Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Samstag, 9. Mai 2015
BSG, B 1 KR 110/04 B vom 18.07.2005, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT







Beschluss







in dem Rechtsstreit







Az: B 1 KR 110/04 B







Klägerin und Beschwerdeführerin,







Prozessbevollmächtigte:







gegen







Deutsche Angestellten-Krankenkasse,



Nagelsweg 27-31, 20097 Hamburg,







Beklagte und Beschwerdegegnerin.







Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 18. Juli 2005 durch den



Präsidenten von W. sowie die Richter Dr. K.



und Dr. H.



beschlossen:







Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-



sozialgerichts Hamburg vom 14. Juli 2004 wird als unzulässig verworfen.



Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.









- 2 -







Gründe:



I







[Abs 1] Die am 30. November 1995 geborene Klägerin ist mit ihrem Begehren, wegen idiopathischen



Kleinwuchses ab 14. Juli 2004 von der Beklagten eine Therapie mit dem für diese Indikation



nach deutschem Arzneimittelrecht nicht zugelassenen Arzneimittel Somatropin zu erhalten, in



den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ua ausgeführt, die



Voraussetzungen des Anspruchs aus § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch



(SGB V) und § 31 Abs 1 SGB V seien unter Berücksichtigung der Einschränkungen aus § 2



Abs 1 Satz 3 SGB V und § 12 Abs 1 SGB V nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundes-



sozialgerichts (, Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R, BSGE 89, 184 = SozR



3-2500 § 31 Nr 8) nicht erfüllt. Es bleibe dahingestellt, ob und wann ein (idiopathischer) Klein-



wuchs eine Krankheit iS von § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V sei. Von einer schwerwiegenden



(lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkran-



kung könne der Senat nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung nicht ausgehen, zu-



mal sich die Klägerin noch in vorpubertärem Alter befinde und ihr Wachstumsprozess nicht



abgeschlossen sei. Selbst wenn man dies aber und zugleich unterstelle, dass eine andere The-



rapie nicht verfügbar sei, könne jedenfalls von einem Konsens in den einschlägigen



Fachkreisen über einen voraussichtlichen Nutzen des Arzneimittels nicht gesprochen werden



(Urteil vom 14. Juli 2004).







[Abs 2] Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-



Urteil. Sie macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz und Verfahrens-



fehler geltend.









II









[Abs 3] Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozial-



gerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2



Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisions-



zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1, 2 und 3 SGG.







[Abs 4] 1. Soll die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechts-



sache zugelassen werden, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung



dargelegt werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hierzu ist es nach der ständigen Rechtspre-



chung des BSG erforderlich, eine Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie



über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, und dass die Rechtsfrage klärungsbe-



dürftig sowie klärungsfähig ist, dh sie im Falle der Zulassung der Revision entscheidungserheb-



lich wäre (vgl Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 6/04 B; BSG SozR 3-1500









- 3 -









§ 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f



mwN). Wird ein Urteil - wie vorliegend - nebeneinander auf mehrere selbstständige Begründun-



gen gestützt, so kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zur Zulassung der Revision



führen, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt und form-



gerecht gerügt wird (vgl Senat, Beschluss vom 24. März 2005, B 1 KR 94/04 B; Senat, Be-



schluss vom 16. Juni 1998, B 1 KR 5/98 B; BSG SozR 1500 § 160a Nr 38; Hennig, SGG,



§ 160a RdNr 207 mwN). Hieran fehlt es. Das LSG hat die Berufung der Klägerin



zurückgewiesen,weildergeltendgemachteAnspruchausmehrerenvoneinander



unabhängigen Gründen nicht bestehe: Zum einen sei der idiopathische Kleinwuchs, soweit es



sich überhaupt um eine Krankheit handele, jedenfalls keine schwerwiegende Krankheit. Zum



anderen bestehe auf Grund der Datenlage nicht die begründete Aussicht, dass mit dem



betroffenen Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Im Hinblick auf diese, die



Entscheidung jeweils selbstständig tragenden Begründungen im LSG-Urteil hätte die



Beschwerdefürbeide voneinanderunabhängigeBegründungsstränge



Revisionszulassungsgründe behaupten und darlegen müssen. Daran fehlt es.









[Abs 5] Bereits die Darlegungen der Beschwerde zum ersten Begründungsstrang reichen nicht hin. Die



Beschwerde bezieht sich insoweit auf den Seiten 5 f und 9 f der Beschwerdebegründung auf



mehrere Rechtsfragen, die unterschiedlich formuliert und (teilweise in den Fragestellungen



selbst) mit weiterem tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen untermauert werden. Diese Fra-



gen werden schlussendlich auf Seite 16 sinngemäß und - den Darlegungserfordernissen des



§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechend - hinreichend klar wie folgt zusammengefasst:









[Abs 6] 1. Wann ist eine schwerwiegende, dh die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig



beeinträchtigende Erkrankung anzunehmen?









[Abs 7] 2. KönnenStudienergebnisse ausausländischen abgeschlossenen



Zulassungsverfahren als ausreichende Erkenntnisse zum Nachweis dafür



herangezogen werden, dass mit einem in Deutschland zulassungsüberschreitend



angewandten Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden



kann bzw dass in Fachkreisen Konsens über den Einsatz des Arzneimittels für die



konkrete streitige Indikation besteht?









[Abs 8] Bezüglich dieser Fragen ist indessen nicht erkennbar, dass sie in dem angestrebten Revisions-



verfahren klärungsfähig bzw entscheidungserheblich sein können.









[Abs 9] Insoweit ist von Bedeutung, dass das LSG zu Frage 1. angenommen hat, dass eine die ge-



nannten Ausmaße erreichende Krankheit bei der Klägerin nicht bestehe. Es hat sich dazu zum



einen auf den Wachstumsprozess der Klägerin gestützt, die sich noch in einem vorpubertären



Alter befinde, und zum anderen darauf, dass nach dem Eindruck, den der Senat in der münd-



lichen Verhandlung von der Klägerin gewonnen habe, nicht festgestellt werden könne, dass sie









- 4 -









durch ihre Körpergröße in ihrer Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigt sei. Hinzuweisen ist



weiter darauf, dass der Senat im Sandoglobulin®-Urteil (BSGE 89, 184 191 f = SozR 3-2500



§ 31 Nr 8) den Ausgangspunkt des Vorliegens einer "schwerwiegenden" Erkrankung bereits



dahin näher definiert hat, dass es um eine "lebensbedrohende oder die Lebensqualität auf



Dauer nachhaltig beeinträchtigende" Krankheit gehen muss. Die Beschwerde wirft in



Ergänzung dieser Rechtsprechung letztlich nur die Frage auf, in welcher Weise die



beschriebenen Merkmale weiter konkret auszufüllen sind. Dies wird daran deutlich, dass sie



sich hierzu auf den Seiten 6 bis 9 ihrer Begründung ausführlich mit der besonderen Situation



der Klägerin befasst und sich dazu auf das bei ihr bestehende Leiden (= Kleinwuchs im



Kindesalter) bezieht. Es bestand vor dem aufgezeigten Hintergrund indessen sowohl Anlass, im



Einzelnen darzulegen, dass es bei der aufgeworfenen Frage um eine Rechtsfrage von



allgemeiner, über den Einzelfall der Klägerin und ihre spezifische Erkrankung hinausgehende



Bedeutung geht, als auch die Notwendigkeit darauf einzugehen, dass hier nicht lediglich eine



(mit Blick auf § 163 SGG) nur mit Verfahrensrügen angreifbare Tatfrage im Raum steht. Die



Frage, ob das LSG den Sachverhalt zutreffend unter einen in der höchstrichterlichen



Rechtsprechung bereits mit Auslegungshinweisen versehenen Rechtsbegriff subsumiert hat, ist



regelmäßig kein im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beachtlicher Gesichtspunkt (vgl



§ 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG). Zum anderen kann angesichts der Vielzahl der in der Medizin



diskutierten Krankheitsbilder die Frage nach den Behandlungsmöglichkeiten und dem



Behandlungsanspruch für ein einzelnes Leiden nicht in den Rang einer Rechtsfrage von



grundsätzlicher Bedeutung gehoben werden (vgl zB Beschlüsse des Senats vom 20. Juni 2004



- B 1 KR 1/03 B, vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 92/03 B und vom 21. Dezember 2004 - B 1 KR



11/03 B). Unter dem Blickwinkel, ob die Frage in einem Revisionsverfahren überhaupt



klärungsfähig ist, hätte die Beschwerde vor allem darauf eingehen müssen, dass ein



allgemeiner Bedarf bestehen soll und es überhaupt möglich ist, die im Sandoglobulin-Urteil



aufgestellten Voraussetzungen für einen Off-Label-Use in Bezug auf das streitige Merkmal



revisionsrechtlich weiter zu präzisieren. Hierzu hätte dargelegt werden müssen, dass eine



genauere Konkretisierung der Merkmale unter Zuhilfenahme allgemein gültiger Kriterien



unabhängig von den Verhältnissen im Zusammenhang mit einer einzelnen Krankheit in



Betracht kommt. Daran fehlt es.









[Abs 10] Soweit die Beschwerde mit ihrer zweiten Frage eine weitere Voraussetzung des Off-Label-Use



im Falle der Klägerin für grundsätzlich bedeutsam hält, fehlt es an der Entscheidungserheblich-



keit. Der Senat dürfte - wie dargelegt - in einem Revisionsverfahren schon nicht zu Grunde le-



gen, dass hier das vorgreifliche Merkmal einer bestehenden schwerwiegenden Erkrankung er-



füllt ist.









[Abs 11] 2. Auch soweit sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG be-



ruft und geltend macht, das LSG-Urteil sei vom Urteil des Senats vom 19. Oktober 2004,



B 1 KR 27/02 R (vorgesehen für BSGE und SozR) abgewichen, fehlt es an § 160a Abs 2 Satz 3









- 5 -









SGG genügenden Darlegungen. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss entschei-



dungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einer



höchstrichterlichen Entscheidung andererseits gegenüberstellen und begründen, weshalb diese



miteinander unvereinbar seien (vgl Senat, Beschluss vom 27. Juni 2005, B 1 KR 43/04 B;



Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 10/04 B; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,



SGG, 8. Aufl 2005, § 160a RdNr 15, § 160 RdNr 10 ff mwN). Daran fehlt es. Die Beschwerde



zitiert zwar Passagen aus dem Urteil des BSG, benennt aber keinen dazu konträren Rechtssatz



des LSG-Urteils, aus dem sich die Notwendigkeit zur Herstellung von Rechtseinheit durch eine



höchstrichterliche Entscheidung ergeben könnte. Während das BSG in der zitierten Entschei-



dung sich mit Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit auseinander setzt, die so selten



auftritt, dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheidet, geht das LSG-Urteil nicht



von einem solchen Sachverhalt aus. Dies stellt indessen keine Divergenz iS eines bewussten



Aufstellens abweichender Rechtssätze dar (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26).









[Abs 12] 3. Soweit die Beschwerde vorbringt, das LSG hätte bezüglich des Vorliegens einer schwerwie-



genden Erkrankung sowie zum Bestehen ausreichender Kenntnisse aus Studien der Phase III



über den Einsatz von Somatropin bei idiopathischem Kleinwuchs Beweis erheben müssen, legt



sie einen Verfahrensfehler nicht in der gebotenen Weise dar. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist



die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, auf dem die ange-



fochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nach



Halbsatz 2 der Regelung auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich



auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.



Insoweit fehlt es an der Bezugnahme auf einen berücksichtigungsfähigen Beweisantrag. Hierzu



geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es jedenfalls rechtskundig vertre-



tenen Beteiligten wie hier der rechtsanwaltlich vertretenen Klägerin obliegt, in der mündlichen



Verhandlung alle diejenigen Anträge zur Niederschrift des Gerichts zu stellen, über die das Ge-



richt entscheiden soll (vgl Senat, Beschluss vom 27. Juni 2005, B 1 KR 40/04 B mwN). Sinn der



erneuten Antragstellung ist es, zum Schluss der mündlichen Verhandlung auch darzustellen,



welche Anträge nach dem Ergebnis der für die Entscheidung maßgebenden mündlichen Ver-



handlung noch abschließend gestellt werden, mit denen sich das LSG dann im Urteil befassen



muss, wenn es ihnen nicht folgt. Dem genügt die Beschwerde mit ihrem Hinweis nicht, die Klä-



gerin habe ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 14. Juli 2004 hilfsweise beantragt,



Dr. A zur Kausalität zwischen Somatropin-Therapie und Wachstum zu vernehmen.



Ungeachtet der Frage, ob damit eine bloße Beweisanregung oder tatsächlich ein Beweisantrag



bezeichnet wird (vgl hierzu §§ 373, 404 Zivilprozessordnung iVm § 118 SGG und Senat,



Beschluss vom 16. März 2005, B 1 KR 19/04 B; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9), bezeichnet die



Beschwerde damit keinen Beweisantrag zum Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung



oder zum Bestehen ausreichender Erkenntnisse. Der Hinweis auf frühere Äußerungen der



Klägerin in Schriftsätzen für das Gericht genügt unter Berücksichtigung der Warnfunktion, die



- wie dargelegt - der Antragswiederholung zukommen soll, gerade nicht.









- 6 -









[Abs 13] Soweit die Beschwerde mit dem Vortrag, die Klägerin habe nicht davon ausgehen müssen,



dass das Gericht den mit Schriftsatz vom 11. Juli 2004 vorgelegten Urkunden keine Beachtung



schenke, beabsichtigt haben sollte, die Gehörsrüge zu erheben, so ist diese ebenfalls nicht hin-



reichend dargelegt. Die Beschwerde setzt sich insoweit nicht damit auseinander, dass das



LSG-Urteil ausdrücklich auf Seite 7 im ersten Absatz der Entscheidungsgründe auf die



überreichten Urkunden, das Schreiben der Fa. Lvom 9. Juli 2004, eingeht und den



kanadischen Pädiater Prof. G zitiert hat, der nicht davon ausgehe, "dass gesunde



Kleinwüchsige unterm Strich von der Therapie profitieren" würden. Im Kern geht es der



Beschwerde auch an dieser Stelle um die Beweiswürdigung des LSG-Urteils. Nach § 160 Abs 2



Nr 3 2. Halbsatz SGG kann die Beschwerde aber nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1



Satz 1 SGG gestützt werden.







[Absatz 14] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Faksimile 1 2 3 4 5 6

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG, B 14 EG 6/98 B vom 28.01.1999, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT


Beschluß
in dem Rechtsstreit



Az: B 14 EG 6/98 B



Klägerin und Beschwerdeführerin,
Prozeßbevollmächtigter:



gegen



Land Nordrhein-Westfalen,
vertreten durch das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen,
Von-Vincke-Straße 23-25, 48143 Münster,
Beklagter und Beschwerdegegner.



Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat am 28. Januar 1999 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. L. , die Richter Dr. U. und
Dr. N. sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. D. und die
ehrenamtliche Richterin P.
beschlossen:


Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil
des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. April 1998 wird zurück-
gewiesen.



