständige Beigeladene zu 1.
gewährt tatsächlich entsprechende Leistungen auf der Grundlage von § 28 Abs. 1
Satz 2 SGB XII; in der mündlichen Verhandlung am 23.04.2009 hat er ihre Verdopp-
lung zugesagt. Anhaltspunkte dafür, dass diese Leistungen — auch in der bisherigen
Höhe — für die Sicherstellung der erforderlichen Einkäufe nicht ausgereicht hätten,
sind nicht ersichtlich.

Soweit der Kläger Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Le—
ben im Sinne von § 58 SGB IX begehrt, liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte
dafür vor, dass er deswegen ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich, auf die
Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen wäre. Er selbst hat vorgetragen, seine
Ehefrau und er nähmen ca. 10 - 12 mal monatlich an Freizeitaktivitäten teil (Bl. 58
der Beklagtenakte). Dieser Umfang bleibt deutlich hinter demjenigen zurück, der bei
einer Teilhabe am Arbeitsleben entstehen würde. Damit ist der Zweck der Teilhabe
am gesellschaftlichen und kulturellen Leben im vorliegenden Fall erheblich weniger
gewichtig als es der Zweck der Teilhabe am Arbeitsleben wäre; er reicht für sich al-
lein zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs nicht aus (so. unter 2.).
Eine nähere Prüfung des Freizeitverhaltens des Klägers kann unter diesen Umstän-
den unterbleiben. Gleichwohl weist das Gericht in diesem Zusammenhang noch auf
zwei Aspekte hin:

a) Der Kläger hat keine konkreten Angaben zum Inhalt der von seiner Ehefrau
und ihm selbst verfolgten Freizeitinteressen gemacht. Er hat insoweit aus-
schließlich in allgemeiner Form auf Zeitungen bzw. Zeitschriften und Prospekte
Bezug genommen (Bl. 58 der Beklagtenakte). Dies spricht nach Einschätzung
der Kammer dagegen, dass ausgeprägte Gewohnheiten oder Interessen be-
stehen, die einen nachvollziehbaren Bedarf begründen könnten.

—8- S 10 SO 13/08

b) Der Kläger lebt in A-Stadt, von wo aus viele Freizeitangebote auch für gesunde
Menschen kaum ohne Kraftfahrzeug erreicht werden können. Erschwernisse,
unter denen alle Bewohner seines Wohnortes zu leiden haben, bestehen nicht

wegen der Behinderung des Klägers und können daher nicht im Wege der

Eingliederungshilfe ausgeglichen werden (Bayer. VGH, Beschluss vom
24.02.2000, 12 ZB 00.219, juris Rn. 4).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

—9- S 10 SO 13/08

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialge-
richt‚'Ludwigstr. 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts,
Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht
Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten
und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

B

Ausgefertigt — Beglaubigt
Sozialgericht Landshut

Landshut, den

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

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Mittwoch, 13. Mai 2015
LSG BAY, L 5 KR 383/09 B PKH vom 09.11.2009, Bayerisches Landessozialgericht
L 5 KR 383/09 B PKH
S 2 KR 175/09

BAYERISCHES LANDESSOZIALGERICHT

In dem Beschwerdeverfahren

— Kläger und Beschwerdeführer -
gegen

—Krankenkasse‚


- Beklagte und Beschwerdegegnerin —

wegen Prozesskostenhilfe

erlässt der 5. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in München

am 9. November 2009

ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialge-
richt Mayer sowie den Richter am Bayer. Landessozialgericht Rittweger und die Richterin

am Bayer. Landessozialgericht Körner folgenden

Beschluss:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regens—
-burg vom 09.09.2009. wird zurückgewiesen.

- 2 — - L 5 KR 383/09 B PKH

Gründe:

Der Kläger begehrt in der Hauptsache Erstattung aller Kosten, die bei Fahrten zu medizi—
nischen Behandlungen anfallen und die reinen Fahrtkosten hinausgehen. lnsoweit hat der
Kläger am 08.10.2008 Prozesskostenhilfe beantragt. Diese hat das Sozialgericht mit Be—
schluss vom 09.09.2009 mangels Erfolgsaussicht abgelehnt.

Die form— und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, gem §§ 172, 173, 73a So—
zialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 127 Abs 2 S 2 Zivilprozessordnung (ZPO), aber unbe—
gründet.

