Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Montag, 1. Juni 2015
Petition zur Begründung des Gerichtsbescheids
Gekürzte Chronologie
der Petition Pet 3-18-11-8206-014539
vorgezogene Begründung des Gerichtsbescheids


Petition vom 08.11.2014

Petition an den Deutschen Bundestag
(mit der Bitte um Veröffentlichung)

Titel Gesetzgebung - Sozialgerichtsgesetz, vorgezogene Begründung des
Gerichtsbescheids nach § 105 SGG

Petition 55791 - 08. November 2014

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Wortlaut der Petition

Der Deutsche Bundestag möge beschließen ...
§ 105 SGG wird dergestalt neu gefasst, dass den Beteiligten vorher die Gründe des beabsichtigten
Gerichtsbescheids mitzuteilen und sie zu hören sind. Dies wird als durchsetzbares Recht der Beteiligten
gestaltet.

Begründung

Eine mögliche konkrete Formulierung von § 105 SGG nF wäre etwa die Folgende.

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache
keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Den Beteiligten sind vorher die Gründe des Gerichtsbescheids mitzuteilen und sie sind zu hören. Die
Vorschriften über Urteile gelten entsprechend. Der Gerichtsbescheid darf nur auf Gründe gestützt werden, die
gemäß Satz 2 mitgeteilt wurden.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel
einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben,
kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche
Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt oder wird in dem
durch das eingelegte Rechtsmittel eröffneten Verfahren festgestellt, dass er nicht den Voraussetzungen des
Abs. 1 genügt, gilt er als nicht ergangen. Die Feststellung des Fehlens der Voraussetzungen und die
Zurückverweisung erfolgt von Amts wegen. § 159 Abs. 2 ist entsprechend anzuwenden.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung
des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheids
folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

Die folgenden Anmerkungen beziehen sich auf die derzeitige Gesetzesfassung.

Das Gehörsrecht der Beteiligten nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG wird von den Sozialgerichten dahingehend
verstanden, dass die Beteiligten nur zur Tatsache dass ein Gerichtsbescheid beabsichtigt ist, zu hören sind
(Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, C. H. Beck § 105 RdNr. 10a) und es entbehrlich ist, dass das Gericht
auch nur mitteilt wie es zu entscheiden gedenkt, oder seine Rechtssicht mitteilt oder die Gründe, dafür anführt,
dass es der Ansicht ist, die Sache sei einfach und geklärt. Ebensowenig wird es für erforderlich gehalten die
Gründe zu nennen, auf denen der Gerichtsbescheid selbst beruhen wird. Dementsprechend bestehen derzeit
Mitteilungen an die Beteiligten mitunter inhaltlich nur aus dem Satz, dass das Gericht beabsichtigt durch
Gerichtsbescheid zu entscheiden und der Angabe einer Frist bis zu der sich diese hierzu äußern können.
Es ergibt sich aus dem Änderungsvorschlag keine Belastung der Sozialgerichte.

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Anregungen für die Forendiskussion

§ 105 Abs. 1 SGG ermöglicht es dem Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung, also rein auf dem
Schriftweg, zu entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher
Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Ein Gerichtsbescheid ist somit geeignet in einfachen Fällen das
Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, was sich sowohl zugunsten des Gerichts als auch der
Beteiligten auswirken kann.

Die Entscheidung per Gerichtsbescheid zu entscheiden ist allerdings grundsätzlich beschwerend. Ein
Betroffener, der der Ansicht ist, dass die Sache zur weiteren Klärung doch eine mündliche Verhandlung
erfordert, kann diese nur erhalten wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel möglich ist. Ist gegen
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts beispielsweise die Berufung zum Landessozialgericht möglich, so ist
er, wenn er nicht vollständig auf Rechtsmittel verzichten will, gezwungen, diese einzulegen.

Schreiben des Petitionsausschusses vom 08.11.2014

Sehr geehrter Herr ...,

hiermit bestätige ich den Eingang Ihrer Petition mit der ID-
Nummer 55791.

Sie möchten eine Änderung der Vorschrift § 105 Sozialgerichts-
gesetz (SGG) erreichen.

Die inhaltliche Prüfung Ihrer Eingabe beginnt zunächst damit,
dass der Ausschussdienst von dem für Ihr Anliegen zuständigen
Bundesministerium eine Stellungnahme anfordert. Sobald der
Sachverhalt unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme aufge-
klärt und die Rechtslage beurteilt ist, erhalten Sie weitere Nach-
richt.

Um Petitionen auf der Internetseite des Deutschen Bundestages
sachgerecht präsentieren zu können, ist es schon angesichts der
Vielzahl von Eingaben nicht möglich, allen Veröffentlichungs-
wünschen nachzukommen. Zu berücksichtigen ist insbesondere,
inwieweit eine Bitte oder Beschwerde ein Anliegen von allge-
meinem Interesse zum Gegenstand hat und ob sich Anliegen und
Darstellung für eine sachliche öffentliche Diskussion eignen. Zu-
dem soll sich in der Auswahl der veröffentlichten Eingaben eine
Vielfalt von Themen und unterschiedlichen Sichtweisen mög-
lichst vieler Petenten widerspiegeln.

Vor dem Hintergrund der vorgenannten Erwägungen konnte Ihrer
Bitte, Ihre Eingabe auf der Internetseite des Petitionsausschusses
zu veröffentlichen, leider nicht entsprochen werden.

Darüber hinaus könnte die Veröffentlichung Ihrer Petition zu
Missverständnissen führen. Denn die Beteiligten sind gemäß
§ 105 Abs. 1 S. 2 SGG zu hören. Das Gericht muss den Beteiligten
mitteilen, dass es eine Entscheidung ohne mündliche

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Verhandlung durch Gerichtsbescheid in Betracht zieht und Ihnen
Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern. Die Beteiligten können
dann Gründe für die Anberaumung einer mündlichen
Verhandlung vorbringen oder Beweisanträge stellen.

Damit ist keine Bewertung Ihres Anliegens verbunden. Das Er-
gebnis des Petitionsverfahrens hängt allein vom Inhalt der Peti-
tion ab und nicht von einer möglichen Zahl von Unterstützern
oder Gegnern. Ihre Petition wird so sorgfältig und gründlich ge-
prüft wie jede andere an den Deutschen Bundestag gerichtete
Eingabe.

Sobald die Prüfung Ihrer Zuschrift abgeschlossen ist, werden Sie
über das Ergebnis unaufgefordert unterrichtet. Ich bitte Sie, sich
bis dahin zu gedulden.

Schreiben vom 28.11.2014 an den Petitionsausschuss

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke für Ihr oben genanntes Schreiben, in dem Sie auch inhaltlich auf das Anliegen des Petenten eingehen und zu möglichen Missverständnissen ausführen. Daher und aufgrund der Zeichenbeschränkung bei der Einreichung einer Petition über das Internet teilt dieser hierzu weiter mit.

§ 105 Abs. 1 SGG ermöglicht es dem Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung, also rein auf dem Schriftweg, zu entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Ein Gerichtsbescheid ist somit geeignet in einfachen Fällen das Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, was sich sowohl zugunsten des Gerichts als auch der Beteiligten auswirken kann.

Die Entscheidung per Gerichtsbescheid zu entscheiden ist allerdings grundsätzlich beschwerend. Ein Betroffener, der der Ansicht ist, dass die Sache zur weiteren Klärung doch eine mündliche Verhandlung erfordert, kann diese nur erhalten wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel möglich ist. Ist gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts beispielsweise die Berufung zum Landessozialgericht möglich, so ist er, wenn er nicht vollständig auf Rechtsmittel verzichten will, gezwungen, diese einzulegen. Er ist damit gezwungen eine weitere Instanz anzurufen und die weitere rechtliche Auseinandersetzung am oft weiter entfernten Landessozialgericht zu führen. Das Bemühen die Angelegenheit zügig und möglichst in einer Instanz zu klären wird damit konterkariert.
Durch den Gerichtsbescheid ist die erste Instanz beendet. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass eine für die erste Instanz gewährte Prozesskostenhilfe endet und keine anwaltliche Vertretung mehr besteht, sondern erst ein weiteres Prozesskostenhilfeverfahren zu führen ist. Für die Führung des Prozesskostenhilfeverfahrens sind auch bei Bedürftigen keine Hilfen vorgesehen (Bundesgerichtshof VIII ZR 298/83 vom 30.05.1984).

Das Gehörsrecht der Beteiligten nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG wird von den Sozialgerichten dahingehend verstanden, dass die Beteiligten nur zur Tatsache dass ein Gerichtsbescheid beabsichtigt ist, zu hören sind (Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, C. H. Beck § 105 RdNr. 10a) und es entbehrlich ist, dass das Gericht auch nur mitteilt wie es zu entscheiden gedenkt, oder seine Rechtssicht mitteilt oder die Gründe, dafür anführt, dass es der Ansicht ist, die Sache sei einfach und geklärt. Ebensowenig wird es für erforderlich gehalten die Gründe zu nennen, auf denen der Gerichtsbescheid selbst beruhen wird. Dementsprechend bestehen Mitteilungen an die Beteiligten mitunter inhaltlich nur aus dem Satz, dass das Gericht beabsichtigt durch Gerichtsbescheid zu entscheiden und der Angabe einer Frist bis zu der sich diese hierzu äußern können.

Es ist schwer zu sehen, welchen Sinn die Vorschrift, die Beteiligten im Voraus zu hören überhaupt haben soll, wenn diesen nur bekannt wird, dass es sich nach Auffassung des Gerichts um einen einfachen Fall handelt, aber noch nicht einmal klar ist, ob das Gericht beabsichtigt die Klage abzuweisen, ihr stattzugeben oder sonstwie zu entscheiden. Da das Gericht alleine festlegt, ob es per Gerichtsbescheid entscheidet und es insbesondere einer Zustimmung der Beteiligten nicht bedarf, besteht deren einzige Möglichkeit, einen etwaigen Irrtum des Gerichts zu korrigieren und auf dieses einzuwirken, darin, in der Sache vorzutragen und auf die Kraft der Argumente zu vertrauen. Ohne Wissen, worauf es dem Gericht ankommt, ist ein solcher Vortrag aber nur ins Blaue hinein möglich.

Soweit das Gericht neue, im bisherigen Verfahren noch nicht erörterte Sach- und Rechtsfragen der Entscheidung zugrunde legen will, besteht schon aufgrund des allgemeinen Gehörsrechts die Pflicht dies vor der endgültigen Entscheidung mitzuteilen. Somit wäre § 105 Abs. 1 Satz 3 SGG überflüssig, wenn der Gesetzgeber nicht ein darüber hinausgehendes Gehörsrecht der Beteiligten schaffen will, das sich darauf bezieht, welche von den bisher bereits angesprochenen Punkten das Gericht für erheblich hält. Die Petition beabsichtigt, dieses Gehörsrecht auch effektiv nutzbar zu machen. Hierdurch kann das Verfahren weiter beschleunigt werden, etwa indem Beteiligte zum Nachgeben veranlasst werden, wenn ihnen die Auffassung des Gerichts frühzeitig bekannt wird, aber auch, wenn sie schon im schriftlichen Verfahren einen etwaigen Irrtum des Gerichts berichtigen können.

Es ergibt sich aus dem Änderungsvorschlag keine Belastung der Sozialgerichte, denn der Gerichtsbescheid selbst ist wegen § 105 Abs. 1 Satz 3 SGG ebenso wie ein Urteil zu begründen. Eine Mitteilung der Gründe schon im Schreiben, das mitteilt, dass Gerichtsbescheid ergehen kann, verlagert somit allenfalls die Arbeit zur schriftlichen Ausformulierung der Begründung zeitlich nach vorne und erspart diese dafür später. Eine Pflicht des Gerichts zusätzlich zu den Gründen des beabsichtigten Gerichtsbescheids ausdrücklich darzulegen, warum die Voraussetzungen für die Entscheidung per Gerichtsbescheid vorliegen, besteht auch nach der vorgeschlagenen Änderung nicht.

Im oben genannten Schreiben vom 08.11.2014 führen Sie aus

Darüber hinaus könnte die Veröffentlichung Ihrer Petition zu Missverständnissen führen. Denn die Beteiligten sind gemäß § 105 Abs. 1 S. 2 SGG zu hören.

Dass die Petition über das übliche Maß, das eine Kommunikation im Internet mit sich bringt, hinaus besonders dazu geeignet ist Missverständnisse zu erzeugen, kann der Petent nicht erkennen. Insbesondere bestreitet er nicht, dass die Beteiligten zu hören sind, vielmehr geht es ihm darum durch ein zeitliches Vorziehen der Begründung das Verfahren weiter in der Effizienz zu steigern, da so ein gezielter und damit präziser und verschlankter Vortrag möglich ist, der insbesondere bereits die Rechtssicht des Gerichts berücksichtigt und auf diese eingeht. Im Idealfall können etwa die Argumente des Gerichts eine Seite zum Nachgeben bewegen, so dass zudem das Verfahren verkürzt wird.

Weiter führen Sie aus

Das Gericht muss den Beteiligten mitteilen, dass es eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid in Betracht zieht und Ihnen Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern. Die Beteiligten können dann Gründe für die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vorbringen oder Beweisanträge stellen.

Wie oben dargelegt bestreitet der Petent dies nicht, vielmehr baut sein Petitionsanliegen gerade hierauf auf. Auf das Gehörsrecht nach § 105 Abs. 1 S. 2 SGG hat der Petent auch in der per Internet eingereichten Begründung der Petition ausdrücklich hingewiesen. Im Übrigen haben die Beteiligten auch ohne Aufforderung des Gerichts die Möglichkeit sich in jeder Hinsicht zu der Sache zu äußern, so etwa der Kläger schon in seiner Klage und der Beklagte in seiner Stellungnahme hierzu. Insbesondere können die Beteiligten bereits hier alle ihnen wesentlich erscheinenden Punkte anbringen und Anträge stellen und es ist nicht ersichtlich, warum sie dies nicht tun sollten. Die reine Mitteilung, dass das Gericht durch Gerichtsbescheid entscheiden kann, hat keinen inhaltlichen Informationswert und ist daher weder geeignet die Beteiligten zum Überdenken ihrer Position zu veranlassen noch ihnen einen Anhaltspunkt zu geben, welcher weitere Vortrag oder welche Beweisanträge am zweckdienlichsten sein könnten.

Wie dargelegt ist die verkürzte Begründung der Tatsache geschuldet, dass längere Erläuterungen über die Schnittstelle im Internet nicht vorgebracht werden können und im Übrigen auch Links zu ausführlicheren Darlegungen nicht gestattet sind. Andererseits ist aber darauf hinzuweisen, dass eine sich ergebende Diskussion nicht nur dazu geeignet ist, zu Lücken in der Darlegung nachzutragen, sondern auch dazu Missverständnisse direkt im Dialog auszuräumen. Zusammenfassend ist es für den Petenten daher nicht verständlich, warum gerade die Veröffentlichung dieser Petition vermehrt zu Missverständnissen Anlass geben sollte die nicht ohne Weiteres in einer öffentlichen Diskussion sofort wieder ausgeräumt werden können.

Schreiben des Petitionsausschuss vom 12.02.2015

Sehr geehrter Herr ...,

die aufgrund Ihrer Eingabe eingeleitete Prüfung dauert noch an.
Sie erhalten so bald wie möglich weitere Nachricht.

Schreiben vom 21.05.2015 an den Petitionsausschuss

Sehr geehrte Damen und Herren,
mit obigem Schreiben teilten Sie mir mit, dass die Prüfung noch andauere. Dies ist die letzte Nachricht, die mir von Ihnen vorliegt. Da mir die mit Ihrem Schreiben vom 08.11.2014 angekündigte Stellungnahme des zuständigen Bundesministerium ebenfalls noch nicht vorliegt, möchte ich, um etwaigen Irrläufern auf dem Postweg entgegenzuwirken, hiermit auf diese Umstände hinweisen.

Schreiben des Petitionsausschuss vom 27.05.2015

Sehr geehrter Herr ...,
ich bestätige Ihnen den Eingang Ihres Schreibens.

Ihre Eingabe habe ich den Abgeordneten, die dem Petitionsaus-
schuss zu Ihrem Anliegen Bericht erstatten werden. zugeleitet.

Die Antwort der Bundesregierung bzw. die Stellungnahme des
BMAS wurde ebenfalls den Berichterstattern des Petitionsaus-
schusses durch den Ausschussdienst übersandt. Sie dient dem
parlamentsinternen Meinungs- und Willensbildungsprozess im
Hinblick darauf, ob die Antwort der Bundesregierung als ab—
schließend akzeptiert werden kann.

Nach abschließender Behandlung Ihrer Petition durch den Deut-
schen Bundestag werden Sie unaufgefordert über das Ergebnis
unterrichtet werden. Ich bitte Sie, sich bis dahin zu gedulden.

Schreiben vom 01.06.2015 an den Petitionsausschuss

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke für die Weiterleitung meines Schreibens an die Berichterstatter.

Um jedes Missverständnis zur Intention meiner Nachfrage vom 21.05.20125 auszuschließen möchte ich hierzu noch Folgendes nachtragen. Ich bitte die Mitglieder des Petitionsausschusses ausdrücklich mir Stellungnahmen der Bundesregierung beziehungsweise von Behörden wie dem BMAS im Volltext und rechtzeitig genug zur Verfügung zu stellen, dass ich hierauf, falls erforderlich, inhaltlich eingehen kann.

Es kann leider nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass eine Behörde, auch ein Bundesministerium, bei einmaliger Darlegung ohne klärende Diskussion einen Sachverhalt oder eine Rechtslage auch zutreffend erfasst. Ich weise beispielhaft auf meine frühere Petition Pet 2-17-15-8271-052556 hin, in der das Bundesministerium für Gesundheit ursprünglich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht für maßgebend hielt und erst auf meinen Hinweis hin sich mit der einschlägigen Rechtsprechung des tatsächlich zuständigen Bundessozialgerichts befasste, welches zum damaligen Thema zu wesentlich anderen Schlüssen gelangte als bei einer bloße analoge Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht zu erwarten gewesen wäre. Ein solches „aneinander vorbei reden“ sollte natürlich unbedingt vermieden werden, weil es sachgerechte Äußerungen und Entscheidungen behindert.

Eine gegebenenfalls erforderliche Klärung kann am besten in einer Vordiskussion direkt zwischen dem Petenten und der Behörde erreicht werden und entlastet auch den Petitionsausschuss, dem damit eine bereits völlig geklärte Angelegenheit vorgelegt werden kann.

Eine Antwort des Referats Pet 3 auf dieses Schreiben ist nicht erforderlich, ich bitte lediglich wie gewünscht mein Schreiben weiter zu leiten. Im Übrigen warte ich weiter ab.

Schreiben des Petitionsausschusses vom 29.02.2016

Berlin, 29. Februar 2016

Bezug: Ihre Eingabe vom

8. November 2014; Pet 3-18-11—8206-014539

Platz der Republik 1
11011 Berlin

Sehr geehrter Herr ,

der Deutsche Bundestag hat Ihre Petition beraten und am
25. Februar 2016 beschlossen:

Das Petitionsvelfahren abzuschließen.

Er folgt damit der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(BT-Drucksache 18/7571), dessen Begründung beigefügt ist.

Mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages ist das
Petitionsverfahren beendet.

Mit freundlichen Grüßen



- 52 — Anl. 3 z. Prot. 18/54

Pet 3-18-11-8206-014539

Sozialgerichtsbarkeit

Beschlussempfehlung

Das Petitionsverfahren abzuschließen.

Begründung

Der Petent fordert eine Änderung des § 105 Sozialgerichtsgesetz.

Der Petent führt aus, dass gemäß § 105Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für das
Sozialgericht die Möglichkeit bestehe, ohne mündliche Verhandlung - also rein auf
Grundlage der dem Gericht vorliegenden schriftlichen Unterlagen - zu entscheiden,
wenn die zu behandelnde Sache keine besondere Schwierigkeit tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt grundsätzlich geklärt sei. Betroffene, die
der Ansicht sind, dass die Sache zur weiteren Klärung eine mündliche Verhandlung
erfordere, könnten diese nur dann erzwingen, wenn gegen den Gerichtsbescheid
kein Rechtsmittel möglich sei. In solchen Fällen seien Betroffene gezwungen, Beru—
fung beim zuständigen Landessozialgericht einzulegen. In diesem Zusammenhang
fordert der Petent, dass den Beteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens die
Gründe des beabsichtigten Gerichtsbescheides ohne mündliche Verhandlung zwin—
gend vorher mitgeteilt werden müssten. Zudem müsse eine Anhörung durch das zu-
ständige Gericht erfolgen. Nach Einschätzung des Petenten hätten die von ihm vor-
geschlagenen Änderungen des § 105 SGG keine erhöhte Belastung der Sozialge—
richte zur Folge.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die vom Petenten
eingereichten Unterlagen Bezug genommen.

Der Bitte des Petenten um Veröffentlichung seiner Eingabe auf der Internetseite des

Deutschen Bundestages hat der Ausschuss nicht entsprochen.

- 53 - Anl. 3 z. Prot. 18/54

noch Pet 3—18-11—8206—014539

Der Petitionsausschuss hat der Bundesregierung - dem Bundesministerium für Arbeit
und Soziales (BMAS) - Gelegenheit gegeben, ihre Haltung zu der Eingabe darzule—
gen.

Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung lässt sich unter Einbeziehung der sei-
tens der Bundesregierung angeführten Aspekte wie folgt zusammenfassen:

Nach § 105 Absatz1 Satz 2 SGG muss das Gericht alle Beteiligten dazu anhören,
dass es beabsichtigt, in einer Sache durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Nach
dem Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. auch Artikel 103 Abs. 1 Grund-
gesetz und § 62 SGG) sind die Beteiligten darüber zu informieren, dass das Gericht
von dem Vorliegen eines Sachverhalts ausgeht, der weder besondere tatsächliche
noch besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist, und dass außerdem nach Auf—
fassung des Gerichts der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten müssen darauf hin-
gewiesen werden, dass sie sich in der Sache äußern und Bedenken gegen die vom
Gericht beabsichtigte Verfahrensweise geltend machen können. Aus der Anhörung
muss jedenfalls ersichtlich sein, dass die Beteiligten die Gelegenheit-haben, Gründe
für die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vorzubringen oder Beweisan—
träge zu stellen. Die Anhörung muss konkret auf den einzelnen Fall bezogen sein.
Ein formularmäßiger Hinweis reicht nicht aus.

Aus Sicht des Petitionsausschusses besteht weder eine Verpflichtung noch ein Be—
darf, darüber hinaus zu regeln, dass das Gericht generell verpflichtet ist, seine

Rechtsauffassung zur Sache selbst mitzuteilen. Insbesondere enthält Artikel 103 Ab—
satz 1 des Grundgesetzes keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung, keine
allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage und auch nicht über
seine Rechtsauffassung zur Rechtssache und den Erfolgsaussichten. Auch aus dem
Zweck der Regelung des § 105 Absatz1 Satz 2 SGG ergibt sich kein zwingendes

Argument für eine derartige Hinweispflicht. Der Zweck der Regelung besteht lediglich
darin, den Beteiligten Gelegenheit zu geben, innerhalb einer bestimmten Frist Grün—
de vorzutragen, die für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sprechen.

Wären in der Anhörungsmitteilung inhaltliche Ausführungen zu tatsächlichen oder
rechtlichen Fragen erforderlich, würden die Beteiligten, über deren Angelegenheit per

- 54 - Anl. 3 z. Prot. 18/54

noch Pet 3-18—11-8206—014539

Gerichtsbescheid entschieden werden soll, gegenüber denjenigen Beteiligten besser
gestellt, in deren Verfahren nach mündlicher Verhandlung entschieden werden soll.

Denn in der mündlichen Verhandlung erörtert der Vorsitzende zwar das Sach- Und
Streitverhältnis mit den Beteiligten (§ 112 Absatz 2 Satz 2 SGG), eine Pflicht zur
Darstellung seiner Rechtsansicht oder zu einem umfassenden Rechtsgespräch
ergibt sich daraus aber nicht.

Der mit § 105 SGG verfolgte Zweck der Beschleunigung des Verfahrens darf zudem
nicht durch überzogene Anforderungen an die Anhörung unterlaufen werden. Die
Auffassung des Petenten, mit seinem Änderungsvorschlag ergebe sich keine Mehr—
belastung der Sozialgerichte, wird seitens des Petitionsausschusses nicht geteilt.

Der Ausschuss hält die geltende Rechtslage für Sachgerecht und vermag sich nicht
für eine Rechtsänderung im Sinne des Petenten auszusprechen. Er empfiehlt des-
halb, das Petitionsverfahren abzuschließen, da dem Anliegen nicht entsprochen
werden konnte.

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Montag, 25. Mai 2015
BVerfG, 1 BVR 641/14 vom 16.04.2014, Bundesverfassungsgericht
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BVR 641/14 -

In dem Verfahren
über den Antrag

auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

des Herrn

für die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 20. Januar 2014 - L 8 SO 2/13 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten K,
den Richter M
und die Richterin B
gemäß § 93d Abs. 2 in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 11. August 1993 (BGBI l S. 1473)
am 16. April 2014 einstimmig beschlossen:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird
abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne
Aussicht auf Erfolg ist.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

K M B

Faksimile

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LSG NSB, L 11 AS 676/15 B ER vom 13.05.2015, Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
LANDESSOZIALGERICHT
NIEDERSACHSEN-BREMEN
BESCHLUSS

L 11 AS 676/15 B ER
S 49 AS 1268/15 ER Sozialgericht Hannover

In dem Beschwerdeverfahren

A.

- Antragstellerin und Beschwerdeführerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte B.

gegen

Jobcenter Schaumburg,
Breslauer Straße 2 - 4, 31655 Stadthagen

- Antragsgegner und Beschwerdegegner -

hat der 11. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 13. Mai 2015 in Celle
durch die Richter C. - Vorsitzender - und D. sowie die Richterin Dr. E. beschlossen:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts
Hannover vom 24. April 2015 aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet,
der Antragstellerin vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache
im Rahmen einer freien Förderung nach § 16f SGB II ein Darlehen in Höhe von
2.000 Euro zur Bezahlung des bereits gekauften Pkw zu bewilligen.

Der Antragsgegner erstattet der Antragstellerin die Kosten beider Rechtszüge.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter
Beiordnung von Rechtsanwalt F. gewährt.

Ratenzahlung wird nicht angeordnet.

Gründe

I.Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung eines
Darlehens, um damit einen von ihr gekauften Pkw zu bezahlen.

Die Antragstellerin und ihre minderjährigen Kinder wohnen in G. und beziehen seit Längerem
Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Nach Anga-
ben der Antragstellerin ist eines ihrer Kinder auf einen Rollstuhl angewiesen, ein anderes erlitt
im vergangenen Jahr einen Schlaganfall und hat Herzrhythmusstörungen. Zuletzt wurden ihr
und dreien der vier Kinder als sog. Aufstocker mit Bescheid vom 1. April 2015 Grundsiche-
rungsleistungen vorläufig bewilligt.
Im Januar 2015 schloss die Antragstellerin einen Arbeitsvertrag mit der H. GmbH über eine
Tätigkeit als Pflegehelferin im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung ab.
Am Sonntag, dem 1. März 2015 übersandte die Antragstellerin dem Antragsgegner eine E-
Mail, in welcher sie mitteilte, dass ihr Auto am Vortag endgültig liegengeblieben sei. Eine Re-
paratur würde sich auf etwa 1.000 Euro belaufen und einige Zeit dauern, da Ersatzteile nicht
vorrätig seien. Sie frage an, ob der Antragsgegner ihr helfen könne, die drohende Arbeitslo-
sigkeit zu vermeiden. In einer Gesprächsnotiz einer Mitarbeiterin des Antragsgegners vom
Folgetag, dem 2. März 2015, ist festgehalten, dass die Antragstellerin an diesem Tag telefo-
nisch ein Darlehen für einen Pkw nach § 16f SGB II beantragt habe (Bl. 1063 Verwaltungsak-
te - VA). Der Antragstellerin seien die Konditionen für eine Darlehensgewährung erläutert
worden. Die Kundin wolle den ausgefertigten Antrag abholen. Einer weiteren Gesprächsnotiz
vom gleichen Tage zufolge (Bl. 1065 VA) hat die Antragstellerin am 2. März dann mitgeteilt,
dass der Pkw nicht auf sie, sondern wegen der Schwerbehinderten-Förderung und der güns-
tigeren Kfz-Versicherung wieder auf ihren 16-jährigen Sohn zugelassen werden solle. Eine
Bewilligung des Darlehens sei ihr, so der Vermerk, nicht zugesagt worden, sondern lediglich
die Prüfung nach Eingang der vollständigen Unterlagen.
Am selben Tag kaufte die Antragstellerin bei der Firma I. Automobile einen Pkw. Wie sich aus
der in der Verwaltungsakte enthaltenen Kopie des Fahrzeugbriefs ergibt, wurde am gleichen
Tage auch die Zulassung des erworbenen Pkw auf den Namen des schwerbehinderten Soh-
nes der Antragstellerin im Fahrzeugbrief vorgenommen (Bl. 999 VA).

Nachdem das ausgefüllte Antragsformular auf die Gewährung des Darlehens, Kostenvoran-
schläge über andere Pkw und weitere Unterlagen am 5. März 2015 beim Antragsgegner ein-
gegangen waren, lehnte dieser die Darlehensgewährung mit Bescheid vom 6. März 2015 ab.
Die Kaufpreise sämtlicher drei Kostenvoranschläge lägen über 2.000 Euro, denn der Rester-
lös für das alte Auto habe 400 Euro betragen und hätte in die Kaufpreisbetrachtung mit einbe-
zogen werden müssen. Außerdem habe die Kaufpreissumme schon vorgelegen, da das
Fahrzeug bereits auf den Sohn der Antragstellerin zugelassen worden sei. Das Fahrzeug sei

Seite 2/9

auch nicht marktpreisgerecht. Aus Gründen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit könne
daher kein Darlehen gewährt werden.
Den Widerspruch der Antragstellerin wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom
31. März 2015 zurück.
Dagegen hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 10. April 2015 unter dem Aktenzeichen J.
Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Sie hat außerdem mit Schreiben vom sel-
ben Tage Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und diesen damit begrün-
det, dass der Autohändler den Pkw zwischenzeitlich zurückfordere. Aufgrund der Aussagen
der Mitarbeiter des Antragsgegners sei die Antragstellerin davon ausgegangen, dass sie die
Förderung erhalten werde. Dies habe sie dem Autohändler erzählt. Er und auch sie seien da-
von ausgegangen, dass kurzfristig eine Zahlung durch den Antragsgegner erfolgen werde.
Die Darlehensgewährung sei der einzige Weg, um die Erwerbstätigkeit aufrechtzuerhalten.
Sie werde an wechselnden Arbeitsorten eingesetzt und könne nicht auf öffentliche Verkehrs-
mittel zurückgreifen. Sie habe auch nicht lange mit dem Erwerb eines Fahrzeugs warten kön-
nen. Aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sei sie nicht in der Lage,
die Mittel selbst aufzubringen. Kein Autohändler würde ihr ein Auto auf Ratenzahlungsbasis
verkaufen. Sie habe die Äußerungen des Antragsgegners so verstanden, dass sie mit einem
Darlehensbetrag in Höhe von 2.000 Euro rechnen könne, ohne dass der Wert des Altfahrzeu-
ges zu berücksichtigen sei.
Die Richtigkeit dieser Angaben hat die Antragstellerin an Eides statt versichert.
Sie hat außerdem ein Schreiben des Autohändlers vom 9. April 2015 vorgelegt, in welchem
dieser die Zahlung anmahnt und darauf hinweist, dass er auf die Angaben der Antragstellerin
vertraut habe, wonach das Jobcenter die Zahlung übernehmen werde.

Mit Beschluss vom 24. April 2015, der dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am
27. April 2015 zugestellt wurde, hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anord-
nung abgelehnt. Es bestünden bereits Zweifel am Vorliegen eines Anordnungsgrundes, da die
Antragstellerin und ihre Kinder Grundsicherungsleistungen erhielten und daher zweifelhaft sei,
ob durch die Ablehnung der Darlehensgewährung eine gegenwärtige Notlage geschaffen
werde. Letztlich könne dies aber dahinstehen, da kein Anordnungsanspruch glaubhaft ge-
macht worden sei. Einen Anspruch auf Darlehensgewährung auf der Grundlage des – allein
in Betracht kommenden - § 16f SGB II hätte die Antragstellerin, so das SG, nur bei einer Er-
messensreduzierung auf Null. Diese liege aber nicht vor, da die Antragstellerin den Weg zur
Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen könne. Es könne dahinstehen, ob
bereits der Umstand, dass der Antrag erst am 5. März 2015 und damit drei Tage nach dem

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Kauf des Kfz beim Antragsgegner eingegangen sei, grundsätzlich einen Anspruch entfallen
lasse.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 30. April 2015 eingeleg-
ten Beschwerde. Es sei unzutreffend, dass sie öffentliche Verkehrsmittel nutzen könne, um
zur Arbeitsstelle zu gelangen. Dies werde durch die nunmehr vorgelegte Auskunft des Arbeit-
gebers bestätigt. Ein Anordnungsgrund liege vor, denn der Kfz-Händler sei nach einem Tele-
fonat mit dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin nur bis maximal Anfang Mai bereit,
mit dem Zurückholen des Fahrzeugs zuzuwarten. Sofern der Antragstellerin kein Kfz mehr zur
Verfügung stehe, werde sie ihren Arbeitsplatz verlieren.
Der Antragsgegner nimmt auf den Schriftverkehr und auf die Gesprächsvermerke aus dem
Verwaltungsverfahren sowie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 31. März
2015 Bezug. Er hält den angefochtenen Beschluss für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird
auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist – auch in Ansehung von § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) –
zulässig, da im Hauptsacheverfahren die Berufung zulässig wäre. Der insoweit maßgebliche
Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG von mehr als 750 Euro ist erreicht. Zwar be-
gehrt die Antragstellerin den Betrag von 2.000 Euro nicht als Zuschuss, sondern lediglich als
Darlehen, welches naturgemäß zurückzuzahlen ist. Daraus folgt aber keine Minderung des
Beschwerdewertes auf 750 Euro oder weniger. Entscheidend ist, dass die Antragstellerin den
Betrag in Höhe von 2.000 Euro nach ihrem Vorbringen benötigt, um damit - dauerhaft - das
Kraftfahrzeug mit einem entsprechenden Wert zu erwerben. Daher bestehen keine Zweifel an
der Zulässigkeit der Beschwerde.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufi-
gen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Rege-
lung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Voraussetzungen dafür, d. h.
der Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren
beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen
Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 3 Zivilprozess-
ordnung – ZPO -). Steht dem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraus-

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sichtlich zu und ist ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, hat er
Anspruch auf die beantragte Leistung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes. Zwar sind im
Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich die Erfolgsaussichten in
der Hauptsache zu prüfen. Ist aber im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und
Rechtslage nicht möglich, so ist eine Entscheidung auf der Grundlage einer Folgenabwägung
unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers einerseits und der
öffentlichen Belange des Antragsgegners andererseits vorzunehmen (vgl. Bundesverfas-
sungsgericht – BVerfG – Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – NVwZ 2005, S.
927ff.).

Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, dass der Antragsgegner vorläufig bis zu einer Ent-
scheidung in der Hauptsache zu der begehrten Darlehensgewährung zu verpflichten ist. Ins-
besondere liegt ein streitiges Rechtsverhältnis vor, da die Antragstellerin gegen den Wider-
spruchsbescheid vom 31. März 2015 Klage erhoben hat.
Im Hinblick auf den Anordnungsanspruch ergibt sich bei der im einstweiligen Rechtsschutz-
verfahren gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung, dass ein solcher Anspruch
gegeben sein dürfte. Jedenfalls erweist sich die Ablehnung der Darlehensgewährung als
rechtswidrig. Als Anspruchsgrundlage für die Gewährung eines Darlehens zum Erwerb eines
Pkw kommt § 16f Abs. 1 SGB II in Betracht. Demnach kann die Agentur für Arbeit die Mög-
lichkeiten der gesetzlich geregelten Eingliederungsleistungen durch freie Leistungen zur Ein-
gliederung in Arbeit erweitern, wobei die freien Leistungen den Zielen und Grundsätzen des
SGB II entsprechen müssen. Leistungsträger nach dieser Vorschrift sind nicht nur die Bundes-
agentur für Arbeit, sondern auch die nach § 6a SGB II zugelassenen kommunalen Träger
(Harks in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 16f, Rn. 9), zu denen nach der
Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 24. September 2004 auch der Antragsgegner
gehört. Bei § 16f SGB II handelt es sich um eine eigenständige Anspruchsgrundlage, die als
Generalklausel ausgestaltet ist (Stölting in: Eicher, SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchen-
de, Kommentar, 3. Auflage 2013, § 16f Rn. 7). Sie ist auch dann anwendbar, wenn Leistun-
gen präventiv erbracht werden, etwa zur Sicherstellung einer die Hilfebedürftigkeit verringern-
den selbständigen Tätigkeit (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Juni 2010 – L
14 AS 933/10 B, zit. nach juris: Finanzierung eines Arbeitszimmers) oder zur Abwendung des
Arbeitsplatzverlustes, sofern trotz der Erwerbstätigkeit weiter Hilfebedürftigkeit besteht (Stöl-
ting, a.a.O.), was gerade bei sog. Aufstockern wie der Antragstellerin der Fall ist (vgl. auch
Grühn in: Gagel, SGB II/SGB III, Grundsicherung/Arbeitsförderung, § 16f Rn. 6 sowie Voelzke
in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: 2015, K § 16f Rn. 15). Aufgabe und Ziel der Grundsicherung
für Arbeitsuchende ist nämlich nach § 1 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 SGB II unter anderem, den Um-
fang der Hilfebedürftigkeit durch eine Erwerbstätigkeit zu verringern. Leistungen im Rahmen
einer Einzelförderung können als Zuschuss, Darlehen oder als Kombination beider gewährt

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werden (vgl. die „Gemeinsame Erklärung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und
der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Ministerien der Länder als auf-
sichtsführende Stellen nach § 47 SGB II zu den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach
§ 16 SGB II i.V.m. §§ 45, 46 und nach § 16f SGB II“, 3. Aktualisierte Fassung: Oktober 2012,
S. 25). Hinsichtlich des möglichen Leistungsinhalts sind die nach § 16f SGB II denkbaren
Leistungen allerdings an § 20 SGB II zu messen (Grühn, a. a. O., Rn. 9). Die vom Regelbe-
darf erfassten Leistungsinhalte können grundsätzlich nicht Gegenstand der sog. freien Leis-
tungen sein (vgl. Grühn, a. a. O.).

Da der Erwerb eines Pkw nicht vom Regelbedarf abgedeckt ist, kommt insoweit grundsätzlich
eine freie Förderung nach § 16f SGB II in Betracht (so auch ausdrücklich: Gemeinsame Erklä-
rung des BMAS u.a., a.a.O., S. 44).
Voraussetzung für die Leistungsgewährung ist, da es sich um eine Eingliederungsleistung
handelt, ferner die Einhaltung der in § 3 Abs. 1 Satz 1 SGB II normierten Grundsätze (Stölting,
a.a.O.). Eine freie Leistung kann demnach nur dann erbracht werden, wenn sie zur Vermei-
dung oder Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit für die Einglie-
derung erforderlich ist. Dies hat die Antragstellerin im Hinblick auf die begehrte Darlehensge-
währung für den Kauf eines Pkw glaubhaft gemacht. Sie hat an Eides statt versichert, dass
sie nicht auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen kann. Diese Ausführungen sind - bei der
im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung – nachvoll-
ziehbar. So ist unbestritten, dass die Antragstellerin schon bislang einen Pkw besaß, mit dem
sie die Arbeitsstelle erreicht hat. Aus den von ihr vorgelegten Stundenzetteln (Bl. 88 bis 91
GA) ergibt sich, dass der morgendliche Arbeitsbeginn – auch an Sonntagen – um 6.00 Uhr
oder 6.30 Uhr liegt. Bei Arbeitsbeginn um die Mittagszeit liegt das Arbeitsende um 20.30 Uhr.
Bereits diese Uhrzeiten stellen üblicherweise in weniger großen Städten wie G. eine Heraus-
forderung dar, wenn es um die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel geht. Hinzu kommt, dass
die Antragstellerin an unterschiedlichen Arbeitsstellen zum Einsatz kommt. Die vorgelegten
Stundenzettel für den Monat April belegen zwei verschiedene Arbeitsstätten. Die eingereichte
Bestätigung des Arbeitgebers (Bl. 101 Gerichtsakte - GA) schildert die Rahmenbedingungen
ihrer Tätigkeit derart, dass sie auch kurzfristig im Raum K. L., M., N., O., P. und Q. eingesetzt
werden könne. Für die Einsätze sei Mobilität mit dem Pkw zwingend erforderlich. Die Schicht-
zeiten seien mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu realisieren und der Wechsel erfolge in-
nerhalb weniger Tage. Diese Angaben entsprechen der in § 1 Nr. 1 des Arbeitsvertrages ent-
haltenen Regelung, wonach die Antragstellerin bei Kunden der H. GmbH an verschiedenen
Orten eingesetzt wird (Bl. 788 VA).
Gegen eine Darlehensgewährung zum Erwerb des Pkw spricht auch nicht der Umstand, dass
das Fahrzeug bereits auf den Namen des Sohnes der Antragstellerin zugelassen wurde und

Seite 6/9

sie das Fahrzeug faktisch bereits besitzt. Die Antragstellerin hat an Eides statt versichert,
dass der Autohändler sich darauf eingelassen habe, den alten Pkw unter Anrechnung von 400
Euro in Zahlung zu nehmen und im Übrigen auf eine kurzfristige Zahlung des Antragsgegners
zu warten. Der Kaufvertrag vom 2. März 2015 (Bl. 69 GA) und das Schreiben des Verkäufers
vom 9. April 2015 bestätigen diese Angaben. Soweit der Antragsgegner im Verwaltungsver-
fahren angedeutet hat, dass möglicherweise die volle Kaufpreissumme bereits beglichen wor-
den sei, fehlen hierfür Anhaltspunkte. Die Antragstellerin und der Verkäufer müssten aller-
dings mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen, wenn sich dies im Hauptsacheverfahren
bewahrheiten sollte.

Auch der kurze zeitliche Abstand zwischen Einholung von Kostenvoranschlägen und dem
Erwerb des Pkw spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit der von der Antragstellerin gemachten
Angaben. Hätte sie längere Zeit mit dem Erwerb eines Pkw gewartet, so hätte man ihr umge-
kehrt vorhalten können, dass dieser offensichtlich nicht dringend benötigt werde.

Gegen einen Anordnungsanspruch spricht schließlich auch nicht, dass die Antragstellerin den
Pkw erworben hat, noch bevor sie den schriftlichen Antrag eingereicht und der Antragsgegner
über diesen abschließend entschieden hatte. Eine Antragstellung hat der Antragsgegner
selbst bereits im Anruf der Antragstellerin am 2. März 2015 gesehen, wie dem Vermerk auf Bl.
1063 der Verwaltungsakte zu entnehmen ist. Auch die in § 16f Abs. 2 Satz 1 vorgesehene
Beschreibung des Leistungsziels durch den Leistungsträger ist ohne Weiteres noch nach Er-
werb des Pkw und vor der Darlehensbewilligung möglich. Anders als der Antragsgegner in der
Verwaltungsakte vermerkt hat (Bl. 1062), folgt aus dem bereits erfolgten Pkw-Erwerb kein
grundsätzlicher Förderausschluss.

Auch der vom Antragsgegner angeführte und in § 3 Abs. 1 Satz 4 SGB II verankerte Grund-
satz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit spricht bei summarischer Betrachtung nicht ge-
gen die Darlehensgewährung. Dass die Reparatur des alten Pkw unwirtschaftlich gewesen
wäre, hat der Antragsgegner selbst anerkannt (vgl. Bl. 1001 VA). Die vom Antragsgegner be-
nannte 2000-Euro-Grenze für den Neuerwerb findet keine direkte Stütze im Gesetz und die
Einschätzung, dass der gekaufte Pkw nicht marktpreisgerecht sei, muss im Hauptsachever-
fahren überprüft werden. Auch ein Pkw für 2.400 Euro erscheint nicht von vornherein unwirt-
schaftlich.

Der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis der Antragstellerin bis Ende Oktober 2015 befristet
ist, spricht ebenfalls nicht gegen dessen Sicherung durch die Darlehensgewährung. Auch eine
zeitlich begrenzte Verringerung der Hilfebedürftigkeit ist ein legitimes und anzustrebendes Ziel
von Eingliederungsleistungen. Im Übrigen führen befristete Arbeitsverhältnisse nicht selten zu
unbefristeten und damit zur dauerhaften Überwindung oder Verringerung der Hilfebedürftig-

Seite 7/9

keit. Offensichtlich fordert auch der Antragsgegner selbst nach seiner Verwaltungspraxis für
derartige Eingliederungsleistungen ein zum Zeitpunkt der Antragstellung noch für mindestens
sechs weitere Monate laufendes Arbeitsverhältnis (Aktenvermerk Bl. 1063 VA).
Liegen somit die Voraussetzungen des § 16f SGB II nach summarischer Prüfung vor, so ge-
währt die Norm einen Anspruch auf eine Ermessensentscheidung des Leistungsträgers. Ein
gebundener Anspruch auf die Gewährung eines Darlehens ließe sich nur bei einer Ermes-
sensreduzierung auf Null begründen.
Bei summarischer Prüfung erweist sich die ablehnende Entscheidung des Antragsgegners als
ermessensfehlerhaft. So ist nicht nachvollziehbar begründet worden, warum der Antragsgeg-
ner eine Begrenzung auf genau 2.000 Euro vornimmt. Auch muss im Hauptsacheverfahren
geprüft werden, ob der Antragsteller die individuelle Lebenssituation der Antragstellerin, ins-
besondere ihre familiäre Situation im Rahmen seiner Ermessensentscheidung berücksichtigt
hat, wie es § 3 Abs. 1 Nr. 2 SGB II vorsieht. Dagegen spricht, dass er dies im angefochtenen
Bescheid nicht erwähnt hat. Im Aktenvermerk auf Bl. 1062 der Verwaltungsakte wird ausführt,
dass die familiäre Situation der Antragstellerin höchst bedauerlich sei und es ihr hoch anzu-
rechnen sei, dass sie trotz ihrer behinderten Kinder einer beruflichen Tätigkeit nachgehe.
Nichtsdestoweniger habe kein Entscheidungsspielraum bestanden. Dies belegt, dass die fa-
miliäre und individuelle Situation der Antragstellerin gerade nicht in eine Abwägung einbezo-
gen wurde und die im SGB II angelegte Individualisierung der Leistungserbringung (vgl. Grei-
ser in: Eicher, SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Kommentar, 3. Auflage 2013, § 3
Rn. 9) gerade nicht erfolgt ist.
Der Senat lässt offen, ob - wofür durchaus nicht unerhebliche Anhaltspunkte bestehen - eine
Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Die Antragstellerin hat nämlich unter Berücksichti-
gung des ebenfalls glaubhaft gemachten Anordnungsgrundes zumindest aufgrund der im vor-
liegenden Fall gebotenen Folgenabwägung Anspruch auf Erlass der begehrten einstweiligen
Anordnung.

Die Eilbedürftigkeit und daraus folgend ein Anordnungsgrund ergeben sich aus dem Umstand,
dass die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, dass sie für die Ausübung ihrer Berufstätigkeit
auf einen Pkw angewiesen ist und ohne Pkw die reale Gefahr des alsbaldigen Arbeitsplatzver-
lustes besteht. Es erscheint auch glaubhaft, dass der Verkäufer tatsächlich den Pkw zurück-
fordern wird, wenn die Zahlung des Kaufpreises ausbleibt. Der Prozessbevollmächtigte hat
nach eigenen Angaben mit dem Autoverkäufer telefoniert und dessen Zuwarten bis Anfang
Mai erreicht. Daraus folgt, dass ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren
nicht zumutbar ist. Der drohende Verlust des Arbeitsplatzes wäre durch eine erst im Haupt-
sacheverfahren ergehende Entscheidung nicht mehr rückgängig zu machen.

Seite 8/9

Demgegenüber sind die Folgen für den Antragsgegner auch angesichts des Umstandes, dass
er zur wirtschaftlichen und sparsamen Leistungserbringung angehalten ist, überschaubar. Er
wird lediglich zur Darlehensgewährung verpflichtet und dürfte keinen endgültigen Verlust er-
leiden, zumal die Antragstellerin sich mit der Zahlung von Raten in Höhe von 200 Euro monat-
lich einverstanden erklärt hat.
Da die Rechtsverfolgung aus den genannten Gründen erfolgreich und die Antragstellerin pro-
zessarm ist, war ihr für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
C.
D.
Dr. E.

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Freitag, 22. Mai 2015
SG KI, S 36 AS 1459/13 vom 30.04.2015, Sozialgericht Kiel
Az.: S 36 AS 1459/13

SOZIALGERICHT KIEL
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

ln dem Rechtsstreit
1. Frau . Kiel
2. Herrn , Kiel
3. Herrn Kiel
4. Herrn , Kiel.

- Kläger -

Prozessbevollmächtigter ‚ zu 1—4: Rechtsanwalt Helge Hildebrandt,
Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel
256/13

gegen

Jobcenter Kiel, vertreten durch den Geschäftsführer, Adolf-Westphal-Straße 2, 24143 Kiel

- Beklagter -

hat die 36. Kammer des Sozialgerichts Kiel auf die mündliche Verhandlung vom 30. April
2015 in Kiel durch den Richter am Sozialgericht , den ehrenamtlichen Richter
den ehrenamtlichen Richter für Recht erkannt:

Der Bescheid des Beklagten vom 18.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbe-
scheides vom 24.10.2013 wird abgeändert, und der Beklagte wird verurteilt, den
Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Widerspruchsverfah-
ren W 2264/13 zu erstatten.

Der Beklagte erstattet den Klägern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten
dieses Verfahrens.

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann nur dann mit der Berufung angefochten werden, wenn sie nachträglich zugelassen
wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten wer-
den.

Die Berufung ist zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

- das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemein-
samen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
und auf dieser Abweichung beruht oder

- ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird
und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem

Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht
Gottorfstr. 2
24837 Schleswig

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten einzulegen.
Die Frist beträgt bei einer Zustellung im Ausland drei Monate.

Die Beschwerdeschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen und die zur Begründung dienenden i
Tatsachen und Beweismittel angeben.

- 3 -

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Erstattung von Kosten eines Widerspruchsverfahrens.

Die Kläger beziehen dauerhaft Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten. Sie leben in ei-
ner Wohnung, für die monatlich Kosten oberhalb der vom Beklagten angesetzten Mietober—
grenze anfallen. Hierauf wurden die Kläger erstmals mit Schreiben vom 06.04.2010 hinge-
wiesen. Wegen nachgewiesener dauerhafter gesundheitlicher Einschränkungen hat der Be-
klagte in der Folge jedoch keine Absenkung vorgenommen.

Mit Schreiben vom 17.01.2013 forderte der Beklagte die Kläger erneut zur Senkung der
Unterkunftskosten auf. Die Kosten für die von Ihnen bewohnte Unterkunft sei zu hoch und
müsse innerhalb von sechs Monaten durch Umzug oder Untervermietung gesenkt werden.
Das Schreiben enthielt zudem die Bitte, sich im Fall der Unzumutbarkeit an die zuständige
Integrationsfachkraft zu wenden; die bisher berücksichtigten gesundheitlichen Einschrän—
kungen wurden nicht erwähnt. In der Folge gab es wiederholten telefonischen Kontakt, wobei
der Inhalt der Gespräche umstritten ist.

Mit Bescheid vom 26.07.2013 gewährte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Zeit—
raum August 2013 bis Januar 2014 unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in
Höhe der Mietobergrenze.

Hiergegen erhoben die Kläger mit der Begründung Widerspruch, es sei Ihnen aus verschie-
denen Gründen nicht zumutbar umzuziehen. So seien der Schulbesuch der Kinder, die be-
vorstehende Verkleinerung der Bedarfsgemeinschaft und die gesundheitlichen Einschrän-
kungen zu berücksichtigen. Außerdem sei die vom Beklagten angesetzte Mietobergrenze
ohnehin fehlerhaft festgesetzt.

Mit Abhilfebescheid vom 18.10.2013 half der Beklagte dem Widerspruch in der Sache ab.
Kosten seien für das Widerspruchsverfahren jedoch nicht zu erstatten, da die Kläger erst-
mals im Laufe des Widerspruchsverfahrens aktuelle medizinische Nachweise vorgelegt hät-
ten, die die Unzumutbarkeit des Umzuges belegten.

Gegen diese Kostenentscheidung erhoben die Kläger Widerspruch. Der Beklagte habe seit
Jahren Kenntnis von den dauerhaften gesundheitlichen Einschränkungen. Außerdem sei hie-
rauf von der Klägerin zu 1. auch im Laufe des Kostensenkungsverfahrens ausdrücklich im
Rahmen der telefonischen Kontakte hingewiesen worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2013 wies der Beklagte den Widerspruch aus den
Gründen des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.

Mit der vorliegenden Klage machen die Kläger geltend, es bestehe ein Anspruch auf Erstat—
tung der Kosten des Widerspruchsverfahrens, da sie die entsprechenden Angaben nicht erst
nach Erlass des Bescheides vom 26.07.2013 gemacht hätten. Außerdem fehle es auch an
einer entsprechenden Mitwirkungsaufforderung durch den Beklagten.

- 4 -

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Beklagten vom 18.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 24.10.2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern die not—
wendigen außergerichtlichen Kosten für das Widerspruchsverfahren W 2264/13 zu er-
statten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf seine Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden. Ausweislich der in der
Verwaltungsakte befindlichen Vermerke seien von den Klägern im Kostensenkungsverfahren
keine Angaben zu den gesundheitlichen Einschränkungen gemacht worden

Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten haben der erkennenden Kammer '
vorgelegen und. sind Grundlage der vorliegenden Entscheidung. Hinsichtlich der Einzelheiten
des Sach- und Streitstandes wird auf diese Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Kostenentscheidung des angegriffenen Abhilfebescheides erweist sich als rechtswidrig
und verletzt die Kläger in ihren Rechten.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen
Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen. der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckent-
sprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Wider-
spruch erfolgreich ist. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, aus weichen Gründen '
ein Widerspruch erfolgreich gewesen ist. ‘

Erfolgreich ist ein Widerspruch im Sinne des § 63 SGB X jedoch regelmäßig nur dann, wenn
er auch ursächlich für die abhelfende Entscheidung ist. Dies ist nach der Rechtsprechung
regelmäßig dann nicht der Fall, wenn die abhelfende Entscheidung zum Beispiel auf der
Nachholung von Mitwirkungspflichten oder veränderten Tatsachen beruht.

Es kann insofern vorliegend dahin stehen, ob die Kläger im Rahmen des Kostensenkungs-
verfahrens auf die fortbestehenden gesundheitlichen Einschränkungen hingewiesen haben,

denn es fehlt bereits an einer entsprechenden Mitwirkungsverpflichtung.

-5-

Die die Kostenfolge des § 63 SGB X ausschließende Nachholung einer Mitwirkungshandlung
setzt nämlich zunächst voraus, dass eine entsprechende Mitwirkungsverpflichtung besteht.
Welche Mitwirkungspflichten bestehen, ergibt sich im Wesentlichen aus § 60 SGB l. Danach
besteht insbesondere die Pflicht, alle leistungserheblichen Tatsachen und alle diesbezüglich
erfolgenden Änderungen mitzuteilen. Die leistungserheblichen Angaben sind dabei grund-
sätzlich mit den in den entsprechenden Antragsformularen abgefragten Sachverhalten iden-
tisch. Insoweit sind aber keine fehlerhaften oder unzureichenden Angaben der Kläger er-
sichtlich. Gleiches gilt für die Mitteilung leistungserheblicher Änderungen, da hinsichtlich der
gesundheitlichen Einschränkungen gerade keine Änderung der Tatsachen vorliegt. Weiter—
gehende Mitwirkungspflichten bestehen aber nur insoweit, wie die Behörde den Leistungs-
bezieher hierzu ausdrücklich auffordert. Dies gilt auch dann, wenn die Behörde das Fortbe-
stehen bestimmter Umstände — wie hier der gesundheitlichen Einschränkungen - überprüfen
will, denn ohne eine solche Aufforderung sieht das Gesetz keine Verpflichtung vor, unverän-
derte Tatsachen in bestimmten Abständen erneut durch entsprechende Nachweise zu bele-
gen. Es besteht dann ein Spannungsfeld zwischen Mitwirkung (§§ 60 ff. SGB I) und. Amtser—
mittlung (§ 20 SGB X). Will die Behörde eine grundsätzlich bekannte und in der Vergangen-
heit bereits belegte Tatsache auf ihr Fortbestehen überprüfen, muss sie dies von Amts we-
gen selbst ermitteln. Benötigt sie dafür die Mitwirkung des Betroffenen (z.B. weil sie aus
Gründen der Schweigepflicht keinen Zugang zu medizinischen Unterlagen erhält), muss sie
diesen individuell und konkret hierzu auffordern.

Dies ist vorliegend jedoch nicht erfolgt. Die Kostensenkungsaufforderung vom 17.01.2013
enthält zwar alle für den Standardfall erforderlichen Angaben, sie fordert die Kläger aber
nicht auf, neue Nachweise über ihre gesundheitliche Situation vorzulegen. Dies wäre aber
aufgrund der Umstände des konkreten Falles erforderlich gewesen, da gerade hierauf das
bisherige Absehen von einer Kostensenkung beruhte. Insofern reicht auch der allgemeine
Hinweis auf die Benennung von Gründen für eine Unzumutbarkeit des Umzugs nicht aus,
wenn konkrete Gründe bislang für eine Unzumutbarkeit als ausreichend angesehen worden
sind. Denn wenn der Behörde ein derart konkreter Sachverhalt bekannt ist, muss sie diesen
auch konkret im Rahmen der bestehenden Pflicht zur Amtsermittlung überprüfen und kann
dies nicht durch einen pauschalen Hinweis auf den Leistungsbezieher abwälzen. Ein solcher
allgemeiner Hinweis ist allenfalls dann ausreichend, wenn für die Behörde nach Aktenlage
keinerlei Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit des Umzuges bestehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und orientiert sich am_Ergebnis in der
Hauptsache.

Richter am Sozialgericht

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Donnerstag, 21. Mai 2015
Kilometerpauschale für Krankenfahrten
Gekürzte Chronologie
der Petition Pet 2-17-15-8271-052556
Kilometerpauschale für Krankenfahrten

04.07.2013 Kurzfassung der Petition

Petition an den Deutschen Bundestag
(mit der Bitte um Veröffentlichung)

Titel Sozialrecht - Kilometerpauschale für Krankenfahrten

Seite 2

Wortlaut der Petition

Der Deutsche Bundestag möge beschließen

"Es wird klargestellt, dass der Bezug auf den Höchstbetrag in § 60 Abs. 1 Nr. 4 SGB V so zu verstehen ist,
dass für Krankenfahrten die höchste im Bundesreisekostengesetz genannte Kilometerpauschale maßgebend
ist. Derzeit ist diese 30 Cent."

Die Petition betrifft die Kilometerpauschale, die von der gesetzlichen Krankenversicherung für Fahrten mit
einem privaten Kfz gezahlt wird. Sie ist darauf gerichtet, den gesetzmäßigen Zustand wieder herzustellen.

Begründung

Einschlägig ist für die Bestimmung der Kilometerpauschale § 60 SGB V.
§ 60 Abs. 1 Nr. 4 SGB V lautet auszugsweise

"Als Fahrkosten werden anerkannt ... bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen
Kilometer den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für
Wegstreckenentschädigung ... "

Der maßgebende Auszug des § 6 Abs. 1 des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) über
Wegstreckenentschädigung lautete in der Fassung vor dem 01.09.2005

"Für Strecken, die der Dienstreisende mit einem ihm gehörenden Kraftfahrzeug zurückgelegt hat, wird als
Auslagenersatz eine Wegstreckenentschädigung gewährt, und zwar je Kilometer bei Benutzung von
1. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum bis 80 ccm 10 Cent,
2. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 80 bis 350 ccm 13 Cent,
3. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 350 bis 600 ccm 16 Cent,
4. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 600 ccm 22 Cent."

Die Krankenkassen haben zur damaligen Zeit ohne Ermittlung des Hubraums des Fahrzeugs unterschiedslos
22 Cent erstattet. Dies entspricht dem Wortlaut der Norm, da § 60 Abs. 1 Nr. 4 SGB V ausdrücklich den
Höchstbetrag vorschreibt und diese lex specialis somit die Unterscheidung nach Hubraum außer Kraft setzt.
Seit 01.09.2005 ist die Wegstreckenentschädigung nach den Vorschriften des § 5 Abs. 1 Satz 2 und
§ 5 Abs. 2 Satz 1 in 20 Cent beziehungsweise 30 Cent differenziert. Eine strikte gesetzliche Vorgabe, wie
vormals die Bindung an den Hubraum, existiert innerhalb des Bundesreisekostengesetzes nicht mehr, sondern
wurde durch das gebundene Ermessen des Dienstherrn ersetzt. In seiner aktuellen Fassung lautet der relevante
Teil des BRKG nunmehr

"(1) Für Fahrten mit anderen als den in § 4 genannten Beförderungsmitteln wird eine
Wegstreckenentschädigung gewährt. Sie beträgt bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen
motorbetriebenen Fahrzeuges 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke, ...
(2) Besteht an der Benutzung eines Kraftwagens ein erhebliches dienstliches Interesse, beträgt die
Wegstreckenentschädigung 30 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke."

Seite 3

Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben beschlossen, 20 Cent zu erstatten. Eine Durchsetzung des
höheren, dem Wortlaut nach eigentlich vorgesehen Betrags von 30 Cent auf dem Rechtsweg ist nicht möglich.
Neben der Normenklarheit sprechen für die begehrte Klarstellung auch sozialstaatliche und
Gerechtigkeitsüberlegungen. Eine Kilometerpauschale von 20 Cent ist ersichtlich zu niedrig, um die
tatsächlichen Betriebskosten eines Kfz zu decken. Kosten für Fahrten zu ambulanten Behandlungen zeichnen
sich dadurch aus, dass ihnen keine sonstigen Einnahmen gegenüberstehen, wie es etwa bei Fahrten zur
Arbeitsstätte durch den Arbeitslohn der Fall sein kann. Somit kommt es bei Notwendigkeit ambulante
Behandlung mit dem Kfz aufzusuchen unweigerlich zu einem Vermögensverzehr, der bis zum Verlust des Kfz
führen kann.

Anregungen für die Forendiskussion

Einige Sachverhalte kann ich vorliegend wegen der Beschränkung der Zeichenzahl leider nur behaupten, nicht
näher erklären, siehe etwa die Behauptung, dass der Rechtsweg aussichtslos ist. Falls an vertiefenden
Ausführungen Interesse besteht, bitte ich um Nachfrage.

04.07.2013 Langfassung der Petition

Öffentliche Bitte 43893 zur Kilometerpauschale für Krankenfahrten

Der Deutsche Bundestag möge beschließen

Es wird klargestellt, dass der Bezug auf den Höchstbetrag in § 60 Abs. 1 Nr. 4 SGB V so zu verstehen ist, dass für Krankenfahrten die höchste im Bundesreisekostengesetz genannte Kilometerpauschale maßgebend ist. Derzeit ist diese 30 Cent.

Begründung:

Die Petition betrifft die Kilometerpauschale, die von der gesetzlichen Krankenversicherung für Fahrten mit einem privaten Kfz gezahlt wird. Sie ist darauf gerichtet, den gesetzmäßigen Zustand wieder herzustellen.

Einschlägig ist für die Bestimmung der Kilometerpauschale § 60 SGB V. § 60 Abs. 1 Nr. 4 SGB V lautet auszugsweise

Als Fahrkosten werden anerkannt … bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung …

Der maßgebende Auszug des § 6 Abs. 1 des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) über Wegstreckenentschädigung lautete in der Fassung vor dem 01.09.2005

Für Strecken, die der Dienstreisende mit einem ihm gehörenden Kraftfahrzeug zurückgelegt hat, wird als Auslagenersatz eine Wegstreckenentschädigung gewährt, und zwar je Kilometer bei Benutzung von

1. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum bis 80 ccm 10 Cent,

2. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 80 bis 350 ccm 13 Cent,

3. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 350 bis 600 ccm 16 Cent,

4. Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 600 ccm 22 Cent.


Die Krankenkassen haben zur damaligen Zeit ohne Ermittlung des Hubraums des Fahrzeugs unterschiedslos 22 Cent erstattet. Dies entspricht dem Wortlaut der Norm, da § 60 Abs. 1 Nr. 4 SGB V ausdrücklich den Höchstbetrag vorschreibt und diese lex specialis somit die Unterscheidung nach Hubraum außer Kraft setzt.

Seit 01.09.2005 ist die Wegstreckenentschädigung nach den Vorschriften des § 5 Abs. 1 Satz 2 und § 5 Abs. 2 Satz 1 in 20 Cent beziehungsweise 30 Cent differenziert. Eine strikte gesetzliche Vorgabe existiert innerhalb des Bundesreisekostengesetzes nicht mehr, sondern wurde durch das gebundene Ermessen des Dienstherrn ersetzt. In seiner aktuellen Fassung lautet der relevante Teil des BRKG nunmehr

(1) Für Fahrten mit anderen als den in § 4 genannten Beförderungsmitteln wird eine Wegstreckenentschädigung gewährt. Sie beträgt bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen motorbetriebenen Fahrzeuges 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke, ...

(2) Besteht an der Benutzung eines Kraftwagens ein erhebliches dienstliches Interesse, beträgt die Wegstreckenentschädigung 30 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke.


Diese Änderung des BRKG war Gegenstand einer Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Leistungsrecht am 01./02. Juni 2005 in Bonn. Das Rundschreiben zu dieser Besprechung führt hierzu aus

Am 31. Mai 2005 (Bundesgesetzblatt Nr. 30; Seite 1418 ) wurde mit dem Gesetz zur Reform des Reisekostenrechts ein neues Bundesreisekostengesetz (BRKG) veröffentlicht. Das Gesetz tritt am 01. September 2005 in Kraft.

Diese Gesetzesänderung hat unmittelbaren Einfluss auf die Höhe der Fahrkosten bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs (PKW), denn nach § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V wird bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer der jeweils auf Grund des BRKG festgesetzte Höchstbetrag als Fahrkosten anerkannt. Das BRKG sieht in § 5 eine differenzierte Betrachtung der Kilometer-Sätze vor. Es stellt sich die Frage, welcher Satz bei Anwendung des § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V in Betracht kommt.

Besprechungsergebnis:

Mit In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Reform des Reisekostenrechts zum 01. September 2005 ist bei einer PKW-Nutzung die Wegstreckenentschädigung nach § 5 Abs. 1 BRKG in Höhe von 20 Cent je Kilometer bei Anwendung des § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V maßgebend. Eine Differenzierung der Wegstreckenentschädigung unter Berücksichtigung des höheren Kilometersatzes nach § 5 Abs. 2 BRKG kommt nicht in Betracht, da es in den Leistungsfällen an einem "erheblichen dienstlichen Interesse" mangelt.


Die Krankenkassen haben sich also entschlossen, die lex specialis, dass der Höchstbetrag und nicht etwa der Betrag nach dem BRKG zu wählen ist, ab 01.09.2005 zu ignorieren und stattdessen das BRKG direkt anzuwenden. Warum so vorzugehen ist wird nicht begründet. Dadurch ergibt sich das Problem, wie es nunmehr überhaupt möglich sein soll, einen Kilometersatz für Krankenfahrten zu ermitteln, da ja das BRKG in der neuen Fassung nach dienstlichem Interesse unterscheidet, indem es bei erheblichem im Gegensatz zu nur gewöhnlichem dienstlichem Interesse 30 Cent statt 20 Cent zugesteht. Der Versicherte steht aber gegenüber seiner Krankenkasse in keinem Dienstverhältnis. Die bisherige Interpretation, dass das Wort „Höchstbetrag“ eine lex specialis Regelung vorgibt würde hingegen keinen Problemen begegnen, da dann wie vormals die Differenzierung nach Hubraum nunmehr die Differenzierung nach Erheblichkeit des dienstlichen Interesses ohne Belang wäre und der Höchstbetrag der gegebenen Kilometersätze, also nunmehr 30 Cent, zu wählen wäre.

Die Spitzenverbände der Krankenkassen lösen dieses Problem dadurch, dass sie eine Festlegung auf 20 Cent treffen. Sie begründen dies damit, dass es in den Leistungsfällen an einem "erheblichen dienstlichen Interesse" mangle ohne näher zu erklären, warum dem so ist. Gleichzeit sagen sie damit unausgesprochen, dass ein gewöhnliches dienstliches Interesse vorliegt, denn andernfalls käme nach dem BRKG überhaupt keine Erstattung in Frage (§ 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 13 Abs. 1 Satz 1 BRKG). Warum die Spitzenverbände der Krankenkassen zu der Auffassung gelangten, Krankenfahrten wären gerade mit gewöhnlichen Dienstreisen ohne erhebliches Interesse gleichzusetzen, ist ebensowenig ersichtlich wie warum sie das Wort Höchstbetrag mit Betrag gleichsetzen.

Den Antrag B 1 KR 6/10 BH, der unter anderem zum Ziel hatte, die Korrektheit dieser Festlegung durch die Spitzenverbände der Krankenkassen zu überprüfen, wurde vom Bundessozialgericht am 21.05.2010 abgelehnt, da es sich nicht um eine klärungsbedürftige Frage handle, da ihre Beantwortung so gut wie unbestritten sei oder die Antwort von vorneherein praktisch außer Zweifel stehe. Hierzu führt das Bundessozialgericht wie folgt aus

Auch unabhängig von einer höchstrichterlichen Klärung ist indes eine Rechtsfrage dann als nicht klärungsbedürftig anzusehen, wenn ihre Beantwortung so gut wie unbestritten ist (vgl zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 17) oder die Antwort von vorneherein praktisch außer Zweifel steht (vgl zB BSGE 40, 40 = SozR 1500 § 160a Nr 4). So liegt es hier bei der vom Kläger indirekt aufgeworfenen Frage unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 12/3608 S 82) und dem Sinn und Zweck der Verweisungsregel in § 60 Abs 3 Nr 4 SGB V, die für den Ausnahmefall des § 5 Abs 2 Satz 2 BRKG keinen Anwendungsraum bietet.