Kosten sind nicht zu erstatten.



-2-

Gründe:



Die Klägerin begehrt rückwirkende Gewährung von Erziehungsgeld (Erzg) für ihre 1987
geborene Tochter. Sie lebte während der möglichen Bezugszeit des Erzg mit ihrer Familie
in Belgien. Ein seinerzeit gestellter Antrag ist von dem Beklagten unter Hinweis auf ihren
Wohnsitz durch bindenden Bescheid abgelehnt worden. Im Hinblick auf das Urteil des Eu-
ropäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen H und Z (C 245/94 und
312/94) machte die Klägerin im November 1996 erneut den Anspruch auf Erzg geltend;
ihr stehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu, da sie einen Antrag auf Überprü-
fung des bindenden Bescheides und auf Gewährung von Erzg innerhalb der Ausschluß-
frist des § 44 Abs 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nur deshalb versäumt habe,
weil der Beklagte bei der Bescheidung der von ihr anläßlich der Geburt weiterer Kinder in
den Jahren 1990 und 1992 gestellten Anträge auf Erzg weiterhin seine unzutreffende
Rechtsauffassung zugrunde gelegt und sie nicht darauf hingewiesen habe, daß die Frage
der Erzg-Berechtigung von deutschen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in einem anderen
Mitgliedstaat der Europäischen Union und einem Beschäftigungsverhältnis in Deutschland
bereits Gegenstand eines Rechtsstreits vor dem Landessozialgericht (LSG) gewesen und
von diesem anders beurteilt worden sei als von dem Beklagten. Aus diesem
Fehlverhalten sei ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen, der die
Versäumung der Ausschlußfrist des § 44 Abs 4 SGB X heile. In den Vorinstanzen hatte
die Klägerin keinen Erfolg. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.


Mit der dagegen erhobenen Beschwerde macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeu-
tung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ) und einen Verfah-
rensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend. Die Frage, ob die Begrenzung einer rückwir-
kenden Leistungsgewährung auf einen Zeitraum von vier Jahren in § 44 Abs 4 SGB X
auch auf den der Klägerin hier zustehenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruch an-
zuwenden sei, sei in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht einheit-
lich entschieden worden, was sich insbesondere aus den Urteilen des BSG in SozR 1300
§ 44 Nr 18 einerseits sowie in SozR 1300 § 44 Nr 17 und BSGE 60, 158 andererseits er-
gebe. Diese Rechtsfrage bedürfe weiterer Klärung. Außerdem habe das LSG das Recht
der Klägerin auf Gehör verletzt, weil es das Vorbringen der Klägerin unberücksichtigt ge-
lassen habe, daß dem Beklagten die europarechtliche Fragestellung rechtzeitig bekannt
gewesen sei.


Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Sie kann eine Zulassung der Revision we-
der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch
wegen des Vorliegens eines Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründen. Die
Revision kann wegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur zugelassen
werden, wenn die zu entscheidende Rechtsfrage klärungsbedürftig und klärungsfähig ist.
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus

-3-



dem Gesetz beantworten läßt und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht
entschieden worden ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Klärungsfähig ist die Rechts-
frage nur, wenn sie im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (vgl
BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.


Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die Anwendung des sozial-
rechtlichen Herstellungsanspruchs dann nicht in Betracht kommt, wenn das fehlerhafte
Handeln der Verwaltung (nur) in einer falschen Sachentscheidung liegt und sich die Fol-
gen darin erschöpfen. Denn für das in richterlicher Rechtsfortbildung entwickelte
Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist nur dort Raum, wo es an
gesetzlichen Regelungen fehlt (vgl zuletzt Bundesverwaltungsgericht, NJW 1997, 2966).
Dies ist hinsichtlich der Behandlung rechtswidriger Verwaltungsakte nicht der Fall. Hier
hat der Gesetzgeber dem Betroffenen zunächst das Recht eingeräumt, die im SGG vor-
gesehenen Rechtsbehelfe einzulegen (Widerspruch, Klage, Berufung usw). Ist ein derar-
tiger Bescheid bestandskräftig geworden (vgl § 77 SGG), besteht die Möglichkeit eines
Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X. Damit ist die Korrektur von Verwaltungsentschei-
dungen, welche die Rechte eines Betroffenen verletzen, grundsätzlich abschließend ge-
regelt (so die neueste Rechtsprechung des BSG im Anschluß an: BSGE 60, 158, 164 ff
= SozR 1300 § 44 Nr 23, vgl Urteil des 13. Senats vom 30. Oktober 1997 - 13 RJ 71/96
= SGb 1998, 110 sowie Urteil des 5. Senats vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 36/96 = NZS 1998,
247, beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).


Allerdings hat die Rechtsprechung des BSG einen Herstellungsanspruch dann für möglich
gehalten, wenn sich der Nachteil des Betroffenen nicht in der Versagung der Leistung
durch einen bindend gewordenen Bescheid erschöpft, sondern darauf beruht, daß der
Betroffene im Vertrauen auf die Richtigkeit der dem Bescheid zugrundeliegenden Rechts-
auffassung andere, ihm günstige Maßnahmen unterlassen hat (BSG SozR 1300 § 44
Nr 18), insbesondere eine anderweitige rechtzeitige Antragstellung. Insoweit ist der Vor-
trag der Klägerin nachvollziehbar, daß die ebenfalls unrichtigen späteren Bescheide über
das Erzg für die weiteren Kinder von 1990 und 1992 als solche zwar nach § 44 SGB X
korrigierbar waren und insoweit, als es um die Leistungsversagung in diesen beiden Fäl-
len ging, die Anwendung des Herstellungsanspruchs ausschlossen, nicht aber insoweit,
als der erste, hier streitige Fall betroffen ist, für den als Fehlverhalten der Verwaltung nicht
nur die falsche Bescheiderteilung an sich, sondern eine Bestätigung der falschen Rechts-
auffassung in den nachfolgenden Bescheiden sowie eine unterbliebene Aufklärung über
die anderweitig anhängigen Verfahren geltend gemacht wird, was zur Versäumung der
Frist des § 44 Abs 4 SGB X geführt habe.


Auch wenn die Klägerin im Wege des Herstellungsanspruchs so gestellt werden müßte,
daß ihr erst 1996 gestellter "Zugunstenantrag" bereits als 1992 gestellt gilt, führt dies je-
doch nicht dazu, daß ihr Leistungen rückwirkend ab 1988 zu gewähren wären. Denn es ist

-4-



- wie das BSG bereits geklärt hat (vgl BSGE 60, 245) - auf den Herstellungsanspruch die
eine rückwirkende Leistungsverpflichtung begrenzende Vorschrift des § 44 Abs 4 SGB X
entsprechend anwendbar, so daß hier eine nachträgliche Leistung für die Zeit vor 1992
nicht mehr in Betracht kommt. Auch wenn der Fall einer Wiedereinsetzung wegen
Versäumung der Frist des § 44 Abs 4 SGB X im Wege des Herstellungsanspruchs (vgl
dazu Ladage, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1990, 87, 92) in der Rechtspre-
chung des BSG noch nicht entschieden worden ist, bedarf es nicht der Durchführung ei-
nes Revisionsverfahrens in dieser Sache. Die Entscheidung läßt sich ohne weiteres an-
hand der bisherigen Rechtsprechung treffen, die § 44 Abs 4 SGB X als Ausdruck eines
allgemeinen Rechtsgedankens bezeichnet hat, der eine mehr als vier Jahre zurückrei-
chende Leistungserbringung ausschließt (BSGE 60, 245).


Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen
Gehörs kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil er - als gegeben unterstellt - in
der Sache nicht zum Erfolg führen könnte.



Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Faksimile 1 2 3 4  

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG, B 11a AL 11/07 B vom 23.01.2007, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss
in dem Rechtsstreit
Az: B 11a AL 11/07 B

L 3 AL 2271/04 (LSG Baden-Württemberg)
S 5 AL 2169/98 (SG Konstanz)

.....................................................,
Klägerin und Beschwerdeführerin,
Prozessbevollmächtigter:
............................................................,

g e g e n


Bundesagentur für Arbeit,
Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,
Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 11a. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21. August 2007 durch
die Vizepräsidentin Dr. W.-S. sowie den Richter
Dr. V. und die Richterin Dr. R.

beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-
sozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Dezember 2006 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.


- 2 -

G r ü n d e :

[1] Die ausschließlich auf Verfahrensfehler des Landessozialgerichts (LSG) gestützte Beschwerde
ist unzulässig, da ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialge-
richtsgesetz (SGG) entspricht.

[2] Nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muss in der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde ein
geltend gemachter Verfahrensmangel bezeichnet werden. Eine ordnungsgemäße Bezeichnung
setzt voraus, dass die verletzte Verfahrensnorm und die eine Verletzung vermeintlich begrün-
denden Tatsachen substantiiert und schlüssig dargelegt werden (stRspr, ua BSG SozR 1500
§ 160a Nr 14 und SozR 3-1500 § 73 Nr 10). Eine solche Darlegung ist der von der Beschwer-
deführerin vorgelegten Begründung nicht zu entnehmen.

[3] Die Beschwerdeführerin rügt in ihrer Beschwerdebegründung vom 23. Januar 2007, das LSG
habe das rechtliche Gehör (§ 62 SGG) dadurch verletzt, dass es am 13. Dezember 2006 ent-
schieden habe, obwohl sie mit Schreiben vom 12. Dezember 2006 die Aufhebung des Termins
und eine Verschiebung um sechs Wochen beantragt habe. Es kann dahinstehen, ob in der Be-
schwerdebegründung überhaupt hinreichende Gründe für eine Terminverlegung wegen Ver-
hinderung dargelegt werden. Ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung liegt grundsätzlich
nur bei einer plötzlichen Verhinderung vor (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 8. Aufl
2005, § 62 Rz 6d mwN). Zweifel an der Plötzlichkeit der Verhinderung, die durch die Beschwer-
debegründung nicht beseitigt werden, ergeben sich insbesondere aus der Art der behaupteten
Umstände.

[4] Abgesehen davon, dass die Beschwerdebegründung den Verfahrensgang in der Vorinstanz
nicht lückenlos nachgezeichnet hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 62), fehlt es jedenfalls
an einem schlüssigen Vortrag zu der Frage, in welcher Weise der Vertagungsgrund durch die
Klägerin glaubhaft gemacht worden ist. Nach dem gemäß § 202 SGG auch im Verfahren der
Sozialgerichtsbarkeit anwendbaren § 227 Abs 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein
Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder vertagt werden. Die Entscheidung liegt im
Ermessen des Vorsitzenden bzw des Gerichts, doch hat das Gesetz Maßnahmen dieser Art zur
Straffung des Verfahrens an erhebliche Gründe geknüpft, die nach § 227 Abs 2 ZPO auf
Verlangen des Vorsitzenden bzw des Gerichts glaubhaft zu machen sind. Die Klägerin macht
zwar geltend, dass sowohl sie als auch ihre Bevollmächtigten erkrankt bzw aus pflegerischen
Gründen an einer Terminwahrnehmung verhindert gewesen seien. In der Beschwerde-
begründung wird jedoch nicht dargelegt, dass sie der Anforderung des Gerichts (vom
8. Dezember 2006), ihre Verhinderung und die Verhinderung ihrer Bevollmächtigten durch Vor-
lage entsprechender Belege (Arztbescheinigung etc) glaubhaft zu machen, nachgekommen sei.
Es ist lediglich vorgetragen worden, es sei eine ärztliche Bescheinigung hinsichtlich der
Arbeitsunfähigkeit des Ehemanns der Klägerin sowie dessen Schwerbehindertenausweis vor-


- 3 -

gelegt worden. In der Beschwerdebegründung wird jedoch nicht aufgezeigt, dass ein derartiger
Nachweis hinsichtlich der Klägerin und der weiteren Prozessbevollmächtigten C Z ge-
führt worden ist. Soweit sich in der Beschwerdebegründung die Behauptung findet, es seien für
C Z diesbezüglich "Auskünfte" vorgelegt worden, ergibt sich jedenfalls nicht nachvoll-
ziehbar, welchen genauen Inhalt die angeblichen Auskünfte gehabt haben sollen. Dies wäre
aber erforderlich gewesen, um darzulegen, dass ein erheblicher Grund tatsächlich glaubhaft
gemacht worden ist. Denn die Erkrankung bzw sonstige Verhinderung muss sich schlüssig aus
der vorgelegten Bescheinigung ergeben; die Bescheinigung muss so substantiiert sein, dass
das Gericht auf ihrer Grundlage in der Lage ist, die Frage der behaupteten Verhinderung selbst
zu beurteilen (vgl BFH, Beschluss vom 17. Mai 2000 - IV B 86/99 - BFH/NV 2000, 1353;
BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2001 - 8 B 69/01 - NJW 2001, 2735 mwN). Die erforderlichen
Darlegungen wären im Übrigen ausweislich des Inhalts der vorgelegten Berufungsakte auch
nicht möglich gewesen, denn nach dem Inhalt der Berufungsakte sind entsprechende
Auskünfte für die Klägerin und die Bevollmächtigte C Z nicht beigebracht, sondern nur
deren Einholung als Beweismittel angeregt worden.


[5] Die unzulässige Beschwerde ist zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2, § 169 SGG).


[6] Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Faksimile  1   2   3  

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG, 9 RV 24/94 vom 11.10.1994, Bundessozialgericht
Das Folgende ist zunächst ein Auszug aus der Entscheidung vom 12.03.1996 über den Prozesskostenhifeantrag im Hauptverfahren. Zur Entscheidung vom 18.06.1996 im Hauptverfahren siehe unten.



Prozesskostenhilfe ist nicht zu bewilligen, weil der Kl. nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Kosten der Prozeßführung aus seinem Vermögen aufzubringen (§ 73 a I 1 SGG iVm §§ 114, 115 II ZPO). Zum Vermögen eines Antragstellers gehören Ansprüche gegen eine Rechtsschutzversicherung (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 73 a Rz 6 a) und ebenso ein satzungsgemäßer Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch eine Gewerkschaft oder einen Verband (Henning/Danckwerts/König, SGG, Stand 1993, § 73 a Anm 5.3). Da Prozeßkostenhilfe eine besondere Art der Sozialhilfe auf dem Gebiet gerichtlichen Rechtsschutzes ist (BverfGE 9, 256, 258; 35, 348, 355), ist ein Antragsteller wegen des für Sozialhilfe und Prozeßkostenhilfe gleichermaßen geltenden Subsidiaritätsprinzips verpflichtet, die dem Justizfiskus durch Prozesskostenhilfe entstehenden Ausgaben gering zu halten. Ein Gewerkschafts- oder Verbandsmitglied muss deshalb zunächst seine satzungsgemäßen Rechte auf kostenlose Prozeßvertretung ausschöpfen und erwirbt einen Anspruch auf Prozeßkostenhilfe erst, wenn die Gewerkschaft oder der Verband keinen Rechtsschutz gewährt. Die Lage eines solchen Mitglieds ist nicht anders als die eines rechtsschutzversicherten Antragstellers, dem Prozesskostenhilfe erst gewährt wird, wenn er seinen Anspruch gegen die Rechtsschutzversicherung evtl bis zu einem Stichentscheid nach § 17 II der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) vergeblich verfolgt hat. (BGH, Betriebsberater 1987, 1845; Baumbach/Lauterbach, ZPO. 53. Aufl 1995 § 114 Rz 67; Rohwer/Kahlmann, SGG, Stand 1995, § 73 a Rz 3).