Wie aus dem Beschluss des Senates vom 07.10.2009 - L 5 KR 9/09 B PKH und den dor-
tigen weiteren Nachweisen ersichtlich ist, besteht für den Kläger die grundsätzliche Be-
rechtigung, durch die DGB Rechtsschutz GmbH Regensburg, Richard-Wagner-Str. 2,
93055 Regensburg in sozialgerichtlichen Verfahren vertreten zu werden. Diese Berechti— ‘
gung genügt, um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (BSG SozR 3—1500
§ 73a Nr. 4). Denn hätte ein mittelloses Gewerkschaftsmitglied die Wahl zwischen kosten-
losem gewerkschaftlichem Rechtsschutz und der Beiordnung eines frei gewählten
Rechtsanwaltes, so stünde es besser als ein Beteiligter, der über genügend Mittel zur
Prozeßführung durch einen Rechtsanwalt verfügt. Dieser Beteiligte würde in aller Regel
verständigerweise aus wirtschaftlichen Gründen das Kostenrisiko meiden und sich regel—
mäßig für kostenlosen Rechtsschutz durch einen Verbandsvertreter entscheiden. Es be—
steht deshalb kein Grund, dem finanziell minderbemittelten Beteiligten aus staatlichen Mit—
teln die Wahlfreiheit zu finanzieren, die der bemittelte Beteiligte verständigerweise nicht in
Anspruch nähme.

Die Beschwerde des Klägers bleibt somit allein aus diesem Grund ohne Erfolg. Dieser
Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

1 2

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SG R, S 2 KR 175/09 vom 09.09.2009, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 175/09

SOZIALGERICHT REGENSBURG

In dem Rechtsstreit

- Kläger -
Proz.-Bev.:

gegen

—Krankenkasse

- Beklagte -

erlässt die Vorsitzende der 2. Kammer, Richterin am Sozialgericht Gmati, ohne
mündliche Verhandlung am 9. September 2009 folgenden

Beschluss:

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
- 2 — S 2 KR 175/09

Gründe:

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seinen Rechtsstreit gegen die Beklagte.
Streitgegenstand des zu Grunde liegenden Rechtsstreites ist, ob der Kläger von
der Beklagten über die erforderlichen Fahrtkosten hinaus die Erstattung für die
sonstigen Kosten, die ihm im Rahmen des Aufsuchens von Ärzten anfallen (unter
anderem Umkreisungskosten, Autowärmekosten, Zubringerkosten), verlangen
kann.

Mit Schreiben vom 03.12.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die ihm
im Rahmen des Aufsuchens von Ärzten anfallenden Umkreisungskosten, Auto—
wärmekosten und Zubringerkosten jetzt und in Zukunft zu erstatten, sowie ihm ei—
ne entsprechende vorherige Genehmigung diesbezüglich zu erteilen sei. Ferner
beantragte er, dass das Vorliegen einer Ausnahme von der Regel des § 3 Abs. 2
S. 1 der Krankentransportrichtlinien festgestellt werde. Zudem beantragte er die
Erstattung der gegebenenfalls anfallenden Reststrecke per Taxi, wenn er sein Au-
to weit entfernt vom Behandlungsort abstellen müsse. Darüber hinaus wurden von
ihm die Kosten für den Einbau und den Betrieb einer Standheizung für alle in Fra-
ge kommenden Fahrzeuge beantragt. Zudem wurde vorläufige Leistungsgewäh-
rung gemäß § 43 SGB I und Vorauszahlung gemäß § 42 SGB I beantragt.

Mit Bescheid vom 18.12.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine ent-
sprechende Erstattung nicht möglich sei, da es sich bei den begehrten Kosten
nicht um Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung handele.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vorn 25.12.2008 Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2009 wies die Beklagte den Widerspruch
mit der Begründung zurück, dass die begehrte Kostenübernahme nach den ge-
setzlichen Bestimmungen nicht möglich sei. Insbesondere sei eine Verrechnung

-3- S 2 KR 175/09

ersparter Aufwendungen (die durch eine Taxifahrt anfallen würden) nicht möglich,
da für eine Taxifahrt andere medizinische Indikationen gegeben sein müssten.
Andernfalls könnte auch die krankenversicherungsrechtliche Beschränkung auf
eine bestimmte Form der Leistungserbringung durch den Anspruch auf teilweise
Kostenerstattung ohne Weiteres durchbrochen werden. Es sei auch keine Leis-
tungsgewährung nach 5 43 SGB l möglich, da die Beklagte für die Leistungsge-
währung von Fahrtkosten zur ambulanten und stationären Behandlung zuständig
sei. Darüber hinaus handele es sich bei der beantragten Umkreisungs-, Autowär-
me- und Zubringerkosten um keine Sozialleistungen.

Dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23.05.2009, beim Sozialgericht Re—
gensburg am 25.05.2009 eingegangen, Klage erhoben und einen Antrag auf Ge—
währung von Prozesskostenhilfe gestellt. Nach seiner Auffassung sei für die be-
gehrte Leistung nicht § 60 SGB V, sondern § 11 SGB V insbesondere Abs. 1
Nummer 2, 3 und 4 maßgebend. Als Prozessbevollmächtigter sei ihm Herr ...
beizuordnen.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Widerspruchsbe—
scheid beantragt, den Antrag abzulehnen.

Das Gericht hat die Beklagtenakte, sowie die Schwerbehindertenakten des Klä—
gers vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ferner die Akten des Sozialge—
richts Regensburg S 2 KR 296/08, S 2 KR 379/08, S 2 KR 264/08 und S 2 KR
284/08 beigezogen, auf deren Inhalt im Übrigen ergänzend Bezug genommen
wird.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

- 4 - S 2 KR 175/09

Nach § 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114S. 1
Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil
oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die, beab-
sichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Er-
folg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Vorliegend scheidet die Gewährung von Prozesskostenhilfe schon deshalb aus,
weildie Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, da für die Rechtsverfol—
gung nicht einmal eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit besteht, so dass es auf
die weiteren Voraussetzungen nicht ankommt. ln dem Zusammenhang hat die
Kammer auch verfassungsrechtliche Vorgaben (vorallem das Verbot überspann-
ter Anforderungen um eine Rechtsschutzgleichheit zwischen bemittelten und un-
bemittelten Klägern zu gewährleisten (Art. 3, 19 IV, 20 lll (3(3)) berücksichtigt, da
die hier vorliegende Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung ohne
Schwierigkeiten beantwortet werden kann (vergleiche dazu Bundesverfassungs—
gericht, Beschluss vom 14.06.2006, Aktenzeichen 2 BVR 626/06) und eine Be-
weiserhebung nicht notwendig ist (vgl. Meyer—Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG,
9. Aufl., § 73 a Rn. 7a).

Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Abs. 2 und 3
die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach 133 (Fahrkosten),
wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingen—
den medizinischen Gründen notwendig sind.

Schon aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 S. 1 und der diesbezüglichen Legaldefi-
nition ergibt sich eindeutig, dass von der Krankenkasse ausschließlich die Kosten
für "Fahrten" zu übernehmen sind. Eine Übernahme der begehrten Umkreisungs—
kosten, Autowärmekosten und Zubringerkosten, sowie die Übernahme der gege—
benenfalls erforderlichen Reststrecke per Taxi und die Übernahme der Kosten für
den Einbau und den Betrieb einer Standheizung für alle in Frage kommenden
FahrzeUge scheidet daher schon nach dem eindeutigen Wortlaut der Anspruchs-
norm aus.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf Übernahme der geltend

gemachten Kosten auf § 11 SGB V stützen will, kommt eine entsprechende Über—

-5- S 2 KR 175/09

nahme auch insoweit nicht in Betracht, da es sich bei § 11 SGB V nicht um eine
Anspruchsgrundlage handelt. Vielmehr ist in § 11 Abs. 1 ausdrücklich ausgeführt,
dass Versicherte "nach den folgenden Vorschriften" Anspruch auf Leistungen ha-
ben. Die erforderlichen Vorschriften sind in dem Zusammenhang die Paragraphen
20 ff auf die in § 11 Abs. 1 Bezug genommen wird. In allen diesen Vorschriften
wird ein entsprechender Anspruch auf Übernahme der geltend gemachten Kosten
nicht genannt und lässt sich auch sonst nicht daraus ableiten.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf § 43 Abs. 1 S. 2 SGB l
stützt, ist ein entsprechender Anspruch auf "Sozialleistungen" weder gegen die
Beklagte noch gegen einen sonstigen Leistungsträger gegeben. Was in dem Zu-
sammenhang unter Sozialleistungen zu verstehen ist, lässt sich aus § 11, §§ 18 ff
SGB I entnehmen. Wie die Beklagte richtig ausgeführt hat, ist für die im Rahmen
der Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung anfallenden Fahrtkosten die Kran-
kenkasse der zuständige Leistungsträger. Ein entsprechender Anspruch lässt sich
einzig auf § 60 SGB V stützen. Die diesbezüglichen Voraussetzungen liegen nach
dem oben Gesagten nicht vor.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist daher mangels Vorliegen
einer entsprechenden Anspruchsgrundlage und daher mangels Erfolgsaussicht
der Klage abzulehnen.

