Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Samstag, 6. Juni 2015
Anrechnungsfreie Nachzahlung bei widerrechtlicher Sanktion

Gekürzte Chronologie

der Petition Pet 4-18-11-81503-021496

 

Kurzfassung der Petition

(mit der Bitte um Veröffentlichung)

 

Titel Sozialrecht “Anrechnungsfreie Nachzahlung bei
widerrechtlicher Minderung"

01.05.2015

 

Seite2

 

Wortlaut der Petition

 

Es wird folgender § 31a Abs. 5 SGB II eingefügt

(5) Erweisen sich Minderungen als
zu Unrecht vorgenommen oder wurde zu Unrecht auf andere als
Geldleistungen verwiesen, sind die Geldleistungen vollständig und
anrechnungsfrei nachzuentrichten.

Anm.: Die Einzelheiten der Nachentrichtung richten sich nach den
Normen des SGB I und SGB X, etwa die Verzinsung nach § 44 SGB I.
Dienst- und Sachleistung sind im SGB II nach § 4 SGB II
grundsätzlich möglich, jedoch die Ausnahme (etwa § 24 Abs. 2 SGB
II).

Begründung

Gesetzgeberische Absicht ist, dass auch
Hilfebedürftige vorrangig zu selbständigem Wirtschaften angehalten
werden sollen. Der Handel mittels Zahlungsmittel ist die dominierende
Warenaustauschform und somit hat jede Abweichung hiervon ein erhöhtes
Stigmatisierungsrisiko. Die Dispositionsfreiheit (§ 20 SGB II, Art 2
Abs. 1 GG), das heißt das Recht auf dem gesamten Markt das
bevorzugte Angebot selbst wähen zu können, kann nur mit allgemein
geltenden Zahlungsmittel zur Entfaltung gelangen.

Einschränkungen gelten im Fall sogenannter Sanktionen. In diesem
Fall sollen Geldleistung teilweise oder vollständig gestrichen
werden, können und soll das Existenzminimum durch andere
Leistungsformen gesichert werden. Wie oben dargelegt ergibt sich,
dass im Wertesystem der Grundsicherung ein solcher Verweis auf
Nichtgeldleistungen als belastend zu sehen ist. Die vorliegende
Petition befasst sich nicht mit Sanktionen an sich. Gegenstand hier
ist allein die Frage, wie in Fällen zu verfahren ist, in denen sich
Sanktionen schlussendlich als rechtswidrig herausstellen oder
generell ein Verweis auf Dienst- oder Sachleistungen, auch in Form
etwa von Gutscheinen erfolgte, für die sich später ergibt, dass
dieser rechtsgrundlos erging.

Derzeit ist die Situation so, dass zwar Nachzahlungen erfolgen,
die Grundsicherungsträger aber hiergegen etwa den Nominalwert der
zwischenzeitlich erteilten Gutscheine etwa für Lebensmittel
gegenrechnen. Dass der zu Unrecht sanktionierte, durch den Entzug der
Geldleistung de facto gezwungen war, diese anzunehmen, findet keine
Berücksichtigung. Nimmt der zu Unrecht Sanktionierte die
lebensnotwendigen Gutscheine an, wird ihm dies als Annahme an
Erfüllungs statt gemäß § 364 Abs. 1 BGB vorgehalten (so auch
Bayerisches Landessozialgericht,
L 11 AS 654/14 vom 26.11.2014).

Ein Rechtsstaat ist dem Legalitätsprinzip und dem
Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet. Besonders in Bereichen in
denen er noch belastende Eingriffe am Existenzminimum vornimmt, muss
er sich an höchsten Sorgfaltsmaßstäben messen lassen. Eine
Nachentrichtung ist grundsätzlich geeignet die Belastung während
Zeiten überdurchschnittlicher Einschränkung durch einen
vergrößerten Freiraum in der Folgezeit wenigstens teilweise zu
kompensieren.