Die Lage eines Verbands- oder Gewerkschaftsmitglieds unterscheidet sich allerdings von der eines rechtsschutzversicherten Antragstellers, wenn die jeweilige Organisation Rechtsschutz im Einzelfall gewährt: Der Versicherungsnehmer kann dann einen Rechtsanwalt seines Vertrauens wählen, dessen Kosten die Versicherung übernimmt. Der Verband oder die Gewerkschaft dagegen gewährt Rechtsschutz durch einen ihrer Angestellten als „Sachleistung“. Hat der Antragsteller zu dem ihm vom Verband oder der Gewerkschaft gestellten Vertreter kein Vertrauen, so kann es ihm unzumutbar sein, sich bei der Prozessführung durch diesen Angestellten vertreten zu lassen. Dafür reicht allerdings die bloße Behauptung fehlender oder – im Laufe der Vertretung – gestörten Vertrauens nicht aus. Ebenso wie beim Wechsel eines frei gewählten und im Rahmen der Prozeßkostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts sind berechtigte sachliche oder persönliche Gründe erforderlich (vgl dazu Kalthoener/Büttner, Prozeßkostenhilfe und Beratungshilfe, 1988, Rz 569; LSG NRW, ZAP EN-Nr 154/92; zu § 167 SGG aF: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 252 r, Dapperich, Das sozialgerichtliche Verfahren, 1959, 209; BSG, Ausschuß für Verfahrensfragen, Niederschrift vom 6.2.1957, Punkt 1 – unveröffentlicht - ). Solche triftigen Gründe hat der Kl. nicht vorgebracht. Die von ihm geschilderten Eindrücke und Erfahrungen aus einem anderen Rechtsstreit, in dem er von einem Rechtsschutzsekretär seiner Gewerkschaft vertreten war, lassen zwar seine Unzufriedenheit mit dessen Tätigkeit erkennen, reichen nach Art und Gewicht aber nicht aus, um das Vertrauensverhältnis als allgemein und damit auch für diesen Fall gestört anzusehen. Das gilt um so mehr, als der Kl. im Revisionsverfahren voraussichtlich von einem Mitglied der bisher nicht eingeschalteten Bundesrechtsstelle seiner Gewerkschaft vertreten werden würde.



Ein Anspruch des Kl. auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der von ihm ausgewählten und bevollmächtigten Rechtsanwältin läßt sich (entgegen Meyer-Ladewig, aao, Rz 4) auch nicht daraus herleiten, daß § 73 a II SGG nach seinem Wortlaut die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe verbietet, wenn der Bet. durch einen Angestellten seines Verbands oder seiner Gewerkschaft tatsächlich vertreten ist, nicht nur, wenn er sich vertreten lassen kann, wie § 11 a Arbeitsgerichtsgesetz bestimmt. Aus der unterschiedlichen Formulierung der Gesetze läßt sich nicht herleiten, daß das Recht auf Prozeßkostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren weiter geht als im arbeitsgerichtlichen Verfahren (so aber Meyer-Ladewig, aaO, Rz 4). Für eine unterschiedliche Regelung gibt es keinen sachlichen Grund (so zutreffend Zeihe, SGG, Stand 1994, § 73 a Rz 11 a). § 73 a II SGG ist deshalb nur als klarstellendes Verbot zu verstehen, dem mittellosen Bet. zusätzlich zu einem bereits bevollmächtigten Verbands- oder Gewerkschaftsvertreter im Wege der Prozeßkostenhilfe noch einen Anwalt beizuordnen. Die Vorschrift besagt jedoch nichts darüber, was gilt, wenn ein Verbandsvertreter noch nicht bevollmächtigt ist, aber in Anspruch genommen werden kann.



Hätte das mittellose Gewerkschaftsmitglied die Wahl zwischen kostenlosem gewerkschaftlichen Rechtsschutz und der Beiordnung eines frei gewählten Rechtsanwalts (so Meyer-Ladewig, aaO, Rz 4; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, 203), so stände es besser als ein Bet., der über genügend Mittel zur Prozeßführung durch einen Rechtsanwalt verfügt. Dieser Bet. würde in aller Regel verständigerweise aus wirtschaftlichen Gründen das Kostenrisiko meiden und sich regelmäßig für kostenlosen Rechtsschutz durch einen Verbandsvertreter entscheiden. Es besteht deshalb kein Grund, dem finanziell minderbemittelten Bet. aus staatlichen Mitteln die Wahlfreiheit zu finanzieren, die der bemittelte Bet. verständigerweise nicht in Anspruch nimmt.



Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, daß ein mittelloses Gewerkschaftsmitglied mit Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch seine Organisation anders behandelt wird, als ein mittelloser Antragsteller, der nicht organisiert ist. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art 3 I Grundgesetz (GG) liegt darin nicht. Art 3 I GG verlangt iVm dem Rechtsstaatsprinzip lediglich die Situation bemittelter und Unbemittelter bei der Realisierung gerichtlichen Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen (vgl BverfGE 81, 347, 356, NJW 1995, 1415). Darum geht es hier nicht. wer Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch seine Organisation hat, ist nicht mittellos. Er ist bereits in jener Lage, in die Prozeßkostenhilfe den Unbemittelten erst versetzen soll: Er kann sein Recht vor Gericht suchen, ohne daran aus wirtschaftlichen Gründen gehindert zu sein. Dafür macht es keinen Unterschied, ob ihn ein Angestellter seiner Organisation oder ein Rechtsanwalt vertritt. Gerichtlicher Rechtsschutz ist auf dem Gebiet des Sozialrechts bereits bei Vertretung durch eine Behörde gewährleistet (BverfGE 22, 349, 358) und erst recht bei Vertretung durch Verbands- oder Gewerkschaftsangestellte, denen der Gesetzgeber in § 166 II SGG Rechtsanwälte gleichgestellt hat. Das Recht, unter letzteren zu wählen (§ 121 I ZPO), hat nur, wer überhaupt Anspruch auf Prozeßkostenhilfe hat.



Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die prozeßkostenhilferechtliche Sonderstellung mittelloser Gewerkschafts- und Verbandsmitglieder mit Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz gegen ihre Organisation lassen sich auch nicht aus Art 9 I und III GG herleiten. Durch den regelmäßigen Ausschluß vom Anspruch auf Prozesskostenhilfe wird weder die kollektive Vertragsfreiheit noch die Tätigkeit der Gewerkschaft (vgl BverfGE 88, 5, 15) noch die Entscheidungsfreiheit des einzelnen, einem Verband oder einer Gewerkschaft beizutreten, ernsthaft beeinträchtigt. Es kann zwar unterstellt werden, daß der einem Organisierten regelmäßig drohende Verlust einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Prozeßkostenhilfe die Entscheidungsfreiheit Mittelloser darüber beeinflußt, einer Gewerkschaft oder einem Verband wegen des dort gebotenen Rechtsschutzes beizutreten. Diese allenfalls geringfügigen Auswirkungen sind aber in Abwägung mit dem Ziel hinzunehmen, Prozeßkostenhilfe nur demjenigen zu gewähren, der sonst aus wirtschaftlichen Gründen gehindert wäre, gerichtliche Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.



BUNDESSOZIALGERICHT



Im Namen des Volkes



Urteil
in dem Rechtsstreit
Az: 9 RV 24/94



Kläger und Revisionsbeklagter,
Prozeßbevollmächtigte:



gegen



Land Sachsen-Anhalt,
vertreten durch den Präsidenten des Landesamtes für Versorgung und Soziales des
Landes Sachsen-Anhalt,
Halle, Neustädter Passage 9,

Beklagter und Revisionskläger.



Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni
1996 durch Vorsitzenden Richter Dr. S.,
Richter Dr. K. und Richter D a u sowie ehrenamtliche Richterin K.
und ehrenamtlichen Richter B. für Recht erkannt:


Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt
vom 11. Oktober 1994 wird zurückgewiesen.

- 2 -



Der Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

- 3 -



Gründe:



I



Der damals neun Jahre alte Kläger fand am 1. Juni 1950 beim Spielen auf dem Gelände
einer ehemaligen Munitions- und Sprengstoffabrik in R. (S -A.) einen
Sprengkörper. Bei dessen Explosion verlor der Kläger Daumen, Zeige- und Mittelfinger
der linken Hand sowie einen Teil der Handfläche.


Der Beklagte lehnte es ab, dem Kläger auf dessen Antrag vom 4. Juni 1992 Versorgung
zu gewähren, weil der Unfall weder auf nachträgliche Auswirkungen kriegerischer
Vorgänge noch auf Handeln der Besatzungsmacht zurückzuführen sei.


Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 1. November
1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, ab 1. Januar 1991
Versorgung nach einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu
gewähren (Urteil vom 11. Oktober 1994). Bei der Explosion des Sprengkörpers habe es
sich um einen schädigenden Vorgang infolge einer besonderen Gefahr aus der
militärischen Besetzung deutschen Gebietes gehandelt. Die sowjetische
Besatzungsmacht habe das Fabrikgelände beschlagnahmt, um die Anlagen zu
demontieren und anschließend die Gebäude zu sprengen, ohne das 320 ha große
Grundstück, dessen Umzäunung von der Bevölkerung für eigene Zwecke abgebaut war,
bis zur Übergabe an das Land Sachsen-Anhalt im März 1949 gegen Betreten durch
spielende Kinder zu sichern oder die dort lagernden Sprengstoffe zu räumen. Einer
weiteren Vernachlässigung dieser Pflichten durch das Land Sachsen-Anhalt bis zum
Unfall im Jahre 1950 komme gegenüber dem unmittelbaren Besatzungseinfluß
geringeres Gewicht zu.


Der Beklagte macht mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision geltend, das LSG
habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und §1 Abs 1 Buchst d
Bundesversorgungsgesetz (BVG) verletzt. Die unterlassene Sicherung des Fabrik-
geländes sei allein dem Land Sachsen-Anhalt zuzurechnen. Nach der Rechtsprechung
(BSGE 20, 114, 115) seien Gefahrenzustände nicht mehr der Besatzungsmacht, sondern
ab Aufgabenübertragung auf eine in Mindestform und -umfang funktionsfähige
Zivilverwaltung dieser zuzurechnen.
Das LSG habe im übrigen verkannt, daß nach der Rechtsprechung (BSGE 2, 99, 101,
102) nicht jede mit der Besatzung ursächlich zusammenhängende Gefahr unter § 5 Abs 1
Buchst d BVG falle. Nur "besatzungseigentümliche" Gefahren seien gemeint. Die
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht sei hier aber nicht besatzungseigentümlich.

- 4 -



Der Beklagte beantragt,


das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 11. Oktober 1994
aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Dessau vom 1. November 1993 zurückzuweisen.



Der Kläger beantragt,



die Revision zurückzuweisen.



II



Die Revision ist unbegründet. Der Kläger ist durch unmittelbare Kriegseinwirkung
geschädigt worden; er hat wegen der Folgen dieser Schädigung Anspruch auf
Versorgung. Leistungen sind nach Anl I Kap VIII Sachgebiet K Abschn III Maßgabe 1 i
zum Einigungsvertrag ab 1. Januar 1991 zu gewähren, weil die Voraussetzungen zu
diesem Zeitpunkt vorgelegen haben und der Antrag vor dem 1. Januar 1994 gestellt
worden ist.



Das LSG hat zwischen dem Verhalten der sowjetischen Besatzungsmacht und der
Schädigung des Klägers zu Recht einen versorgungsrechtlich erheblichen Zusam-
menhang hergestellt. Die dagegen gerichteten Angriffe des Klägers bleiben ohne Erfolg.


Zwar trifft der Einwand des Beklagten zu, daß das Verhalten der Besatzungsmacht,
entgegen den Ausführungen des LSG, nicht deshalb als unmittelbare Kriegseinwirkung
gilt, weil es eine mit der militärischen Besetzung deutschen Gebietes
zusammenhängende besondere Gefahr iS des § 5 Abs 1 Buchst d BVG hervorgerufen
hätte. Denn dazu zählen nicht alle mit der militärischen Besetzung verbundenen
Gefahren, sondern aus diesem Kreis nur solche, die für die besonderen Verhältnisse der
militärischen Besetzung typisch sind (BSGE 12, 13, 15).
Nicht besetzungseigentümlich und deshalb vom Versorgungsschutz ausgenommen sind
schädigende Vorgänge, die ihrer Art nach ebenso hätten eintreten können, wenn sie
durch Maßnahmen oder Unterlassungen der deutschen Verwaltung statt durch die
Besatzungsmacht verursacht worden wären (BSGE 17, 225, 229 = SozR BVG § 1 Nr 62).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Gebot, das munitionsverseuchte Fabrikgrundstück
gegen Betreten durch spielende Kinder zu sichern, wurde sowohl von der sowjetischen
Besatzungsmacht während der Zeit der Beschlagnahme, als auch anschließend nach
Übertragung des Eigentums im März 1949 von der Verwaltung des Landes
Sachsen-Anhalt verletzt. Diese Verletzung der Verkehrssicherungspflicht war mithin nicht
besetzungseigentümlich.

- 5 -



Gleichwohl hat der Kläger Anspruch auf Versorgung wegen der Verletzungsfolgen. Denn
versorgungsrechtlich geschützt ist auch, wer einen nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu
ersetzenden Besatzungspersonenschaden zu einem Zeitpunkt erleidet, zu dem eine
Regelung für die Entschädigung von Besatzungsschäden noch nicht vorhanden war. Das
Versorgungsrecht schließt diese zivilrechtliche Anspruchslücke, indem es Schäden, die
durch Angehörige der Besatzungsmacht verursacht worden sind, zu nachträglichen
Auswirkungen kriegerischer Vorgänge erklärt (§ 5 Abs 2 Buchst a BVG), die ihrerseits als
unmittelbare Kriegseinwirkung iS des § 1 Abs 2 Buchst a BVG gelten (§ 5 Abs 1 Buchst e
BVG).


In den westlichen Besatzungszonen bestand diese Lücke nur bis zum 31. Juli 1945. Denn
für Besatzungsschäden, die vom 1. August 1945 an verursacht worden sind, galt das
Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden vom 1. Dezember 1955 (BGBl I, 734;
vgl dessen § 2).