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L 5 KR 383/09 B PKH

ferner
L 5 KR 131/10

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SG R, S 2 KR 175/09 vom 18.02.2010, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 175/09

SOZIALGERICHT REGENSBURG
GERICHTSBESCHEID

in dem Rechtsstreit

— Kläger -
gegen

-Krankenkasse,
- Beklagte -

Die 2. Kammer des Sozialgerichts Regensburg erlässt durch ihre Vorsitzende, Richterin
am Sozialgericht G, am 18. Februar 2010 ohne mündliche Verhandlung folgenden

Gerichtsbescheid:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

—2- S 2 KR 175/09

Tatbestand

Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist, ob der Kläger von der Be-
klagten über die erforderlichen Fahrtkosten hinaus die Erstattung für die sonstigen
Kosten, die ihm im Rahmen des Aufsuchens von Ärzten entstehen (unter anderem
Umkreisungskosten, Autowärmekosten, Zubringerkosten), verlangen kann.

Mit Schreiben vom 03.12.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die ihm im
Rahmen des Aufsuchens von Ärzten anfallenden Umkreisungskosten, Autowär-
mekosten und Zubringerkosten jetzt und in Zukunft zu erstatten, sowie ihm eine
entsprechende vorherige Genehmigung diesbezüglich zu erteilen. Ferner bean—
tragte er, dass das Vorliegen einer Ausnahme von der Regel des § 3 Abs. 2 S. 1
der Krankentransportrichtlinien festgestellt werde. Zudem beantragte er die Erstat-
tung der gegebenenfalls anfallenden Reststrecke per Taxi, wenn er sein Auto weit
entfernt vom Behandlungsort abstellen müsse. Darüber hinaus wurden von ihm
die Kosten für den Einbau und den Betrieb einer Standheizung für alle in Frage
kommenden Fahrzeuge beantragt. Zudem wurde vorläufige Leistungsgewährung
gemäß § 43 SGB l und Vorauszahlung gemäß § 42 SGB l beantragt.

Mit Bescheid vom 18.12.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine ent—
sprechende Erstattung nicht möglich sei, da es sich bei den begehrten Kosten
nicht um Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung handele.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 25.12.2008 Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2009 wies die Beklagte den Widerspruch
mit der Begründung zurück, dass die begehrte Kostenübernahme nach den ge—
setzlichen Bestimmungen nicht möglich sei. Insbesondere sei eine Verrechnung
ersparter Aufwendungen (die durch eine Taxifahrt anfallen würden) nicht möglich,
da für eine Taxifahrt andere medizinische Indikationen gegeben sein müssten.
Andernfalls könnte auch die krankenversicherungsrechtliche Beschränkung auf '
eine bestimmte Form der Leistungserbringung durch den Anspruch auf teilweise

Kostenerstattung ohne Weiteres durchbrochen werden. Es sei auch keine Leis—

—3- S 2 KR 175/09

tungsgewährung nach § 43 SGB I möglich, da die Beklagte für die Leistungsge—
währung von Fahrtkosten zur ambulanten und stationären Behandlung zuständig
sei. Darüber hinaus handele es sich bei der beantragten Umkreisungs-, Autowär-
me- und Zubringerkosten um keine Sozialleistungen.

Dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23.05.2009, beim Sozialgericht Re—
gensburg am 25.05.2009 eingegangen, Klage erhoben und einen Antrag auf Ge-
währung von Prozesskostenhilfe gestellt. Nach seiner Auffassung sei für die be—
gehrte Leistung nicht § 60 SGB V, sondern § 11 SGB V insbesondere Abs. 1 Nrn.
2, 3 und 4 maßgebend.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde durch Beschluss des Sozialgerichts Re-
gensburg vom 09.09.2009 abgelehnt und die dagegen eingelegte Beschwerde mit
Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 09.11.2009 zurückgewie-
sen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 18.12.2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2009
aufzuheben und festzustellen, dass ihm über die
erforderlichen Fahrtkosten hinaus Erstattung für
sonstige Kosten für das Aufsuchen von Ärzten zu
medizinisch notwendigen ambulanten Behandlungen
und Untersuchungen zusteht, soweit diese zusätzlichen
Kosten unabweisbar letztendlich dadurch entstehen,
dass er einer Aufforderung der Beklagten nachkomme,
diese Termine auf eine bestimmte Art und Weise wahrzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 25.11.2009 hat das Gericht die Beteiligten zu der Absicht an-
gehört, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu
entScheiden und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11.12.2009 eingeräumt.