Was nach Ansicht des Bundessozialgerichts der Sinn und Zweck der Verweisungsregel ist, wird von diesem nicht weiter erklärt. Der betreffende Abschnitt der Bundestagsdrucksache 12/3608 lautet

Zu Buchstabe b)

Die Regelung nach der für jeden gefahrenen Kilometer 0,31 DM anerkannt werden, entsprach bei ihrer Einführung durch das Gesundheitsreformgesetz zum 1. Januar 1989 dem seinerzeit geltenden Höchstsatz für die Wegstreckenentschädigung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Bundesreisekostengesetz (BRKG). Dieser Höchstsatz wurde durch die Verordnung zur Änderung reisekostenrechtlicher Vorschriften des Bundesministeriums des Inneren vom 29. November 1991 (BGBl. S 2154) mit Wirkung vom 1. Oktober 1991 im Hinblick auf die geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse auf 0,38 DM erhöht. Künftige Anpassungen sollen nunmehr auch für die Kilometerpauschale der gesetzlichen Krankenversicherung gelten.


Dies bezieht sich auf Seite 8 Nr. 28 derselben Drucksache die ausführt

§ 60 wird wie folgt geändert

b) in Absatz 3 Nr. 4 wird die Bezeichnung „31 Deutsche Pfennige“ ersetzt durch „ den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung“


Durch Rückänderung folgt, dass das Gesetz im Endeffekt wie folgt geändert wurde. Von

Als Fahrkosten werden anerkannt … bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer 31 Deutsche Pfennige ...

zu

Als Fahrkosten werden anerkannt … bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung …

Die Begründung des Gesetzgebers hierfür ist, dass sich der Kilometersatz in Zukunft dynamisch mit Änderung des BRKG ändern solle, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die bisher direkt im Gesetz angegebene Erstattungshöhe sich am Höchstsatz des BRKG orientierte. Als nun mit der Änderung des BRKG zum 01.09.2005 der Änderungsfall eintrat, für den der Gesetzgeber die Dynamisierung vorgesehen hatte, stieg der Höchstsatz des BRKG von 22 Cent auf 30 Cent, gleichzeitig sank der Kilometersatz für Krankenfahrten von 22 Cent auf 20 Cent. Es ist nicht erkennbar, warum es Sinn und Zweck der Dynamisierung gewesen sein soll, diese gegenläufige Veränderung auszulösen. Dass die Spitzenverbände der Krankenkassen die Auswirkung der Änderung des BRKG zu einem Tagesordnungspunkt machten, also offenbar Klärungs- und Abstimmungsbedarf sahen, stützt ebenfalls nicht die Meinung des Bundessozialgerichts, die Auslegung sei so gut wie unbestritten oder die Antwort würde von vorneherein praktisch außer Zweifel stehen.

Neben der Normenklarheit sprechen für die begehrte Klarstellung auch sozialstaatliche und Gerechtigkeitsüberlegungen.

Eine Kilometerpauschale von 20 Cent ist ersichtlich zu niedrig, um die tatsächlichen Betriebskosten eines Kfz zu decken. So beliefen sich laut „ADAC Autokosten“ etwa schon 2009 Kosten eines Toyota Yaris 1.33 bei üblicher Nutzung auf 31,6 Cent pro km. Kosten für Fahrten zu ambulanten Behandlungen zeichnen sich auch dadurch aus, dass ihnen keine sonstigen Einnahmen gegenüberstehen, wie es etwa bei Fahrten zur Arbeitsstätte durch den Arbeitslohn der Fall sein kann. Somit kommt es bei Notwendigkeit ambulante Behandlungen mit dem Kfz aufzusuchen unweigerlich zu einem Vermögensverzehr. Ist kein genügend hohes sonstiges Einkommen oder Vermögen vorhanden, führt dies früher oder später zum Verlust des Fahrzeugs, etwa können Reparaturen nicht mehr bezahlt werden oder eine erforderliche Anschaffung ist nicht möglich, da hierfür nicht angespart werden konnte. Sind aber weiterhin Behandlungen und somit weitere Transporte erforderlich müssen diese etwa per Taxi erfolgen, was zu Kostensteigerung führen kann, soweit eine solche Lösung rechtlich überhaupt zulässig ist.

Nämlich gehen die Krankentransport-Richtlinien (KrTransp-RL) schon der Langbezeichnung als „Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten“ nach sowie gemäß § 1 KrTransp‑RL und aufgrund der Regel-Ausnahme Formulierung von § 2 sowie § 7 KrTransp-RL anscheinend davon aus, dass außer in den explizit genannten Ausnahmen jeder Krankentransport einer Verordnung bedarf (so auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 9 KR 100/06 vom 10.09.2008). Ein Taxitransport ist jedoch keine der explizit genannten Ausnahmen und bedarf also somit einer Verordnung. Diese darf gemäß § 7 Abs. 3 KrTransp-RL nur erfolgen, „wenn der Versicherte aus zwingenden medizinischen Gründen öffentliche Verkehrsmittel oder ein privates Kraftfahrzeug nicht benutzen kann.“ Es ist fraglich, ob das schlichte Nichtvorhandensein eines privaten Kraftfahrzeugs als zwingender medizinischer Grund gilt, denn etwa hat das Hessische Landessozialgericht im Urteil L 1 KR196/04 vom 06.09.2005 zum Fall eines täglich notwendigen Arztbesuchs im Rahmen einer Methadontherapie ausgeführt

Nach der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 15/1525 vom 8. September 2003, Seite 94) hat der behandelnde Arzt zu entscheiden, ob und inwieweit zwingende medizinische Gründe vorliegen. Fahrten zur ambulanten Behandlung bedürfen der vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse und dürfen nur in ganz besonderen Ausnahmefällen von den Krankenkassen übernommen werden.

Eine solche medizinische Notwendigkeit und insbesondere die Voraussetzung, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist, liegt bei der Klägerin nicht vor. Sie hebt vielmehr darauf ab (vgl. insbesondere Schriftsatz vom 11. Mai 2004 im Verfahren S 12 KR 950/04 ER), dass sie als Bezieherin von Hilfe zum Lebensunterhalt und allein erziehende Mutter aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sei, die Kosten zur Methadon-Substitution zu bezahlen. Dies sind zwar nachvollziehbare finanzielle Gründe, jedoch keine zwingenden medizinischen Gründe. In der Stellungnahme vom 27. April 2004 führt Dr. G. vom MDK überzeugend aus, dass es sich bei der Heroinabhängigkeit, die zur Substitutionstherapie geführt hat, nicht um ein Krankheitsbild handelt, das in seiner Schwere mit einem Nierenversagen mit Dialysepflicht oder einem bösartigen Tumor mit onkologischer Therapie vergleichbar sei. Vergleichbar seien Substitutionspatienten vielmehr mit Patienten, die einer dauerhaften medikamentösen Therapie bedürften, wie beispielsweise insulinpflichtige Diabetiker. Auch hier sei eine regelmäßige, mehrfach täglich Therapie notwendig, die allerdings selbständig durch die Patienten erfolge. Eine solche Form der häuslichen Therapie sei medizinisch gesehen auch bei der Substitution möglich. Die Notwendigkeit, die Substitution innerhalb der Praxis durchzuführen, bestehe nämlich nicht aufgrund medizinischer Sachverhalte, sondern werde durch die Richtlinien der Bundesärztekammer i. V. m. der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung begründet. Somit fehle allein deshalb schon die zwingende medizinische Notwendigkeit.


Eine bloße Notwendigkeit im Zusammenhang mit einer erforderlichen Behandlung, auch wenn sie wie hier absolut zwingend, da durch Rechtsvorschriften gegeben ist, ist daher nicht ausreichend, eine medizinische Notwendigkeit zu begründen.

30.08.2013 Schreiben des Bundesministerium für Gesundheit

Bundesministerium
für Gesundheit

Gesetzliche Krankenversicherung — Leistungen — ;

Der Petent fordert, die Wegstreckenentschädigung für die Nutzung eines privaten Pkw für
Fahrten zu ambulanten Behandlungen von 20 auf 30 Eurocent zu erhöhen.

Zunächst ist anzumerken, dass es sich bei der Erstattung von Fahrkosten nach § 60 SGB V nicht
um eine Hauptleistung, sondern um eine Nebenleistung der gesetzlichen Krankenversicherung
handelt.

Die Krankenkassen übernehmen im Rahmen des § 60 Absatz 1 bis 3 SGB V in Verbindung mit
den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss über die Verordnung von Krankenfahrten,
Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 Absatz 1 Nummer 12 SGB V
(Krankentransport-Richtlinien) die Kosten von Fahrten, wenn die Fahrten im Zusammenhang
mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig ist. Die
Versicherten haben, soweit keine Zuzahlungsbefreiung nach § 62 SGB V vorliegt, dabei nach § 61
Satz 1 SGB V entsprechende Zuzahlungen zu leisten.

Gemäß § 60 Absatz 1 Satz 2 SGB V bestimmt die medizinische Notwendigkeit, welches Fahrzeug
im Einzelfall benutzt werden kann. Bei der Auswahl des jeweiligen Transportmittels ist daher
von dem verordnenden Arzt vor allem der Gesundheitszustand des jeweiligen Versicherten zu
berücksichtigen. In Übereinstimmung hiermit regelt § 4 der Krankentransport-Richtlinien, dass
bei der Art der Beförderung ausschließlich die zwingende medizinische Notwendigkeit im

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Einzelfall maßgeblich ist, wobei der Gesundheitszustand des Patienten und dessen Gehfähigkeit
zu berücksichtigen sind. Erstattungsfähig sind, in den von § 60 Absatz 3 SGB V vorgegebenen
Grenzen, die Fahrkosten, die bei der Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels, der
Benutzung eines Taxis oder Mietwagens, der Benutzung eines Kranken- oder Rettungsfahrzeuges
und der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeuges entstehen.

Die Reihenfolge der in § 60 Absatz 3 Nummer 1 bis 4 SGB V genannten Verkehrsmittel spiegelt
wider, welche Verkehrsmittel aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebotes vorrangig zu benutzen
sind. In erster Linie sollen die erforderlichen Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln
durchgeführt werden (§ 60 Absatz 3 Nr. 1 SGB V). Nachrangig soll die Benutzung eines Taxis oder
Mietwagens (§ 60 Absatz 3 Nr. 2 SGB V) erfolgen und erst wenn dies alles nicht möglich ist,
kommt die Benutzung eines Krankenkraftwagens oder Rettungsfahrzeuges (§ 60 Absatz 3 Nr. 3
SGB V) in Betracht. Die Anerkennung von Fahrkosten bei der Benutzung eines privaten
Kraftfahrzeugs (§ 60 Absatz 3 Nr. 4 SGB V) hängt zwar nicht davon ab, dass ein anderes
Verkehrsmittel nicht benutzt werden kann, allerdings werden höchstens die Kosten anerkannt,
die bei der Inanspruchnahme des nach Nummern 1 bis 3 erforderlichen Transportmittels
entstanden wären.

Nach § 60 Absatz 3 Nr. 4 SGB V wird bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeuges für jeden
gefahrenen Kilometer der jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes - BRKG -
festgesetzte Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung erstattet, begrenzt allerdings auf den
Betrag der Kosten, die bei Inanspruchnahme des nach § 60 Absatz 3 Nr. 1-3 SGB V erforderlichen
Transportmittels entstanden wären. Gemäß § 5 Absatz 1 Satz 1 BRKG beträgt die
Wegstreckenentschädigung bei der Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen
motorbetriebenen Fahrzeuges 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke, höchstens jedoch
130 €.

Soweit vom Petenten angemerkt wird, dass die Höhe der Wegstreckenentschädigung von 20
Cent je gefahrenen Kilometer nicht angemessen sei, ist zu berücksichtigen, dass der Benutzung
öffentlicher Verkehrsmittel der Vorrang einzuräumen ist. So lag der Überarbeitung des BRKG im
Jahre 2005 unter anderem die Zielsetzung zugrunde, Anreize zur Wahl umweltverträglicher
Verkehrsmittel und zu umweltgerechtem Verhalten im Verkehr zu setzen (Bundesrats-
Drucksache: 16/05, Seite 1). Die mangelnde Kostendeckung des Betrages ist, wie das
Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 1. Juli 2010 (Az.: 6 PB 7/10) entschieden hat,
auch gerechtfertigt. Wer in Ausübung der reisekostenrechtlichen Wahlfreiheit ein privates
Kraftfahrzeug benutzt, obwohl die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel möglich und
zumutbar ist, hat im Regelfall ein überwiegendes privates Interesse.

Zusammenfassend lasst sich feststellen, dass die Übernahme von Kosten für die Benutzung eines
in § 60 Absatz 3 SGB V genannten Verkehrsmittels sichergestellt ist. Der Versicherte hat mit
Ausnahme gegebenenfalls zu tragender Zuzahlungen, die auch bei der Nutzung eines privaten
Kraftfahrzeuges anfallen, hinsichtlich der in den Nummern 1 bis 3 genannten Verkehrsmittel,
keine finanziellen Lasten zu tragen. Soweit sich eine mangelnde Kostendeckung bei der
Erstattung der Kosten ergibt, die bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeuges nach § 60
Absatz 3 Nummer 4 anfallen, sind die zum Bundesreisekostengesetz genannten Gesichtspunkte
zu berücksichtigen. Eine Änderung der bestehenden Rechtslage ist nicht beabsichtigt.

05.09.2013 Schreiben des Ausschussdienstes

Sehr geehrter Herr ...

der Ausschussdienst, dem die Ausarbeitung von Vorschlägen für den Petitions-
ausschuss obliegt, hat das von Ihnen vorgetragene Anliegen sorgfältig geprüft und in
diese Prüfung die beigefügte Stellungnahme einbezogen.

Nach Prüfung aller Gesichtspunkte kommt der Ausschussdienst zu dem Ergebnis,
dass eine Umsetzung Ihres Anliegens ausgeschlossen erscheint. Diese Auffassung
stützt. sich insbesondere auf die in der Stellungnahme des Fachministeriums
schlüssig dargelegte Begründung, weshalb eine Gesetzesänderung im Sinne Ihres
Anliegens nicht in Aussicht gestellt werden kann.

Einwendungen gegen diese Bewertung können Sie innerhalb von sechs Wochen
mitteilen. Nach Ablauf dieser Zeit wird den Abgeordneten des Petitionsausschusses
vorgeschlagen, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil Ihrem Anliegen nicht
entsprochen werden kann. Folgen der Ausschuss und das Plenum des Deutschen
Bundestages diesem Vorschlag, erhalten Sie keinen weiteren Bescheid.

Weil Ihre Petition nicht den gewünschten Erfolg haben wird, sieht der Ausschuss von
einer Veröffentlichung auf der Internetseite des Petitionsausschusses ab (vgl. Nr. 4e
der Richtlinie für die Behandlung von öffentlichen Petitionen gemäß Ziffer 7.1 (4) der
Verfahrensgrundsätze; veröffentlicht unter www.bundestag‚de/Petitionen).'

01.10.2013 Stellungnahme zum Schreiben des Bundesministerium für Gesundheit vom 30.08.2013

Sehr geehrte Damen und Herren,

zu Ihrem mit oben genanntem Schreiben übersandten Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 30.08.2013 erhebe ich folgende Einwendungen:

Zunächst ist klarzustellen, dass der Petent keine Gesetzesänderung fordert. Er fordert weder eine Änderung des Bundesreisekostengesetzes noch des § 60 oder 92 SGB V. Er fordert auch keine Änderung der untergesetzlichen Krankentransport-Richtlinen.

Vielmehr fordert er eine Klarstellung der Auslegung des Wortes „Höchstbetrag“ in § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V. Er fordert, dass klargestellt wird, dass wieder verstärkt auf den Wortlaut abzustellen ist, insbesondere, dass zu berücksichtigen ist, dass die Norm auf den „Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung“ verweist, nicht etwa auf den „Betrag für Wegstreckenentschädigung“. Dies ist die einzige Forderung des Petenten. Da das Bundesreisekostengesetz zwei mögliche Beträge, nämlich 20 Cent und 30 Cent nennt, und der höchste Betrag hieraus somit 30 Cent ist, hat eine am Wortlaut orientierte Auslegung zur Folge, dass der Erstattungsbetrag 30 Cent beträgt. Dies ist keine zusätzliche Forderung des Petenten, sondern eine sächliche Folge, wenn der Forderung nach stärker am Wortlaut orientierter Auslegung entsprochen würde. Der Petent fordert insoweit eine Rückkehr zur früher praktizierten Auslegung, bei der von damals vier möglichen Beträgen der Höchstbetrag, der damals 22 Cent betrug, erstattet wurde. Auch dies ist keine zusätzlich Forderung des Petenten, sondern ergibt sich als Folge aus seiner einzigen Forderung und ist dieser im Übrigen äquivalent, das heißt der Petent könnte seine Forderung auch so formulieren, dass er eine Rückkehr zur alten Auslegung fordert. Der Gesetzgeber war sich bei Änderung des Bundesreisekostengesetzes mutmaßlich bewusst, dass dieses auch Auswirkungen auf die Erstattung von Fahrkosten für Krankenfahrten hat, denn er hat mit dem Änderungsgesetz gleichzeitig korrespondierende Änderungen am SGB V vorgesehen (Art. 9 Bundestagsdrucksache 16/05). Er hat somit in diesem Bewusstsein die Bezeichnung „Höchstbetrag“ im § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V belassen.

Zum Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit nimmt der Petent im Einzelnen wie folgt Stellung:

Im ersten Satz führt das BundesminiHubersterium für Gesundheit aus, dass der Petent eine Erhöhung der Wegstreckenentschädigung von 20 auf 30 Cent pro Kilometer fordert. Das ist, wie oben dargelegt, nur insoweit zutreffend als dies eine Folge der Forderung des Petenten ist.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt dann zunächst bis einschließlich Zeile 21 Seite 2 zu verschiedenen Normen aus, insbesondere zur Wahl des Transportmittels nach der medizinischen Notwendigkeit. Es ist nicht zu erkennen, welchen Bezug diese Ausführungen zur Forderung des Petenten haben. Der Petent fordert keine Abschaffung der genannten Gesetzeskriterien oder eine Ausweitung oder sonstige Änderung des Kreises der Personen, die Anspruch auf Fahrkostenerstattung in Form des Höchstbetrags nach § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V für ein privates Kfz bei Fahrten zur Behandlung haben. Geändert werden soll nicht der Personenkreis, sondern die Festlegung der Höhe des Anspruchs den Personen aus diesem Kreis geltend machen können.

Ab Zeile 21 Seite 2 teilt das Bundesministerium für Gesundheit mit

Gemäß § 5 Absatz 1 Satz 1 BRKG beträgt die Wegstreckenentschädigung bei der Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen motorbetriebenen Fahrzeuges 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke, höchstens jedoch 130 €.

Dies ist richtig, jedoch unvollständig, denn es kommt für die hier vorliegende Fragestellung nicht nur auf § 5 Abs. 1 Satz 1 BRKG an, denn es geht hier um Fahrkostenerstattungen, wie sie § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V vorsieht. Der hier relevante Teil von § 60 Abs. 3 SGB V lautet

(3) Als Fahrkosten werden anerkannt

4. bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer den jeweils auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung, höchstens jedoch die Kosten, die bei Inanspruchnahme des nach Nummer 1 bis 3 erforderlichen Transportmittels entstanden wären.


Mit der Formulierung „auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten“ bezieht sich § 60 Abs. 3 SGB V offensichtlich auf das gesamte Bundesreisekostengesetz als Grundlage für die Festsetzung, insbesondere heißt es nicht „... auf Grund des § 5 Abs. 1 Satz 1 des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten ...“. Damit ist zunächst jede Regelung im Bundesreisekostengesetz in Betracht zu ziehen, welche Wegstreckenentschädigung für private Kfz festlegt, also auch der gesamte § 5 BRKG. Der hier relevante Teil besteht somit zunächst zumindest aus den ersten beiden Absätzen des § 5 BRKG und lautet also.

1) Für Fahrten mit anderen als den in § 4 genannten Beförderungsmitteln wird eine Wegstreckenentschädigung gewährt. Sie beträgt bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen motorbetriebenen Fahrzeuges 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke, höchstens jedoch 130 Euro. Die oberste Bundesbehörde kann den Höchstbetrag auf 150 Euro festsetzen, wenn dienstliche Gründe dies im Einzelfall oder allgemein erfordern.

(2) Besteht an der Benutzung eines Kraftwagens ein erhebliches dienstliches Interesse, beträgt die Wegstreckenentschädigung 30 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke. Das erhebliche dienstliche Interesse muss vor Antritt der Dienstreise in der Anordnung oder Genehmigung schriftlich oder elektronisch festgestellt werden.


Es sind demnach zunächst offensichtlich zwei Kilometerpauschalen, nämlich 20 Cent und 30 Cent möglich. Auf dieser Grundlage ist nun durch Anwendung der weiteren einschlägigen Normen eine Auswahl zu treffen.

Wählt man das althergebrachte, dem Wortlaut entsprechende und vom Petenten geforderte Verfahren, die Verwendung der Bezeichnung „Höchstbetrag“ als lex specialis zu deuten, so kommt hier diese ohne Weiteres zur Anwendung und als Kilometerpauschale ergibt sich somit der Höchstbetrag aus 20 Cent und 30 Cent, also 30 Cent.

Ignoriert man diese Vorgabe aus § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V, so stellt sich die Frage, wie überhaupt weiter vorzugehen ist, denn es wäre nun nach dem Wortlaut des § 5 BRKG zu ermitteln, ob ein erhebliches dienstliches Interesse oder lediglich eine gewöhnliches dienstliches Interesse vorliegt. Da es sich bei der zu beurteilenden Krankenfahrt jedoch nicht um eine Dienstfahrt handelt, es insbesondere schon eines Dienstherrn und eines dienstlichen Zwecks ermangelt, ist nicht ohne Weiteres klar, wer dies und nach welchen Kriterien entscheiden soll. Wie bereits in der Begründung der Petition dargelegt und wie das Bundesministerium hier selbst nochmal vorführt besteht die derzeitige „Lösung“ dieses Auslegungsproblems darin, sich nicht mit diesem zu befassen, indem § 5 Abs. 2 BRKG kommentarlos als nicht existent behandelt wird. Dies benachteiligt Kranke gegenüber Bediensteten, da bei letzteren immerhin noch in manchen Fällen eine Erstattung in Höhe von 30 Cent möglich ist.

Würde der Versicherte konsequent analog zu einem Bediensteten behandelt, indem die Krankenkasse analog zu den reisekostenrechtlichen Vorschriften über das Vorliegen eines erheblichen Interesses an der Benutzung eines Kfz entscheidet, so würde dies im Übrigen voraussichtlich ebenfalls zu einem Erstattungsbetrag von 30 Cent führen, denn nach 5.2.2 BRKGVwV liegt ein erhebliches dienstliches Interesse vor, wenn ein Dienstgeschäft sonst nicht durchgeführt werden kann oder das Kfz nach Sinn und Zweck eines Dienstgeschäfts notwendig ist und ein Dienstkraftfahrzeug nicht zur Verfügung steht, insbesondere wenn das Dienstgeschäft bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden Beförderungsmittels nicht durchgeführt werden kann oder ein solches nicht zur Verfügung steht. Dies dürfte als erfüllt anzusehen sein, wenn ein Kfz erforderlich ist und nur in diesen Fällen kommt nach § 60 Abs. 3 SGB V überhaupt eine Wegstreckenentschädigung in Frage.

Erst im letzten Absatz der Seite 2 befasst sich das Bundesministerium für Gesundheit direkt mit dem Anliegen des Beschwerdeführers.

Soweit vom Petenten angemerkt wird, dass die Höhe der Wegstreckenentschädigung von 20 Cent je gefahrenen Kilometer nicht angemessen sei, ist zu berücksichtigen, dass der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel der Vorrang einzuräumen ist.

Wie dargelegt bezieht sich die Petition einzig darauf, den Rechtsanspruch von Versicherten, die Anspruch auf Fahrkostenerstattung als Höchstbetrag nach § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V für ein privates Kfz haben, festzulegen und zwar nicht seinem Umfang, sondern nur der Höhe nach. Einen wirksamen Anspruch auf Fahrkostenerstattung nach § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V für ein privates Kfz haben Versicherte aufgrund der Einschränkung „... höchstens jedoch die Kosten, die bei Inanspruchnahme des nach Nummer 1 bis 3 erforderlichen Transportmittels entstanden wären.“ aus § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V indes nur, wenn das private Kfz als Transportmittel erforderlich ist, denn sofern beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden können, und dies günstiger ist als die Erstattung des Höchstbetrags aus dem Bundesreisekostengesetz, wird in jedem Fall nur der geringere Betrag für das öffentliche Verkehrsmittel erstattet, unabhängig vom tatsächlich verwendeten Transportmittel. In diesen Fällen wirkt sich also die vom Kläger vorgeschlagene Klarstellung überhaupt nicht aus. Es verbleiben somit, soweit ein öffentliches Verkehrsmittel günstiger wäre, nur mehr die Fälle, in denen ein Kfz erforderlich ist, nur diese können von der vorgeschlagenen Änderung profitieren. In diesen Fällen kann jedoch der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel kein wie immer gearteter Vorrang eingeräumt werden, da diese kein geeignetes Transportmittel sind und somit überhaupt nicht in Frage kommen, sondern eben ein privates Kfz erforderlich ist.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

So lag der Überarbeitung des BRKG im Jahre 2005 unter anderem die Zielsetzung zugrunde, Anreize zur Wahl umweltverträglicher Verkehrsmittel und zu umweltgerechtem Verhalten im Verkehr zu setzen (Bundesrats-Drucksache: 16/05, Seite 1).

Anreize zu einer bestimmten Wahl können nur gegeben werden, wenn überhaupt eine Wahl zwischen verschiedenen Alternativen möglich ist. In den vorliegend vor allem interessierenden Fällen, dass ein privates Kfz erforderlich ist, ist gerade keine Wahl des Versicherten möglich. Ist es dem Versicherten möglich ein öffentliches Verkehrsmittel zu wählen, so werden ohnehin höchstens dessen Kosten erstattet. Die Petition betrifft Versicherte nicht, die aus eigenem Entschluss ein privates Kfz benutzen, obgleich ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt werden könnte, wenn ein öffentliches Verkehrsmittel günstiger für die Krankenkasse ist.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Die mangelnde Kostendeckung des Betrages ist, wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 1. Juli 2010 (Az.: 6 PB 7/10) entschieden hat, auch gerechtfertigt.

Zunächst ist die Meinung eines Gerichts vorliegend schon deswegen von untergeordneter Bedeutung, weil der Petent ein Wort des Gesetzgebers begehrt und dessen Wille nach Art. 20 Abs. 3 GG die Gerichte bindet. Die Entscheidung 6 PB 7.10 des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.07.2010 ist außerdem deswegen dem Ansinnen des Petenten nicht entgegengerichtet, weil es sich dort um die Beurteilung einer tatsächlichen Dienstfahrt handelt und das Bundesverwaltungsgericht zudem in Abs. 26 ausdrücklich ausführt

Anders liegt es, wenn die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ausscheidet und die zugunsten des Personalratsmitgliedes eingreifenden Regelungen in § 5 Abs. 1 BRKG eine auch nur annähernd kostendeckende Erstattung nicht zulassen. In solchen Fällen hält die "große Wegstreckenentschädigung" nach § 5 Abs. 2 BRKG eine Regelung bereit, die bei sachgerechter Anwendung im Einklang mit dem Benachteiligungsverbot des § 8 BPersVG sicherstellt, dass der Beschäftigte nicht mit Kosten belastet bleibt, die er bei ordnungsgemäßer Wahrnehmung seines Personalratsmandats nicht vermeiden kann (vgl. Beschluss vom 12. November 2009 a.a.O. Rn. 19).

Das Bundesverwaltungsgericht hält die Unterdeckung also in dem Zusammenhang für gerechtfertigt, dass Bediensteten der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel generell tatsächlich möglich ist und dass in den Fällen, in denen dies nicht möglich ist, eine Erstattung in Höhe von 30 Cent gewährt werden kann und bei korrekter Anwendung auch zu gewähren ist.

Wie dargelegt garantiert im Falle der Krankenfahrten bereits § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V, dass höhere Kosten für ein Kfz nicht übernommen werden, wenn dieses nicht erforderlich, sondern ein öffentliches Verkehrsmittel ausreichend ist. Die Petition ändert hieran nichts, sie versucht lediglich sicherzustellen, dass geschieht, was das Bundesverwaltungsgericht in Abs. 26 fordert, im Bereich der Krankenfahrten aber nicht realisiert ist: dass eine wenigstens annähernd kostendeckende Erstattung erfolgt, wenn die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ausscheidet.

Im Gegensatz zum Reisekostenrecht ist nach der derzeitigen Auslegung des Wortes „Höchstbetrag“ in § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V im Fall von Krankenfahrten keine Öffnungsklausel gegeben. Der Erstattungsbetrag von 30 Cent kommt nie zur Anwendung. Eine Möglichkeit, dass etwa die Krankenkasse nach Ermessen auch 30 Cent bewilligen könnte, gibt es nicht. Das Krankenversicherungsrecht ist an dieser Stelle defizitär und stellt den Versicherten deutlich schlechter als den Bediensteten. So bleibt der Versicherte mit Kosten belastet, die er nicht vermeiden kann. Dies selbst dann wenn er wegen geringen Einkommens und Vermögens überhaupt nicht in der Lage ist, die Kosten zumutbar selbst aufzubringen. Dieser Zustand ist schon aus rechts- und sozialstaatlichen Gründen bedenklich.

Das Bundesverwaltungsgericht ist für den Bereich des gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes nicht zuständig. Das zuständige Bundessozialgericht hat bereits entschieden, dass § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V für den Ausnahmefall des § 5 Abs. 2 Satz 2 BRKG „keinen Anwendungsraum bietet“ (B 1 KR 6/10 BH vom 21.05.2010, Abs. 6), das heißt eine Erstattung von 30 Cent statt 20 Cent ist nie möglich, auch nicht in begründeten Ausnahmefällen. Eine Änderung dahingehend, dass Kranke, die zwingend auf ein Kfz angewiesen sind, wenigstens annähernd die entstehenden Kosten erstattet bekommen, kann daher nur mehr durch Tätigwerden des Gesetzgebers erzielt werden. Eben dies begehrt der Petent.

Das Bundesministerium für Gesundheit teilt weiter mit

Wer in Ausübung der reisekostenrechtlichen Wahlfreiheit ein privates Kraftfahrzeug benutzt, obwohl die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel möglich und zumutbar ist, hat im Regelfall ein überwiegendes privates Interesse.

Der Petent weist nochmals darauf hin, dass in den Fällen, die durch seine Petition hauptsächlich betroffen sind, keine Wahlfreiheit besteht, da ein Kfz erforderlich ist. Dementsprechend besteht auch keine „reisekostenrechtlichen Wahlfreiheit“ und es ist auch kein Ausüben der – real nicht bestehenden – Freiheit möglich. Versicherte, die auf die Benutzung eines privaten Kfz angewiesen sind erleiden den in der Petitionsbegründung erläuterten (...) Vermögensschaden bis hin zum Verlust des Kfz.

Soweit das Bundesministerium für Gesundheit hier darauf abstellt, dass es auch Personen, die nur Anspruch auf die Kosten eines öffentlichen Verkehrsmittels haben, freisteht, ein Kfz zu benutzen, haben diese zusätzlich entstehende Kosten schon jetzt zu tragen. Hieran ändert sich durch Umsetzung der Petition nichts. Soweit also die Erstattung nach der Kilometerpauschale, die für die Benutzung des privaten Kfz zu zahlen wäre, schon jetzt höher ist, als die der Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels, kann hier kein Anreiz entstehen, ein privates Kfz statt eines öffentlichen Verkehrsmittels zu benutzen, da immer nur der niedrigere Betrag erstattet wird, hier also nach wie vor nur der Betrag für die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels erstattet wird, sich am Erstattungsbetrag also nichts ändert. Dieser ist auch nach Umsetzung der Petition ebenso wie bisher durch den Betrag, der für öffentliche Verkehrsmittel erstattet wird, gedeckelt.

Nur wenn ein Versicherter lediglich Anspruch auf die Kosten eines öffentlichen Verkehrsmittels hat, zugleich diese Kosten aber höher sind als die der Benutzung eines privates Kfz kann sich eine Erhöhung ergeben. Diese ist ihrerseits wieder durch den Betrag, der für öffentliche Verkehrsmittel erstattet wird, gedeckelt. Es ist also auch in diesem Fall gesichert, dass die Erstattung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel höher oder wenigstens gleich hoch, wie bei Benutzung eines Kfz ist. Insoweit also überhaupt eine Wahlfreiheit besteht, ist die Erstattung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel immer höher oder wenigstens gleich hoch wie bei Benutzung eines Kfz. Dies wird durch gesetzliche Vorgaben garantiert, die von der Petition nicht betroffen sind.

Nur für Personen, die eine Wahl haben und die dadurch, dass sie aufgrund eigener Wahl ein Kfz benutzen zugleich der gesetzlichen Krankenversicherung Kosten ersparen - oder im Grenzfall höchstens dieselben Kosten verursachen, wie bei Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels - kann sich also durch eine erhöhte Kilometerpauschale überhaupt ein Anreiz ergeben dieses Verhalten fortzusetzen oder ein solches Verhalten aufzunehmen. Ein Anreiz zur Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel kann hier also nur geschaffen werden, wenn gleichzeitig für die gesetzliche Krankenversicherung überhöhte Ausgaben in Kauf genommen werden. Hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu fördern, selbst wenn dies nur um den Preis höherer Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung zu erreichen ist, hätte er dies am einfachsten und effektivsten dadurch sicherstellen können, dass er nur die Kosten für das erforderliche und tatsächlich benutzte Transportmittel erstattet. Diese Änderung ist ihm nach wie vor und unabhängig von der vorliegenden Petition jederzeit möglich.

Das Bundesministerium für Gesundheit teilt weiter mit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Übernahme von Kosten für die Benutzung eines in § 60 Absatz 3 SGB V genannten Verkehrsmittels sichergestellt ist.

Dies ist falsch, denn in Fällen, in denen ein Kfz erforderlich ist, wird nur eine Erstattung von 20 Cent pro Kilometer geleistet. Dies dürfte für nahezu alle marktüblichen Kfz unzureichend sein (laut http://www.adac.de/infotestrat/autodatenbank/autokosten/autokosten-rechner/default.aspx etwa Toyota iQ 1.0 ab 31,8 Cent, Toyota Aygo 1.0 ab 28,2 Cent, Skoda Citigo 1.0 Green tec Elegance ab 30,2 Cent, Fiat Panda 1.2 8V ab 31,4 Cent, Fiat 500 1.2 8V Start&Stopp Pop Star ab 33,8 Cent, KIA Picanto 1.0 Attract ab 28,2 Cent). Zudem widerspricht das Bundesministerium für Gesundheit hier der von ihm selbst gegebenen Lesart des von ihm angeführten Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine mangelnde Kostendeckung besteht.

Das Bundesministerium für Gesundheit teilt weiter mit

Der Versicherte hat mit Ausnahme gegebenenfalls zu tragender Zuzahlungen, die auch bei der Nutzung eines privaten Kraftfahrzeuges anfallen, hinsichtlich der in den Nummern 1 bis 3 genannten Verkehrsmittel, keine finanziellen Lasten zu tragen.

Das ist ersichtlich falsch. Der Versicherte der auf ein Kfz angewiesen ist, hat zusätzlich zu den Zuzahlungen die Kosten pro Kilometer zu tragen, die sich als Differenz seiner tatsächlich notwendigen Ausgaben pro Kilometer abzüglich lediglich 20 Cent Fahrtkostenerstattung ergeben. Wie oben dargelegt, ist selbst unter günstigsten Annahmen davon auszugehen, dass die tatsächlichen Kosten diese 20 Cent deutlich überschreiten. Eine Obergrenze für die zusätzlichen Kosten existiert nicht, sie können also auch ruinös sein.

Das Bundesministerium für Gesundheit teilt weiter mit

Soweit sich eine mangelnde Kostendeckung bei der Erstattung der Kosten ergibt, die bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeuges nach § 60 Absatz 3 Nummer 4 anfallen, sind die zum Bundesreisekostengesetz genannten Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

Es erschließt sich nicht, auf welche Fälle das Bundesministerium für Gesundheit abstellt, wenn es nunmehr einräumt, was es soeben noch bestritten hatte: dass eine Unterdeckung bestehen kann. Mit dem Hinweis auf „zum Bundesreisekostengesetz genannten Gesichtspunkte“ will das Bundesministerium für Gesundheit vermutlich auf seine Darlegung, es solle die Wahl eines öffentlichen Verkehrsmittels statt eine privaten Kfz gefördert werden, hinweisen. Es bleibt dem Petenten nur, abermals darauf hinzuweisen, dass vorliegend nicht nur die reisekostenrechtlichen, sondern auch die krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften zu beachten sind, nach denen die Erstattungshöhe ohnehin auf die Kosten eines öffentlichen Verkehrsmittels gedeckelt ist, sofern dieses ausreichend ist. Übersteigende Kosten durch Benutzung eines privaten Kfz werden von der gesetzlichen Krankenversicherung nur erstattet, wenn dessen Benutzung erforderlich ist. Daran ändert sich durch die Petition nichts.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Petition, im Fall des Erfolgs, keinerlei Auswirkungen auf die Unterdeckung hat, die möglicherweise entsteht, wenn ein Versicherter, für dessen Transport lediglich ein öffentliches Verkehrsmittel erforderlich ist, dennoch aus eigenem Entschluss ein privates Kfz benutzt, denn in diesen Fällen kommt der Höchstbetrag ohnehin nicht zum Tragen. Diese aus eigener Wahlfreiheit entstehende Differenz trägt der Versicherte nach wie vor selbst. Die Differenz um die es hier geht ist nicht die zwischen den Kosten eines öffentlichen Verkehrsmittels und den Kosten eines Kfz, sondern die zwischen 20 Cent und 30 Cent, also 10 Cent pro Kilometer. Hier können bei häufigen Behandlungen in großer Entfernung, etwa wenn ein Dialysepatient aus dem ländlichen Raum dreimal in der Woche zur Dialyse und zurück fährt, erhebliche Summen entstehen, die insbesondere Menschen der unteren Einkommensschichten überfordern.

Obwohl sie im ersten Satz zutreffend die sächliche Änderung, die sich aus einer Umsetzung der Petition ergibt, wiedergibt, ist aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Stellungnahme zweifelhaft, dass das Bundesministerium für Gesundheit Art, Wirkung und Umfang der Petition vollumfänglich erfasst hat. Da sich aus der Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit keine nachvollziehbaren Gründe ergeben, warum die Petition, so sie sach- und rechtsfehlerfrei bewertet würde, aussichtslos wäre, hält der Petent sie aufrecht und bittet, sie nochmals zu überdenken. Er bittet eine Abschrift dieses Schreibens dem Bundesministerium für Gesundheit zu übersenden und diesem die Gelegenheit zu weiterer Stellungnahme zu geben. Er bittet um Mitteilung der Entscheidung des Petitionsausschusses.

06.11.2013 Schreiben des Bundesministerium für Gesundheit

Bundesministerium
für Gesundheit

Gesetzliche Krankenversicherung - Leistungen

Eingabe des ... vom 4. Juli 2013


Hier: Ergänzende Äußerung vom 1. Oktober 2013

Zu der o. a. Eingabe nehme ich wie folgt Stellung:

Der Petent fordert, die Wegstreckenentschädigung für die Nutzung eines privaten PKW für
Fahrten zu ambulanten Behandlungen von 20 auf 30 Eurocent zu erhöhen.

In diesem Zusammenhang wird zunächst auf unser Schreiben vom 30. August 2013 verwiesen.

Ergänzend ist Folgendes anzumerken: Die vom Petenten angesprochene Höhe der
Erstattungsbeträge im Falle der Benutzung eines privaten Fahrzeugs bemisst sich nach § 60
Absatz 3 Nr. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Hierin erfolgt eine Anknüpfung an das
Bundesreisekostengesetz (BRKG). Der somit einschlägige § 5 Absatz 1 Satz 2 BRKG sieht eine
Wegeentschädigung von 20 Eurocent je gefahrenem Kilometer vor. Die vom Petenten
gewünschte Möglichkeit einer darüber hinausgehenden Kostenerstattung besteht indes nicht.

Insbesondere ist nach derzeitiger Rechtslage der vom Petenten angesprochene Rückgriff auf § 5
Absatz 2 BRKG, der einen Erstattungsbetrag von 30 Eurocent je gefahrenem Kilometer vorsieht,
nicht möglich. Dies stellte jüngst das Bundessozialgericht klar, das eine sich hiergegen wendende
Revision nicht zur Entscheidung annahm (BSG, Beschluss vom 21. Mai 2010 - B 1 KR 6/10 BH).

Darin bestätigte das Gericht explizit, dass es den Krankenkassen verwehrt ist, aus
Billigkeitsgesichtspunkten im Einzelfall auf § 5 Absatz 2 BRKG zurückzugreifen. Zur Begründung
führte es aus, dass nach derzeitiger Rechtslage eine entsprechend enge Auslegung der Norm

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allgemein anerkannt sei. Zudem böten die insoweit maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialen
auch keinen Raum für eine anderweitige Interpretation der Vorschrift, da in diesen ebenfalls nur
auf den damals geltenden § 6 Absatz 1 Satz 1 BRKG verwiesen werde (vgl. BT-Drs. 12/3608, S. 82
f.) Dieser entspricht dem heutigen § 5 Absatz 1 BRKG.

Abschließend sei angemerkt, dass die gegen diesen Beschluss erhobene Verfassungsbeschwerde
vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen wurde (BVerfG, Beschluss
vom 28. September 2010 - 1 BvR 1484/10). Auch aus grundgesetzlicher Sicht bestehen gegen die
Regelungen damit keine Bedenken, so dass eine Änderung des § 60 SGB V insoweit nicht
angezeigt ist.

19.11.2013 Schreiben des Ausschussdienstes

Deutscher Bundestag
Referat Pet 2

Sehr geehrter Herr ...,

beigefügt übersende ich Ihnen eine weitere, zu Ihrer Eingabe an-
geforderte Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesund-
heit vom 06.11.2013 mit der Bitte um Kenntnisnahme.

Der Ausschussdienst des Petitionsausschusses, dem die Aus-
arbeitung von Vorschlagen für den Ausschuss obliegt, hat das
von Ihnen vorgetragene Anliegen erneut geprüft und in diese
Prüfung die beigefügte Stellungnahme einbezogen.

Auch nach erneuter Prüfung aller Gesichtspunkte kommt der
Ausschussdienst zu dem Ergebnis, dass Ihre Petition nicht den
gewünschten Erfolg haben wird. Diese Auffassung stützt sich
insbesondere auf die in der Stellungnahme des Fachministe-
riums schlüssig dargelegte Begründung, weshalb eine Gesetzes-
änderung im Sinne Ihres Anliegens nicht in Aussicht gestellt
werden kann.

Einwendungen gegen diese Bewertung können Sie innerhalb von
sechs Wochen mitteilen. Nach Ablauf dieser Zeit wird den Abge-
ordneten des Petitionsausschusses vorgeschlagen, das Petitions-
verfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen
werden kann. Folgen der Ausschuss und das Plenum des Deut-
schen Bundestages diesem Vorschlag, erhalten Sie keinen weite-
ren Bescheid.

03.12.2013 Stellungnahme zum Schreiben des Bundesministerium für Gesundheit vom 06.11.2013

Sehr geehrte Damen und Herren,

zu Ihrem oben genannten Schreiben beziehungsweise dem mit diesem übersandten Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 06.11.2013 erhebe ich folgende Einwendungen:

Zunächst ist erneut klarzustellen, dass der Petent keine Gesetzesänderung fordert. Er fordert weder eine Änderung des Bundesreisekostengesetzes noch des § 60 oder 92 SGB V. Er fordert auch keine Änderung der untergesetzlichen Krankentransport-Richtlinen. Vielmehr fordert er, dass klargestellt wird, dass wieder verstärkt auf den Wortlaut abzustellen ist, insbesondere, dass zu berücksichtigen ist, dass die Norm auf den „Höchstbetrag für Wegstreckenentschädigung“ verweist, nicht etwa auf den „Betrag für Wegstreckenentschädigung“ oder den „Betrag für Wegstreckenentschädigung ausschließlich nach § 5 Abs. 1 BRKG“.

Im Einzelnen nimmt der Petent zum Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit wie folgt Stelllung:

Das Bundesministerium für Gesundheit behauptet

Der Petent fordert, die Wegstreckenentschädigung für die Nutzung eines privaten PKW für Fahrten zu ambulanten Behandlungen von 20 auf 30 Eurocent zu erhöhen.

Dies ist nur teilweise zutreffend. Würde dem Begehren des Petenten entsprochen, würde dies nicht zu einer Verpflichtung der Krankenkassen führen, in jedem Fall, in dem ein privates Kraftfahrzeug benutzt wird, eine Kilometerpauschale von 30 Cent zu erstatten. Dies ist nämlich nicht der der Fall, wenn die Kosten, die bei Inanspruchnahme des erforderlichen Transportmittels entstanden wären, niedriger sind. Somit greift die Erstattungserhöhung höchstens dann, wenn ein privates Kraftfahrzeug oder ein noch teureres Transportmittel erforderlich ist. Dies ergibt sich direkt aus § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V, der durch die Petition unangetastet bleibt.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Die vom Petenten angesprochene Höhe der Erstattungsbeträge im Falle der Benutzung eines privaten Fahrzeugs bemisst sich nach § 60 Absatz 3 Nr. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Hierin erfolgt eine Anknüpfung an das Bundesreisekostengesetz (BRKG).

Dies ist zutreffend und zwar erfolgt die Anknüpfung ausdrücklich per Verweis auf den „auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag“.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Der somit einschlägige § 5 Absatz 1 Satz 2 BRKG sieht eine Wegeentschädigung von 20 Eurocent je gefahrenem Kilometer vor.

Soweit das Bundesministerium für Gesundheit mit dem Bezug „somit“ auf den vorhergehenden Satz aussagen will, dass die Anknüpfung an das Bundesreisekostengesetz bereits begründet, dass nur § 5 Absatz 1 Satz 2 BRKG einschlägig sein könne, ist dies nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, weil der Wortlaut der Bezugnahme eben gerade nicht nur auf diesen Teil des Bundesreisekostengesetzes geht, sondern auf den „auf Grund des Bundesreisekostengesetzes festgesetzten Höchstbetrag“. Eine Einschränkung auf einzelne Paragraphen des Bundesreisekostengesetzes oder gar einzelne Absätze hierin als Grundlage zur Ermittlung des Höchstbetrags sieht der Wortlaut gerade nicht vor.

Soweit der Deutsche Bundestag sich dem Begehren des Petenten verweigern sollte, würde es dieser allerdings für sinnvoll halten, ersatzweise den Wortlaut des § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V dahingehend zu ändern, dass dieser zukünftig Bezug nimmt auf den „Betrag für Wegstreckenentschädigung ausschließlich nach § 5 Abs. 1 BRKG“. Damit wäre auch bei Ablehnung der Petition zumindest der Normenklarheit gedient.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Insbesondere ist nach derzeitiger Rechtslage der vom Petenten angesprochene Rückgriff auf § 5 Absatz 2 BRKG, der einen Erstattungsbetrag von 30 Eurocent je gefahrenem Kilometer vorsieht, nicht möglich. Dies stellte jüngst das Bundessozialgericht klar, das eine sich hiergegen wendende Revision nicht zur Entscheidung annahm (BSG, Beschluss vom 21. Mai 2010 – B 1 KR 6/10 BH). Darin bestätigte das Gericht explizit, dass es den Krankenkassen verwehrt ist, aus Billigkeitsgesichtspunkten im Einzelfall auf § 5 Absatz 2 BRKG zurückzugreifen.

Diese Darlegung ist im Ergebnis korrekt, wiewohl es sich bei dem bezeichneten Beschluss um die Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags handelt, da diese Ablehnung wegen Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Beschwerde erfolgte. Es ergibt sich somit, dass es nicht etwa ohne Weiteres aus dem Wortlaut der einschlägigen Normen ersichtlich ist, dass nur 20 Cent erstattet werden, sondern dass dies maßgebend auf eine Entscheidung der Rechtsprechung zurückzuführen ist.

Dementsprechend begehrt der Petent auch keine Änderung einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Norm, sondern eine Klarstellung durch den Deutschen Bundestag in seiner Rolle als Gesetzgeber, die die bisherige Auslegung der Normen durch das Bundessozialgericht unterbindet und die Auslegung stattdessen zurückführt zum Wortlaut der Normen.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Zur Begründung führte es aus, dass nach derzeitiger Rechtslage eine entsprechend enge Auslegung der Norm allgemein anerkannt sei.

Der Petent hat bereits in seiner Petition vom 04.07.2013 ab Seite 4, Zeile 1 Stellung zu den Ausführungen des Bundessozialgerichts genommen. Leider geht das Bundesministerium für Gesundheit auf diese Darlegungen nicht ein.

Damit, dass das Bundesministerium für Gesundheit ausführt, das Bundessozialgericht sei der Ansicht, dass die „Auslegung der Norm allgemein anerkannt“ sei, stellt es vermutlich auf die Ausführung des Gerichts ab, dass eine Revisionszulassung auch bei Nichtvorliegen höchstrichterlicher Rechtsprechung ausscheide, wenn die Antwort auf die Rechtsfrage „so gut wie unbestritten ist“ oder „die Antwort von vorneherein praktisch außer Zweifel steht“. Zum ersten Nichtzulassungsgrund ist anzumerken, dass das Bundessozialgericht keinerlei Rechtsprechung anführt, die seine Auffassung bestätigt. Auch sonst ist dem Petenten keine Gerichtsentscheidung aus der Zeit vor dem 21.05.2010 bekannt außerhalb des durch B 1 KR 6/10 BH selbst bestimmten Instanzenzugs, die sich mit der Frage der Höhe der Kilometerpauschale nach § 60 SGB V befasst. Dass die Auffassung des Bundessozialgerichts „unbestritten“ ist, scheint demzufolge nicht etwa darauf zu beruhen, dass sich mit der Frage bereits eine Vielzahl von Gerichten befasst hat und diese im Wesentlichen zum selben Ergebnis wie das Bundessozialgericht gekommen wären, sondern darauf, dass es nie eine Befassung mit der Frage und somit nie eine Möglichkeit zum Bestreiten der vom Bundessozialgericht favorisierten Antwort gegeben hat. Es handelt sich somit mutmaßlich um eine einsame ad hoc Entscheidung des Bundessozialgerichts. Zum zweiten Nichtzulassungsgrund fehlt es an jeder Darlegung, warum eine Abweichung vom Wortlaut der Vorschrift hier nicht nur möglich, sondern sogar unausweichlich sein soll.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Zudem böten die insoweit maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien auch keinen Raum für eine anderweitige Interpretation der Vorschrift, da in diesen ebenfalls nur auf den damals geltenden § 6 Absatz 1 Satz 1 BRKG verwiesen werde (vgl. BT-Drs. 12/3608, S. 82 f.) Dieser entspricht dem heutigen § 5 Absatz 1 BRKG.

Zu den entsprechenden Ausführungen des Bundessozialgerichts hat der Petent bereits in seiner Petition vom 04.07.2013 ab Seite 5, Zeile 7 Stellung genommen. Leider geht das Bundesministerium für Gesundheit auf diese Darlegungen nicht ein. Es ist schlicht nicht ersichtlich, wie das Bundessozialgericht hier überhaupt argumentiert, da es nur unter Benennung der Bundesdrucksache eine Behauptung aufstellt, ohne dass ein argumentativer Zusammenhang zwischen der in Bezug genommenen Drucksache und der gezogenen Folgerung dargelegt oder erkennbar wäre. Es ist insbesondere nach wie vor nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Bezeichnung „Höchstbetrag“ gedankenlos verwandt hat oder dass er mit der Einführung einer Dynamisierung beabsichtigte die Fahrkostenpauschale in den Fällen, in denen ein privates Kraftfahrzeug erforderlich ist, zu reduzieren.

Das Bundesministerium für Gesundheit führt weiter aus

Abschließend sei angemerkt, dass die gegen diesen Beschluss erhobene Verfassungsbeschwerde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen wurde (BVerfG, Beschluss vom 28. September 2010 - 1 BvR 1484/10). Auch aus grundgesetzlicher Sicht bestehen gegen die Regelungen damit keine Bedenken, so dass eine Änderung des § 60 SGB V insoweit nicht angezeigt ist.

Das Bundesministerium für Gesundheit verkennt die Aussagekraft einer nicht zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerde. Alleine dass eine gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde ohne Erfolg bleibt, belegt nicht, dass die dem Verfahren zugrundeliegenden Normen oder Rechtsauslegungen des Gerichts verfassungskonform wären. Verfassungsbeschwerden können aus vielfältige Gründen bis hin zu reinen Formalia wie beispielsweise nicht oder zu spät übersandter vollständiger Unterlagen, unvollständigen Vortrags oder Nichterschöpfung anderer Abhilfemöglichkeiten scheitern. Insoweit bedürfte es einer Darlegung durch das Bundesministerium für Gesundheit, warum vorliegend aus der Entscheidung 1 BvR 1484/10 folgt, dass die Regelung und ihre Auslegung keinen Verfassungsbedenken begegnen.

Im Übrigen ist es auch nicht notwendig, dass die Normen oder Rechtsauslegungen verfassungswidrig wären, damit dem Begehren des Petenten entsprochen werden kann, denn dem Deutschen Bundestag steht es zu, auch nicht verfassungswidrige Normen abzuändern und auch nicht verfassungswidrige Rechtsauslegungen der Gerichte für obsolet zu erklären. Letzteres begehrt der Petent. Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob zusätzlich aus „grundgesetzlicher Sicht“ Änderungsbedarf besteht.

In seinem Schreiben vom 19.11.2013 führt der Petitionsausschuss aus

Auch nach erneuter Prüfung aller Gesichtspunkte kommt der Ausschussdienst zu dem Ergebnis, dass Ihre Petition nicht den gewünschten Erfolg haben wird. Diese Auffassung stützt sich insbesondere auf die in der Stellungnahme des Fachministeriums schlüssig dargelegte Begründung, weshalb eine Gesetzesänderung im Sinne Ihres Anliegens nicht in Aussicht gestellt werden kann.

Dies greift jedoch ins Leere, denn der neuerlichen Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit ist keinerlei Empfehlung für das weitere Vorgehen zu entnehmen, insbesondere behauptet das Bundesministerium für Gesundheit nicht, der Petition könne oder solle nicht entsprochen werden. Das Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit gibt lediglich einen, im im oben dargelegten Umfang teilweise zutreffenden, teilweise unzutreffenden Kommentar zur Rechtslage ab, ohne eine ausdrückliche Empfehlung in die eine oder andere Richtung überhaupt auszusprechen, geschweige denn eine entsprechende Empfehlung zu begründen.

Zwar führt das Bundesministerium für Gesundheit aus

Insbesondere ist nach derzeitiger Rechtslage der vom Petenten angesprochene Rückgriff auf § 5 Absatz 2 BRKG, der einen Erstattungsbetrag von 30 Eurocent je gefahrenem Kilometer vorsieht, nicht möglich.

und dies wird vom Petenten auch nicht bestritten. Jedoch ist gerade dies der Anlass für die Petition. Wäre die derzeitige Rechtslage so, dass 30 Cent erstattet werden könnten, wäre die Petition in ihrer vorliegenden Form unnötig, da dann jeder betroffene Bürger durch Anrufung der Gerichte selbst auf Abhilfe dringen kann. Da dem jedoch nicht so ist, ist ein Wort des Gesetzgebers, welches die Rechtslage ändert, erforderlich. Der Petent ist der Auffassung, dass sein Vorschlag, insoweit er ohne eine Gesetzesänderung auskommt die mildeste und insoweit er die Normenklarheit wieder herstellt zugleich konsequenteste Variante darstellt, dem Missstand abzuhelfen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die neuerliche Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit ausschließlich mit formellen Rechtsgründen beschäftigt, die darlegen, wie die derzeitige Lage ist. Rechtliche oder inhaltliche Gründe die gegen die Petition sprechen führt das Bundesministerium für Gesundheit nicht mehr an. Auch scheint es von seiner bisherigen Ansicht im Schreiben vom 30.08.2013, Seite 3 abgerückt zu seine, dass die derzeit gewährte Pauschale kostendeckend sei, da es auf die vom Petenten aufgezeigte Fehlerhaftigkeit dieser Auffassung nicht weiter eingeht. Es führt jedoch nicht aus, ob und gegebenenfalls warum es diesen Zustand für hinnehmbar hält oder wie seiner Ansicht nach diesem abgeholfen werden könnte.

Das Bundesministerium für Gesundheit geht nicht auf die inhaltliche Darlegung des Petenten ein, dass und warum die begehrte Klarstellung aus rechts- wie sozialstaatlichen Gründen wünschenswert ist. Da sich somit auch unter Berücksichtigung der zweiten Stellungnahme keine nachvollziehbaren Gründe ergeben, warum die Petition, so sie sach- und rechtsfehlerfrei bewertet wird, aussichtslos wäre, hält der Petent sie aufrecht und bittet, sie nochmals zu überdenken. Er bittet eine Abschrift dieses Schreibens dem Bundesministerium für Gesundheit zu übersenden und diesem die Gelegenheit zu weiterer Stellungnahme zu geben. Da das Bundesministerium für Gesundheit mit seiner Wiedergabe des Beschlusses B 1 KR 6/10 BH des Bundessozialgerichts vom 21.05.2010 möglicherweise beabsichtigt, sich inhaltlich auf diesen zu stützen, sowie aufgrund der dargelegten Unklarheiten in der Begründung dieses Beschlusses, bittet der Petent, dem Bundessozialgericht eine Abschrift der Petitionsakte zu übersenden und diesem die Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Er bittet um Mitteilung der Entscheidung des Petitionsausschusses.

25.09.2014 Beschlussempfehlung

- 144 -

Gesetzliche Krankenversicherung

— Leistungen —

Beschlussempfehlung

Das Petitionsverfahren abzuschließen

Begründung

Der Petent fordert eine Klarstellung, wonach für Krankenfahrten die höchste im Bun-
desreisekostengesetz genannte Kilometerpauschale maßgebend ist.

Die Petition betrifft die Wegstreckenentschädigung für die Nutzung eines privaten
Pkw für Fahrten zu ambulanten Behandlungen, die von 20 auf 30 Eurocent zu erhö-
hen sei.

Zu den Einzelheiten des Vortrags des Petenten wird auf die von ihm eingereichten
Unterlagen verwiesen.

Das Ergebnis der parlamentarischen Prüfung stellt sich auf der Grundlage von Stel-
lungnahmen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) wie folgt dar:

Der Petitionsausschuss weist auf die ausführliche erläuternde Stellungnahme des
BMG vom 30.08.2013 hin, welche er inhaltlich unterstützt. Sie ist dem Petenten be-
reits im Rahmen des Petitionsverfahrens übersandt worden. Zur Vermeidung von
Wiederholungen verweist der Petitionsausschuss auf diese Ausführungen.

Mit ergänzendem Vortrag verfolgt der Petent sein Anliegen weiter. Der Petitions-
ausschuss verweist insoweit auf die dem Petenten übersandte zweite Stellungnahme
des BMG vom 06.11.2013, die der Petitionsausschuss inhaltlich unterstützt.

Im Übrigen weist der Petitionsausschuss auf Folgendes hin:

§ 60 (Fahrkosten) Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V bestimmt, die
Krankenkasse übernimmt nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten ein-
schließlich der Transporte nach § 133 (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit
einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig
sind. Welches Fahrzeug benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen
Notwendigkeit im Einzelfall. Die Krankenkasse übernimmt Fahrkosten. zu einer am-
bulanten Behandlung unter Abzug des sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrages
nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemein-
same Bundesausschuss in den Richtlinien festgelegt.hat.

Nach § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V werden als Fahrkosten anerkannt bei Benutzung ei-
nes privaten Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer der jeweils aufgrund des
Bundesreisekostengesetzes festgesetzte Höchstbeitrag für Wegstrecken-
entschädigung, höchstens jedoch die Kosten, die bei Inanspruchnahme des nach Nr.
1 bis 3 erforderlichen Transportmittels entstanden wären.

Der Petitionsausschuss verweist insoweit wie bereits das BMG auf den Beschluss
des Bundessozialgerichts vom 21.05.2010, B 1 KR 6/10 BH, nach dem die "Ver-
weisungsregelung in § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V hinsichtlich der Höhe der Weg-
streckenentschädigung bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für den Aus-
nahmefall des § 5 Abs.2 Satz 2 Bundesreisekostengesetz bezüglich erhöhter Weg-
streckenentschädigung, sofern ein erhebliches dienstliches Interesse an der Benutz-
ungleines Kraftwagens besteht, keinen Anwendungsraum bietet."

Eine erhöhte Wegstreckenentschädigung von 30 Cent je Kilometer, wie mit der Peti-
tion gefordert, kommt daher nach der ausdrücklichen Entscheidung des BSG nicht in
Betracht.

Die gegen diesen Beschluss erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundes-
verfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom
28.09.2010 - 1 BvR 1484/10).

Das BSG bestätigte damit die Vorinstanz (Bayerisches Landessozialgericht), die in
ihrem Urteil (17.11.2009, L 5 KR 187/08) ausführte: "Schließlich kann der Kläger kei-
ne höhere als die Fahrtkostenpauschale von 20 Cent pro gefahrenen Kilometer wie
von der Beklagten erstattet erhalten. Dieses ist gemäß § 5 Bundesreisekostengesetz
der regelmäßige Erstattungsbetrag, auf welchen § 60 Abs. 3 SGB V Bezug nimmt.
Der höhere Erstattungsbetrag von 30 Cent ist für die Regelungen des SGB V nicht
zugänglich, weil sich dieser ausschließlich auf dienstliche Erfordernisse bezieht, die
nur mit Besonderheiten des Reisekostenrechtes des öffentlichen Dienstes zu be-
gründen sind"...

Für diese Auslegung spricht im Übrigen bereits der Wortlaut des § 5 Abs. 2 Satz 2
Bundesreisekostengesetz, wonach das erhebliche dienstliche Interesse vor Antritt
der Dienstreise in der Anordnung oder Genehmigung schriftlich oder elektronisch
festgestellt werden muss.

Vor dem Hintergrund des Dargelegten vermag der Petitionsausschuss ein weiteres
Tätigwerden nicht in Aussicht zu stellen und empfiehlt daher, das Petitionsverfahren
abzuschließen.

Anfrage vom 09.10.2014

... ich danke für die Übersendung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses zur oben genannten Petition. Interessant ist für mich vor allem, dass darin ein weiteres Argument aufgeführt wird, welches mir bislang nicht bekannt war. Nämlich heißt es im vorletzten Absatz der Beschlussempfehlung

Für diese Auslegung spricht im Übrigen bereits der Wortlaut des § 5 Abs. 2 Satz 2 Bundesreisekostengesetz, wonach das erhebliche dienstliche Interesse vor Antritt der Dienstreise in der Anordnung oder Genehmigung schriftlich oder elektronisch festgestellt werden muss.

Ich wäre daher an weiteren Informationen hierzu interessiert und bitte daher gemäß § 1 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (IFG) um Aktenauskunft zu allen Unterlagen, Stellungnahmen, Protokollen, Akten des Ausschussdienstes und dergleichen die bei der Erstellungen der Beschlussempfehlung herangezogen wurden oder diese in sonstiger Weise betreffen, soweit mir diese noch nicht bekannt sind und soweit die Auskunft nicht gesetzlich ausgeschlossen ist. Es handelt sich meines Erachtens um eine einfache Auskunft für welche somit nach § 10 IFG keine Gebühren anfallen sollten. Sollte die Auskunft Ihrer Meinung nach gebührenpflichtig sein, bitte ich, mir dies vorab mitzuteilen und dabei die Höhe der Kosten anzugeben. Natürlich sind mir auch Erläuterungen außerhalb der förmlichen Akteneinsicht willkommen, falls der Petitionsausschuss oder ein Mitarbeiter oder Mitglied desselben von sich aus solche abzugeben wünscht.

Um Missverständnissen vorzubeugen erlaube ich mir, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass mir bekannt ist, dass das Petitionsverfahren abgeschlossen ist; die Nachfrage ist kein Teil des Petitionsverfahrens und dient nur meiner sonstigen Information. Das Aktenzeichen der erledigten Petition habe ich angegeben, um Ihnen die Zuordnung des Vorgangs zu erleichtern.

Bescheid vom 06.11.2014
Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG)

Sehr geehrter Herr ...,

mit Ihrem an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages
adressierten Schreiben vom 9. Oktober 2014 baten Sie unter Be—
zugnahme auf das IFG um weitere Ausführungen hinsichtlich
des vorletzten Satzes des Ihnen übersandten Beschlusses des
Deutschen Bundestages vom 25. September 2014. Sie beantragten
in diesem Zusammenhang den Zugang zu den Petitionsakten
Ihrer Petition (Pet 2-17-15-8271-052556), insbesondere zu allen
Unterlagen, Stellungnahmen, Protokollen und Akten des Aus-
schussdienstes.

Ihrem Antrag kann auf Grundlage des IFG nicht entsprochen
werden.

Begründung:

Das IFG ist auf die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deut-
schen Bundestages nicht anwendbar.

Der Deutsche Bundestag ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 IFG zur Ge—
währung des Zugangs zu amtlichen Informationen verpflichtet,
soweit er Öffentlich—rechtliche Verwaltungsaufgaben wahr—
nimmt. Nach der Gesetzesbegründung bleibt der spezifische Be-
reich der Wahrnehmung parlamentarischer Angelegenheiten von
der Anwendung des IFG ausgenommen (vgl. Rossi, IFG-Kom—
mentar, 5 1 Rn. 33 ff). Hierzu gehört insbesondere auch der Be-
reich der Petitionen (vgl. Bundestags—Drucksache 15/4493, S. 8).

Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages handelt auf—
grund der Regelungen der Art. 17 und 45 c Grundgesetz (GG). Er
erfüllt dabei keine öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgaben,
sondern Aufgaben, die er als Teil des Verfassungsorgans Deut—
scher Bundestag wahrzunehmen hat. Dabei überprüft der Petiti—

Seite 2

onsausschuss aufgrund der verfassungsrechtlichen Regelungen
die Tätigkeit der Verwaltung.

Bei der Tätigkeit des Petitionsausschusses handelt es sich somit
um die Wahrnehmung verfassungsrechtlicher Aufgaben. Dies
wurde von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bestä-
tigt (vgl. zuletzt VG Berlin, Urteil vom 24. April 2013,
Az.: 2 K 63.12). Auch die Bundesbeauftragte für den Datenschutz
und die Informationsfreiheit (BfDI) vertritt unter Punkt 5.1.4 des
Tätigkeitsberichts zur Informationsfreiheit für die Iahre 2010 und
2011 diese Auffassung (vgl. Bundestags-Drucksache 17/9100,
S. 46).

Sie haben daher gegenüber dem Petitionsausschuss des Deut—
schen Bundestages gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 IFG keinen Anspruch
auf Zugang zu den von Ihnen begehrten Unterlagen.

Bundestags-Drucksache 18/4990 vom 09.06.2015, Seiten 70 und 71

2.12.4 Wegstreckenentschädigung für Pkw-Fahrten zu ambulanten Behandlungen
Mit dieser Petition wurde gefordert, die Wegstreckenentschädigung für die Nutzung eines privaten Pkw für
Fahrten zu ambulanten Behandlungen von 20 auf 30 Cent zu erhöhen.
Der Petitionsausschuss verwies auf die Regelung zu den Fahrkosten in § 60 Absatz 1 des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch (SGB V). Dieser bestimmt, dass die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für
Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 SGB V übernimmt, wenn die Fahrten im Zusammenhang mit
einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Welches Fahrzeug
benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall. Die Krankenkasse
übernimmt Fahrkosten zu einer ambulanten Behandlung nur in besonderen Ausnahmefällen, die der
Gemeinsame Bundesausschuss in
seinen Richtlinien festgelegt hat. Für die Übernahme der Fahrkosten ist eine
vorherige Genehmigung erforderlich. Von den Fahrkosten abgezogen wird der zuzahlungsbetrag nach § 61
Satz 1 SGB V. Bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs wird nach der Regelung zu den Fahrkosten in § 60
Absatz 3 Nummer 4 SGB V für jeden gefahrenen Kilometer der jeweils aufgrund des Bundesreisekosten-
gesetzes festgesetzte Höchstbeitrag für Wegstreckenentschädigung anerkannt, es werden jedoch höchstens die
Kosten anerkannt, die bei Inanspruchnahme des nach § 60 Absatz 3 Nummer 1 bis 3 SGB V erforderlichen
Transportmittels entstanden wären.

Der Petitionsausschuss verwies wie bereits das BMG auf den Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom
21. Mai 2010, B 1 KR 6/10 BH, nach dem die „Verweisungsregelung in § 60 Absatz 3 Nummer 4 SGB V
hinsichtlich der Höhe der Wegstreckenentschädigung bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für den
Ausnahmefall des § 5 Absatz 2 Satz 2 Bundesreisekostengesetz bezüglich erhöhter Wegstreckenentschädigung,
sofern ein erhebliches dienstliches Interesse an der Benutzung eines Kraftwagens besteht, keinen
Anwendungsraum bietet."
Die in der Petition geforderte erhöhte Wegstreckenentschädigung von 30 Cent je Kilometer kommt daher nach
der ausdrücklichen Entscheidung des BSG nicht in Betracht. Die gegen diesen Beschluss erhobene
Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen
(Beschluss vom 28. September 2010 - 1 BvR 1484/10).
Das BSG bestätigte damit die Vorinstanz (Bayerisches Landessozialgericht), die in ihrem Urteil (17. November
2009 - L 5 KR 187/08) ausführte: „Schließlich kann der Kläger keine höhere als die Fahrtkostenpauschale von
20 Cent pro gefahrenen Kilometer wie von der Beklagten erstattet erhalten. Dieses ist gemäß § 5 Bundes-
reisekostengesetz der regelmäßige Erstattungsbetrag, auf welchen § 60 Absatz 3 SGB V Bezug nimmt. Der
höhere Erstattungsbetrag von 30 Cent ist für die Regelungen des SGB V nicht zugänglich, weil sich dieser
ausschließlich auf dienstliche Erfordernisse bezieht, die nur mit Besonderheiten des Reisekostenrechtes des
öffentlichen Dienstes zu begründen sind..."
Für diese Auslegung spricht im Übrigen bereits der Wortlaut des § 5 Absatz 2 Satz 2 des Bundesreise-
kostengesetzes, wonach das erhebliche dienstliche Interesse vor Antritt der Dienstreise in der Anordnung oder
Genehmigung schriftlich oder elektronisch festgestellt werden muss.
Vor dem Hintergrund des Dargelegten empfahl der Petitionsausschuss, das Petitionsverfahren abzuschließen,
weil dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte.