In der DDR wurde eine Entschädigungsregelung für Besatzungspersonenschäden erst
eingeführt durch das Abkommen vom 11. April 1957 zwischen der Regierung der DDR
und der Regierung der UdSSR über Fragen, die mit der zeitweiligen Stationierung
sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der DDR zusammenhängen (GBl I 237).
Dieses Abkommen ist nach seinem Art 21 Satz 2 am 27. April 1957 in Kraft getreten
(GBl I 285). Bis dahin eingetretene Schädigungen durch Angehörige der sowjetischen
Streitkräfte stehen in engem Zusammenhang mit Krieg und Besatzung und fallen deshalb
unter §5 Abs 2 Buchst a BVG. Das entspricht auch der Auffassung des
Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (vgl dessen Rundschreiben vom
10. Juni 1991, BArbBl 1991, 9/108). Die sowjetischen Truppen waren bis dahin als Streit-
kräfte einer Besatzungsmacht iS des § 5 Abs 2 Buchst a BVG in der DDR stationiert. Der
Senat hat die sowjetische Besatzungsherrschaft in einer früheren Entscheidung zwar
bereits durch den Vertrag vom 20. September 1955 über die Beziehungen zwischen der
DDR und der UdSSR, in Kraft getreten am 6. Oktober 1955 (GBl I 917), für beendet
gehalten und deshalb Versorgungsansprüche nach § 5 Abs 2 Buchst a BVG wegen eines
erst 1965 durch sowjetische Soldaten in der DDR verursachten Verkehrsunfalls
ausgeschlossen (BSGE 59, 94, 97 = SozR 3100 § 5 Nr 9). Maßgeblich hat der Senat aber
schon damals darauf abgestellt, daß die sowjetischen Truppen in der DDR ihre Stellung
und ihre Befugnisse als Besatzungsmacht durch die Bestimmungen des Vertrages vom
11. April 1957 endgültig verloren haben.


Die Verletzung des Klägers am 1. Juni 1950 ist nach den Feststellungen des LSG eine
Schädigung iS des § 5 Abs 2 Buchst a iVm Abs 1 Buchst e BVG. Daß das LSG diese
Feststellungen im Zusammenhang mit der Erörterung des § 5 Abs 1 Buchst d BVG
getroffen hat, steht nicht entgegen. Der Schaden ist durch Angehörige der sowjetischen
Besatzungsmacht in der DDR verursacht worden. Deren Verhalten war für den Unfall

- 6 -



wesentliche Bedingung iS der auch hier geltenden versorgungsrechtlichen
Kausalitätsnorm (BSG SozR BVG § 5 Nr 35). Das LSG hat unangegriffen festgestellt, daß
der Unfall des Klägers im vorgenannten Sinne nicht auf dessen eigenes Verhalten oder
das Verhalten seiner Eltern zurückzuführen war, sondern auf eine Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht. Dabei hat es der Pflichtverletzung durch das Land
Sachsen-Anhalt nur untergeordnete Bedeutung beigemessen und den Unfall des Klägers
wesentlich auf die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die sowjetische
Besatzungsmacht in den Jahren 1945 bis 1949 zurückgeführt. Bei dieser Bewertung sind
Rechtsfehler nicht zu erkennen. Seit März 1949 war zwar das Land Sachsen-Anhalt als
Eigentümer und Eigenbesitzer für den verkehrssicheren Zustand des Grundstücks
verantwortlich. Damit endete aber nicht die Verantwortlichkeit der sowjetischen
Besatzungsmacht als früherer Eigenbesitzer. Grundsätzlich trifft die
Zustandsveranwortlichkeit für Grundstücke den gegenwärtigen Eigenbesitzer. Davon ist in
sinnentsprechender Anwendung der für den Einsturz von Gebäuden getroffenen
Regelung des § 836 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aber eine Ausnahme zu
machen (vgl Mertens in Münchner Komm, 2. Aufl 1986, § 823 Rz 192). Der frühere
Eigenbesitzer bleibt jedenfalls übergangsweise verantwortlich, wenn er die von dem
Grundstück ausgehende Gefahr durch vorangegangenes Handeln oder Unterlassen
begründet hat. Die Übergangszeit kann auch angesichts der Nachkriegsverhältnisse nicht
auf ein Jahr beschränkt werden, wie das § 836 Abs 2 BGB vorsieht. Die sowjetische
Besatzungsmacht hatte es hingenommen, daß in den Jahren ab 1945 die Umzäunung
des von ihr beschlagnahmten Fabrikgeländes von der Bevölkerung abgebaut und damit
das vorher gesicherte Grundstück zu einer Gefahrenquelle für spielende Kinder geworden
war. Die Umzäunung wurde bis zum März 1949 weder erneuert oder repariert noch wurde
die massenhaft herumliegende Munition geräumt. Im März 1949 hat sich die
Besatzungsmacht dann des heruntergekommenen, munitionsverseuchten Grundstücks
zu Lasten einer Gebietskörperschaft entledigt, die unter den Mangelverhältnissen der
Nachkriegszeit mit Aufgaben überlastet war und schwerlich in kurzer Zeit das nachholen
konnte, was jahrelang versäumt worden war und den gefährlichen Zustand des
Grundstücks begründet hatte.


Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Faksimile   1   2   3   4   5  6  

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG, 9b RAr 7/90 vom 06.03.1991, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT


Im Namen des Volkes



Urteil



in dem Rechtsstreit



Az: 9b RAr 7/90

Klägerin und Revisionsbeklagte,
Prozeßbevollmächtigte:



gegen



Bundesanstalt für Arbeit,
Nürnberg, Regensburger Straße 104,
Beklagte und Revisionsklägerin.



Der 9b Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. März
1991 durch Vorsitzenden Richter Dr. S., Richter Dr. W. und Richter
Dr. L. sowie ehrenamtliche Richterin Dr. N. und ehrenamtlichen Richter R.
für Recht erkannt:



- 2 -



Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts
Rheinland-Pfalz vom 16. Februar 1990 und des Sozialgerichts Koblenz vom 28. April
1989 geändert.


Die Klage wird abgewiesen.



Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



- 3 -

Gründe:



I



Die Klägerin, geprüfte Krankenschwester, erhielt von der Beklagten für die Teilnahme an
einer Weiterbildung zur Unterrichtsschwester (Lehrkraft an Krankenpflegeschulen) von
Oktober 1982 bis September 1983 ua Unterhaltsgeld (Uhg) als Darlehen (Bescheid vom
21. oder 25. Oktober 1982). Mit Schreiben vom 19. September 1983 beantragte die
Klägerin die Gewährung des Uhg als Zuschuß statt als Darlehen, weil der Beruf der
Unterrichtsschwester nach einem Runderlaß der Beklagten als Mangelberuf anerkannt
sei. Die Beklagte lehnte eine Überprüfung ihrer rechtsverbindlichen Entscheidung ab
(Bescheid vom 23. Januar 1985, Widerspruchsbescheid vom 11. März 1985) und forderte
die Klägerin zur Rückzahlung des Darlehens in Raten auf (Bescheid vom 25. Januar
1985). Auf einen im April 1988 erneut gestellten, auf Rechtsprechung gestützten Antrag,
das Darlehen in einen Zuschuß umzuwandeln, verweigerte das Arbeitsamt wiederum eine
neue Sachprüfung nach § 44 Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren -SGB X- (Bescheid
vom 1. Juli 1988); im Widerspruchsbescheid vom 28. September 1988 wurde die
Gewährung eines Darlehens als rechtmäßig bestätigt. Das Sozialgericht (SG) hat die an-
gefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über den Antrag der
Klägerin auf Änderung des Bescheides vom 25. Oktober 1982 über das gewährte Uhg
unter Rücknahme der Bescheide vom 23. Januar 1985 und 11. März 1985 gemäß der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (Urteil vom 21. April 1989). Das
Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom
16. Februar 1990). Nach seiner mit dem SG übereinstimmenden Rechtsauffassung hat
die Beklagte eine Überprüfung der Verwaltungsakte und die Gewährung des Uhg als
Darlehen zu Unrecht abgelehnt. Sie müsse den 1982 erlassenen Bescheid insoweit, als
er die Leistung als Zuschuß versagt hat, und die Ablehnung eines neuen Verfahrens
(1985) als unrichtig zurücknehmen (§ 44 SGB X iVm § 152 Arbeitsförde-
rungsgesetz -AFG-); denn die Fortbildung der Klägerin sei deshalb notwendig gewesen,
weil der angestrebte Beruf einer Lehrschwester nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
und nach der Rechtsprechung bundesweit ein Mangelberuf sei (§ 44 Abs 2 Satz 2 Nr 4
AFG). § 44 Abs 1 SGB X sei nicht anzuwenden; denn die Klägerin habe die Sozialleistung
Uhg bereits erhalten. Deshalb scheide auch der allein auf Abs 1 bezogene Abs 4 aus,
wonach nach der Rücknahme neue Leistungen nicht für länger als vier Jahre rückwirkend
gewährt werden dürfen. Soweit die Klägerin das Darlehen noch nicht zurückgezahlt habe,
sei sie nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X davon für die Zukunft befreit. Soweit sie
Teilleistungen von insgesamt 7.410,-- DM erstattet habe, müsse die Beklagte nach § 44
Abs 2 Satz 2 SGB X für die Vergangenheit ihr Rücknahmeermessen ausüben. In Höhe
des nach dem Antrag vom April 1988 zurückgezahlten Gesamtbetrages von 3.040,-- DM

- 4 -



bleibe keine andere Entscheidung offen, als den Anspruch über den Darlehenscharakter
des Uhg aufzuheben. Falls die Beklagte über den Antrag sofort entschieden hätte, wäre
sie insoweit nach § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X verpflichtet gewesen, den Zuschuß
zuzuerkennen; das bestätige § 44 Abs 2 Satz 3 SGB X. Anderenfalls könnte sich die
Verwaltung durch eine Verzögerung den Ermessensspielraum für die Entscheidung nach
§ 44 Abs 2 Satz 2 SGB X verschaffen.


Die Beklagte rügt mit ihrer - vom LSG zugelassenen -Revision eine Verletzung des § 44
Abs 1, 2 und 4 SGB X. Sie begründet ihre Revision allein damit, daß das Uhg wegen
Fristablaufs nach § 44 Abs 4 SGB X nicht mehr als Zuschuß für die Zeit der Fortbildung
(1982/1983) gewährt werden könne. Die Frage, ob die Voraussetzung, dh die
Notwendigkeit der Fortbildung wegen eines Mangelberufs nach § 44 Abs 2 Nr 4 AFG aF,
gegeben ist, sei unerheblich. Die darüber ergangene Entscheidung des Berufungsgerichts
werde allerdings nicht beanstandet. Entgegen der Auffassung des LSG habe die
Verwaltung die beantragte Leistung nicht bereits iS des § 44 Abs 4 SGB X "erbracht". Der
Klägerin sei allein ein Uhg als Darlehen gewährt worden, und ein solches, das
zurückgezahlt werden müsse, unterscheide sich elementar von einem Zuschuß. Selbst
wenn die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens nach § 44 Abs 1 SGB X iVm § 152 Abs 1
AFG die Ablehnung eines Zuschusses für die Vergangenheit zurücknehme, dürfe sie die
angestrebte Zugunstenentscheidung nach § 44 Abs 4 SGB X nicht treffen. Dabei sei der
Vierjahreszeitraum von dem im April 1988 gestellten Antrag ab zu berechnen. Entgegen
der Auffassung des SG lebe durch eine Rücknahme der rechtsverbindlichen Ablehnung
einer Überprüfung der darauf gerichtet gewesene Antrag von 1983 nicht wieder auf in der
Weise, daß er für die Fristberechnung nach § 44 Abs 4 SGB X maßgebend sei. Im üb-
rigen sei auf die nach Auffassung des LSG anwendbare Rücknahmevorschrift des § 44
Abs 2 SGB X die Ausschlußregelung des § 44 Abs 4 SGB X entsprechend anzuwenden,
soweit der Empfänger nachträglich von einer Rückzahlungsverpflichtung befreit werden
wolle. Eine solche Entlastung belaste den Leistungsträger für einen länger als vier Jahre
zurückliegenden Zeitraum ebenso wie eine nachträgliche Zahlung. Der Anspruch auf
Rückzahlung, der wegfallen solle, sei 1982/83 entstanden.



Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen zu ändern und die Klage abzuweisen.



Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.



Sie betont, daß § 44 Abs 4 SGB X nicht die Möglichkeit, einen nicht begünstigenden
Verwaltungsakt zu überprüfen,
regele; die Rücknahme sei - anders als nach § 45 Abs 3 SGB X - zeitlich unbegrenzt
möglich. § 44 Abs 4 SGB X verbiete allein, eine Leistung für die Zeit vor vier Jahren

- 5 -



rückwirkend zu erbringen, dh zu zahlen, nicht aber eine weiter zurückliegende Gewährung
(Bewilligung, Zuerkennung) durch die Rücknahme. Eine Umwandlung des bereits
1982/83 gezahlten Uhg, der Sozialleistung, in einen Zuschuß würde nur vom Antrag ab
der Tilgung die Rechtsgrundlage entziehen. Die rückwirkende Beseitigung der
Tilgungspflicht werde nicht durch § 44 Abs 4 SGB X ausgeschlossen.


Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.


II



Die Revision der Beklagten ist begründet.



Die Klage hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen hätten die Beklagte nicht verpflichten
dürfen, über den Rücknahmeantrag der Klägerin unter Beachtung der gerichtlichen
Rechtsauffassung neu zu entscheiden.



Die Beklagte, die der Klägerin 1982/83 Uhg als zurückzuzahlendes Darlehen gewährte
(§ 44 Abs 2a AFG hier idF des AFKG vom 22. Dezember 1981 - BGBl I 1497 -, § 607
Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch), hat damit zugleich Uhg als übliche, in erster Linie
begehrte Sozialleistung, dh als Zuschuß zum Verbleib (§ 11 Satz 1 Sozialgesetzbuch
Allgemeiner Teil -SGB I- vom 11. Dezember 1975 - BGBl I 3015 -, § 44 Abs 1 bis 2 Satz 2
Nr 4 AFG), abgelehnt. Der versagende Verfügungssatz, der die Klägerin nicht
begünstigte, sondern belastete (vgl die Definition des begünstigenden Verwaltungsaktes
in § 45 SGB X vom 18. August 1980 - BGBl I 1469 -), wäre, falls er unrichtig wäre, nach
§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X zurückzunehmen und durch eine neue - richtige - Entscheidung
zu ersetzen (BSG Breithaupt 1982, 800). Diese Regelung wird für das
Arbeitsförderungsrecht durch § 152 Abs 1 AFG (idF des Art II § 2 Nr 18 Buchstabe a
SGB X) dahin abgewandelt, daß ein Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft zu-
rückgenommen wird; nach dem 1987 klarstellend angefügten Halbsatz 2
(8. Änderungsgesetz vom 14. Dezember 1987 - BGBl I 2602 - dazu Gesetzesbegründung
in BT-Drucks 11/800 zu Nr 35 - § 152 -) darf aber die Verwaltung nach ihrem Ermessen
die Rücknahme auf die Vergangenheit erstrecken.