Anregungen für die Forendiskussion

Eine im Einzelfall möglicherweise unbeabsichtigt auftretende
Überkompensation - etwa wenn ein zu Unrecht Sanktionierter vorhatte
in nächster Zeit besonders sparsam zu leben, um etwa für einen
einmaligen Bedarf anzusparen - dürfe in der Praxis oft unnachweisbar
sein und ist im Hinblick auf die grundrechtlich gebotene
Gleichbehandlung und darauf, dass Unschuldige nichts zu befürchten
haben sollen, hinzunehmen. Ohnehin verbleibt es bei einem
hinzunehmenden Sonderopfer für die Allgemeinheit für diejenigen
Personen, die zufällig gerade in der Zeit der zu Unrecht erlittenen
Sanktion, besonderen Bedarf decken wollten, der nicht mehr ohne
Weiteres nachgeholt werden kann. Beide Restrisiken der Lebensführung
verbleiben. Es ist nicht einzusehen, warum der Staat sich des seinen
einseitig zu Lasten Unschuldiger entledigen können sollte.

Schreiben des
Petitionsausschusses vom 21.05.2015

Berlin, 21. Mai 2015

Bezug: Ihre Eingabe vom 1. Mai 2015

Arbeitslosengeld II

Sehr geehrter Herr ...,

 

hiermit bestätige ich den Eingang Ihrer Petition, mit der Sie
fol-

gendes Anliegen vortragen:

 

Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass Hilfsbedürftige

zum selbständigen Wirtschaften angehalten werden sollen und

Geldleistungen vollständig und anrechnungsfrei bei unrechten

Minderungen nachzuentrichten sind.

 

Der Ausschussdienst, dem die Ausarbeitung von Vorschlägen für

den Petitionsausschuss obliegt, hat das von Ihnen vorgetragene

Anliegen sorgfältig geprüft.

 

Nach Prüfung aller Gesichtspunkte ist der Ausschussdienst zu

dem Ergebnis gekommen, dass eine Umsetzung Ihres Anliegens

angesichts der gegenwärtigen Handlungsprioritäten auf diesem

Gebiet ausgeschlossen erscheint. Diese Auffassung stützt sich

insbesondere auf folgende Erwägungen:

 

Die Nichtanrechnung der geleisteten Sachleistungen oder geld-

werten Leistungen würde zu einer rechtswidrigen Erhöhung des

Regelbedarfs führen.

 

Sofern Sie keine entscheidungserheblichen Bedenken gegen die

inhaltliche Bewertung Ihrer Eingabe vortragen, wird den Abge-

ordneten des Petitionsausschusses in sechs Wochen vorgeschla-

gen werden, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil Ihrem

Anliegen nicht entsprochen werden kann. Folgen der Ausschuss

und das Plenum des Deutschen Bundestages diesem Vorschlag,

erhalten Sie keinen weiteren Bescheid.

 

Seite 2

 

Weil Ihre Petition nicht den gewünschten Erfolg haben wird,

sieht der Ausschuss von einer Veröffentlichung auf der Internet-

seite des Petitionsausschusses ab. Diese Entscheidung erfolgte

auf der Grundlage der „Richtlinie für die Behandlung von
öffent-

lichen Petitionen“ (Pkt. 4e) gemäß Ziffer 7.1 (4) der
Verfahrens-

grundsätze, die unter www.bundestag.de/Petitionen veröffent-

licht sind.

 

Personenbezogene Daten werden unter Wahrung des Datenschut-

zes gespeichert und verarbeitet.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Schreiben des Petenten vom 10.06.2015

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit erhebe ich Bedenken gegen Ihr in obigem Schreiben
angekündigtes Vorgehen.

Soweit Sie ausführen


… hiermit bestätige ich den Eingang Ihrer Petition, mit der Sie
folgendes Anliegen vortragen:


Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass Hilfsbedürftige zum
selbständigen Wirtschaften angehalten werden sollen …

ist dies unrichtig.

Zwar ist ein ähnlicher Passus in der Begründung enthalten,
allerdings eben dort und nicht im Wortlaut der Petition. Er dient
überdies dort ersichtlich nicht zur weiteren Ausformulierung des
Petitionsbegehrens, sondern zur Beschreibung des status quo, denn er
lautet


Gesetzgeberische*
Absicht ist, dass auch Hilfebedürftige vorrangig zu selbständigem
Wirtschaften angehalten werden sollen.