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Mittwoch, 20. Mai 2015
Vergabepraxis von Betreuungsplätzen in Einrichtungen freier Träger
Gekürzte Chronologie
der Petition Pet 3-18-17-2165-18257
Vergabepraxis von Betreuungsplätzen in Einrichtungen freier Träger

20.03.2015 Kurzfassung der Petition

Petition 58089 an den Deutschen Bundestag (mit der Bitte um Veröffentlichung) vom 20.03.2015

Kinder- und Jugendhilfe - Vergabepraxis von Betreuungsplätzen in Einrichtungen freier Träger

Wortlaut der Petition

Der Deutsche Bundestag möge, gegebenenfalls durch eine Gesetzesänderung, wirksame Vorkehr treffen, dass
es bei der Vergabe von Betreuungsplätzen in Einrichtungen jeglicher Träger, insbesondere auch jeglicher
freier Träger nicht zu Diskriminierungen, insbesondere nicht aufgrund rein glaubensbasierter Vorgaben
kommt. Die Begründung nimmt Bezug auf die Sachverhaltsdarstellung in der Petition 45587 „Kinder- und
Jugendhilfe - Vergabepraxis von Betreuungsplätzen in konfessionellen Einrichtungen".


Begründung

Eine betroffene Mutter legte dar, dass ihr in KITAs freier, in ihrem konkreten Fall konfessioneller Träger,
gesagt wurde, dass ihre Kinder keine Chance auf Plätze hätten, da sie nicht getauft sind. Sie führte weitere,
gleichartige Erfahrungen von Personen aus ihrem Umfeld an. Mit der genannten Petition hatte die Petentin
beantragt, der Deutsche Bundestag möge die Rolle der Konfession bei der Vergabepraxis von
Betreuungsplätzen in konfessionellen Einrichtungen überprüfen.

Der Deutsche Bundestag hat beschlossen, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht
entsprochen werden könne. Zur Begründung hat der Petitionsausschuss im Wesentlichen ausgeführt, dass sich
die Petentin auf konfessionelle Träger bezieht, der Petitionsausschuss aber eine Einschränkung der
Trägerautonomie nur für diese nicht unterstütze. Obwohl die Petentin nicht ausdrücklich verlangt hatte, dass
die Regelungen für andere Träger unangetastet bleiben, sondern diese nur nicht ausdrücklich für auch möglich
erklärte, hat der Petitionsausschuss das Anliegen implizit so interpretiert als wäre eine Sondereinschränkung
nur für konfessionelle Träger begehrt. Bei dieser Interpretation ist die ablehnende Haltung nicht
verwunderlich.

Durch die Nichtweiterbefassung verbleibt es jedoch beim von der Petentin bemängelten Zustand, dass Kinder
aufgrund einer an ihnen vollzogenen reinen Kulthandlung beziehungsweise des Fehlens einer solchen, bei der
Vergabe von regelmäßig in erheblichem Umfang öffentlich finanziell geförderten Betreuungsplätzen
systematisch benachteiligt werden. Das trifft für konfessionelle Einrichtungen sicher zu und mag in ähnlicher
Weise auch für andere freie Träger zutreffen. Der jetzige Petent hält diesen Zustand für nicht erstrebenswert
und im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung für bedenklich und zwar
unabhängig davon bei welchen freien Trägern solche Benachteiligungen auftreten mögen. Die Erfüllung des
Anspruchs nach § 24 SGB VIII ist staatlicherseits zu garantieren, sie muss daher zwingend
diskriminierungsfrei sein, auch wenn sich der Staat – was ihm ja freisteht – freier Träger als Gehilfen bedient.
Der Petent macht sich daher das Begehren der Petentin zu eigen, indes mit der wesentlichen Modifikation,
dass er ausdrücklich fordert sämtliche freien Träger gleichermaßen zu verpflichten.

Anregungen für die Forendiskussion

Für Ansätze, welche Normen sinnvollerweise angepasst werden könnten, verweist der Petent auf die bereits
abgeschlossene Petition, hebt allerdings ausdrücklich hervor, dass dies nicht von vorneherein andere oder
weitere Anpassungen ausschließen soll, wenn diese im Hinblick auf die formulierten Ziele zweckmäßig
erscheinen. Insbesondere schließt der Petent auch weitere Folgeänderungen des SGB VIII oder anderer
Normengefüge ausdrücklich nicht von vornherein aus, soweit solche erforderlich sein sollten.

Als konkrete Möglichkeit käme etwa eine Verankerung im SGB VIII, Zweites Kapitel, Zweiter Abschnitt und
Drittes Kapitel, Zweiter Abschnitt in Frage, die die Zulassung der Träger und deren (Teil-)Finanzierung aus
öffentlichen Mitteln an eine entsprechende Selbstverpflichtungserklärung bindet, deren Einlösung kontrolliert
und Verletzung sanktioniert wird und ein Diskriminierungsverbot, das notfalls von Betroffenen mit
Rechtsmitteln durchsetzbar ist.

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LSG BAY, L 5 KR 381/09 B PKH vom 09.11.2009, Bayerisches Landessozialgericht
L 5 KR 381/09 B PKH
S 2 KR 296/08

BAYERISCHES LANDESSOZIALGERICHT

In dem Beschwerdeverfahren

- Kläger und Beschwerdeführer -

gegen

Krankenkasse,

— Beklagte und Beschwerdegegnerin -

wegen Prozesskostenhilfe

erlässt der 5. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in München
am 9. November 2009

ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landes—
sozialgericht Mayer sowie den Richter am Bayer. Landessozialgericht Rittweger

und die Richterin am Bayer. Landessozialgericht Körner folgenden
Beschluss:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschlüss des Sozialgerichts Regens—
burg vom 09.09.2009 Wird zurückgewiesen.

-2— L 5 KR 381/09 B PKH

Gründe:

Der Kläger begehrt in der Hauptsache Kostenerstattung in der Vergangenheit angefalle-
ner sowie die Feststellung der Erstattungspflicht der Beklagten- künftig entstehender
Parkgebühren anlässlich medizinischer Behandlungen. insoweit hat der Kläger am
08.10.2008 Prozesskostenhilfe beantragt. Diese hat das Sozialgericht mit Beschluss vom
09.09.2009 mangels Erfolgsaussicht abgelehnt.

Die form— und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, gem §§ 172, 173, 73a So—
zialgerichtsgesetz (SGG) IVm § 127 Abs 2 S 2 Zivilprozessordnung (ZPO), aber unbe-
gründet.

Wie aus dem Beschluss des Senates vom 07.10.2009 - L 5 KR 9/09 B PKH und den dor-
tigen weiteren NachWeisen ersichtlich ist, besteht für den Kläger die grundsätzliche Be—
rechtigung, durch die DGB Rechtsschutz GmbH Regensburg, Richard-Wagner-Str. 2„
93055 Regensburg in sozialgerichtlichen Verfahren vertreten zu werden. Diese Berechti—
gung genügt, um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (BSG SozR 3-1500
§ 73a Nr. 4). Denn hätte ein mittelloses Gewerkschaftsmitglied die Wahl zwischen kosten-
losem gewerkschaftlichem Rechtsschutz und der Beiordnung eines frei gewählten
Rechtsanwaltes, so stünde es besser als ein Beteiligter, der über genügend Mittel zur
Prozeßführung. durch einen Rechtsanwalt verfügt. Dieser Beteiligte würde in aller Regel
verständigerweise aus wirtschaftlichen Gründen das Kostenrisiko meiden und sich regel—
mäßig für kostenlosen Rechtsschutz durch einen Verbandsvertreter entscheiden. Es be—
steht deshalb kein Grund, dem finanziell minderbemittelten Beteiligten aus staatlichen Mit—
teln die Wahlfreiheit zu finanzieren, die der bemittelte Beteiligte verständigerweise nicht in
Anspruch nähme.

Die Beschwerde des Klägers bleibt somit allein aus diesem Grund ohne Erfolg. Dieser
Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Faksimile 1 2

Hauptverfahren S 2 KR 296/08 vom 18.02.2010

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SG R, S 2 KR 296/08 vom 09.09.2009, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 296/08

SOZIALGERICHT REGENSBURG

ln dem Rechtsstreit

- Kläger -
Proz.-Bev.:

gegen

-Krankenkasse‚

- Beklagte -

erlässt die Vorsitzende der 2. Kammer, Richterin am Sozialgericht G, ohne
mündliche Verhandlung am 9. September 2009 folgenden

Beschluss:

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

- 2 — S 2 KR 296/08

Gründe:

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seinen Rechtsstreit gegen die Beklagte.
Streitgegenstand des zu Grunde liegenden Rechtsstreites ist, ob die Beklagte in
der Gestalt tätig bzw. untätig war, als dass sie nicht beschieden hat, ob und wa-
rum dem Kläger die nach § 43 Abs. 1 SGB I beantragte Leistung gewährt bezie-
hungsweise versagt wird.

Mit Schreiben vom 08.05.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstat-
tung von im April 2007 angefallenen Fahrtkosten, woraufhin die Beklagte mit Be-
scheid vom 08.05.2007 mitteilte, dass die geltend gemachten Fahrtkosten teilwei-
se erstattet werden könnten; Kosten für die Taxifahrt am 26.04.2007 könnten je-
doch nicht übernommen werden, da die diesbezügliche Behandlung bei Dr. S
nicht im Zusammenhang mit der Dialyse gestanden hätte.

Dagegen legte der Kläger mit Schriftsatz vom 15.05.2007 Widerspruch ein, wobei
er ausführte, dass die Praxis Dr. S und Dr. P wegen der Praxiszeiten
nur an einem dialysefreien Tag aufgesucht werden könne, wodurch zusätzliche
Fahrkosten anfallen würden. Zugleich beantragte er, die Leistung als vorläufige
Leistung gemäß § 43 SGB I zu erbringen.

Mit Bescheid vom 24.05.2007 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass
kein anderer Leistungsträger für die begehrte Leistung zuständig sei, weswegen
§ 43 SGB l nicht einschlägig sei.

Mit Schreiben vom 07.07.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstat-
tung von im Juni 2007 angefallenen Fahrtkosten, wobei er auch einen Antrag auf
vorläufige Leistungsgewährung nach § 43 SGB I stellte.

— 3 — S 2 KR 296/08

Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22.08.2007 mit, dass
im Falle des Klägers nur die Fahrten im Zusammenhang mit der Dialyse erstat-
tungsfähigseien; angesichts dessen könnten die Krankenfahrten am 26.04.2007
und 28.06.2007 zur ambulanten Behandlung nicht erstattet werden.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 04.09.2007 Widerspruch ein. Zur
Begründung führte er aus, dass er aufgrund seiner Gesundheitsstörungen auch zu
den übrigen Behandlungsmaßnahmen und Kontrolluntersuchungen außerhalb der
Dialyse aus zwingenden medizinischen Gründe nur per Taxi erscheinen könne,
wobei er eine entsprechende ärztliche Bescheinigung von Dr. L vom
07.09.2007 und ein ärztliches Attest von Dr. S vom 18.09.2007 beifügte.
Der Seitens der Beklagten befasste Medizinische Dienst der Krankenversicherung
(MDK) führte in zwei Stellungnahmen nach Aktenlage vom 13.11.2007 und
27.11.2007 aus, dass beim Kläger zwar die Mobilität beeinträchtigt sei, allerdings
keine hohe Behandlungsfrequenz von dreimal pro Woche vorliegen würde, wes-
wegen die Voraussetzungen für die Kostenerstattung der Fahrtkosten durch die
gesetzliche Krankenversicherung nicht erfüllt seien. Darüber hinaus läge beim
Kläger keine vergleichbare Beeinträchtigung der Mobilität analog den Merkzeichen
"aG, "Bl "‚ "H" beziehungsweise der Pflegestufen II oder III und keine Behandlung
über einen längeren Zeitraum vor.

Dementsprechend wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Wider-
spruchsbescheid vom 05.02.2008 zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid wurde seitens des Klägers kein Rechtsbehelf
eingelegt.

Mit Klage vom 18.10.2008, beim Sozialgericht Regensburg am 20.10.2008 einge-
gangen, hat der Kläger Untätigkeitsklage gegen die Beklagte der Gestalt erhoben,
dass die Beklagte zu verurteilen sei, unverzüglich zu bescheiden, ob und warum
dem Kläger die in seinem Schreiben vom 15.05.2007 nach § 43 Abs. 1 SGB I be-
antragte Leistung gewährt beziehungsweise versagt wird. Zudem hat er einen An-
trag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt.

Die Beklagte hat beantragt, den Antrag abzulehnen.

- 4 — S 2 KR 296/08

Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass über den entsprechenden Antrag des
Klägers auf Erstattungvon Fahrtkosten längst - und zwar noch vor Erhebung der
Untätigkeitsklage — entschieden worden sei. Soweit der Kläger eine Auseinander-
setzung mit der Vorschrift des § 43 SGB I vermissen würde, beziehe er sich auf
sein Widerspruchsschreiben vom 15.05.2007. Die hiesige Klage sei als unzulässig
zurückzuweisen.

Das Gericht hat die Beklagtenakte, sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers
vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ferner die Akten des Sozialgerichts
Regensburg S 2KR 284/08, S 2 KR 175/09, S 2 KR 379/08 und S 2 KR 264/08
zum Verfahren beigezogen, auf deren lnhalt im Übrigen ergänzend Bezug ge—
nommen wird.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Nach § 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 114
S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil
oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beab—
sichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Er-
folg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Vorliegend scheidet die Gewährung von Prozesskostenhilfe schon deshalb aus,
weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, da für die Rechtsverfol-
gung nicht einmal eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit besteht, so dass es auf
die weiteren Voraussetzungen nicht ankommt. ln dem Zusammenhang hat die
Kammer auch verfassungsrechtliche Vorgaben (vor allem das Verbot überspann—
ter Anforderungen, um eine Rechtsschutzgleichheit zwischen bemittelten und un-
bemittelten Klägern zu gewährleisten (Art. 3, 20 lll, 19 lV GG)) berücksichtigt, da

- 5 - S 2 KR 296/08

die hier vorliegende Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung ohne
Schwierigkeiten beantwortet werden kann (vergleiche dazu Bundesverfassungs-
gericht, Beschluss vom 14.06.2006, Aktenzeichen 2 BVR 626/06) und eine Be-
weiserhebung nicht notwendig ist (vgl. Meyer—Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG,
9.Aufl.‚ § 73 a Rn. 7a).

Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Abs. 2 und 3
die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 (Fahrtkosten),
wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingen-
den medizinischen Gründen notwendig sind.

Die vorliegenden Anträge des Klägers vom 08.05.2007 und 07.07.2007 auf Über-
nahme der geltend gemachten Fahrtkosten hat die Beklagte mit Bescheiden vom
08.05.2007 und 22.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.02.2008 abgelehnt. Darüber hinaus hat die Beklagte dem Kläger mit Bescheid
vom 24.05.2007 mitgeteilt, dass auch kein anderer Leistungsträger für die begehr-
te Übernahme der Fahrtkosten zuständig sei, weswegen eine Leistungsgewäh-
rung nach § 43 SGB I ausscheide.

Vorliegend hat die Beklagte zur Überzeugung des Gerichts über die Anträge des
Klägers vom 08.05.2007 und 07.07.2007 durch die Bescheide vom 08.05.2007,
24.05.2007 und 22.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.02.2008 bestandskrätig entschieden, da gegen den Widerspruchsbescheid
vom 05.02.2008 keine Klage beziehungsweise verspätet — d.h. außerhalb der Mo-
natsfrist des § 87 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz - eingelegt wurde. Für eine Un-
tätigkeitsklage des Klägers (wie hier mit Klageschriftsatz vom 18.10.2008 begehrt)
ist daher kein Raum, da über die zwei Anträge des Klägers vom 08.05.2007 und
07.07.2007 auf Vornahme eines Verwaltungsaktes mit den oben genannten Ver-
waltungsakten sachlich beschieden worden ist. Die Voraussetzungen für eine Un-
tätigkeitsklage nach § 88 SGG sind daher nicht gegeben, so dass die vorliegende
Klage mangels Erfolgsaussicht als unzulässig abgewiesen werden müsste.

Sofern der Kläger vorträgt, dass über seinen Antrag nach § 43 SGB I (mit Wider-
spruchsschreiben vom 15.05.2007 und Antrag vom 07.07.2007) nicht entschieden
worden ist, ist auszuführen, dass die Beklagte mit Bescheid vom 24.05.2007 dem
Kläger mitgeteilt hat, dass kein anderer Leistungsträger für die begehrte Leistung
zuständig sei, so dass die Voraussetzungen des § 43 SGB l nicht vorliegen wür—

- 6 — S 2 KR 296/08

den. Damit hatte die Beklagte aber gerade auch — entgegen der Ausführungen des
Klägers — zum § 43 SGB I Stellung bezogen. Darüber hinaus hat sie durch die ge-
nannten Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2008
zum Ausdruck gebracht, dass kein Anspruch auf die begehrte Sozialleistung
"Fahrtkosten" besteht. Darüber hinaus handelt es sich bei § 43 Abs. 1 SGB I auch
nicht um eine Anspruchsgrundlage, auf die der Kläger sein Klagebegehren stützen
kann, sondern lediglich um eine Regelung der Gestalt, wer zur vorläufigen Leis-
tungsgewährung verpflichtet ist, wenn ein Anspruch auf Sozialleistung besteht und
zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist.
Vorliegend sind diese Voraussetzungen schon deshalb nicht erfüllt, da die Beklag-
te unstreitig für Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung zuständig ist, während
demgegenüber für diesen Regelungsbereich eine Zuständigkeit eines anderen
Sozialleistungsträgers nicht gegeben ist. Ihre entsprechende Zuständigkeit hat die
Beklagte auch durch die oben genannten Bescheide in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheides vom 05.02.2008 und zudem durch den Bescheid vom
24.05.2007 zum Ausdruck gebracht. Eine Untätigkeit der Beklagten im Sinne des
§ 88 SGG vermag das Gericht vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen. Für den
Kläger war durch die Bescheide vom 08.05 2007, 24.05.2007 und 22.08.2007 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2008 eindeutig erkennbar,
dass die Beklagte für die begehrte Leistung (Übernahme beziehungsweise Erstat—
tung der Fahrtkosten) der zuständige Leistungsträger ist.

Die vorliegende Untätigkeitsklage müsste daher als unzulässig abgewiesen wer-
den, so dass der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels Er-
folgsaussicht der Klage abzulehnen ist.

- 7 - S 2 KR 296/08

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist gemäß §§ 73a, 172 Abs. 1 SGG iVm § 127 Abs. 2 Satz
2 ZPO Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Beschwerde ist
binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Re-
gensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder zur Nieder-
schrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist
beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der
Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt,
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstel—
le eingelegt wird .‚

Die Vorsitzende der 2. Kammer

G
Richterin am Sozialgericht

Ausgefertigt - Beglaubigt
Sozialgericht Regensburg

Regensburg, den

als Urkundsbeamtin der Geschäfts-
stelle

Faksimile 1 2 3 4 5 6 7

L 5 KR 381/09 B PKH

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Montag, 18. Mai 2015
SG R, S 2 KR 296/08 vom 18.02.2010, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 296/08

SOZIALGERICHT REGENSBURG
GERICHTSBESCHEID

in dem Rechtsstreit

- Kläger -

gegen
-Krankenkasse,

20097 Hamburg - 003401/stö -
- Beklagte -

Untätigkeit

Die 2. Kammer des Sozialgerichts Regensburg erlässt durch ihre Vorsitzende, Richterin
am Sozialgericht G, am 18. Februar 2010 ohne mündliche Verhandlung folgenden

Gerichtsbescheid:

l. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 - S 2 KR 296/08

Tatbestand:

Streitgegenstand des Rechtsstreites ist, ob die Beklagte in der Gestalt untätig war,
als dass sie nicht beschieden hat, ob und warum dem Kläger die nach § 43 Abs. 1
SGB I beantragte Leistung gewährt beziehungsweise versagt wird.

Mit Schreiben vom 08.05.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstat-
tung von im April 2007 angefallenen Fahrtkosten, woraufhin die Beklagte mit Be-
scheid vom 08.05.2007 mitteilte, dass die geltend gemachten Fahrtkosten teilwei-
se erstattet werden könnten; Kosten für die Taxifahrt am 26.04.2007 könnten je—
doch nicht übernommen werden, da die diesbezügliche Behandlung bei Dr. S
nicht im Zusammenhang mit der Dialyse gestanden hätte.

Dagegen legte der Kläger mit Schriftsatz vom 15.05.2007 Widerspruch ein, wobei
er ausführte, dass die Praxis Dr. S und Dr. P wegen der Praxiszeiten
nur an einem dialysefreien Tag aufgesucht werden könne, wodurch zusätzliche
Fahrkosten anfallen würden. Zugleich beantragte er, die Leistung als vorläufige
Leistung gemäß § 43 SGB l zu erbringen.

Mit Bescheid vom 24.05.2007 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass
kein anderer Leistungsträger für die begehrte Leistung zuständig sei, weswegen §
43 SGB I nicht einschlägig sei.

Mit Schreiben vom 07.07.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstat-
tung von im Juni 2007 angefallenen Fahrtkosten, wobei er auch einen Antrag auf
vorläufige Leistungsgewährung nach § 43 SGB I stellte.

- 3 - S 2 KR 296/08

Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22.08.2007 mit, dass
im Falle des Klägers nur die Fahrten im Zusammenhang mit der Dialyse erstat—
tungsfähig seien; angesichts dessen könnten die Krankenfahrten am 26.04.2007
und 28.06.2007 zur ambulanten Behandlung nicht erstattet werden.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 04.09.2007 Widerspruch ein. Zur
Begründung führte er aus, dass er aufgrund seiner Gesundheitsstörungen auch zu
den übrigen Behandlungsmaßnahmen und Kontrolluntersuchungen außerhalb der
Dialyse aus zwingenden medizinischen Gründe nur per Taxi erscheinen könne,
wobei er eine entsprechende ärztliche Bescheinigung von Dr. L vom
07.09.2007 und ein ärztliches Attest von Dr. S vom 18.09.2007 beifügte.

Der seitens der Beklagten befasste Medizinische Dienst der Krankenversicherung
(MDK) führte in zwei Stellungnahmen nach Aktenlage vom 13.11.2007 und
27.11.2007 aus, dass beim Kläger zwar die Mobilität beeinträchtigt sei, allerdings
keine hohe Behandlungsfrequenz von dreimal pro Woche vorliegen würde, wes-
wegen die Voraussetzungen für die Kostenerstattung der Fahrtkosten durch die
gesetzliche Krankenversicherung nicht erfüllt seien. Darüber hinaus läge beim
Kläger keine vergleichbare Beeinträchtigung der Mobilität analog den Merkzeichen
"aG, "Bl ", "H" bzw. der Pflegestufen ll oder lll und keine Behandlung über einen
längeren Zeitraum vor.

Dementsprechend wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Wider-
spruchsbescheid vom 05.02.2008 unter Bezugnahme auf diese Ausführungen zu-
rück.

Gegen den Widerspruchsbescheid wurde seitens des Klägers kein Rechtsbehelf
eingelegt.

Mit Klage vom 18.10.2008, beim Sozialgericht Regensburg am 20.10.2008 einge-
gangen, hat der Kläger Untätigkeitsklage gegen die Beklagte der Gestalt erhoben,
dass die Beklagte zu verurteilen sei, unverzüglich zu bescheiden, ob und warum.
dem Kläger die in seinem Schreiben vom 15.05.2007 nach 5. 43 Abs. 1 SGB l be-
antragte Leistung gewährt beziehungsweise versagt wird. Zudem hat er einen An-

- 4 - S 2 KR 296/08

trag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt, der mittels Beschluss des
Sozialgerichts Regensburg vom 09.09.2009 abgelehnt wurde und die dagegen
eingelegte Beschwerde durch Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 09.11.2009 zurückgewiesen wurde.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, unverzüglich zu bescheiden, ob und warum dem
Kläger die in seinem Schreiben vom 15.05.2007 nach § 43 Abs. 1 SGB I be-
antragte Leistung gewährt bzw. versagt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass über den entsprechenden Antrag des
Klägers auf Erstattung von Fahrtkosten längst - und zwar noch vor Erhebung der
Untätigkeitsklage - entschieden worden sei. Soweit der Kläger eine Auseinander-
setzung mit der Vorschrift des § 43 SGB I vermisse, beziehe er sich auf sein Wi-
derspruchsschreiben vom 15.05.2007. Die hiesige Klage sei als unzulässig zu-
rückzuweisen.

Mit Schreiben vom 25.11.2009 hat das Gericht die Beteiligten zu der Absicht an—
gehört, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu
entscheiden und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11.12.2009 eingeräumt,
womit sich die Beklagte mit Schreiben vom 30.11.2009 und der Kläger mit Schrei-
ben vom 07.12.2009 einverstanden erklärt haben.

Das Gericht hat die Beklagtenakte sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers

- 5 - S 2 KR 296/08

vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ferner die Akten des Sozialgerichts
Regensburg S 2KR 284/08, S 2 KR 175/09, S 2 KR 379/08 und S 2 KR 264/08
zum Verfahren beigezogen, auf deren Inhalt im Übrigen ergänzend Bezug ge—
nommen wird.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschei-
den, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher hier—
zu gehört wurden (vgl. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die durch den Kläger mit Schriftsatz vom 18.10.2008 erhobene Untätigkeitsklage
ist unzulässig.

Die vorliegenden Anträge des Klägers vom 08.05.2007 und 07.07.2007 auf Über-
nahme der geltend gemachten Fahrtkosten hat die Beklagte mit Bescheiden vom
08.05.2007 und 22.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.02.2008 abgelehnt. Darüber hinaus hat die Beklagte dem Kläger mit Bescheid
vom 24.05.2007 mitgeteilt, dass auch kein anderer Leistungsträger für die begehr-
te Übernahme der Fahrtkosten zuständig sei, weswegen eine Leistungsgewäh—
rung nach § 43 SGB l ausscheide.

Vorliegend hat die Beklagte zur Überzeugung des Gerichts über die Anträge des
Klägers vom 08.05.2007 und 07.07.2007, durch die Bescheide vom 08.05.2007,
24.05.2007 und 22.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.02.2008 bestandskräftig entschieden, da gegen den Widerspruchsbescheid
vom 05.02.2008 keine Klage bzw. verspätet - d.h. außerhalb der Monatsfrist des §
87 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz — eingelegt wurde. Für eine Untätigkeitsklage
des Klägers (wie hier mit Klageschriftsatz vom 18.10.2008 begehrt) ist daher kein
Raum, da über die 2 Anträge des Klägers vom 08.05.2007 und 07.07.2007 auf
Vornahme eines Verwaltungsaktes mit den o.g. Verwaltungsakten sachlich be—
schieden worden ist. Die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage nach § 88
SGG sind daher nicht gegeben, so dass die vorliegende Klage abzuweisen ist.

— 6 — S 2 KR 296/08

Sofern der Kläger vorträgt, dass über seinen Antrag nach § 43 SGB I (mit Wider-
spruchsschreiben vom 15.05.2007 und Antrag vom 07.07.2007) nicht entschieden
worden sei, ist auszuführen, dass die Beklagte mit Bescheid vom 24.05.2007 dem
Kläger mitgeteilt hat,dass kein anderer Leistungsträger für die begehrte Leistung
zuständig sei, so dass die Voraussetzungen des § 43 SGB I nicht vorliegen. Damit
hat die Beklagte aber gerade auch — entgegen den Ausführungen des Klägers - zu
§ 43 SGB I Stellung bezogen. Darüber hinaus hat sie durch die genannten Be-
scheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2008 zum Aus-
druck gebracht, dass kein Anspruch auf die begehrte Sozialleistung "Fahrtkosten"
besteht. Ferner handelt es sich bei § 43 Abs. 1 SGB I auch nicht um eine An-
spruchsgrundlage, auf die der Kläger sein Klagebegehren stützen kann, sondern
lediglich um eine Regelung der Gestalt, wer zur vorläufigen Leistungsgewährung
verpflichtet ist, wenn ein Anspruch auf Sozialleistung besteht und zwischen meh—
reren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist. Vorliegend sind
diese Voraussetzungen schon deshalb nicht erfüllt, da die Beklagte unstreitig für
Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung zuständig ist, während demgegenüber
für diesen Regelungsbereich eine Zuständigkeit eines anderen Sozialleistungsträ-
gers nicht gegeben ist. Ihre entsprechende Zuständigkeit hat die Beklagte auch
durch die oben genannten Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 05.02.2008 und zudem durch den Bescheid vom 24.05.2007 zum Ausdruck
gebracht. Eine Untätigkeit der Beklagten im Sinne des § 88 SGG vermag das Ge—
richt vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen. Für den Kläger war durch die Be—
scheide vom 08.05.2007, 24.05.2007 und 22.08.2007 in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheides vom 05.02.2008 eindeutig erkennbar, dass die Beklagte für
die begehrte Leistung (Übernahme beziehungsweise Erstattung der Fahrtkosten)
der zuständige Leistungsträger ist.

Die Klage ist daher als unzulässig abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der
Sache.

- 7 - S 2 KR 296/08

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids
beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der
Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2,97421 Schweinfurt,
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstel—
Ie einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim
Sozialgericht Regensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder
mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt
wird.

Die Berufungsschrift soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen
bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden
Tatsachen und Beweismittel angeben.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die
übrigen Beteiligten beigefügt werden.

G
Richterin am Sozialgericht
/K.

Ausgefertigt Beglaubigt
Sozialgericht Regensburg


als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

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L 5 KR 131/10 vom 28.06.2011

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Sonntag, 17. Mai 2015
LSG BAY, L 5 KR 382/09 B PKH vom 09.09.2009, Bayerisches Landessozialgericht
L 5 KR 382/09 B PKH
S 2 KR 379/08

BAYERISCHES LANDESSOZIALGERICHT

ln dem Beschwerdeverfahren

- Kläger und Beschwerdeführer -

gegen

-Krankenkasse,

- Beklagte und Beschwerdegegnerin —

wegen Prozesskostenhilfe

erlässt der 5. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in München

am 9. November 2009

ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialge—
richt M sowie den Richter am Bayer. Landessozialgericht R und die Richterin
am Bayer. Landessozialgericht K folgenden

Beschluss:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regens—
burg vom 09.09.2009 wird zurückgewiesen.

- 2 — L 5 KR 382/09 B PKH

Der Kläger begehrt in der Hauptsache eine vorherige Genehmigung für alle Fahrtkosten,
die bei Fahrten zu seinen ambulanten Behandlungen anfallen. Insoweit hat der Kläger am
16.12.2008 Prozesskostenhilfe beantragt. Diese hat das Sozialgericht mit Beschluss vom
09.09.2009 mangels Erfolgsaussicht abgelehnt.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, gem §§ 172, 173, 73a So-
zialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 127 Abs 2 S 2 Zivilprozessordnung (ZPO), aber unbe-
gründet.

Wie aus dem Beschluss des Senates vom 07.10.2009 - L 5 KR 9/09 B PKH und den dor-
tigen weiteren Nachweisen ersichtlich ist, besteht für den Kläger die grundsätzliche Be-
rechtigung, durch die DGB Rechtsschutz GmbH Regensburg, Richard—Wagner—Str. 2,
93055 Regensburgin sozialgerichtlichen Verfahren vertreten zu werden. Diese Berechti-
gung genügt, um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (BSG SozR 3—1500
§ 73a Nr. 4). Denn hätte ein mittelloses Gewerkschaftsmitglied die Wahl zwischen kosten—
losem gewerkschaftlichem Rechtsschutz und der Beiordnung eines frei gewählten
Rechtsanwaltes, so stünde es besser als ein Beteiligter, der über genügend Mittel zur
Prozessführung durch einen Rechtsanwalt Verfügt. Dieser Beteiligte würde in aller Regel
verständigerweise aus wirtschaftlichen Gründen das Kostenrisiko meiden und sich regel-
mäßig für kostenlosen Rechtsschutz durch einen Verbandsvertreter entscheiden. Es be-
steht deshalb kein Grund, dem finanziell minderbemittelten Beteiligten aus staatlichen Mit-
teln die Wahlfreiheit zu finanzieren, die der bemittelte Beteiligte verständigerweise nicht in
Anspruch nähme.

Die Beschwerde des Klägers bleibt somit allein aus diesem Grund ohne Erfolg.

—3— L 5 KR 382/09 B PKH

Nach § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

Eine Kostenentscheidung ist daher nicht erforderlich.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

N K R

Faksimile 1 2 3

Hauptverfahren S 2 KR 379/08

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SG LA, S 1O SO 13/08 vom 23.04.2009, Sozialgerichte Landshut
S 10 SO 13/08

SOZIALGERICHT LANDSHUT
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

in dem Rechtsstreit

A.‚ A-Straße, A-Stadt
— Kläger —

gegen

Bezirk Niederbayern, Sozialverwaltung‚ vertreten durch den Bezirkstagspräsidenten
Gestütstraße 10, 84028 Landshut
— Beklagte -

B e i g e l a d e n :

1. Landkreis Passau, -—Sozialverwaltung—‚

— Beigeladener -

2. DAK

— Beigeladene -

Streitigkeiten nach dem SGB Xll (Sozialhilfe)

Die 10. Kammer des Sozialgerichts Landshut hat auf die mündliche Verhandlung in
Passau

am 23. April 2009
durch den Richter am Sozialgericht B als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen
Richter S und M
für Recht erkannt:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

—2— S10 SO 13/08

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob dem Kläger gegen den Beklagten ein Anspruch auf
Übernahme von Betriebskosten für sein Kraftfahrzeug in Höhe von monatlich 50,00 Euro
als Leistung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zusteht.

Der 1934 geborene Kläger ist schwerbehindert. Nach dem Schwerbehindertenausweis
vom 01.07.2005 betrug der Grad der Behinderung 80; außerdem sind die Merkzeichen G,
aG und B eingetragen (Bl. 7 der Beklagtenakte). Er lebt mit seiner 1941 geborenen Ehe-
frau zusammen; beide beziehen Altersrenten und ergänzende Leistungen der Grundsi-
cherung im Alter von dem Beigeladenen zu 1. (Bl. 11 — 15, 77 — 80 der Beklagtenakte).

Am 23.10.2006 beantragte der Kläger bei dem Beklagten einen Zuschuss zu den monatli-
chen Betriebskosten seines Kraftfahrzeugs. Er legte die Kopie des Fahrzeugscheins vor;
aus dieser ergibt sich, dass es sich um einen PKW der Marke Mazda handelt, der erst-
mals 1996 zugelassen wurde (Bl. 10 der Beklagtenakte). Der Beklagte holte eine Stel-
lungnahme des Landratsamtes Passau — Gesundheitsamt - ein. Dieses teilteunter dem
08.11.2006 mit, der Kläger habe 1998 eine Kniescheibenfraktur rechts erlitten. Als Folge
sei eine vollkommene Versteifung des rechten Kniegelenks in Streckhaltung aufgetreten.
Er benutze außer Haus zwei Gehstöcke, mit denen er nur kurze Wegstrecken zurückle-
gen könne. Die Ehefrau des Klägers leide an intermittierendem Asthma bronchiale. Des-
wegen könne sie nicht über längere Strecken schwer heben und tragen. Sie besitze kei-
nen Führerschein. Beide Eheleute seien auf die regelmäßige Benutzung und Verfügbar-
keit eines Kraftfahrzeugs angewiesen. Dieses werde in erster Linie für Einkaufsfahrten
sowie für Arztbesuche und Krankengymnastiktermine venNendet. Zusätzlich dienten die
Fahrten der Aufrechterhaltung des sozialen Lebens (Bl. 30 f. der Beklagtenakte).

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 13.02.2007 ab. Der Kläger sei wegen
Art und Schwere seiner Behinderung zum Zweck seiner Teilnahmeam Leben in der Ge-
meinschaft gelegentlich auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen. Überwie-
gend und vorrangig werde das Kraftfahrzeug jedoch für Arzt-‚ Therapie- und Einkaufsfahr-
ten genutzt. Diese Lebensbereiche seien im Rahmen der Kraftfahrzeughilfe für Schwer-
behinderte nicht berücksichtigungsfähig (Bl. 35 f. der Beklagtenakte).

-3- S 10 SO 13/08

l\/lit Schreiben vom 15.02.2007, bei dem Beklagten eingegangen am 16.02.2007, erhob
der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 13.02.2007 (Bl. 37 der Beklagtenakte).
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger benötige das Fahrzeug auch regelmäßig
für Fahrten im Zusammenhang mit Freizeitaktivitäten. Diese nähmen seine Ehefrau und
er 10 - 12 mal im Monat wahr. Ab 24.04.2007 sei ihm ein Grad der Behinderung von 100
zugebilligt worden (Bl. 47 f, 58 und 60 der Beklagtenakte).

Die Regierung von Niederbayern wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
04.02.2008 zurück. Auf die Begründung des Widerspruchsbescheides wird verwiesen.

Am 26.02.2008 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Landshut. Er benötige sein
Kraftfahrzeug ständig in allen Lebensbereichen. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel
sei ihm nicht zuzumuten. Den Sonderfahrdienst für Behinderte könneer nicht in Anspruch
nehmen, weil dieser nur für Personen zur Verfügung stehe, die kein eigenes Fahrzeug
besäßen. In der mündlichen Verhandlung am 23.04.2009 stellte der Kläger folgenden
Antrag:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 13.02.2007 und des Wi-
derspruchsbescheides vom 04.02.2008 verurteilt, Betriebskosten des Kraftfahrzeugs
des Klägers in Höhe von monatlich 50,00 Euro zu übernehmen.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Er verteidigte die angegriffenen Bescheide und führte aus, Kosten für Arzt- und Therapie-
fahrten fielen in die vorrangige Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2. als zuständiger
Krankenkasse. Auch Einkaufsfahrten seien nicht berücksichtigungsfähig, weil diesbezüg-
liche Leistungen der Grundsicherung im Alter zuzuordnen seien, für die der Beigeladene
zu 1. zuständig sei. Der Kläger benötige sein Fahrzeug daher allenfalls gelegentlich, z. B.
für Besuchsfahrten und für Fahrten zu Veranstaltungen. Nach den Kfz- Empfehlungen sei
damit allenfalls die Bezuschussung eines notwendigen behindertengerechten Umbaus

eines Kraftfahrzeugs bzw. ein Zuschuss für die Kosten eines Automatikgetriebes möglich.

-4- S 1O SO 13/08

In der mündlichen Verhandlung am 23.04.2009 erklärte der Vertreter des Beigeladenen
zu 1., der Kläger und seine Ehefrau erhielten gegenwärtig auf der Grundlage von 5 28
Abs. 1 Satz 2 SGB Xll einen Aufstockungsbetrag in Höhe von monatlich insgesamt 31,00
Euro. Dieser Betrag sei für eine Haushaltshilfe im Umfang von vier Stunden pro Monat zu
je 7,75 Euro bestimmt. Jeweils die Hälfte des Betrages werde dem Kläger und seiner
Ehefrau zugerechnet. Der Kläger habe einen Antrag auf Erhöhung dieses Betrages ge-
stellt; der Beigeladene zu 1. sei bereit, den gegenwärtig gewährten Aufstockungsbetrag
zu verdoppeln. Der Fahrdienst für Behinderte könne in der Tat nur in Anspruch genom-
men werden, wenn im Haushalt kein fahrbereites Fahrzeug vorhanden sei oder wenn
niemand im Haushalt in der Lage sei, ein Fahrzeug zu führen. Im Übrigen wird auf die
Niederschrift vom 23.04.2009 verwiesen.

Am 27.03.2008 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Übernahme von Kosten für
die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs sowie für notwendige Reparaturen und ggf. Aus-
tauschteile (BI. 104 der Beklagtenakte). Der Beklagte teilte dem Kläger unter dem
31.03.2008 und nochmals unter dem 10.06.2008 mit, über diese Anträge werde erst nach
Abschluss des vorliegenden Klageverfahrens entschieden (BI. 108, 117 der Beklagtenak-
te).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die bei-
gezogene Akte des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers sind die §§ 53 Abs. 1 Satz 1 und
54 Abs. 1 Satz 1 SGB Xll i.V.m. § 10 Abs. 6 EinglH-VO heranzuziehen. Diese Vorschrif-
ten regeln die hierin Betracht kommende Eingliederungshilfe für behinderte Menschen.
Der Kläger gehört zu diesem Personenkreis; entgegenstehende Anhaltspunkte sind nicht
ersichtlich und wurden auch von dem Beklagten nicht vorgetragen.

-5- S 10 SO 13/08

Einschlägig ist damit § 10 Abs. 6 EingIH-VO. Diese Verordnung beruht auf der Verord-
nungsermächtigung in § 60 SGB XII, wonach u.a. Bestimmungen über Art und Umfang
der Leistungen der Eingliederungshilfe durch Verordnung erlassen werden können. § 10
EingIH-VO regelt den Umfang der Versorgung mit Körperersatzstücken, orthopädischen
oder anderen Hilfsmitteln. Nach § 10 Abs. 6 EingIH-VO kann als Versorgung Hilfe in an-
gemessenem Umfange auch zur Erlangung der Fahrerlaubnis, zur Instandhaltung sowie
durch Übernahme von Betriebskosten eines Kraftfahrzeuges gewährt werden, wenn der
behinderte Mensch wegen seiner Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines
Kraftfahrzeuges angewiesen ist oder angewiesen sein wird.

Vorliegend sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 6 EingIH-VO nicht
gegeben. Der Kläger bedarf nicht der regelmäßigen Benutzung eines Kraftfahrzeugs.

1. Das Tatbestandsmerkmal „regelmäßig“ in § 10 Abs. 6 EingIH-VO entspricht in seiner
Bedeutung dem Tatbestandsmerkmal „insbesondere zur Teilnahme am Arbeitsle-
ben“ in 5 8 Abs. 1 Satz 2 EingIH-VO. Das Bundesverwaltungsgericht hat zum Ver-
hältnis der beiden Vorschriften folgendes ausgeführt (Urteil vom 20.07.2000, 5 C
43/99, juris Rn. 15):

„Hinsichtlich des Eingliederungszweckes wird in 5 8 Abs. 1 Satz 2 EinglH—
VO durch die Verwendung des Tatbestandsmerkmals "vor allem in das Ar-
beitsleben" deutlich gemacht, dass hierin der vom Gesetz vorgesehene
Schwerpunkt der Versorgung mit einem Kraftfahrzeug liegt. Sind damit an-
dere Gründe zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, so müssen sie je-
doch mindestens vergleichbar gewichtig sein. Dazu gehört — wie derSenat
aus der Bezeichnung des Hauptzwecks geschlossen hat — auch, dass die
Notwendigkeit der Benutzung ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich
besteht (Urteil vom 27. Oktober 1977 - BVerwG 5 C 15.77 — BverwGE 55,
31, <33> = Buchholz 436.0 5 40 BSHG Nr. 8 S. 15). In 5 8 Abs. 1 Satz 2
EinglH— VO F. 1964 hieß es nämlich: "wenn er (der Behinderte) wegen sei-
ner Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeuges
angewiesen ist". In derjetzt geltenden Fassung des § 8 Abs. 1 Satz 2
EingIH-VO, die er durch die Zweite Änderungsverordnung vom 28. Mai
1971 (BGBI l S. 728) erhalten hat, fehlt zwar das Wort "regelmäßige". Auch
wenn es in der Begründung der Bundesregierung heißt, die Neufassung
bedeute insgesamt eine gewisse Besserstellung des Behinderten, sollte mit

-6- S 10 SO 13/08

dem Weglassen des Tatbestandsmerkmals "regelmäßige" nicht zum Aus-
druck gebracht werden, dass eine nur vereinzelt und gelegentlich beste-
hende Notwendigkeit der Benutzung ausreichen sollte. Denn zu § 10 Abs.
6 EinglH—VO in seiner Fassung durch die Zweite Änderungsverordnung
1971, die dort das Tatbestandsmerkmal "regelmäßige" eingeführt hat, heißt
es in der Begründung der Bundesregierung (BRDrucks 127/71 Begründung
zu Nr. 11 S. 11): wird die Anpassung der Bestimmung insoweit an die
für die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges geltende Regelung in 5
8 Abs. 1 vorgeschlagen." Was der Senat in BVerwGE 55, 31, 33 dahin for-
muliert hat, dass die Notwendigkeit der Benutzung ständig, nicht nur ver-
einzelt und gelegentlich, bestehen muss, hat der Verordnungsgeber in § 10
Abs. 6 EinglH—VO dahin ausgedrückt, dass der Behinderte wegen seiner
Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeuges ange-
wiesen ist.“

Entsprechende Ausführungen finden sich auch in dem Urteil des Bayer. VGH vom
26.07.2004 (12 B 03.2723, juris Rn. 26). Anhaltspunkte dafür, dass diese Recht-
sprechung durch zwischenzeitliche Änderungen der EinglH—VO obsolet geworden
wäre, sind nicht ersichtlich. Die Kammer schließt sich ihr nach eigener Prüfung in
vollem Umfang an.

Soweit die Hilfe — wie vorliegend — zu anderen Zwecken als der beruflichen Einglie-
derung beantragt wird, müssten diese Gründe also mindestens vergleichbar gewich-
tig sein. Dazu gehört auch, dass die Notwendigkeit der Benutzung eines Kraftfahr-
zeugs ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich besteht (Bayer. LSG, Beschluss
vom 22.09.2008, L 8 B 684/08 SO ER, juris Rn. 9; BVerwG, a.a.O.; Bayer. VGH,
a.a.O. sowie Beschluss vom 24.02.2000, 12 ZB 00.219, juris Rn. 3).

Bei der Prüfung der Frage, in welchem Umfang der Kläger ein Kraftfahrzeug benö-
tigt, haben Fahrten zu Ärzten und zu ärztlich verordneter und verantworteterKran—
kengymnastik außer Betracht zu bleiben. Insoweit ist der Kläger auf die vorrangigen
Leistungen der Beigeladenen zu 2. als zuständiger Krankenversicherung zu ven/vei-
sen. Diese gewährt auf Antrag Leistungen nach § 60 SGB V.

-7- S 10 SO 13/08

Hilfe, die wegen erforderlicher Einkäufe notwendig ist, ist Bestandteil der Grundsi-
cherung im Alter (vgl. Bayer. VGH, Beschluss vom 24.02.2000, 12 ZB 00.219,juris
Rn. 5 m.w.N., zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG; durch die Einführung
des SGB XII ist keine sachliche Änderung eingetreten). Bei einer solchen Hilfe muss
es sich im Übrigen nicht notwendig um die (teilweise) Übernahme von Betriebskos-
ten eines Kraftfahrzeugs handeln (Bayer. VGH, a.a.O.). In Betracht kommt alternativ
insbesondere die Bezahlung einer Haushaltshilfe (vgl. Bayer. VGH, Urteil vom
13.12.1996, 12 B 94.4117, juris Rn. 24). Der insoweit zuständige Beigeladene zu 1.
gewährt tatsächlich entsprechende Leistungen auf der Grundlage von § 28 Abs. 1
Satz 2 SGB XII; in der mündlichen Verhandlung am 23.04.2009 hat er ihre Verdopp-
lung zugesagt. Anhaltspunkte dafür, dass diese Leistungen — auch in der bisherigen
Höhe — für die Sicherstellung der erforderlichen Einkäufe nicht ausgereicht hätten,
sind nicht ersichtlich.

Soweit der Kläger Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Le—
ben im Sinne von § 58 SGB IX begehrt, liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte
dafür vor, dass er deswegen ständig, nicht nur vereinzelt und gelegentlich, auf die
Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen wäre. Er selbst hat vorgetragen, seine
Ehefrau und er nähmen ca. 10 - 12 mal monatlich an Freizeitaktivitäten teil (Bl. 58
der Beklagtenakte). Dieser Umfang bleibt deutlich hinter demjenigen zurück, der bei
einer Teilhabe am Arbeitsleben entstehen würde. Damit ist der Zweck der Teilhabe
am gesellschaftlichen und kulturellen Leben im vorliegenden Fall erheblich weniger
gewichtig als es der Zweck der Teilhabe am Arbeitsleben wäre; er reicht für sich al-
lein zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs nicht aus (so. unter 2.).
Eine nähere Prüfung des Freizeitverhaltens des Klägers kann unter diesen Umstän-
den unterbleiben. Gleichwohl weist das Gericht in diesem Zusammenhang noch auf
zwei Aspekte hin:

a) Der Kläger hat keine konkreten Angaben zum Inhalt der von seiner Ehefrau
und ihm selbst verfolgten Freizeitinteressen gemacht. Er hat insoweit aus-
schließlich in allgemeiner Form auf Zeitungen bzw. Zeitschriften und Prospekte
Bezug genommen (Bl. 58 der Beklagtenakte). Dies spricht nach Einschätzung
der Kammer dagegen, dass ausgeprägte Gewohnheiten oder Interessen be-
stehen, die einen nachvollziehbaren Bedarf begründen könnten.

—8- S 10 SO 13/08

b) Der Kläger lebt in A-Stadt, von wo aus viele Freizeitangebote auch für gesunde
Menschen kaum ohne Kraftfahrzeug erreicht werden können. Erschwernisse,
unter denen alle Bewohner seines Wohnortes zu leiden haben, bestehen nicht

wegen der Behinderung des Klägers und können daher nicht im Wege der

Eingliederungshilfe ausgeglichen werden (Bayer. VGH, Beschluss vom
24.02.2000, 12 ZB 00.219, juris Rn. 4).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

—9- S 10 SO 13/08

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialge-
richt‚'Ludwigstr. 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts,
Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht
Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten
und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

B

Ausgefertigt — Beglaubigt
Sozialgericht Landshut

Landshut, den

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

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Mittwoch, 13. Mai 2015
LSG BAY, L 5 KR 383/09 B PKH vom 09.11.2009, Bayerisches Landessozialgericht
L 5 KR 383/09 B PKH
S 2 KR 175/09

BAYERISCHES LANDESSOZIALGERICHT

In dem Beschwerdeverfahren

— Kläger und Beschwerdeführer -
gegen

—Krankenkasse‚


- Beklagte und Beschwerdegegnerin —

wegen Prozesskostenhilfe

erlässt der 5. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in München

am 9. November 2009

ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialge-
richt Mayer sowie den Richter am Bayer. Landessozialgericht Rittweger und die Richterin

am Bayer. Landessozialgericht Körner folgenden

Beschluss:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regens—
-burg vom 09.09.2009. wird zurückgewiesen.

- 2 — - L 5 KR 383/09 B PKH

Gründe:

Der Kläger begehrt in der Hauptsache Erstattung aller Kosten, die bei Fahrten zu medizi—
nischen Behandlungen anfallen und die reinen Fahrtkosten hinausgehen. lnsoweit hat der
Kläger am 08.10.2008 Prozesskostenhilfe beantragt. Diese hat das Sozialgericht mit Be—
schluss vom 09.09.2009 mangels Erfolgsaussicht abgelehnt.

Die form— und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, gem §§ 172, 173, 73a So—
zialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 127 Abs 2 S 2 Zivilprozessordnung (ZPO), aber unbe—
gründet.

Wie aus dem Beschluss des Senates vom 07.10.2009 - L 5 KR 9/09 B PKH und den dor-
tigen weiteren Nachweisen ersichtlich ist, besteht für den Kläger die grundsätzliche Be-
rechtigung, durch die DGB Rechtsschutz GmbH Regensburg, Richard-Wagner-Str. 2,
93055 Regensburg in sozialgerichtlichen Verfahren vertreten zu werden. Diese Berechti— ‘
gung genügt, um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (BSG SozR 3—1500
§ 73a Nr. 4). Denn hätte ein mittelloses Gewerkschaftsmitglied die Wahl zwischen kosten-
losem gewerkschaftlichem Rechtsschutz und der Beiordnung eines frei gewählten
Rechtsanwaltes, so stünde es besser als ein Beteiligter, der über genügend Mittel zur
Prozeßführung durch einen Rechtsanwalt verfügt. Dieser Beteiligte würde in aller Regel
verständigerweise aus wirtschaftlichen Gründen das Kostenrisiko meiden und sich regel—
mäßig für kostenlosen Rechtsschutz durch einen Verbandsvertreter entscheiden. Es be—
steht deshalb kein Grund, dem finanziell minderbemittelten Beteiligten aus staatlichen Mit—
teln die Wahlfreiheit zu finanzieren, die der bemittelte Beteiligte verständigerweise nicht in
Anspruch nähme.

Die Beschwerde des Klägers bleibt somit allein aus diesem Grund ohne Erfolg. Dieser
Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

1 2

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SG R, S 2 KR 175/09 vom 09.09.2009, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 175/09

SOZIALGERICHT REGENSBURG

In dem Rechtsstreit

- Kläger -
Proz.-Bev.:

gegen

—Krankenkasse

- Beklagte -

erlässt die Vorsitzende der 2. Kammer, Richterin am Sozialgericht Gmati, ohne
mündliche Verhandlung am 9. September 2009 folgenden

Beschluss:

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
- 2 — S 2 KR 175/09

Gründe:

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seinen Rechtsstreit gegen die Beklagte.
Streitgegenstand des zu Grunde liegenden Rechtsstreites ist, ob der Kläger von
der Beklagten über die erforderlichen Fahrtkosten hinaus die Erstattung für die
sonstigen Kosten, die ihm im Rahmen des Aufsuchens von Ärzten anfallen (unter
anderem Umkreisungskosten, Autowärmekosten, Zubringerkosten), verlangen
kann.

Mit Schreiben vom 03.12.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die ihm
im Rahmen des Aufsuchens von Ärzten anfallenden Umkreisungskosten, Auto—
wärmekosten und Zubringerkosten jetzt und in Zukunft zu erstatten, sowie ihm ei—
ne entsprechende vorherige Genehmigung diesbezüglich zu erteilen sei. Ferner
beantragte er, dass das Vorliegen einer Ausnahme von der Regel des § 3 Abs. 2
S. 1 der Krankentransportrichtlinien festgestellt werde. Zudem beantragte er die
Erstattung der gegebenenfalls anfallenden Reststrecke per Taxi, wenn er sein Au-
to weit entfernt vom Behandlungsort abstellen müsse. Darüber hinaus wurden von
ihm die Kosten für den Einbau und den Betrieb einer Standheizung für alle in Fra-
ge kommenden Fahrzeuge beantragt. Zudem wurde vorläufige Leistungsgewäh-
rung gemäß § 43 SGB I und Vorauszahlung gemäß § 42 SGB I beantragt.

Mit Bescheid vom 18.12.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine ent-
sprechende Erstattung nicht möglich sei, da es sich bei den begehrten Kosten
nicht um Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung handele.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vorn 25.12.2008 Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2009 wies die Beklagte den Widerspruch
mit der Begründung zurück, dass die begehrte Kostenübernahme nach den ge-
setzlichen Bestimmungen nicht möglich sei. Insbesondere sei eine Verrechnung

-3- S 2 KR 175/09

ersparter Aufwendungen (die durch eine Taxifahrt anfallen würden) nicht möglich,
da für eine Taxifahrt andere medizinische Indikationen gegeben sein müssten.
Andernfalls könnte auch die krankenversicherungsrechtliche Beschränkung auf
eine bestimmte Form der Leistungserbringung durch den Anspruch auf teilweise
Kostenerstattung ohne Weiteres durchbrochen werden. Es sei auch keine Leis-
tungsgewährung nach 5 43 SGB l möglich, da die Beklagte für die Leistungsge-
währung von Fahrtkosten zur ambulanten und stationären Behandlung zuständig
sei. Darüber hinaus handele es sich bei der beantragten Umkreisungs-, Autowär-
me- und Zubringerkosten um keine Sozialleistungen.

Dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23.05.2009, beim Sozialgericht Re—
gensburg am 25.05.2009 eingegangen, Klage erhoben und einen Antrag auf Ge—
währung von Prozesskostenhilfe gestellt. Nach seiner Auffassung sei für die be-
gehrte Leistung nicht § 60 SGB V, sondern § 11 SGB V insbesondere Abs. 1
Nummer 2, 3 und 4 maßgebend. Als Prozessbevollmächtigter sei ihm Herr ...
beizuordnen.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Widerspruchsbe—
scheid beantragt, den Antrag abzulehnen.

Das Gericht hat die Beklagtenakte, sowie die Schwerbehindertenakten des Klä—
gers vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ferner die Akten des Sozialge—
richts Regensburg S 2 KR 296/08, S 2 KR 379/08, S 2 KR 264/08 und S 2 KR
284/08 beigezogen, auf deren Inhalt im Übrigen ergänzend Bezug genommen
wird.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

- 4 - S 2 KR 175/09

Nach § 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114S. 1
Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil
oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die, beab-
sichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Er-
folg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Vorliegend scheidet die Gewährung von Prozesskostenhilfe schon deshalb aus,
weildie Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, da für die Rechtsverfol—
gung nicht einmal eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit besteht, so dass es auf
die weiteren Voraussetzungen nicht ankommt. ln dem Zusammenhang hat die
Kammer auch verfassungsrechtliche Vorgaben (vorallem das Verbot überspann-
ter Anforderungen um eine Rechtsschutzgleichheit zwischen bemittelten und un-
bemittelten Klägern zu gewährleisten (Art. 3, 19 IV, 20 lll (3(3)) berücksichtigt, da
die hier vorliegende Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung ohne
Schwierigkeiten beantwortet werden kann (vergleiche dazu Bundesverfassungs—
gericht, Beschluss vom 14.06.2006, Aktenzeichen 2 BVR 626/06) und eine Be-
weiserhebung nicht notwendig ist (vgl. Meyer—Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG,
9. Aufl., § 73 a Rn. 7a).

Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Abs. 2 und 3
die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach 133 (Fahrkosten),
wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingen—
den medizinischen Gründen notwendig sind.

Schon aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 S. 1 und der diesbezüglichen Legaldefi-
nition ergibt sich eindeutig, dass von der Krankenkasse ausschließlich die Kosten
für "Fahrten" zu übernehmen sind. Eine Übernahme der begehrten Umkreisungs—
kosten, Autowärmekosten und Zubringerkosten, sowie die Übernahme der gege—
benenfalls erforderlichen Reststrecke per Taxi und die Übernahme der Kosten für
den Einbau und den Betrieb einer Standheizung für alle in Frage kommenden
FahrzeUge scheidet daher schon nach dem eindeutigen Wortlaut der Anspruchs-
norm aus.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf Übernahme der geltend

gemachten Kosten auf § 11 SGB V stützen will, kommt eine entsprechende Über—

-5- S 2 KR 175/09

nahme auch insoweit nicht in Betracht, da es sich bei § 11 SGB V nicht um eine
Anspruchsgrundlage handelt. Vielmehr ist in § 11 Abs. 1 ausdrücklich ausgeführt,
dass Versicherte "nach den folgenden Vorschriften" Anspruch auf Leistungen ha-
ben. Die erforderlichen Vorschriften sind in dem Zusammenhang die Paragraphen
20 ff auf die in § 11 Abs. 1 Bezug genommen wird. In allen diesen Vorschriften
wird ein entsprechender Anspruch auf Übernahme der geltend gemachten Kosten
nicht genannt und lässt sich auch sonst nicht daraus ableiten.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf § 43 Abs. 1 S. 2 SGB l
stützt, ist ein entsprechender Anspruch auf "Sozialleistungen" weder gegen die
Beklagte noch gegen einen sonstigen Leistungsträger gegeben. Was in dem Zu-
sammenhang unter Sozialleistungen zu verstehen ist, lässt sich aus § 11, §§ 18 ff
SGB I entnehmen. Wie die Beklagte richtig ausgeführt hat, ist für die im Rahmen
der Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung anfallenden Fahrtkosten die Kran-
kenkasse der zuständige Leistungsträger. Ein entsprechender Anspruch lässt sich
einzig auf § 60 SGB V stützen. Die diesbezüglichen Voraussetzungen liegen nach
dem oben Gesagten nicht vor.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist daher mangels Vorliegen
einer entsprechenden Anspruchsgrundlage und daher mangels Erfolgsaussicht
der Klage abzulehnen.

Faksimile 1 2 3 4 5

L 5 KR 383/09 B PKH

ferner
L 5 KR 131/10

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SG R, S 2 KR 175/09 vom 18.02.2010, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 175/09

SOZIALGERICHT REGENSBURG
GERICHTSBESCHEID

in dem Rechtsstreit

— Kläger -
gegen

-Krankenkasse,
- Beklagte -

Die 2. Kammer des Sozialgerichts Regensburg erlässt durch ihre Vorsitzende, Richterin
am Sozialgericht G, am 18. Februar 2010 ohne mündliche Verhandlung folgenden

Gerichtsbescheid:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

—2- S 2 KR 175/09

Tatbestand

Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreites ist, ob der Kläger von der Be-
klagten über die erforderlichen Fahrtkosten hinaus die Erstattung für die sonstigen
Kosten, die ihm im Rahmen des Aufsuchens von Ärzten entstehen (unter anderem
Umkreisungskosten, Autowärmekosten, Zubringerkosten), verlangen kann.

Mit Schreiben vom 03.12.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die ihm im
Rahmen des Aufsuchens von Ärzten anfallenden Umkreisungskosten, Autowär-
mekosten und Zubringerkosten jetzt und in Zukunft zu erstatten, sowie ihm eine
entsprechende vorherige Genehmigung diesbezüglich zu erteilen. Ferner bean—
tragte er, dass das Vorliegen einer Ausnahme von der Regel des § 3 Abs. 2 S. 1
der Krankentransportrichtlinien festgestellt werde. Zudem beantragte er die Erstat-
tung der gegebenenfalls anfallenden Reststrecke per Taxi, wenn er sein Auto weit
entfernt vom Behandlungsort abstellen müsse. Darüber hinaus wurden von ihm
die Kosten für den Einbau und den Betrieb einer Standheizung für alle in Frage
kommenden Fahrzeuge beantragt. Zudem wurde vorläufige Leistungsgewährung
gemäß § 43 SGB l und Vorauszahlung gemäß § 42 SGB l beantragt.

Mit Bescheid vom 18.12.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine ent—
sprechende Erstattung nicht möglich sei, da es sich bei den begehrten Kosten
nicht um Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung handele.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 25.12.2008 Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.2009 wies die Beklagte den Widerspruch
mit der Begründung zurück, dass die begehrte Kostenübernahme nach den ge—
setzlichen Bestimmungen nicht möglich sei. Insbesondere sei eine Verrechnung
ersparter Aufwendungen (die durch eine Taxifahrt anfallen würden) nicht möglich,
da für eine Taxifahrt andere medizinische Indikationen gegeben sein müssten.
Andernfalls könnte auch die krankenversicherungsrechtliche Beschränkung auf '
eine bestimmte Form der Leistungserbringung durch den Anspruch auf teilweise

Kostenerstattung ohne Weiteres durchbrochen werden. Es sei auch keine Leis—

—3- S 2 KR 175/09

tungsgewährung nach § 43 SGB I möglich, da die Beklagte für die Leistungsge—
währung von Fahrtkosten zur ambulanten und stationären Behandlung zuständig
sei. Darüber hinaus handele es sich bei der beantragten Umkreisungs-, Autowär-
me- und Zubringerkosten um keine Sozialleistungen.

Dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23.05.2009, beim Sozialgericht Re—
gensburg am 25.05.2009 eingegangen, Klage erhoben und einen Antrag auf Ge-
währung von Prozesskostenhilfe gestellt. Nach seiner Auffassung sei für die be—
gehrte Leistung nicht § 60 SGB V, sondern § 11 SGB V insbesondere Abs. 1 Nrn.
2, 3 und 4 maßgebend.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde durch Beschluss des Sozialgerichts Re-
gensburg vom 09.09.2009 abgelehnt und die dagegen eingelegte Beschwerde mit
Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 09.11.2009 zurückgewie-
sen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 18.12.2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.2009
aufzuheben und festzustellen, dass ihm über die
erforderlichen Fahrtkosten hinaus Erstattung für
sonstige Kosten für das Aufsuchen von Ärzten zu
medizinisch notwendigen ambulanten Behandlungen
und Untersuchungen zusteht, soweit diese zusätzlichen
Kosten unabweisbar letztendlich dadurch entstehen,
dass er einer Aufforderung der Beklagten nachkomme,
diese Termine auf eine bestimmte Art und Weise wahrzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 25.11.2009 hat das Gericht die Beteiligten zu der Absicht an-
gehört, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu
entScheiden und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11.12.2009 eingeräumt.

-4- S 2 KR 175/09

Das Gericht hat die Beklagtenakte, sowie die Schwerbehindertenakten des Klä—
gers vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ferner die Akten des Sozialge-
richts Regensburg S 2 KR 296/08, S 2 KR 379/08, S 2 KR 264/08 und S 2 KR
284/08 beigezogen, auf deren Inhalt im Übrigen ergänzend Bezug genommen
wird.

Entscheidungsgründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschei—
den, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher hier—
zu gehört wurden (vgl. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Entgegen der Ausführungen des Klägers weist der Rechtsstreit keine Schwierig-
keiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, da die Sach- und Rechtslage insoweit
eindeutig ist.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere lässt sich der subsidiäre Feststellungsantrag
in einen Leistungsantrag umdeuten. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Be—
scheid der Beklagten vom 18.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 06.05.2009 ist rechtmäßig, da die Beklagte zu Recht die vom Kläger begehr-
ten Kosten über die reinen Fahrtkosten hinaus abgelehnt hat.

Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Abs. 2 und 3
die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 (Fahrkosten),
wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingen-
den medizinischen Gründen notwendig sind.

Schon aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 S. 1 und der diesbezüglichen Legaldefi-
nition ergibt sich eindeutig, dass von der Krankenkasse ausschließlich die Kosten
für "Fahrten" zu übernehmen sind. Eine Übernahme der begehrten Umkreisunng
kosten, Autowärmekosten und Zubringerkosten, sowie die Übernahme der gege—
benenfalls erforderlichen Reststrecke per Taxi und die Übernahme der Kosten für

-5- S 2 KR 175/09

den Einbau und den Betrieb einer Standheizung für alle in Frage kommenden
Fahrzeuge scheidet daher schon nach dem eindeutigen Wortlaut der Anspruchs-
norm aus.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf Übernahme der geltend -
gemachten Kosten auf § 11 SGB V stützen will, kommt eine entsprechende Über-
nahme auch insoweit nicht in Betracht, da es sich bei § 11 SGB V nicht um eine
Anspruchsgrundlage handelt. Vielmehr ist in § 11 Abs. 1 SGB V ausdrücklich aus-
geführt, dass Versicherte "nach den folgenden Vorschriften" Anspruch auf Leis-
tungen haben. Die erforderlichen Vorschriften sind in dem Zusammenhang die

§§ 20 ff. auf die in § 11 Abs. 1 SGB V Bezug genommen wird. In allen diesen Vor—
schriften wird ein entsprechender Anspruch auf Übernahme der geltend gemach-
ten Kosten nicht genannt und lässt sich auch sonst nicht daraus ableiten.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf § 43 Abs. 1 S. 2 SGB l
stützt, ist ein entsprechender Anspruch auf "Sozialleistungen" weder gegen die
Beklagte noch gegen einen sonstigen Leistungsträger gegeben. Was in dem Zu-
sammenhang unter Sozialleistungen zu verstehen ist, lässt sich aus § 11, §§ 18 ff.
SGB l entnehmen. Wie die Beklagte richtig ausgeführt hat, ist für die im Rahmen
der Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung anfallenden Fahrtkosten die Kran-
kenkasse der zuständige Leistungsträger. Ein entsprechender Anspruch lässt sich
einzig auf § 60 SGB V stützen. Die diesbezüglichen Voraussetzungen liegen nach

dem oben Gesagten nicht vor.
Die Klage ist daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf ä 193 SGG und folgt der Entscheidung in der

Sache.


-6- S2KR175/09

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayer. Lan-
dessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landes-
sozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Re-
gensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten An-
trag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel ange-
ben.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteilig—
ten beigefügt werden.

G
Richterin am Sozialgericht
/P.

Ausgefertigt -.Beglaubigt

Sozialgericht Regensburg

Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

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L 5 KR 131/10

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Mittwoch, 13. Mai 2015
SG R, S 2 KR 264/08 vom 15.04.2010, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 264/08

SOZIALGERICHT REGENSBURG

GERICHTSBESCHEID

in dem Rechtsstreit

- Kläger -

gegen

-Krankenkasse,

- Beklagte -

Die 2, Kammer des SozialgerichtsRegensburg erlässt durch ihre Vorsitzende,
Richterin am Sozialgericht G., am 15. April 2010 ohne mündlliche Verhandlung
folgenden

Gerichtsbescheid

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 – S 2 KR 264/08

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Kostenübernahme für die ihm im Rah-
men der Anpassung von Schuheinlagen und die diesbezüglichen Fahrten zur Firma
Seidl anfallenden Fahrtkosten.

Der am 14.03.1963 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger beantragte
bei dieser mit Schreiben vom 26.06.2008 die Fahrtkosten, die ihm dadurch anfal-
len würden, dass er sich bei der Firma S. Schuheinlagen anpassen müsse.
Mit Bescheid vom 01.07.2008 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung
ab, dass im Rahmen der Hilfsmittelversorgung keine Fahrtkosten i.S. von § 60
SGB V geltend gemacht werden können, da die Hilfsmittelversorgung nicht zu
den privilegierten Leistungen zähle, für die in Ausnahmefällen Fahrtkosten zur
ambulanten Behandlung bezahlt werden könnten.

Daraufhin teilte der Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 05.07.2008 mit, dass
er keine Fahrtkostenerstattung begehre, sondern die Versorgung mit den benö-
tigten und ihm zustehenden Hilfsmitteln. Diesbezüglich würde eine Verpflichtung
der Beklagten bestehen, diese Versorgung sicherzustellen. Es sei nicht zumutbar,
irgendwelche weiteren, das heißt über den Betrag der gesetzlichen Zuzahlung hi-
nausgehenden, direkten oder indirekten Kosten aus eigenen Mitteln zu bestreiten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.208 wies die Beklagte sodann den Widerspruch
des Klägers mit der Begründung zurück, dass keine Fahrtkosten zur Ver-
sorgung mit den Einlagen geleistet werden könnten und ein Ausnahmefall
der Gestalt, dass der Kläger von der Beklagten an einen anderen aber deutlich weiter
entfernten Leistungserbringer verwiesen worden sei, beziehungsweise die Ver-
sorgung mit seltenen Hilfsmitteln begehrt werde, für die es nur wenige Leistungser-
bringer gebe, nicht gegeben sei. Vielmehr seien die verordneten orthopädischen
Schuheinlagen in jedem Sanitätshaus am Wohnort erhältlich. Die Information des
Klägers seitens der Beklagten über das Sanitätshaus S in Regensburg sei nur
deshalb erfolgt, da dieses die entsprechenden Einlagen innerhalb des Festbetra-

- 3 – S 2 KR 264/08

ges zur Verfügung stellen könne.

Dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17.09.2008, beim Sozialgericht Re-
gensburg am 18.09.2008 eingegangen, Klage erhoben. Zur Klagebegründung hat
er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Vorverfahren wiederholt. Der gleich-
zeitig gestellte Prozesskostenhilfeantrag ist seitens des Sozialgerichts Regens-
burg mit Beschluss vom 02.12.2008 und die dagegen gerichtete Beschwerde mit
weiterem Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17.10.2008 zu-
rückgewiesen worden. Mit Schreiben vom 24.02.2010 hat das Gericht die Beteilig-
ten zu der Absicht angehört, den Rechtsstreit per Gerichtsbescheid zu entschei-
den und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15.03.2010 eingeräumt. Mit -
Schriftsatz vom 06.03.2010 hat der Kläger einen weiteren Klageantrag gestellt.