Ob die Versagung des Uhg als Zuschuß rechtswidrig war, weil die Lehrschwestertätigkeit
1982/83 ein Mangelberuf war und deshalb die Weiterbildung für sie notwendig gewesen
wäre (§ 44 Abs 2 Satz 2 Nr 4 AFG), war in diesem Verfahren nicht mehr als
Voraussetzung für eine Rücknahme zu entscheiden. Eine Rücknahme des ablehnenden
Verwaltungsaktes wegen einer entsprechenden Rechtswidrigkeit und eine Ersetzung

- 6 -



durch einen Bewilligungsakt ist wegen der Einwirkung der Verfallklausel des § 44 Abs 4
SGB X auf die Rücknahmeregelung schlechthin ausgeschlossen. Die Verwaltung hat jene
beiden Entscheidungen zugunsten eines Antragstellers dann nicht mehr vorzunehmen,
wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung
ausschließlich Leistungen für eine Zeit, die länger als vier Jahre vor dem
Rücknahmeantrag liegt, regelte und wenn der ersetzende Bewilligungsbescheid sich
ebenfalls nur auf den genannten Zeitraum auswirken würde. So war es hier. Der 1988
gestellte Rücknahmeantrag der Klägerin bezieht sich auf Uhg für die 1982/83 durch-
geführte Maßnahme.


Nach § 44 Abs 4 Satz 1 und 2 SGB X werden Sozialleistungen, falls ein Verwaltungsakt
mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen und durch einen
Zugunstenbescheid ersetzt wird, längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der
Rücknahme erbracht. Für die Berechnung des Zeitraumes tritt nach Satz 3 an die Stelle
des Rücknahmeaktes ein Antrag, falls er zur Rücknahme führte. Diese Vollzugsregelung
(BSGE 61, 154, 156 f = SozR 1300 § 48 Nr 32), die zwingend anzuwenden ist (BSGE 60,
158, 160 f = SozR 1300 § 44 Nr 23), steht für die länger als vier Jahre zurückliegende
Zeit, für die keine Leistungen mehr erbracht werden dürfen, einem Rücknahme- und
einem Ersetzungsakt entgegen. Sie ist auf die Rücknahmeregelung bezogen, die
voraussetzt, daß infolge der unrichtigen Entscheidung Sozialleistungen nicht erbracht
wurden (BSGE 62, 10, 13 = SozR 2200 § 1254 Nr 7). "Erbringen" bedeutet tatsächliches
Leisten (§ 43 SGB I, §§ 102 bis 105 SGB X; zu § 18c Abs 1 bis 3
Bundesversorgungsgesetz: RdSchr des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
vom 18. Juni 1982 - BABl 1982 Heft 9 S 109 -; vgl auch BSG 12. Oktober 1990 - 2 RU
63/89 - RdSchr Nr 9/91 des Bundesverbandes der Unfallversicherungsträger der
öffentlichen Hand). Ein derart zu vollziehender Verwaltungsakt ist nicht mehr zu erlassen,
wenn er nicht ausgeführt werden darf. Er wäre wirkungslos. Von der Verwaltung darf
keine unnötige, überflüssige Tätigkeit verlangt werden, die hier auch die - mitunter recht
schwierige und aufwendige - Prüfung auf eine Unrichtigkeit einbezöge. Ein Antragsteller,
der über § 44 SGB X keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten darf, hat kein
rechtliches Interesse an der Rücknahme und der zusprechenden Entscheidung, die nach
Abs 4 nicht vollzogen werden dürfen.


§ 44 Abs 4 SGB X ist hier nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin schon
1983, also innerhalb des Vier-Jahres-Zeitraumes, der die Maßnahmezeit von 1982/83
umfaßte, die Rücknahme und damit die Gewährung des Uhg als Zuschuß beantragt hat.
Selbst wenn ein Antrag wie dieser, der rechtsverbindlich abgelehnt wurde, durch eine
Rücknahme wiederauflebte (vgl dazu BSG Breithaupt 1982, 800), tritt diese Wirkung hier
nicht ein; denn der 1988 von der Klägerin gestellte Antrag, über den in diesem Verfahren
zu entscheiden ist, könnte aus den dargelegten Gründen nicht zu einer Rücknahme und
Ersetzung führen. Dann ist auch nicht der Verwaltungsakt, durch den 1985 der Antrag von

- 7 -



1983 abgelehnt wurde, mitsamt dem Widerspruchsbescheid zurückzunehmen. Diese
Verwaltungsentscheidungen, mit denen die Beklagte eine erneute Sachprüfung abgelehnt
hat, sind auch aus einem anderen verfahrensrechtlichen Grund nicht zurückzunehmen. In
dem abgelehnten Antrag wies die Klägerin nicht auf neue Erkenntnisse hin, die die
Lehrschwestertätigkeit als Mangelberuf beurteilen ließen. Im ersten Abschnitt zur
Eröffnung des dreistufigen Entscheidungsprozesses über eine Rücknahme und eine
Ersetzung eines unrichtigen Verwaltungsaktes ist allein darüber zu befinden, ob
überhaupt ein rechtsverbindlicher Bescheid erneut zu überprüfen ist (BSGE 63, 33, 35 f
= SozR 1300 § 44 Nr 33). Die Verwaltung darf dies ablehnen, falls - wie hier - keine neuen
Erkenntnisse für eine Unrichtigkeit vorgetragen werden oder sonst erkennbar sind (BSG
aaO). Sie soll nicht durch aussichtslose Anträge, die beliebig oft wiederholt werden
könnten, immer wieder zu neuen Sachprüfungen gezwungen werden können.


Die Einschränkung der Rücknahmeregelung (§ 44 Abs 1 SGB X iVm § 152 Abs 1 AFG)
durch die Ausschlußklausel (§ 44 Abs 4 SGB X) entfällt im Fall der Klägerin weder
deshalb, weil die Klägerin das abgelehnte, jetzt erneut beantragte Uhg bereits 1982/83
während der Weiterbildungsmaßnahme erhalten hätte, noch deshalb, weil sie das
ausbezahlte Darlehen in der Zeit seit dem Rücknahmeantrag und vorher nicht länger als
vier Jahre zurückliegend (seit 1985) zurückzahlen muß.


Die Auszahlung der Uhg-Beträge während der Bildungsmaßnahme beruhte nicht auf der
jetzt umstrittenen Gewährung eines Zuschusses, sondern auf der Darlehensgewährung,
deren Vollzug allerdings im Fall einer Rücknahme und Bewilligung eines Zuschusses
deshalb rückgängig gemacht werden müßte, weil die Leistung nicht doppelt gezahlt
werden darf. Das Uhg als Zuschuß hat eine andere Rechtsnatur als das Darlehen, dh als
der nur zur zeitweiligen Nutzung gewährte Uhg-Betrag, wenn auch beide Leistungen der
Sicherung des Lebensunterhaltes während einer beruflichen Bildungsmaßnahme und
zugleich der Motivierung zur Teilnahme dienen (BSGE 58, 160, bes 164 = SozR 4100
§ 138 Nr 11).


Ein Verzicht der Verwaltung auf die Rückzahlung würde nicht wie ein "Erbringen" iS des
§ 44 Abs 1 und 4 SGB X wirken. Die Pflicht zur Rückzahlung des Darlehens ist keine
Folge der - möglicherweise - unrichtigen Entscheidung, durch die ein Zuschuß abgelehnt
wurde. Sie wurde auch nicht durch einen teilweise belastenden Verwaltungsakt iS des
§ 44 Abs 1 SGB X, der mit der begünstigenden Gewährung dieser Leistung verbunden
gewesen wäre, der Klägerin auferlegt. Die Bewilligung des Darlehens stellt einen nicht
teilbaren begünstigenden Verfügungssatz dar, allerdings inhaltlich durch die ein-
geschlossene Rückzahlungspflicht, die der Rechtsnatur des Darlehens eigen ist,
eingeschränkt. Im Gesamtergebnis ist die Klägerin durch die Gewährung des Darlehens
besser gestellt, als wenn die Beklagte ausschließlich ein Uhg als Zuschuß abgelehnt
hätte. Die Rechtslage in diesem Fall ist nach § 44 SGB X, ergänzt durch § 152 Abs 1


- 8 -

AFG, allein nach dem erlassenen und nach dem angestrebten Verwaltungsakt über ein
Uhg als Zuschuß zu beurteilen. Dies wäre noch deutlicher, wenn die Verwaltung die
darüber ergangene Ablehnungsentscheidung zeitlich gesondert von der
Darlehensgewährung erlassen hätte.


Die Klägerin kann sich nicht zu ihren Gunsten auf die Rechtsfolgen der Rücknahme eines
Bescheides berufen, durch den ein begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X zu-
rückgenommen wurde. Die zwingende Rechtsfolge des ersten Aufhebungsaktes, die
Erstattungspflicht nach § 50 SGB X, kann dadurch rückgängig zu machen sein, daß der
Leistungsträger diese Pflicht beseitigt (vgl dazu BSG SozR 1300 § 44 Nr 22; kritisch dazu
Kopp, SGb 1987, 121; vgl auch BVerwG Urteil vom 15. November 1990 - 5 C 78.88). Die
Klägerin hatte aber, wie schon dargelegt, den erhaltenen Darlehensbetrag nicht als
unmittelbare Folge der Ablehnung eines Zuschusses, deren Rechtmäßigkeit umstritten ist
und die nach dem Willen der Klägerin aufgehoben werden soll, in Raten zurückzuzahlen.
Vielmehr war diese Versagung des Uhg nur das Motiv für den Entschluß der Klägerin, an
Stelle eines Zuschusses ein - zinsloses - Darlehen zu nehmen. Die Mittel des
Verwaltungsverfahrensrechts können nicht die wirtschaftlichen Folgen eines Entschlusses
beseitigen, der wegen eines Verwaltungsaktes gefaßt wurde, wenn später behauptet wird,
dieser belastende Verwaltungsakt sei rechtswidrig gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Faksimile 1 2 3 4 5 6 7 8 

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG, 9 BV 39/88 vom 24.11.1988, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht

9 BV 39/88

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. November



1988







beschlossen:







Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der



Revision durch das Landessozialgericht Hamburg im Urteil



vom 19. Januar 1988 wird zurückgewiesen.



Kosten sind nicht zu erstatten.







- 3 -







Gründe:







Die Revision ist nicht gemäß den §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 Sozial-



gerichtsgesetz (SGG) zuzulassen, weil die Voraussetzungen, unter



denen ein - hier allein geltend gemachter - Verfahrensmangel zur



Zulassung der Revision führen kann, nicht erfüllt sind. Nach



§ 160 Abs 2 Nr 3, 2. Halbs SGG kann die Rüge eines Verfahrens-



mangels nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1



SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden,



wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozi-



algericht (LSG) ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.







Der Kläger räumt ein, daß er eine Verletzung des § 109 SGG im



Beschwerdeverfahren nicht rügen kann, soweit das LSG dem Antrag,



die Neurologin und Psychiaterin Dr. H. zu hören, nicht gefolgt



ist. Er meint aber, in dem zu Protokoll erklärten und auf 3 109



SGG gestützten Antrag läge ein Beweisantrag, dem das LSG bereits



in Erfüllung seiner Pflicht zur Sachaufklärung nach § 103 SGG von



Amts wegen habe folgen müssen; mit der Ablehnung dieses Antrags



sei also nicht nur § 109 SGG, sondern auch § 103 SGG verletzt. In



einem auf § 109 SGG gestützten Antrag auf Anhörung eines be-



stimmten Arztes sei notwendig ein Beweisantrag nach § 103 SGG



enthalten. Dem ist nicht zu folgen.







Für seine Rechtsauffassung kann sich der Kläger zwar auf Meyer-



Ladewig, Kommentar zum SGG, 3. Aufl, 5 160 RdNr 18 stützen; eine



Begründung fehlt hier jedoch. Auch der 1. Senat des Bundessozial-



gerichts (BSG) hat in dem nicht veröffentlichten Beschluß vom



5. April 1988 - 1 BA 255/87 - unter Hinweis auf diese Kommentar-



stelle ohne Begründung unterstellt, daß ein Antrag nach § 109 SGG



ein Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG sei; er hat aber die



Beschwerde aus einem anderen Grund als unzulässig verworfen.



Stellt der Kläger einen Antrag nach § 109 SGG, so mag zwar aus



seiner Sicht der Sachverhalt häufig noch nicht hinreichend aufge-



klärt sein; das kann aber nicht dazu führen, in jedem Antrag nach



§ 109 SGG zugleich die Aufforderung an das Gericht zu erkennen,



in erster Linie von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzu-







- 3 -







klären. Der Antrag nach § 109 SGG wäre damit immer als soge-



nannter Hilfsantrag aufzufassen. So ist der Antrag nach § 109 SGG



aber in der Rechtsprechung nie verstanden worden. Es ist zwar



anerkannt worden, daß der Antrag als Hilfsantrag gestellt werden



kann (BSG SozR SGG § 109 Nr 17). Wird der Antrag aber nicht aus-



drücklich als Hilfsantrag bezeichnet, so ist er als Inanspruch-



nahme der Berechtigung aufzufassen, unbeschadet der gerichtlichen



Sachaufklärungspflicht einen Arzt des Vertrauens zu hören. Er hat



eine andere Zielrichtung als die in § 103 SGG erwähnten Beweisan-



träge.