Da dies überdies bereits lege lata ist, vergleiche etwa § 20
SGB II


Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten
Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich;
dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu
berücksichtigen.

wäre eine hierauf gerichtete Petition ohnehin im Wesentlichen
sinnlos, da nicht mehr erreicht werden muss, was schon der Fall ist.

Im Wesentlichen richtig hingegen ist, dass die Petition erreichen
soll, dass Geldleistungen bei unrechten Minderungen wenigstens
vollständig und anrechnungsfrei nachzuentrichten sind. Hierzu hat
der Petent auch eine konkrete Gesetzesformulierung vorgeschlagen,
verschließt sich jedoch nicht Alternativen mit gleicher Wirkung.

Weiter führen Sie aus


Nach Prüfung aller Gesichtspunkte ist der Ausschussdienst zu dem
Ergebnis gekommen, dass eine Umsetzung Ihres Anliegens angesichts der
gegenwärtigen Handlungsprioritäten auf diesem Gebiet ausgeschlossen
erscheint. Diese Auffassung stützt sich insbesondere auf folgende
Erwägungen:


Die Nichtanrechnung der geleisteten Sachleistungen oder geldwerten
Leistungen würde zu einer rechtswidrigen Erhöhung des Regelbedarfs
führen.

Zunächst stellt der Petent hiermit klar, dass er sich mit seiner
Petition an den deutschen Bundestag in seiner Funktion als
demokratischer Gesetzgeber wendet. Schon deswegen ist der Vorwurf,
der Petent fordere Rechtswidriges ohne jeden Sinn, insbesondere
selbst dann, wenn der Vorschlag tatsächlich geltendem Recht
widersprechen würde, denn es steht dem Gesetzgeber grundsätzlich
zu, eben dieses geltende Recht jederzeit außer Kraft zu setzen, wenn
er es für tunlich hält.

Es ist im Übrigen auch nicht erkennbar, dass der Vorschlag geltendem
Recht widersprechen würde. Vielmehr wendet er sich gegen eine
bestimmte Rechtsauslegung. Die Behauptung, die Nichtanrechnung der
geleisteten Sachleistungen oder geldwerten Leistungen würde zu einer
rechtswidrigen Erhöhung des Regelbedarfs führen, wird vom
Petitionsausschuss nicht weiter begründet und ist nicht
nachvollziehbar. Gemäß § 20 SGB II steht dem
Hilfebedürftigen ein Geldbetrag als Pauschale zu


Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt.
Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten
Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich;
...

diesen hat er nicht oder nicht im vollen Umfang erhalten, wenn er
eine widerrechtliche Sanktion zu erdulden hatte. Ob daneben
Sachleistungen erbracht wurden ist für die Erfüllung dieses
Anspruchs zunächst irrelevant.

Wie bereits in der Petition dargelegt, beruht die rechtliche
Bewertung, die zur Anrechnung führt, darauf, dass dem zu Unrecht
Sanktionierten vorgeworfen wird, er hätte die Gutscheine angenommen.
Das überzeugt jedoch nicht, da die Beantragung und die Annahme
dieser Gutscheine durch vis compulsiva (etwa bei
Lebensmittelgutscheinen durch Hunger) oder der Drohung damit
erzwungen wurde und wie sich herausgestellt hat, dies alles keine
hinreichende Rechtsgrundlage hatte.

Der Verweis des Petitionsausschusses auf „gegenwärtigen
Handlungsprioritäten“ ist unverständlich, denn weder wird gesagt,
was diese Handlungsprioritäten wären, noch warum sie zwangsläufig
einer Umsetzung des Begehrens des Petenten entgegenstehen.

Der Petent hält daher seine
Bitten im vollen Umfang aufrecht und bittet um Entscheidung hierüber.

 

Beschlussempfehlung

 

 

 

Anmerkungen

Der Schreibfehler im Original
„Gesetzgeberischen Absicht ist, dass auch Hilfebedürftige
vorrangig zu selbständigem Wirtschaften angehalten werden sollen.“
wurde korrigiert.

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