Der Kläger beantragt:

1)
Die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Versorgung des Klägers mit
dem begehrten Hilfsmittel jetzt und in Zukunft in vollem Um-
fang der tatsächlichen unvermeidlichen Kosten abzüglich der Zuzahlung
des Klägers nach den §§ 61 und 62 SGB V zu übernehmen oder nach Wahl
der Beklagten eine entsprechende Sachleistung für den Kläger bereitzustel-
len.

2) (mit Schriftsatz vom 06.03.2010)
Die Klage dahingehend zu erweitern, die Beklagte zu verurteilen, in Zukunft
die bis auf die gesetzliche Zuzahlung vollständige Versorgung für sämtliche
vom Kläger benötigte, dem Grundsatz nach von der Beklagten zu stellen-
den Hilfsmittel zu tragen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Bezüglich des Klageantrags zu 2) (erklärt mit Schriftsatz vom 06.03.2010) ist bei
Gericht keine weitere Stellungnahme der Beklagten eingegangen.

- 4 – S 2 KR 264/08

Das Gericht hat die Akte der Beklagten beigezogen, auf deren Inhalt sowie auf
den Inhalt der streitgegenständlichen Gerichtsakte im Übrigen zur Ergänzung des
Tatbestandes Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschei-
den, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher hier-
zu gehört wurden (vgl. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die Klage ist im Klageantrag zu 1) zulässig. Auch wenn der Kläger mit seinem
Klageantrag zu 1) die Übernahme der im Rahmen der Hilfsmittelanpassung
mit dem „begehrten orthopädischen Hilfsmittel“ anfallenden Kosten begehrt, so ist
dieser Klageantrag nicht zu unbestimmt, da sich aus dem gesamten Vorbringen
des Klägers und dem Aktenmaterial entnehmen lässt, dass es dabei um die zu-
sätzlichen durch die Hilfsmittelanpassung entstehenden Kosten geht, die nur die
Fahrkosten zum Sanitätshaus darstellen – nachdem die Beklagte unstreitig die
Schuheinlagen selbst und die diesbezügliche Anpassung nicht verweigert.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 01.07.2008
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.09.2008 ist rechtmäßig, da die
Beklagte die dem Kläger im Rahmen der Anpassung von Schuheinlagen
und durch die diesbezügliche Fahrt zum Sanitätshaus S entstehenden Fahrt-
kosten abgelehnt hat.
Wie die Beklagte richtig ausgeführt hat, kommt eine Übernahme der Fahrkosten
(im vorliegenden Fall) gemäß §60 Abs. 1 S.3 SGB V nur im Falle ambulanter Be-

- 5 – S 2 KR 264/08

handlungen in Betracht, um eine solche handelt es sich bei der Anpassung von
Schuheinlagen in einem Sanitätshaus jedoch gerade nicht, Das Gericht sieht da-
insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidunggründe gemäß § 
136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz ab, da es der Begründung des Widerspruchsbe
scheides in vollem Umfang folgt.

Bezüglich des durch den Kläger mit Schriftsatz vom 06.03.2010 gestellten Klage-
antrags zu 2) handelt es sich entgegen den Ausführungen des Klägers um eine
Klageänderung, da nicht lediglich eine Erweiterung des Klageantrags ohne Ände-
rung des Klagegrundes vorliegt, sondern nunmehr mit dieser Klageänderung eine
gänzlich neue Leistung, nämlich „die Beklagte zu verurteilen , in Zukunft (...) voll-
ständige Versorgung für sämtliche vom Kläger benötigte, dem Grundsatz nach
von der Beklagten zu stellende Hilfsmittel zu tragen“. Nachdem die Beklagte noch
nicht Gelegenheit hatte über diesen Antrag zu entscheiden, ferner keine Einwilli-
gung seitens der Beklagten gemäß § 99 Abs. 1 SGG vorliegt und das Gericht die
Änderung auch nicht für sachdienlich hält, ist die mit dem Klageantrag zu 2) erklär-
te Klageänderung nicht zulässig. Klarstellend sei jedoch lediglich ausgeführt, dass
aufgrund der durch die Beklagte bereits mit Widerspruchsbescheid vom
04.09.2008 getätigten und nach Ansicht des Gerichts richtigen Rechtsauffassung
ein entsprechender Antrag bei der Beklagten abgelehnt werden müsste, da das
Gesetz gemäß § 60 SGB V Fahrtkosten nur in eingeschränkten Ausnahmefällen
vorsieht, zu denen unter anderem die Fahrtkosten zu einer ambulanten Behand-
lung fallen können; eine Übernahme der Fahrtkosten zur Hilfsmittelversorgung
sieht der Gesetzgeber jedoch gerade nicht vor, so dass ein entsprechender Antrag
des Klägers bei der Beklagten abgelehnt werden müsste. Darüber hinaus ist dem
Gericht auch nicht erkennbar, das die Beklagte sich weigern würde, den
Kläger mit den notwendigen Hilfsmittel zu versorgen.

Die Klage ist daher vollumfänglich abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der
Sache.

- 6 – S 2 KR 264/08

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayer. Lan-
dessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landes-
sozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Re-
gensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten An-
trag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel ange-
ben.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteilig-
ten beigefügt werden.

G
Richterin am Sozialgericht

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

1 2 3 4 5 6

L 5 KR 131/10

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SG R, S 2 KR 264/08 vom 02.12.2008, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 264/08

SOZIALGERICHT REGENSBURG

In dem Rechtsstreit

- Kläger -

gegen

Krankenkasse,

- Beklagte -

erlässt der Vorsitzende der 2. Kammer, Vizepräsident des Sozialgerichts H. ,

ohne mündliche Verhandlung am 2. Dezember 2008 folgenden

Beschluss:

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

- 2 - S 2 KR 264/08

Gründe:

Der Kläger verlangt von der Beklagten den Ersatz von Fahrtkosten, die ihm von
einem von ihm besuchten Dialysezentrum in Regensburg einmalig zu einem etwas
weiter entfernten Orthopädlefachgeschäft in Regensburg entstanden sind; nach
Berechnung der Beklagten handelt es sich hier um einen Betrag von 1,00 EUR.

Mit Bescheid vom 01.07.2008 lehnte die Beklagte die Erstattung ab, da keine Vor-
aussetzungen, die nach dem SGB V die Krankenkasse zur Erstattung von Fahrt-
kosten verpflichten, vorgelegen habe. Hiergegen erhob der Kläger am 05.07.2008
Widerspruch mit der Begründung, er habe von der Beklagten keine Fahrtkostener-
stattung gefordert, sondern lediglich, dass die Beklagte ihn mit den notwendigen
Hilfsmitteln versorge, hierzu gehörten auch die bei der Versorgung entstandenen
Fahrtkosten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2008 wies die Beklagte den Widerspruch
als unbegründet zurück, da im Falle des Klägers keiner der im Gesetz genannten
Tatbestände, die eine Kostenübernahme erlaubten, vorliege.

Hiergegen erhob der Kläger am 07.09.2008 Klage mit dem Antrag,
die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Versorgung des Klägers mit dem be-
gehrten orthopädischen Hilfsmittel jetzt und in Zukunft in vollem Umfang der tat-
sächlichen unvermeidlichen Kosten abzüglich der Zuzahlung des Klägers zu über-
nehmen oder nach Wahl der Beklagten eine entsprechende Sachleistung für den
Kläger bereit zu stellen. Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen ausführ-
lich das Vorbringen aus den Vorverfahren.

- 3 - S 2 KR 264/08

Mit dem Klageschriftsatz beantragte der Kläger Prozesskostenhilfe nach
§ 114 ZPO.

Dieser Antrag ist abzulehnen. Nach § 73 a Abs.1 SGG i.V.m. § 114 ZPO erhält
eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die
Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann,
auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig er—
scheint.

Angesichts des Umstandes, dass es im vorliegenden Fall lediglich um einen
Streitwert von 1,00 EUR geht, bzw.‚ bei Austausch des orthopädischen Hilfsmit-
tels, allenfalls jedes Jahr 1,00 EUR als Streitwert anfallen würde, erscheint die
Rechtsverfolgung durch den Kläger mutwillig. Nach Meyer-Ladewig, Kommentar
zum SGG, Anm.8 zu § 73 a erscheint eine Rechtsverfolgung mutwillig z.B. dann,
wenn ein verständiger anderer Beteiligter, der für die Kosten selbst aufkommen
muss, diesen Prozess nicht führen würde. Darüber hinaus bestehen nach Ansicht
des Gerichtes auch keine Erfolgsaussichten für den Kläger. Die Beklagte hat § 60
SGB V zutreffend geprüft und festgestellt, dass keiner der darin geregelten Tatbe-
stände eine Fahrtkostenübernahme ermöglichten, zur weiteren Begründung wird
Bezug genommen auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides
(§ 136 Abs.3 SGG).

Soweit der Kläger vorbringt, er begehre keine Fahrtkostenerstattung i.S. des § 60
SGB V, vielmehr seien die angefallenen Fahrtkosten ihm als Nebenleistung zur
Versorgung mit dem orthopädischen Hilfsmittel zu gewähren, führt dies nicht dazu,
dass eine Erfolgsaussicht zu bejahen wäre. Angesichts des Umstandes, dass der
Gesetzgeber den jetzigen § 60 SGB V hinsichtlich der Fahrtkosten sehr restriktiv
ausgestaltet hat, kann es nicht angehen, die in ä 60 SGB V nicht genannten Fahrt-

- 4 - S 2 KR 264/08

kosten nun von der Krankenkasse als „Nebenleistung“ zu anderweitigen Versor-
gung einzufordern.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist daher wegen Mutwilligkeit
und fehlender Erfolglosigkeit abzulehnen.

- 5 - S 2 KR 264/08

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist gemäß §§ 73a, 172 Abs.1 SGG iVm § 127 Abs.2 Satz
2 ZPO Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Beschwerde ist
binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Re-
gensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder zur Nieder-
schrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist
beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der
Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt,
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstel-
le eingelegt wird.

Der Vorsitzende der 2. Kammer

H

Vizepräsident des Sozialgerichts
/ Be.

Ausgefertigt - Beglaubigt

Sozialgericht Regensburg

als Urkundsbeamter der Geschäfts—
stelle

Faksimile 1 2 3 4 5

L 5 KR 9/09 B PKH
L 5 KR 377/09 B PKH RG


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SG R, S 2 KR 284/08 vom 18.02.2010, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 284/08

SOZIALGERICHT REGENSBURG
GERICHTSBESCHEID

in dem Rechtsstreit

- Kläger -

gegen

-Krankenkasse, ‚
- Beklagte — .

Die 2. Kammer des Sozialgerichts Regensburg erlässt durch ihre Vorsitzende, Richterin
am Sozialgericht G, am 18. Februar 2010 ohne mündliche Verhandlung folgenden

Gerichtsbescheid:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 - S 2 KR 284/08

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger von der Beklagten die Erstat-
tung bzw. Übernahme von Parkkosten für die Vergangenheit und für die Zukunft

verlangen kann.

Mit Schreiben vom 08.03.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Über-
nahme von im Februar und März 2008 angefallenen Parkkosten. Diese Parkkos-
ten sind ihm im Rahmen einer ambulanten Behandlung im Uniklinikum Regens—
burg entstanden und weisen einen Gesamtbetrag von 9,00 € auf.

Mit Bescheid vom 18.03.2008 übernahm die Beklagte die angefallenen Fahrtkos-
ten in diesbezüglicher Höhe von 37,20 € und lehnte zugleich die geltend gemach-
ten Parkgebühren mit der Begründung ab, dass Parkgebühren nicht erstattet wer—
den könnten.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 16.05.2008 insoweit Widerspruch
ein, als ihm seine Parkkosten nicht erstattet worden sind. Zur Begründung führte
er aus, dass er Sozialhilfeempfänger sei, der Beklagten eine Taxifahrt wesentlich
teurer käme und im Übrigen im Bereich des Uniklinikums Regensburg keine bzw.
kaum kostenlose Parkplätze vorhanden seien. Darüber hinaus beantragte er vor—
läufige Leistungserbringung gemäß § 43 SGB l sowie Vorschusszahlung gemäß
§ 42 SGB I. Mit Schreiben vom 29.05.2008 (wiederholende Verfügung) lehnte die
Beklagte erneut die geltend gemachten Parkkosten ab, da als Fahrtkosten aus-
schließlich die reinen Beförderungskosten erstattet werden könnten.

Dagegen legte der Kläger erneut mit Schriftsatz vom 03.06.2008 Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2008 wies die Beklagte den Widerspruch -
mit der Begründung zurück, dass die zu Grunde liegende gesetzliche Regelung
verbindlich sei und der Beklagten kein Ermessenspielraum eingeräumt werde, zu-
dem würden für eine Taxifahrt andere Indikationen gefordert, darüber hinaus gäbe

— 3 - S 2 KR 284/08

es keine Verrechnung ersparter Aufwendungen.

Dagegen hat der Kläger mit Schreiben vom 08.10.2008, beim Sozialgericht Re—
gensburg am 10.10.2008 eingegangen, Klage erhoben. Zur Begründung hat er
vorgetragen, dass die geltend gemachten Parkkosten unter die Fahrtkosten zu
subsumieren seien. Darüber hinaus ergebe sich ein entsprechender Anspruch
auch aus §§ 2,, 12, 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 5 13 III, § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 und 6, § 11
Abs. 1 Nr. 2 und 3 und § 20 SGB V. Ferner sei die Beklagte zur Weiterleitung des
Antrags nach § 16 SGB l verpflichtet gewesen bzw. zur vorläufigen Leistungsbrin—
gung nach § 43 SGB I.

Der seitens des Klägers mit Klageeinlegung ebenfalls gestellte Antrag auf Pro—
zesskostenhilfe wurde mittels Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom
09.09.2009 abgelehnt und die dagegen eingelegte Beschwerde durch das Bayeri-
sche Landessozialgericht mit Beschluss vom 09.11.2009 zurückgewiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
18.03.2008 in der Gestalt des Bescheides vom 29.05.2008
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2008
zu verurteilen, die Parkkosten des Klägers in der sich aus
den vorgelegten Belegen ergebenden Höhe sowie
entsprechend für die Zukunft bei allen Fällen ambulanter,

voll-, teil-, vor— und nachstationärer Behandlung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung des Klageabweisungsantrags hat sie ausgeführt, dass die gel-
tend gemachten Parkgebühren nicht Teil der ärztlichen Versorgung seien. Eine
Zuständigkeit anderer Leistungsträger im Rahmen von Fahrtkostenerstattung zur
ambulanten Behandlung sei nicht gegeben, weswegen eine Weiterleitung nach
§ 16 SGB l und eine vorläufige Leistungserbringung nach § 43 SGB I ausscheiden
würde.

— 4 - S 2 KR 284/08

Mit Schriftsatz vom 25.11.2009 hat das Gericht die Beteiligten zu der Absicht an-
gehört, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu
entscheiden und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11.12.2009 eingeräumt.

Das Gericht hat die Beklagtenakte, sowie die Schwerbehindertenakten des Klä—
gers vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ferner die Akten des Sozialge—
richts Regensburg S 2 KR 296/08, S 2 KR 379/08, S 2 KR 175/09 und S 2 KR
264/08 beigezogen, auf deren Inhalt im Übrigen ergänzend Bezug genommen
wird.

Entscheidungsgründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschei—
den, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher hier-
zu gehört wurden (vgl. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Entgegen der Auffassung des Klägers weist die Sache auch keine Schwierigkeiten
rechtlicher oder tatsächlicher Art auf, da die gesetzgeberische Entscheidung inso-
weit klar, eindeutig und widerspruchsfrei ist (siehe unten).

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom
18.03.2008 in der Gestalt des Bescheides vom 29.05.2008 in der Gestalt des Wi-
derspruchsbescheides vom 04.09.2008 ist rechtmäßig, da die Beklagte zu Recht
die begehrten Parkkosten sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft
abgelehnt hat.

Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Abs. 2 und 3
die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 (Fahrkosten),
wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingen—
den medizinischen Gründen notwendig sind.

— 5 — S 2 KR 284/08

Schon aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 S. 1 und der diesbezüglichen Legaldefi-
nition ergibt sich eindeutig, dass von der Krankenkasse ausschließlich die Kosten
für "Fahrten" zu übernehmen sind. Eine Übernahme der begehrten Parkkosten
bzw. Parkgebühren scheidet daher schon nach dem eindeutigen Wortlaut der An-
spruchsnorm aus.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf Übernahme der geltend
gemachten Kosten auf §§ 2, 11, 12, 27 und 20 SGB V stützen will, kommt eine
entsprechende Übernahme auch insoweit nicht in Betracht, da es sich bei den ge—
nannten Paragraphen nicht um Anspruchsgrundlagen handelt, aus denen ein ent—
sprechender Anspruch auf Übernahme der Parkkosten hergeleitet werden könnte.
Anspruchsgrundlage für die Übernahme von Fahrtkosten im Rahmen von ambu—
lanten Behandlungen ist einzig § 60 SGB V, der ausweislich seines eindeutigen
Wortlautes keine Übernahme von Parkgebühren beinhaltet (siehe oben).

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf § 43 Abs. 1 S. 2 SGB l
stützt, ist ein entsprechender Anspruch auf "Sozialleistungen" weder gegen die
Beklagte noch gegen einen sonstigen Leistungsträger gegeben. Was in dem Zu—
sammenhang unter Sozialleistungen zu verstehen ist, lässt sich aus § 11, §§ 18 ff
SGB I entnehmen. Wie die Beklagte richtig ausgeführt hat, ist für die im Rahmen
der Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung anfallenden Fahrtkosten die Kran—
kenkasse der zuständige Leistungsträger. Ein entsprechender Anspruch lässt sich
einzig auf § 60 SGB V stützen. Die diesbezüglichen Voraussetzungen liegen nach
dem oben Gesagten nicht vor.

Aus diesem Grund bedurfte es auch keiner Weiterleitung nach § 16 Abs. 2 SGB I.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf Übernahme der Parkge-
bühren aus § 13 Abs. 3 SGB V herleitet, ergibt sich nichts anderes, da diese Norm
lediglich als Surrogat für den nicht mehr oder nicht zu erfüllenden Sachleistungs-‘
anspruch geschaffen wurde; ein entsprechender Anspruch auf Sachleistung (das
heißt Übernahme der anfallenden Parkkosten) steht dem Kläger nach dem oben
Gesagten gerade nicht zu.

- 6 - S 2 KR 284/08

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der
Sache.

— 7 - S 2 KR 284/08

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayer. Lan-
dessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landes-
sozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Re-
gensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten An-
trag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel ange-
ben.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteilig—
ten beigefügt werden.

G
Richterin am Sozialgericht

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

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L 5 KR 131/10

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SG KS, S 6 AS 572/13 vom 28.08.2013, Sozialgericht Kassel
Sozialgericht Kassel Anonymisierung

Az.: S 6 AS 572/13 (zuvor S 6 AS 641/11)

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

Kläger,

gegen

Jobcenter Werra-Meißner-Kreis vertreten durch den/die Geschäftsführer/in,

Fuldaer Straße 6, 37269 Eschwege,

Beklagter,

hat die 6. Kammer des Sozialgerichts Kassel auf die mündliche Verhandlung vom
28. August 2013 durch den Richter am Sozialgericht Dr. Mushoff als Vorsitzenden sowie
die ehrenamtlichen Richter Ackermann und Longobardi für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

- 2 -

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistung
nach dem SGB II im Zeitraum vom 01.06.2011 bis 30.11.2011.

Der Kläger war im Streitzeitraum Mitglied einer dreiköpfigen Bedarfsgemeinschaft beste-
hend aus dem Kläger, seiner am 22.05.1963 geborenen damaligen Ehefrau und seiner
am 15.03.1994 geborenen Tochter.

Der Kläger stellte am 18.04.2011 gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Bedarfs-
gemeinschaft einen Weiterbewilligungsantrag nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 03.05.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger und den anderen Mit-
gliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom
01.06.2011 bis 30.11.2011. Hierbei legte der Beklagte für den Kläger und seine Ehefrau
jeweils eine Regelleistung in Höhe von 328 € und für die Tochter einen Regelbedarf in
Höhe von 287 € zu Grunde (Bl. 802 Verwaltungsakte).

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 16.05.2011 Widerspruch ein. Der Leis-
tungsbescheid sei verfassungswidrig. Die Regelsätze seien nicht unter hinreichender
Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom
09.02.2010 (1 BvR 1/09) zustande gekommen. Der Diplom-Kaufmann Rüdiger Böker aus
Osnabrück habe mit dem Datum vom 18.11.2010 für den Ausschuss für Arbeit und So-
ziales des Deutschen Bundestages anhand der Vorgaben des Bundesverfassungsge-
richts ein Gutachten erstellt. Diese Böker-Stellungnahme sei als eigenständige Bundes-
tagsdrucksache veröffentlich worden. Man mache sich diese Stellungnahme zu Eigen
und beantrage für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft eine Regelleistung von min-
destens 594 € (Bl. 806 ff. Verwaltungsakte).

Diesem Schriftsatz war eine Zusammenfassung des Gutachtens von Herrn Böker mit
Informationsstand vom 22.11.2010 beigefügt, auf die Bezug genommen wird (Bl. 812 ff.
Verwaltungsakte).

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als un-
begründet zurück (Bl. 819 ff. Verwaltungsakte). Die ab 01.06.2011 festgesetzten monatli-
chen Regelbedarfe von jeweils 328 € für den Kläger und seine damalige Ehefrau sowie in
Höhe von 287 € für die Tochter J seien auf der Grundlage des am 29.03.2011 ver-

- 3 -



kündeten Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und

des SGB XII vom 24.03.2011 zustande gekommen. Der Beklagte sei nach Art. 20 Abs. 3

Grundgesetz (GG) an Recht und Gesetz gebunden und könne daher keine höheren Re-

gelsätze festlegen. Die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungs-

widrigkeit der Regelleistung bleibe dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten (BI. 819 f.

Verwaltungsakte).



Am 17.06.2011 hat der Kläger gegen den Bescheid vom 03.05.2011 in der Fassung des

Widerspruchsbescheids vom 17.05.2011 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben. Man

begehre für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft jeweils einen Regelsatz in Höhe von

monatlich 594 €. Die für den Leistungszeitraum vom 01.06.2011 bis 30.11.2011 bewillig-

ten Grundsicherungsleistungen entsprächen zwar hinsichtlich der Höhe des bewilligten

Regelsatzes der aktuell gültigen Rechtslage, jedoch sei auch der neue Regelsatz verfas-

sungswidrig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Klageschrift Bezug genommen.



Der Klageschrift waren das Gutachten von Herrn Böker mit Stand 17.11.2010 und weite-

re Unterlagen beigefügt. Hierauf wird Bezug genommen.



Mit Schriftsätzen vom 20.08.2013 (Bl. 157 Gerichtsakte) und vom 23.08.2013 (Bl. 159a

Gerichtsakte) haben die ehemalige Ehefrau und Tochter des Klägers die Klage zurück-

genommen.



Der Kläger beantragt sinngemäß,



den Bescheid vom 03.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom

17.05.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm im Zeitraum vom

01.06.2011 bis 30.11.2011 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung

einer monatlichen Regelleistung von 594 € zu gewähren.



Der Beklagte beantragt,



die Klage abzuweisen.



Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die

Gerichtsakte Bezug genommen.



- 4 -



Entscheidungsgründe



Die Klage hat keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet.



1. Der Kläger hat zunächst aus einfachem Recht keinen Anspruch auf eine höhere Re-

gelleistung. Die vom Beklagten bewilligten SGB II-Leistungen im Zeitraum vom

01.06.2011 bis 30.11.2011 entsprechen der Höhe nach den gesetzlichen Vorgaben des

§ 20 Abs. 4 SGB II.



2. Die Kammer ist weiterhin nicht davon überzeugt, dass die gesetzlich vorgegebene Hö-

he der Regelleistung in Höhe von 328 €, die nach § 20 Abs. 4 SGB II für den Kläger im

Streitzeitraum maßgebend ist, verfassungswidrig ist.



Es bestand für die Kammer kein Anlass, das Verfahren nach Art 100 Abs 1 S 1 Grundge-

setz (GG) auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG zur Vereinbarkeit von § 19

Abs 1 S 1, § 20 Abs 1 und Abs 2 S 1 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-

ÄndG mit Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG einzuholen.



a) Das vom Kläger überreichte Gutachten von Herrn Böker aus November 2010 ist kein

hinreichendes Argument gegen die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistung im

Streitzeitraum. Das Gutachten geht von einer Verfassungswidrigkeit der Regelsätze aus

und kommt zu angemessenen Regelsätzen von 594 €. Dazu ist zu sagen, dass das Bun-

desverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) davon

ausgegangen ist, dass die Regelsätze nach altem Recht bis einschließlich Dez. 2010

nicht evident zu niedrig seien. Wenn Herr Böker bereits in November 2010 zu niedrige

Regelsätze annimmt, ignoriert er die Einschätzung des BVerfG. Auch kannte Herr Böker

in seinem Gutachten aus November 2010 noch nicht die Wertungen, die der Gesetzge-

ber bei der Bestimmung der Höhe der Regelsätze im März 2011 mit Inkrafttreten des Ge-

setzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften

Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 rückwirkend zum 01.01.2011 getroffen hat.



b) Beide Senate des Bundessozialgerichts (BSG), die für die Grundsicherung für Arbeits-

suchende nach dem SGB II zuständig sind, gehen davon aus, dass die Regelsätze für

Alleinstehende (vgl. BSG, Urteil v. 12.07.2012, B 14 AS 154/11 R, juris), aber auch für

Familien mit mindestens einem Kind verfassungsgemäß sind, wobei das BSG in seiner

Entscheidung vom 28.03.2013 (B 4 AS 12/12 R) die Konstellation entschieden hatte,

dass zwei Erwachsene Hilfebedürftige mit einem Kind im Alter von unter zwei Jahren zu-



- 5 -



sammen leben.



Im Streitzeitraum lebte der Kläger aber mit seiner damaligen Ehefrau und einem älteren

Kind zusammen. Allerdings haben die damalige Ehefrau des Klägers und seine Tochter

die Klage zurückgenommen, so dass von der Kammer nur noch zu entscheiden war, ob

eine Regelleistung von 328 € für einen Erwachsenen, der in einer Bedarfsgemeinschaft

mit einem anderen Erwachsenen und einem Kind lebt, verfassungsgemäß ist. Das Ge-

richt muss sich also nicht mit der vom Bundessozialgericht bislang noch nicht entschie-

denen Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob die Regelleistung für die Tochter des Klä-

gers in Höhe von 287 € verfassungsgemäß ist. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelleis-

tung für eine Person, die mit einem anderen Erwachsenen und einem Kind zusammen

wohnt, in Höhe von 328 € hat das BSG in seinem Urteil vom 28.03.2013 aus folgenden

Gründen bejaht (Rn. 20 ff.):



„Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Prüfung ist wegen des Gestaltungsspiel-

raums des Gesetzgebers eine zurückhaltende materielle Kontrolle der einfachge-

setzlichen Regelung dahingehend, ob die Leistungen evident unzureichend sind.

Da eine Ergebniskontrolle am Maßstab des Grundrechts auf Gewährung eines

menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG) nur be-

grenzt möglich ist, muss jenseits der Evidenzkontrolle überprüft werden, ob die

Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungs-

verfahren zu rechtfertigen sind (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua -

BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 = BGBI l 2010, 193, RdNr 141 ff, im

Weiteren BVerfG aaO).



a) Der Regelbedarf der Kläger zu 1 und 2 leitet sich nach § 20 Abs 4 SGB II in der

Fassung des RBEG/SGB ll/SGB Xll-ÄndG iVm § 8 Abs 1 Nr 2 RBEG von dem ei-

nes Alleinstehenden in einem Einpersonenhaushalt ab. Der Regelbedarf eines

solchen alleinstehenden Erwachsenen ist durch das RBEG/SGB ll/SGB Xll-ÄndG

nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden. Der erkennende

Senat schließt sich insoweit dem 14. Senat des BSG an, der dies im Juli 2012 in

zwei Entscheidungen im Einzelnen dargelegt hat (SozR 4-4200 § 20 Nr 17 RdNr

19 ff; vom 12.7.2012 - B 14 AS 189/11 R - RdNr 14). Das BVerfG hat die Verfas-

sungsbeschwerden gegen die benannten Urteile nicht zur Entscheidung ange-

nommen (BVerfG Beschluss vom 20.11.2012 - 1 BvR 2203/12 - unveröffentlicht;

BVerfG Beschluss vom 27.12.2012 - 1 BvR 2471/12 - unveröffentlicht; zur Bedeu-

tung dessen s Rixen, SozSich 2013, 73 ff).



- 6 -



Der Gesetzgeber hat insoweit den ihm zugewiesenen Auftrag, das Grundrecht auf

ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten, erfüllt. Der 14. Senat

hat hierzu ausgeführt, dass bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Neu-

ermittlung der Regelbedarfe der Entscheidungsprozess des Gesetzgebers bei der

Neuordnung der §§ 28 ff SGB XII auf die Bemessung des Regelbedarfs in § 20

Abs 2 S 1 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG zu übertragen

sei. Der Gesetzgeber habe den Umfang des konkreten gesetzlichen Anspruchs

auch in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt, das den

Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 9.2.2010 (BVerfGE, aaO) nach realitätsge-

rechten sowie nachvollziehbaren Festsetzungen auf der Grundlage verlässlicher

Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren entspreche. Dabei habe sich der

Gesetzgeber des vom BVerfG gebilligten Statistikmodells bedienen können. In-

nerhalb dieses Ansatzes habe er, ausgehend von der Einkommens- und Ver-

brauchsstichprobe (EVS) 2008, die Referenzgruppe anhand der unteren Einkom-

mensgruppen bestimmt, ohne seinen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum zu

überschreiten.



Dies gilt auch, soweit in der Literatur vorgebracht wird, der Gesetzgeber sei sei-

nem Auftrag, auch die "versteckt Armen" aus der Regelbedarfsberechnung aus-

zunehmen, nicht hinreichend nachgekommen (s nur Irene Becker, SozSich, Son-

derheft September 2011, 20 ff). Es" überzeugt den Senat nicht, wenn unter Be-

zugnahme auf die Entscheidung des BVerfG deswegen die Höhe des Regelbe-

darfs als nicht mit Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG vereinbar bewertet wird (so

Münder, SozSich Sonderheft September 2011, 70 ff). Das BVerfG hatte den Ver-

zicht auf eine Schätzung des Anteils der "verdeckt Armen" durch den Gesetzge-

ber in Ermangelung hinreichend sicherer empirischer Grundlagen durch die EVS

2003 für die Vergangenheit für vertretbar gehalten (BVerfG aaO, RdNr 169). An

dem Mangel der Möglichkeit, methodisch unzweifelhaft und ohne Setzungen die

"verdeckt Armen" aus den Referenzhaushalten auszuschließen, hat sich auch bei

der Auswertung der EVS 2008 nichts geändert. Dies gilt zumindest für den hier

zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen. Durch diesen wird der Gestaltungs-

spielraum des Gesetzgebers mitbestimmt. Aufgrund der an den Gesetzgeber ge-

richteten Umsetzungsverpflichtung der Entscheidung des BVerfG bis zum

31.12.2010 (BVerfGE aaO, RdNr 216) stand ein Zeitraum von nicht einmal einem

Jahr für die Neufestsetzung der Regelbedarfe zur Verfügung und die Ergebnisse

der EVS 2008 lagen erst im Herbst 2010 vollständig vor. In der Begründung zum



- 7 -



RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG wird daher eine Korrektur der Referenzgruppen um

die "verdeckt Armen" ua mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der vielgestal-

tigkeit der Einkünfte von Haushalten hätte eine Einzelfallauswertung der Haushal-

te erfolgen müssen. Diese wäre jedoch weder durch die Wissenschaft noch durch

das Statistische Bundesamt zu leisten gewesen (BT-Drucks 17/3404, S 88). Auch

insoweit wird zwar in der Literatur Kritik angebracht, insbesondere an dem über

"das Notwendige hinausgehende Anforderungsprofil" des Gesetzgebers. Dadurch

würden die Grenzen des Datensatzes der EVS zwangsläufig erreicht. Es werden

daher Vorschläge zur methodischen Identifizierung der "verdeckten Armut" ge-

macht (s zusammenfassend Irene Becker, SozSich, Sonderheft September 2011,

24), die einen weniger großen Genauigkeitsgrad aufweisen (lrene Becker, Soz-

Sich, Sonderheft September 2011, 22). Ob der Gesetzgeber sich jedoch ent-

schließt, angesichts der Vorgaben des BVerfG derartige offene "Ungenauigkeiten"

in seine Berechnung einzubeziehen, muss seiner Entscheidung im Rahmen sei-

nes Gestaltungsspielraums vorbehalten bleiben. Hierbei ist auch zu berücksichti-

gen, dass es sich bei den Vorschlägen um wissenschaftlich noch nicht abschlie-

ßend diskutierte Ansätze handelt, ein sachgerechtes Verfahren zu entwickeln o-

der weiterzuentwickeln, um so eine statistisch zuverlässig über der Sozialhilfe-

schwelle liegende Referenzgruppe zu ermitteln (lrene Becker, SozSich, Sonder-

heft September 2011, 21). Dies ändert allerdings nichts daran, dass der Gesetz-

geber bei der Auswertung der EVS 2013 der ihm vom BVerfG auferlegten Pflicht

zur Fortentwicklung des Bedarfsermittlungssystems nachkommen muss und da-

rauf zu achten haben wird, dass Haushalte, deren Nettoeinkommen unter dem Ni-

veau der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von SGB II und SGB XII

liegt, aus der Referenzgruppe ausgeschieden werden (BVerfGE, aaO, RdNr 169).

Dies hat der Gesetzgeber jedoch auch selbst erkannt. Er hat in § 10 Abs 1 iVm §

10 Abs 2 Nr 1 RBEG eine Verpflichtung des Bundesministeriums für Arbeit und

Soziales (BMAS) bestimmt, dem Bundestag ua für die Weiterentwicklung der Me-

thoden zur Abgrenzung der Referenzhaushalte nach § 3 Abs 1 RBEG hinsichtlich

der Bestimmung von Haushalten der EVS Vorschläge zu unterbreiten, die nicht

als Referenzhaushalte zu berücksichtigen sind, weil deren eigene Mittel nicht zur

Deckung des jeweils zu unterstellenden Bedarfs nach dem SGB ll und SGB Xll

ausreichen.



Der erkennende Senat ist ebenso wie der 14. Senat des BSG ferner davon über-

zeugt, dass die im Rahmen des Statistikmodells begründete Herausnahme ein-

zelner Positionen durch den Gesetzgeber nicht zu beanstanden ist. Er folgt dem



- 8 -



14. Senat, wenn dieser ausführt, die regelbedarfsrelevanten Ausgabenpositionen

und -beträge seien so bestimmt, dass ein interner Ausgleich möglich bleibe. Auch

bei der Kennzeichnung einzelner Verbrauchspositionen als bedarfsrelevant und

dem Ausschluss bzw der Kürzung anderer Verbrauchspositionen hat der Gesetz-

geber seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Zutreffend hat er sich

schließlich bei der Regelung eines Fortschreibungsmechanismus an seiner Ent-

scheidung für das Statistikmodell orientiert. Um Wiederholungen zu vermeiden

sieht der erkennende Senat von einer Darstellung der Ausführungen im Einzelnen

ab.



b) Die Festsetzung eines - im Vergleich zu alleinstehenden Erwachsenen - niedri-

geren Regelbedarfs für die Kläger zu 1 und zu 2 gemäß § 20 Abs 4 SGB II in der

Fassung des RBEG/SGB ll/SGB Xll-ÄndG‚ § 8 Abs 1 Nr 2 RBEG aufgrund des

Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft - hier: aufgrund einer Ehe zwischen dem

Kläger zu -1 und der Klägerin zu 2 - ist ebenso wenig verfassungswidrigDer Ge-

setzgeber durfte davon ausgehen, dass durch das gemeinsame Wirtschaften

Aufwendungen erspart werden und deshalb zwei zusammenlebende Partner ei-

nen finanziellen Mindestbedarf haben, der unter dem Doppelten des Bedarfs ei-

nes Alleinwirtschaftenden liegt. Da aufgrund des Zusammenlebens anzunehmen

ist, dass beide Partner "aus einem Topf’ wirtschaften, ist es auch nicht zu bean-

standen, dass der Gesetzgeber für beide Partner einen gleich hohen Bedarf in

Ansatz bringt (vgl BVerfG, aaO, RdNr 154; s auch Kohte in Kreike-

bohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Aufl 2011, § 20

SGB II RdNr 54).



c) Auch soweit es den Regelbedarf für zwei zusammenlebende Erwachsene be-

trifft, in deren Haushalt mindestens ein Kind lebt, kann nicht angenommen wer-

den, dass dieser evident zu niedrig bestimmt worden ist, obwohl der Bedarf der

beiden Erwachsenen nur auf einer Ableitung dessen von einem alleinstehenden

Erwachsenen beruht. Eine gesonderte Bedarfserhebung ist insoweit nicht erfolgt.

Die Sonderauswertung "Paarhaushalt mit einem Kind" diente nur dazu, die "Kin-

derausgaben" in diesem Paarhaushalt zu bestimmen (BT-Drucks 17/3404, S 64 f).

Zwar mangelt es an einer näheren Begründung für die konkrete Bemessung des

grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarfs für Erwachsene, die mit Kindern zu-

sammenleben. Aus dem bloßen Fehlen einer Begründung für die Ableitung des

Regelbedarfs der Erwachsenen in einem Paarhaushalt ausschließlich von dem

eines Alleinstehenden kann im Gegensatz zu Münder (in Soziale Sicherheit -



- 9 -



Sonderheft September 2011, S 80) jedoch noch nicht auf eine Unvereinbarkeit mit

Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG geschlossen werden.



Der gesetzliche Leistungsanspruch muss stets den gesamten existenznotwendi-

gen Bedarf decken (BVerfG, aaO‚ RdNr 137). Dabei darf der Gesetzgeber in Er-

füllung seines Gewährleistungsauftrags jedoch auch wertende Entscheidungen

treffen, um die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht zu erfassen. Der Um-

fang des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimum hängt von den

gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Er-

forderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweili-

gen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und ist danach vom Ge-

setzgeber konkret zu bestimmen. Hierbei steht dem Gesetzgeber ein Gestal-

tungsspielraum zu, der enger ist, soweit er das zur Sicherung der physischen

Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und

Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG,

aaO‚ RdNr 138; BVerfGE 126, 331 RdNr 103). Aus dem Erfordernis, alle exis-

tenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Ver-

fahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher

Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen, folgt jedoch nicht,

dass die Höhe des existenznotwendigen Lebensunterhalts durch den Einsatz ei-

ner allein richtigen Berechnungsmethode punktgenau ermittelt werden kann und

jede Abweichung als Verfassungsverstoß anzusehen ist (vgl Spellbrink, DVBl

2011, 661). Weder sind normative Setzungen grundsätzlich ausgeschlossen,

noch ist es für die verfassungsrechtliche Prüfung von Bedeutung, ob die maßgeb-

lichen Gründe für die gesetzliche Neuregelung im Gesetzgebungsverfahren aus-

drücklich als solche genannt wurden oder gar den Gesetzesmaterialien zu ent-

nehmen sind (BVerfG, NVwZ-RR 2012, 257). Inhaltlicher Maßstab der einfachge-

setzlichen Festschreibung des Leistungsanspruchs sind Sachgerechtigkeit und

Vertretbarkeit (BVerfG, aaO‚ RdNr 171). Gemessen an diesem Maßstab führt die

Ableitung des Bedarfs der Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit einem Kind

von dem eines Alleinstehenden derzeit nicht zu einer evident zu niedrig bemesse-

nen existenzsichernden Leistung.



Genaue Datengrundlagen zur Ermittlung des Bedarfs von zwei EnNachsenen in

einem Paarhaushalt mit Kind liegen nicht vor. Ebenso wie für die Bestimmung des

Existenzminimums des Kindes gilt auch hier, dass bei Haushalten mit Kindern der

überwiegende Teil der Verbrauchsausgaben nicht direkt und unmittelbar auf Er-

- 10 -

wachsene und Kinder aufgeteilt werden konnte (BT-Drucks 17/3404, S 64; s zu
den Einzelheiten unter 6 d cc). Es ist insoweit zwar eine Sonderauswertung für
Familienhaushalte durchgeführt worden. Gleichwohl konnten im, Rahmen der zur
Verfügung stehenden Umsetzungszeit (s hierzu unter 6 a) nur die Verbrauchs-
ausgaben für den gesamten Haushalt erfasst werden. Die Ableitung des Bedarfs
der beiden Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind von dem eines Allein-
stehenden ist daher zurzeit methodisch noch sachgerecht und vertretbar. Dies gilt
umso mehr, als der erkennende Senat davon ausgeht, dass höhere Bedarfe we-
gen des Kindes im Wesentlichen durch erhöhte Aufwendungen im Teilhabebe-
reich entstehen, etwa dadurch, dass das Kind - zumindest das kleinere - im Rah-
men seines Anspruchs nach § 28 Abs 7 SGB II noch nicht allein am sozialen und
kulturellen Leben teilnehmen kann, also der Begleitung bedarf (s hierzu auch Ire-
ne Becker in SozSich, Sonderheft September 2011, 17). Im Bereich der Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers,
ausgehend von der Vorgabe, dass hier nur das Minimum gewährleistet werden
muss (BVerfG‚ aaO, RdNr 166), jedoch, wie schon dargelegt, weiter. Den Rah-
men für seinen Gestaltungsspielraum bei Rückgriff auf das Statistikmodell bildet
die Überlegung, dass die Summe der für die Gewährleistung des Existenzmini-
mums erforderlichen Verbrauchsausgaben ein monatliches Budget bilden, über
dessen konkrete Verwendung der Leistungsberechtigte selbst entscheidet. Maß-
gebend ist, dass der Gesamtbetrag des Budgets ausreicht, die Existenz zusi-
chern (BT-Drucks 17/3404 S 51). Dem Umstand möglicher erhöhter Bedarfe der
Erwachsenen durch ein Kind in einem Paarhaushalt kann daher zum einen allge-
mein durch Rückgriff auf den internen Ausgleich innerhalb der Pauschale Rech-
nung getragen werden. Zum anderen hat der Gesetzgeber im Rahmen der Be-
stimmung der Höhe des Regelbedarfs für Erwachsene wegen der Einführung des
Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder und Jugendliche, für Eltern eine Mitglied-
schaft in Organisationen ohne Erwerbscharakter erstmals in voller Höhe als re-
gelbedarfsrelevant definiert (vgl BT-Drucks 17/3404, S 64). Insoweit ist mithin der
erhöhte Bedarf durch die Teilhabe des Kindes in die Bestimmung der Höhe des
Regelbedarfs eines Alleinstehenden eingerechnet worden.

Die Berücksichtigung bei der Bemessung der Pauschale hat auch hier zur Folge,
dass die Entscheidung, wofür der Betrag genutzt wird, dem einzelnen Bedarfsge-
meinschaftsmitglied obliegt, er also auch für andere Aufwendungen durch die
Teilhabe des Kindes genutzt werden kann. Gleichwohl wird der Gesetzgeber die
Bedarfe von zwei EnNachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind bei der Auswer-

- 11 -

tung der EVS 2013 unter Beachtung der sich aus § 10 Abs 2 Nr 3 RBEG erge-
benden Verpflichtung zu berücksichtigen haben. Danach hat das BMAS dem
Bundestag bis Juli 2013 für die Ermittlung von regelbedarfsrelevanten Ver-
brauchsausgaben von Erwachsenen Vorschläge zu unterbreiten, die in einem
Mehrpersonenhaushalt leben. Diese bilden sodann die Grundlage für die Ermitt-
lung von Regelbedarfen und die danach vorzunehmende Bestimmung von Regel-
bedarfsstufen für Erwachsene, die nicht in einem Einpersonenhaushalt leben.

Soweit Münder in seine Überlegungen auch die "Haushaltsgemeinkosten" einbe-
zieht, wird zwar schon nicht hinreichend deutlich, welche Kosten er hier betrachtet
(Münder, SozSich, Sonderheft September 2011, 85). Unbestritten steigen nach
allgemeiner Lebenserfahrung durch ein Kind in einem Haushalt allerdings die

Aufwendungen etwa in den Abteilungen 04 (Wohnen, Energie und Wohnungsin-

standhaltung), 05 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände), 08

(Nachrichtenübermittlung) und 12 (andere Waren und Dienstleistungen). Derartige

Aufwendungen sind jedoch in die Bemessung der Regelbedarfe der Kinder in Ab-

hängigkeit von den Aufwendungen des Haushalts, als deren eigene Bedarfe ein-

geflossen (zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Kinderregelbedarfe s unten

unter 6 d, cc). Inwieweit darüber hinaus den Erwachsenen selbst durch das Zu-

sammenleben mit dem Kind weitere Bedarfe als die durch die bereits erörterten

der Teilhabe entstehen, ist nicht ersichtlich.



Daraus, dass der Gesetzgeber für Alleinerziehende einen zusätzlichen Bedarf bei

Pflege und Erziehung von Kindern (§ 21 Abs 3 SGB II) erkannt hat, folgt keine

Verengung seines Gestaltungsspielraums derart, dass von der Annahme der Ver-

fassungswidrigkeit der Ableitung der Höhe des Regelbedarfs für zwei Erwachsene

in einem Paarhaushalt mit einem Kind ausschließlich von dem Regelbedarf eines

Alleinstehenden ausgegangen werden müsste. Dies folgt zwar nicht bereits dar-

aus, dass der Gesetzgeber bei den Alleinerziehenden nicht den Regelbedarf an

sich höher bemessen hat, sondern ihnen eine zusätzliche Mehrbedarfsleistung

zubilligt. Er braucht die Existenz nicht allein durch die Regelleistung zu sichern.

Es obliegt seinem Gestaltungsspielraum, ob er sich insoweit ergänzender Leis-

tungen bedient oder den erkannten Bedarf in die Bemessung des Regelbedarfs

einbezieht. Entscheidend insoweit ist nur, dass das verfassungsrechtlich gebote-

ne Existenzminimum sichergestellt wird (BVerfG, aaO, RdNr 170). Soweit mithin

aus dem für Alleinerziehende ermittelten verfassungsrechtlich relevant zu de-

ckenden Bedarf folgen sollte, dass sich dieser mit dem von zwei Erwachsenen in



- 12 -



einem Paarhaushalt mit Kind deckt, jedoch entweder nicht in der Höhe deren Re-

gelbedarfs niederschlägt oder nicht über eine gesonderte Leistung gedeckt wird,

kann dies auch bedeuten, dass das verfassungsrechtlich zu gewährleistende

Existenzminimum der Erwachsenen im Paarhaushalt mit Kindern unterschritten

wird. Dies ist jedoch nicht der Fall.



Es mangelt den Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind bereits an einem

verfassungsrechtlich relevanten Bedarf durch die Erziehung und Pflege der Kin-

der, wie er für "Alleinerziehende" erkannt worden ist. Bei dem Personenkreis der

Alleinerziehenden ist von einer besonderen Bedarfssituation auszugehen, bei der

typischerweise ein zusätzlicher Bedarf zu bejahen ist (BSG vom 23.8.2012 - B 4

AS 167/11 R - RdNr 14 ff; BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 15).

Solche besonderen Lebensumstände sind ausgehend von den Gesetzesmateria-

lien zur Einführung und zum Zweck der entsprechenden Regelung im BSHG (vgl

den Gesetzentwurf des Bundesrates vom 26.3.1985, BT-Drucks 10/3079 S 5)

exemplarisch darin gesehen worden, dass Alleinerziehende wegen der Sorge für

ihre Kinder typischerweise weniger Zeit haben, preisbewusst einzukaufen sowie

zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erzie-

hungsfragen tragen müssen bzw externen Rat in Betreuungs-‚ Gesundheits- und

Erziehungsfragen benötigen. Auch der Zweck des § 21 Abs 3 SGB II liegt darin,

den höheren Aufwand von Alleinerziehenden für die Versorgung und Pflege bzw

Erziehung der Kinder etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlicher Auf-

wendungen für die Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen

Dritter in pauschalierter Form auszugleichen (BSG vom 23.8.2012 - B 4 AS

167/11 R — RdNr 14; BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr1). Zwar ist

an diesen Gründen die Kritik geäußert worden, der Mehrbedarf für Alleinerziehen-

de sei wegen des gesellschaftlichen Wandels überholt (Düring in Gagel, SGB

II/SGB III, Stand XI/2010, 5 21 RdNr 19 und Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K,

Stand V/2011, 5 21 RdNr 36). Abgesehen davon, dass sich die Gruppe der Al-

leinerziehenden gegenüber allen anderen Haushaltsformen nach wie vor beson-

ders oft unterhalb der relativen Einkommensschwelle befindet und auch als Er-

werbstätige signifikant niedrigere Einkommen als Paarhaushalte erzielt (vgl den 4.

Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2012, S 324, 329), ändert ein

Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen nichts an der oben dargelegten ver-

fassungsrechtlichen Wertung im Hinblick auf die Bemessung des Regelbedarfs

eines Paares mit Kind. Sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sind

verfassungsrechtlich anzuerkennen, solange seine Erwägungen weder offensicht-



- 13 -



Iich fehlsam, noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind

(BVerfGE 113, 167 ff, 215 = SozR 4-2500 § 266 Nr6). Zumindest können diese

Wertungen nicht umgekehrt dazu führen, dass Bedarfe durch Kindererziehung in

dem gleiche Maße wie bei Alleinstehenden auch bei zwei Erwachsenen in einem

Paarhaushalt mit Kind bedarfserhöhend berücksichtigt werden müssten, ohne

dass das Existenzminimum Letzterer evident zu niedrig bemessen wäre.“



Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an.



Die Klage war somit unbegründet.



Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).



Rechtsmittelbelehrung



Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim



Hessischen Landessozialgericht, Steubenplatz 14, 64293 Darmstadt

(FAX-Nr. (0 61 51) 80 43 50)



schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin/des Ur-

kundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.



Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem



Sozialgericht Kassel, Ständeplatz 23, 34117 Kassel

(FAX-N r. 0561 -70936-10),



schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin/des Ur-

kundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.


Die elektronische Form wird durch eine qualifizierte signierte Datei gewahrt, die nach den

Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Ge-

richten und Staatsanwaltschaften vom 26. Oktober 2007 (GVBI I 2007, 699) in der jeweils

geltenden Fassung (GVBI ll 20-31) in den elektronischen Gerichtsbriefkasten zu übermit-

teln ist. Die hierfür erforderliche Software kann über das Internetportal des Elektronischen

Gerichts- und Verwaltungspostfachs (wvvw.egvp.de) unter „Downloads“ lizenzfrei herun-

tergeladen werden. Dort können auch weitere Informationen zum Verfahren abgerufen

werden.



Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerich-

te eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag ent-

halten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel an-

geben.



Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialge-



- 14 -

richt zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulas-
sung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem

Sozialgericht Kassel, Ständeplatz 23, 34117 Kassel
(FAX-Nr. 0561 -70936-1 0),

schriftlich oder in elektronischer Form zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem
Antrag beizufügen.


Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so

beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem,
sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt
und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.



Der Berufungsschrift- bzw. Antragsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Ab-
schriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Dies gilt nicht bei der Ubermittlung
elektronischer Dokumente.

gez. Dr. Mushoff

Richter am Sozialgericht



Ausgefertigt:

Kassel, 31.10.2013



BienNirth

Verwaltungsangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

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SG KA, S 5 KR 1763/11 vom 23.01.2012, Sozialgericht Karlsruhe
Sozialgericht Karlsruhe

Az.: S 5 KR 1763/11

Verkündet

am 23.01.2012

xxxx

Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

xxxxxxx

xxxxxxxxxxxx

- Klägerin -

Proz.-Bev.: Rechtsanwälte xxxxxxxxxx,

xxxxxxxx

gegen

xxxx

vertreten durch den Vorstand

xxxxxx

- Beklagte -

Die 5. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe
hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2012 durch
ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxx,
sowie die ehrenamtlichen Richter xxxx und xxxxx
für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Erstattung von Kosten für Fahrten mit dem Taxi in der Zeit vom 1.2. - 30.4.2011.

Die xxxx geborene Klägerin war bei der Beklagten krankenversichert. Wegen Niereninsuffizienz muss sie sich seit April 2008 dreimal pro Woche (Dienstag, Donnerstag und Samstag) einer Dialysebehandlung unterziehen; die Behandlung dauert jeweils vier Stunden.

Am 4.11.2010 verordnete die Internistin Dr. xxxx der Klägerin für die Zeit vom 1.1. - 31.12.2011 Krankenbeförderung mit einem Taxi für die Fahrten von der Wohnung zur Dialyse und zurück.

Nachdem die Beklagte eine Stellungnahme des MDK (vom 29.12.2010) eingeholt hatte, bewilligte sie der Klägerin mit Bescheid vom gleichen Tag Krankenfahrten mit dem Taxi „Wohnung-Dialyse-Wohnung“ bis zum 31.1.2011.

Für die Zeit ab dem 1.2.2011 lehnte die Beklagte hingegen mit Bescheid vom 25.1.2011 die Übernahme der Kosten für die Benutzung eines Taxis ab. Zur Begründung gab sie an, nach der Einschätzung des MDK sei die Benutzung eines Taxis medizinisch nicht notwendig; vielmehr könne die Klägerin mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Die Kosten hierfür werde sie der Klägerin auf Antrag erstatten.

Nach einer verwaltungsinternen Überprüfung änderte die Beklagte ihre Entscheidung teilweise ab und bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 31.1.2011 nun für die Zeit ab dem 1.2.2011 Krankenfahrten mit dem Taxi „Dialyse-Wohnort“ in näher bezeichneter Höhe.

Hiergegen legte die Klägerin am 2.2.2011 Widerspruch ein. Sie machte geltend, sie benötige ein Taxi nicht nur für die Rückfahrt, sondern auch für die Hinfahrt zur Dialyse. Für die Behandlung müsse sie sich bereits morgens um 6:15 Uhr im Dialysezentrum in xxxx einfinden. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei dies für sie nicht zu schaffen: Am Samstag fahre der früheste Bus in ihrem Wohnort xxx erst um 7:00 Uhr. Am Dienstag und Donnerstag gebe es zwar einen Bus um 5:00 Uhr. Allerdings fahre dieser nur bis zur Haltestelle xxxxx. Von dort müsste sie bis zum Dialysezentrum noch 1,5 km laufen, davon 500 m entlang einer viel befahrenen Straße ohne Gehweg. Im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand sei ihr dies nicht zumutbar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7.4.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, die Übernahme von Fahrkosten sei in § 60 SGB V geregelt. Welches Fahrzeug der Versicherte benutzen kann, richte sich gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausschließlich nach der medizinischen Notwendigkeit. Bei der Auswahl des Beförderungsmittels sei gemäß § 4 der Krankentransport-Richtlinien insbesondere der aktuelle Gesundheitszustand des Versicherten und seine Gehfähigkeit zu berücksichtigen. Andere als medizinische Gründe blieben hingegen außer Betracht. Nach der Einschätzung des MDK sei die Klägerin gesundheitlich in der Lage, bei der Hinfahrt zur Dialyse öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Es sei für die Frage der Kostenübernahme unerheblich, ob im Einzelfall tatsächlich hinreichende Verkehrsverbindungen vorhanden sind. Vor diesem Hintergrund könne sie, die Beklagte, der Klägerin für die Hinfahrt zu Dialyse nur die Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erstatten, nicht hingegen für die Benutzung eines Taxis.

Mit der am 21.4.2011 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Antrag weiter. Sie wiederholt im wesentlichen ihre Argumente aus dem Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, seit dem 1.5.2011 sei sie nicht mehr bei der Beklagten krankenversichert, sondern bei der AOK. Die AOK erachte sämtliche Taxi-Kosten für notwendig und habe diese ohne weiteres erstattet. In der Zeit vom 1.2. - 30.4.2011 sei sie auf eigene Kosten mit dem Taxi zur Dialyse gefahren. Hierfür habe sie insgesamt 736,32 € gezahlt. Diesen Betrag müsse die Beklagte erstatten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 25.1.2011 sowie Änderung des Bescheids vom 31.1.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.4.2011 zu verurteilen, ihr Kosten in Höhe von 736,32 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf ihren Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, die Klägerin sei im gesamten Jahr 2011 von der Pflicht zur Zuzahlung befreit.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des sachverständigen Zeugen Dr. xxxx (Aussage vom 20.9.2011). Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1) Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten.

Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Kostenerstattung nach dieser Vorschrift kommt in beiden Varianten nur in Betracht, wenn der Versicherte die streitige Leistung als Sachleistung beanspruchen konnte.

Daran fehlt es hier. Die Klägerin hatte keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Kosten für Fahrten mit dem Taxi zur Dialysebehandlung übernimmt:

Die Krankenkasse übernimmt nach Maßgabe des § 60 Abs. 2 und 3 SGB V die Kosten für Fahrten, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind (§ 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Notwendigkeit der Beförderung ist für den Hin- und Rückweg gesondert zu prüfen (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i. V. m. § 3 Abs. 2 Satz 2 Krankentransport-Richtlinien). Welches Fahrzeug benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall (§ 60 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Maßgeblich für die Auswahl des Beförderungsmittels ist ausschließlich die zwingende medizinische Notwendigkeit unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots. Für die Auswahlentscheidung ist deshalb insbesondere der aktuelle Gesundheitszustand des Versicherten und seine Gehfähigkeit zu berücksichtigen (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i. V. m. § 4 Krankentransport-Richtlinien). Die Krankenfahrt mit einem Taxi ist nur dann zu verordnen, wenn der Versicherte aus zwingenden medizinischen Gründen öffentliche Verkehrsmittel oder ein privates Kraftfahrzeug nicht benutzen kann (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i. V. m. § 7 Abs. 3 Krankentransport-Richtlinien). Hingegen kann eine Verordnung nicht darauf gestützt werden, die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel - zu deren Nutzung der Versicherte gesundheitlich prinzipiell in der Lage wäre - sei vor Ort unzureichend. Denn es kommt „ausschließlich“ auf die medizinische Notwendigkeit an (vgl. (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i. V. m. § 4 Satz 1 Krankentransport-Richtlinien). Auch bei anderen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung lässt sich die medizinische Erforderlichkeit nicht mit den örtlichen Verhältnissen oder sonstigen persönlichen Umständen begründen (zur Krankenhausbehandlung: BSGE 99, 111 Rdnr. 15; zur Hilfsmittelversorgung: BSGE 102, 90 Rdnr. 14).

Gemessen hieran benötigte die Klägerin für die Fahrten zur Dialysebehandlung kein Taxi. Zwar leidet sie an Niereninsuffizienz. Trotz dieser Erkrankung war die Klägerin aber gesundheitlich in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel oder einen PKW zu nutzen. So fährt sie (nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung) an den Wochentagen, an denen sie nicht zur Dialyse muss, selbst mit dem Auto zur Arbeit. Für die Fahrten zur Dialysebehandlung hat die Klägerin nur deshalb keine öffentlichen Verkehrsmittel genutzt, weil die Verbindungen ungünstig (oder nicht vorhanden) waren. Wie ausgeführt, reicht dies für die Begründung der medizinischen Notwendigkeit nicht.

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

3) Es besteht kein Grund, gemäß § 144 Abs. 2 SGG die Berufung zuzulassen.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung nur zu, wenn sie nachträglich zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerde muss innerhalb der oben angegebenen Frist bei dem vorgenannten Gericht eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Faksimile 1 2 3 4 5 6

L 4 KR 907/12 NZB

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SG MD, S 7 KR 212/08 ER vom 15.12.2008, Sozialgericht Magdeburg
SG MD Beschluss -15.12.2008-S 7 KR 212/08 ER 1/2

Sozialgericht Magdeburg

Beschluss (rechtskräftig)

Sozialgericht Magdeburg S 7 KR 212/08 ER

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 10. Juli 2008 wird zurückgewiesen. Die
außergerichtlichen Kosten des Antragstellers sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Antragsgegnerin verpflichtet ist, die Kosten für die Besuchsfahrten des Antragstellers zu seiner
Ehefrau nach B. zu übernehmen.

Die Ehefrau des Antragstellers war seit dem 20. März 2007 bis zum 26. Dezember 2007 im Deutschen
Herzzentrum B. in stationärer Behandlung. Am 20. März 2007 ist sie mit einem Kunstherz versorgt worden. Seit
dem 26. Dezember 2007 war sie in stationärer Behandlung im Paulinen-Krankenhaus in B. . Am 23. Juli 2008 ist
die Ehefrau des Antragstellers verstorben.

Mit Bescheid vom 25. Mai 2007 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller daraufhin, dass Besuchsfahrten von
Angehörigen nicht durch die Krankenkasse zu finanzieren seien. In diesem Bescheid und den nachfolgenden
Bescheiden hat die Antragsgegnerin im Rahmen von Einzelfallentscheidungen Fahrtkosten des Antragstellers
übernommen, maximal für 2 Fahrten pro Woche. Mit Bescheid vom 21. September 2007 teilte die Antragsgegnerin
dem Antragsteller mit, dass sie Fahrtkosten noch bis zum 31. Oktober 2007 übernehmen werde, darüber hinaus
jedoch nicht mehr. Auf den Widerspruch des Antragstellers hat die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 31. Januar
2008 weitere Fahrtkosten bis zum 26. Dezember 2007 für maximal 2 Fahrten pro Woche übernommen. Den
weitergehenden Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 09. Juni 2008 zurück. Zur
Begründung gab sie u. a. an, eine Kostenübernahme für die beantragten Besuchsfahrten sei aufgrund der
gesetzlichen Möglichkeiten in § 60 SGB V nicht vorgesehen. Seit dem 01. Januar 1989 habe der Gesetzgeber den
gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit genommen, Kosten für Besuchfahrten bei stationärer Behandlung von
Angehörigen zu übernehmen.

Hiergegen hat der Antragsteller am 10. Juli 2008 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben, welche unter dem
Az.: S 7 KR 208/08 geführt wird. Ferner hat er am 10. Juli 2008 den vorliegenden Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung gestellt. Der Antragsteller vertritt die Auffassung, er habe Anspruch auf Erstattung der
Kosten für Besuchsfahrten zum Krankenhaus, da es sich hierbei um notwendige Behandlungskosten handele.
Ausweislich des letzten ärztlichen Attestes des Paulinen-Krankenhauses vom 20. Juni 2008 sei das Begleiten der
Patientin von einem Familienangehörigen zur Stabilisierung ihres psychischen Zustandes medizinisch indiziert.

Der Antragsteller beantragt nach seinem Vorbringen sinngemäß -,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu ver-pflichten, weiterhin die dem Antragsteller
entstehenden Kosten für 2 Besuchsfahrten pro Woche zum jeweiligen stationären Benand-lungsort der Ehefrau
des Antragstellers zu bezahlen, längstens bis zum Ab-schluss ihrer stationären Behandlung.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.

Nach ihrer Auffassung liegt weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vor. Rechtsgrundlage für
die Kostenübernahme von Fahrtkosten bilde § 60 SGB V. Im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse
würden insbesondere Aufwendungen stehen, mit denen der Zweck verfolgt wird, Erkrankte an den Ort zu
transportieren, an dem die Leistung bestimmungsgemäß zu erbringen ist.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von ihnen eingereichten Schriftsätze Bezug
genommen. Die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin haben vorgelegen und sind
Gegenstand dieser Entscheidung gewesen. Auch auf ihren Inhalt wird verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine
einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder .
W wesentlich erschwert werden könnte. Soweit ein Fall des Absatzes nicht vorliegt sind einstweilige Anordnungen

SG MD Beschluss - 15.12.2008 - S 7 KR 212/08 ER 2/2

auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine
solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Hierfür muss der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund haben.
Anordnungsanspruch ist der materiell-rechtliche Anspruch auf die begehrte Leistung, dessen Bestehen von der
Gegenseite bestritten oder nicht erfüllt wird. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn ohne eine Entscheidung im
vorläufigen Rechtsschutz dem Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht anwendbare Nachteile
entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre
(Beschluss des Bundesverfassungsgericht vom 19.10.1977 2 BvR 42/76-‚ zuletzt Beschluss vom 12.05.2005
1 BvR 569/05-).

Der Antragsteller hat den geltend gemachten Anspruch nicht glaubhaft gemacht. Eine Tatsache ist glaubhaft
gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordert, dass
mehr für als dagegen spricht (Keller in Mayer-Ladewig u.a., Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, § 86 b Rd. Nr.
16 b).

Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Übernahme von Fahrtkosten für die Besuche bei seiner Ehefrau. Nach §
60 SGB V sind die Fahrtkosten eines Versicherten für seine eigene stationäre oder ambulante Behandlung zu
übernehmen. Die Übernahme von Fahrtkosten zum Besuch eines erkrankten Versicherten sieht § 60 SGB V nicht
vor. Eine andere Rechtsgrundlage für die Übernahme von Kosten für Besuchsfahrten besteht im Bereich der
gesetzlichen Krankenversicherung nicht. Die Antragsgegnerin hätte daher bereits die Fahrtkosten bis zum 26.
Dezember 2007 nicht übernehmen dürfen.

Dem Antrag konnte daher nicht stattgegeben werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes hat das Sozialgericht Magdeburg nur über die Kosten zu
entscheiden, die seit dem Eingang des Antrages vom 10. Juli 2008 beim Sozialgericht Magdeburg, also ab dem 10.
Juli 2008 entstanden sind. Nach den vorliegenden Bestätigungen des Paulinen-Krankenhauses hat der
Antragsteller seine Ehefrau in der Zeit vom 17. Juli 2008 bis zum 19. Juli 2008 täglich besucht sowie am 23. Juli
2008. Es handelt sich somit um Besuchsfahrten für zwei Wochen, wobei in der zweiten Woche nur eine
Besuchsfahrt angefallen ist. Seitdem 10. Juli 2008 sind somit 3 Besuchsfahrten angefallen. Der Antragsteller hatte
in seiner Aufstellung der Fahrt- und Übernachtungskosten vom 11. Juli 2007 pro Fahrstrecke 45,00 EUR an
Fahrtkosten angegeben, so dass für die Hin- und Rückfahrt 90,00 EUR und für drei Besuchstage somit insgesamt
270,00 EUR an Fahrtkosten anzusetzen sind. Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist die Beschwerde ausgeschlossen in
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Nach §
144 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Berufung nicht zulässig in Verfahren mit einem Beschwerdewert von weniger als
750,00 EUR. Da der Beschwerdewert von 750,00 EUR nicht erreicht wird, ist die Beschwerde gegen diesen
Beschluss ausgeschlossen.

A. Richter am Sozialgericht

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SG IZ, S 22 SO 56/10 vom 21.05.2012, Sozialgericht Itzehoe
Az.: S 22 SO 56/10

SOZIALGERICHT ITZEHOE

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

der

— Klägerin -

Bundesbevollmächtigte Rechtsanwälte

gegen

den Kreis Dithmarschen Stabsstelle Innerer Service Juristischer Service, Stettiner Str. 30,
25746 Heide

- Beklagter -

hat die 22. Kammer des Sozialgerichts Itzehoe auf die mündliche Verhandlung vom 21. Mai
2012 in Itzehoe durch

den Direktor des Sozialgerichts ,
die ehrenamtliche Richterin ___‚

den ehrenamtlichen Richter

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Gewährung von Hilfe zur Beschaffung eines Kraft-
fahrzeuges sowie einer Betriebskostenpauschale und der Kosten für einen behindertenge-

rechten Umbau des Kfz.

Die jetzt 61-jährige Klägerin ist schwerbehindert. Ein GdB von 100 ist festgestellt mit den
Merkzeichen G, aG sowie RF. Die Klägerin leidet an einem Zustand nach Kompressionsfrak-
tur des Lendenwirbelkörpers 1 mit inkompletter Querschnittslähmung sowie Folgezustand

nach Schlaganfall mit Hemiparese rechts.

Am 4. Juni 2008 beantragte sie die Kostenübernahme für die Neuanschaffung eines Kraft-
fahrzeuges. Die Klägerin hatte vorher in Bezirk Oberbayern gewohnt und von dort Kfz-Hilfe
erhalten. Bei ihrem alten Kraftfahrzeug überstiegen die Reparaturkosten den Restwert. Der
Umzug nach Schleswig-Holstein erfolgte aus gesundheitlichen Gründen. Die Klägerin war im
Zeitpunkt der Antragstellung verheiratet, ihr Ehemann verstarb jedoch Anfang 2012. Damals
bezog die Klägerin eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von ca. 660,00 €, ihr Ehemann
eine Altersrente in Höhe von ca. 850,00 €. Von den drei Kindern lebte bei Antragstellung
noch eine Tochter bei der Klägerin im Haushalt. Für diese erhielt die Klägerin Kindergeld.
Der Ehemann der Klägerin war herzkrank, die Eheleute hatten ein Einfamilienhaus gemietet.
Die Kaltmiete betrug dafür 800,00 €. Die Tochter bezog Arbeitslosengeld II in Höhe von
416,40 € monatlich.

Zur Antragsbegründung führte die Klägerin aus, das Kraftfahrzeug werde für regelmäßige
Fahrten zur Krankengymnastik nach ____‚ zum Schwimmen nach ins Hal-
lenbad, insgesamt dreimal wöchentlich, ansonsten für Einkäufe, Arztbesuche, Besuch der
Selbsthilfegruppe, Fahrten ans Meer wegen der Lungenerkrankung der Klägerin sowie Fahr-
ten des Ehemannes zur Herzbehandlung benötigt. Die Entfernung zu der nächsten Bushal-
testelle betrage drei Kilometer. Bei der Bahn seien unüberwindbare Hindernisse zum Bahn-
steig vorhanden, außerdem sei der Bus nicht rollstuhlgerecht. Die Klägerin habe keine Mög-
lichkeit einer Taxibenutzung am Ort.

Die Klägerin legte verschiedene Neuwagenangebote vor. Da der alte Wagen der Klägerin
jedoch nicht mehr die TÜV-Untersuchung bestand, behalf sich die Klägerin mit dem Polo der
Tochter, für den der Bezirk Oberbayern bis 31. Dezember 2008 die Betriebskosten über-

nahm. Dieser Polo wurde provisorisch für die Klägerin umgerüstet.

- 3 -

Der Beklagte holte eine Stellungnahme des Fachdienstes Gesundheit vom 25. November
2008 ein, der begutachtende befürwortete die Gewährung einer Kfz-Hilfe.