Der Beweisantrag, der mit der Rüge der Verletzung des § 103 SGG



zur Zulassung der Revision führen kann, muß ein Beweisantrag iS



dieser Vorschrift sein (ebenso Zeihe, SGG, 5. Aufl, § 160



Anm 25e). Wenn ein solcher Antrag gestellt wird, muß zwar nicht



diese Vorschrift ausdrücklich erwähnt werden; es muß jedoch un-



zweifelhaft erkennbar sein, daß eine weitere Sachverhaltsaufklä-



rung von Amts wegen für erforderlich gehalten wird. Das ergibt



sich aus dem Sinn und Zweck der nur beschränkten Eröffnung der



Revisionsinstanz bei Verfahrensfehlern. § 160 SGG in der gegen-



wärtigen Fassung ist durch das Gesetz vom 30. Juli 1974 (BGBl I



1625) mit der Absicht eingefügt worden, die Revisionsinstanz von



den zuvor in großer Zahl anfallenden sogenannten Verfahrensrevi-



sionen zu entlasten (vgl Begründung des Regierungsentwurfs



BT-Drucks 7/861). Gerade die häufigsten, auf die Verletzung der



§§ 103, 109 und 128 SGG gestützten Verfahrensrevisionen sollten



eingeschränkt werden. Während die Verletzung der §§ 109 und 128



SGG überhaupt nicht mehr zur Zulassung der Revision führen kann,



ist für eine Rüge der Verletzung des § 103 SGG ein Beweisantrag



als erforderlich angesehen worden, der diese Rüge bereits in der



Berufungsinstanz vorbereitet. Diese Regelung mag in einem nicht



einem Vertretungszwang unterworfenen Verfahren systemfremd er-



scheinen (vgl dazu Krasney, Die Ersatzkasse 1973, 312; 197A, 330;



derselbe, Der Kompaß, 197A, 303). Die Regelung läßt aber er-



kennen, daß auch die wegen einer Verletzung des § 103 SGG zuzu-



lassende Revision die Ausnahme bleiben soll; sie soll sich auf



Aufklärungsmängel beschränken, auf die das Gericht bereits vor







- 4 -







der Entscheidung hingewiesen worden ist. Für diesen Hinweis ver-



langt das Gesetz überdies eine besondere Form, nämlich einen Be-



weisantrag, der grundsätzlich auch das Beweisthema und das Be-



weismittel enthalten muß (vgl Meyer-Ladewig aaO und BSG SozR 1500



§ 160a Nr 2N). Erst wenn der Tatsacheninstanz durch einen Beweis-



antrag vor der Entscheidung noch einmal deutlich vor Augen ge-



führt worden ist, daß der Kläger die gerichtliche Sachaufklä-



rungspflicht in einem bestimmten Punkt noch nicht als erfüllt



ansieht, soll das Übergehen eines solchen Antrages oder eine



nicht hinreichend begründete Ablehnung die Revisionsinstanz und



damit die weitere Sachaufklärung nach Zurückverweisung des



Rechtsstreits in die Tatsacheninstanz ermöglichen. Der Beweisan-



trag hat somit auch warnfunktion. Der Senat hat deshalb schon für



eine schlüssige Darlegung des Verfahrensverstoßes stets verlangt,



daß der Antrag in das Protokoll über die mündliche Verhandlung



aufgenommen worden ist oder sich aus dem Urteilsinhalt ergibt



oder schriftsätzlich vorgebracht und bis zum Ende der Sitzung



aufrechterhalten worden ist (vgl Beschluß vom 15. Februar 1988



- 9/9a BV 196/87 - zur Veröffentlichung bestimmt; ferner BSG SozR



1500 § 160 Nr 12). Der Kläger hat hier seinen Antrag zwar aus-



drücklich zu Protokoll erklärt; indem er sich aber auf § 109 SGG



bezog und einen bestimmten ärztlichen Sachverständigen nannte,



hat er zumindest nicht hinreichend erkennbar gemacht, daß er noch



eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen für erforderlich



hielt, obwohl ihm das LSG zuvor mitgeteilt hatte, daß von Amts



wegen keine weiteren Gutachten mehr eingeholt würden. Das LSG hat



den gestellten Antrag auch nur als Ausübung des Rechts nach § 109



SGG aufgefaßt und als verspätet zurückgewiesen.







- 5 -







Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Faksimile 1 2 3 4 5

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG, 9 BV 26/93 vom 24.05.1993, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT
Beschluß
in dem Rechtsstreit

Az: 9 BV 26/93
...........................................................,
Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigter: ...........................,

g e g e n

Land Niedersachsen,

vertreten durch das Landesversorgungsamt Niedersachsen,
Hannover 1, Gustav-Bratke-Allee 2,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. Mai 1993 durch Vorsitzenden Richter
Dr. S c h m i t t, Richterin J a e g e r und Richter D a u beschlossen:


Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision durch das
Landessozialgericht Niedersachsen im Urteil vom 18. Dezember 1992 wird als unzulässig
verworfen.


Kosten sind nicht zu erstatten.


- 2 -

G r ü n d e :


Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und
§ 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgelegten gesetzlichen Form. Sie war
deshalb entsprechend den §§ 169, 193 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter
zu verwerfen (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).


Der Beschwerdeführer weist zwar auf Zulassungsgründe hin, die in § 160 Abs 2 SGG
aufgeführt sind. Er behauptet, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS des
§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG und das angegriffene Urteil beruhe auf einem Verfahrensfehler iS
des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Die behaupteten Zulassungsgründe sind aber nicht so
dargelegt und bezeichnet, wie dies § 160 Abs 2 Satz 3 SGG verlangt. Zulassungsgründe
müssen schlüssig dargetan werden.


Zur Begründung der Grundsätzlichkeit der Rechtssache muß erläutert werden, daß und
warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein wird, die
über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a
Nr 44; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Es muß überdies die Klärungsbedürftigkeit und
Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage darlegt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65).
Rechtsfragen, die vom Bundessozialgericht (BSG) entschieden sind, sind im allgemeinen
nicht mehr klärungsbedürftig und haben keine grundsätzliche Bedeutung mehr, es sei
denn, die Beantwortung der Frage ist klärungsbedürftig geblieben oder es erneut
geworden. Das muß substantiiert vorgetragen werden. Hieran fehlt es im vorliegenden
Fall, weil die behauptete grundsätzliche Frage vom Landessozialgericht (LSG) nicht zur
Grundlage seiner Entscheidung gemacht worden ist. Das LSG hat entgegen der
Beschwerdebegründung seine Entscheidung nicht darauf gestützt, daß grundsätzlich
Berufsschadensausgleich(BSchA) erst ab Vollendung des 60. (ausnahmsweise
59.) Lebensjahres bei schwerbeschädigten Selbständigen möglich ist. Diese Auffassung
konnte daher in der Beschwerdebegründung auch nicht belegt werden. Das LSG hat viel-
mehr im Wege der Beweiswürdigung konkret für den Kläger ein schädigungsbedingtes
Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verneint und sich im übrigen hinsichtlich der
grundlegenden Rechtsfragen an der Rechtsprechung des BSG orientiert (vgl BSG SozR
3-3642 § 8 Nrn 1 und 6). Da sich die Beschwerdebegründung mit beiden Entscheidungen
nicht auseinandersetzt, fehlt es an einer schlüssigen Darlegung einer verbleibenden
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, zumal die Berechnung des BSchA für
Selbständige vom BSG weitgehend vom tatsächlichen Einkommen abgelöst worden ist
(BSG aaO Nr 1). Zu der in der Beschwerde ebenfalls als grundsätzlich angesprochenen
Rechtsfrage, ob die Schädigungsfolgen mit zunehmendem Alter mit einer erhöhten
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu bewerten seien, hat der Beschwerdeführer
weder § 31 Abs 1 Satz 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) noch die hierzu ergangene


- 3 -

Rechtsprechung (vgl BSG SozR 3100 § 30 Nr 79) erörtert, so daß insoweit noch
klärungsbedürftige Fragen nicht aufgezeigt sind.


Auch die erhobene Verfahrensrüge bezeichnet einen Verfahrensmangel nicht schlüssig.
Es müssen die sie begründenden Tatsachen im einzelnen genau angegeben sein und in
sich verständlich den behaupteten Verfahrensfehler ergeben (vgl BSG SozR 1500 § 160a
Nr 14). Teilweise begründet der Kläger diese Rüge damit, daß dem Berufungsgericht eine
fehlerhafte Würdigung des Beweismaterials vorgeworfen wird. Damit wird eine Verletzung
des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Beweiswürdigung) geltend gemacht. Hierauf kann die Rüge
nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG) nicht
gestützt werden. Zur Rüge, das LSG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG)
verletzt, hätte der Beschwerdeführer entsprechende Beweisanträge bezeichnen müssen
(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hieran fehlt es, obwohl sich
der Kläger auf seinen Berufungsschriftsatz, dessen Inhalt im Zeitpunkt des
Einverständnisses mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung wiederholt worden
ist, bezieht. Denn der Berufungsschriftsatz enthielt lediglich Beweisantritte iS von §§ 371,
373, 402 f Zivilprozeßordnung (ZPO). Sie enthalten Hinweise der Beteiligten auf ihnen
geeignet erscheinende Beweismittel und führen sie in den Prozeß ein (vgl
Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 50. Aufl Einf. § 284 Anm 5). Der Beweis muß
rechtzeitig angetreten werden, damit Nachteile infolge Verspätung vermieden werden (vgl
§ 296 Abs 1 und § 296 Abs 2 iVm § 282 ZPO). Da die Sozialgerichte den Sachverhalt von
Amts wegen aufklären (§ 103 SGG), haben derartige Beweisantritte im sozialgerichtlichen
Verfahren nur eine geringe prozessuale Bedeutung. Sie enthalten üblicherweise Hinweise
und Anregungen zu Maßnahmen, die von Amts wegen einzuleiten sind, wie das auch im
Zivilprozeß denkbar iVm § 144 ZPO vorkommt, und sollen dem Gericht seine Aufgaben
erleichtern (vgl RGZ 170, 264). Selbst der Zivilprozeß kennt daher die Unterscheidung
von Beweisantrag und Beweisanregung (vgl BGHZ 66, 62, 68).


Der Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG hat indessen einen völlig anderen
prozessualen Stellenwert. Er dient der Vorbereitung einer Revision bei gleichzeitigem
Hinweis an die letzte Tatsacheninstanz darauf, daß nach Ansicht des Antragstellers die
Sachaufklärung lückenhaft geblieben ist. Deshalb hat die Rechtsprechung insoweit hohe
Anforderungen gestellt.


Grundsätzlich muß eine Nichtzulassungsbeschwerde, die damit begründet wird, das
Berufungsgericht sei einem gestellten Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht
gefolgt, aufzeigen, daß der Beweisantrag protokolliert oder im Urteilstatbestand aufgeführt
ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 64). Fehlt es an einer mündlichen Verhandlung, muß ein im
Urteilstatbestand enthaltener Beweisantrag bezeichnet werden. Selbst wenn man für
derartige Fälle eine Erweiterung auf die ausdrücklich schriftsätzlich gestellten Anträge
zuläßt, die zugleich mit der Erklärung des Einverständnisses zur Entscheidung durch


- 4 -

Urteil ohne mündliche Verhandlung gestellt werden, fehlt es hier an der Bezeichnung
eines derartigen Antrags. Denn ein Beweisantrag, der mit der Rüge der Verletzung des
§ 103 SGG zur Zulassung der Revision führen kann, muß ein Beweisantrag im Sinne
dieser Vorschrift sein, also unzweifelhaft erkennen lassen, daß eine weitere Sachver-
haltsaufklärung von Amts wegen für erforderlich gehalten wird. Der Tatsacheninstanz soll
durch einen solchen Antrag vor der Entscheidung vor Augen geführt werden, daß der
Kläger die gerichtliche Sachaufklärungspflicht in einem bestimmten Punkt noch nicht als
erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 160
Nr 67). Eine solche Warnfunktion fehlt bei Beweisantritten, die in der Berufungsschrift
oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind, und ihrem Inhalt nach lediglich als
Anregungen zu verstehen sind, wenn sie nach Abschluß der von Amts wegen
durchgeführten Ermittlungen nicht mehr zu einem bestimmten Beweisthema als
Beweisantrag aufgegriffen werden; eine unsubstantiierte Bezugnahme auf frühere
Beweisantritte genügt nicht.


Die mangelnde Darlegung des Beweisthemas und der Bedeutung weiterer Sach-
aufklärung im Berufungsverfahren wird in der Beschwerdeschrift dadurch bestätigt, daß
auch hier nicht ausgeführt wird, inwiefern sich das Berufungsgericht - ausgehend von
seinem Rechtsstandpunkt - zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen (vgl
BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34 und 56). Insoweit fehlt es an einer Auseinandersetzung
mit der Rechtsauffassung des LSG, so daß nicht deutlich ist, inwiefern die dem
Beschwerdeführer wesentlich erscheinenden Sachverhaltselemente auch für das
Berufungsgericht von Bedeutung gewesen sind.

Derzeit kein Faksimile verfügbar.

Volltext auch bei jurion.de 9 BV 26/93 vom 24.05.1993

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG, 9a RV 44/85 vom 13.08.1986, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht



9a RV 44/85



Im Namen des Volkes



Urteil



in dem Rechtsstreit



Kläger und Revisionskläger,



Prozeßbevollmächtigter:



gegen



Beklagter und Revisionsbeklagter.



Das Bundessozialgericht, 9a Senat, hat ohne mündliche Ver-

handlung am 13. August 1986

für Recht erkannt:



Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen

Versäumens der Revisionsfrist gewährt.



Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen

Landessozialgerichts vom 29. August 1985 aufgehoben, soweit

es Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz wegen Gesund-

heitsstörungen auf psychiatrisch—neurologischem und auf



-2-



urologischem Gebiet betrifft. Insoweit wird die Sache zur

erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozial-

gericht zurückverwiesen.



Im übrigen wird die Revision als unzulässig verworfen.



Gründe:



Der Kläger, der in Österreich lebt, war vom 2. Mai bis zum



26. September 1945 wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit in

jugoslawischer Haft. Auf schädigende Einwirkungen dieses Lager-

aufenthalts führt er mehrere Gesundheitsstörungen zurück. Sein

Versorgungsantrag nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ist er-

folglos geblieben (Bescheid vom 25. Januar 1979, Widerspruchs-

bescheid vom 3. Juli 1980, Urteile des Sozialgerichts -SG- vom

3. Februar 1981 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 29. Au-

gust 1985). Das LSG hat einen ursächlichen Zusammenhang zwischen

zahlreichen Gesundheitsstörungen, die der Kläger geltend macht,

und Hafteinwirkungen als nicht wahrscheinlich beurteilt. Insbe-

sondere hätte dies nicht für ein Nervenleiden und für Störungen

im urologischen Bereich zugunsten des Klägers geklärt werden

können. Die vom Urologen für notwendig erachteten Untersuchungen

als Grundlage für eine fachliche Begutachtung seien nicht möglich

gewesen, weil der Kläger die Mitwirkung daran abgelehnt habe. Das

Gericht hat sich mit Gutachten begnügt, die nach Aktenlage er-



- 3 -



stellt worden sind.



Der Kläger rügt mit seiner — vom LSG zugelassenen — Revision eine

Verletzung der §§ 103 und 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG), des § 1

Abs 3 BVG und des § 66 Abs 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner

Teil - (SGB 1). Das Berufungsgericht hätte ein psychiatrisch-

neurologisches und ein urologisches Gutachten auf Grund von Un-

tersuchungen des Klägers einholen müssen. Zwei Sachverständige

für diese Fachgebiete hätten in ihren nach Aktenlage erstatteten

Gutachten diese Sachaufklärung für erforderlich erklärt. Der

Kläger hätte über die Folgen einer Weigerung, bei diesen Beweis-

erhebungen mitzuwirken, vom Gericht hinreichend belehrt werden

müssen. Dies sei nicht geschehen. Deshalb hätte seine Äußerung,

er könne sich jetzt aus gesundheitlichen Gründen nicht nochmals

untersuchen lassen, nicht als endgültige Weigerung gewertet wer-

den dürfen.



Auf Anfrage des Revisionsgerichts hat der Kläger persönlich aus-

drücklich erklärt, er wolle an den notwendigen Untersuchungen

mitwirken.