-4- S 2 KR 175/09

Das Gericht hat die Beklagtenakte, sowie die Schwerbehindertenakten des Klä—
gers vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ferner die Akten des Sozialge-
richts Regensburg S 2 KR 296/08, S 2 KR 379/08, S 2 KR 264/08 und S 2 KR
284/08 beigezogen, auf deren Inhalt im Übrigen ergänzend Bezug genommen
wird.

Entscheidungsgründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschei—
den, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher hier—
zu gehört wurden (vgl. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Entgegen der Ausführungen des Klägers weist der Rechtsstreit keine Schwierig-
keiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, da die Sach- und Rechtslage insoweit
eindeutig ist.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere lässt sich der subsidiäre Feststellungsantrag
in einen Leistungsantrag umdeuten. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Be—
scheid der Beklagten vom 18.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 06.05.2009 ist rechtmäßig, da die Beklagte zu Recht die vom Kläger begehr-
ten Kosten über die reinen Fahrtkosten hinaus abgelehnt hat.

Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Abs. 2 und 3
die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 (Fahrkosten),
wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingen-
den medizinischen Gründen notwendig sind.

Schon aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 S. 1 und der diesbezüglichen Legaldefi-
nition ergibt sich eindeutig, dass von der Krankenkasse ausschließlich die Kosten
für "Fahrten" zu übernehmen sind. Eine Übernahme der begehrten Umkreisunng
kosten, Autowärmekosten und Zubringerkosten, sowie die Übernahme der gege—
benenfalls erforderlichen Reststrecke per Taxi und die Übernahme der Kosten für

-5- S 2 KR 175/09

den Einbau und den Betrieb einer Standheizung für alle in Frage kommenden
Fahrzeuge scheidet daher schon nach dem eindeutigen Wortlaut der Anspruchs-
norm aus.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf Übernahme der geltend -
gemachten Kosten auf § 11 SGB V stützen will, kommt eine entsprechende Über-
nahme auch insoweit nicht in Betracht, da es sich bei § 11 SGB V nicht um eine
Anspruchsgrundlage handelt. Vielmehr ist in § 11 Abs. 1 SGB V ausdrücklich aus-
geführt, dass Versicherte "nach den folgenden Vorschriften" Anspruch auf Leis-
tungen haben. Die erforderlichen Vorschriften sind in dem Zusammenhang die

§§ 20 ff. auf die in § 11 Abs. 1 SGB V Bezug genommen wird. In allen diesen Vor—
schriften wird ein entsprechender Anspruch auf Übernahme der geltend gemach-
ten Kosten nicht genannt und lässt sich auch sonst nicht daraus ableiten.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf § 43 Abs. 1 S. 2 SGB l
stützt, ist ein entsprechender Anspruch auf "Sozialleistungen" weder gegen die
Beklagte noch gegen einen sonstigen Leistungsträger gegeben. Was in dem Zu-
sammenhang unter Sozialleistungen zu verstehen ist, lässt sich aus § 11, §§ 18 ff.
SGB l entnehmen. Wie die Beklagte richtig ausgeführt hat, ist für die im Rahmen
der Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung anfallenden Fahrtkosten die Kran-
kenkasse der zuständige Leistungsträger. Ein entsprechender Anspruch lässt sich
einzig auf § 60 SGB V stützen. Die diesbezüglichen Voraussetzungen liegen nach

dem oben Gesagten nicht vor.
Die Klage ist daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf ä 193 SGG und folgt der Entscheidung in der

Sache.


-6- S2KR175/09

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayer. Lan-
dessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landes-
sozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Re-
gensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten An-
trag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel ange-
ben.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteilig—
ten beigefügt werden.

G
Richterin am Sozialgericht
/P.

Ausgefertigt -.Beglaubigt

Sozialgericht Regensburg

Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

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L 5 KR 131/10

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