Nach Anhörung lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 16. März 2009 ab. Zur
Beschaffung des Kfz führte der Beklagte aus, eine Kfz-Hilfe werde in angemessenem Um-
fang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung
insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kfz angewiesen sei. Da
die Klägerin nicht Arbeitnehmerin sei, müssten vergleichbar gewichtige Gründe vorliegen.
Dabei müsse die Notwendigkeit für ein Kfz ständig bestehen und nicht nur vereinzelt oder
gelegentlich. Nach 5 2 SGB XII erhalte Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen könne oder
Hilfe von anderen erhalte. Bezüglich der Fahrt zu Ärzten sei die Krankenkasse vorrangiger
Leistungsträger, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für eine Fahrkostenübernahme
wegen des zuerkannten Merkzeichens „aG“. Einkäufe, Behördengänge sowie Besorgungen
könnten von der Tochter erledigt werden. Die Fahrten zum Schwimmen, zur Selbsthilfegrup-
pe und ans Meer begründeten kein ständiges Angewiesensein auf ein Kfz. Außerdem habe
die Klägerin den Polo der Tochter zur Verfügung, dieser habe noch zwei Jahre TÜV.

Hinsichtlich der Betriebskostenpauschale führte der Beklagte aus, die Vorhaltung und der
Betrieb eines Kfz an sich gehörten nicht zu den allgemeinen sozialhilferechtlich anerkannten
Bedarfen. Ein behinderungsbedingter Basisausgleich sei zu Lasten der Gesetzlichen Kran-
kenversicherung sicher zu stellen.

Mit ihrem Widerspruch vom 15. April 2009 machte die Klägerin geltend, sie sei auch für eine
Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit für „ ____“ auf das Kfz angewiesen. Die Entfernung
nach ____betrage 11 km. Sie helfe dort 12 Stunden in der Woche dienstags und freitags
bei der Lebensmittel-Verteilung an Bedürftige und übe Bürotätigkeiten aus. Ein Ausbau die-
ser Tätigkeit auf drei bis vier Tage pro Woche sei angestrebt.

Außerdem nehme sie seit 16 Jahren eine ehrenamtliche Tätigkeit beim
in München als Mitgliedsverwalterin und bei einer
Selbsthilfegruppe in Bayern als Beraterin wahr. Sie müsse einmal monatlich persönlich dort
erscheinen, sie fahre dann mit dem Pkw nach Hamburg-Altona und von dort mit dem Auto-
zug nach München.

Zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gehöre auch die Ausübung einer angemesse-
nen ehrenamtlichen Tätigkeit; sie wolle auch an Fortbildungen teilnehmen, das gehe jedoch
ohne Pkw nicht. Wegen des Umzuges nach Schleswig-Holstein sei es schon zu Einschrän-
kungen der Tätigkeit gekommen, was auch zu gesundheitlichen Problemen geführt habe. Sie

sei im Schützenverein gewesen und wolle dies auch in Schleswig-Holstein. Das sei wegen

- 4 -

der fehlenden Tauglichkeit des Polos für Nachtfahrten und die fehlende Möglichkeit zur Roll-
stuhlmitnahme nicht möglich. Der Polo sie nur provisorisch umgebaut worden und stelle eine
Übergangslösung dar.

Das regelmäßige Schwimmen sei für ihre Gesundheitlich erforderlich und nur mit dem Pkw
zu erreichen, ebenso Konzerte.

Die Entfernung zur nächsten Einkaufsmöglichkeit betrage 2,5 km bzw. wegen ihrer Allergie
benötige sie spezielle Kost, die nur in ___oder zu erhalten sei.

Ihre Tochter lebe nicht im gleichen Haushalt, sie habe kein Auto und arbeitete 30 Stunden in
der Woche in einem 1 €-Job bei

Der Beklagte bot daraufhin am 4. Februar 2010 eine Kfz-Beihilfe unter der Voraussetzung
an, dass keine Aufwandsentschädigungen in Geldmitteln oder in Form eines Autos, welches
zur Verfügung gestellt werde, geleistet würden. Die Klägerin meldete sich auf dieses Ange-
bot nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Im Wesentlichen begründete er dies wie seinen Ausgangsbescheid. Außerdem führte er aus,
dass für ehrenamtliche Tätigkeiten in der Regel Aufwandsentschädigungen gezahlt würden
bei unangemessenen Aufwendungen. Keinesfalls könne eine freiwillige ehrenamtliche Tätig-
keit mit einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes gleichgesetzt wer-
den, sondern sei Teil der Freizeitgestaltung.

Gegen den am 17. März 2010 zugestellten Widerspruchsbescheid wendet sich die Klägerin
mit ihrer am 15. April 2010 vor dem Sozialgericht Itzehoe erhobenen Klage. Zur Begründung
wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen. Das Kfz müsse Automatik getrieben und auf links
umgebaut sein. Sie habe 16 Jahre lang die Betriebskostenpauschale und eine Kfz-Hilfe in
Bayern erhalten. Die ehrenamtliche Tätigkeit bei __ bedeute für die Klägerin eine Teilha-
be am Arbeitsleben und gesellschaftliche Eingliederung.

Seit 10. Februar 2010 leide ihr Ehemann auch an einer Niereninsuffizienz und benötige spe-
zielle Lebensmittel, weshalb sie auch deshalb auf einen Pkw angewiesen sei.

Die Tätigkeit beim werde nunmehr ab 1. Oktober 2010 geringfügig
vergütet mit 150,00 € im Monat. Außerdem wolle sie im Kreis Dithmarschen eine Selbsthilfe-
gruppe gründen.

Ihre Tochter habe keinen Führerschein, ihr Sohn lebe nicht im Haus. Ihre ehrenamtliche Tä-
tigkeit sei von der Bedeutung für sie gleichzusetzen mit einer Erwerbstätigkeit. Sie erledige
die komplette Buchhaltung für den mit 800 Mitglie-

- 5 -

dern. Die Post müsse täglich auf den Postweg, ihre Tochter könne nicht fahren, ihr Sohn sei
nicht zu Hause, eine Nachbarschaftshilfe sei nicht möglich. Sie fahre mehrmals nach Mün-
chen, ein eigenes Auto sei dort zur Beweglichkeit nötig.

Die Verordnungen von der Krankenkasse seien nicht ausreichend, die Klägerin habe pro
Quartal nur dreimal 6 Stunden Anspruch auf entweder Schwimmen oder Therapie.

Eine Beweglichkeit mit dem ÖPNV sei nicht gegeben, da , und
nicht mit normalem Busverkehr zu erreichen seien.

Anlässlich des Termins zur Untersuchung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen
am 22. September 2011 hat die Klägerin mitgeteilt, seit ca. einer Woche
über ein behindertengerecht ausgestattetes Fahrzeug zu verfügen, das zum größten Teil von
der Franz-Beckenbauer—Stiftung sowie anderen Stiftungen finanziert worden sei. Es handele
sich um einen Gebrauchtwagen Opel Meriva, Baujahr 2005, der für einen Preis von 7.300,00
€ angeschafft worden sei. Nach der von der Klägerin aufgestellten Liste seien 5.000,00 € von
der Beckenbauer-Stiftung, 1.200,00 € von der Mia-Krone-Stiftung und 700,00 € vom Diako-
nischen Werk-Fliege Stiftung beigesteuert worden. Daher seien 400,00 € offen zuzüglich der
Kosten für die Überführung in Höhe von 295,00 €. Außerdem seien Betriebskosten zu tragen
und die Kosten für den noch vorzunehmenden Umbau des Bremskopfes von der rechten
Seite des Lenkrades zur linken Seite.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21. Mai 2012 hat die Klägerin ihr tatsächliches
Vorbringen ergänzt. Hierzu wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 16. März 2009 in der Fassung des Widerspruchs-
bescheides vom 12. März 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr
695,00 € für die Anschaffung des behindertengerechten Kraftfahrzeugs Opel Meriva,
Baujahr 2005, zu erstatten sowie die Betriebskosten für dieses Fahrzeug und die
Kosten für den Umbau des Bremskopfes von der rechten Seite des Lenkrades zur
linken zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

- 6 -

Zur Begründung bezieht er sich auf seinen Widerspruchsbescheid und trägt nach Vorlage
des Gutachtens vom Sachverständigen vor, dass die Versorgung des Ehemannes durch die
Kranken- bzw. Pflegekasse sicherzustellen sei. Für den Arztbesuch bzw. die Krankengym-
nastik sei ebenfalls die Krankenkasse zuständig. Die Ausübung einer ehrenamtlichen Tätig-
keit sei nicht einer Eingliederung in Arbeit gleichzusetzen. Die Büroarbeit für den
könne von zu Hause erledigt werden, dafür sei ein Kfz nicht nötig. Die
Post könnte von Nachbarn bzw. von der Familie weggebracht werden. Die Anwesenheit in
München dreimal im Jahr begründe kein Angewiesensein auf das Kfz. Außerdem sei es nicht
angemessen, weiter für Fahrten nach München aufzukommen, nachdem die Klägerin nun-
mehr vier Jahre in Schleswig-Holstein lebe.

Eine Teilhabe am Arbeitsleben finde durch die Klägerin nicht statt, da diese eine Er-
werbsminderungsrente beziehe.

Die Besuche des Schwimmbades dienten der medizinischen Rehabilitation. Wenn die Ver-
ordnungen nicht ausreichend seien, müsse die Krankenkasse weitere Leistungen prüfen.

Die Maßnahmen zur Abwendung der psychischen Erkrankungen fielen in den medizinischen
Bereich.

Die weiter geltend gemachten sportlichen Aktivitäten gingen über das übliche Maß nicht be-
hinderter Menschen hinaus, die aus wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen nicht über ein
eigenes Fahrzeug verfügten.

Konzerte und Kurse an der Volkshochschule würden nur gelegentlich besucht und begründe-
ten kein ständiges Angewiesensein auf ein Kfz.

Insgesamt seien nur Fahrten anzuerkennen, wie sie auch bei nicht Behinderten üblich wä-
ren. Das seien durchschnittlich 2 % Fahrten wöchentlich, was nicht mit der Häufigkeit ver-
gleichbar sei, in der ein Fahrzeug für die Teilhabe am Arbeitsleben nötig wäre.

Außerdem sei der Klägerin die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

Schließlich seien einige Beweisfragen von dem medizinischen Sachverständigen gar nicht
zu beantworten und deshalb ein ungeeignetes Beweismittel.

Die Kammer hat zur weiteren Sachaufklärung Beweis erhoben durch Einholung eines medi-
zinischen Sachverständigengutachtens vom Arzt für Chirurgie und Verkehrsmedizin
vom 14.11.2011 zur Notwendigkeit der Versorgung der Klägerin mit einem
Kraftfahrzeug. Hinsichtlich des Inhalts des Gutachtens wird auf Bl. 34 bis 107 der Gerichts-
akte verwiesen.

Die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des Beklagten hat vorgelegen. Außerdem hat
die Kammer die Gerichtsakte des Verfahrens S 22 SO 42/10 ER beigezogen. Diese Akten

- 7 -

sowie der Inhalt der Gerichtsakte sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 21.

Mai 2012 gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Übernahme des restlichen Kauf-
preises sowie der Überführungs- und Umbaukosten als Kfz-Hilfe sowie auf einen Betriebs-

kostenzuschuss.

Ein solcher Anspruch würde sich ergeben aus den §§ 53 Abs. 1 Satz, 54 Abs. 1 Satz 1, 60
SGB XII i. V. m. § 8 Abs. 1 der Eingliederungshilfeverordnung (EGHVO) sowie § 10 Abs. 6
EGHVO. Nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne
von § 2 Abs. 2 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer
Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentli-
chen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach
den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung,
Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 54
Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe u. a. diejenigen nach den
§§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX. Nach § 8 Abs. 1 EGHVO gilt die Hilfe zur Beschaffung eines
Kraftfahrzeuges als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. den §§ 33 und 55 SGB IX.
Sie wird in angemessenem Umfang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder
Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung
eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist; bei Teilhabe am Arbeitsleben findet die Kraftfahr-
zeughilfe-Verordnung Anwendung. Nach § 10 Abs. 6 EGHVO kann als Versorgung Hilfe in
angemessenem Umfange u. a. auch durch Übernahme von Betriebskosten eines Kraftfahr-
zeuges gewährt werden, wenn der behinderte Mensch wegen seiner Behinderung auf die
regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist oder angewiesen sein wird.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Sowohl § 8 Abs. 1 als auch 5 10 Abs. 6 EGHVO setzen übereinstimmend voraus, dass der
behinderte Mensch auf das Kfz angewiesen ist. Die Klägerin ist jedoch nicht auf die Benut-

zung eines Kfz angewiesen, insbesondere nicht zur Teilhabe am Arbeitsleben.

- 8 -

Unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) hat das Bundesverwaltungsgericht
(BVerwG) mit Urteil vom 20. Juli 2000 (5 C 43/99) ausgeführt, dass das Primat dieser Leis-
tung bei der Teilhabe am Arbeitsleben liegt bzw. einer vergleichbar „gewichtigen“ Zielset—
zung. Dies verdeutlicht das Regelbeispiel in § 8 Abs. 1 Satz 2 EGHVO, wonach der behin-
derte Mensch „insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben“ auf die Benutzung eines Kfz
angewiesen sein muss. Aus dieser Orientierung an der Teilhabe am Arbeitsleben folgt, dass
der behinderte Mensch regelmäßig wie bei einer (vor allem vollschichtigen) Tätigkeit erfor-
derlich, auf das Kfz angewiesen sein muss. Dies ist nur dann zu bejahen, wenn aus den gel-
tend gemachten Gründen eine ständige oder jedenfalls regelmäßige, d. h. tägliche oder fast
tägliche Benutzung des Kraftfahrzeuges erforderlich ist (vgl. BVerwG, a. a. 0.). Ausge-
schlossen ist die Kraftfahrzeughilfe daher bei einer nur gelegentlichen Inanspruchnahme,
weil dies nicht mit dem „Normalfall“ vergleichbar ist, den die Gesetzgebung vor Augen hatte,
nämlich mit dem Angewiesensein auf ein Kfz, um am Arbeitsleben teilhaben zu können.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme
der restlichen Anschaffungskosten, des behinderungsgerechten Umbaus sowie der Be-
triebskosten. Denn sie bezieht eine Rente wegen Erwerbsminderung und nimmt damit nicht
mehr am Erwerbsleben teil. Mit der Teilhabe am Arbeitsleben vergleichbare gewichtige
Gründe sind nicht gegeben. Eine ehrenamtliche Tätigkeit, die von der Klägerin in verschie-
dener Art und Weise ausgeübt wird, ist der Erwerbstätigkeit nicht gleichzusetzen. Dem
SGB Xll ist nicht der Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, dass ehrenamtliche Tätigkeiten
behinderter Menschen durch Übernahme der Kosten eines behindertengerechten Kfz (bzw.
seines entsprechenden Umbaus) — mittelbar — zu fördern. Wäre dem so, müssten alle Tätig-
keiten, die dem Gemeinwohl dienen, an dieser Förderung teilhaben. Eine solche Zielsetzung
ist dem SGB XII nicht zu entnehmen. Die Regelung des § 1 Satz 1 SGB Xll verdeutlicht
vielmehr, dass Ziel des SGB XII ist, die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Wür-
de des Menschen entspricht (vgl. zu allem LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil
vom 15. September 2011, L 9 SO 40/09, in: Juris Rn. 54).

Fahrtkosten zu ambulanten Behandlungen sind von vornherein nicht zu berücksichtigen,
soweit diese von der Krankenkasse nach Maßgabe der entsprechenden Richtlinien gemäß
§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V zu übernehmen sind; diese Übernahme hat die Kranken-
kasse der Klägerin gegenüber nach ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung
auch erklärt.

- 9 -

Die von der Klägerin geltend gemachten Fahrten zu Einkäufen unterfallen ebenfalls nicht
dem Bedarf der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Sinne der §§ 54 Abs. 1 Satz 1
SGB Xll, 55 Abs. 2 Nr. 7, 58 SGB IX. Hier ist die Klägerin auf die Bedarfsdeckung durch an-
dere Träger der Sozialleistungen zu verweisen. So ist durch die Krankenkasse die Leistung
einer Haushaltshilfe denkbar. Anhaltspunkte dafür, dass diese Leistung für die Sicherstellung
der erforderlichen Einkäufe nicht ausreicht, sind nicht ersichtlich.

Die übrigen geltend gemachten Fahrten zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, näm-
lich Fahrten zu Konzerten, zu Kursen an der Volkshochschule sowie zu sportlichen Aktivitä-
ten begründen kein ständiges Angewiesensein auf ein Kfz. Denn Fahrten zu Konzerten und
zur VHS finden nicht regelmäßig statt, die Fahrten zum Schwimmen bei nicht behinderten
Menschen üblicherweise einmal die Woche, nur ausnahmsweise dreimal die Woche. Selbst
wenn man von einer Nutzung dreimal die Woche ausgehen würde, ist dies nicht einem Um-
fang der Nutzung des Kfz vergleichbar, wie er im Falle der Ermöglichung einer Ausübung
einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich wäre.

Im Übrigen könnte nur dann eine Kfz-Hilfe gewährt werden, wenn die erforderliche Mobilität
in zumutbarer Weise nicht durch andere Hilfen (z. B. durch die Benutzung eines Rollstuhls
oder öffentlicher Verkehrsmittel) oder in sonstiger Weise wie Krankentransport, Mietauto,
Taxi sichergestellt ist. Die Klägerin hat dazu vorgetragen, dass der Bus nicht rollstuhlgerecht
sei und außerdem nicht ausreichend Verkehre. Dies ist jedoch nicht nachvollziehbar, wie
eine Internetrecherche bei der Autokraft GmbH in ___ergibt. Demnach fährt die Linie
2507 zwischen , und . Dass die meisten Verbin-
dungen nur an Schultagen stattfinden, macht diese noch nicht zu Schulbusfahrten, die den
anderen Fahrgästen nicht zugänglich wären. Die Linie 2509 verkehrt zwischen
und . Auch hier fahren die Busse zu einigen Zeiten nur an Schul-
tagen, jedoch ansonsten auch außerhalb der Schulzeit. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass
diese Busse nicht für behinderte Menschen zu nutzen wären.

Nach alledem ist die Klägerin nicht auf ein Kraftfahrzeug angewiesen. Daran ändert auch
das vom Gericht eingeholte Gutachten von nichts. Denn dieser hat lediglich
aus seiner medizinischen Sicht die Notwendigkeit einer Kfz-Nutzung für die Klägerin beur-
teilt. Dies ersetzt nicht die von der Kammer vorzunehmende rechtliche Würdigung, wann
eine Kfz-Nutzung im Rahmen der Eingliederungshilfe vom Beklagten zu erbringen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

- 10 -

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem

Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht
Gottorfstr. 2
24837 Schleswig

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Frist beträgt bei einer Zustellung im Ausland drei Monate.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem

Sozialgericht Itzehoe
Bergstraße 3
25524 Itzehoe

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen.
Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begrün-
dung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelas-
sen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist inner-
halb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Itzehoe schriftlich zu stellen. Die
Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit
der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf
Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des
Gegners beigefügt war.

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SG K, S 22 AS 6/05 ER vom 16.02.2005, Sozialgericht Köln
SOZIALGERICHT KÖLN

Urschrift

Az.: S 22 AS 6/05 ER

Beschluss


In dem Rechtsstreit

Antragsstellerin
gegen

EU-aktiv - Arbeitsgemeinschaft Grundsicherung für Arbeitssuchende-,
vertreten durch die Geschäftsführerin
Jülicher Ring 32, 53879 Euskirchen,

Antragsgegnerin

hat die 22. Kammer des Sozialgerichts Köln durch den Vorsitzenden, Richter am Sozi-
algericht R., am 16.02.2005 ohne mündliche Verhandlung beschlossen:


Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 24.01.2005 wird zu-
rückgewiesen.


Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:
Der Antrag,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, Kos-
ten für Fahrten der Antragsstellerin zur ärztlichen Untersuchungen zu über-
nehmen,

ist unbegründet.

Eine einstweilige Anordnung kann - nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG - nur ergehen,
wenn der Rechtschutzbegehrende glaubhaft macht, dass ihm der geltend gemachte
materielle Rechtsanspruch auf Gewährung der begehrten Leistung zusteht (Anord-
nungsanspruch) und es der sofortigen Durchsetzung seines Anspruches zur Beseiti-
gung einer gegenwärtigen Notlage im Wege der gerichtlichen Entscheidung bedarf,
weil ihm anderenfalls unzumutbare Nachteile entstünden (Anordnungsgrund).

lm vorliegenden Falle fehlt es am Anordnungsanspruch.

Wie auch die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 15.02.2005, auf den analog §
136 Abs. 2 und 3 SGG Bezug genommen wird, nicht verkennt, bestehen keinerlei
Zweifel an der Notwendigkeit ärztlicher Untersuchungen zur Abklärung des Gesamt-
umfanges der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Antragsstellerin. Zur Über-
nahme der für die Wahrnehmung der entsprechenden - noch zu vereinbarenden -
ärztlichen Termine anfallenden Kosten durch die Antragsgegnerin bietet das SGB ll
indes keine Handhabe. Gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V ist die Antragsstellerin als
Empfängerin von Arbeitslosengeld ll in der Krankenversicherung pflichtversichert.
Der Umfang dieser Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auch auf Kosten, die
durch die Wahrnehmung ärztlicher Termine notwendigerweise anfallen. Gegenüber
ihrem Krankenversicherungsträger, nicht aber gegenüber der Antragsgegnerin hat
die Antragsstellerin ihr Begehren daher geltend zu machen. Insbesondere greift auch
die Mehrbedarfsregelung nicht zu ihren Gunsten: Zum einen trifft keine der in § 21
Abs. 2 bis 5 SGB ll genannten Fallgestaltungen auf die Antragsstellerin zu. Zum an-


- 3 -

deren bezieht sich § 21 SGB ll nur auf die Erhöhung von Regelleistungen, nicht aber
die im konkreten Falle im Zusammenhange mit einer Krankenbehandlung entstehen-
den Kosten. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB ll schließlich erfasst nur unabweisbaren Bedarf
zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Zur Bestreitung ihres Unterhaltes erhalt die
Antragsstellerin Arbeitslosengeld Il.

Dem Begehren musste nach allem der Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung ergeht analog §§ 183,193 SGG.

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SG MD, S 19 AS 3294/13 RG vom 25.10.2013, Sozialgericht Magdeburg
Sozialgericht Magdeburg
S 19 AS 3294/13 RG

Aktenzeichen

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

- Antragsteller —-
gegen

Kommunale Beschäftigungsagentur Jobcenter Landkreis H.‚
— Antragsgegnerin —

hat die 19. Kammer des Sozialgerichts Magdeburg am 25. Oktober 2013 durch die Vorsit—
zende Richterin Dr. B. beschlossen:

Die Gegenvorstellung gegen den Beschluss vom 16. September 2013 wird als unzulässig
zurückgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

l.

Die erkennende Kammer lehnte in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter
dem Aktenzeichen S 19 AS 2594/13 ER den Antrag des Antragstellers auf Übernahme von
„Dokumentenkosten“ für die Erstellung eines Personalausweises insbesondere die Kosten
für Passbilder sowie die Kosten i.V.m. dem Behandlungsschein bei fehlender Gesundheits—
karte der Krankenkasse ab.

Am 23 September 2013 hat der Antragssteller „Gegenvorstellung zum nicht anfechtbaren
Beschluss“ beim Sozialgericht Magdeburg eingereichte Er hat dabei die fehlende Bezifferung
der untersten Grenze des soziokulturellen Existenzminimums und dessen Nichtgewährleis—
tung gerügt. Dies widerspreche der Garantie nach Art. 1, 3, 20 Grundgesetz (GG).

Der Antragsteller beantragt wörtlich,

1. Eine Bezifferung der untersten Grenze des mSKEM (soziokulturellen Existenzminimums
nach der Definition: 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010 u.a.) erfolgte bisher nicht, es ist daher eine
Bezifferung vorzunehmen.

2. Die Anwendung einer Bagatellgrenze selbst ist system-, verfassungswidrig und führt
regelmäßig zu einer fortlaufenden kumulativen Unterdeckung und ist daher als rechtswidrig.

3. Eine Verweisung ist unzulässig (SGB II —- Verweisung auf nicht systematische Ansparbe—
trag).

Anonymisierte Fassung

4. Eine Folgenabwägung ist nicht erkennbar. der iandkreiseigene Regelbetrag entspricht
nicht dem bundesdeutschen Regelbetrag und ist daher als rechtswidrig einzustufen.

Die Antragsgegnerin stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im anhängigen
Verfahren der Gegenvorstellung sowie im Verfahren S 19 AS 2594/13 ER verwiesen.

II.

Die Gegenvorstellung des Antragstellers wird als unzulässig zurückgewiesen.

Offen kann bleiben, ob nach der Einführung des Rechtsbehelfs der Anhörungsrüge eine
Gegenvorstellung weiterhin grundsätzlich statthaft ist (so Bundessozialgericht ‚
Beschluss vom 19. Januar 2010 —-— B 11 AL 13/09 C juris). Ihre Zulässigkeit setzt die Rüge
groben prozessuales Unrechts voraus. Insbesondere durch eine Verletzung von Verfahrens-
grundrechten, das im Wege der richterlichen Selbstkontrolle beseitigt werden muss (BSG,
Beschluss vorn 29. Dezember 2005, B 7a AL 2921/05 B, juris).

Die gerügte unterbliebene Feststellung des soziokulturellen Existenzminimums, die gerügte
Anwendung eines Bagatellbetrags. die gerügte Verweisung auf Ansparbeträge sowie die
gerügte fehlende Folgenabwägung bei bestehender Rechtswidrigkeit des .‚landkreiseigenem
Regelbetrags“ stellt keinen Widerspruch zum Prozessrecht oder eine Verletzung der Verfah-
rensgrundrechte des Antragstellers dar. Der Einwand betrifft allein die Wertung der Kammer
hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Tatsachen und Rechtsfragen. Die Gegenvorstel-
lung ist kein prozessuales Mittel, um einen rechtskräftig beendeten Streit fortzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

 

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SG MD, S 19 AS 3265/13 RG vom 25.10.2013, Sozialgericht Magdeburg
Sozialgericht Magdeburg
S 19 AS 3265/13 RG

Aktenzeichen

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

—— Antragsteller ——
gegen

Kommunale Beschäftigungsagentur Jobcenter Landkreis H.
— Antragsgegnerin --

hat. die 19 Kammer des Sozialgerichts Magdeburg am 25. Oktober 2013 durch die Vorsit-
zende Richterin Dr. B. beschlossen:

Die Gegenvorstellung gegen den Beschluss vom 20. September 2013 wird als unzulässig
zurückgewiesen

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

l.

Die erkennende Kammer lehnte in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter
dem Aktenzeichen S 19 AS 2665/13 ER den Antrag des Antragstellers auf Auszahlung
bisher aufgelaufener Kosten bisheriger Meldeaufforderungen und aus dem Vermittlungsbud—
get, Kosten einer Meldeaufforderungen vom 22. August 2013 ab. Ebenfalls lehnte die
erkennende Kammer die Hilfsanträge auf Klärung der zukünftigen Kostenvorschüsse, die
Auszahlung eines Mehrbedarfs sowie die Aussetzung auf Aussetzung des Meldetermins ab.

Am 27. September 2013 hat der Antragssteller „Gegenvorstellung zum nicht anfechtbaren
Beschluss“ beim Sozialgericht Magdeburg eingereicht, Er hat dabei die fehlende Bezifferung
der untersten Grenze des soziokulturellen Existenzminimums und dessen Nichtgewährleis—
tung gerügt. Dies widerspreche der Garantie nach Art. 1, 3, 20 Grundgesetz (GG).

Der Antragsteller beantragt wörtlich,

1. Eine Bezifferung der untersten Grenze des mSKEM (soziokulturellen Existenzminimums
nach der Definition: 1 Bvl 1/09 vom 9.2.2010 u.a.) erfolgte bisher nicht, es daher eine
Bezifferung vorzunehmen

2. Eine Folgeabwägung bei der Wiederholungsgefahr ist nicht erkennbar, der landkreiseige—
ne Regelbedarf entspricht nicht dem bundesdeutschen Regelbedarf und ist daher als
rechtswidrig einzustufen.

Anonymisierte Fassung

3. Ein Maßstab und ein Maßstab für die Angemessenheit ist nicht vorhanden. Es ist damit
Willkürlichkeit auszugehen

Die Antragsgegnerin stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im anhängigen
Verfahren der Gegenvorstellung sowie im Verfahren S 19 AS 2665/13 ER verwiesen.

ii.

Die Gegenvorstellung des Antragstellers wird als unzulässig zurückgewiesen.

Offen kann bleiben, ob nach der Einführung des Rechtsbehelfs der Anhörungsrüge eine
Gegenvorstellung weiterhin grundsätzlich statthaft ist (so Bundessozialgericht ‚
Beschluss vom 19. Januar 2010 — B 11 AL 13/09 C, juris). Ihre Zulässigkeit setzt die Rüge
groben prozessuales Unrechts voraus. Insbesondere durch eine Verletzung von Verfahrens—
grundrechten das im Wege der richterlichen Selbstkontrolle beseitigt werden muss (BSG,
Beschluss vom 29. Dezember 2005. B 7a AL 2921/05 B. juris).

Die gerügte unterbliebene Feststellung des soziokulturellen Existenzminimums, die gerügte
fehlende Folgenabwägung bei Bestehen einer Wiederholungsgefahr, die fehlende Feststel—
iung der Rechtswidrigkeit des „landkreiseigenem Regelbetrags“ sowie das Fehlen eines
Maßstäbe zur Angemessenheit stellt keinen Widerspruch zum Prozessrecht oder eine
Verletzung der Verfahrensgrundrechte des Antragstellers dar. Der Einwand betrifft allein die
Wertung der Kammer hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Tatsachen und Rechtsfra-
gen. Die Gegenvorstellung ist kein prozessuales Mittel. um einen rechtskräftig beendeten
Streit fortzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

 

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SG MD, S 19 AS 2665/13 ER vom 20-09-2013, Sozialgericht Magdeburg

 

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SG MD, S 19 AS 2594/13 ER vom 16.09.2013, Sozialgericht Magdeburg
Sozialgericht Magdeburg
S 19 AS 2594/13 ER

Aktenzeichen

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit
- Antragsteller —
gegen

Kommunale Beschäftigungsagentur Jobcenter Landkreis H.,
- Antragsgegnerin -

Die 29. Kammer des Sozialgerichts Magdeburg hat am 16. September 2013 durch die
Richterin Dr. B. als Vorsitzende beschlossen:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I .

Der Antragsteller begehrt im Wesentlichen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die
Übernahme von „Dokumentenkosten“ für die Erstellung eines Personalausweises, insbeson-
dere die Kostenübernahme für Passbilder sowie die Kostenübernahme für die Kosten i.v.m.
dem Behandlungsschein bei fehlender Gesundheitskarte seiner Krankenkasse.

Der am geborene Antragsteller bezieht seit dem 1. Januar 2005 Leistung zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 12. August 2013 wies ihn das
Bürgeramt der Stadt I. drauf hin. dass er nicht im Besitz eines gültigen Ausweisdokuments
sei bzw. deren Gültigkeit demnächst ablaufen werde. Der Antragsteller wurde aufgefordert,
ein gültiges Personaldokument umgehend beim Bürgeramt zu beantragen. Weiter wurde
darauf hingewiesen dass für die Erstellung eines Personaldokuments biometrietaugliche
Passfotos notwendig seien und die Ausstellung eines Personalausweises eine Gebühr von
28.80 € koste.

Bereits mit Schreiben vom 13. Juli 2012 forderte die Krankenkasse des Antragstellers diesen
auf, für die neue elektronische Gesundheitskarte ein Passbild oder ein bereits vorhandenes
Foto (elektronisch) zu übermitteln. Bereits am 26. September 2012 stellte der jetzige An-
tragsteller erfolglos unter dem Aktenzeichen S 19 AS 4614/12 einen Antrag auf einstweilige
Anordnung der Kostenübernahme für die Erstellung eines Passbilds bzw. die Kostenüber—
nahme zuzüglich der Nebenkosten für die Erstellung und das Hochladen eines solchen
Bildes und die Kostenübernahme für die Kosten in Verbindung mit dem Behandlungsschein
beim Sozialgericht Magdeburg. Eine Beschwerde vor dem Landessozialgericht Sachsen-
Anhalt (Aktenzeichen: L 5 AS 389/13 B ER) blieb ebenfalls erfolglos.

- 2-

Mit Schriftsatz vom 15. August 2013. Eingang beim Sozialgericht Magdeburg am 16. August
2013, stellte der Antragsteller einen Antrag auf einstweilige Anordnung. Dies begründete er
damit, dass bisher die Amtsermittlungsergebnisse zu „Dokumentenkosten“, insbesondere
zum Sozialpass. Gesundheitspass sowie Personalausweisdokumenten fehlen würden. Der
Antragsgegnerin sei bekannt, dass Passbilder nicht im Regelbedarf enthalten seien. Es
stünde noch die Kostenübernahme für die noch notwendige Erstellung von Passbildern für
den Sozial— und Reisepass sowie Bewerbungen aus. Zudem seien noch Nachweis- und
Dokumentationskosten sowie Fahrkosten offen. im Übrigen seien auch die Kosten der
Unterkunft noch streitig. Durch die bisherige Weigerung der Antragsgegnerin diese Kosten
zu begleichen sei das Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. insbesondere sei das
Problem der „Dokumentenkosten“ und des fehlerhaften Regelbetrages bisher durch eine
mögliche Darlehensvergabe nicht gelost worden. Es besteht damit weiterhin ein dauerhafter
Systeme, Rechts- und verfassungswidriger Zustand seit dem 1. Januar 2011. im Übrigen
weist der Antragsteller darauf hin, dass im Gesetzentwurf BT-Drs. 17/3404 (S. 64) für die
Änderung des Regelbedarfs stünde:

“Den sonstigen Dienstleistungen werden die neu festgelegten Gebühren von 28,80 €
bezogen auf 10 Jahre für den Personalausweis. die künftig auch hilfebedürftigen Personen
zu entrichten haben. zusätzlich berücksichtigt.“

Der Antragsteller beantragt wörtlich,

1. die Übernahme von Dokumentenkosten aufgrund des Schreibens der Stadt I. zuzüglich
sonstiger Entstehungs- und Verfahrenskosten.

2. Kostenübernahme für Passbilder.

3. Kostenübernahme zuzüglich Nebenkosten für das Hochladen (PC/Kamera/Software,/
Internet/Strom).

4. die Kostenübernahme für die Kosten in Verbindung mit dem Behandlungsschein.

5. Kostenübernahme per Darlehen in Höhe des dreifachen Auffüllbetrags (750,01 € x 3) (1.
Dokumentationskosten zuzüglich, 2. Ausweis—Passbild 3. Gesundheitspass-Passbild, 4.
Sonstige Entstehungs— und Verfahrenskosten).

6. die Auszahlung eines atypischen Mehrbedarfs in Höhe eines eventuell bestehenden
Schadensersatzanspruchs.

7. einen sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruch.

8. die nachträgliche Ausweisung des Ansparbetrages in Euro für Dokumentenkosten in den
laufenden Bescheiden.

Hilfsweise beantragt der Antragsteller wörtlich,

die Aussetzung der Ausweispflicht für den Ansparzeitraum.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Der Antrag sei bereits unzulässig. Die Kostenübernahme für ein Passbild für die Gesund—
heitskarte bzw. das Hochladen eines Bildes sei bereits in einem anderen Verfahren des
Anonymisierte Fassung

- 3 -

einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt worden. Die Gebühren für den Personalausweis
seien im Regelbedarf enthalten. Bei einer darlehensweisen Gewährung müsse zur Tilgung
des Darlehens sofort mit 10% des Regelbedarfs aufgerechnet werden. Das Darlehen sei
sofort im nächsten Monat getilgt. Der Antragsteller hätte in den letzten Jahren bereits
Ansparungen für den Personalausweis treffen können. Für die Auffüllbeträge bestünde keine
Rechtsgrundlage im SGB II. Die weiteren geltend gemachten Ansprüche könnten nicht
Gegenstand eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes sein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird
auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen

I. in der Hauptsache geht es dem Antragsteller um den Kostenersatz für die Gebühren des
Personalausweises (Hauptantrag zu 1.) sowie der Kostenersatz für die Erstellung von
Passfotos (Hauptantrag zu 2.). Der Hauptantrag zu 2 ist zu den Anträgen zu 3. und 4. nach
der Auslegung durch das Gericht im Verhältnis Haupt— und Hilfsantrag gestellt. Im Antrag zu
3. macht der Antragsteller hilfsweise die Kosten der Erstellung von Passfotos mit eigener
Kamera und der elektronischen Übertragung an die Krankenkasse für die Gesundheitskarte
geltend. Ebenfalls hilfsweise beantragt dieser im Antrag zu 4. die Kostenübernahme für
Kosten in Verbindung mit dem Behandlungsschein. Die Anträge zu 5 bis 8 sind als Hauptan—
träge auszulegen. Ausdrücklich hilfsweise beantragt der Antragsteller die Aussetzung der
Ausweispflicht.

2. Die Hauptanträge zu 1. und 2. sind zulässig aber unbegründet.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache
auf Antrag eine einstweilige Anordnung auf den Streitgegenstand treffen. wenn die Gefahr
besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines
Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige
Anordnungen sind nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies ist etwa dann der Fall, wenn
dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders
abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache
nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG. Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, Rn. 5 ff).
Nach § 86 b Abs. 3 SGG ist der Antrag schon vor Klageerhebung zulässig. Eine solche
Regelungsanordnung begehrt der Antragsteller. soweit er von der Antragsgegnerin Leistun—
gen erhalten möchte.

Eine Regelungsanordnung kann das Gericht erlassen. wenn der Antragsteller glaubhaft
macht (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO)).
dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsan—
spruch) und dass der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche
Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Voraussetzung für die Gewährung einstweili—
gen Rechtsschutzes ist damit das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anord—
nungsgrundes. wobei der Anordnungsanspruch den materiellen Anspruch auf die Regelung
an sich beinhaltet und der Anordnungsgrund ein besonderes Eilbedürfnis, also die Dringlich
keit der begehrten Regelung für den Antragsteller voraussetzt.

Bei der Beurteilung sind hierbei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt
der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich.

Ein Anordnungsanspruch wurde nicht glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Übernahme der Gebühren für die Ausstellung
eines neuen Personalausweises sowie der Kosten für das Anfertigen der dazu erforderlichen

- 4 -

biometrischen Fotos als Zuschuss. Es fehlt an einer Anspruchsgrundlage für dieses Begeh—
ren (so auch: LSG Baden—Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 —— L 12 AS 2597/11 — juris).
Grundsätzlich hat der Leistungsberechtigte seinen Bedarf zur Sicherung des Lebensunter-
halts durch den Regelbedarf des § 20 Zweites Sozialgesetzbuch (SGB ll) zu decken. Der
Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst nach § 20 Abs. 1 SGB II insbe—
sondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die
Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnis-
se des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in
vertretbarem Umfang die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft.
Die mit der Erstellung eines Personaldokuments verbundenen Kosten sind im Regelbedarf
enthalten (so die Begründung der Gesetzentwurfs BT-Drs. 17/3404, S. 64), auf die der
Antragsteller ausdrücklich verweist. Dem Gericht ist es nicht möglich, abweichend vom
pauschalierten Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II Leistun-
gen festzusetzen (vgl. beispielsweise BSG, Urteile vorn 10. Mai 2011 4 B 4 AS 11/10 B -:
vom 28. Oktober 2009 - B 14 AS 44/08 R —: vom 19. August 2010 — B 14 AS 47/09 R —
jeweils zitiert nach juris). Kann ein notwendiger Bedarf durch den Regelbedarf tatsächlich
nicht gedeckt werden, soll der Hilfebedürftige zunächst den „Ansparbetrag“ einsetzen. Nur
wenn ihm das nicht gelingt. kommt eine darlehensweise Bewilligung nach § 24 Abs. 1 SGB II
in Betracht.

Auch abweichend vom Regelbedarf fehlt es in der Systematik des SGB II an einer An—
spruchsgrundlage für die begehrte Übernahme der Kosten für den Personalausweis und des
Reisepasses. Es handelt sich bei den Aufwendung für den Personalausweis und den
Reisepass sowie die damit zusammenhängenden Kosten für biometrische Fotos weder um
einen Mehrbedarf, der in § 21 SGB II gesondert normiert ist, noch um Sonderbedarfe nach §
24 Abs. 3 SGB II.

Es liegen auch die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II nicht vor, wonach bei Leis-
tungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt wird. wenn im Einzelfall ein unabweisbarer,
laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Hintergrund dieser mit Wirkung
zum 08. Juni 20t0 gesetzlich normierte Härtefallregelung ist das Urteil des Bundesverfas-
sungsgericht vom 09. Februar 2010 (1 BvL 1/09. 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 —). ln diesem
monierte das Bundesverfassungsgericht, dass in der Systematik des SGB II eine Regelung
nicht enthalten sei, nach der es einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung eines zur
Deckung eines menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren. laufenden, nicht nur
einmaligen, besonderen Bedarf gäbe. Durch den Bezug auf einen laufenden und nicht nur
einmaligen besonderen Bedarf wird der Mehrbedarf nah § 21 Abs. 6 SGB II von dem
Darlehen für unabweisbare Bedarfe nach § 24 Abs. 1 SGB II abgegrenzt (LSG Baden
Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 -—- L 12 AS 2597/11 —— juris). Auch das Bundesverfas-
sungsgericht ist davon ausgegangen, dass nur einmalig auftretenden Bedarfsspitzen über
die Darlehensregelung erfasst werden können.

Von einem einmaligen Bedarf ist auszugehen, wenn der besondere Bedarf im Bewilligungs—
abschnitt nicht nur einmal, sondern bei prognostischer Betrachtung mehrfach auftritt (so
bspw. Behrend in jurisPK - SGB II, § 21 RdNr. 81). Dies ist dann anzunehmen, wenn der
Bedarf absehbar wiederholt in einem zeitlich vom Zeitpunkt der Beurteilung her abschätzba—
ren Zeitraum von ca. 1 — 2 Jahren anfällt (so z.B. Münder in LPK — SGB II, 4. Aufl. 2011, § 21
RdNr. 42). Bei einem einmaligen Bedarf handelt es sich nicht um einen Härtefall in diesem
Sinne (so auch: Sauer in derselbe, SGB II, 1. Aufl. 2011, § 21 RdNr. 84). Bei den Kosten für
die Erstellung eines Personalausweises und die biometrischen Passbilder handelt es sich
um keinen laufenden, in einem überschaubaren Zeitraum wiederkehrenden, sondern um
einen einmaligen Bedarf anlässlich der Ausstellung eines Personalausweises und eines
Reisepasses (LSG Baden—Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 — L 12 AS 2597/11 — juris).
Mit einem erneuten Bedarf ist erst nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Personalausweises,
die 10 Jahre beträgt, zu rechnen.

- 5 -

Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung eines gegebenenfalls
rückzahlungsfreien Darlehens nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB
II erbringt der Leistungsträger nach dem SGB II bei entsprechendem Nachweis den Bedarf
als Sachleistung oder Geldleistung und gewährt der oder dem Leistungsberechtigten ein
entsprechendes Darlehen, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des
Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt
werden kann. Das Darlehen wird ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatli—
che Aufrechnungen in Höhe von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs getilgt (§ 42a Abs. 2
Satz 1 SGB II). Weitergehende Leistungen sind ausgeschlossen (§ 24 Abs. 1 Satz 8 SGB II).
Für die Gewährung einer von vornherein rückzahlungsfreien Darlehensleistung fehlt es im
SGB II an einer Rechtsgrundlage (vgl. beispielsweise BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 in B 4 AS
11/10 R -).

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus § 1 Abs. 6 Personalausweisgebühren—verordnung
vom 1. November 2010, wonach die Gebühr für die Ausstellung eines Personalausweises
ermäßigt oder von ihrer Erhebung abgesehen werden kann, wenn die Person, die die
Gebühr schuldet, bedürftig ist. Denn für die Entscheidung über die Gebührenermäßigung
bzw. das Absehen von der Gebührenerhebung sind die Personalausweisbehörden zuständig
(§ 7 Abs. 1 Personalausweisgesetz).

Es bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Gebühren für die
Ausstellung eines Personalausweises und eines Reisepasses sowie die Kosten für die
Anfertigung biometrischer Fotos nicht nach den Vorschriften des SGB II gesondert über-
nommen werden können, sodass kein Anlass für eine Vorlage gemäß Art. 100 Grundgesetz
an das Bundesverfassungsgericht besteht.

3. Die hilfsweise geltend gemachten Anträge auf Kostenübernahme zuzüglich Nebenkosten
für das Hochladen (Antrag zu 3.) sowie die Kostenübernahme in Verbindung mit dem
Behandlungsschein (Antrag zu 4.) sind bereits unzulässig. Hier fehlt es am Rechtsschutzbe-
dürfnis. Entstehende Kosten sind weder vorgetragen noch der Kammer ersichtlich.

4. Der Antrag zu 5. ist zwar zulässig, aber unbegründet. Ein Anordnungsanspruch für die
Kostenübernahme per Darlehen in Höhe eines dreifachen Auffüllbetrags liegt nicht vor. Ein
Auffüllbetrag ist in der Systematik des SGB II nicht vorgesehen. Inwieweit die Summe von
jeweils 750,01 € als einmalige Bedarfsspitze im Rahmen des § 24 Abs. 1 SGB II über den
Betrag der Gebühr für den Ausweis hinausgeht, herzuleiten ist, ist der Kammer nicht ersicht—
lich und auch nicht vorgetragen. Insofern fehlt die Rechtsgrundlage für den in der Höhe von
750,01 € vom Antragssteller geltend gemachten Anspruch.

Die mit diesem Betrag wohl auch geltend gemachte darlehensweise Bewilligung der Gebühr
für den Personalausweis in Höhe von 28,80 € kann vom Antragsteller von der aus der
Regelleistung gezahlt werden, insofern fehlt es am unabweisbaren Bedarf der Bewilligung
nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Es ist nicht vorgetragen und für das Gericht auch nicht
ersichtlich, dass der Betrag nicht vom ausgezahlten Regelbedarf getragen werden kann. Im
Übrigen fehlt es auch an einem Anordnungsgrund, da die regelmäßig anzusetzende Baga-
tellgrenze bei einmalig zu zahlenden Beträgen nicht erreicht wird (vgl. dazu LSG Sachsen-
Anhalt Beschluss vom 30.03.2009 — L 5 B 121/08 ER — juris). Die Grenze ergibt sich aus der
Heranziehung der für ein solches Darlehen vorgesehenen Tilgung in Raten durch monatliche
Aufrechnung von bis zu 10% der Regelleistung (nunmehr 38,20 €) als generellen Rahmen.
Dieser Betrag ist hier nicht überschritten. Daran ändert auch nichts, dass der Antragsteller
bereits ein Darlehen in Höhe von 34,70 € monatlich zurückzahlt, da mit der Wertung von §
43 Abs. 2 SGB II sogar eine Aufrechnung bis 30 % möglich ist. Hier ist keine existenzielle,
das heißt akute wirtschaftliche Notlage glaubhaft gemacht, der mit Mitteln des gerichtlichen
Eilrechtschutzes begegnet werden müsste.

- 6 -

Der Antrag zu 6. ist zulässig, aber unbegründet. Ein Anordnungsanspruch liegt nicht vor.
Die Zahlung eines Mehrbedarfs in Höhe eines Schadensersatzanspruchs ist im Sozialge—
setzbuch II (SGB II) nicht vorgesehen. Insofern fehlt die Rechtsgrundlage für den vom
Antragssteller geltend gemachten Anspruch.

6. Nichts anderes ergibt sich aus dem geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsan-
spruch. Dieser setzt voraus. dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetzes
oder eines Soziairechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und
Auskunft (§§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch) verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass
zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen
ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige
Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt
werden können. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Geset-
zeszweck nicht widersprechen ist (st Rspr. vgl BSG 01.04.2003, B 7 AL 52/03 B, BSGE 92.
267. 279 = SozR 4-43005 § 137 Nr 1: BSG 31.10.2007. B 14/11b AS 63/06 R, SozR 4-1200 §
14 Nr 10). Hier ist schon eine Pflichtverletzung der Antragsgegnerin nicht ersichtlich. Eine
solche wurde auch nicht vorgetragen.

7. Der Antrag zu 8. ist bereits unzulässig. Eine solche Anordnung der nachträglichen
Ausweisung des Ansparbetrages in den laufenden Bescheiden unterfällt nicht den Fallgrup-
pen des § 86 b SGG.

8. Der Hilfsantrag auf Aussetzung der Ausweispflicht ist unzulässig. Das Sozialgericht ist für
eine solche Entscheidung sachlich unzuständig.

9. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

10. Die Beschwerde ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht statthaft, da der Beschwerdewert
von 750 € nicht erreicht ist. Soweit der Antragsteller hier Kosten in Höhe des dreifachen
Auffüllbetrages von jeweils 750.01 € geltend macht, geht das Gericht davon aus, dass dieser
Betrag nur zum Erreichen des Beschwerdewerts angegebenen wurde. Wirtschaftlich werden
lediglich die Gebühren für den Personalausweis sowie für die Erstellung von Passfotos
begehrt, welche den Beschwerdewert nicht annähernd erreichen.

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SG MZ, S 13 SB 486/10 vom 07.05.2012, Sozialgericht Mainz
Aktenzeichen
S 13 SB 486/10

Verkündet lt. Protokoll am:
7. Mai 2012
gez.:
S.
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

- Klägerin -

Prozessbevollmächtigte Rechtsanwälte

gegen

Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch das Landesamt für Soziales, Jugend und
Versorgung, Baedekerstraße 2—10, 56073 Koblenz


— Beklagter —


hat die 13. Kammer des Sozialgerichts Mainz auf die mündliche Verhandlung vom
7. Mai 2012 durch


den Richter S.

sowie die ehrenamtlichen Richter Herr B. und Frau K.


für Recht erkannt:


1. Die Klage wird abgewiesen.

- 2 -


2. Über das Teil-Anerkenntnis vom 11. Januar
2012 hinaus sind keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten zuletzt noch über die Frage, ob bei der Klägerin die Vor-
aussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche
Gehbehinderung) vorliegen.


Bei der am 21. Juli 1961 geborenen Klägerin wurden mit zuletzt bindend gewor-
denem Bescheid vom 22. Juni 2009 als Ausführungsbescheid zum Urteil des So-
zialgerichts Mainz (SG) vom 07. Mai 2009 (Az.: S B SB 133/07) durch das Amt für
soziale Angelegenheiten Mainz (AsA) ein Grad der Behinderung (GdB) von 70
sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt,
wobei die Behinderungen wie folgt bewertet und bezeichnet wurden:


1. Harnblasenoperation mit Anlage einer künstlichen Harnableitung über die
Bauchdecke mit Inkontinenz (Einzel-GdB = 60).
2. Schmerzhatte Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule nach mikrochi-
rurgischer Bandscheibenoperation im HWS-Bereich, operative Spondylo-
dese im LWS-Bereich sowie nach verheilten Brustwirbeltrakturen (Einzel-
GdB = 30).
3. Reizmagen (Einzel-GdB = 10).
4. Vegetative Dystonie (Einzel-GdB = 10).
5. Kniegelenkschaden beiderseits, Polyaithralgien (Einzel-GdB = 10).


Die Klägerin stellte im Februar 2010 einen Änderungsantrag beim AsA mit
dem Ziel der Feststellung eines höheren GdB und des Merkzeichens "aG". Sie
gab an, dass sich die Beschwerden an der Harnblase, der Wirbelsäule, dem
Reizmagen und dem Knie verschlimmert hätten. Neu hinzugekommen seien Be-


- 3 -


schwerden am Ellenbogen. Eine Kohabitation sei ihr unmöglich. Die Klägerin legte
hierzu zahlreiche Befundunterlagen vor. Im Einzelnen berief sie sich ua auf fol-
gende medizinische Unterlagen: Arztbrief des U. des S. Klinik für
Urologie und Kinderurologie; ärztlichesGutachten für die gesetzliche Rentenversi-
cherung durch den Urologen Dr. G.; ärztliches Gutachten für die gesetzliche
Rentenversicherung durch den Orthopäden Dr. G.; Entlassungsbericht des Uni-
versitätsklinikums, Urologische Klinik und Poliklinik; verschiedene Arztbriefe
des Städtischen Klinikums N., Abteilung für Urologie; Gutachten des Städti-
schen Klinikums N., Abteilung für Urologie und ein Arztbrief des St.
J g ,Wirbelsäulenzentrum.


Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme wurde der Antrag der Kläge-
rin mit Bescheid vom 22. April 2010 durch das AsA abgelehnt. Zur Begrün-
dung wurde ausgeführt, dass der GdB weiterhin mit 70 zu bewerten sei und die
Voraussetzungen des Merkzeichens "G" vorlägen. Die Schmerzen bei der Kohabi-
tation seien bereits·unter Ziff 1 mitberücksichtigt. Die Behinderungen wurden er-
neut wie folgt festgestellt:


1. Harnblasenoperation mit Anlage einer künstlichen Harnableitung über die
Bauchdecke mit Inkontinenz (Einzel-GdB = 6O).
2. Schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule nach mikrochi-
rurgischer Bandscheibenoperation im HWS—Bereich, operative Spondylo-
dese im LWS-Bereich sowienach verheilten Brustvvirbelfrakturen (Einzel-
GdB = 30).
3. Reizmagen (Einzel-GdB = 10).
4. Vegetative Dystonie (Einzel-GdB = 10).
5. Kniegelenkschaden beiderseits, Polyarthralgien (Einzel-GdB = 10).


Ihren hiergegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin dahingehend,
dass die bereits anerkannten Leiden nicht ausreichend berücksichtigt worden sei-
en und insbesondere fehlerhaft die Voraussetzungen für die Zuerkennung des


- 4 -


Merkzeichens "aG" nicht angenommen worden seien. Zur Begründung legte sie
wiederum verschiedene Arztberichte vor: Arztbriei des Radiologen Dr, V ; Arzt-
brief der Universitätsmedizin, Zentrum für muskuloskeletale Chirurgie; Arztbrief
des Radiologischen Instituts K.; Untersuchungsberichte des MVZ für Laborato-
riumsmedizin und eine Arnbulanzkarte der Universitätsklinik.


Nach der.Einholung eines Befundberichts bei der die Klägerin behandelnden
Frauenärztin K. vom 29. Juni 2010 und dem Eingang weiterer ärztlicher Be-
fundunterlagen wurde der Widerspruch auf die gutachtliche Stellungnahme vom
30. September 2010 mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2010 durch das
Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung zurückgewiesen. Die Behinde-
rungen wurden wie folgt neu bezeichnet und bewertet:


1. Harnblasenoperation mit Anlage einer künstlichen Harnableitung über die
Bauchdecke mit Inkontinenz (Einzel—GdB = 60).
2. Schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule nach mikrochi-
rurgischer Bandscheibenoperation im Halswirbelsäulenbereich, operative
Spondylodese im Lendenwirbelsäulenbereich sowie nach verheilten Brust-
wirbelfrakturen (Einzel-GdB = 30).
3. Störungen der Vagina und der äußeren Genitale (Einzel-GdB = 20).
4. Reizmagen (Einzel—GdB = 10).
5. Vegetative Dystonie (Einzel—GdB = 10).
6. Kniegelenksschaden beiderseits, Polyarthralgien (Einzel-GdB = 10).


Mit ihrer am 12. November 2010 erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst die
Feststellung eines GdB von mindestens 80 und die Feststellung des Merkzeichens
"aG" begehrt.


Die Klägerin hat vorgetragen, dass sie durch die Störung der Vagina stärker ein-
geschränkt sei, als sich das in einem Einzel-GdB von 20 widerspiegele. Sie könne
keinen Geschlechtsverkehr mehr haben, Auch ihre Wirbelsäulenerkrankung sei


- 5 -


schlimmer, als dies der bislang anerkannte Einzel—GdB von 40 erscheinen lasse.
Zudem erfülle sie die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzei-
chens "aG". Zwar sei sie kein klassisches Beispiel für das begehrte Merkzeichen.
Jedoch rechtfertigten die miteinander korrelierenden inneren Beschwerden und
Verletzungen die Annahme einer gleichschweren Erkrankung. Auf Grund ihrer
Neo-Blase sei sie auf ein ständiges Katheterisieren angewiesen. Die dazu benö-
tigten Utensilien müsse sie in einer großen Tasche aufbewahren und stets bei sich
führen. Diese sei sperrig und von erheblichem Gewicht. Zudem führten die chroni-
sche Blasenentzündung, der unkontrollierte Harnabgang und die Beschwerden an
ihrer Wirbelsäule zu einer stark verminderten Wegefähigkeit. Deshalb sei sie etwa
einem Doppeloberschenkelamputierten gleichzustellen.


Das Gericht hat Befundberichte beiden die Klägerin behandelnden Fachärzten Dr.
K. (Orthopädie) vom O9. März 2011 und K. (Gynäkologie) vom 11. März
2011 eingeholt. Auf die versorgungsärztliche Stellungnahme des Beklagten durch
Frau Dr. F. vom 27. April 2011 hat das Gericht Dr. P. mit der Erstellung eines
orthopädischen Fachgutachtens beauftragt. In seinem unter dem 02. Oktober
2011 vorgelegten Gutachten hat der Sachverständige Dr. P. folgende Diagnosen
auf orthopädischem Fachgebiet gestellt:


1. Cervikobrachialgie bei Zustand nach mehrsegmentalen cervikalen Band-
scheibenoperation mit Fusionen der Segmente C2/3, C3/4, C5/6
2. Osteochondrose und nachgewiesener Bandscheibenschaden des Seg-
ments C6/7.
3. Thorakodorsalgle bei degenerativen Veränderungen der Brustwirbelsäule
und Zustand nach stattgehabten Brustwirbelfrakturen.
4. Lumbalsyndrom bei Zustand nach Spondylodese L5/S1 bei Spondylolisthe-
sis L5/S1 (1989), Spondylodese wegen Anschlussinstabllität L4/5, persistie-
rende linksseitige Radikulopathie mit Parese der Hüftbeugung, Fuß- und
Zehenhebung.
5. Verdacht auf erneute Anschlussinstabilität L3/4


- 6 -


Der Gesamt-GdB auf orthopädischem Fachgebiet betrage 40. Die gesundheitli-
chen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeiohens "aG" lägen nicht
vor. Hinsichtlich der Befunderhebung und Feststellung des Sachverständigen Dr.
P. wird im Einzelnen auf Bl 73 ff der Prozessakte verwiesen.


Der Beklagte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 11. Januar 2012 ein Teil-
Anerkenntnis hinsichtlich der Feststellung eines GdB von 80 ab Juli 2010 abgege-
ben. Die Klägerin hat dieses Teil-Anerkenntnis am 07. Mai 2012 angenommen.


Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen des Merkzeiohens "aG"
bei ihr vorliegen. Dies folge weder allein aus den orthopädischen noch aus den
urologischen Beschwerden, sondern auf Grund ihrer Zusammenwirkung. Hinzu
kämen praktische Überlegungen. Zur Versorgung ihrer Blase bzw Entleerung
müsse sie Material in erheblichem Umfang in einer Tasche oder einem Rucksack
mit sich führen. Beides sei jedoch für sie auf Grund ihrer Wirbelsäulenbeschwer-
den und der Venzvendung einer Unterarmstütze kaum nutzbar. Schon der an sich
simple Prozess des Aussteigens aus dem Fahrzeug gestalte sich für sie als erheb-
lich schwierig. Dabei müsse die Tür bis zum Anschlag geöffnet sein, um überhaupt
das Fahrzeug verlassen zu können. Wegen der vorliegenden Fußzehenschwäche
müsse sie den Fuß mit den Armen aus dem Fahrzeug heben. Dies gelänge nur
bei weit offenstehender Tür. Normale Parkplätze seien jedoch so konzipiert, dass
sie kaum einen halben Meter breiter als ein normales Fahrzeug seien.


Die Klägerin beantragt,


den Bescheid vom 22. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 14. Oktober 2010 in der Fassung des Teil—Anerkenntnisses vom 11.
Januar 2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr die Vor-
aussetzungen des Merkzeichens "aG" festzustellen.


- 7 -


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass den Beeinträchtigungen der Geh- und Stehfä-
higkeit der Klägerin durch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" hinreichend
Rechnung getragen worden sei. Eine Gehbehinderung außergewöhnlichen Aus-
maßes, wie sie für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" vorliegen müsse, sei
bei der Klägerin nicht festzustellen. Medizinische Gesichtspunkte, die eine abwei-
chende Entscheidung rechtfertigen, seien nicht vorgetragen worden. Hierzu stützt
sich der Beklagte auf die neuerliche versorgungsärztliche Stellungnahme der Frau
Dr. F. vom 03. Januar 2012.


Das Gericht hat die Prozessakte aus dem zuvor zwischen den Beteiligten geführ-
ten Rechtsstreit (Az.: S 8 SB 133/O7) beigezogen.


Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Der
Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.


Entscheidungsgründe


Die statthafte, form- und fristgerecht erhobene sowie im Übrigen zulässige Klage
ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung des
Merkzeichens "aG". Dies steht zur Überzeugung der Kammer auf Grund des
Sachverständigengutachtens von Dr. P. vom 02. Oktober 2011 fest.


Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs 4 Neuntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden ·neben


- 8 -


einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die
Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen fur schwerbehindeite Menschen sind.


Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung eines
schwerbehinderten Menschen im Sinne des § 6 Abs 1 Nr 14 Straßenverkehrsge-
setz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, fur die
in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3
Abs 1 Nr 1 Schwerbehindeitenausweisverordnung). Eine Definition der außerge-
wöhnlichen Gehbehinderung findet sich in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift
zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO, neu bekannt gemacht am 26.01.2001,
BAnz 2001, Nr 21, S 1419), und zwar dort in Abschnitt II Nr1 zu § 46 Abs 1 Nr 11
Straßenverkehrsordnung. Danach sind als schwerbehinderte Menschen mit au-
ßergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen
der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer An-
strengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können. Hierzu zählen Quer-
schnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputier-
te, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer-
stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen
können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere
schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch
aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleich-
zustellen sind.


Dieselben Kriterien enthält Teil D Nr 3 lit b der als Anlage zu § 2 der Versor-
gungsmedizin—Verordnung (VersMedV) erlassenen Versorgungsmedizinischen
Grundsätze. Ergänzend bestimmt Teil D Nr3 lit c Versorgungsmedizinische
Grundsätze: Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf
eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen
anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten
Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das
Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Ver-


-9-


gleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelampu-
tierten heranzuziehen ist. (...) Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine sol-
che Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren
Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der
Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzuse-
hen.


Personen, die nicht zu den in Abschnitt II Nr1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO bei-
spielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehören, kön-
nen nach den Kriterien dieser Vorschrift nur dann als außergewöhnlich gehbehin-
dert angesehen werden, wenn sie diesem Personenkreis gleichzustellen sind. Ei-
ne derartige Gleichstellung setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialge-
richts (BSG) voraus, dass die Gehfähigkeit des Betroffenen in ungewöhnlich ho-
hem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen
wie die in der Vorschrift aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit frem-
der Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 11.03.1998, Az.: B 9 SB 1/97 R,
BSGE 82, 37). Zwar handelt es sich bei den beispielhaft aufgeführten schwerbe-
hinderten Menschen mit Querschnittslähmung oder Gliedmaßenamputationen in
Bezug auf ihr Gehvermögen nicht um einen homogenen Personenkreis, so dass
es möglich ist, dass einzelne Vertreter dieser Gruppen auf Grund eines günstigen
Zusammentreffens von gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperli-
cher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung ausnahmsweise
nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen, was namentlich bei
körperlich trainierten Doppelunterschenkelamputierten mit Hilfe moderner Ortho-
pädietechnik der Fall sein kann. Derartige Besonderheiten sind jedoch nicht ge-
eignet, den Maßstab zu bestimmen, nach dem sich die Gleichstellung anderer
schwerbehinderter Menschen mit dem genannten Personenkreis richtet. Vielmehr
hat sich der Maßstab der Gleichstellung an dem der einschlägigen Regelung vor-
angestellten Obersatz zu orientieren (so BSG, Urteil vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB
7/01 R, BSGE 90, 180). Es kommt daher nicht darauf an, ob der das Merkzeichen
"aG" beanspruchende schwerbehinderte Mensch funktional einem Doppelober-


- 10 -


schenkelamputierten oder Querschnittsgelähmten gleichsteht, sondern ob er sich
außerhalb seines Kraftfahrzeuges wegen der Schwere seines Leidens entweder
nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann, und
zwar praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an. Die
Gehfähigkeit muss so stark eingeschränkt sein, dass es dem Betroffenen unzu-
mutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Das BSG hat in diesem Zusam-
menhang zum Ausdruck gebracht, dass die für das Merkzeichen "aG" geforderte
große körperliche Anstrengung gegeben sein dürfte, wenn der Betroffene bereits
nach einer Wegstrecke von 30 m wegen Erschöpfung eine Pause einlegen muss
(vgl BSG, Urteil vom 10.12.2002 aaO).


Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des
Merkzeichens "aG" im Fall der Klägerin nicht gegeben. Wirbelsäulenfunktionsbe-
einträchtigte nach Bandscheibenoperaticn im Hals- und Lendenwirbelsäulenbe-
reich nach verheilten Brustwirbelfrakturen bei Radikolopathie werden in Abschnitt
11 Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO als Fallgruppe nicht genannt. Eine Gleich-
stellung mit den darin genannten Gruppen von schwerst gehbehinderten Men-
schen kommt im Falle der Klägerin auch wegen derr Notwendigkeit, ständig
schweres Gerät zum Katheterisieren ihrer Neo-Blase mit sich zu führen, nicht in
Betracht.


Anlässlich der körperlichen Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. P. Am
25. August 2011 bereitete der Klägerin das Aufstehen im Wartebereich erhebliche
Mühen. Das Gangbild war gleichschrittig und unbeholfen. Es zeigte sich kein Ab-
rollen der Füße, sondern nur ein tappendes Aufsetzen. Die Klägerin gebrauchte
beidseitig Unterarmgehstützen. Die kurze Strecke vom Stuhl zur Liege (3 Meter)
vermochte sie ohne Unterarmgehstützen zurückzulegen. Ein freies Stehen ist der
Klägerin nicht mehr wirklich lange möglich. Eine aktive Hüftbeugung links gelang
nicht. Das Heben des Beines ist nur noch mit Unterstützung möglich. Zusammen-
fassend ist von erheblichen Beeinträchtigungen der Klägerin auszugehen. Es be-
steht ein Zustand nach multisegmentalen Versteifungen, die bislang keineswegs


- 11 -


zu einer beschwerdefreien Situation geführt hätten. Hinzu kommt die erhebliche
Problematik auf urologischem Fachgebiet. Wegen einer nicht beherrschbaren In-
kontinenz wurde ihr eine sogenannte Neo—Blase mit künstlicher Harnableitung
über die Bauchdecke eingesetzt. Die Klägerin muss sich ständig über das abdo-
minelle Urostoma selbst katheterisieren. Die Inkontinenz besteht weiterhin.


Aus den geschilderten Beschwerden resultiert eine Beeinträchtigung der Geh- und
Stehfähigkeit der Klägerin. Dieser ist durch die Zuerkennung des Merkzeichens
"G" ausreichend Rechnung getragen worden. Die Voraussetzungen für eine
Gleichstellung mit den explizit genannten Fallgruppen liegen jedoch nach den
übereinstimmenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. P. und der Versor-
gungsärztin Dr. F. nicht vor.


Größere Anstrengungen, die aus dem Mitsichführen der Utensilien zum Katheteri-
sieren resultieren, haben dabei außer Betracht zu bleiben, da es sich hierbei um
Bewegungsbehinderungen anderer Art iS des Teil D Nr 3 lit c Versorgungsmedizi-
nische Grundsätze und nicht um Einschränkungen des Gehvermögens selbst han-
delt. Ebenso verhält es sich, wenn jemand anderes der Klägerin die Sachen zur
Erhaltung ihrer Gehfähigkeit trägt. Denn die Notwendigkeit der Hilfe fremder Per-
sonen hat sich auf den Gehvorgang selbst und nicht auf die Hilfe etwa beim
Transport notwendiger Gegenstände zu beziehen.


Auch die Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen aus dem Auto, das nur ge-
lingt, wenn die Klägerin bei weit geöffneter Wagentür ihr Bein mit Unterstützung
aus dem Auto hebt, rechtfertigt nicht die Zuerkennung des Merkzeichens "aG".


Zwar ist der Klägerin einzuräumen, dass die mit der Anerkennung des Merkzei-
ohens "aG" verbundenen erweiterten Möglichkeiten, einen für sie geeigneten
Parkplatz zu finden, für ihre Behinderung eine spürbare Erleichterung bedeuten
würde. Auf der Grundlage der Ermächtigung in § 6 Abs 1 Nr 14 StVG hat der Ver-
ordnungsgeber in § 45 Abs 1b Nr2 StVO den Straßenverkehrsbehörden die Be-


- 12 -


fugnis eingeräumt, die notwendigen Anordnungen im Zusammenhang mit der
Kennzeichnung von Parkmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit au-
ßergewöhnlicher Gehbehinderung oder anderer - hier nicht in Frage kommender -
Beeinträchtigungen zu treffen; die Anlage 2 Abschnitt 3 zur StVO sieht hierfür die
Ergänzung der Zeichen 314 (Parken) und 315 (Parken auf Gehwegen) um ein Zu-
satzzeichen mit Rollstuhlfahrersinnbild vor. Diese Behindertenparkplätze müssen
gemäß Abschnitt IX RdNr 18 zu § 45 Abs 1 bis 14 VwV-StVO iVm DIN 18024-1 so
gebaut werden, dass an der Längsseite des Fahrzeugs eine Bewegungsfläche mit
einer Breite von 1,50 m bleibt. Damit ist bei einem Behindertenparkplatz immer
gewährleistet, dass der Benutzer sein Fahrzeug so einparken kann, dass sich die
Fahrertüre unabhängig von anderen Fahrzeugen, die vorschriftsmäßig parken, bis
zum Anschlag öffnen lässt. Darüber hinaus hätte die Klägerin mit dem Merkzei-
chen "aG" die Möglichkeit, Parkerleichterungen in Form von Befreiungen von Halt-
verboten nach Abschnitt I zu §46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO zu erlangen. Die da-
durch verfügbaren zusätzlichen Parkplätze wären zwar nicht zwangsläufig behin-
dertengerecht, würden aber ihre Möglichkeiten, einen für sie geeigneten Parkplatz
zu finden, erhöhen.


Das BSG hat in einem vergleichbaren Fall - in dem der Kläger nur ein- und aus-
steigen konnte, wenn die Wagentür vollständig geöffnet war - (BSG, Urteil vom
0302.1988, Az.: 9/9a RVs 19/86 = SozR 3870 §3 Nr 28) entschieden, dass das
Merkzeichen "aG" nicht zuerkannt werden könne. Der Gesetzgeber habe durch
die Formulierung in §3 Abs 1 Nr 1 Schwerbehindertenausweisverordnung inso-
weit straßenverkehrsrechtliche Vorschriften für maßgeblich erklärt. Zum Ausgleich
von Nachteilen beim Ein- und Aussteigen habe der Bundesminister für Verkehr die
Ausnahmegenehmigung nicht geschaffen. Sie sei vielmehr dazu gedacht, den
Schwerbehinderten mit dem Pkw möglichst nahe an sein jeweiliges Ziel fahren zu
lassen. Der Nachteilsausgleich solle allein die neben der Personenkraftwagenbe-
nutzung unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecke soweit wie möglich
verkürzen. Dies bedeute zugleich, dass der Personenkreis eng zu fassen sei.
Denn mit der Ausweitung des Personenkreises steige die Anzahl der Benutzer.