Der Kläger beantragt,

ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

wegen Versäumung der Revisionsfrist zu

gewähren.



In der Sache beantragt er,



das Urteil des LSG aufzuheben und den



- 4 -



Rechtsstreit an das Berufungsgericht

zurückzuverweisen.



Der Beklagte beantragt,



die Revision als unzulässig zu verwerfen.



Nach seiner Auffassung hat die Revision einen Beweisantrag nicht

dargetan.



Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche

Verhandlung einverstanden erklärt.



II



Dem Kläger war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen un-

verschuldeten Versäumens der Revisionsfrist zu gewähren (§ 67

SGG); er war wegen der wirtschaftlichen Voraussetzung für eine

Prozeßkostenhilfe gehindert, rechtzeitig einen Prozeßbevollmäch-

tigten zu beauftragen.



Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg.



Der Kläger begehrt Versorgung nach dem BVG wegen verschiedener

Gesundheitsstörungen als wahrscheinlichen Folgen seiner jugosla-

wischen Haft (§ 1 Abs 1 und 2 Buchstaben a und c, Abs 3 Satz 1,

§ 5 Abs 1 Buchstabe d, § 9 BVG). Soweit es um die tatsächlichen



- 5 -



Voraussetzungen für die Anerkennung von psychiatrisch-neurologi-

schen und von urologischen Störungen als Schädigungsfolgen (BSG

SozR Nr 81 zu § 1 BVG) und um einen darauf beruhenden Versor-

gungsanspruch geht, hat der Kläger formgerecht und zutreffend

gerügt, daß das LSG seine Sachaufklärungspflicht (§ 153 Abs 1,

§§ 155, 103 Satz 1 Halbs 1 und Satz 2, § 106 Abs 3 Nr 4 SGG)

verletzt hat. Damit fehlt es insoweit an verbindlichen tatsäch-

lichen Feststellungen für eine Sachentscheidung (§§ 163, 104

Abs 2 Satz 3 SGG). Bezüglich dieser selbständigen Ansprüche und

teilbaren Streitgegenstände (§§ 123, 141 Abs 1 SGG) ist das an-

gefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten

Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170

Abs 2 Satz 2 SGG; stRspr, zB BSGE 41, 80, 81 = SozR 3100 § 35

Nr 2; Zeine, Das Sozialgerichtsgesetz und seine Anwendung, § 170

Abs 2 und 3, Rz 15b; Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, 1981, § 170,

Rz 6).



Dem Berufungsgericht hätte es sich auf Grund von Äußerungen des

Urologen Dr. S. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme

vom 13. August 1984 und des Nervenarztes Prof. Dr. F.

im Aktengutachten vom 21. Januar 1985 aufdrängen müssen, den

Kläger von Sachverständigen dieser beiden Fachgebiete untersuchen

und begutachten zu lassen. Die beigezogenen Befundunterlagen und

die nach Aktenlage erstatteten Gutachten ergaben kein zureichen-

des Bild über die beim Kläger im psychiatrisch-neurologischen und

im urologischen Bereich bestehenden Gesundheitsstörungen. Erst

wenn die Krankheitsbilder auf diesen medizinischen Gebieten durch



- 6 -



erforderliche ambulante oder notfalls stationäre Untersuchungen

geklärt sind, ließe sich fachärztlich beurteilen, ob die fest-

gestellten Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit durch

schädigende Einwirkungen der jugoslawischen Haft als wesentliche

Allein- oder Mitbedingung anhaltend verursacht worden sind. Es

ist nicht ausgeschlossen, daß die noch erforderlichen Beweiser-

hebungen zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis führen. Me-

dizinische Sachverständige könnten den Kläger bei ihren Untersu-

chungen auch fachlich gezielt nach Haftumständen befragen, die

als Krankheitsursachen in Betracht kommen, sowie nach dem Krank-

heitsbeginn und -verlauf. Diese Aufklärung wäre notwendig als

Grundlage für die richterliche Entscheidung, welche Einwirkungen

als erwiesen anzusehen sind. Vorab müßte medizinisch geklärt

werden, ob nach allgemeiner Erfahrung schwere Belastungen und

Schädigungen in einer so kurzen Haft, wie sie der Kläger erlitten

hat, schädigende Auswirkungen auf psychiatrisch-neurologischem

Gebiet schlechthin nicht erwarten lassen.



Die gebotene Beweiserhebung erübrigte sich nicht deshalb, weil

der Kläger nicht in der gebotenen Weise bei den ärztlichen Un-

tersuchungen hätte mitwirken wollen (§ 103 Satz 1 Halbs 2 SGG;

Meyer-Ladewig, aaO, § 103, Rz 13 ff; Peters/Sautter/Wolff, Komm

zur Sozialgerichtsbarkeit, § 103, Anm 3; aA Heinze, SGb 198A,

390, 395 f). Bevor das Gericht aus der Erklärung des Klägers, aus

gesundheitlichen Gründen könne er zur Zeit nicht zur ärztlicnen

Untersuchung erscheinen, folgern durfte, er mache endgültig die

gebotene Sachaufklarung unmöglich, hätte es ihn hinreichend über

die Folgen eines solchen Verhaltens schriftlich belehren müssen.



Das folgt entgegen der Rechtsansicht der Revision nicht aus der



-7 -



Vorschrift des § 66 Abs 3 SGB 1 vom 11. Dezember 1975 (BGBl I

3015), die eine entsprechende Regelung enthält (BSG SozR 1500

§ 160 Nr 3A; Peters/Sautter/Wolff, aaO, S 103, Anm 3 S II/74-öf;

aA anscheinend Meyer-Ladewig, § 103, Rz 17). Diese Bestimmung

regelt eine Voraussetzung für die Versagung oder Entziehung einer

Sozialleistung wegen fehlender Mitwirkung, ua bei einer ärztli-

chen Untersuchung (§ b2 SGB 1) im Verwaltungsverfahren (§ 66

Abs 1 und 2 SGB 1). Im Gerichtsverfahren ist hingegen eine Ver-

letzung der Mitwirkungspflicht bei der Sachaufklärung allein be-

deutsam für die Beweiswürdigung; sie kann zur Folge haben, daß

die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht als erwiesen anzusehen

sind (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Dann ist der Klageanspruch nicht

begründet. Indes wird auch im Prozeß, ungeachtet des § 66 Abs 3

SGB 1, regelmäßig als Voraussetzung einer solchen Folgerung ver-

langt, daß das Gericht zuvor den Beteiligten hinreichend über

seine Mitwirkungspflicht und über jene Auswirkung einer unbe-

gründeten Weigerung belehrt hat (BSG SozR Nr 55 zu § 103 SGG;

Meyer-Ladewig, aaO). Daran fehlte es im Schreiben des LSG vom

27. Juli 1983, in dem der Kläger bloß gefragt wurde, ob er zur

Untersucnung in G. oder in der näheren Umgebung bereit und in

der Lage sei. Das Berufungsgericht hat ohne weitere Nachfrage auf

Grund der oben zitierten Erklärung des Klägers Begutachtungen

nach Aktenlage angeordnet. Der Kläger hat aber im Revisionsver-

fahren auf genaueres Befragen verbindlich erklärt, er wolle sich

den erforderlichen Untersuchungen unterziehen.



Im übrigen ist die Revision nicht zulässig, was für jeden ein-

zelnen selbständigen Anspruch gesondert zu prüfen und zu ent-



- 8 -



scheiden ist (BSGE 7, 35, 38 f). Die Frage, die die Grundlage des

gesamten Berufungsurteils betrifft, ob nämlich die mitwirkenden

ehrenamtlichen Richter ordnungsmäßig berufen worden waren, ist

nicht Gegenstand der Revision. Der Kläger hat ausdrücklich er-

klärt, eine darauf bezogene Revisionsrüge erhebe er nicht. Diese

Frage ist im übrigen inzwischen höchstrichterlich geklärt (Bun-

desverfassungsgericht SozR 1500 § 13 Nr 1; zur Veröffentlichung

bestimmtes Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. Januar

1986 - 11a RA 46/85 -.



Gegen die Entscheidung über die einzelnen anderen selbständigen

Ansprüche, dh bezüglich der Nichtbewertung einzelner anderer Ge-

sundheitsstörungen als Schädigungsfolgen sowie des Ausschlusses

einer BVG-Entschädigung für die jugoslawische Haft als solche und

für eine anschließende Arbeitslosigkeit, hat der Kläger keine

Revisionsrügen geltend gemacht. Damit ist insoweit die Revision

unzulässig (BSG SozR 1500 § 104 Nr 22) und zu verwerfen (§ 169

Satz 1 und 2 SGG).



- 9 -



Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG

vorbehalten.

Faksimile  1   2   3   4   5   6   7   8   9  

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG, 9a BVi 7/83 vom 21.11.1983, Bundessozialgericht
SozR 1500 § 160 Nr 51

Bundessozialgericht

9a BVi 7/83

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Beklagter und Beschwerdegegner.

Das Bundessozialgericht, 9a Senat, hat am 21. November 1983

beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision durch das Landessozialgericht Niedersachsen im

Urteil vom 19. Mai 1983 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe

Die Beschwerde ist nicht zulässig; mit ihr wird keine der Vor—
aussetzungen, die nach § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für
die Zulassung der Revision aufgeführt sind, in der nach § 160a
Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form bezeichnet.

Der Kläger sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) darin, daß die "Beweislastumkehr" im
Impfschadensrecht jedenfalls dann geboten sei, wenn der streitige
ursächliche Zusammenhang trotz erschöpfender Sachaufklärung nicht
wahrscheinlich, aber auch nicht unwahrscheinlich sei. Diese
Rechtsfrage ist nicht mehr klärungsbedürftig, da sie vom Revi—
sionsgericht — wie übrigens vom Kläger selbst vorgetragen — be—
reits entschieden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Nach den Ur—
teilen des erkennenden Senats vom 28. Oktober 1980 (Breithaupt
1981, 803f) und vom 19. August 1981 (BSG SozR 3850 § 52 Nr 1)
kehrt sich die Beweislast bei der Feststellung des ursächlichen
Zusammenhangs zwischen Impfung und Gesundheitsstörung (= haf—
tungsausfüllende Kausalität) nicht um. Vielmehr ist die Wahr-
scheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genügend, aber auch
erforderlich. Läßt sich unter diesen erleichterten Bedingungen
der Wahrscheinlichkeit ein anspruchsbegründender Umstand nicht
ermitteln, geht dies zu Lasten desjenigen, der daraus eine ihm
günstige Rechtsfolge geltend macht (ständige Rechtsprechung des
BSG ua BSGE 30, 121, 123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG; SGb 1976,
490). Demgegenüber beziehen sich die vom Reichsgericht und

- 3 -

Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze über die Beweislastum—
kehr bei Arzthaftpflichtprozessen auf die haftungsbegründende
Kausalität. Da der Kläger gleichwohl eine grundsätzliche Bedeu-
tung der Rechtsfrage geltend macht, obliegt es ihm darzulegen, in
welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der
Rechtsprechung widersprochen bzw die Beantwortung der Rechtsfrage
umstritten ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13; 1500 § 160 Nr 17).
Dies ist nicht geschehen. Der Kläger bezieht sich lediglich auf
die Ausführungen von Walter Bogs, mit denen sich der Senat
bereits in seinem Urteil vom 19. August 1981 (aaO) auseinander—
gesetzt hat.

Ebensowenig ist der Rechtsbegriff der Wahrscheinlichkeit im
Impfschadensrecht klärungsbedürftig. Wie der erkennende Senat in
den oben zitierten Entscheidungen entschieden hat, ist das Impf-
schadensrecht allen Rechtsgrundsätzen des Bundesversorgungsge-
setzes (BVG) unterstellt worden, soweit nicht Besonderheiten
ausdrücklich angeordnet worden sind. Das Impfschadensrecht ist
dem sozialen Entschädigungsrecht im Sinne der §§ 5 und 24 So-
zialgesetzbuch (Allgemeiner Teil) - SGB 1 - eingegliedert. Dieses
soziale Entschädigungsrecht richtet sich nach versorgungsrecht-
lichen Grundsätzen (Art II § 1 Nr 11 Buchst d SGB 1). Infolge-
dessen ist die gleichlautende Rechtsnorm über die Anforderung,
die an den Gewißheitsgrad für den ursächlichen Zusammenhang ge-
stellt wird, hier nicht anders als im Recht der Kriegsopferver-
sorgung auszulegen. Der erkennende Senat hat auch in den genann—
ten Entscheidungen ausgeführt, daß die besondere Ausgestaltung
des Sozialstaatspostulats im Sozialgesetzbuch die Beweisanfor—

- 4 -

derungen auch im Impfschadensrecht unangetastet läßt. Die dem
einzelnen zustehenden sozialen Rechte begründen Ansprüche nur
insoweit, als sie im besonderen Teil des Sozialgesetzbuches
normiert sind (§ 2 Abs 1 Satz 2 SGB 1). Als ein solcher im
genannten Sinne besonderer Teil rechnet das BVG, auch soweit § 51
des Bundesseuchengesetzes die entsprechende Anwendung der
Leistungsvorschriften des BVG vorsieht (Art II S 1 Nr 11 Buchst d
SGB 1).

Bei der ebenfalls als Grund für die Zulassung der Revision gel-
tend gemachte Abweichung des angefochtenen Urteils von den Ur-
teilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. Februar 1980
- 5 RKnU 4/79 —‚ vom 19. August 1981 - 9 RVi 5/80 -‚ vom
22. September 1977 - 10 RV 15/77 — sowie BSGE 19, 52 und 24, 25,
fehlt es an der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen "Bezeich-
nung". Zur Zulässigkeit der Divergenzrüge (5 160 Abs 2 Nr 2 SGG)
gehört die Darlegung, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Ab—
weichung vorliegt; der Beschwerdeführer muß dartun, mit welcher
konkreten rechtlichen Aussage das Landessozialgericht (LSG) von
einer bestimmten Aussage der höchstrichterlichen Rechtsprechung
abgewichen ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 21 und Nr 29). Soweit der
Kläger unter Bezugnahme auf die drei erstgenannten Urteile des
BSG darauf verweist, daß die einzige konkrete Möglichkeit aber
auch wahrscheinlich sei, ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu
entnehmen, welche konkrete Rechtsfrage das LSG anders entschieden
haben soll. Daß andererseits bei der gegebenen Fallgestaltung der
Kläger sich in einem Beweisnotstand befunden habe, erörtert er
nicht im einzelnen. Auch ist ein Abweichen von einer konkreten

- 5 -

Rechtsfrage nicht dargelegt. Abgesehen davon befaßt sich die
Entscheidung BSGE 19, 52, 56 mit der Beweiswürdigung bei unge—
klärter Todesursache und gerade nicht mit dem ursächlichen Zu-
sammenhang, um den es hier ausschließlich geht. Die Entscheidung
BSG 24‚ 25 nimmt zu der Frage der Feststellungslast und Beweis—
würdigung bei schuldhaft vereitelter Sachverhaltsaufklärung
Stellung, hat also ebensowenig den ursächlichen Zusammenhang zum
Inhalt. Inwieweit dennoch eine Abweichung gegeben sein soll, ist
dem Beschwerdevorbringen des Klägers nicht zu entnehmen.

Mit der Rüge, das Berufungsgericht hätte den Beweisanträgen
stattgeben müssen, macht der Kläger eine Verletzung der Sach—
aufklärungspflicht (§ 103 SGG) geltend. Indes fehlen Angaben
darüber, um welche Anträge es sich im einzelnen handelt und wann
diese gestellt worden sind. Sie sind mithin für das Revisions—
gericht nicht ohne weiteres auffindbar. Infolgedessen fehlt es an
einer hinreichenden Kennzeichnung derselben (BSG SozR 1500 § 160
Nr 5).

Die Beschwerde des Klägers enthält in seinem wesentlichen Teil
den Vorwurf, das LSG habe das Recht der freien Beweiswürdigung
(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) verletzt. Diese Rüge ist als Zulas—
sungsgrund schlechthin ausgenommen (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2
SGG). Das gilt auch insoweit, als der Kläger sich gegen die
materielle Richtigkeit des Berufungsurteils wendet. Gegenstand
der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht die Prüfung, ob das
Berufungsgericht richtig entschieden hat. Vielmehr kann auf die
Beschwerde lediglich geprüft werden, ob eine der in § 160 Abs 2

- 5 -

SGG abschließend aufgezählten Zulassungsgründe geltend gemacht
ist und auch vorliegt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 9).

Nach alldem ist das Rechtsmittel zu verwerfen (S 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Faksimile   1   2   3   4   5   6  

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG, 9/9a RVs 19/86 vom 03.02.1988, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: 9/9a RVs 19/86

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Beklagter und Revisionsbeklagter.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung
am 3. Februar 1988

für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom
23. Oktober 1986 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

Bei dem Kläger ist wegen seiner Kriegsverletzung und wegen anderer Gesund-
heitsstörungen ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 vH anerkannt. Ihm ist
ferner das Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung) und die Berechtigung
zur zuschlagsfreien Benutzung der 1. Klasse bei Reisen mit der Bundesbahn
zuerkannt. Er erstrebt auch das Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Geh-
behinderung), um die besonderen für außergewöhnlich Gehbehinderte einge-
richteten Parkplätze benutzen zu dürfen, weil er nur ein- und aussteigen könne,
wenn die Wagentür vollständig geöffnet sei; das setze die geräumigeren mit
dem Rollstuhlfahrersymbol gekennzeichneten Parkplätze voraus.

Das Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) hat die Klage mit der Begründung abge-
wiesen, der Kläger gehöre nicht dem gesetzlich umschriebenen Personenkreis
an, der sich wegen der Schwere des Leidens ständig nur mit fremder Hilfe oder
nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen könne.
Pro Tag könne der Kläger zwar nur 1 bis 1,5 km an Wegstrecke zurücklegen, er
sei jedoch fähig, zusammenhängend 300 m zu gehen. Diese Fähigkeit über-
steige erheblich die Gehstrecke, die Querschnittsgelähmten, Doppeloberschen-
kelamputierten oder vergleichbaren Behinderten noch zugemutet werden
könne.

Mit der vom SG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, er könne im
Umkreis von 300 m von seiner Wohnung kein öffentliches Verkehrsmittel errei-
chen. Wenn man ihm das Merkzeichen "aG" verweigere, verstoße dies gegen
den Zweck des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG), die Eingliederung in
Arbeit, Beruf und Gesellschaft zu fördern. Es müsse immer die Behinderung im
Einzelfall beachtet werden.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten unter Abän-
derung des Bescheides vom 23. November 1984 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 1985 und unter Aufhebung des
Bescheides vom 3. Juni 1983 zu verurteilen, ihm das Merkzeichen
"außergewöhnliche Gehbehinderung (aG)" zuzuerkennen.

- 3 -

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Ver-
handlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden,
daß dem Kläger das Merkzeichen "aG" nicht zusteht.

Nach § 3 Abs 4 SchwbG idF der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1979
(BGBl I 1649) und ebenso nach § 4 Abs 4 der Neufassung vom 26. August
1986 (BGBl I S 1421, berichtigt 1550) treffen die für die Durchführung des Bun-
desversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden die erforderlichen Fest-
stellungen über weitere gesundheitliche Merkmale als Voraussetzung für die
Inanspruchnahme einer Vergünstigung, bzw eines Nachteilsausgleichs. Nach
§ 3 Abs 1 Nr 1 der Vierten Verordnung zur Durchführung der SchwbG vom
15. Mai 1981 (BGBl I 431 - Ausweisverordnung -, jetzt gültig idF der Bekannt-
machung vom 3. April 1984 - BGBl I S 509) ist im Ausweis des Schwerbehin-
derten das Merkzeichen "aG" einzutragen, wenn der Schwerbehinderte außer-
gewöhnlich gehbehindert ist iS des § 6 Abs 1 Nr 14 des Straßenverkehrs-
gesetzes (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften.
Damit weist das Schwerbehindertenrecht, wie der Senat bereits in seinem Urteil
vom 6. November 1985 - 9a RVs 7/83 - (SozR 3870 § 3 Nr 18) entschieden hat,
die Abgrenzung des begünstigten Personenkreises dem Rechtsgebiet zu, für
das die Begünstigung allein Bedeutung hat. Denn ein Ausweis mit dem Merk-
zeichen "aG" befreit den Behinderten von Beschränkungen des Haltens und
Parkens im Straßenverkehr und eröffnet ihm besonders gekennzeichnete
Parkmöglichkeiten, die - wie der Kläger zutreffend anführt - auch eine größere
Fläche als Parkraum zur Verfügung stellen (nach DIN 18 024 Teil 1, wie in der
nach § 6 Abs 1 Straßenverkehrsgesetz -StVG- idF vom 6. April 1980 (BGBl I
S 413) zuletzt erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Änderung der
Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO vom 21. Juli 1980 (BAnz Nr 137
vom 29. Juli 1980 S 2) unter Art 1 Nr 7a VIII zu § 45 angeordnet ist).

- 4 -

Umschrieben wird der begünstigte Personenkreis in der vom Bundesminister
für Verkehr erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO idF vom
22. Juli 1976 (BAnz Nr 142 vom 31. Juli 1976 S 3), die auf der gesetzlichen
Grundlage des § 6 StVG idF vom 6. August 1975 (BGBl I 2121) beruht. Dort
wird unter Art 1 II die alte Verwaltungsvorschrift zu § 46 unter Nr 11 dahin er-
gänzt, welche Schwerbehinderten als außergewöhnlich gehbehindert anzuse-
hen sind, nämlich solche, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd
nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraft-
fahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppel-
oberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, aber auch einseitig
Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tra-
gen oder die nur eine Beckenkorbprothese tragen können. Neben beispielhaft
aufgeführten Behinderten zählen dazu auch diejenigen, die nach versorgungs-
ärztlicher Feststellung aufgrund von Erkrankungen dem vorstehend
angeführten Personenkreis gleichzustellen sind; des weiteren enthält diese
Verwaltungsvorschrift besondere Regelungen für Blinde.

Das SG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger dem begünstigten Perso-
nenkreis nicht gleichgestellt werden kann. Er leidet an einer erheblichen Bewe-
gungseinschränkung des Hüftgelenks bei federnder Versteifung des Knie-
gelenks nach deformverheiltem Schußbruch des linken Oberschenkels. Wie der
Senat bereits in dem genannten Urteil unter Bezugnahme auf SozR 3870 § 3
Nr 11 entschieden hat, liegt eine außergewöhnliche Gehbehinderung in diesem
Sinne nur vor, wenn die Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße einge-
schränkt ist; die Fähigkeit zu gehen muß unter ebenso großer Anstrengung
oder ebenso nur noch mit fremder Hilfe möglich sein, wie bei dem beispielhaft
aufgeführten Personenkreis. Das Recht, die Gruppe der zu begünstigenden
Schwerbehinderten aus den Zwecken des SchwbG darüber hinaus zu erwei-
tern, ist weder den für die Ausstellung des Ausweises zuständigen Behörden
noch den Sozialgerichten eingeräumt. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die
Formulierung in § 3 Abs 1 Nr 1 der Schwerbehinderten-Ausweisverordnung in-
soweit straßenverkehrsrechtliche Vorschriften für maßgeblich erklärt. Daran hat
die Aufforderung des § 48 Abs 1 SchwbG (in der seit 1. August 1986 geltenden
Fassung), die Nachteilsausgleiche so zu gestalten, daß sie der Art oder
Schwere der Behinderung Rechnung tragen, nichts geändert. Gleichgestellt
werden können daher nicht alle Personen, die durch vergleichbar schwere Lei-
den behindert sind, sondern nur solche, bei denen die Auswirkungen der
Leiden denen gleichzuerachten sind, die der Bundesminister für Verkehr in
seinen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften genannt hat. Der

- 5 -

Leidenszustand muß wegen der außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen
die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken.

Das SG hat unangegriffen (§ 163 SGG) festgestellt, daß die von verschiedenen
Ärzten festgestellte Gehstrecke, die der Kläger noch zusammenhängend zu-
rücklegen kann, weit über den Wegstrecken liegt, die Doppeloberschenkel-
amputierten und vergleichbaren Personen zugemutet werden können. Der Klä-
ger erstrebt auch die Vergünstigung nicht so sehr deshalb, weil er von gewöhn-
lichen Parkplätzen aus angestrebte Ziele nicht erreichen könnte. Er sieht sich
auf einen mit dem Rollstuhlfahrersymbol gekennzeichneten Parkplatz deshalb
angewiesen, weil normale Parkplätze ihm das Ein- und Aussteigen nicht oder
nicht ungefährdet ermöglichen. Zum Ausgleich derartiger Nachteile hat aber der
Bundesminister für Verkehr die Ausnahmegenehmigung nicht geschaffen. Sie
ist vielmehr dazu gedacht, den Schwerbehinderten mit dem Pkw möglichst
nahe an sein jeweiliges Ziel fahren zu lassen: Er darf in Fußgängerzonen par-
ken, Parkzeiten überschreiten oder ohne Gebühr parken. Damit derartige Park-
plätze auch ortsnah zur Verfügung stehen, sind Sonderparkplätze in der Nähe
von Behörden, Krankenhäusern, Orthopädischen Kliniken anzulegen; den
außergewöhnlich Gehbehinderten sind auch Parksonderrechte vor der Woh-
nung oder in der Nähe der Arbeitsstätte einzurichten, wenn in zumutbarer Ent-
fernung eine Garage oder ein Abstellplatz außerhalb des öffentlichen Verkehrs-
raumes nicht vorhanden ist (vgl die Allgemeine Verwaltungsvorschrift in der
Fassung vom 21. Juli 1980 aaO). Der Umfang dieser Vergünstigungen verdeut-
licht nochmals, daß nicht die Schwierigkeiten bei der Benutzung des gewöhnli-
chen Parkraums, sondern die jeweilige Lage bestimmter Parkplätze zu be-
stimmten Zielen straßenverkehrsrechtlich maßgeblich ist. Der Nachteilsaus-
gleich soll allein die neben der Personenkraftwagenbenutzung unausweichlich
anfallende tatsächliche Wegstrecke soweit wie möglich verkürzen. Dies be-
deutet zugleich, daß der Personenkreis eng zu fassen ist. Denn mit der Aus-
weitung des Personenkreises steigt nicht nur die Anzahl der Benutzer, dem an
sich mit einer Vermehrung entsprechender Parkplätze begegnet werden
könnte. Mit jeder Vermehrung der Parkflächen wird aber dem gesamten Perso-
nenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet, weil ortsnaher
Parkraum nicht beliebig geschaffen werden kann. Auch hier ist bei einer an sich
vielleicht wünschenswerten Ausweitung des begünstigten Personenkreises zu
bedenken, daß dadurch der in erster Linie zu begünstigende Personenkreis
wieder benachteiligt würde.

Auch aus der Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung für Blinde können
weitere Folgerungen zugunsten des Klägers nicht gezogen werden. Wie der

- 6 -

Senat in der Entscheidung SozR 3870 § 3 Nr 18 bereits ausgeführt hat, fehlt es
insoweit an der Möglichkeit, sonstige Beschädigte mit Blinden gleichzustellen.
Die maßgebliche Verwaltungsvorschrift zu § 46 Nr 11 II Nr 2 besagt vielmehr im
Einklang mit § 6 Abs 1 Nr 14 StVG lediglich, daß für Blinde ebenso wie für
außergewöhnlich Gehbehinderte eine Ausnahmegenehmigung zugunsten des
jeweiligen Kraftfahrzeugführers ausgestellt werden kann. Die Blinden werden
damit nicht zu außergewöhnlich Gehbehinderten erklärt. Ihnen wird nur stra-
ßenverkehrsrechtlich derselbe Nachteilsausgleich eingeräumt, ohne daß ihr
Schwerbehindertenausweis mit "aG" zu kennzeichnen ist. Auf die tatsächliche
Handhabung kommt es insoweit nicht an. Schon deshalb entbehrt der Gleich-
stellungsanspruch des Klägers gegenüber der Versorgungsverwaltung der
Grundlage. Der Kläger ist auch nicht generell an der Benutzung gewöhnlicher
Parkplätze gehindert. Es hängt von ihrer Lage und Ausgestaltung im Einzelfall
ab, ob der Kläger auf der Fahrerseite die Tür ausreichend weit öffnen und mit
welchen Vorkehrungen er eine Gefährdung durch den fließenden Verkehr ver-
meiden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Faksimile 1   2   3   4   5   6   

... link (0 Kommentare)   ... comment


status
Menu
Suche
 
Kalender
November 2024
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
Letzte Aktualisierungen
Beweislast für den Zugang...
Gekürzte Chronologie der Petition Beweislast für den Zugang und Garantenpflicht nach § 60 Abs. 1...
by anselmf
BVerfG, 1 BvR 1484/10 vom 28.09.2010,...
Ausfertigung BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 1484/10 - In dem Verfahren über die...
by anselmf
LSG FSB, L 8 SO 116/09 B ER RG...
L 8 SO 116/09 B ER RG BAYERISCHES LANDESSOZIALGERICHT in dem Beschwerdeverfahren - Antragsteller gegen Bezirk...
by anselmf
11 RA 9/79 vom 15.11.1979, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht - 11 RA 9/79 - Verkündet am 15. November 1979 als Urk. Beamter der Gesch. Stelle...
by anselmf
SG R, S 9 SO 5/15 vom 28.10.2016,...
Beglaubigte Abschrift S 9 SO 5/15 SOZIALGERICHT REGENSBURG In dem Rechtsstreit — Kläger - Proz.-Bev.: gegen —...
by anselmf

xml version of this page

made with antville