- 13 -


Diesem Umstand könne nur begrenzt mit einer Vermehrung entsprechender Park-
plätze begegnet werden, denn mit jeder Vermehrung der Parkflächen werde dem
gesamten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet,
weil ortsnaher Parkraum nicht beliebig geschaffen werden könne. Das Landesso-
zialgericht Berlin hat ebenfalls das Merkzeichen "aG" im Falle eines Schwerbehin-
derten verneint, der zum Ein- und Aussteigen die Fahrertür vollständig öffnen
musste (LSG Berlin—Brandenburg, Urteil vom 20.042004, Az.; L 13 SB 30/03); die
Schwierigkeiten des Klägers seien nämlich nicht durch seine eingeschränkte Fort-
bewegungsfreiheit, sondern durch die Beschaffenheit des Parkraums verursacht.


Die Kammer schließt sich der zitierten Rechtsprechung an. Sowohl die Parkmög-
iichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinde-
rung als auch die Befreiungen. von Haltverboten für diesen Personenkreis verfol-
gen in erster Linie den Zweck, möglichst kurze Gehstrecken vom Parkplatz bis
zum Ziel zu ermöglichen. Dieser Zweck ist nur zu erreichen, wenn der Kreis der
Berechtigten so eng wie möglich gezogen wird, weil ein besetzter Behinderten-
parkplatz für denjenigen, der einen Parkplatz sucht, ebenso wenig wert ist, wie gar
keiner. Deshalb mussen bei der Überlegung, ob ein schwerbehinderter Mensch,
der den in Abschnitt II Nr 1 zu §·46 Abs 1 Nr 11 StVO genannten Gruppen von
schwerst Gehbehinderten nicht gleichzustellen ist, aber Schwierigkeiten beim Ein-
und·Aussteigen aus dem Pkw hat, das Merkzeichen "aG" erhalten soll, nicht nur
dessen Vorteile bei der Benutzung von Behindertenparkplätzen sondern auch die
aus der Ausweitung des Benutzerkreises resultierenden Nachteile berücksichtigt
werden. Bei der Wertung der Vorteile der Klägerin ist zu beachten, dass diese
zwar größere Schwierigkeiten als ein gesunder Mensch hat, einen für sie geeigne-
ten Parkplatz zu finden, aufgrund ihrer erhaltenen Gehfähigkeit ihre Möglichkeiten
hierzu aber immer noch wesentlich besser sind als die der schwerst Gehbehinder-
ten, die nur eine Wegstrecke von wenigen Metern zu Fuß zurücklegen können und
denen ein wesentlich kleinerer Radius zur Parkplatzsuche als der Klägerin zumut-
bar ist. Die Klägerin kann beispielsweise sowohl alle am Straßenrand liegenden
Parkplätze benutzen als auch Parkplätze, die auf einer Seite keinen Nachbarplatz


- 14 -


haben oder die in Parkhäusern neben Stützpfeilern liegen, so dass der Abstand
zum Nachbarn zwangsläufig groß genug bleibt, Es besteht die Gefahr, dass der
Kreis der Berechtigten erheblich ausgeweitet würde, wenn allein die Notwendig-
keit, die Türe vollständig beim Ein- und Aussteigen zu öffnen, ausreichen würde,
um einen Anspruch auf das Merkzeichen "aG" auszulösen; insbesondere wäre
dann zu erwarten, dass auch viele Menschen mit Wirbelsäulenproblemen oder
Adipositas in den Genuss dieses Merkzeichens gelangen würden, was die Chan-
cen der schwerst Gehbehinderten, einen günstig gelegenen Parkplatz zu erhalten,
drastisch verringern könnte. Da also auf der einen Seite die Situation der Klägerin
bei der Parkplatzsuche erheblich besser ist als die der schwerst Gehbehinderten
und umgekehrt bei Einbeziehung von Personen, die lediglich Schwierigkeiten beim
Ein- und Aussteigen haben, eine erhebliche Ausweitung des Personenkreises zu
erwarten wäre, die Anspruch auf das Merkzeichen "aG" haben, ist eine solche
Ausweitung abzulehnen.


Die Klage ist unbegründet.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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SG KS, S 12 KR 1065/04 vom 07.07.2004, Sozialgericht Kassel
Sozialgericht Kassel



Instanz 1: S 12 KR 1065/04

Instanz 2: L 1 KR 196/04

Instanz 3: B 1 KR 20/05 R


Az.: S 12 KR 1065/04



Im Namen des Volkes



Urteil



In dem Rechtsstreit



A. A., A-Straße, A-Stadt,

Klägerin,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B.B., B-Straße, A-Stadt,



gegen



die AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen, vertreten durch den Vorstand, dieser

durch die Rechtsabteilung Nordhessen, Rollwiesenweg 1, 34039 Marburg,

Beklagte.



Die 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel hat auf die mündliche Verhandlung vom

7. Juli 2004 durch den Richter am Sozialgericht S. als Vorsitzenden und die

ehrenamtlichen Richter F. und T. für Recht erkannt:



1. Der Bescheid vom 3. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbe-

scheides vom 25. Mai 2004 wird aufgehoben.



2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin aus Anlass ihrer Teilnahme an

der Methadon-Substitution Fahrtkosten in gesetzlichem Umfang, mindes-

tens in Höhe von monatlich 36,50 €, rückwirkend und laufend über den

31. Dezember 2003 hinaus auch ab 1. Januar 2004 zu zahlen

.

3. Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.



HK/SE



- 2 -



Tatbestand



Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Fahrtkosten im Streit.

Die 19.. geborene Klägerin ist bei der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung

freiwillig versichert. Sie ist alleinerziehende Mutter, lebt von Sozialhilfe und von der Zu-

zahlung zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln sowie den entstehenden notwendigen

Fahrtkosten im gesetzlichen Umfang befreit. Auf Seiten der Klägerin liegt schließlich eine

langjährige Opiatabhängigkeit vor, wobei sich die Klägerin seit ca. vier Jahren und lau-

fend zu Lasten der Beklagten einer ambulanten Methadon-Substitution unterzieht, die

von der C.C. e.V. in einer Substitutionsfachambulanz in A-Stadt durchgeführt wird. Inso-

weit waren der Klägerin bis 31. Dezember 2003 auch die hierdurch entstehenden Fahrt-

kosten von der Beklagten erstattet worden, konkret im Rahmen eines Jahres-

Abonnements die Kosten für eine entsprechende Monatskarte des Nordhessischen Ver-

kehrsverbundes (NVV), die sich derzeit im laufenden Jahres-Abonnement der Klägerin

auf 36,50 € monatlich belaufen. Die Behandlung in der Substitutionsfachambulanz erfolgt

schließlich viermal wöchentlich; zusätzlich dreimal wöchentlich erfolgt die Methadonver-

gabe im Rahmen einer so genannten Take-Home-Regelung. Die Behandlung selbst er-

folgt schließlich auf der Grundlage der Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersu-

chungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche

Krankenversicherung (BUB-Richtlinien), die die Voraussetzungen der substitutionsge-

stützten Behandlung Opiatabhängiger regeln, im Einzelnen Art und Weise der Durchfüh-

rung der Behandlung festlegen und ausweislich derer diese Substitution überhaupt erst

Bestandteil der vertragsärztlichen Leistungserbringung innerhalb der gesetzlichen Kran-

kenversicherung geworden ist.



Unter dem 29. Januar 2004 beantragte die Klägerin die Gewährung/Erstattung der ihr

aus Anlass der Substitution entstehenden Fahrtkosten über den 31. Dezember 2003 hin-

aus auch für die Zeit ab 1. Januar 2004. Die Klägerin führte aus, dass ihren Informatio-

nen zufolge seit 1. Januar 2004 Fahrtkosten zu einer ambulanten Behandlung unter Ab-

zug der gesetzlichen Zuzahlung zwar nur bei zwingender medizinischer Notwendigkeit in

besonderen Ausnahmefällen von den Krankenkassen übernommen würden. Nach den so

genannten Krankentransport-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärz-

te und Krankenkassen liege ein solcher Ausnahmefall jedoch vor, wenn der Patient an

einer Grunderkrankung leide, die eine bestimmte Therapie erfordere, die wiederum häu-

fig und über einen längeren Zeitraum erfolgen müsse. Insoweit beeinträchtigten die Be-

handlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in

einer Weise, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben



- 3 -



unerlässlich sei. Da diese Kriterien auch auf sie zuträfen, nachdem sie auf Grund ihrer

langjährigen Drogenabhängigkeit in der o.a. Substitutionsfachambulanz substituiert und

psychosozial betreut werde und eine Fahrkarte benötige, damit die tägliche Einnahme

des Substituts Methadon gewährleistet sei. Auf diese tägliche Einnahme sei sie zwingend

angewiesen. Sollte sie mit der Einnahme des Medikaments auch nur einen Tag ausset-

zen müssen, würden sofort körperliche Entzugssymptome einsetzen, so dass die Beför-

derung zur Substitutionsfachambulanz für sie zur Vermeidung von Schaden an Leib und

Leben unerlässlich sei. Beigefügt war dem schließlich eine ärztliche Bescheinigung der

C.C. e.V. vom 29. Januar 2004, die die dortige Substitution und psychosoziale Betreuung

der Klägerin zunächst bestätigte und weiter ausführte, dass die Behandlung in der dorti-

gen Einrichtung einen täglichen persönlichen Kontakt zur Einnahme des Medikamentes

erfordere, auch an Wochenenden und Feiertagen. Eine tägliche Beförderung in die dorti-

ge Einrichtung sei zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich.

Mit Bescheid vom 3. Februar 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Beklagte führ-

te aus, am 1. Januar 2004 seien gesetzliche Regelungen in Kraft getreten, die den An-

spruch auf Erstattung von Fahrtkosten erheblich einschränkten. Fahrtkosten dürften von

den gesetzlichen Krankenkassen nur noch bezahlt werden, wenn sie aus zwingenden

medizinischen Gründen (Gefahr für Leib und Leben) im Zusammenhang mit stationären

oder vergleichbaren Behandlungen (vor- bzw. nachstationärer Behandlung im Kranken-

haus, bestimmte ambulante Operationen) entstünden. Fahrten zu ambulanten Behand-

lungen dürften nur noch in Ausnahmefällen finanziert werden. Grundvoraussetzung sei

auch hier das Vorliegen eines zwingenden Grundes. Als Ausnahmen würden lediglich

Fahrten zur ambulanten Dialysebehandlung, Strahlentherapie oder Chemotherapie (auf

Grund einer Tumorerkrankung), zur Behandlung von Versicherten der Pflegestufe II oder

III sowie zur Behandlung von Inhabern eines Schwerbehindertenausweises mit den

Merkzeichen „aG“ oder „Bl“ oder „H“ gelten. Die Behandlung der Klägerin werde von die-

ser Ausnahmeregelung nicht erfasst. Eine Übernahme der Fahrtkosten sei damit leider

nicht möglich.



Gegen den Bescheid vom 3. Februar 2004 legte die Klägerin am 11. Februar 2004 Wi-

derspruch ein. Die Klägerin machte geltend, als Grunderkrankung im o.a. Sinne liege bei

ihr eine Opiatabhängigkeit vor. Insoweit handele es sich bei der Substitutionsbehandlung

um eine Therapie, die häufig und über einen längeren Zeitraum erfolgen müsse, so dass

auch die Voraussetzungen einer Übernahme der Fahrtkosten nach den Krankentrans-

port-Richtlinien weiterhin gegeben seien. Das Substitut müsse, wie vom medizinischen

Leiter der Substitutionsfachambulanz bescheinigt, täglich eingenommen werde. Setze sie

nur einen Tag mit der Einnahme des Medikamentes aus, würden körperliche und psychi-



- 4 -



sche Entzugssymptome einsetzen. Letztlich diene die Behandlung der Vermeidung von

Schaden an Leib und Leben, so dass eine tägliche Beförderung für sie unerlässlich sei.

Andere Krankenkassen würden schließlich Mitpatienten nach wie vor auch entsprechen-

de Fahrtkosten erstatten.



Mit erläuterndem Schreiben vom 21. April 2004 hielt die Beklagte sodann an ihrer ableh-

nenden Haltung gegenüber der Klägerin fest. Die Beklagte führte aus, am 1. Januar 2004

sei das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-

Modernisierungsgesetz-GMG) in Kraft getreten, durch das u.a. die Leistungsansprüche

im Fahrtkostenbereich neu definiert würden. Danach dürften Krankenfahrten bzw.

-transporte nur noch verordnet werden, wenn sie „aus zwingenden medizinischen Grün-

den“ notwendig seien. Krankenfahrten (Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, privatem

PKW, Taxen oder Mietwagen zur ambulanten Behandlung) dürften von den gesetzlichen

Krankenkassen „nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen“ fi-

nanziert werden. Der Gesetzgeber habe die Definition der „besonderen Ausnahmefälle“

dem Gemeinsamen Bundesausschuss übertragen, einem Gremium, in dem sowohl Ver-

treter der Ärzteschaft als auch der Krankenkassen vertreten seien. Der Gemeinsame

Bundesausschuss habe nach inhaltlicher Abstimmung mit dem Bundesministerium für

Gesundheit und Soziale Sicherung am 22. Januar 2004 die Krankentransport-Richtlinien

verabschiedet, die rückwirkend zum 1. Januar 2004 in Kraft getreten seien. Als Ausnah-

meregelung würden die Krankentransport-Richtlinien vorsehen, dass Krankenfahrten zu

ambulanten Behandlungen bei zwingender medizinischer Notwendigkeit von den Kran-

kenkassen nach vorheriger Genehmigung finanziert werden dürften, wenn bestimmte

Behandlungsformen zum Einsatz kämen, die dadurch gekennzeichnet seien, dass der

Patient in einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt

werde, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweise und

dass diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den

Patienten in einer Weise beeinträchtige, dass eine Beförderung zur Vermeidung von

Schaden an Leib und Leben unerlässlich sei (§ 8 Abs. 2 der Krankentransport-

Richtlinien). In diesem Zusammenhang habe der Gemeinsame Bundesausschuss weiter

erklärt, dass Dialysebehandlungen, onkologische Chemotherapien, onkologische Strah-

lentherapien im Regelfall als Ausnahmefälle im Sinne der Richtlinien anzusehen seien,

wie sich aus der Anlage 2 der Krankentransport-Richtlinien ergebe. Diese Aufzählung sei

nicht abschließend. Vergleichbare Behandlungen müssten allerdings die gleichen Krite-

rien hinsichtlich der Schwere des Krankheitsbildes, der Therapieintensität sowie des Be-

handlungszeitraums aufweisen. Durch die exemplarische Auflistung von Therapieformen,

die lediglich bei akut lebensbedrohlichen Erkrankungen zum Einsatz kämen, werde deut-

lich gemacht, dass der Ausschuss und damit der Gesetzgeber die Anwendung dieser



- 5 -



Regelung auf die Behandlung hochgradig existenzgefährdender Erkrankungen be-

schränkt sehen wolle. Im Gegensatz zu einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz bzw.

einer Krebserkrankung könne bei einer Opiatabhängigkeit im Regelfall keine akute Le-

bensgefahr unterstellt werden. Eine schwerwiegende Grunderkrankung im Sinne der zi-

tierten Vorschrift liege damit nicht vor. Darüber hinaus könne die Beklagte keine zwin-

gende medizinische Notwendigkeit für die Fahrten zur Methadonsubstitution erkennen.

Bei der Methadonsubstitution handele es sich um eine Sonderform der Medikamenten-

abgabe. Während im Regelfall eine kontinuierliche Arzneimittelversorgung durch die ärzt-

liche Versorgung eines individuell zu bemessenden „Vorrats“ sichergestellt werde, schei-

de diese Möglichkeit bei einer Substitutionsbehandlung aus. Die dadurch regelmäßig

erforderlich werdenden Arztbesuche würden allerdings nicht durch medizinische Beson-

derheiten vorgegeben, sondern durch die Umsetzung der Vorschriften der Betäubungs-

mittel-Verschreibungsverordnung (BtVV) sowie der Richtlinien der Bundesärztekammer

zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger, bei denen

die Missbrauchsabwehr im Vordergrund stehe.



Bei alledem stützte sich die Beklagte nach Aktenlage auf eine im Vorfeld vom vorliegen-

den Einzelfall losgelöste grundsätzliche mündliche Erörterung mit dem Medizinischen

Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK), wobei dieser schriftlich unter dem

27. April 2004 die Voraussetzungen einer Fahrtkostenübernahme nach § 8 Abs. 2 der

Krankentransport-Richtlinien in Fällen der vorliegenden Art und insoweit bei der Substitu-

tionstherapie nur zum Teil als erfüllt ansah. Zwar finde sich hier ein Therapieschema mit

hoher Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum, doch handele es sich bei der

Heroinabhängigkeit, die zur Substitutionstherapie geführt habe, nicht um ein Krankheits-

bild, das in seiner Schwere mit einem Nierenversagen mit Dialysepflicht oder einem bös-

artigen Tumor mit onkologischer Therapie vergleichbar sei. Vergleichbar seien Substituti-

onspatienten vielmehr mit Patienten, die einer dauerhaften medikamentösen Therapie

bedürften, wie z.B. insulinpflichtige Diabetiker. Auch hier sei eine regelmäßige, mehrfach

tägliche Therapie notwendig, die allerdings selbständig durch die Patienten erfolge. Eine

solche Form der häuslichen Therapie wäre medizinisch gesehen auch bei der Substituti-

on möglich. Die Notwendigkeit, die Substitution innerhalb der Praxis durchzuführen, be-

stehe nämlich nicht auf Grund medizinischer Sachverhalte, sondern werde durch die

Richtlinien der Bundesärztekammer in Verbindung mit der BtVV begründet. Somit fehle

allein deshalb schon die zwingende medizinische Notwendigkeit. Darüber hinaus seien

Fahrten zur Abholung von Medikamenten in den Krankentransport-Richtlinien nach § 8

Abs. 4 ausdrücklich ausgeschlossen worden.



- 6 -



Die Klägerin hielt ihren Widerspruch anschließend ausdrücklich aufrecht. Gleichzeitig

beantragte sie mit Eingang 13. Mai 2004 unter dem Az.: S-12/KR-950/04 ER beim Sozi-

algericht Kassel den Erlass einer einstweiligen Anordnung, wobei sie einerseits geltend

machte, dass es ihr unzumutbar sei, den Weg von ihrer Wohnung aus zur Therapie zu

Fuß zurückzulegen und sich andererseits darauf berief, dass die Heroinabhängigkeit mit

ihren körperlichen und sozialen Folgen durchaus die Schwere der vom MDK aufgezeig-

ten Erkrankungen erreiche, wenn nicht gar überschreite. Wenn der MDK die Auffassung

vertrete, dass ihre Erkrankung allenfalls mit einer medikamentösen Therapie vergleichbar

sei, wie sie beispielsweise bei insulinpflichtigen Diabetikern vorkomme, dürfte dieser Ver-

gleich bereits daran scheitern, dass eine Therapie wie bei Diabetikern nicht von ihr in

ähnlicher Weise praktiziert werden könne. Insoweit sei auf die gesetzlichen Beschrän-

kungen der Methadon-Vergabe hingewiesen. Solange der Gesetzgeber nicht zulasse,

dass Methadon vollumfänglich häuslich eingesetzt werden könne, lasse sich ein Ver-

gleich mit insulinpflichtigen Diabetikern jedenfalls im vorliegenden Fall nicht rechtfertigen.



Die Beklagte trat dem Antrag im Weiteren entgegen, wobei sie den Widerspruch der Klä-

gerin gegen den Bescheid vom 3. Februar 2004 schließlich mit Widerspruchsbescheid

vom 25. Mai 2004 durch ihren hierfür zuständigen Widerspruchsausschuss als unbe-

gründet zurückwies und sich zur Begründung im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im

o.a. erläuterndem Schreiben vom 21. April 2004 sowie die o.a. Ausführungen des MDK

vom 27. April 2004 berief.



Die Klägerin hat sodann am 3. Juni 2004 die vorliegende Klage vor dem Sozialgericht in

Kassel erhoben, mit der sie die Gewährung von Fahrtkosten aus Anlass ihrer Substituti-

onsbehandlung über den 31. Dezember 2003 hinaus auch für die Zeit ab 1. Januar 2004

geltend macht und sich insoweit zur Begründung auf ihr Vorbringen im Antrags- und Vor-

verfahren sowie ihre weiteren Ausführungen in der Sache S-12/KR-950/04 ER beruft.



Die Klägerin beantragt,



den Bescheid vom 3. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides

vom 25. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aus Anlass ih-

rer Teilnahme an der ambulanten Methadon-Substitution Fahrtkosten in gesetzli-

chem Umfang, mindestens in Höhe von derzeit 36,50 € monatlich, rückwirkend

und laufend über den 31. Dezember 2003 hinaus auch ab 1. Januar 2004 zu be-

willigen.



- 7 -



Die Beklagte beantragt,



die Klage abzuweisen.



Die Beklagte hält an den angefochtenen Bescheiden fest, auf die sie inhaltlich verweist.

Die Notwendigkeit der Methadon-Abgabe/-Einnahme vor Ort ergebe sich hier letztlich

nicht aus zwingenden medizinischen Gründen, sondern entspreche allein rechtlichen

Vorgaben.



Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbrin-

gens der Beteiligten, wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte; ebenso wird

Bezug genommen auf den in der Sache S-12/KR-950/04 ER beigezogenen Verwaltungs-

vorgang der Beklagten, dessen wesentlicher, den vorliegenden Rechtsstreit betreffender

Inhalt gleichfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, in der die Kammer die

Klägerin zum Sachverhalt nochmals befragt hat.



Entscheidungsgründe



Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen

Gericht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).



Die Klage ist sodann auch begründet.



Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin hat über den 31. Dezember

2003 hinaus für die Zeit ab 1. Januar 2004 und damit auch auf der Grundlage der inso-

weit seit 1. Januar 2004 geänderten Gesetzeslage Anspruch auf Erstattung der Fahrtkos-

ten, die ihr durch die zu Lasten der Beklagten durchgeführte Substitutions-Behandlung

entstehen, wobei es sich wiederum auf der Grundlage von wöchentlich anfallenden vier

Hin- und Rückfahrten bei den Kosten der o.a. Monatskarte gegenüber den Kosten für

entsprechende Einzelfahrkarten um die insoweit kostengünstigste Übernahme von Fahrt-

kosten handelt. Entgegen der Beklagten und dem MDK sieht die Kammer bei alledem die

Voraussetzungen für eine Fahrtkostenübernahme auf der Grundlage von § 8 der Kran-

kentransport-Richtlinien als gegeben an.



Nach § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in der

bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung übernahmen die Krankenkassen nach Maß-



- 8 -



gabe der in Abs. 2 und 3 genannten Voraussetzungen Kosten für Fahrten einschließlich

der Transporte nach § 133, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Kranken-

kasse notwendig waren. Welches Fahrzeug benutzt werden konnte, richtete sich nach

der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall. Insoweit listete § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB V

schließlich die privilegierten Fahrten auf, deren Kosten zu übernehmen waren, Satz 2

bestimmte, dass die Krankenkasse darüber hinaus aber auch im Übrigen die Fahrtkosten

übernahm, wenn der Versicherte durch sie entsprechend § 61 SGB V unzumutbar be-

lastet war. Aus letzterem leitete sich schließlich der Fahrtkostenanspruch der Klägerin bis

31. Dezember 2003 ab, wobei § 60 Abs. 3 SGB V dann aber wiederum auch regelte,

welche Kosten im Einzelfall übernommen wurden und insoweit die Rangfolge der in An-

spruch zu nehmenden Transportmittel nach der Notwendigkeit festlegte. Insoweit wurden

nur die Kosten des im Einzelfall wirtschaftlichsten Transportmittels übernommen. Nahm

der Versicherte ein teureres Transportmittel in Anspruch, hatte er die Mehrkosten selbst

zu tragen. Sie wurden insoweit weder über die Sozialklausel des § 61 SGB V, noch die

Überforderungsregelung des § 62 SGB V übernommen. Insoweit folgte aus § 60 Abs. 3

Nr. 1 SGB V, dass vorrangig regelmäßig verkehrende öffentliche Verkehrsmittel zu be-

nutzen waren, wobei sich die Leistungspflicht auf den die geringsten Kosten verursa-

chenden Fahrpreis beschränkte. Kosten für Taxen und Mietwagen wurden nach § 60

Abs. 3 Nr. 2 SGB V nur dann übernommen, wenn ein öffentliches Verkehrsmittel nicht

benutzt werden konnte. Maßgebend für letzteres konnten medizinische oder auch andere

Gründe, z.B. fehlende Verkehrsanbindungen, sein, wobei die medizinische Notwendigkeit

durch eine ärztliche Bescheinigung nachzuweisen war. Die Kostenerstattung bei Benut-

zung eines privaten Kfz regelte sodann § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V, wobei zur Notwendig-

keit schließlich auch insgesamt gehörte, dass grundsätzlich nur die Fahrtkosten vom je-

weiligen Aufenthaltsort zur nächst erreichbaren Behandlungsmöglichkeit und zurück er-

stattet werden konnten. Die freie Arzt- bzw. Behandlerwahl wurde insoweit nicht einge-

schränkt. Dies nicht nur deshalb, weil der Versicherte nach wie vor nur unter den nächst

erreichbaren Ärzten bzw. Behandlern wählen konnte, sondern das Gesetz dem Versi-

cherten aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ohnehin nur eine eingeschränkte diesbezügli-

che Wahlfreiheit einräumte, was zumindest dann galt, wenn neben der ärztlichen bzw.

nichtärztlichen Leistung selbst weitere erstattungsfähige Kosten entstanden.



Mit der o.a. Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 wurde schließlich § 60 Abs. 1 SGB V

in Satz 3 dahingehend erweitert, dass die Krankenkassen seither Fahrtkosten zu einer

ambulanten Behandlung nur noch nach vorheriger Genehmigung in besonderen Aus-

nahmefällen sowie unter Berücksichtigung eines sich aus § 61 Satz 1 SGB V ergebenden

Eigenanteils übernehmen, wobei die vorgenannten Ausnahmefälle vom Gemeinsamen

Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V festzulegen



- 9 -



sind. Im Übrigen ist es durch die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 zumindest vom

Grundsatz her bei den bis 31. Dezember 2003 geltenden Regelungen verblieben, wobei

der Gemeinsame Bundesausschuss die vorgenannten Ausnahmefälle für Krankenfahrten

zur ambulanten Behandlung zwischenzeitlich in § 8 der Krankentransport-Richtlinien und

dabei im oben aufgezeigten Umfang festgelegt hat.



Entgegen der Beklagten und dem MDK stellt dabei die Methadon-Substitution der Kläge-

rin nach Auffassung der Kammer auch einen Ausnahmefall im Sinne dieser Richtlinien

dar, wobei die Kammer die rechtliche Verbindlichkeit der Richtlinien in der vorliegenden

Fallgestaltung insgesamt dahingestellt sein lässt, da die Kammer die o.a. Voraussetzun-

gen des § 8 Abs. 2 der Richtlinien bereits selbst als erfüllt ansieht. Nicht nur - wovon

selbst Beklagte und MDK ausgehen – wird die Klägerin hier mit einem durch ihre Grund-

erkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt, das eine hohe Behandlungsfre-

quenz über einen längeren Zeitraum aufweist, auch insbesondere der zu dieser Behand-

lung führende Krankheitsverlauf beeinträchtigt zur Überzeugung der Kammer die Kläge-

rin in einer Weise, dass eine Beförderung der Klägerin auf der Grundlage der Entfernung

von ihrer Wohnung zum Behandlungsort zur Vermeidung von Schaden an Leib und Le-

ben unerlässlich ist. Wenn Beklagte und MDK hier die Substitutionsbehandlung auf eine

reine Medikamentenabgabe reduzieren, ist dies für die Kammer nicht nur unverständlich

und nicht nachvollziehbar, insbesondere Inhalt, Umfang und Art und Weise der substituti-

onsgestützten Behandlung Opiatabhängiger nach den o.a. Richtlinien, ausweislich derer

sich diese Behandlung gerade nicht allein auf die Abgabe des Substituts beschränkt,

bleiben hier vollkommen unbeachtet, ohne dass es insoweit darauf ankommen kann, ob

die über die Abgabe des Substituts hinausgehenden Behandlungsmaßnahmen zu Lasten

der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. Entscheidend abzustellen ist

vielmehr darauf, dass das alleinige Auswechseln des Opiats durch ein Substitutionsmittel

gerade keine geeignete Behandlungsmethode darstellt und von der Leistungspflicht der

gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst wird und die Substitution allein und ü-

berhaupt erst im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzepts erfolgt, das erfor-

derliche begleitende psychiatrische und/oder psychotherapeutische Behandlungs- oder

psychosoziale Betreuungs-Maßnahmen mit einbezieht. Allein in diesem Gesamtzusam-

menhang kann die Substitution als solche gesehen werden, wobei sie zur Überzeugung

der Kammer dann auch unter die Ausnahmefälle des § 8 Abs. 2 der Krankentransport-

Richtlinien zu subsumieren ist. Im Falle der Klägerin über die vorstehenden Ausführun-

gen zusätzlich auch deshalb, weil, nachdem die Substitution seit ca. vier Jahren erfolgt,

dann, wenn sie richtlinienkonform erfolgt, wohl auch die Voraussetzungen für eine unbe-

fristete Substitution vorliegen dürften. Im Übrigen vermag die Kammer insoweit auf der

Grundlage ihrer langjährigen Erfahrungen mit Rechtsstreiten, die die Behandlungsnot-



- 10 -



wendigkeit gerade auch Opiatabhängiger zu Lasten der gesetzlichen Krankenversiche-

rung zum Inhalt haben, insoweit keinen Grund zu erkennen, warum hier eine Vergleich-

barkeit mit den weiteren o.a. Erkrankungen, die die Beklagte selbst als Ausnahmefälle

unter § 8 Abs. 2 der Krankentransport-Richtlinien subsumiert, nicht gegeben sein soll.

Dass sich die Behandlung als solche schließlich auch auf der Grundlage bzw. nach Vor-

gaben der BtVV zu vollziehen hat, ändert an alledem nichts. Durch diesen lediglich recht-

lichen Rahmen wird der medizinische Inhalt der Substitutionsbehandlung als vertrags-

ärztlicher Behandlung nicht berührt. Wenn die o.a. Stellungnahme des MDK insoweit eine

grundsätzliche Bewertung der Substitutionsbehandlung als vertragsärztlicher Behandlung

beinhalten sollte, kommt dem MDK eine solche Stellungnahme nicht zu, da die der Sub-

stitutionsbehandlung zu Grunde liegenden Richtlinien nicht nur die Beklagte, sondern

auch den MDK binden und sowohl Aufgabe der Beklagten als auch des MDK allein eine

Überwachung der richtlinienkonformen Substitutionsbehandlung im Einzelfall sein kann.

Dass die o.a. Stellungnahme des MDK darüber hinaus gerade auch keine einzelfallbezo-

gene Betrachtung beinhaltet, also losgelöst von der jeweiligen individuellen Krankheitssi-

tuation der Patienten erfolgt, entwertet sie und macht sie insoweit auch aus diesem

Grund hier nicht im Sinne der Beklagten nutzbar.



Der Klage war nach alledem im ausgeurteilten Umfang stattzugeben.



Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.



Der gesonderten Entscheidung über eine Zulassung der Berufung bedurfte es nicht,

nachdem hier die Gewährung von Dauerleistungen im Streit steht. Berufungsausschlie-

ßungsgründe vermochte die Kammer insoweit nicht zu erkennen.

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SG MD, S 11 AS 1370/07 ER vom 13.08.2007, Sozialgericht Magdeburg
SOZIALGERICHT MAGDEBURG

Aktenzeichen:

S 11 AS 1370/07 ER

BESCHLUSS

in dem Verfahren

- Antragsteller —

gegen

— Antragsgegner —

Die 11. Kammer des Sozialgerichts Magdeburg hat am 13. August 2007 durch den
Vorsitzenden beschlossen:

Der Antragsgegner wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet,
dem Antragsteller vorläufig für die Monate Juli 2007 bis September 2007,
längstens bis zum Abschluss der stationären Behandlung der Antragstellerin,
einen Zuschuss zu den Fahrkosten in Höhe von 100 € monatlich zu zahlen.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen
Kosten zu erstatten.
Gründe:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung zusätzlicher Leistungen zu den Grundsiche-
rungsleistungen für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld ll).

Die Antragsteller sind verheiratet. Sie beziehen seit November 2005 Arbeitslosengeld ll. Die
Antragstellerin wurde seit dem Jahr 2006 wegen akuter Herz- und Lungenprobleme (rechts-
seitige Herzlastigkeit und dilatative Kardiomyopathie) behandelt. Seit dem 20. März 2007
wird die Antragstellerin im Herzzentrum B. stationär versorgt. Am 13. April 2007 wurde ihr ein
Kunstherz mit einem mobilen Antriebssystem (Typ Cardiowest) implantiert. Der Antragsteller
hielt sich in diesem Zeitraum für mehrere Tage in B. auf. Mit Schreiben vom 16. April 2007
erklärte eine Diplom Psychologin vom Deutschen Herzzentrum B., die Antragstellerin leide
an einer subdepressiven Stimmung. Die Anwesenheit des Ehemannes erscheine zur Stabili-
sierung des Gesundheitszustandes als sehr wichtig. Am 24. April 2004 beantragte er bei der
AOK die Übernahme der Fahrkosten nach B. und der Übernachtungskosten in B.. Die AO-
bewilligte als „Einzelfallentscheidung“ die
Übernahme der Fahrkosten nach B. und einen Zuschuss von 150 € für die Übernachtung,
insgesamt 330 €. Sie wies daraufhin, der Antragsteller müsse sich an das Herzzentrum B.
wenden, wenn es Besuchsfahrten weiterhin als medizinisch notwendig erachte. Diese Kos-
ten seien den Leistungen der Krankenhausbehandlung zuzurechnen.

Der Antragsgegner bewilligte mit Bescheiden vom 21. und 25. Juni 2007 Leistungen von Juli
2007 bis Dezember 2007. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung begrenzte er auf die —
seiner Ansicht nach — angemessenen Kosten. Wegen der stationären Behandlung der An-
tragstellerin berücksichtigte er außerdem eine häusliche Ersparnis im Bereich der Verpfle-
gung, die er als Einkommen in Höhe von 35 vom Hundert der maßgeblichen Regelleistung
bedarfsmindernd anrechnete. Die Antragsteller legten am 2. Juli 2007 Widerspruch gegen
die Anrechnung der Verpflegung als Einkommen und die Absenkung der Kosten für Unter-
kunft und Heizung ein. Außerdem beantragten sie eine zusätzliche monatliche Leistung in
Höhe von 100 €. Zur Begründung trugen sie vor, der Krankenhausaufenthalt der Antragstel-
lerin verursache zusätzliche Kosten.

Am 4. Juli 2007 haben die Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Der An-
tragsgegner hat mit Bescheid vom 6. Juli 2007 unter dem Vorbehalt der Rückforderung die
Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten bewilligt und häusliche Einsparungen nicht
mehr bedarfsmindernd berücksichtigt. Die Antragsteller haben das Verfahren insoweit für
erledigt erklärt.

An ihrem weiteren Begehren halten sie fest. Sie tragen zur Begründung ergänzend vor, die
monatlich zusätzlich benötigte Leistung beruhe auf Mehrkosten, die wegen des Kranken-
hausaufenthalts der Antragstellerin entstünden. Die ärztliche Behandlung werde weiterhin in
B. durchgeführt, voraussichtlich bis zum Ende dieses Jahres. Eine Versorgung am Wohnort
oder in der näheren Umgebung sei auszuschließen, die Antragstellerin sei für eine Herz-
transplantation vorgesehen. Der Antragsteller müsse täglich fünf Euro für die Fahrten in B.
aufwenden. Die Antragstellerin benötige wegen des vergrößerten Bauchs und des schlanke-
ren Oberkörpers in der nächsten Zukunft eine komplette Neueinkleidung. Zudem fielen Über-
nachtungskosten wegen des notwendigen Aufenthalts des Antragstellers in B. an. Einen An-
trag auf Übernahme dieser Aufwendungen hätten sie bei dem Herzzentrum B. nicht gestellt.
Ein Mitarbeiter habe in einem persönlichen Gespräch dem Antragsteller davon abgeraten.

Demnächst fielen auch wieder zusätzliche Telefonkosten in Höhe von zwei Euro täglich an.

Die Antragsteller beantragen (sinngemäß),
den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihnen zusätzliche Leistungen in Höhe von

100 € monatlich zu zahlen.

Die Antragsgegner beantragt,

den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, die Antragsteller hätten keinen Anspruch auf zusätzliche Leistungen. Er
habe den besonderen Umständen bereits Rechnung getragen und den Geldeswert der Ver-
pflegung während des stationären Aufenthalts unberücksichtigt gelassen.

Der Antragsteller hat als Nachweis seiner Aufwendungen in Höhe von 10 € je Übernachtung
in B. Quittungen für verschiedene Zeiträume zwischen dem 20. März 2007 und 26. Juli 2007
vorgelegt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegner haben vorgelegen und waren
Gegenstand der Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf deren

Inhalt verwiesen.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig und begründet.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann, soweit ein Fall des Absatz 1 nicht vorliegt, das Ge-
richt der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegens-
tand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zu-
stands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich er-
schwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, § 86 b
Abs. 2 Satz 2 SGG (Regelungsanordnung).

Der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung ist statthaft. Die Antragsteller begehren
(nur noch) eine vorläufige Entscheidung über ihren Antrag auf Verpflichtung des Antrags-
gegners, zusätzliche Leistungen in Höhe von 100 € monatlich zu gewähren. Damit zielen sie
auf die Erweiterung ihrer Rechtsposition. Da sie sich nicht gegen eine belastende Entschei-
dung wenden, mit dem Ziel, deren Wirkung vorübergehend zu suspendieren, liegt auch kein
Fall des § 86 b Abs. 1 SGG vor.

Der Antrag ist auch begründet.

Ein Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung ist begründet, wenn ein Anordnungsan-
spruch und ein Anordnungsgrund vorliegen. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn das
materiell-rechtliche Begehren, dessen vorläufige Verwirklichung und Sicherung der Rechtsu-
chende begehrt, mit überwiegender Wahrscheinliche begründet ist. Das Gericht entscheidet
hierüber auf Grund einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache
oder auf der Grundlage einer umfassen Folgen- und Güterabwägung. Die zugrunde liegen-
den Tatsachen sind gemäß 5 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit 5 920 Abs. 2 Zivil-
prozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn besonde-
re Gründe eine vorläufige Entscheidung in einem gerichtlichen Eilverfahren erfordern.

Die Antragsteller haben nach den Regelungen des Sozialgesetzbuch Zweites Buch — Grund-
sicherung für Arbeitsuchende (SGB ll) keinen Anspruch auf einen pauschalen monatlichen
Zuschuss von 100 € (1.). Allerdings hält die Kammer nach dem Ergebnis der summarischen
Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache und einer Folgenabwägung einen Anspruch
des Antragstellers auf einen Zuschuss zu den Fahrkosten für den Besuch im Herzzentrum B.
gemäß § 73 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch — Sozialhilfe (SGB XII) für überwiegend
wahrscheinlich (2.).

1.

Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf eine Erhöhung der pauschalierten Regelleis-
tung. Das Arbeitslosengeld II setzt sich zusammen aus der Regelleistung nach ä 20 SGB ll
und den angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nach ä 22 Abs. 1 SGB ll. Die
Regelleistung dient der Sicherung des Lebensunterhalts und ist pauschaliert. Eine davon
abweichende Festlegung ist gemäß 5 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II ausdrücklich ausgeschlossen.

Dies steht auch einem (Dauer-)Darlehen in Höhe von 100 € monatlich gemäß 5 23 Abs. 1
SGB II entgegen. Hiernach kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster nach
den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Ge-
währung eines Darlehens gedeckt werden. Die Antragsteller begehren hier eine zusätzliche
Leistung für einen monatlich wiederkehrenden Bedarf. Dieser kann nach der Regelungssys-
tematik des SGB II nicht unter Rückgriff auf ä 23 Abs. 1 SGB ll gedeckt werden. Ein Darle-
hen ist gemäß 5 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II durch Aufrechnung gegen die Leistungsansprüche
in der Folgezeit zu tilgen. Damit wird die darlehensweise Deckung eines wiederkehrenden
Bedarfs zu einer Dauerbelastung in der Zukunft. Den Auswirkungen der monatlichen Auf-
rechnung kann zwar durch Erlass nach 5 44 SGB ll entgegnet werden. Das führte im Ergeb-
nis jedoch zu einer Umgehung der mit 5 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II ausgeschlossen Erhöhung
des Regelsatzes (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 7. November 2006, Az: B 7b
AS 14/06 R, SozR 4-4200, ä 20, Nr. 1, m.w.N.).

Höhere bzw. zusätzliche Leistungen sind im Leistungsbereich des SGB ll ansonsten nur
nach Maßgabe der §§ 21 Abs. 2 bis 5 und 23 Abs. 3 SGB lI möglich.

Die Voraussetzungen für zusätzliche Leistungen zum Ausgleich eines besonderen Mehrbe-
darfs im Sinne des 5 21 Abs. 2 bis 5 SGB ll erfüllen die Antragsteller jedoch nicht. Keiner der
dort geregelten Fälle (Mehrbedarf für werdende Mütter, für Alleinerziehende, für behinderte
Menschen, die Eingliederungsleistungen in Anspruch nehmen oder für eine krankheitsbe-
dingte kostenaufwändige Ernährung) liegt hier vor.

Nach § 23 Abs. 3 Nr. 2 SGB II könnte lediglich die in Folge der Operation notwendig gewor-
dene Erneuerung der Garderobe einen Anspruch auf Leistungen für die Erstausstattung be-
gründen. Ob ein solcher besteht, kann allerdings dahinstehen. Es fehlt insoweit an einem
Anordnungsgrund für eine vorläufige gerichtliche Entscheidung. Ein Anordnungsgrund liegt
vor, wenn es dem Rechtsuchenden unter Abwägung seiner sowie der Interessen Dritter und
des öffentlichen Interesses nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Es
müssen erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Nachteile drohen, die nicht mehr mit
einer Entscheidung in der Hauptsache beseitigt werden können. Das setzt zumindest eine
gegenwärtige, dringliche Notlage voraus. Daran fehlt es hier. Die Antragsteller haben vorge-
tragen, dass die neue Kleidung erst in der Zukunft benötigt wird.

Auch im Wege einer weiteren Einzelbetrachtung der benannten Mehrkosten kann die Kam-
mer keinen Anspruch auf zusätzliche Leistungen nach dem SGB ll feststellen. lm Einzelnen
haben die Antragsteller zusätzlichen Aufwendungen für die tägliche Fahrt in B. zum Kran-
kenhaus, für die Pendelfahrten von B. nach B., für das Telefonieren, für die Garderobe der
Antragstellerin und für die Übernachtung in B. angegeben.

Die Fahrkosten in B. sind aus dem Regelsatz zu finanzieren. Insoweit kann der Antragsteller
nicht anders behandelt werden, als Leistungsempfänger, die in B. wohnen. Das gilt auch für
die Telefonkosten. Eine abweichende Festlegung wegen 5 3 Abs. 3 Satz 2 SGB ll ist nicht
möglich (s.o). Der darlehensweise Übernahme der Fahrkosten nach B. gemäß § 23 Abs. 1
SGB ll stehen die oben ausgeführten Erwägungen gegenüber.

Die zusätzlichen Übernachtungskosten des Antragstellers in B. können schließlich auch nicht
als Kosten der Unterkunft im Sinne des ä 22 Abs. 1 SGB II berücksichtigt werden. Die Leis-
tungen nach ä 22 Abs. 1 SGB ll sollen den Grundbedarf Wohnen sichern. Das ist mit der
Übernahme der Kosten für eine Unterkunft erreicht. Es überstiege den Regelungszweck,
Aufwendungen für weitere Unterkünfte als Bedarf zu berücksichtigen, selbst wenn sie auf-
grund besonderer Umstände erforderlich sind. Werden Leistungen für eine bedarfsgerechte,
menschenwürdige Unterkunft erbracht, ist dieser Bedarf gedeckt.

Nach alledem enthält das SGB ll keine geeignete Anspruchsgrundlage für eine monatliche
Pauschale von weiteren 100 €.

2.

Der Antragsteller hat jedoch sehr wahrscheinlich gemäß ä 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes
Buch — Sozialhilfe (SGB Xll) einen Anspruch auf einen Zuschuss zu den Fahrkosten für ei-
nen wöchentlichen Krankenbesuch in Berlin. Hiernach können Leistungen als Beihilfe oder

Darlehen in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel
rechtfertigen. Diese Regelung findet nur in engen Grenzen Anwendung. Es handelt sich nicht
um eine allgemeine Auffangregelung für Leistungsempfänger des SGB ll. Der Bedarf muss
zu den persönlichen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören, der eine den Regel-
satz für laufende Leistungen übersteigende einmalige oder laufende Leistung erforderlich
macht und den Einsatz weiterer öffentlicher Mittel rechtfertigt. Es ist eine besondere Bedarfs-
lage erforderlich, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den 55 47 bis 74 SGB Xll gere-
gelten Bedarfslagen aufweist (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az: B 7b AS 14/06,
SozR 4-4200, 5 20, Nr. 1 m.w.N.).

Das ist hier der Fall. Die Antragsteller befinden sich in einer besonderen Lebenslage. Die
Antragstellerin lebt vorübergehend mit einem künstlichen Herz und wartet auf ein Spender-
organ. Das macht eine Behandlung in dem ca. km entfernt liegenden B. erforderlich. Da-
mit sind zusätzliche Kosten zumindest für den Besuch im Krankenhaus verbunden. Die
Fahrkosten für den Besuch des erkrankten Ehegatten gehören zum persönlichen Lebensbe-
darf, der aus dem Regelsatz gedeckt werden muss. Das ergibt sich aus der Verordnung zur
Durchführung des § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch — Sozialhilfe (Bundesgesetzblatt
[BGBL] 2004, Teil l, S. 1067; im Folgenden: Regelsatzverordnung). Diese kann für die Be-
stimmung der Zusammensetzung der Regelleistung herangezogen werden. Darauf lässt der
Verweis auf 5 28 Abs. 3 Satz 5 SGB Xll in 5 20 Abs. 3 SGB ll schließen (vgl. auch Bundes-
tagsdrucksache [BT—Drs.] 15/1516, S. 56). Nach 5 2 Abs. 2 Nr. 6 der Regelsatzverordnung
wurden bei der Bestimmung des Eckregelsatzes Aufwendungenfür den Verkehr berücksich-
tigt. Jedoch fallen hier Kosten in einer Höhe an, die der Verordnungsgeber nicht als regel-
satzrelevant berücksichtigt hat. Die Aufwendungen für die Nutzung von Verkehrsdienstleis-
tungen sind mit einem Anteil von 14,03 € (11,04 € und 2,99 €) im Regelsatz eingerechnet
(vgl. Drucksache des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages,
[BT—ADrs.] 16[11]286 vom 15. Juni 2006, S. 13). Für eine Bahnfahrt von B. nach B. fallen
hingegen — ohne Bahncard — Kosten in Höhe von 31,30 € an (Reiseauskunft der Deutschen
Bahn, www.bahn.de). Diese Kosten könnten zwar mit einem Umzug nach B. vermieden wer-
den. Die Aufgabe des bisherigen Lebensmittelpunktes erscheint jedoch unverhältnismäßig.
Die stationäre Behandlung ist zeitlich begrenzt bis voraussichtlich Ende dieses Jahres. Auch
dürfte die Rückkehr in das vertraute Wohnfeld, mit den gewohnten sozialen Bindungen nach
einer erfolgreichen Transplantation förderlich für den weiteren Heilungsverlauf sein. Schließ-
lich sind mit dem Umzug Kosten verbunden, die möglicherweise die Aufwendungen für Be-

suchsfahrten nach B. übersteigen.
Diese besonderen Umstände rechtfertigen den Einsatz weiterer öffentlicher Mittel. Allerdings
ist nach Ansicht der Kammer zu berücksichtigen, dass aufgrund der Verpflegung im Kran-
kenhaus Mittel aus dem Regelsatz der Antragstellerin erspart werden. Diese muss der An-
tragsteller für die Fahrkosten einsetzen. Aufgrund der Pauschalierung des Regelsatzes ist
eine derartige Umschichtung nicht benötigter Mittel möglich. Das führt auch nicht zu einer
verdeckten Kürzung des Regelsatzes oder einer Anrechnung der Verpflegungsleistungen als
Einkommen. Die Leistung wird weiterhin ungekürzt ausgezahlt. Es wird nur verlangt, den
Anteil des Regelsatzes für den Ausgleich eines erhöhten Bedarfs wegen besonderer Um-
stände zu verwenden, der gerade aufgrund der besonderen Umstände erspart wird. Das ist
zumutbar und belastet die Antragstellerin nicht. Die ersparten Mittel werden zudem für einen
regelsatzrelevanten Bedarf verwendet. Dabei berücksichtigt die Kammer auch, dass das
Arbeitslosengeld ll ein Individualanspruch ist. Es ist der Antragstellerin als Inhaberin des An-
spruchs jedoch zumutbar, sich an den Fahrkosten zu beteiligen und den ersparten Teil ihrer
Regelleistung insoweit ihrem Ehemann zur Verfügung zu stellen. Da die Antragstellerin be-
reits seit März 2007 stationär behandelt wird, ist sie nicht mehr mit der Zuzahlung von 10 €
täglich gemäß § 61 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch — Gesetzliche Krankenversiche-
rung (SGB V) belastet. Diese ist auf 28 Tage innerhalb eines Kalenderjahres beschränkt,
5 39 Abs. 4 Satz 1 SGB V.

Hiernach ist ein Anteil von (gerundet) 127 € und ein weiterer Betrag von (gerundet) 14 €‚
zusammen 141 € auf die durchschnittlich im Monat zu erwartenden Fahrkosten anzurech-
nen. Nach 5 2 Abs. 2 Nr. 1 der Regelsatzverordnung enthält die Regelleistung einen Anteil
von 96 vom Hundert der in der Abteilung 01 und O2 der Einkommens- und Verbrauchsstich-
probe 2003 erfassten Verbrauchsangaben für Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren u.Ä.
Das ergibt einen regelsatzrelevanten Gesamtbetrag von 127,31 € (BT—ADrs. 16[11]286,
S. 8). Dieser Betrag ist zusammen mit dem regelsatzrelevanten Anteil für Verkehr (14,03 €)
für die Besuchsfahrten zur Antragstellerin aufzuwenden. Es ergibt sich eine Summe von
141‚34 €, gerundet 141 €. Eine einfache Bahnfahrt von B. nach B. kostet 31,30 € (Reiseaus-
kunft der Deutschen Bahn, www.bahn.de). Unter Berücksichtigung der Rückfahrt werden im
Monat durchschnittlich 271,27 € anfallen (31,30 x 2 = 62.60 € x 13 Wochen / 3 Monate), ab-
züglich der 141 € verbleiben (gerundet) 130 €. Da die Antragsteller nur einen Betrag von 100
€ benötigen, ist das Gericht in seiner Tenorierung auf diesen beschränkt, § 123 SGG.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass ä 73 SGB Xll dem Leistungsträger ein Ermessen
einräumt. Dem Gericht ist es versagt, an Stelle der Verwaltung eine eigene Ermessensent-

scheidung zu treffen. Es ist darauf beschränkt, die Entscheidung der Behörde auf Ermes-
sensfehler (Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch)
zu überprüfen und die Behörde gegebenenfalls zur Neubescheidung des Antrags zu ver-
pflichten, ä 54 Abs. 2 Satz 2 SGG. Eine Verpflichtung zur Stattgabe des Antrags könnte es
nur aussprechen, wenn Umstände vorliegen, aufgrund derer diese Entscheidung die einzig
richtige ist. Davon geht die Kammer nach dem Ergebnis einer Abwägung der widerstreiten-
den Interessen aus. Dabei ist die besondere Situation der Antragsteller ein gewichtiges Indiz
für deren überwiegendes Interesse. Die Antragstellerin befindet sich in einer sehr kritischen
Lebensphase. Der Krankenbesuch muss dem Ehegatten ermöglicht werden. Ihm stehen
jedoch nur die begrenzten Mittel der Regelleistung nach dem SGB ll zur Verfügung. Diese
genügen nicht, um die Aufwendungen zu decken. Ein weiteres Abwarten bis zu einer Ermes-
sensentscheidung der Sozialverwaltung und einer etwaigen nachgehenden gerichtlichen
Kontrolle ist nicht zumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der weitere Zeitablauf die
Entscheidung durchaus endgültig erledigen kann und der verfassungsrechtlich garantierte
Rechtsschutz (Art 19 Abs. 4 Grundgesetz) zu spät käme. Demgegenüber müssen die wirt-
schaftlichen Interessen des Antragsgegners an der Vermeidung möglicherweise zu Unrecht
gezahlter Leistungen zurücktreten. Ohnedies steht die vorläufige Verpflichtung der Zahlung
des Zuschusses unter dem Vorbehalt der Entscheidung in der Hauptsache. Im Falle des Un-
terliegens muss der Antragsteller mit einer Erstattung der Leistung rechnen.

Ob der Antragsgegner die Leistungen als Zuschuss oder als Darlehen gewährt, steht gemäß
5 73 Satz 2 SGB XII in seinem Ermessen.

Einen Anspruch auf einen Zuschuss zu den Übernachtungskosten hat der Antragsteller vor-
aussichtlich nicht gemäß 5 73 SGB XII. Die Kammer hält eine besondere Bedarfslage nur
hinsichtlich der Fahrkosten nach B. für gegeben. Die Anwesenheit des Antragstellers vor Ort
aus medizinischen Gründen erscheint nach seinem Vortrag nicht mehr erforderlich. Das
Schreiben des Krankenhauses mit dem dies zunächst dargelegt wurde, stammt vom 16. Ap-
ril 2007. Auf Nachfrage des Gerichts vom 19. Juli 2007, ob der Antragsteller sich wegen der
Übernachtungskosten aus medizinischen Gründen an das Herzzentrum B. gewandt habe,
erklärte dieser, ihm sei in einem persönlichen Gespräch von einem Mitarbeiter des Herzzent-
rums davon abgeraten worden. Dies spricht gegen die weitere medizinische Notwendigkeit.
Sollte gleichwohl eine medizinische Notwendigkeit bestehen, würde es sich wahrscheinlich
um eine allgemeine Krankenhausleistung im Sinne des 5 2 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes über
die Entgelte für voIl- und teilstationäre Krankenhausleistungen (KHEntgG) handeln. Diese

erhält der Rechtsträger des vorleistenden Krankenhauses nach Maßgabe des ä 109 Abs. 4

-10-

SGB V in Verbindung mit dem Vertrag über Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbe-
handlung nach 5 112 Abs. 2 SGB V vergütet.

Der Anordnungsgrund ergibt sich bereits aus den vorhergehenden Ausführungen. Die An-
tragsteller befinden sich in einer dringlichen Notlage. Es ist ihnen nicht zumutbar, eine Ent-
scheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Der hiesige Antragsgegner kann unmittelbar zur Leistung nach 5 73 SGB Xll verpflichtet
werden. Der Landkreis H. ist nach 55 1 und 3 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch (GVBl. LSA, Nr. 3/2005, S. 8 ff.) örtlicher Träger der Leistungen
nach 5 73 SGB Xll.

Die Kammer beschränkt die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners auf zunächst drei
Monate (Juli bis September 2007). Der Antragsgegner wird noch über den Antrag auf Leis-
tungen nach 5 73 SGB Xll, der in dem formlosen Antrag der Antragsteller vom 2. Juli 2007
enthalten ist (5 16 SGB X), im Rahmen seines Ermessens entscheiden müssen. Der An-
tragsteller wird seinerseits die Fahrkosten nachweisen müssen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des 5 193
SGG.


-11-

Rechtsmittelbelehrung;

Gegen diesen Beschluss ist nach 5 172 Abs. 1 SGG die Beschwerde zum Landessozialge-
richt Sachsen-Anhalt möglich.

Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses bei dem

Sozialgericht Magdeburg
Breiter Weg 203 - 206
39104 Magdeburg (Postfach 39 11 25, 39135 Magdeburg)

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle einzule-
gen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Monatsfrist bei dem

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
im Justizzentrum Halle
Thüringer Straße 16
06112 Halle (Postfach 10 02 57, 06141 Halle)

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt
wird.

Hilft das Sozialgericht Magdeburg der Beschwerde nicht ab, so legt es diese dem Landessozi-
algericht Sachsen-Anhalt in Halle zur Entscheidung vor.

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LSG BRB, L 9 Kr 9/97 vom 24.09.1997, Landessozialgericht Berlin LSG
Landessozialgericht Berlin

AZ.: L 9 Kr 9/97

S 76 Kr 421/95

Verkündet
am 24. September 1997

Im Namen des Volkes!

Urteil

in dem Rechtsstreit

als Urkundsbeamter

der Geschäfisstelle

Klägerin und Berufungsklägerin,

gegen

Barmer Ersatzkasse,

vertreten durch den Vorstand,

Untere Lichtenplatzer Str. 100-102, 42289 Wuppertal,

Beklagte und Berufungsbeklagte.

Der 9. Senat des Landessozialgerichts Berlin hat auf die mündliche Verhandlung vom
24. September 1997 durch den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts L.
den Richter am Landessozialgericht L. und die Richterin am Sozialge-
richt K. sowie die ehrenamtlichen Richter S. und B.
für Recht. erkannt:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin
vom 8. August 1996 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufimgsverfahrens sind nicht zu er—
statten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

L 9 Kr 9/97 — 2 —

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Einsicht in alle von der beklagten Krankenkasse über sie im
Zeitraum von April 1992 bis November 1994 geführten Akten.

Die 1951 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert Sie beantragte mit
Schreiben vom 9. November 1994 und 12. Juli 1995 bei der Beklagten, ihr lückenlose
Einsicht in alle sie betreffenden Unterlagen der Beklagten zu gewähren, die sich auf den
Zeitraum von April 1992 bis zum 25. November 1994 bezogen. Die Beklagte teilte der
Klägerin mit Schreiben vom 3. August 1995 mit, daß die ihr vorliegenden Unterlagen
(Krankenakten) zusammengetragen worden seien und zur Einsichtnahme bereitlägen;
dazu gehörten auch die Abrechnungen und die abgerechneten Krankenscheine der
Arztpraxen Prof. Dr. Mr .‚ Dr. B. Frau R. Dr. Sch. sowie der
Praxis Dr. B: , Dr. W. - im III. und IV. Quartal 1994, die die Klägerin als behan-
delnde Ärzte benannt habe. Eine darüber hinausgehende Akteneinsicht lehnte die I
Beklagte mit Bescheid vom 24. August 1995 ab. Akteneinsicht könne nur in Unterla-
gen gewährt werden, die der Beklagten vorlagen. Es bestehe keine Verpflichtung für
die Beklagte, Unterlagen anderer Behörden beizubringen. Im übrigen könne eine
Einsichtnahme nur in die Abrechnungen der Ärzte ermöglicht werden, die ihr als
Behandler bekannt seien. Sofern ärztliche Behandlungen bei anderen Ärzten erfolgt
seien, lägen der Beklagten auch deren Abrechnungen vor. Diese Unterlagen seien aber
in umfangreichen Abrechnungsakten enthalten. Eine Auskunft über diese Unterlagen
werde in einem solchen Falle nur erteilt, soweit der Betroffene Angaben mache, die das
Auffinden der Daten ermögliche und wenn der für die Erteilung der Auskunft erforder-
liche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem von dem Betroffenen geltend gemachten
Informationsinteresse stehe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 10. September 1995,
ergänzt durch ihre Schreiben vom 3. und 15. November 1995 Widerspruch, in dem sie
weitere Ärzte benannte, die sie behandelt, untersucht oder beraten hätten. Darüber
hinaus beziehe sich der Widerspruch aber vor allem auf Unterlagen über ärztliche

L 9 Kr 9/97 — 3 -

Tätigkeiten, die sie betrafen, aber ohne ihre Zustimmung erfolgt seien und betreffe
deshalb alle Berliner Ärzte, Krankenhäuser, Polikliniken, Universitätskliniken und
Krankentransportunternehmen.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 8. November 1995 mit, daß die zur
Einsichtnahme bereitstehenden Akten aufgrund ihrer zusätzlichen Angaben über behan—
delnde Ärzte vervollständigt worden seien Die Klägerin nahm am 30. November 1995
Einsicht in diese Akten und erhielt daraus auf ihren Wunsch Ablichtungen. Darüber
hinaus übermittelte ihr die Beklagte alle Daten, die über ihre Bildschirmlesegeräte
abrufbar waren durch Computerausdrucke.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1996 wies der Widerspruchsausschuß der
Beklagten den Widerspruch der Klägerin im wesentlichen aus den Gründen des Aus-
gangsbescheides zurück. Ergänzend führte der Widerspruchsausschuß aus: Ein An—
spruch auf Einsichtnahme in die Abrechnungen der die Klägerin behandelnden Ärzte für
den Zeitraum April 1992 bis November 1994 bestehe nur insoweit, als die Behandler
benannt und die Abrechnungen nicht bereits vernichtet worden seien. Insoweit habe die
Klägerin volle Akteneinsicht erhalten und die Beklagte ihre Verpflichtung zur Gewäh-
rung von Akteneinsicht erfüllt. Darüber hinaus geltend gemachte Akteneinsichtsrechte
bestünden nicht. Dabei werde zur Klarstellung darauf aufmerksam gemacht, daß die
Abrechnungsunterlagen der Vertragspartner der Beklagten nicht mitgliedermäßig erfaßt
und gespeichert würden, sondern eine Zuordnung im Hinblick auf den Vertragspartner
erfolge. Ohne Nennung der betreffenden Vertragspartner sei es aber der Beklagten aus
tatsächlichen Gründen nicht möglich, die gewünschten Unterlagen herauszusuchen,

Gegen die Versagung der Akteneinsicht in dem gewünschten Umfang hat die Klägerin
am 30. Mai 1995 - zunächst in Form der Untätigkeitsklage - danach unter Einbezie—
hung der ablehnenden Bescheide Klage zum Sozialgericht erhoben. Zur Begründung
hat sie vorgetragen: Die begehrte Akteneinsicht sei nicht gewährt worden, da ihr nur
Unterlagen aus dem III. und IV. Quartal 1994 vorgelegt worden seien. Deshalb sei ihr
Klagebegehren nicht erledigt. Außerdem benötige sie den begehrten lückenlosen Ein—
blick in alle Unterlagen, die die Beklagte über sie über den Zeitraum von April 1992 bis
November 1994 in Akten führe oder geführt habe, um darauf hinwirken zu können, daß

L 9 Kr 9/97 – 4 —

ein unbekannter Nervenarzt seine Behauptung, sie sei seine Patientin, einstelle, um die
Umstände eines Selbsttötungsversuchs — insbesondere eine medikamentöse Beeinflus-
sung zur Selbsttötung — klären zu können, um Schäden eines bei ihr festgestellten, ohne
ihr Wissen und ihre Zustimmung durchgeführten Hypophyseanschnitts beseitigen zu
lassen und ein deswegen angestrengtes Strafverfahren gegen Unbekannt fördern zu
können, um eine Hormonstörung und einen Krebsverdacht angemessen behandeln zu
lassen und um weitere Behandlungen, die gegen ihren Willen vorgenommen würden, zu
verhindern.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. August 1996 abgewiesen. Sie sei
unzulässig, soweit die Klägerin bereits Akten bei der Beklagten eingesehen habe, weil
sie insoweit nicht mehr beschwert sei. Soweit die Klägerin Einsicht in bereits vernichte-
te Unterlagen verlange, sei die Klage unbegründet, Weil die Klägerin Unmögliches
verlange. Dies gelte auch für ihr Begehren, vernichtete Unterlagen wiederherstellen zu
lassen und diese Unterlagen ihr ebenfalls zugänglich zu machen. Auch soweit die die
Klägerin von der Beklagten verlange, generell in den Unterlagen von Ärzten und
sonstigen Leistungserbringern nachzuforschen, ob sich eventuell sie betreffende Akten-
teile dort fanden, sei die Klage unbegründet, denn insoweit fehle es. an einer entspre-
chenden Anspruchsgrundlage.

Gegen das ihr am 21. Dezember 1996 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. Au-
gust 1996 Berufung eingelegt und zur Begründung ihr gesamtes Vorbringen aus dem
Verwaltungs- und erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren wiederholt und vertieft. Sie
ist der Auffassung, daß die Beklagte u.a. nach § 19 des Bundesdatenschutzgesetzes
- BDSG - den begehrten lückenlosen Einblick in alle vorhandenen und vorhanden
gewesenen, den Zeitraum April 1992 bis November 1994 betreffenden krankenver—
sicherungsrechtlichen Unterlagen gewähren müsse. Soweit-die Beklagte diese Unterla-
gen vernichtet habe, müsse sie sie unter Inanspruchnahme der kassenärztlichen Vertre-
tung und aller beibringbaren Abrechnungsunterlagen sonstiger Leistungserbringer
lückenlos auf ihre — der Beklagten — Kosten wiederherstellen und ihr innerhalb eines
Vierteljahres nach Urteilsverkündung ebenfalls lückenlos zur Einsichtnahme vorlegen.

L 9 Kr 9/97 – 5 —

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. August 1996 sowie den
Bescheid der Beklagten vom 24. August 1995 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1996 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, ihr eine vollständige und lückenlose Ein—
sicht in alle sie betreffenden Krankenversicherungsunterlagen aus der
Zeit vom 1. April 1992 bis zum 25. November 1994 zu gewähren.
sowie die Beklagte zu verurteilen, die von ihr vernichteten, den oben
genannten Zeitraum betreffenden krankenversicherungsrechtlichen
Unterlagen der Klägerin (wieder) herzustellen und ihr Akteneinsicht
in diese Unterlagen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und beruft sich im wesentlichen auf den
Inhalt des angefochtenen sozialgerichtlichen Urteils.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird im übrigen auf
den Inhalt der Gerichtsakte sowie die den Antrag der Klägerin auf Akteneinsicht
betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen
haben und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, die
begehrte Einsicht auf die ihr noch vorliegenden Akten zu beschränken, für die die
Klägerin die behandelnden Ärzte benannt hat, ist nicht zu beanstanden. Denn die
Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf eine darüber hinausgehende,
lückenlose Einsicht in alle sie betreffenden Unterlagen der Beklagten hinsichtlich aller
Leistungserbringer fiir den Zeitraum April 1992 bis November 1994 unabhängig davon,

L 9 Kr 9/97 – 6 —

ob sie der Beklagten vorliegen oder vor einer Einsichtnahmeerst (wieder-) hergestellt
werden müßten.

1. § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch —SGB X— bietet für die streitige
Akteneinsicht in dem von der Klägerin begehrten Umfange keine Rechtsgrundlage
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das
Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung
oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Danach besteht ein
Recht auf Akteneinsicht grundsätzlich nur für die Beteiligten eines Verwaltungsverfah-
rens während der Durchführung dieses Verwaltungsverfahrens (BSG SozR 3-1300
§ 25 SGB X Nr. 3, Schroeder-Printzen in Schroeder-Printzen u.a.‚ SGB X,
3. Auflage, § 25 Rdnr. 5, Kopp, VwVfG, 6. Auflage, § 29 Rdnr. 3). Begriff und
Dauer des Verwaltungsverfahrens sind dabei nach überwiegender Ansicht §§ 8, 18
SGB X zu entnehmen. Unter Verwaltungsverfahren ist nach § 8 SGB X nur eine
Behördentätigkeit zu verstehen, die auf die Prüfling der Voraussetzungen, die Vorbe—
reitung und den Erlaß eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluß eines öffentlich-
rechtlichen Vertrages gerichtet ist. Aus dieser Begrenzung ist zu schließen, daß die
Vorschriften des 2. Abschnittes (§§ 8 bis 30) SGB X nicht auf eine Verwaltungstätig-
keit zu beziehen sind, die auf den Erlaß von autonomen Rechtssätzen oder allgemeinen
Verwaltungsvorschriften oder schlichtes Verwaltungshandeln gerichtet ist (BSG SozR
3—1300 § 25 SGB X Nr. 3). Erst recht gilt dies in Fällen wie dem vorliegenden, in
dem sich ein Versicherter von seiner Krankenkasse durch eine Akteneinsicht Unterla-
gen vor allem zur Verfolgung privatrechtlicher, Ansprüche gegen Dritte oder zur
Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens beschaffen möchte. Für diese Fälle
ist ein Recht auf Akteneinsicht nach § 25 Abs. 1 SGB X nicht begründet. Diesen
Rechtszustand hat allerdings schon die Begründung des Regierungsentwurfs zu dem
insoweit übereinstimmenden § 29 Abs. 1 VwVfG (= § 25 des Entwurfs) für unbefrie—
digend. gehalten (BT—Drucksache 7/910 S. 52). Ob gegenüber der Absicht des Gesetz-
gebers, die Akteneinsicht zu begrenzen, eine erweiternde Auslegung in Betracht
kommt, ist nicht zu entscheiden. Denn die praktischen Folgen der einengenden gesetzli—
chen Regelung lassen sich dadurch mildern, daß sie nicht als abschließende Regelung
verstanden wird, so daß es im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltung steht, darüber
zu befinden, ob sie auch im Bereich der oben näher beschriebenen ausgeschlossenen

L 9 Kr 9/97 — 7 —

Fälle Akteneinsicht gewährt (BT—Drucksache a.a.O.; BVerwGE 61, 15, 22). Dem hat
die Beklagte entsprochen, in dem sie der Klägerin die Möglichkeit eröffnet hat, Einsicht
in die noch vorhandenen Akten zu nehmen, die die benannten Leistungserbringer
betreffen. Die Entscheidung der Beklagten, Akten anderer Behörden - etwa der Kas—
senärztlichen Vereinigung Berlin - nicht beizuziehen, ist in diesem Zusammenhang
ebensowenig ermessensfehlerhaft wie ihre Weigerung, aus den ihr vorliegenden Ab-
rechnungsunterlagen anderer Leistungserbringer allein zum Zwecke der Akteneinsicht
der Klägerin eine einsichtsfähige Akte zu (re-) konstruieren. Im Rahmen des Rechts auf
Akteneinsicht nach § 25 SGB X besteht selbst für den Beteiligten eines Verwaltungs-
verfahrens weder ein Anspruch auf Beiziehung von Akten anderer Behörden (Kopp,
a.a.O. § 29 Rdnr. 6) noch auf Durchsicht, Prüfung und Bildung einer neuen Akte nach
abstrakten von ihm vorgenommenen Merkmalen (BSG a.a.O.). Denn das Recht auf
Akteneinsicht nach § 25 Abs. 1 SGB X beschränkt sich auf die der Behörde vorlie-
genden Verfahrensakten und die Möglichkeit des Versicherten, sich vom Inhalt dieser
Akten ohne weiteres Tätigwerden der Behörde Kenntnis zu verschaffen. Entsprechende
Beschränkungen des Akteneinsichtsrechts darf die Behörde erst recht außerhalb der
Regelung des § 25 SGB X ihrer Ermessensentscheidung zugrunde legen. Deshalb
kommt es in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob die Beklagte krankenver-
sicherungsrechtliche Unterlagen der Jahre 1992, 1993 und des I. und II. Quartals des
Jahres 1994 jedenfalls nach dem Antrag der Klägerin auf Akteneinsicht vom 9. No-
vember 1994 von der Vernichtung hätte ausschließen müssen. Bei der Entscheidung
dieser Rechtsfrage wäre aber zu beachten, daß die beklagte Krankenkasse nach § 305
Satz 1 SGB V in der hier im Hinblick auf den Zeitpunkt des Erlasses des Wider-
spruchsbescheides maßgeblichen Fassung des Artikel 1 Nr. 164 des Gesundheitsstruk—
turgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I, S. 266 [insoweit in Kraft getreten am
1. Januar 1996] vgl. BSG SozR 3-2500 § 295 SGB V Nr. 1) zur Auskunft über die
im jeweils letzten Geschäftsjahr in Anspruch genommenen Leistungen und deren
Kosten verpflichtet war, die eine Aufbewahrung der krankenversicherungsrechtlichen
Akten jedenfalls für die Jahre 1993 und 1994 hätte erforderlich machen können. Das
SGB V und das SGB X normieren andererseits eine Aufbewahrungsfrist für in Akten
enthaltene Daten nicht, sondern verlangen in §§ 284 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB V und
84 Abs. 2 Satz 2 SGB X die Löschung von Daten unabhängig von der Art ihrer
Speicherung, wenn ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur rechtmäßigen Erfiillung

L 9 Kr 9/97 – 8 -

der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist und kein
Grund zu der Annahme besteht, daß durch die Löschung schutzwürdige Interessen des
Betroffenen beeinträchtigt werden.

2. Die Klägerin kann auch aus § 19 BDSG, § 83 Abs. 1 Satz l SGB X, § 305
SGB V keinen Anspruch auf lückenlose Einsicht der sie betreffenden krankenver-
sicherungsrechtlichen Unterlagen herleiten. Unbeschadet des Konkurrenzverhältnisses
der genannten Vorschriften untereinander und zu § 25 Abs. 1 SGB X, die jedenfalls
eine Anwendbarkeit des § 19 BDSG im vorliegenden Falle infolge der Spezialität des
§ 83 Abs. 1 SGB X ausschließen dürfte, ergibt sich aus ihnen ein Recht des Versi-
cherten (Betroffenen), auf Antrag Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten
Sozialdaten bzw. über die im jeweils letzten Geschäftsjahr in Anspruch genommenen
Leistungen und deren Kosten zu erhalten. Einen Rechtsanspruch auf Akteneinsicht
gewähren die genannten Vorschriften aber nicht (Schroeder-Printzen, a.a.O. § 83
SGB X Rdnr. 2; Kunkel, ZfSH/SGB 1995, 238; im Ergebnis für den Zustand de lege
lata wohl auch Hauck, Sozialgesetzbuch [SGB X/l, 2] - Verwaltungsverfahren und
Schutz der Sozialdaten - Kommentar, Stand 1. August 1997 § 83 Rdnr. 19). Dies
ergibt sich schon daraus, daß §§ 19 Abs. 1 Satz 4 Datenschutzgesetz, 83 Abs. 1
Satz 4 SGB X das Verfahren, insbesondere die Form der Auskunftserteilung. in das
pflichtgemäße Ermessen der speichernden Stelle stellen und § 305 SGB V bestimmte
Angaben von der Auskunftspflicht ausnimmt (z.B. Angaben der Diagnosen, vgl.
Käsling, in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung‚ 3. Auflage
Stand: April 1997 § 305 Rdnr. 5) und zum Teil auf eine Übermittlungsplicht der
Daten Dritter (KassenärztlicheVertretung; Kassenzahnärztliche Vertretung) be-
schränkt. Auch wenn die Beklagte nach den genannten Vorschriften die Möglichkeit
hat, einem Versicherten wie der Klägerin die Auskunftserteilung in Form der Einsicht-
nahme in vorhandene Akten zu gewähren (vgl. hierzu insbesondere Hauck, a.a.O. § 83
Rdnr. 19 und 23), sind im vorliegenden Fall keine Gesichtspunkte erkennbar, die das
behördliche Ermessen bei der Auskunftserteilung auf eine Pflicht zur Gewährung der
begehrten umfassenden Akteneinsicht reduzieren könnten. Der Beklagten stand deshalb
die Möglichkeit offen, der Klägerin Auskunft auch auf andere Weise als durch Akten-
einsicht zu gewähren, wovon sie durch die Übersendung von Computerausdrucken der

L 9 Kr 9/97 — 9 -

in den Bildschirmlesegeräten noch sichtbar zu machenden Daten Gebrauch gemacht
hat.

3. Soweit die Beklagte ihrer Pflicht zur Auskunftserteilung nach den genannten Vor-
schriften nicht in vollem Umfange nachgekommen sein sollte, könnte sie gleichwohl im
vorliegenden Rechtsstreit nicht zur Auskunft über die von der Klägerin gewünschten
Tatsachen verurteilt werden, selbst wenn ein Auskunftsanspruch nach §§ 19 Abs. 1
BDSG, 83 Abs. 1 SGB X sowie § 305 Satz 1 SGB V in ihrem Begehren auf Akten—
einsicht enthalten sein sollte und materiell rechtlich kein "aliud" darstellte. Denn die
Klägerin hat ihr prozessuales Begehren ausdrücklich nur auf die Akteneinsicht konkre-
tisiert, weil sie argwöhnt, daß die Beklagte ihr bei einer bloßen Auskunftserteilung
Aktenteile vorenthalten würde (Schriftsatz vom 18. Januar 1997, Blatt 102/103
Gerichtsakte).

Im übrigen wird nach §§ 19 Abs. 1 Satz 3 BDSG, 83 Abs. 1 Satz 3 SGB X eine
Auskunft über in Akten gespeicherte Sozialdaten nur erteilt, soweit der Betroffene
Angaben macht, die das Auffinden der Daten ermöglichen und der für die Erteilung der
Auskunft erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem vom Betroffenen
geltend gemachten Informationsinteresse setzt. Schon aus dem Wortlaut der Vorschrif-
ten (das Auffinden von Daten kann sich nur auf bestehende Akten beziehen) folgt, daß
sie eine Pflicht der Behörde zur (Re—) Konstruktion bereits vernichteter Akten ebenso—
wenig begründen wie eine Verpflichtung, sämtliche Abrechnungsakten der Jahre 1992,
1993 und 1994, die die Beklagte nicht auf elektronischen Datenträgern gespeichert hat,
auf die die Klägerin betreffende Abrechnungsunterlagen durchzusehen. Insoweit fehlt
es sowohl an Angaben der Klägerin, die das Auffinden der Daten ermöglichen als auch
an der Verhältnismäßigkeit des Aufwandes der Behörde bei der Datensuche zum
Informationsinteresse der Klägerin.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz —SGG—.

L 9 Kr 9/97 —10 -

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die dafür erforderlichen Voraussetzun—
gen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht gegeben sind.

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Rechtsmittelbelehrung

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LSG HES, L 9 AS 600/10 B ER vom 15.11.2010, Hessisches Landessozialgericht
Hessisches Landessozialgericht
L 9 AS 600/10 B ER
S 23 AS 766/10 ER (Sozialgericht Wiesbaden)

Beschluss


In dem Beschwerdeverfahren

A.,
A-Straße, A-Stadt,

Antragstellerin und Beschwerdegegnerin,

gegen

Arbeitsgemeinschaft Limburg-Weilburg - Grundsicherung für Arbeitsuchende -,
vertreten durch die Geschäftsführung, Cahenslystraße 2, 65549 Limburg,

Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin,

hat der 9. Senat des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt durch den
Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht S. sowie die Richter am
Landessozialgericht K. und Dr. B. am 15. November 2010 beschlossen:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den
Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom
11. Oktober 2010 wird aus den zutreffenden Gründen
des Beschlusses des Sozialgerichts zurückgewiesen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Faksimile 1

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LSG BAY, L 8 SO 226/13 B ER vom 07.01.2013, Bayerisches Landessozialgericht
L 8 SO 226/13 B ER
S 52 SO 474/13 ER

BAYERISCHES LANDESSOZIALGERICHT

In dem Beschwerdeverfahren

A., A-Straße, A-Stadt
- Antragstellerin und Beschwerdeführerin -
Proz.-Bev.:
Rechtsanwälte B., B-Straße, A-Stadt - -

gegen

Landeshauptstadt München, Sozialreferat, vertreten durch den Oberbürgermeister, Orle-
ansplatz 11, 81667 A-Stadt - -
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -


wegen einstweiliger Anordnung

erlässt der 8. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in München

am 7. Januar 2013

ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialge-
richt S. sowie die Richterin am Bayer. Landessozialgericht R. und den
Richter am Bayer. Landessozialgericht B. folgenden

Beschluss:

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 11. Oktober
2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird
abgelehnt.

- 2 -

Gründe

I.

Die Beteiligten betreiben ein Vorverfahren wegen der Ablehnung höherer Leistungen nach
dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) durch den örtlichen Träger
der Sozialhilfe. Die 1945 geborene Antragstellerin macht erhöhte Aufwendungen für nicht
von ihrer gesetzlichen Krankenkasse geleistete Arzneimittel geltend.

Die Antragstellerin ist trotz des Bezugs einer Altersrente durch die deutsche Rentenversi-
cherung in Höhe von monatlich 546,70 €, sowie einer Zusatzversorgung der Bayerischen
Versorgungskammer (27,78 €) seit vielen Jahren hilfebedürftig. Sie bewohnt eine Ein-
Zimmer Wohnung in A-Stadt (32 qm) mit einer Kaltmiete von monatlich 311,89 €, sowie
einer Nebenkostenvorauszahlung von 106,13 €.

Die Antragsgegnerin bewilligte mit Bescheid vom 27.06.2013 Leistungen für den Zeitraum
01.07.2013 bis 30.06.2014 in Höhe von zuletzt 392,63 €. Bei der Bedarfsberechnung ging
die Antragsgegnerin von einem Bedarf der Antragstellerin in Höhe von 968,76 € (Regel-
satz inkl. Aufstockung 402,00 €, Mehrbedarf gemäß § 30 SGB XII 67,94 €, Mehrbedarf für
Ernährung 80,40 €, Unterkunftskosten 418,02 €) aus.

Am 23.07.2013 legte die Antragstellerin Widerspruch wegen der Höhe des Regelsatzes
bei der Antragsgegnerin ein.

Am 06.09.2013 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht München (SG) den Erlass einer
einstweiligen Anordnung beantragt, mit dem Ziel, ihr monatliche Leistungen in Höhe von
543,00 € zuzuerkennen. Sie könne die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht ab-
warten, zumal für die vorangegangene Bewilligungsperiode noch eine Sachentscheidung
des SG zur selben Problematik ausstehe. Ihre notwendigen Arzneimittel finanziere sie aus
dem Regelsatz. Es handele sich um einen unabweisbaren Bedarf, denn verordnungsfähi-
ge Arzneimittel seien ungeeignet. Zudem habe sie in einem früheren Eilverfahren bereits
eine Erhöhung des Regelsatzes erhalten.

Vorgelegt worden sind Auflistungen diverser Apotheken über Medikamente, so vom Ja-
nuar bis Juli 2013 in Höhe von 203,43 €, vom Juni 2013 in Höhe von 104,72 €, vom Mai
2013 in Höhe von 110,86 €, vom März 2013 in Höhe von 193,51 €, vom Januar 2013 in
Höhe von 253 €.

Weiter wird vorgetragen, dass die Antragstellerin aufgrund mannigfaltiger Allergien und
Unverträglichkeiten gehalten sei, Medikamente einzunehmen, die als OTC - Medikamente
zu qualifizieren seien. Es habe immer schon Auseinandersetzungen mit der Krankenkas-
se gegeben, unter anderem auch einen Rechtsstreit (S 18 KR 1268/05). Die Antragstelle-
rin habe inzwischen resigniert, was die Durchsetzung ihrer Ansprüche bei der Kranken-
kasse betreffe. Dazu sind dann auch ältere ärztliche Stellungnahmen vorgelegt worden. In
dem Anlagenkonvolut befinden sich unter anderem drei Verordnungen vom 03.08.09 über
insgesamt neun Medikamente sowie zahlreiche Rezeptkopien aus dem Jahre 2013, zum
Teil als Privatrezept, ausgestellt vom Klinikum G..

Durch Beschluss vom 11. Oktober 2013 hat das SG den Erlass einer einstweiligen An-
ordnung abgelehnt. Es fehle besonders an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsan-
spruches. Die Klägerin sei gesetzlich krankenversichert bei der T. Krankenkasse A-Stadt.
Die entsprechenden Beiträge würden gemäß § 32 Abs. 1 SGB XII durch die Antragsgeg-
nerin übernommen. Hierdurch sei der Anspruch der Antragstellerin auf das sozialrechtlich

- 3 -

zu gewährende menschenwürdige Existenzminimum gemäß Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20
Abs. 1 GG abgedeckt (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011, B 14 AS 146/10 R). Versicherte
erhielten grundsätzlich die krankheitsbedingt notwendigen, nicht der Eigenverantwortung
(§ 2 Abs. 1 S 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V) zugeordneten Arzneimittel (§ 27
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V) aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversiche-
rung aufgrund vertragsärztlicher Verordnung. Sei für ein Arzneimittel wirksam ein Festbe-
trag festgesetzt, trage die Krankenkasse - abgesehen von der Zuzahlung (§ 31 Abs. 3
SGB V) - grundsätzlich die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags (§ 31 Abs. 2 Satz 1 bis 5
SGB V). In Anbetracht dieser Grundsätze scheide eine Erhöhung des Regelsatzes zur
Anschaffung der geltend gemachten Aufwendungen aus. Lägen die vorstehend genann-
ten Voraussetzungen vor, habe der gesetzlich krankenversicherte Sozialhilfeempfänger
einen Anspruch auf Versorgung mit einem den Festbetrag übersteigenden Festbetrags-
arzneimittel bzw. auf entsprechende Kostenerstattung (vgl. § 13 SGB V) gegen seine
Krankenkasse. Habe ein gesetzlich Krankenversicherter nach den genannten Grundsät-
zen keinen Anspruch auf eigenanteilsfreie Versorgung über den Festbetrag hinaus, z.B.
weil er noch nicht alle Wirkstoffe ausprobiert habe, komme auch eine Erhöhung der sozi-
alhilferechtlichen Regelsätze nicht in Betracht. Ein Anspruch der Antragstellerin auf Ver-
sorgung mit den geltend gemachten Arzneimitteln ergebe sich unter zweierlei Gesichts-
punkten nicht. Zum einen fehle es schon am Vorliegen einer vertragsärztlichen Verord-
nung („Kassenrezept“) dieses Arzneimittels. Zum anderen seien die geltend gemachten
Arzneimittel auch vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht um-
fasst. Die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel seien daher nach § 34 Abs. 1 Satz
1 SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen. Eine
besondere Begründung eines Vertragsarztes nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V fehle den
vorgelegten Unterlagen zufolge.

Ein Anspruch der Antragstellerin lasse sich auch nicht aus § 73 Satz 1 SGB XII herleiten.
§ 73 SGB XII gelte nicht für solche Bedarfe, die explizit im Dritten bis Achten Kapitel des
SGB XII geregelt seien, wie die Hilfe bei Krankheit im Fünften Kapitel des SGB XII.
Hiergegen hat die Antragstellerin am 12.11.2013 Beschwerde zum Bayer. Landessozial-
gericht (LSG) eingelegt. Die Entscheidung vom 11. Oktober 2013 sei in sich widersprüch-
lich. Denn tatsächlich würden die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
den notwendigen Bedarf abdecken. Wie das SG selbst festgestellt habe, seien die be-
gehrten Mittel nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten
und könnten damit auch nicht vom Vertragsarzt verschrieben werden. Im Übrigen sei nicht
ersichtlich, was sich gegenüber dem Verfahren S 48 SO 296/08 ER geändert habe.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses vom 11. Oktober 2013 im
Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, der Antragstellerin bis
zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30.04.2014 Leistun-
gen nach dem SGB XII in Höhe von monatlich 543,00 € zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

- 4 -

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialge-
richtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung we-
sentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Antragstellerin
ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare
Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht
mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 <74>; vom
19.10.1997 BVerfGE 46, 166 <179> und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der
Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der
materiell-rechtliche Anspruch, auf den die Antragstellerin ihr Begehren stützt - voraus. Die
Angaben hierzu hat die Antragstellerin glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 2 und 4
SGG iVm § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in: Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl., § 86b Rn 41).

Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG sind besondere Anforderungen an die Ausgestaltung
des Eilverfahrens zu stellen, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen kön-
nen. Bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs ist dann eine Orientierung an den Er-
folgsaussichten des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nur nach einer abschließen-
den Prüfung der Sach- und Rechtslage erlaubt. Dies gilt insbesondere, wenn das einst-
weilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens
übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Betei-
ligten droht. Ist aber eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht möglich,
ist die Entscheidung auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu treffen, in die die grund-
rechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einzustellen sind (Beschluss des
BVerfGE vom 12.05.2005, BvR 569/05, NVwZ 2005, 927 m.w.N, Bayer. Landessozialge-
richt, Beschluss vom 21.12.2010 - L 8 SO 243/10 B ER -, juris).

Der Antragstellerin mag zuzugestehen sein, dass frühere Regelungen über Arzneimittel in
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht ausgereicht haben, eine Versorgung
von Versicherten mit anderen diätetischen Lebensmitteln für besondere medizinische
Zwecke zu begründen, auch wenn dies medizinisch notwendig gewesen wäre. Mit dem
Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der GKV (GKV-OrgWG)
vom 15.12.2008 wurde aber geregelt, dass bilanzierte Diäten verordnungsfähig sind,
wenn eine diätetische Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweck-
mäßig und wirtschaftlich ist, z. B. bei Versicherten, die an angeborenen, seltenen Stoff-
wechseldefekten oder anderen diätpflichtigen Erkrankungen leiden, die ohne diätetische
Intervention zu schwerer geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung führen, sowie all-
gemein bei fehlender oder eingeschränkter Fähigkeit zur ausreichenden, normalen Ernäh-
rung, wenn mit anderen Maßnahmen (allein oder kombiniert) eine ausreichende Ernäh-
rung im Einzelfall nicht sichergestellt werden kann (vgl. zu Einzelheiten Bundestagsdruck-
sache 16/10609 vom 15.10.2008, zu Buchstabe c). Wesentliche Aufgaben sind dabei dem
Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zugewiesen worden, der in den Richtlinien nach
§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festzulegen hatte, unter welchen Voraussetzungen die
Verordnung von Produkten zur enteralen Ernährung medizinisch notwendig, zweckmäßig,
wirtschaftlich und damit verordnungsfähig sei.

Zahlreiche ergänzende Vorschriften enthält nach Maßgabe des § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2,

- 5 -

Abs. 5 Satz 2 SGB V die aufgrund der Ermächtigung in § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V
vom G-BA (§ 91 SGB V) erlassene Richtlinie über die Verordnung von Arzneimitteln in der
vertragsärztlichen Versorgung - Arzneimittel- RL - . Ergänzende Regelungen enthält zu-
dem die Verfahrensordnung des G-BA. Die RL und die Verfahrensordnung des G-BA sind
aktuell und vollständig, insbesondere einschließlich aller Anlagen, abrufbar im Internetauf-
tritt des G-BA (www.g-ba.de). § 31 Abs. 5 SGB V bestimmt im Übrigen, dass Versicherte
Anspruch auf bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung haben, wenn eine diätetische
Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich
ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2
Nr. 6 SGB V fest, unter welchen Voraussetzungen welche bilanzierten Diäten zur entera-
len Ernährung vom Vertragsarzt verordnet werden können und veröffentlicht im Bundes-
anzeiger eine Zusammenstellung der verordnungsfähigen Produkte. In die Zusammen-
stellung sollen nur Produkte aufgenommen werden, die die Anforderungen der Richtlinie
erfüllen.

So bestimmt nunmehr § 12 Arzneimittel- RL (Apothekenpflichtige, nicht verschreibungs-
pflichtige Arzneimittel gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V), dass zwar nicht verschrei-
bungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen sind
(Abs. 1). Dass die Verordnung dieser Arzneimittel nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V aus-
nahmsweise zulässig ist, wenn die Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Er-
krankungen als Therapiestandard gelten (Abs. 2). Eine Krankheit ist schwerwiegend,
wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verur-
sachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (Abs.
3). In der Anlage I zum Abschnitt F der Arzneimittel-Richtlinie befinden sich zudem zuge-
lassene Ausnahmen zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 2
SGB V (OTC-Übersicht). Damit wird dem Maßstab für die Beurteilung der Verfassungs-
mäßigkeit des Leistungsrechts der GKV und seiner fachgerichtlichen Auslegung und An-
wendung im Einzelfall auch aus den Grundrechten auf Leben und körperliche Unversehrt-
heit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG entsprochen (dazu BVerfGE 115, 25, 44 f.).

So hält dann auch die übereinstimmende Rechtsprechung in der Grundsicherung die Kos-
ten einer Krankenbehandlung durch das System des SGB V oder (ergänzend) durch die
Regelleistung für abgedeckt (Urteil des BSG vom 26.05.2011, Aktenzeichen: B 14 AS
146/10 R). Aufgrund der Notwendigkeit einer Versorgung mit nicht verschreibungspflichti-
gen Arzneimitteln entstünden grundsätzlich keine unabweisbaren laufenden Bedarfe.
Nach dem Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
21.02.2013 2013 - L 9 SO 455/11 - scheidet ein entsprechender Leistungsanspruch ge-
gen den Sozialhilfeträger aus § 48 S 1 SGB XII aus, wenn gegen die gesetzliche Kran-
kenkasse kein Anspruch auf Versorgung mit einem den Festbetrag übersteigenden Fest-
betragsarzneimittel besteht. Eine Erhöhung des Regelsatzes nach § 27a Abs. 4 S 1 SGB
XII wegen der von einem gesetzlich Krankenversicherten zu tragenden Anschaffungskos-
ten für ein Medikament, dessen Preis den nach dem Recht der gesetzlichen Krankenver-
sicherung festgesetzten Festbetrag übersteigt, kommt von vornherein nicht in Betracht,
denn das System des SGB V deckt unabweisbare Bedarfe insoweit hinreichend ab (Rn.49
aaO). Wenn - trotz Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung durch die
Festbetragsfestsetzung im Allgemeinen - aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse
keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich ist, greift nach diesem Urteil die
Leistungsbeschränkung der Krankenkassen auf den Festbetrag nach
§ 12 Abs. 2 SGB 5 unter Verweis auf BSG vom 3.7.2012 (B 1 KR 22/11 R) nicht ein.

Angesichts dieser klaren Rechtslage bedarf es keiner Folgenabwägung.

Insbesondere ist es für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht ausreichend, wenn
zur Geltendmachung der Rechte gegenüber der GKV lediglich angeführt wird, dass die

- 6 -

Klägerin insoweit resigniert habe. Schließlich ist auch eine Beiladung des zuständigen
Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung im einstweiligen Rechtsschutz nicht ziel-
führend. Die Beiladung wegen Ansprüchen gegen einen anderen, als einem bislang im
Prozess Beteiligten ist eine Klageänderung. Sie wäre nicht sachdienlich, wenn zuvor noch
kein Verwaltungsverfahren durchgeführt worden wäre. Häufig sind aber auch schon bin-
dende Entscheidungen vorhanden, die als Verwaltungsakt gelten (§ 39 SGB X) und auf-
grund einer Beiladung nicht ungültig werden können. Der Fall einer notwendigen Beila-
dung, bei dem ein Alternativverhältnis der Leistungspflicht besteht, liegt nicht vor. So
kommt bei der Ablehnung des Anspruchs nicht ein anderer Versicherungsträger (GKV) als
leistungspflichtig in Betracht (vgl. § 75 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.

Aus den oben genannten Gründen liegt auch keine hinreichende Erfolgsaussicht vor, die
die Zubilligung von Prozesskostenhilfe rechtfertigen würde (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG
in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO). Die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Beschwer-
deverfahren hatte keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

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Montag, 11. Mai 2015
LSG HES, L 7 AS 41/09 B ER und L 7 AS 42/09 B vom 16.06.2010, Hessisches Landessozialgericht
Hessisches Landessozialgericht

L 7 AS 41/09 B ER und L 7 AS 42/09 B

S 29 AS 1467/08 ER (Sozialgericht Frankfurt am Main)

Beschluss

In den Beschwerdeverfahren

A.,

A-Straße, A-Stadt,

Antragsteller und Beschwerdeführer,

gegen

Rhein-Main-Job-Center GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer,

Geleitsstraße 25, 60599 Frankfurt am Main,

Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin,

hat der 7. Senat des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt am 16. Juni 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht K., den Richter am
Landessozialgericht H. und den Richter am Sozialgericht R. beschlossen:

I. Die Beschwerden des Antragstellers gegen den
Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom
2. Januar 2009 werden zurückgewiesen.

II. Kosten des Beschwerdeverfahrens mit dem
Az. L 7 AS 41/09 B ER sind auch nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe

Die am 7. Januar 2009 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) eingelegten
Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des SG vom 2. Januar 2009 mit
den sinngemäßen Anträgen,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. Januar 2009
aufzuheben und

a) die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 28. Oktober 2008 anzuordnen, soweit die Bewilligung
von Arbeitslosengeld II mit Bescheid vom 25. Juli 2008 für den Zeitraum ab
1. September 2008 bis 28. Februar 2009 zurückgenommen oder aufgehoben
ist,

b) Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter anwaltlicher Beiordnung
zu bewilligen.

sind zulässig, ohne in der Sache Erfolg zu haben.

1. Statthaft ist das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung
anzuordnen, gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und S. 2 SGG.

Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen
(Anfechtungs-) Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung
haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (S. 1). Ist der
Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden,
kann das Gericht auch die Aufhebung der Vollziehung anordnen (S. 2).

Die Voraussetzungen liegen vor, weil dem Widerspruch des Antragstellers gemäß § 39
Nr. 1 SGB II gesetzlich keine aufschiebende Wirkung zukommt, soweit die Aufhebung
oder Rücknahme der Leistungsbewilligung betroffen ist (so: Sächsisches LSG, 3.11.2008
– L 7 B 154/07 AS-ER; LSG Niedersachsen-Bremen, 30.7.2007 – L 8 AS 186/07; LSG
Berlin-Brandenburg, 2.3.2007 – L 5 B 125/07 AS-ER; LSG Bad.-Württ., 21.11.2006
- L 8 AS 4680/06 ER-B; Thür. LSG, 14.8.2006 – L 7 AS 772/05 ER; LSG Schleswig-
Holstein, 5.7.2006 – L 6 B 196/06 AS-ER; LSG Rhld.-Pf., 4.4.2006 – L 3 ER 46/06 AS;
LSG NRW, 31.3.2006 – L 19 B 15/06 AS-ER; a.A. Hess. LSG, 17.7.2007 – L 9 AS
89/07 ER; LSG Sachsen-Anhalt, 27.04.2006 – L 2 B 62/06 AS-ER). Allein hinsichtlich der

- 3 -

Erstattungsregelung kommt dem Widerspruch des Antragstellers ohnehin aufschiebende
Wirkung zu, wie § 39 Nr. 1 SGB II idF des Gesetzes zur Neuausrichtung der
arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl I 2917) – SGB II F. 2009 -
nach Auffassung des Senats mit Wirkung ab 1. Januar 2009 nur klarstellt (so auch:
Sächsisches LSG, 10.12.2007 - L 2 B 442/07 AS-ER; Berlit, info also 2005, 3, 5; Eicher in
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 39 Rn. 12; Groth, NJW 2007, 2294 f. und
Udsching/Link, SGb 2007, 513, 518; anderer Auffassung zB der 3. Senat des Sächs.
LSG in ständiger Rechtsprechung, vgl. zB Beschlüsse vom 16. Juli 2007 - L 3 B
381/06 AS-ER und 1. November 2007 - L 3 B 292/07 AS-ER; jeweils m.w.N.).

Ist der Antrag damit zulässig, insbesondere statthaft, liegen gleichwohl die
Voraussetzungen für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht vor.
Einen ausdrücklichen gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Anordnung der
aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage sieht § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG
nicht vor. Entscheidungserheblich ist, ob im Rahmen einer offenen Interessenabwägung
einem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang
gegenüber schützenswerten Interessen des Adressaten einzuräumen ist (vgl. Krodel,
NZS 2001, S. 449 ff. m.w.N.). Sind Widerspruch oder Klage in der Hauptsache
offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung ohne weitere Interessenabwägung grundsätzlich abzulehnen,
weil der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes kein
schützenswertes Interesse des Bescheidadressaten entgegenstehen kann. Sind
dagegen Widerspruch oder Klage in der Hauptsache offensichtlich zulässig und
begründet, ist hingegen dem Antrag stattzugeben, weil dann kein öffentliches Interesse
an der sofortigen Vollziehung besteht. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens,
wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen
Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden,
welchem Interesse bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Vorrang einzuräumen
ist. Dabei darf einerseits in die Abwägung einfließen, dass der Gesetzgeber für den
Regelfall die sofortige Vollziehung vorgesehen hat, solange das Rechtsschutzinteresse
des Antragstellers unter Beachtung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG
berücksichtigt bleibt; insbesondere mit einer sofortigen Vollziehung keine schwere,
unzumutbare Härte für ihn verbunden ist. Andererseits ist dem Aussetzungsinteresse des

Antragstellers je eher der Vorrang einzuräumen, desto wahrscheinlicher sein Erfolg in der

Hauptsache ist (Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Aufl., § 86b, Rn. 12c m.w.N.).

- 4 -

Der anderslautende Maßstab des § 86a Abs. 3 S. 2 SGG, nach dem der
Sozialleistungsträger von sich aus die Vollziehung aussetzen soll, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes im Sinne des
§ 86 a II Nr. 1 SGG bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder
Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen
gebotene Härte zur Folge hätte (§ 86 a III S. 2 SGG), ist zwar im Rahmen des
gerichtlichen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG zu beachten, gilt aber
als spezialgesetzliche Regelung nur für die ausdrücklich in § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG
genannten Bescheide, insbesondere Versicherungs-, Beitrags und Umlagebescheide
(Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Aufl., § 86b Rn. 12b m.w.N. auch zur Gegenansicht).

Hiernach ist davon auszugehen, dass der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin
mit der Folge als rechtmäßig anzusehen ist, dass ein berechtigtes Aufschubinteresse des
Antragstellers ausgeschlossen ist.

Die Befugnis zur Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung folgt aus § 40
Abs. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 oder 3 SGB III und § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2,
Abs. 3 - 5 SGB X oder § 48 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2 und S. 3 und Abs. 4 SGB X.

Danach ist ein Bewilligungsbescheid auch für die Vergangenheit aufzuheben, wenn er
rechtswidrig ist und die Bewilligung auf mindestens grob fahrlässig falschen oder
unterbliebenen Angaben beruht, zu deren Mitteilung der Bescheidadressat durch
Rechtsvorschrift verpflichtet ist.

Das ist vorliegend der Fall, weil die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom
25. Juli 2008 Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 1. September 2008 bis
28. Februar 2009 bewilligt hat, obwohl die Leistungsvoraussetzungen jedenfalls ab dem
1. September 2008 nicht vorgelegen haben.

Gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Gesetz Personen, die
das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im
Bundesgebiet haben. Zu den zu gewährenden Leistungen gehören als
Arbeitslosengeld II insbesondere die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 Nr. 1
SGB II). Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt und den
Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder

- 5 -

nicht ausreichend aus eigenen Mitteln oder aus den zu berücksichtigenden Einkommen
oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere
von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Die danach erforderliche Hilfebedürftigkeit des Antragstellers hat entgegen seiner
Angaben im Weiterzahlungsantrag vom 20. Juli 2008 nicht vorgelegen. Insoweit stützt
sich der Senat auf die öffentlichen Außerungen des Antragstellers in privaten
Medienunternehmen, in denen er selber angegeben hat, Arbeitslosengeld II zu erhalten,
obwohl er nicht bedürftig sei. Soweit der Antragsteller im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren behauptet, die Außerungen seien nur Ausdruck einer Provokation
in den Fernsehmedien gewesen, tatsächlich verfüge er entgegen seiner Außerungen
über kein Einkommen, ist er nicht glaubwürdig. Entgegen seiner Behauptung haben im
Beschwerdeverfahren sowohl XY.Produktions-GmbH (XY.) als auch ZZ. Service GmbH
bestätigt, an den Antragsteller im Bewilligungszeitraum Honorare gezahlt zu haben.

Erschüttert ist die Glaubwürdigkeit des Antragstellers darüber hinaus besonders, weil er
zunächst die Verwechslung des Vornamens durch XY. dazu benutzt hat, vorsätzlich
wahrheitswidrig zu behaupten, das Honorar habe allenfalls ein anderes Familienmitglied
erhalten und sich letztlich zu diesem Vorhalt trotz Aufforderung auch nicht mehr geäußert
hat.

Aufgrund dieser erheblichen Täuschung des Senats ist davon auszugehen, dass der
Antragsteller entgegen seiner Mitwirkungsobliegenheit nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 und 2
SGB I vorsätzlich seine Bedürftigkeit falsch behauptet oder wenigstens eine wesentliche
Anderung nicht mitgeteilt hat. Ungeachtet dessen soll es allein der Antragsgegnerin als
Geschädigte vorbehalten bleiben, ggf. nach eigener Prüfung Strafanzeige zu erstatten.

Nicht zu entscheiden ist, ob die Bedürftigkeit bereits bei Erlass des
Bewilligungsbescheides vom 25. Juli 2008 oder erst zu Beginn des
Bewilligungszeitraumes weggefallen ist. Für beide Sachverhaltsalternativen liegen die
Voraussetzungen für eine Aufhebung oder Rücknahme der Bewilligung vor.

Insbesondere die weiter erforderlichen Fristen sind eingehalten.
Rechtfertigt allein die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids kein vorrangiges
Vollzugsinteresse des Leistungsträgers, ist das hier ausnahmsweise der Fall, weil ein
öffentliches Interesse daran besteht, einen öffentlich zur Schau gestellten
Leistungsmissbrauch rechtzeitig korrigieren zu können.

- 6 -

2. Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das SG die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe unter anwaltlicher Beiordnung für das Ausgangsverfahren abgelehnt
hat.

Insoweit fehlt es bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers, weil er im
Ausgangsverfahren nicht anwaltlich vertreten gewesen ist und daher im Rahmen der
Prozesskostenhilfe übernahmefähige Kosten nicht angefallen sein können.

Einer Kostenentscheidung bedarf es insoweit nicht, da das Bewilligungsverfahren wie
das Hauptsacheverfahren kostenfrei ist (§ 183 SGG) und eine Erstattung der dem
Gegner entstandenen Kosten ausgeschlossen ist (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 118
Abs. 1 S. 4 ZPO, für Beschwerdeverfahren: § 127 Abs. 4 ZPO).

3. Die Kostenentscheidung in dem Beschwerdeverfahren mit dem Az. L 7 AS 41/09 B ER
beruht auf dem Ausgang des Rechtsstreits entsprechend § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit einer weiteren Beschwerde angefochten werden
(§ 177 SGG).

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SG R, S 16 SO 4/14 ER vom 03.04.2014, Sozialgericht Regensburg
S 16 SO 4/14 ER

SOZIALGERICHT REGENSBURG

in dem Antragsverfahren

- Antragsteller -

Proz.-Bev.:

Rechtsanwälte Treutler u. Koll., Prüfeninger Straße 62. 93049 Regensburg - 1503/2013 -

gegen

Bezirk Oberpfalz - Sozialverwaltung, vertreten durch den Bezirkstagsprasidenten, Lud-
wig-Thoma-Straße 14, 93051 Regensburg

- Antragsgegner -

Beigeladen:

AOK Bayern - Die Gesundheitskasse -, Direktion Regensburg vertreten durch den Direk-
tor; Bruderwöhrdstraße 9. 93055 Regensburg

- Beigeladene -

erlässt die Vorsitzende der 16. Kammer, Richterin am Sozialgericht W , ohne münd-
liche Verhandlung am 3. April 2014 folgenden

Beschluss:

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem
Antragsteller für den Zeitraum 01.04.2014 bis 30.06.2014 weitere Leistungen der
Grundsicherung in Höhe von insgesamt 700 € zur Deckung der Kosten für die
Fahrten zu den ambulanten Zahnarztbehandiungen im Universitätsklinikum Re-
gensburg zu gewähren.

2. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstat-
ten.

- 2 -

Gründe:

I.

Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt der Antragsteiler die Übernahme der
Kosten für Fahren zu einer ambulanten zahnärztliche Behandlung.

Bei dem geborenen Antragsteller, der u. a. an Epilepsie und einer Sehschwäche lei-
det, besteht eine geistige Behinderung in Folge eines Gehirninfarkts mit einem Grad der
Behinderung von 90. Er verfügt über die Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung
der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und „B“ (Berechtigung zur Mitnahme einer
Begleitperson bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel). Nach dem Verfügungssat-
zes des bestandskräftigen Bescheides vom 23.10.2009 des Zentrums Bayern Familie und
Soziales liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „Bl, H, RF, 1.
Kl. und Gl" nicht vor. Der Antragsteller steht unter gesetzlicher Betreuung. Ausweislich
eines ärztlichen Attestes des behandelnden Hausarztes vom 02.12.2013 ist der An-
tragsteller auf Grund eines Gesichtsfeldsausfalls nicht in der Lage, öffentliche Verkehrs-
mittel zu nutzen.

Der Antragsteiler wird im pflegerisch betreut. Das Heim
stellt keinen unentgeltlichen Fahrdienst für seine Bewohner zur Verfügung. Nach § 5 c)
des Heimvertrages umfasst die Hilfe zur Mobilität u. a. „das Organisieren und Planen von
Verrichtungen außerhaib der Einrichtung, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung
notwendig sind und das persönliche Erscheinen der Hilfebedürftigen erfordern. Des Wei-
teren ist unter Ziffer 3 der Anlage 1 zum Heimvertrag (Katalog von Zusatzleistun-
gen/Sonstige Leistungen) der Anfall einer zusätzlichen Vergütung von 18 € für Beleit-
dienste z. Bsp. zu Arztbesuchen sowie 0,48 € pro Kilometer Fahrdienst ausgewiesen.

Eine zivilrechtliche Klage vor dem Amtsgericht Regensburg auf Verpflichtung des Heimes,
den Antragsteller zu ambulanten Arztbesuchen zu fahren, wurde nach Hinweis des Ge-
richts zurückgenommen.

Mit Bescheid vom 11.07.2008 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller, der neben
dem Unterhalt von seiner Mutter in Höhe von 54,96 € über kein eigenes Einkommen oder
Vermögen verfügt, ab dem 27.03.2008 u. a. Leistungen nach dem Vierten Kapitel des So-
zialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) als Hilfe zum Lebensunterhalt in
Einrichtungen sowie Leistungen nach dem Neunten Kapitel des SGB XII als Hilfe in sons-

- 3 -

tigen Lebenslagen. Der Antragsteller erhält derzeit einen Barbetrag in Höhe von 105,57 €
monatlich.

Der Antragsteller benötigt dringend Zahnimplantate, da auf Grund seiner Epilepsie eine
Versorgung mit Prothesen nicht möglich ist. Hierfür sind voraussichtlich zehn Behandlun-
gen an der Universitätsklinik Regensburg nötig. Die Beigeladene hat mit Schreiben vom

16.01.2014 erneut die Kostenzusage für die Behandlung erteilt. Die erste Behandlung
wird am 10.04.2014 stattfinden. Auf Grund seiner Entzündungen im Mund hat der An-
tragsteller bereits stark abgenommen. Der behandelnde Hausarzt des Antragstellers hat
eine Krankenbeförderung hierfür am 16.03.2014 verordnet. Als geeignetes Beförde-
rungsmittel wurde ein Taxi angegeben. Ausweislich eines Kostenvoranschlages werden
die Fahrtkosten mittels eines Taxis vom Wohnort des Antragstellers bis zum Universitäts-
klinikum ca. 35 € einfach betragen.

Die Beigeladene lehnte mit Bescheid vom 01.02.2012 die am 30.01.2012 erstmals bean-
tragte Erstattung der Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung in der Zahnklinik der Uni-
versität Regensburg ab. Die im Jahr 2012 erteilte Kostenzusage für die Zahnarztbehand-
iung verfiel. Am 07.03.2014 beantragte der Betreuer des Antragstellers bei der Beigela-
denen erneut die Übernahme der Fahrtkosten. Mit Bescheid vom 10.03.2014 lehnte die
Beigeladene den Antrag wiederum ab, da der Antragsteller nicht im Besitz eines Schwer-
behindertenausweises mit den Merkzeichen „aG“. „BL“ oder „H“ sei. im Übrigen ließen
auch die Erkrankungen des Antragstellers keine Übernahme der Kosten als Krankenfahrt
nach den Krankentransport-Richtlinien zu.

Mit Schreiben vom 11.04.2012 lehnte der Antragsgegner die Übernahme von Fahrtkosten
als Krankenhilfe unter Hinweis auf den Vorrang der Leistung durch die Krankenkasse des
Antragstellers ab. Mit Schreiben vom 12.09.2012 wiederholte der Antragsgegner erneut
die Ablehnung der Übernahme von Fahrtkosten im Rahmen der Krankenhilfe.

Mit seiner am 17.04.2013 zum Sozialgericht Regensburg erhobenen Klage (Az. S 16
SO 38/13) verfolgte der Kläger sein Begehren gegenüber dem Antragsgegner weiter.

Am 16.01.2014 rief der Antragsteller das Sozialgericht Regensburg an und beantragt,

den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, die dem
Antragsteller ab Antragstellung entstehenden, notwendigen Fahrtkosten, insbesondere

- 4 -

Taxikosten, zu medizinisch notwendigen ambulanten ärztlichen und zahnärztlichen Be-
handlungen zu übernehmen, soweit diese Kosten nicht durch Dritte übernommen werden.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antrag sei bereits unzulässig, da sich der Antragsteller vorrangig an die Beigeladene
zu wenden habe. Bereits 2009 habe man den Betreuer des Antragstellers darauf hinge-
wiesen, dass Krankenhilfeaufwendungen, die von der Krankenkasse nicht übernommen
werden, nicht vorn Träger der Sozialhilfe übernommen werden könnten. Auch erhalte die
Einrichtung nach der Leistungsvereinbarung für die soziale Betreuung ein anteiliges Pfle-
geentgelt. Das Heim sei daher zur Begleitung des Antragstellers zu seinen Arztbesuchen
verpflichtet, sofern dessen Krankenkasse nicht zur Übernahme der Fahrtkosten verpflich-
tet sei.

Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage und zur Beweiserhebung am
02.04.2014 hat das Gericht Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugin
ist die Leiterin des Heimes, in dem der Antragsteller betreut wird.
Die Zeugin gab im Wesentlichen zu Protokoll, dass der Antragsteller auf Grund seiner
geistigen Einschränkungen nicht in der Lage sei, alleine mittels öffentlicher Verkehrsmittel
von zur Behandlung in die Universitätsklinik zu fahren. Das Heim könne kein Per-
sonal für die Fahrten des Antragstellers zur Verfügung steilen. Für die ansonsten erforder-
liche ärztliche Versorgung des Antragstellers kommen die Hausärzte in das Pflegeheim.

Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Ver-
waltungsakten verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist im tenorierten Umfang
begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist vorliegend, ob dem Antragsteller eine höherer Anspruch
auf höhere Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum der zahnärztlichen Behandlung
durch Erhöhung seines Barbedarfes zusteht.

- 5 -

Zwar hat der Antragsteller derzeit noch keinen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X hin-
sichtlich des Bewilligungsbescheides vom 11.07.2008 bzw. eine Neuverbescheidung be-
antragt, gleichwohl ist der vorliegende Eilantrag zulässig. Der Antragsgegner hat wieder-
holt zum Ausdruck gebracht, dass er sich für die Übernahme dieser Kosten nicht zustän-
dig halte. Die bereits im Jahr 2012 vom Beigeladenen genehmigte Behandlung konnte
deshalb nicht angetreten werden. Zwar ist ein Antrag bei dem Antragsgegner dem Grund
nach erforderlich, trotzdem ist es dem Antragsteller nicht zumutbar eine (weiter ablehnen-
de) Entscheidung des Antragsgegners abzuwarten. Für das Anliegen des Antragsteller ist
daher ein Rechtschutzinteresse gegeben.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vor-
läufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhäitnis zulässig, wenn eine sol-
che Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist der Fall,
wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare,
nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in
der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so Bundesverfassungsgericht - BVerfG -
vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69, 74; vom 19.10.1977 BVerfGE 46, 166/179 und vom
22.11.2002 NJW 2003, 1236).

Demzufolge setzt der Erlass einer Regelungsanordnung setzt voraus, dass neben einem
Anordnungsanspruch (dem materiellen Rechtsanspruch) auch ein Anordnungsgrund als
Ausdruck der besonderen Dringlichkeit der Entscheidung glaubhaft gemacht worden ist (§
86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Zwischen Anordnungsgrund
und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des
Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei (ab-
schließender) Prüfung der Sach- und Rechtslage das Obsiegen in der Hauptsache sehr
wahrscheinlich ist. Wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig
oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer
einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache hin-
gegen offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit exis-
tenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungen
grund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. in diesem Falle ist ge-
gebenenfalls anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechttichen
Belange des Antragstellers zu entscheiden (Urteil des BVerfG vom 12.05.2005 - 1 BVR
569/05).

- 6 -

Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben hat der Antrag des Antragstellers Erfolg, da ihm
mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Übernahme der begehrten Fahrt-
und Begleitungskosten nach §§ 41 Abs. 1, 42 in Verbindung mit 27 b Abs. 2 Satz 2 SGB
XII zusteht.

Der Antragsteller ist auf Grund seiner Behinderung auf Dauer voll erwerbsgemindert und
hilfebedürftig und damit nach §§ 41 Abs. 1, 42 SGB XII leistungsberechtigt. Dem ent-
spricht der Antragsgegner durch die Gewährung von iaufenden Leistungen nach dem
Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) als Hilfe zum
Lebensunterhalt in Einrichtungen sowie Leistungen nach dem Neunten Kapitel des SGB
XII als Hilfe in sonstigen Lebenslagen.

Nach § 27 b SGB XII ist jedoch für den Antragsteller abweichend vom Regelbedarf in Ein-
richtungen die Übernahme der Kosten für die Fahrt und die Begleitung zu den ambulanten
Zahnarztbehandlungen festzulegen.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine Versorgung des Leistungsempfängers im
Falle einer Krankheit und zur Erhaltung der Gesundheit durch die Leistungen der gesetzli-
chen Krankenkasse erfolgt. Aus dem Grundsatz der Nachrangigkeit (§ 2 Abs. 1 SGB XII)
ergibt sich, dass der Leistungsempfänger vorrangig ihre Ansprüche gegenüber der Kran-
kenkasse geltend machen müssen.

Dies hat der Antragsteller wiederholt getan. Zu Recht hat jedoch die Beigeladene des An-
tragstellers die Übernahme der begehrten Fahrtkosten abgelehnt, da ein Anspruch nach §
60 Abs. 1 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit § 92 Abs. 1
Satz 2 Nr. 12 SGB V weder nach § 7 noch nach § 8 der Krankentransport-Richtlinie be-
steht. Der Antragsteiler, der nicht in der Lage ist selber zu den erforderlichen Arztterminen
zu fahren, begehrt die Kosten für eine Krankenfahrt im Sinne von § 7 Abs. 1 der Kranken-
transport-Richtlinie mittels eines privaten Pkws ohne spezifische medizinische Betreuung
in Sinne von § 8 Abs. 1 der Richtlinien. Die Voraussetzung zur Verordnung einer solchen
Krankenfahrt liegen jedoch nicht vor, da es sich bei dem Einsetzen von Zahnimplantate
nicht um eine ambulante Operation im Sinne von § 115 b SGB V in Verbindung mit dem
AOP-Vertrag handelt. Auch liegen keine Ausnahmetatbestände nach § 8 Abs. 1 in Ver-
bindung mit Abs. 3 der Richtlinie vor. Der Antragsteller verfügt (noch) nicht über die erfor-
derlichen Merkzeichen „aG“ oder „H“. Da die Beigeladene nicht zur Übernahme der Kos-
ten für die Krankenfahrten des Antragsteilers verpflichtet ist, kommt eine Verpflichtung

- 7 -

des Antragsgegners nach § 48 SGB XII, dessen Leistungen insoweit auch auf die Leis-
tungen nach dem SGB V beschränkt ist, nicht in Betracht.

Bei den vom Antragsteller begehrten Leistungen handelt es sich um Kosten der für die
Gesundheitspflege bzw. Krankenbehandlung, die zwar dem Grunde nach dem vom Re-
gelbedarf umfasst sind, vorliegend jedoch nicht aus dem Regelbarbedarf bestritten wer-
den können. Damit scheidet eine Übernahme der Kosten nach § 73 SGB XII aus, da hier-
nach nur sog. atypische Bedarfs, für die nicht bereits andere Vorschriften des SGB XII
einschlägig sind, erfasst werden.

Die Fahrten, die der Antragsteller nicht alleine mittels öffentlicher Verkehrsmittel bewälti-
gen kann, sind für die Durchführung der dringend benötigten Zahnbehandlung erforder-
lich. Dies geht aus der Verordnung des Hausarztes hervor und wird durch die Aussage
der Zeugin bestätigt. Insbesondere können diese Behandlungen nicht am Wohnort des
Antragstellers durchgeführt werden, sondern müssen auf Grund der gesundheitlichen
Einschränkungen des Antragstellers in der Universitätsklinik Regensburg erfolgen. Bei
veranschlagten 3 Behandlungen pro Monat entstehen dem Antragsteller hierbei Fahrtkos-
ten in Höhe von ca. 210 € Hieraus ergibt sich eine unabweisbare, erheblich vom durch-
schnittlichen Bedarf abweichende Bedarfslage des Antragstellers.

Dieser Bedarf ist auch nicht - wie vom Antragsgegner abgenommen - durch die Über-
nahrne der Kosten für die Heimunterbringung abgedeckt. Das Pflegeheim ist weder nach
dem Pflegevertrag noch nach der Leistungsvereinbarung mit dem Antragsgegner nach §
75 SGB XII verpflichtet, den Antragssteller zu seinen Arztterminen zu begleiten. Der ver-
tragliche Leistungsumfang umfasst nach § 5 c) das Organisieren und Planen von Verrich-
tungen außerhalb der Einrichtung, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung not-
wendig sind und das persönliche Erscheinen der Hilfebedürftigen erfordern. Nach dem
eindeutigen Wortlaut des Vertrages ist hiervon jedoch nicht die Durchführung dieser Ver-
richtungen außerhalb des Heimes umfasst. Dies wird auch deutlich durch die Anlage 1
zum Heimvertrag, nach der eine zusätzliche Vereinbarung (mit weiteren Kosten) zur Be-
gleitung außerhalb der Pflegeeinrichtung erforderlich ist. Die von dem Antragsgegner im
Rahmen der Vereinbarung nach § 75 SGB XII abgegolten Leistungen betreffen aus-
schließlich Leistungen, die innerhalb der Einrichtung zu erbringen sind. Begleitung und
Fahrdienste sind hiervon nicht erfasst und damit auch nicht abgegolten.

- 8 -

Damit ergibt sich ein Anspruch aus § 27 b Abs. 2 Satz 2 SGB XII auf Erhöhung des Bar-
bedarfes für die Zeit der Behandlungen am Universitätsklinikum. Aus dem Wortlaut der
Vorschrift geht hervor, dass der „Regelbarbedarf“ mindestens 27 % der Regelbedarfstufe
beträgt. In entsprechender Anwendung von g 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII ist der individuel-
le Bedarf abweichend vom Regelsatz daher festzulegen, wenn der Bedarf unabweisbar
seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (Behrend in
jurisPK-SGB XII, Stand: 06.01.2014, § 27b SGB XII, Rn. 45 ff). Vorliegend ergibt sich die
Unabweisbarkeit des Bedarfes daraus, dass die Beigeladene die Fahrtkosten des An-
tragsstellers auf Grund der Gesetzeslage nicht zu übernehmen hat, dieser aber Fahrten
zur ambulanten Behandlung zur Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung seiner Ge-
sundheit dringend benötigt. Die (gesundheitliche) Existenzsicherung des Einzelnen im
Falle der Bedürftigkeit ist insoweit den Sozialhilfeträgern zugewiesen (so im Ergebnis: Ur-
teil des BSG vom 06.03.2012 - B 1 KR 24/10 R und Urteil des BSG vom 15.11.2012 u B
8 SO 6/11 R). Da für jede Fahrt zur Behandlung Kosten von mindestens 50 € bis 70 €
ausgegangen werden muss, weicht der dadurch verursachte weitere Bedarf des An-
tragstellers auch erheblich vom Durchschnitt ab,

Die Lücke in der Bedarfsdeckung hat der Antragsgegner durch entsprechende Erhöhung
des Barbedarfes zu decken. Das Gericht geht dabei davon aus, dass die zehn Behand-
lung innerhalb von drei Monaten erfolgen werden.

Vorliegend kann dem Antragsteller auch kein Abwarten in der Hauptsache zugemutet
werden, da die dringend benötigten Behandlungen unmittelbar bevorstehen, so dass auch
ein Anordnungsgrund besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG entsprechend.

Gegen die vorliegende Entscheidung ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit §
144 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Beschwerde ausgeschlossen, da der Beschwerdewert 750 €
nicht übersteigt. Das der vorliegende Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommt,
kann nur zu einer Zulassung der Berufung in dem Hauptsacheverfahren, nicht jedoch zur
Zulässigkeit der Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz führen (so auch mit weiteren
Nachweisen Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 10. Auflage, § 172 Rn. 6 g).

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SG R, S 2 KR 379/08 vom 18.02.2010, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 379/08

SOZIALGERICHT REGENSBURG

In dem Rechtsstreit

- Kläger -

Proz.-Bev.:

gegen

...-Krankenkasse,

- Beklagte -

erlässt die Vorsitzende der 2. Kammer, Richterin am Sozialgericht G., ohne
mündliche Verhandlung am 9. September 2009 folgenden

Beschluss:

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

- 2 — S 2 KR 379/08

Gründe:

Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seinen Rechtsstreit gegen die Beklagte.

Streitgegenstand des zu Grunde liegenden Rechtsstreites ist, ob der Kläger von
der Beklagten eine pauschale vorherige Genehmigung für Fahrten zur ambulanten
Behandlung verlangen kann und die Beklagte ferner verpflichtet ist, im Nachhinein
auch die vorherige Genehmigung für alle in der Vergangenheit ab dem 26.04.2007
durchgeführten entsprechenden Fahrten zu erteilen.

Mit Schreiben vom 13.07.2008, 21.07.2008, 22.07.2008 und 21.08.2008 beantrag-
te der Kläger bei der Beklagten die vorherige Genehmigung für Fahrten zur ambu—
lanten Behandlung — unter anderem unter Auflistung einzelner bereits durchgeführ— .
ter Fahrten und diesbezüglich entstandener Kosten. Darüber hinaus beantragte er,
Vorschusszahlung und vorläufige Leistung nach §§ 42 und 43 SGB l.

Mit Bescheid vom 13.08.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine pau-
schale Genehmigungserteilung nicht möglich sei, sondern im Einzelfall jeweils die
Voraussetzung zur vorherigen Genehmigung zu prüfen sei, weswegen weitere ln-
formationen benötigtwerden. Bezüglich der Fahrtkosten zur ambulanten Behand-
lung bei Herrn Dr. W. am 21.07.2008 könnten Fahrtkosten nicht erstattet wer—
den, da die diesbezüglichen Voraussetzungen (inhaltlich unter Bezugnahme auf
die Krankentransportrichtlinien) nicht vorliegen würden.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 17.08.2008 und 20.08.2008 Wider-
spruch ein, wobei er zügleich weitere ambulante Behandlungen mitteilte und um
eine entsprechende Fahrtkostenerstattung und eine vorherige Genehmigung er-
suchte. Zugleich verweigerte er unter Hinweis auf den Datenschutz die von der
Beklagten zuvor begehrten weiteren Auskünfte zur Prüfung der Genehmigungser—

- 3 - S 2 KR 379/08

teilung zur ambulanten Behandlung im Einzelfall.

Per Schriftsatz vom 20.08.2008 beantragte der Kläger für weitere in der Zukunft
beabsichtigte Arztbesuche die vorherige Genehmigung und die Erstattung der
entsprechend anfallenden Fahrtkosten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2008 wies die Beklagte den Widerspruch
des Klägers zurück, wobei sie ausführte, dass für eine entsprechende Genehmi-
gungserteilung und eine Übernahme der Fahrtkosten die notwendigen Vorausset-
zungen nach 5 60 SGB V in Verbindung mit 5 8 der Krankentransportrichtlinien für

andere als die Fahrten zur Dialyse nicht erfüllt seien.

Dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 16.12.2008, beim Sozialgericht Re-
gensburg am 18.12.2008 eingegangen, Klage erhoben und beantragt, die Beklag-
te zu verurteilen, vorherige Genehmigungen betreffend die Fahrten des Klägers zu
ambulanten Behandlungen und die diesbezüglich anfallenden Fahrtkosten zu er-
teilen. Zugleich stellte er einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.

Mit Schriftsatz vom 23.02.2009 hat der Kläger darüber hinaus beantragt, die Be-
klagte zu verurteilen, vorherige Genehmigungen auch für die Vergangenheit, das
heißt für alle Fahrten ab dem 26.04.2007, zu erteilen. Hilfsweise seien ihm die
bisher angefallenen Fahrtkosten nach § 13 Abs. 3 SGB V zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe man-
gels Erfolgsaussicht der Klage abzulehnen.

Das Gericht hat die Beklagtenakte, sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers
vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ferner die Akten des Sozialgerichts
Regensburg S 2 KR 264/08, S 2 KR 175/09, S 2 KR 296/08 und S 2 KR 284/08
zum Verfahren beigezogen, auf deren Inhalt im Übrigen ergänzend Bezug ge-
nommen wird.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

-4- S 3 KR 379/08

Nach § 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 S. 1
Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil
oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beab-
sichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Er-
folg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Vorliegend scheidet die Gewährung von Prozesskostenhilfe schon deshalb aus,
weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, da für die Rechtsverfol-
gung nicht einmal eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit besteht, so dass es auf
die weiteren Voraussetzungen nicht ankommt. In den Zusammenhang hat die
Kammer auch verfassungsrechtliche Vorgaben (vor allem das Verbot überspannt
ter Anforderungen um eine Rechtsschutzgleichheit zwischen bemittelten und un-
bemittelten Klägern zu gewährleisten (Art. 3, 19 IV, 20 Ill GG)) berücksichtigt, da
hier vorliegende Rechtsfragen angesichts der gesetzlichen Regelung ohne
Schwierigkeiten beantwortet werden können (vergleiche dazu Bundesverfas-
sungsgericht, Beschluss vom 14.06.2006, Aktenzeichen 2 BvR 626/06) und eine
Beweiserhebung nicht notwendig ist (vgl. Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG,
9.Aufl., ä73a Rn. 7a).

Gemäß § 60 Abs. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Abs. 2 und 3
die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 (Fahrtkosten),
wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingen-
den medizinischen Gründen notwendig sind. Welches Fahrzeug dabei benutzt
werden kann, richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall.
Nach § 60 Abs. 1 S. 3 SGB V übernimmt die Krankenkasse Fahrkosten zu einer
ambulanten Behandlung unter Abzug des sich nach § 61 S. 1 ergebenden Betra—
ges nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der
Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 12
festgelegt hat.

- 5 - S 2 KR 379/08

Von dieser Ermächtigung hat der Gemeinsame Bundesausschuss Gebrauch ge- '
macht und die Krankentransportrichtlinien in der Fassung vom 22.01.2004 erlas-
sen.

Gemäß § 8 der Krankentransportrichtlinien können in besonderen Ausnahmefällen
auch Fahrten zur ambulanten Behandlung außer den in § 7 Abs. 2 Buchstabe b
und c geregelten Fällen bei zwingender medizinischer Notwendigkeit von der
Krankenkasse übernommen und vom Vertragsarzt verordnet werden, wobei sie
der vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse bedürfen.

Voraussetzung ist demnach unter anderem eine Verordnung des Vertragsarztes
gemäß § 2 der Krankentransportrichtlinien. Danach hat der Vertragsarzt die Not-
wendigkeit der Beförderung nach § 3 der Krankentransportrichtlinien zu prüfen
und das erforderliche Transportmittel nach Maßgabe der §§ 4 bis 7 auszuwählen,
wobei die Verordnung auf dem vereinbarten Vordruck entsprechend der Anlage 1
der Krankentransportrichtlinien auszustellen ist. Nicht erforderlich ist jedoch eine
vertragsärztliche Verordnung bei Fahrten mit einem privaten Kraftfahrzeug oder
mit einem öffentlichen Verkehrsmittel (vergleiche § 2 Abs. 3 Krankentransportricht-
linien).

Vorliegend mangelt es schon an einer entsprechenden vertragsärztlichen Verord-
nung, auf die es allerdings nicht ankommt, sofern der Kläger Fahrten mit dem pri-
vaten Kraftfahrzeug und die entsprechende Kostenübernahme begehrt.

Aber auch ohne vertragsärztliche Verordnung hat die Klage zur Überzeugung der
Kammer keine Aussicht auf Erfolg, da die sonstigen Voraussetzungen des § 8 der
Krankentransportrichtlinien vorliegend nicht gegeben sind.

Nach dem Wortlaut und der Systematik des § 8 der Krankentransportrichtlinien
können Fahrten zur ambulanten Behandlung außer den ausdrücklich genannten
Fällen lediglich in "besonderen Ausnahmefällen" und "bei zwingender medizini-
scher Notwendigkeit " von der Krankenkasse übernommen werden.

Unter § 8 Abs. 2 und S. 3 der Krankentransportrichtlinien sind die einzelnen Vor-
aussetzungen für eine Genehmigung beziehungsweise eine mögliche Genehmi-
gung seitens der Krankenkasse im Einzelnen aufgeführt. Ein Fall nach § 8 Abs. 2
der Krankentransportrichtlinien liegt hier nach Überzeugung der Kammer nicht vor,
da der Kläger außerhalb der Dialysebehandlung nicht mit einem vorgegebenen
Therapieschema behandelt wird, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen

- 6 — S 2 KR 379/08

längeren Zeitraum aufweist. Ein solches wurde weder vorgetragen noch lässt es
sich aus den sonstigen übersandten Unterlagen entnehmen. Insbesondere leidet I
der Kläger ausweislich der beigezogenen Schwerbehindertenakte - abgesehen
von der Nierentransplantation in Heilungsbewährung - nicht unter entsprechenden
Gesundheitsstörungen, die ein entsprechendes Therapieschema mit einer hohen
Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum rechtfertigen. Zwar liegen bei
dem Kläger außerhalb der Nierentransplantation in Heilungsbewährung eine Viel-
zahl von Erkrankungen vor, die jeweils für sich aber nicht mit einem vorgegebenen
Therapieschema behandelt werden, und daher für sich nicht die hohe Behand-
lungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweisen.

Daneben kommt nach Überzeugung der Kammer auch keine Genehmigung der
Fahrten zur ambulanten Behandlung nach 5 8 Abs. 3 der Krankentransportrichtli-
nien in Betracht.

Das Merkzeichen '"aG" ist ausweislich des Bescheides des Zentrum Bayern Fami-
lie und Soziales vom 06.03.2009 nicht vergeben.

Aber auch eine Genehmigung der begehrten Fahrten nach § 8 Abs. 3 S. 2 SGB V
scheidet nach Überzeugung der Kammer aus, da dies neben der vergleichbaren
Beeinträchtigung der Mobilität entsprechend dem Merkzeichen aG, BL, H oder der
Pflegestufe II, einer ambulanten Behandlung über einen längeren Zeitraum und
einer zwingenden medizinischen Notwendigkeit bedarf und es sich dabei um einen
besonderen Ausnahmefall handeln muss (vergleiche § 8 Abs. 1 der Krankentrans—
portrichtlinien, der nach seiner Systematik auch zur Beurteilung des § 8 Abs. 3 der
Krankentransportrichtlinien heranzuziehen ist).

In Anbetracht des Willens des Richtliniengebers (für die Krankentransportrichtli-
nien) und des Gesetzgebers (§ 60 Abs. 1 S. 3 SGB V), der Systematik und des
eindeutigen Wortlauts kommt eine Übernahme von Krankenfahrten zur ambulan-
ten Behandlung gemäß § 8 der Krankentransportrichtlinien nur in besonderen
Ausnahmefällen in Betracht (siehe auch § 60 Abs. 1 S. 3 SGB V).

In Anbetracht der in Anlage 2 der Krankentransportrichtlinien (beispielhaft) ge-
nannten Ausnahmefälle (Dialysebehandlung, onkologische Strahlentherapie, on—
kologische Chemotherapie) sollen Fahrkosten zur ambulanten Behandlung nur im
Falle schwerwiegender und die Mobilität erheblich beeinträchtigender Erkrankun-
gen und Behandlungen gewährt werden.

- 7 - S 2 KR 379/08

Mit der Wortwahl "besonderer Ausnahmefall" haben sowohl Gesetzgeber als auch >
Richtliniengeber zum Ausdruck gebracht, dass es sich nicht nur um einen Aus-
nahmefall, sondern zudem noCh um einen besonderen Ausnahmefall handeln
muss, um Krankenfahrten zur ambulanten Behandlung übernehmen zu können.
Um einen solchen handelt es sich nach Überzeugung der Kammer bei dem Kläger
im Rahmen der beantragten vorliegenden Kostenübernahme nicht.

Die Klage hat daher schon aus diesem Grund keine Aussicht auf Erfolg.

Darüber hinaus ist der Beklagten zuzustimmen, wenn sie ausführt, dass eine pau-
schale Vorabgenehmigung nicht möglich ist, da in jedem Einzelfall die Vorausset-
zungen des § 8 der Krankentransportrichtlinien geprüft werden müssen, so dass
die Klage auch aus diesem Grunde keine Aussicht auf Erfolg hat.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf Übernahme der Fahrkos-
ten aus § 13 Abs. 3 SGB V herleitet, ergibt sich nichts anderes, da diese Norm le-
diglich als Surrogat für den nicht mehr oder nicht zu erfüllenden Sachleistungsan-
spruch geschaffen wurde; ein entsprechender Anspruch auf Sachleistung (das
heißt schon im Vorfeld Freistellung von den anfallenden Parkgebühren) steht dem
Kläger nach dem oben Gesagten gerade nicht zu.

Soweit sich der Kläger auf einen entsprechender Anspruch auf § 43 Abs. 1 S. 2
SGB I stützt, ist ein entsprechender Anspruch auf "Sozialleistungen" weder gegen
die Beklagte noch gegen einen sonstigen Leistungsträger gegeben. Was in dem
Zusammenhang unter Sozialleistungen zu verstehen ist, lässt sich aus § 11, §§ 18
ff SGB l entnehmen. Für die im Rahmen der Inanspruchnahme ärztlicher Behand-
lung anfallenden Fahrtkosten ist die Krankenkasse der zuständige Leistungsträ-
ger. Ein entsprechender Anspruch lässt sich einzig auf § 60 SGB V stützen. Die
diesbezüglichen Voraussetzungen liegen nach dem oben Gesagten nicht vor.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist daher mangels Erfolgsaus-
sicht der Klage abzulehnen.

-8- SZKR 379/08

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist gemäß §§ 73a, 172 Abs.1 SGG iVm § 127 Abs.2 Satz
2 ZPO Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Beschwerde ist
binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Re—
gensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder zur Nieder-
schrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist
beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der
Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt,
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstel—
le eingelegt wird. '

DieVorsitzende der 2. Kammer

G.
Richterin am Sozialgericht


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L 5 KR 382/09 B PKH

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Sonntag, 10. Mai 2015
SG R, S 2 KR 379/08 vom 18.02.2010, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 379/08

SOZIALGERICHT REGENSBURG

Gerichtsbescheid:

in dem Rechtsstreit

...
- Kläger -

gegen

- Beklagte -


Die 2. Kammer, des Sozialgerichts Regensburg erlässt durch ihre Vorsitzende,
Richterin am Sozialgericht ..., 18. Februar 2010 ohne mündliche Verhandlung folgenden

Gerichtsbescheid:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitgegenstand das Rechtsstreites ist, ob der Kläger von der Beklagten eine
pauschale vorherige Genehmigung für Fahrten zur ambulanten Behandlung ver-
langen kann und die Beklagte ferner verpflichtet ist, im Nachhinein auch die vorh-
erige Genehmigung für alle in der Vergangenheit ab dem 26.04.2007 durchgeführten entsprechenden Fahrten zu erteilen.

Mit Schreiben vom 13.07.2008, 21.07.2008, 22.07.2008 und 21.08.2008 beantrag-
te der Kläger bei der Beklagten die vorherige Genehmigung für Fahrten zur ambu-
lanten Behandlung – unter anderem unter Auflistung einzelner bereits durchgeführ-
ter Fahrten und diesbezüglich entstandener Kosten. Darüber hinaus beantragte er,
Vorschusszahlung und vorläufige Leistung nach §§ 42 und 43 SGB I.
Mit Bescheid vom 13.08.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine pau-
schale Genehmigung nicht möglich sei, sondern im Einzelfall jeweils die
Voraussetzungen zur vorherigen Genehmigung zu prüfen seien, weswegen weitere In-
formationen benötigt würden. Bezüglich der Fahrtkosten zur ambulanten Behand-
lung bei Herrn Dr. ... am 21.07.2008 könnten Fahrtkosten nicht erstattet wer-
den, da die diesbezüglichen Voraussetzungen (inhaltlich unter Bezugnahme auf
die Krankentransportrichtlinien) nicht vorliegen würden.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 17.08.2008 und 20.08.2008 Wider-
spruch ein, wobei er zugleich weitere ambulante Behandlungen mitteilte und um
entsprechende Fahrtkostenerstattung und eine vorherige Genehmigung er-
suchte. Zugleich verweigerte er unter Hinweis auf den Datenschutz die von der
Beklagten zuvor begehrten weiteren Auskünfte zur Prüfung der Genehmigungser-
teilung zur ambulanten Behandlung im Einzelfall.
Per Schriftsatz vom 20.08.2008 beantragte der Kläger für weitere in der Zukunft
beabsichtigte Arztbesuche die vorherige Genehmigung und die Erstattung der
entsprechenden anfallenden Fahrtkosten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2008 wies die Beklagte den Widerspruch
des Klägers zurück, wobei sie ausführte, dass für eine entsprechende Genehmi-
gungserteilung und eine Übernahme der Fahrtkosten die notwendigen Vorausset-
zungen nach § 60 SGB V i.V.m. § 8 der Krankentransportrichtlinien für andere als
die Fahrten zur D. nicht erfüllt seien.

Dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 16.12.2008, beim Sozialgericht Re-
gensburg am 18.12.2008 eingegangen, Klage erhoben und beantragt, die Beklag-
zu verurteilen, vorherige Genehmigungen betreffend die Fahrten des Klägers zu
ambulanten Behandlungen und die diesbezüglich anfallenden Fahrtkosten zu er-
teilen. Zugleich stellte er einen Antrag auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe
Mit Schriftsatz vom 23.02.2009 hat der Kläger darüber hinaus beantragt, die Be-
klagte zu verurteilen, vorherige Genehmigungen auch für die Vergangenheit, das
heißt für alle Fahrten ab dem 26.04.2007, zu erteilen. Hilfsweise seien ihm die
bisher angefallenen Fahrtkosten nach § 13 Abs. 3 SGB V zu erstatten.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde durch Beschluss des Sozialgerichts Re-
gensburg vom 09.09.2009 abgelehnt und die dagegen eingelegte Beschwerde
vom Bayerischen Landessozialgericht mit Beschluss vom 09.11.2009 zurückge-
wiesen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13.08.2008 in der Ges-
talt des Widerspruchsbescheids vom 19.11.2008 zu verurteilen, vorherige
Genehmigungen für Fahrkosten des Klägers zu ambulanten Behandlungen
zu erteilen, ferner vorherige Genehmigungen auch für die Vergangenheit,
das heißt für alle Fahrten ab dem 26.04.2007, zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Schreiben vom 25,11,2009 hat das Gericht die Beteiligten zu der Absicht an-
gehört, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu
entscheiden und die Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11.12.2009 eingeräumt.

Das Gericht hat die Beklagtenakte, sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers
vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ferner die Akten des Sozialgerichts
Regensburg S 2 KR 264/08, S 2 KR 175/09, S 2 KR 296/08 und S 2 KR 284/08 zum
Verfahren beigezogen, auf deren Inhalt im Übrigen ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschei-
den, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher hier-
zu gehört wurden (vgl..§ 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Aus dem Schriftsatz des Klägers vom 07.12.2009 lässt sich nichts Gegenteiliges
herleiten, da die Sach- und Rechtslage insoweit geklärt und eindeutig ist.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom
13.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.11.2008 ist
rechtmäßig, da die Beklagte es zu Recht abgelehnt hat, dem Kläger pauschal eine
vorherige Genehmigung für Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen zu erteilen.

Gemäß § 60 Abs. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Abs. 2 und 3
die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 (Fahrtkosten),
wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingen-
den medizinischen Gründen notwendig sind. Welches Fahrzeug dabei benutzt
werden kann, richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall.
Nach $ 60 Abs. 1 S. 3 SGB V übernimmt die Krankenkasse Fahrkosten zu einer
ambulanten Behandlung unter Abzug des sich nach § 61 S. 1 ergebenden Betrag-
ges nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der
Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 12
festgelegt hat.
Von dieser Ermächtigung hat der Gemeinsame Bundesausschuss Gebrauch ge-
macht und die Krankentransportrichtlinien in der Fassung vom 22.01.2004 erlas-
sen.
Gemäß § 8 der Krankentransportrichtlinien können in besonderen Ausnahmefällen
auch Fahrten zur ambulanten Behandlung außer den in § 7 Abs. 2 Buchstabe b
und c geregelten Fällen bei zwingender medizinischer Notwendigkeit von der
Krankenkasse übernommen und vom Vertragsarzt verordnet werden, wobei sie
der vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse bedürfen.
Voraussetzung ist demnach unter anderem eine Verordnung des Vertragsarztes
gemäß § 2 der Krankentransportrichtlinien. Danach hat der Vertragsarzt die Not-
wendigkeit der Beförderung nach § 3 der Krankentransportrichtlinien zu prüfen
und das erforderliche Transportmittel nach Maßgabe der §§ 4 bis 7 auszuwählen,
wobei die Verordnung auf dem vereinbarten Vordruck entsprechend der Anlage 1
der Krankentransportrichtlinien auszustellen ist. Nicht erforderlich ist jedoch eine
vertragsärztliche Verordnung bei Fahrten mit einem privaten Kraftfahreug oder
mit einem öffentlichen Verkehrsmittel. (vergleiche § 2 Abs. 3 Krankentransport-
richtlinien).
Vorliegend mangelt es schon an einer entsprechenden vertragsärztlichen Verord-
nung, auf die es allerdings nicht ankommt, sofern der Kläger Fahrten mit dem pri-
vaten Kraftfahrzeug und die entsprechende Kostenübernahme begehrt.
Aber auch ohne vertragsärztliche Verordnung ist die Klage zur Überzeugung der
Kammer abzuweisen, da die sonstigen Voraussetzungen des § 8 der Kranken-
transportrichtlinien vorliegend nicht gegeben sind.
Nach dem Wortlaut und der Systematik des § 8 der Krankentransportrichtlinien
können Fahrten zur ambulanten Behandlung außer den ausdrücklich genannten
Fällen lediglich in “besonderen Ausnahmefällen“ und bei “zwingender medizini-
scher Notwendigkeit“ von der Krankenkasse übernommen werden.
Unter § 8 Abs. 2 und S. 3 der Krankentransportrichtlinien sind die einzelnen Vor-
aussetzungen für eine Genehmigung beziehungsweise eine mögliche Genehmi-
gung seitens der Krankenkasse im Einzelnen aufgeführt. Ein Fall nach § 8 Abs. 2
der Krankentransportrichtlinien liegt hier nach Überzeugung der Kammer nicht vor,
da der Kläger außerhalb der D. nicht mit einem vorgegebenem
Therapieschema behandelt wird, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen
längeren Zeitraum aufweist. Ein solches wurde weder vorgetragen noch lässt es
sich aus den sonstigen übersandten Unterlagen entnehmen. Insbesondere leidet
der Kläger ausweislich der beigezogenen Schwerbehindertenakte – abgesehen
von der N. – nicht unter entsprechenden
Gesundheitsstörungen, die ein entsprechendes Therapieschema mit einer hohen
Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum rechtfertigen.
Zwar liegen bei dem Kläger außerhalb der N. eine Viel-
zahl von Erkrankungen vor, die jeweils für sich aber nicht mit einem vorgegebenen
Therapieschema behandelt werden, und daher für sich nicht die hohe Behand-
lungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweisen.
Daneben kommt nach Überzeugung der Kammer auch keine Genehmigung der
Fahrten zur ambulanten Behandlung nach § 8 Abs. 3 der Krankentransportrichtli-
nien in Betracht.
Das Merkzeichen “aG“ ist ausweislich des Bescheids des Zentrums Bayern Fami-
lie und Soziales vom 08.03.2009 nicht vergeben.
Aber auch eine Genehmigung der begehrten Fahrten nach § 8 Abs. 3 S. 2 SGB V
scheidet nach Überzeugung der Kammer aus, da dies neben der vergleichbaren
Beeinträchtigung der Mobilität entsprechend dem Merkzeichen aG, BL, H oder der
Pflegestufe II, einer ambulanten Behandlung über einen längeren Zeitraum und
einer zwingenden medizinischen Notwendigkeit bedarf und es sich dabei um einen
besonderen Ausnahmefall handeln muss (vergleiche § 8 Abs. 1 der Krankentrans-
portrichtlinien, der nach seiner Systematik auch zur Beurteilung des § 8 Abs. 3 der
Krankentransportrichtlinien heranzuziehen ist).
In Anbetracht des Willens des Richtliniengebers (für die Krankentransportrichtli-
nien) und des Gesetzgebers (§ 60 Abs.1 S. 3 SGB V), der Systematik und des
eindeutigen Wortlauts kommt eine Übernahme von Krankenfahrten zur ambulan-
ten Behandlung gemäß § 8 der Krankentransportrichtlinien nur in besonderen
Ausnahmefällen in Betracht (siehe § 60 Abs. 1 S. 3 SGB V).
In Anbetracht der in Anlage 2 der Krankentransportrichtlinien (beispielhaft) ge-
nannten Ausnahmefälle (Dialysebehandlung, onkologische Strahlentherapie, on-
kologische Chemotherapie) sollen Fahrkosten zur ambulanten Behandlung nur im
Falle schwerwiegender und die Mobilität erheblich beeinträchtigender Erkrankun-
gen und Behandlungen gewährt werden.
Mit der Wortwahl „besonderer Ausnahmefall“ haben sowohl Gesetzgeber als auch
Richtliniengeber zum Ausdruck gebracht, dass es sich nicht nur um einen Aus-
nahmefall, sondern zudem noch um einen besonderen Ausnahmefall handeln
muss, um Krankenfahrten zur ambulanten Behandlung übernehmen zu können.
Um einen solchen handelt es sich nach Überzeugung der Kammer bei dem Kläger
im Rahmen der beantragten vorliegenden Kostenübernahme nicht.
Darüber hinaus ist der Beklagte zuzustimmen, wenn sie ausführt, dass eine pau-
schale Vorabgenehmigung nicht möglich ist, da in jedem Einzelfall die Vorausset-
zungen des § 8 der Krankentransportrichtlinien geprüft werden müssen.
Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 07.12.2009 vorträgt, dass er bereits seine
Bereitschaft signalisiert hätte, für die Prüfung der Voraussetzungen vor jeder Ein-
zelfahrt zur Verfügung zu stehen, stellt sich schon die Frage, ob der Kläger damit
die vorliegende Klage auf pauschale Vorabgenehmigung zurücknehmen wollte;
im Interesse des Klägers ist davon allerdings nicht auszugehen. Soweit er weiter
ausführt, dass für ihn nicht ersichtlich sei, warum in seinem Fall zwingend eine Ein-
zelgenehmigung erteilt werden müsse, ist dem entgegenzuhalten, dass dies nicht
nur in seinem Fall so gehandhabt wird, sondern nach dem Willen des Gesetzge-
bers und Richtliniengebers in allen Fällen zu fordern ist. Diese Notwendigkeit er-
gibt sich aus den soeben dargelegten einzuhaltenden und notwendig zu fordern-
den Kriterien im Rahmen des § 8 der Krankentransportrichtlinien. Eine pauschale
Vorabgenehmigung für alle Fahrten zu ambulanten Behandlungen kann daher aus
den genannten Gründen gerade nicht erteilt werden, vielmehr sind in jedem Ein-
zelfall die zu fordernden Voraussetzungen zu prüfen.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf Übernahme der Fahrkos-
ten aus § 13 Abs. 3 SGB V herleitet, ergibt sich nichts anderes, da diese Norm le-
diglich als Surrogat für den nicht mehr oder nicht zu erfüllenden Sachleistungsa-
nspruch geschaffen wurde; ein entsprechender Anspruch auf Sachleistung steht
dem Kläger nach dem oben Gesagten gerade nicht zu.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch aus § 43 Abs. 1 S. 2
SGB I stützt, ist ein entsprechender Anspruch auf “Sozialleistungen“ weder gegen
die Beklagte noch gegen einen sonstigen Leistungsträger gegeben. Was in dem
Zusammenhang unter Sozialleistungen zu verstehen ist, lässt sich aus § 11, §§ 18
ff SGB I entnehmen. Für die im Rahmen der Inanspruchnahme ärztlicher Behand-
lung anfallenden Fahrtkosten ist die Krankenkasse der zuständige Leistungsträ-
ger. Ein entsprechender Anspruch lässt sich einzig auf § 60 SGB V stützen. Die
diesbezüglichen Voraussetzungen liegen nach dem oben Gesagten nicht vor.

Die Klage ist daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in
der Sache.

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

...
Richterin am Sozialgericht

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L 5 KR 131/10


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LSG RPF, L 5 KR 43/07 vom 06.09.2007, Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Verkündet am: 06.09.2007



L 5 KR 43/07

S 6 KR 140/05



L

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle



IM NAMEN DES VOLKES



URTEIL



In dem Rechtsstreit



- Klägerin und Berufungsklägerin -



Prozessbevollmächtigter:



gegen



AOK - Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz, vertreten durch den Vorstand,

Virchowstraße 30, 67304 Eisenberg



- Beklagte und Berufungsbeklagte —



hat der 5. Senat des Landessozialgerichts Rheinland—Pfalz in Mainz aufgrund der

mündlichen Verhandlung vom 06.09.2007 durch



Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht Dr. F.

Richterin am Landessozialgericht Dr. J.

Richter am Landessozialgericht W.

ehrenamtliche Richterin O.

ehrenamtlichen Richter I.

für Recht erkannt:



- 2 -



1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom

28.11.2006 wird zurückgewiesen.



2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu

erstatten.



3. Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand



Streitig ist die Erstattung von Fahrkosten für Fahrten zu einer ambulanten einmal

wöchentlich durchzuführenden LDL-ApheresebehandIung sowie die Übernahme

von Fahrkosten als Sachleistung.



Die 1948 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Unter

Vorlage eines Attests der Gemeinschaftspraxis Dres. H /A , I , vom

29.01.2004 beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für die Fahrten

zu einer wöchentlichen LDL-Apheresetherapie. ln dem Attest wurde ausgeführt,

die Klägerin leide an einer schwersten familiären Fettstoffwechselerkrankung mit

der Folge einer koronaren Herzerkrankung. Ihr Gesundheitszustand sei derzeitig

ausschließlich durch eine wöchentliche LDL-Apheresetherapie zu stabilisieren, die

ebenso wie eine Dialysebehandlung im Kern eine Blutwäsche beinhalte. Die

Klägerin werde dabei an beiden Oberarmen punktiert und müsse während der

Behandlungszeiten ca. 1,5 Stunden unbeweglich sitzen. Während der Behandlung

werde die Blutgerinnung stark verändert, so dass sie für mehrere Stunden nach

der Behandlung vermehrt blutungsgefährdet sei. Aus diesem. Grund empfehle es

sich, dass die Klägerin von einer Begleitperson zur Behandlung gebracht und

wieder nach Hause zurückgefahren werde. Von der Beeinträchtigung des

Organismus her sei die gesamte Behandlung durchaus mit einer Dialysetherapie

zu vergleichen. Mit Schreiben vom 17.02.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit,



- 3 -



die Kosten für die Fahrten mit einem Pkw würden übernommen. Für Januar und

Februar 2004 erfolgte sodann eine Kostenerstattung.



Mit Schreiben vom 18.03.2004 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für die

Zukunft mit der Begründung ab, nach der Gesundheitsreform könnten Fahrkosten

zur ambulanten Behandlung nur in ganz wenigen Ausnahmefällen übernommen

werden. Erforderlich sei, dass eine Gefährdung für das Leben bestehe und die

Behandlung mindestens zweimal in der Woche erforderlich sei. Die Klägerin legte

ein Attest der Gemeinschaftspraxis Dres. H /A vom 03.05.2004 vor, die

angab, durch die wöchentliche Therapie habe der Prozess der koronaren

Herzerkrankung der Klägerin weitgehend verhindert werden können. Es werde um

Überprüfung gebeten, ob die Klägerin bezüglich ihrer Fahrkosten unterstützt

werden könne. Mit Bescheid vom 10.12.2004 und Widerspruchsbescheid vom

09.05.2005 lehnte die Beklagte die Erstattung bzw. Übernahme der beantragten

Fahrkosten mit Hinweis auf die Krankentransport-Richtlinlen (KT-Rl) des

Gemeinsamen Bundesausschusses ab.



Die hiergegen am 09.06.2005 erhobene Klage hat das Sozialgericht Mainz durch

Urteil vom 28.11.2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt nach § 8

S. Abs. 1 Satz 2 KT-Rl sei Voraussetzung für die beantragte Kostenerstattung, dass

die Therapie eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum

aufweise und dass die Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende

Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise beeinträchtige, dass eine

Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich sei.

Vorliegend könne dahingestellt bleiben, ob eine hohe Behandlungsfrequenz in

diesem Sinne gegeben sei, denn es fehle schon an der zwingenden

medizinischen Notwendigkeit des Krankentransports. Die Gemeinschaftspraxis

Dres. H /A habe lediglich ausgeführt, es empfehle sich, dass die Klägerin

von einer Begleitperson zur Behandlung und wieder nach Hause gebracht werde.



- 4 -



Gegen das ihr am 08.02.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 08.03.2007

Berufung eingelegt. Sie hat eine Stellungnahme des Dr. H vom 15.03.2007

vorgelegt, in der ausgeführt wird, zusätzlich zu den vorhandenen chronischen

Erkrankungen habe sich ein Diabetes mellitus entwickelt, der die Multimorbidität

der Klägerin noch vermehre. Sie werde derzeit alle fünf Tage behandelt. Die

Einrichtung sei für die Behandlung in besonderer Weise geeignet, da es sich um

ein Dialysezentrum mit erheblicher Erfahrung mit extrakorporalen

Blutreinigungsverfahren handele und zugleich die Infrastruktur einer diabetischen

Schwerpunktpraxis vorhanden sei. Im Sinne der Sicherheit der Klägerin vor dem

Hintergrund ihrer Mehrfacherkrankungen sei es "mehr als sinnvoll", dass sie von

ihrem Ehemann zu den Behandlungen gebracht und wieder zurücktransportiert

werde. Die Klägerin sei im Anschluss an die Behandlung sicherlich nicht in der

Lage, einen Pkw zu steuern. Es dauere ca. 4 Stunden bis sich der Stoffwechsel

wieder normalisiere. In einer weiteren Bescheinigung vom 26.06.2007 hat Dr.

H mitgeteilt, die Klägerin werde im Durchschnitt einmal pro Woche

behandelt. Es bestehe die Möglichkeit, sie nach der Behandlung in einem

Wartebereich unterzubringen. Nach der ca. 2-stündigen Behandlungszeit stelle

sich lediglich noch die Frage der Zumutbarkeit einer anschließenden 4-stündigen

Aufenthaltszeit. Der Bescheinigung ist eine Aufstellung über die Behandlungstage

in der Zeit vom 07.01.2004 bis zum 12.06.2007 beigefügt. Die Klägerin hat

mitgeteilt, die Entfernung von ihrem Wohnort zur Praxis Dres. H /A

betrage 60,2 km.



Die Klägerin beantragt,



das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 28.11.2006 sowie die Bescheide

der Beklagten vom 18.03.2004 und 10.12.2004 in der Gestalt des

Widerspruchsbescheids vom 09.05.2005 aufzuheben und die Beklagte zu

verurteilen, die Kosten für die wöchentliche Beförderung in einem Pkw zu

den LDL-Apheresetherapien in der Gemeinschaftspraxis Dres. H /



- 5 -



A in Höhe von jeweils 24,08 € zu erstatten und festzustellen, dass die

Beklagte verpflichtet ist, diese Kosten auch künftig zu übernehmen.



Die Beklagte beantragt,



die Berufung zurückzuweisen.



Sie macht geltend, es liege keine hohe Behandlungsfrequenz im Sinne der KT-Rl

vor. Die Richtlinien gingen davon aus, dass eine hohe Behandlungsfrequenz bei

Dialysebehandlungen, onkologischen Strahlentherapien und onkologischen

Chemotherapien gegeben sei. Ein vergleichbarer Fall sei vorliegend nicht

gegeben. Wenn das Komplikationsrisiko, wie Dr. H nunmehr attestiert habe,

auf 4 Stunden nach der Behandlung beschränkt sei, sei es der Versicherten

außerdem zumutbar, diese Zeit in den Räumen der Praxis zu verbringen und

anschließend selbst oder unter Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wieder nach

Hause zu fahren.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die

Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der

mündlichen Verhandlung und der Beratung waren, Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf

Erstattung der Kosten für Pkw-Fahrten mit Begleitperson zu den ambulanten

Behandlungsterminen in der Gemeinschaftspraxis Dres. H /A in l .

- 6 -

Als Anspruchsgrundlage für das Kostenerstattungsbegehren kommt allein § 13
Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Betracht. Nach § 2 Abs. 2 S. 1
SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- oder Dienstleistungen.

Das gilt auch für Fahrkosten nach § 60 SGB V. Die Krankenkasse darf anstelle
der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder das
Neunte Buch Sozialgesetzbuch vorsieht (§ 13 Abs. 1 SGB V). Ein
Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als der entsprechende
Sachleistungsanspruch. Vorliegend ist indessen ein Sachleistungsanspruch nicht
gegeben. Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den
Abs. 2 und 3 die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 SGB
V (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse
aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Welches Fahrzeug
benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im
Einzelfall (§ 60 Abs. 1 S. 2 SGB V). Die Krankenkasse übernimmt Fahrkosten zu
einer ambulanten Behandlung unter Abzug des sich nach § 61 S. 1 SGB V
ergebenden Betrags nur noch nach vorheriger Genehmigung in besonderen
Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach §
92 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 SGB V festgelegt hat. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 KT-Rl können in
besonderen Ausnahmefällen auch Fahrten zur ambulanten Behandlung bei der
zwingenden medizinischen Notwendigkeit von der Krankenkasse übernommen
V und vom Vertragsarzt verordnet werden; sie bedürfen der vorherigen
Genehmigung durch die Krankenkasse. Voraussetzungen für eine Verordnung
und eine Genehmigung sind nach Abs. 2, dass der Patient mit einem durch die
Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt wird, das eine hohe
Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweist und dass diese

Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den
Patienten in einer Weise beeinträchtigt, dass eine Beförderung zur Vermeidung
von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist. Diese Voraussetzungen sind in
den in Anlage 2 dieser Richtlinien genannten Ausnahmefällen
(Dialysebehandlung, onkologische Strahlentherapie, onkologische Chemotherapie) erfüllt. Diese Liste ist nicht abschließend. Diese

- 7 -

gesetzeskonforme Konkretisierung der Ausnahme nach § 60 Abs. 1 S. 3 SGB V
durch die KT-Rl ist nicht aufgrund ranghöheren Rechts erweiternd auszulegen. Mit
der Änderung des § 60 SGB V zum 01.01.2004 wird stärker als zuvor auf die
medizinische Notwendigkeit der im Zusammenhang mit der
Krankenkassenleistung erforderlichen Fahrt abgestellt. Fahrkosten in der
ambulanten Behandlung sollen grundsätzlich nicht mehr erstattet werden;
Ausnahmen sollen nur noch nach Genehmigung der Krankenkassen gelten. Die
Möglichkeit der Krankenkassen, Fahrkosten generell in Härtefällen zu
übernehmen, soll somit ausgeschlossen werden. Dies ist verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden (vgl. im Einzelnen BSG 26.09.2006 - B 1 KR 20/05 R, juris,
Rn. 13 f).

Vorliegend ist eine hohe Behandlungsfrequenz i. S. d. § 8 Abs. 2 KT—Rl nicht
gegeben. Die in der Anlage 2 der Richtlinien genannte Dialysebehandlung, die
onkologische Strahlentherapie sowie die onkologische Chemotherapie erfordern in
der Regel mehr als eine Behandlung wöchentlich (vgl. Urteil des erkennenden
Senats vom 17.08.2006 - L 5 KR 65/06, juris, Rn. 17 m. w. N.). Auch wenn die
erforderliche Behandlungshäufigkeit unterschiedlich ist und in einzelnen Fällen bei
den aufgezählten Therapien auch eine höhere Frequenz in Betracht kommen
mag, erscheint es angemessen, ausgehend von der regelmäßigen
Behandlungshäufigkeit eine Therapiedichte von mindestens zwei Mal pro Woche
zu fordern. Unter Berücksichtigung des oben dargelegten Ziels des Gesetzgebers,
die Kosten für Fahrten zu ambulanten Behandlungen nicht generell in Härtefällen,
sondern nur in besonderen Ausnahmefällen zu erstatten, ist diese enge
Auslegung des Begriffs der hohen Behandlungsfrequenz geboten. Die
Voraussetzungen für einen Ausnahmefall i.S.d. § 8 Abs. 2 KT-Rl sind somit nicht
erfüllt, so dass - da auch Abs. 3 nicht eingreift - es bei dem Grundsatz verbleibt,
dass Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen vom Versicherten selbst
aufzubringen sind.

- 8 -

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr.1 SGG wegen der grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.



- Rechtsmittelbelehrung -

...

B 1 KR 27/07 R

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 5 KR 43/07 vom 06.09.2007

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LSG NSB, L 4 KR 212/04 vom 12.08.2004, Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
LANDESSOZIALGERICHT NIEDERSACHSEN-BREMEN



L 4 KR 212/04 ER

S 11 KR 413/04 ER (Sozialgericht Hannover)!



BESCHLUSS



In dem Rechtsstreit



A.,



Antragsteller und Beschwerdeführer,



Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte B.‚



gegen

C.,



Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin,

nicht am Verfahren beteiligt:



Landeshauptstadt Hannover, vertreten durch den Oberstadtdirektor, Fachbereich Recht

und Ordnung, Fachbereichsübergreifende Rechtsangelegenheiten, Schmiedestraße 24,

30159 Hannover,



Beschwerdeführerin,



hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen

am 12. August 2004 in Celle ‚



durch die Richterin S. - Vorsitzende -,



den Richter S. und die Richterin P.



beschlossen:



Der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 4. Juni 2004



wird aufgehoben.



Die Antragsgegnerin wird verurteilt, die Fahrkosten des Antrag-

stellers zur Substitutionstherapie (abzüglich etwaiger Zuzahlun-



gen) ab 30. September 2004 bis zum Abschluss der Therapie



- 2 -



bzw. bis zur rechtskräftigen Entscheidung eines Hauptsachever—

fahrens vorläufig zu übernehmen.



Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückge-

wiesen.



Die Beschwerde der Landeshauptstadt Hannover wird verworfen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtli-

chen Kosten zu drei Vierteln zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten

nicht zu erstatten.



Das Verfahren betrifft die vorläufige Übernahme von Fahrkosten zu einer Substitutions-

therapie.



Der Antragsteller ist arbeitslos. Er erhält Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer

Schwierigkeiten nach 5 72 Bundessozialhilfegesetz, deren Durchführung der Landes-

hauptstadt Hannover obliegt. Der Antragsteller unterzieht sich einer Substitutionsbehand-

lung. Hierzu muss er sich täglich in der Praxis des behandelnden Facharztes für Allge-

meinmedizin Dr. D., Hannover, vorstellen. Er ist dazu auf die Benutzung öffentlicher Ver-

kehrsmittel angewiesen.



Im Frühjahr 2004 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die vorläufige

Übernahme der Fahrkosten zur Substitutionsbehandlung in Höhe von 55,00 Euro für eine

Monatskarte der Üstra. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11. Mai

2004 ab.



Am 17. Mai 2004 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Hannover die Ge-

währung vorläufigen Rechtsschutzes, den das SG mit Beschluss vom 4. Juni 2004 ab-

lehnte. Gegen den ihm am 17. Juni 2004 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am

13. Juli 2004 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat.



Zuvor hatte der Antragsteller am 30. Juni 2004 die Übernahme der Fahrkosten bei der

Landeshauptstadt Hannover beantragt. In Ansehung des ablehnenden Bescheides der

Antragsgegnerin gewährte die Landeshauptstadt Hannover dem Antragsteller für die Zeit

vom 30. Juni bis 29. September 2004 vorläufig Fahrkosten in Form einer Mobilcard.



Die Landeshauptstadt Hannover ist zum Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz weder

beigeladen noch hat sie einen Antrag auf Beiladung gestellt, der abgelehnt worden wäre.

Gleichwohl hat sie am 13. Juli 2004 Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 4.

Juni 2004 eingelegt.



Die Beschwerde der Landeshauptstadt Hannover ist unzulässig.



- 4 -



Die Landeshauptstadt Hannover ist im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren

weder Antragstellerin noch Antragsgegnerin. Sie ist zum Verfahren auch weder beigela-

den, noch ist ein Antrag auf Beiladung abgelehnt worden. Sie ist daher nicht befugt, ge-

gen den Beschluss des SG vom 4. Juni 2004 ein Rechtsmittel einzulegen (vgl. hierzu:

Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, Vor § 143 Rn. 4).



Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und überwiegend begründet.



Nach § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache

auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Be-

zug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwen-

dung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen für die Zeit

ab 30. September 2004 vor.



Ob ein Anordnungsanspruch gegeben ist, lässt sich im Eilverfahren nicht abschließend

beurteilen.



Nach § 60 Abs. 1 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) in der Fassung des Gesetzes zur

Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) übernimmt die Kranken-

kasse die Fahrkosten, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse

aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind (Satz 1). Für Fahrkosten zu ei-

ner ambulanten Behandlung übernimmt die Krankenkasse die Kosten nur nach vorheri-

ger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesaus-

schuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V festgelegt hat ( Satz 3).



§ 8 dieser Krankentransport-Richtlinien vom 22. Januar 2004 (BAnz 2004 Nr. 18) knüpft

die ausnahmsweise Übernahme der Fahrkosten u.a. an die Voraussetzung, dass die Be-

handlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in

einer Weise beeinträchtigt, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib

und Leben unerlässlich ist. Als Ausnahme nennen die Krankentransport-Richtlinien in

Anlage 2: Dialysebehandlung, onkologische Strahlentherapie und onkologische Chemo-

therapie. Nach § 8 Abs. 2 Satz 3 Krankentransport—Richtlinien sind diese Behandlungen

nicht abschließend.



Im vorliegenden Fall wird auch von der Antragsgegnerin nicht bezweifelt, dass der An-

tragsteller zur Substitutionsbehandlung täglich die Praxis des behandelnden Arztes auf-

suchen muss und hierzu auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, deren Kosten er



- 5 -



— der Antragsteller - nicht aus eigenen Mitteln bestreiten kann. Die tägliche Benutzung

öffentlicher Verkehrsmittel ist also erforderlich, damit der Antragsteller überhaupt ärztlich

behandelt werden kann. Nur auf diese Weise können bei ihm Schäden an Leib und Le-

ben vermieden werden. Ob dieser Sachverhalt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1

Satz 3 SGB V erfüllt oder ob — wie die Antragsgegnerin meint — die Beförderung selbst

medizinisch indiziert sein muss, kann der Senat im vorliegenden Eilverfahren nicht ab-

schließend entscheiden.



Daher ist es in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)

geboten, den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz auf der Grundlage einer Folgenab-

wägung zu entscheiden (so BVerfG, Beschlüsse vom 22. November 2002 — 1 BvR

1586/02 — in NZS 2003, 253 f. und vom 19. März 2004 — 1 BvR 131/04 — in GesR 2004,

246 f.). Danach hat die Antragsgegnerin die Fahrkosten (abzüglich etwaiger Zuzahlungen)

ab 30. September 2004 vorläufig zu übernehmen.



Der Antragsteller muss zur Durchführung der Substitutionsbehandlung täglich zu seinem

behandelnden Arzt fahren. Hierzu ist er — wie die Antragsgegnerin nicht in Abrede stellt —

auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen. Ist ihm das nicht möglich,

muss er die Behandlung abbrechen. Dadurch würde seine Gesundheit in erheblichem

Maße beeinträchtigt. Die ihm entstehenden Nachteile wiegen erheblich schwerer, als die

Nachteile für die Antragsgegnerin, wenn sie die Fahrkosten vorläufig übernimmt. Denn

nach unwidersprochener Feststellung des SG betragen die Kosten für eine Monatskarte

der Üstra nicht mehr als 55,00 Euro.



Die Antragsgegnerin ist zur vorläufigen Übernahme der Fahrkosten jedoch erst ab dem

30. September 2004 verpflichtet. Die Landeshauptstadt Hannover hat die Fahrkosten vor-


läufig bis 29. September 2004 übernommen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Durchfüh-

rung der Behandlung des Antragstellers gesichert. Er hat insoweit keine Nachteile zu be-

fürchten. Die Pflicht zur vorläufigen Fahrkostenübernahme durch die Antragsgegnerin

beschränkt sich daher auf die Zeit vom 30. September 2004 an. Sie dauert bis zur Been-

digung der Substitutionsbehandlung bzw. bis zu dem rechtskräftigen Abschluss eines

Hauptsacheverfahrens.



Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog. Dabei hat der Senat berücksichtigt,

dass der Antragsteller zu einem überwiegenden Teil obsiegt hat.



- 6 -



Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).



S. S. P.

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LSG BW, L 4 KR 907/12 NZB vom 18.12.2012, Landessozialgericht Baden-Württemberg
Landessozialgericht Baden-Württemberg

L 4 KR 907/12 NZB
S 5 KR 1763/11

Beschluss

Der 4. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart hat durch Beschluss vom
18. Dezember 2012 für Recht erkannt:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Berufung im Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Januar
2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu
erstatten.



- 2 -


Gründe:


I.


Im Streit steht die Erstattung von Fahrkosten für Taxifahrten für die Hinfahrt zur
Dialysebehandlung vom 01. Februar bis 30. April 2011.


Die 1979 geborene Klägerin war bis 30. April 2011 bei der Beklagten krankenversichert. Sie hat
einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Merkzeichen G. Sie leidet unter
Niereninsuffizienz und muss sich seit April 2008 dreimal wöchentlich einer Dialysebehandlung
unterziehen. Am 04. November 2010 verordnete der Internist und Nephrologe Dr. M.,
Dialysezentrum und Gemeinschaftspraxis, eine Krankenbeförderung zu einer ambulanten
Behandlung beim Vertragsarzt gemäß Anlage 2 der Richtlinien des Gemeinsamen
Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und
Rettungsfahrten (Krankentransport-Richtlinien) dreimal wöchentlich vom 01. Januar bis
31. Dezember 2011 mit Taxi oder Mietwagen von der Wohnung zur Dialyse Wiesloch, Hin- und
Rückfahrt. Zur medizinischen Begründung gab er an, es bestehe eine komplexe Situation mit
massiver aneurysmatischer Aufweitung des Dialyse-Shunts und Schwellung des gesamten
Armes (Z 49.0). Die Klägerin sei gehfähig, medizinisch-technische Ausstattung des
Transportfahrzeugs oder medizinische Betreuung sei nicht erforderlich. Dr. R. vom
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) befand auf Anfrage
der Beklagten in der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 29. Dezember 2010, aus
medizinischer Sicht seien öffentliche Verkehrsmittel ausreichend. Ob diese tatsächlich verfügbar
seien, sei nach den Krankentransport-Richtlinien nicht entscheidungsrelevant.


Mit Bescheid vom 29. Dezember 2010 bewilligte die Beklagte alle medizinisch notwendigen
Krankenfahrten zur Dialysebehandlung für den Zeitraum vom 01. bis 31. Januar 2011. Mit
Bescheid vom 25. Januar 2011 bewilligte die Beklagte ab 01. Februar 2011 nur noch die
Fahrkosten für öffentliche Verkehrsmittel. Nach einem Aktenvermerk vom 27. Januar 2011
bestehe eine Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Ö., dem Wohnort der Klägerin,
bis W.. Die Dialysepraxis liege jedoch in F., einem 5 km entfernten Vorort von W., „in der
Pampa“. Dorthin bestehe keine Busverbindung. Mit dem Taxi sei die Entfernung zwischen dem


- 3 -


Wohnort und der Dialysepraxis 7 km. Nach der Dialyse dürfe die Klägerin wohl nicht selbst
Auto fahren.


Mit Bescheid vom 31. Januar 2011 bewilligte die Beklagte vom 01. Februar 2011 bis
31. Dezember 2011 Krankenfahrten mit dem Taxi für die Rückfahrt von der Dialyse zum
Wohnort. Mit Schreiben vom 01. Februar 2011 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den
Bescheid vom 25. Januar 2011. Der öffentliche Nahverkehr zwischen Ö. und F. sei denkbar
schlecht. Sie müsse dienstags, donnerstags und samstags jeweils bereits um 6:15 Uhr im
Dialysezentrum sein. Der Bus ab Ö. verkehre zwar bereits ab 5:00 Uhr, allerdings nur bis W.-
Arbeitsamt. Von dort müsse die Klägerin 1,5 km laufen, die letzten 500 m entlang einer stark
befahrenen Straße ohne Gehweg. Samstags fahre der erste Bus um 7:00 Uhr, so dass keine
Möglichkeit bestehe, mit dem Bus zur Dialyse zu kommen. Auf dem Rückweg sei die
Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen Unwohlsein, Schwindel, Müdigkeit nicht möglich.
Mit undatiertem Schreiben wies die Beklagte darauf hin, dass aufgrund des Bescheides vom
31. Januar 2012 ab dem 01. Februar 2011 die Rückfahrt von der Dialyse zum Wohnort mit dem
Taxi mit ihr abgerechnet werden könne, nach Ansicht des MDK aus medizinischer Sicht
öffentliche Verkehrsmittel ausreichten, deren Verfügbarkeit nach den Krankentransport-
Richtlinien nicht entscheidungsrelevant sei. Den Widerspruch vom 15. Februar 2011 wies der
bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 07. April
2011 zurück.


Mit ihrer am 21. April 2011 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage verfolgte die
Klägerin ihr Begehren weiter. Sie beantragte Kostenübernahme für die im Februar, März und
April 2011 durchgeführten Krankenfahrten und legte Rechnungen über die Hinfahrten für
Februar 2011 in Höhe von € 226,56; März 2011 in Höhe von € 264,32 und April 2011 in Höhe
von € 245,44 vor. Außerdem legte sie einen von Dr. M. am 02. März 2011 ausgestellten
Dauertransportschein vor, demzufolge der Transport zur Behandlung und zurück im Februar
2011 mit dem Taxi medizinisch erforderlich gewesen sei. Mit Urteil vom 23. Januar 2012 wies
das SG die Klage ab. Der geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung bestehe nicht, weil
der Sachleistungsanspruch nicht bestehe. Die Krankenkasse übernehme gemäß § 60 Abs. 2 und 3
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) die Kosten für Fahrten, die im Zusammenhang mit
einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig seien. Die
Notwendigkeit sei für Hin- und Rückweg gesondert zu prüfen (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V


- 4 -


i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 2 Krankentransport-Richtlinien). Welches Fahrzeug benutzt werden
könne, richte sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall. Bei der Auswahl sei
insbesondere der aktuelle Gesundheitszustand und die Gehfähigkeit ausschlaggebend. Die
Krankenfahrt mit einem Taxi sei nur dann zu verordnen, wenn der Versicherte aus zwingenden
medizinischen Gründen öffentliche Verkehrsmittel oder ein privates Kraftfahrzeug nicht
benutzen könne. Die Verordnung könne nicht darauf gestützt werden, die Anbindung an
öffentliche Verkehrsmittel, zu deren Nutzung der Versicherte gesundheitlich prinzipiell in der
Lage wäre, sei vor Ort unzureichend. Maßgeblich sei nämlich ausschließlich die medizinische
Notwendigkeit. Auch bei anderen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, vom
Bundessozialgericht (BSG) entschieden bezüglich der Hilfsmittelversorgung und
Krankenhausbehandlung, lasse sich die medizinische Notwendigkeit nicht mit örtlichen
Verhältnissen oder sonstigen persönlichen Umständen begründen. Daran gemessen benötige die
Klägerin kein Taxi für die Fahrten zur Dialysebehandlung. Trotz der Niereninsuffizienz sei sie
gesundheitlich in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und fahre - nach ihren
Bekundungen in der mündlichen Verhandlung - selbst mit dem Auto zur Arbeit. Es bestehe kein
Grund, die Berufung zuzulassen.


Gegen das über ihren Prozessbevollmächtigten am 06. Februar 2012 zugestellte Urteil hat die
Klägerin am 29. Februar 2012 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Zur Begründung trägt sie
vor, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Die dem Urteil des SG zugrunde liegende
Rechtsauffassung, eine Verordnung von Krankenfahrten mit dem Taxi könne nur darauf gestützt
werden, der Versicherte könne öffentliche Verkehrsmittel oder einen Pkw aus zwingenden
medizinischen Gründen nicht benutzen und nicht darauf, dass die Anbindung vor Ort
unzureichend sei, stehe in krassem Widerspruch zu deutlichen Stimmen in der
Kommentarliteratur. Die Frage sei in der Rechtswissenschaft höchst streitig. Zum Teil werde
vertreten, dass es nicht ausgeschlossen sei, die örtlichen Verhältnisse in die Beurteilung
einzubeziehen. Die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel könne ausgeschlossen sein,
weil die dadurch erforderlichen längeren Wartezeiten aufgrund zwingender gesundheitlicher

Gründe unzumutbar seien (Hasfeld/Waßer in juris-PK SGB V, § 60 RdNr. 61; Baier in
Krauskopf, Stand März 2012, § 60 RdNr. 9). Das SG habe verkannt, dass diese grundsätzliche
Rechtsfrage keineswegs eindeutig beurteilt werde. Das BSG habe hierzu bisher keine eindeutige
Entscheidung getroffen.


- 5 -


Die Klägerin beantragt,


die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom
23. Januar 2012 zuzulassen.


Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.


Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung in § 144 Abs. 1 SGG sei wie in § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGG auszulegen. Eine Rechtssache habe über den Einzelfall hinaus nur dann grundsätzliche
Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwerfe, die aus Gründen der Rechtseinheit oder der
Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren
Klärung durch das Berufungsgericht zu erwarten sei (Klärungsfähigkeit). Ein Individualinteresse
genüge nicht. Maßgebend sei nicht die richtige Einzelfallentscheidung; sie sei nur eine Folge der
Klärung der grundsätzlichen Rechtsfrage. Das BSG habe mit Beschluss vom 03. April 2008
(B 11b AS 15/07 B in juris) verdeutlicht, dass es regelmäßig an der Klärungsbedürftigkeit fehle,
wenn sich die Antwort unmittelbar aus den gesetzlichen Vorschriften ergebe. Nach § 60 Abs. 1
SGB V übernehme die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten
einschließlich der Transporte nach § 133 SGB V (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit
einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind.
Welches Fahrzeug benutzt werden könne, richte sich nach der medizinischen Notwendigkeit im
Einzelfall. Der Gesetzestext sei eindeutig. Eine grundsätzliche Bedeutung liege danach nicht vor.
Hierfür sei unerheblich, ob bereits Rechtsprechung des BSG zu der Frage vorliege.


II.


Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Berufung im Urteil des SG vom 23. Januar 2012 ist zulässig. Die Beschwerde der Klägerin ist
jedoch nicht begründet, weil keine Gründe für eine Zulassung der Berufung gegeben sind.


- 6 -


1.


Die Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Zulassung im
Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn
der Wert des Beschwerdegegenstands
1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten
Verwaltungsakt betrifft, € 750,00 oder
2. bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder
Behörden € 10.000,00 nicht übersteigt.
Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein
Jahr betrifft (Satz 2). Die Berufung gegen das Urteil des SG vom 23. Januar 2012 bedarf der
Zulassung, denn der Beschwerdewert von mehr als € 750,00 ist hier nicht erreicht. Die Klägerin
begehrt die Erstattung von Fahrkosten in Höhe von € 736,32. Diese betreffen keinen Zeitraum
von mehr als einem Jahr, sondern nur von 3 Monaten (01. Februar bis 30. April 2011).
Schließlich hat das SG die Berufung im Urteil nicht zugelassen.


2.
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des
Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des
Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht
wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Keiner dieser Gründe ist gegeben.

a)
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine grundsätzliche Bedeutung ist dann
anzunehmen, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden
Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen
Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch eine höherinstanzliche
Entscheidung zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit; vgl. z.B. BSG, Beschluss vom 16. November
1987 - 5b BJ 118/87 - SozR 1500 § 160a Nr. 60; Beschluss vom 16. Dezember 1993 - 7 BAr
126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr. 16). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls sich die Antwort auf


- 7 -


die Rechtsfrage ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften oder aus bereits vorliegender
höchstrichterlicher Rechtsprechung ergibt (vgl. z.B. BSG, Beschluss vom 17. April 2012 - B 13
R 347/10 B - in juris). Den von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich bezeichneten Fragen kommt
eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu.


Die Rechtsfrage, ob ausschließlich medizinische Gründe als Kriterium bei der Beurteilung der
Notwendigkeit eines Beförderungsmittels bei einer Krankenbeförderung heranzuziehen sind oder
ob die örtlichen Verhältnisse mitberücksichtigt werden müssen, ist nicht klärungsbedürftig.
Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die
Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 SGB V (Fahrkosten), wenn sie im
Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen
notwendig sind. Nach Satz 2 der Vorschrift richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit
im Einzelfall, welches Fahrzeug benutzt werden kann. Die Krankentransport-Richtlinien (in der
Fassung vom 22. Januar 2004, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2004; Nr. 18; S. 1342; zuletzt
geändert am 21. Dezember 2004; veröffentlicht im Bundesanzeiger 2005; Nr. 41; S 2937; in
Kraft getreten am 02. März 2005) sehen in § 4 für die Auswahl des Beförderungsmittels
ausschließlich die zwingende medizinische Notwendigkeit im Einzelfall unter Beachtung des
Wirtschaftlichkeitsgebots als maßgeblich. Für die Auswahlentscheidung ist deshalb insbesondere
der Gesundheitszustand des Versicherten und seine Gehfähigkeit zu berücksichtigen. Damit ist
die Frage, welche Auswirkungen die örtlichen Verkehrsverhältnisse haben, bereits nach dem
Wortlaut von Gesetz und Richtlinie nicht klärungsbedürftig und klärungsfähig, weil sie keine
Bedeutung über den Einzelfall hinaus hat, der Senat bei inhaltlicher Befassung mit der
Rechtssache nur eine Einzelfallentscheidung durch Anwendung geltenden Rechts treffen könnte.
Außerdem ergibt sich die Antwort unmittelbar aus den gesetzlichen Vorschriften, aufgrund derer
eine Einzelfallentscheidung vorzunehmen ist. Die Frage, ob vorliegend aufgrund der örtlichen
Verhältnisse die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf dem Hinweg zur Dialysebehandlung
aufgrund der 1,5 km weiten, mangels Busanbindung zu Fuß zurückzulegenden Wegstrecke der
Klägerin angesichts eines GdB von 100 und dem Merkzeichen G gesundheitlich unzumutbar ist,
ist aber eine Frage des Einzelfalls.


Die Klägerin rügt mit der Beschwerde letztlich eine unrichtige Einzelfallentscheidung durch
unzutreffende Auslegung der zugrunde liegenden Vorschriften. Dies ist nach der Systematik der
§§ 143 bis 145 SGG gerade nicht möglich, wenn die Berufung nicht zulässig ist und - mangels


- 8 -


Vorliegens der im Gesetz abschließend genannten Zulassungsgründe - weder vom SG noch auf
Beschwerde vom LSG zugelassen wird. Vorliegend war die Berufung mangels Erreichens des
Berufungsstreitwerts nicht zulässig; sie wurde vom SG zu Recht nicht zugelassen, da ein Grund
für die Zulassung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGG nicht vorliegt.


b)
Eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG und ein Verfahrensmangel im Sinne von
§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin auch nicht behauptet.


3.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Mit der Ablehnung der Beschwerde wird das Urteil des SG vom 23. Januar 2012 (S 5 KR
1763/11) rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).

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BSG, B 9 SB 90/12 B vom 23.01.2013, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 SB 90/12 B

L 7 SB 29/10 (LSG Sachsen-Anhalt)

S 12 SB 137/07 (SG Halle)

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte:

gegen

Land Sachsen-Anhalt,

vertreten durch das Landesverwaltungsamt - Landesversorgungsamt,

Maxim-Gorki-Straße 7, 06114 Halle/Saale,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 23. Januar 2013 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. L.
sowie die Richter K.
und O.

beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-
sozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. September 2012 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten
zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

[Abs 1] Mit Urteil vom 25.9.2012 hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) einen Anspruch
des Klägers auf Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche
Gehbehinderung) verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat
der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Er macht eine grundsätzli-
che Bedeutung der Rechtssache geltend.

[Abs 2] Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den
gesetzlichen Anforderungen (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG). Keiner der in § 160 Abs 2 SGG ab-
schließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden.

[Abs 3] Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG - wie sie der Kläger geltend macht -
hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall
hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch
das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des
anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt
sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich
ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner
Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen:

(1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete)
Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm an-
gestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE
40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen
Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

[Abs 4] Der Kläger misst folgenden Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung bei:
1. Ergibt sich aus Art. 9 Abs 1, Art 20 Buchst a), Art 30 Abs 1 Buchst c) Übereinkommen der
Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) ein An-
spruch auf das Merkzeichen aG auch außerhalb der Normierungen des § 3 Abs 1 Nr. 1
Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) i.V.m. § 6 Abs 1 Nr. 14 Straßenver-
kehrsgesetz (StVG), § 46 Straßenverkehrsordnung (StVO), § 46 Verwaltungsvorschriften
zur StVO (VwV-StVO), soweit und solange es sich bei diesem Merkzeichen um die einzige
Möglichkeit handelt, im gesamten Bundesgebiet Parkerleichterungen zu erhalten?

2. Ergibt sich aus der UN-BRK als im Zusammenhang mit der vom Bundesverfassungsge-
richt anzuwendenden Auslegungshilfe des Grundgesetzes ein Anspruch auf Parkerleichte-
rungen i.S. einer Reduktion der derzeit strengen Maßstäbe für die Feststellung des Merkzei-

- 3 -

chens aG, solange allein das Merkzeichen aG Parkerleichterungen für das gesamte Bun-
desgebiet einschließt?

[Abs 5] In Bezug auf diese Fragen fehlt es an hinreichenden Ausführungen des Klägers zum höchst-
richterlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der rechtlichen Grundsätze, nach denen das Merkzei-
chen "aG" festzustellen ist (vgl dazu § 69 Abs 4 SGB IX, § 3 Abs 1 Nr 1 SchwbAwV, § 6 Abs 1
Nr 14 StVG, § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO). Eine Klärungsbedürftigkeit ist unter anderem dann
nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (vgl BSG SozR
1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65) oder wenn sich für die Antwort in höchst-
richterlichen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte finden lassen (vgl BSG SozR
3-1500 § 146 Nr 2; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Der Kläger hätte daher die rechtliche Klä-
rungsbedürftigkeit der von ihm angesprochenen Fragestellungen unter Einbeziehung der vor-
handenen Rechtsprechung des BSG, wie vom LSG bereits benannt, näher begründen müssen.

Hierzu wäre es zunächst erforderlich gewesen, sich mit den vom Senat festgelegten Grundsät-
zen zur Feststellung des Merkzeichens "aG" auseinanderzusetzen (zB Senatsurteil vom
5.7.2007 - B 9/9a SB 5/06 R; Senatsurteil vom 29.3.2007 - B 9a SB 5/05 R; Senatsurteil vom
10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R, BSGE 90, 180 = SozR 3-3250 § 69 Nr 1; Senatsurteil vom
11.3.1998 - B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37 = SozR 3-3870 § 4 Nr 23). Dies hat der Kläger ver-
säumt.

[Abs 6] Gleiches gilt, soweit der Kläger die rechtliche Bedeutung der UN-BRK für die Feststellung der
Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" geklärt wissen will. Allein die Bezugnahme auf einen
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom "22.3.2012 - 2 BvR 889/09, Rnr 52" (möglicher-
weise tatsächlich gemeint: Beschluss vom 23.3.2011 - 2 BvR 882/09) verbunden mit der Be-
hauptung, dass es zu den gestellten Rechtsfragen bisher keine höchstrichterliche Recht-
sprechung gebe, genügt den Darlegungserfordernissen nicht. Auch insoweit hätte es einer
Auseinandersetzung mit der zum Teil bereits vom LSG benannten Rechtsprechung des BSG
zur Anwendung der UN-BRK bedurft (vgl zB BSG Beschluss vom 10.5.2012 - B 1 KR 78/11 B -
RdNr 6 ff, SozR 4-2500 § 140f Nr 1; BSG Urteil vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R - RdNr 19 f,
SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; Senatsurteil vom
24.5.2012 - B 9 V 2/11 R - RdNr 36, SozR 4-3520 § 7 Nr 1, auch zur Veröffentlichung in BSGE
vorgesehen; Senatsurteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 2/09 R - RdNr 43, BSGE 106, 101 = SozR
4-3250 § 2 Nr 2). Mit dieser Rechtsprechung hätte sich der Kläger inhaltlich befassen und auf-
zeigen müssen, in welchem Rahmen eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung
derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erfor-
derlich ist (vgl hierzu allgemein Becker, die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG [Teil I], SGb
2007, 261, 266 zu Fußnote 58). Dabei wäre zB darauf einzugehen gewesen, ob die UN-BRK an
der Rechtslage für das Merkzeichen "aG" etwas Grundlegendes geändert hat (vgl dazu Wendt-
land, Finale Betrachtungsweise bei Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen

- 4 -

"aG", in Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht, Forum C, Diskussionsbeitrag
Nr 9/2011, vom 29.11.2011).

[Abs 7] Soweit der Kläger im Übrigen die Beweiswürdigung des LSG (vgl hierzu § 128 Abs 1 S 1 SGG)
kritisiert, kann er damit gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein keine Revisions-
zulassung erreichen. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzutreffende Rechtsanwen-
dung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

[Abs 8] Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a
Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

[Abs 9] Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendungen des § 193 SGG.

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Sonntag, 10. Mai 2015
BSG, B 8 SO 54/10 B vom 24.11.2011, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 8 SO 54/10 B
L 8 SO 132/09 (Bayerisches LSG)
S 10 SO 13/08 (SG Landshut)

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte:

gegen


Bezirk Niederbayern,
Gestütstraße 10, 84028 Landshut,
Beklagter und Beschwerdegegner,

beigeladen:

1. Landkreis Passau,
Regensburger Straße 33, 94036 Passau,

2. Deutsche Angestellten-Krankenkasse,
Nagelsweg 27-31, 20097 Hamburg.

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. März 2011 durch

die Richter C. , O., und Prof. Dr. S.

beschlossen:


Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im
Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 2010 wird als
unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

[Abs. 1]
Im Streit ist die Übernahme von Betriebskosten für ein dem Kläger gehörendes, selbst be-
schafftes Kfz im Wege der Eingliederungshilfe.

[Abs. 2]
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers gegen das klageab-
weisende Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 23.4.2009 (S 10 SO 13/08) zurückgewiesen,
weil der Kläger zum Zwecke der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht auf die regelmä-
ßige Benutzung des Kfz angewiesen sei (Urteil vom 29.6.2010, L 8 SO 132/09).

[Abs. 3]
Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde rügt der Kläger die
Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 62 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm Art 103 Abs 1
Grundgesetz (GG). Die Mitteilung des Klägers an das LSG vom 27.6.2010, er könne an dem
Verhandlungstermin vom 29.6.2010 nicht teilnehmen, weil er nicht über die finanziellen Mittel
zur Bestreitung der Fahrtkosten verfüge, sei als Terminverlegungsantrag auszulegen. Weder
habe das LSG über diesen entschieden, noch habe es Reisekosten gewährt, sodass der mit-
tellose Kläger an der Teilnahme am Termin zur mündlichen Verhandlung gehindert worden sei.

Damit könne die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen, denn es
könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass eine Verletzung des rechtlichen Ge-
hörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert habe, an der mündlichen Verhandlung
teilzunehmen, die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst habe. Einer Angabe, welches
Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden sei, bedürfe es nicht.

[Abs. 4]
Der Rechtssache komme auch grundsätzliche Bedeutung zu, weil folgende Fragen grundsätz-
licher Klärung bedürften:

"Sind bei Leistungsberechtigten nach dem vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung) als Versicherungsnehmer einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtver-
sicherung mit eigenem Renteneinkommen die Prämien für die Kraftfahrzeug-
Haftpflichtversicherung nach § 82 Abs 2 Nr 3 SGB XII vom Renteneinkommen absetzbar, wenn
wegen Krankheit oder Behinderung die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich oder
zumutbar ist?

Stellen die §§ 53 Abs 1 Satz 1 und 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 10 Abs 6 Ein-
gliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) für die Übernahme der Betriebskosten des Kfz die allei-
nige Anspruchsgrundlage dar?"

- 3 -

[Abs. 5]
Diese Rechtsfragen seien auch klärungsbedürftig; das Bundessozialgericht (BSG) habe in sei-
nem Urteil vom 18.3.2008 (B 8/9b SO 11/06 R, BSGE 100, 139 = SozR 4-3500 § 82 Nr 4) ent-
schieden, dass die Absetzbarkeit des Versicherungsbeitrags für ein Kfz voraussetze, dass die-
ses zumindest auch für sozialhilferechtlich anerkennte Zwecke genutzt werde, also etwa, weil
die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel im Fall von Krankheit oder Behinderung eines Mitglieds
der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder unzumutbar sei. Hierbei habe es jedoch offen
gelassen, ob die Kfz-Versicherungsbeiträge überhaupt als angemessene
Versicherungsbeiträge zu verstehen seien und auf die abweichende Ansicht des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 62, 261 ff) verwiesen.

II

[Abs. 6]
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund
des Verfahrensfehlers, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) und
der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), nicht in der erforderlichen Weise be-
zeichnet bzw dargelegt ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Der Senat konnte deshalb über die Be-
schwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG iVm § 169 SGG entscheiden.

[Abs. 7]
Macht der Beschwerdeführer das Vorliegen von Verfahrensmängeln geltend, so müssen bei der
Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) wie bei einer Verfahrensrüge
innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) be-
gründenden Tatsachen substanziiert dargelegt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34,
36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG
- ausgehend von dessen Rechtsansicht - auf dem jeweiligen Mangel beruhen kann, also die
Möglichkeit der Beeinflussung der Entscheidung besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und
36), es sei denn, es würden absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß § 202 SGG
iVm § 547 Zivilprozessordnung (ZPO) der Einfluss auf die Entscheidung unwiderlegbar ver-
mutet wird (BSGE 4, 281, 288; BSG SozR 1500 § 136 Nr 8).

[Abs. 8]
Der Kläger hat mit seinem Vorbringen einen Verfahrensmangel wegen Verletzung des recht-
lichen Gehörs nach § 62 SGG und Art 103 Abs 1 GG nicht hinreichend bezeichnet. Das Gebot
des rechtlichen Gehörs hat auch zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur
Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben müssen (BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 5; BSG SozR
1500 § 128 Nr 24). Wird aufgrund mündlicher Verhandlung, dem "Kernstück" des gerichtlichen
Verfahrens (BSGE 44, 292, 293 = SozR 1500 § 124 Nr 2) entschieden, müssen die Beteiligten
die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör ist dabei in
der Regel bereits dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt
(§ 110 Abs 1 Satz 1 SGG), der Beteiligte bzw sein Prozessbevollmächtigter ordnungsgemäß

- 4 -

geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird (BSG,
Urteil vom 28.4.1999, B 6 KA 40/98 R, USK 99111, RdNr 16). Dass der Kläger an der
Teilnahme der mündlichen Verhandlung gehindert wurde, trägt er nicht schlüssig vor. Dem
Schreiben des Klägers vom 27.6.2010 lässt sich insbesondere kein Terminverlegungsantrag
oder ein Antrag auf Gewährung eines Reisekostenzuschusses entnehmen, sondern allein die
Bitte um Verständnis im Falle seiner Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung. Warum
das Schreiben dennoch als Verlegungsantrag auszulegen war, erläutert der Kläger nicht.

[Abs. 9]
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft,
die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit und der Fortbildung des
Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer
muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichter-
lichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfragen sich stel-
len, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechts-
fragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und
dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160
Nr 17; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu
genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte)
Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die
über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so
genannte Breitenwirkung) darlegen. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung
nicht.

[Abs. 10]
Insbesondere ist die Klärungsfähigkeit nicht ausreichend dargelegt. Das LSG hat die Über-
nahme der Betriebskosten für das dem Kläger gehörende Kfz im Zusammenhang mit Leistun-
gen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft geprüft, weil der Kläger Eingliederungshilfe
beantragt hat. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht er hingegen geltend, dass ihm ange-
sichts der Anrechenbarkeit der "angemessenen" Versicherung höhere Leistungen nach §§ 41 ff
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) zustehen. Zur Darlegung der Klä-
rungsfähigkeit hätte er sich dann aber mit den unterschiedlichen Streitgegenständen und mit
insoweit (ggf) bestandskräftigen Bescheiden des Beigeladenen zu 1., der für Leistungen der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zuständig wäre, auseinandersetzen müs-
sen. Dies hat er jedoch nicht getan.

[Abs. 11]
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 8 SO 6/11 R vom 15.11.2012, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Verkündet am
15.11.2012

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 8 SO 6/11 R
L 9 SO 39/08 (LSG Nordrhein-Westfalen)
S 7 SO 10/07 (SG Duisburg)

Klägerin und Revisionsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:

gegen

Stadt Rheinberg,
Kirchplatz 10, 47495 Rheinberg,
Beklagte und Revisionsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. November
2012 durch den Vorsitzenden Richter E. , den Richter C. und die Richterin

K. sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. W.
und G.



für Recht erkannt:



Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen
vom 20. Juli 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
dieses Gericht zurückverwiesen.

-2-



Gründe:



I



[Abs. 1] Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten in Höhe von 50,48 Euro für
ein Depot-Kontrazeptivum (sog "3-Monats-Spritze") auf Grundlage von Verordnungen vom
8.3.2007 und vom 5.6.2007.


[Abs. 2] Bei der 1966 geborenen Klägerin besteht eine geistige Behinderung mit Aphasie bei Zustand
nach Schädel-Hirn-Trauma. Sie erhält laufend Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Sozial-
gesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) - ua für die Zeit vom 1.7.2006 bis 30.6.2007
(Bescheid vom 21.6.2006) - und ist Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei
der AOK Rheinland/Hamburg. Sie übt eine Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen
aus und wohnt gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Sohn, der von seiner Großmutter
erzogen wird, in einem Haushalt.



[Abs. 3] Am 21.9.2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage privatärztlicher Verord-
nungen ihres behandelnden Gynäkologen vom 13.6.2006 und 12.9.2006 und einer Bescheini-
gung dieses Arztes vom 13.9.2006, wonach die Verordnung erforderlich sei, die Kostenüber-
nahme für jeweils eine Ampulle des Depot-Kontrazeptivums Noristerat. Einen anschließend bei
der AOK Rheinland/Hamburg gestellten Kostenübernahmeantrag lehnte diese ab, weil eine
Kostenübernahme für Kontrazeptiva nach Vollendung des 20. Lebensjahres gemäß § 24a
Abs 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) aus-
scheide (Bescheid vom 6.10.2006). Auch die Beklagte lehnte den Kostenübernahmeantrag ab
(Bescheid vom 20.10.2006; Widerspruchsbescheid unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter
vom 29.3.2007).



[Abs. 4] Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben und die Erstattung
von Kosten in Höhe von insgesamt 126,20 Euro für 5 Ampullen Noristerat (jeweils 25,24 Euro)
geltend gemacht, die sie sich nach Ablehnung der Kostenübernahme durch die Beklagte auf
Grundlage privatärztlicher Verordnungen ihres behandelnden Gynäkologen vom 8.3., 5.6., 6.9.,
13.12.2007 und 13.3.2008 beschafft hatte. Das SG hat die Beklagte antragsgemäß zur Kosten-
erstattung verurteilt (Urteil vom 9.9.2008). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesso-
zialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG aufgehoben und die Klage
abgewiesen (Urteil vom 20.7.2010). Einem Anspruch aus § 49 Satz 2 SGB XII auf
Kostenübernahme für empfängnisverhütende Mittel stehe - entgegen der Auffassung des SG -
§ 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII entgegen, der wegen der Hilfen nach den §§ 47 bis 51 SGB XII auf
den Leistungsumfang der GKV verweise. Nach § 24a SGB V seien Frauen (nur) bis zum
vollendeten 20. Lebensjahr anspruchsberechtigt. Wegen der Änderung des § 38 Abs 1 Satz 1
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zum 1.1.2004 (mit dem Gesetz zur Modernisierung der


-3-

gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz - vom 14.11.2003
- BGBl I 2190) und der damit erfolgten Anbindung des Leistungsrechts des BSHG und in der
Folge des SGB XII an dasjenige des SGB V könnten auch auf der Grundlage des § 49 SGB XII
empfängnisverhütende Mittel für Personen nach Vollendung des 20. Lebensjahres nicht über-
nommen werden. Eine Kostenübernahme gemäß § 48 Satz 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB V
scheide aus, weil das verschriebene empfängnisverhütende Mittel nach den Attesten des be-
handelnden Gynäkologen vom 13.9.2006 und vom 24.8.2007 nicht der Verhütung einer
Schwangerschaft wegen Vorliegens einer Krankheit, sondern der Empfängnisverhütung unmit-
telbar diene. Die Teilhabe iS der §§ 53, 54 SGB XII iVm § 55 Abs 1 Sozialgesetzbuch Neuntes
Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) erfasse es zwar auch,
dem Behinderten ein selbstbestimmtes Sexualleben zu ermöglichen bzw zu erleichtern, wovon
auch die Übernahme der Kosten der Verhütung einer ungewollten Schwangerschaft mit einem
der Behinderung angepassten Verhütungsmittel umfasst sein könne; als allein übernah-
mefähiger behinderungsspezifischer Bedarf seien aber nur solche Kosten zu übernehmen, die
zusätzlich durch die Behinderung der Betroffenen entstünden. Die Kosten für das Depot-
Kontrazeptivum überschritten im Vergleich mit Kosten anderer üblicher Verhütungsmittel
(Kondome, orale Kontrazeptiva) das zumutbare Maß nicht und seien deshalb mit dem
pauschalen Regelsatz abgegolten.


[Abs. 5] Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie hat die Klage auf die Kostenerstattung
wegen der Verordnungen vom 8.3. und 5.6.2007 beschränkt. In der Sache macht sie eine Ver-
letzung von § 49 SGB XII durch das LSG geltend. § 49 SGB XII stelle nach wie vor für den Per-
sonenkreis der Hilfebedürftigen nach dem SGB XII eine Sonderregelung dar. Der Gesetzgeber
habe nach Änderung des § 38 BSHG durch die unveränderte Beibehaltung des § 36 BSHG (bis
31.12.2004) bzw durch § 49 SGB XII (ab 1.1.2005) zu erkennen gegeben, weiterhin die Kos-
tenübernahme für empfängnisregelnde Mittel ohne die in § 24a SGB V enthaltene Altersbegren-
zung im Rahmen des SGB XII ermöglichen zu wollen. § 52 SGB XII regele nicht den
anspruchsberechtigten Personenkreis, sondern (lediglich) den Umfang der Versorgung. Bei
einer anderen Auslegung laufe die Regelung ins Leere; zudem ergebe sich eine Schlechter-
stellung gegenüber dem Personenkreis, der entsprechende Leistungen nach §§ 3, 6 Abs 1
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten könne. Auch als Eingliederungsleistung
müsse das Depot-Kontrazeptivum übernommen werden, weil es für sie die einzige Möglichkeit
sei, sicher zu verhüten.



[Abs. 6] Die Klägerin beantragt,



das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG
zurückzuweisen.



[Abs. 7] Die Beklagte beantragt,


die Revision zurückzuweisen.



-4-

[Abs. 8] Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.



II



[Abs. 9] Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zu-
rückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ). Auf
der Grundlage der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob
der Klägerin höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
(Grundsicherungsleistungen) zustehen. Allein aus dem regelmäßig alle drei Monate anfallenden
Kostenaufwand für das Depot-Kontrazeptivum ergibt sich ein Anspruch auf höhere Grundsiche-
rungsleistungen nicht. Ein Anspruch auf andere Sozialhilfeleistungen besteht nicht.



[Abs. 10] Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 20.10.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 29.3.2007 (§ 95 SGG), mit dem diese die Übernahme auch
künftig anfallender Kosten für Kontrazeptiva abgelehnt hat. Die mit der Anfechtungsklage
kombinierte Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG) hat die Klägerin auf die Erstattung
von bezifferten Kosten in Höhe von 50,48 Euro beschränkt und dabei zulässigerweise auch auf
die im Juni 2007 angefallenen Kosten erstreckt. Eine Begrenzung des Streitgegenstandes da-
hin, dass lediglich über Leistungen nach dem Fünften Kapitel des SGB XII (Hilfen zur Gesund-
heit) zu entscheiden wäre, ergibt sich aus dieser betragsmäßigen Einschränkung aber nicht.
Nach dem sog Meistbegünstigungs- bzw Gesamtfallgrundsatz (vgl: BSGE 101, 217 ff
RdNr 12 ff = SozR 4-3500 § 133a Nr 1; BSGE 100, 131 ff RdNr 10 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3) ist
davon auszugehen, dass die Klägerin die von ihr beanspruchten Leistungen unter allen denk-
baren rechtlichen Gesichtspunkten geltend macht. Damit wird das LSG nach Zurückverweisung
des Rechtsstreits zu überprüfen haben, ob eine Erhöhung des Regelsatzes nach § 42 Satz 1
Nr 1 SGB XII iVm § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung
des SGB XII und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670) für die Zeit in Betracht kommt,
in der die geltend gemachten Kosten angefallen sind, und den die Leistungen für den Lebens-
unterhalt betreffenden Bescheid in seine Prüfung einzubeziehen haben. Dabei fallen die
streitigen Kosten in den Bewilligungszeitraum vom 1.7.2006 bis 30.6.2007. Sofern sich die
Berufung der Beklagten im Ergebnis als unbegründet darstellen sollte, wird das LSG den Tenor
des Urteils des SG zu ändern haben und die Beklagte unter Anwendung des § 48 Zehntes
Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) zur
Änderung des bereits vor dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.10.2006 be-
standskräftig gewordenen Bescheids vom 21.6.2006 für März und Juni 2007 zu verurteilen
haben.


-5-

[Abs. 11] Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Revision zulässig. Nachdem der Senat mit Be-
schluss vom 21.2.2011 Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der
Revision gewährt hat, kommt die Verwerfung der am 14.2.2011 eingelegten und zugleich be-
gründeten Revision als unzulässig wegen Fristversäumnis nicht in Betracht.



[Abs. 12] Andere von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Insbeson-
dere war der Landkreis W. , der den Widerspruchsbescheid erlassen hat, nicht nach § 75
Abs 2 1. Alt SGG (echte notwendige Beiladung) zum Verfahren beizuladen, weil er nicht Dritter
im Sinne der gesetzlichen Regelung ist (BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5 RdNr 11). Auch ein Fall
der unechten notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Satz 1 2. Alt SGG (mögliche Leis-
tungspflicht eines anderen Leistungsträgers) liegt nicht vor (vgl BSG aaO). Die fehlende un-
echte notwendige Beiladung hätte im Revisionsverfahren ohnehin gerügt werden müssen (vgl
Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 13b mwN), was
vorliegend nicht geschehen ist.


[Abs. 13] Die (echte) notwendige Beiladung der AOK Rheinland/Hamburg als für die Klägerin zuständige
Krankenkasse war ebenfalls nicht erforderlich. Es liegt schon deshalb keine § 14 SGB IX unter-
fallende Konstellation vor, weil es sich zum einen bei der Kostenübernahme nach § 24a SGB V
nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation im Sinne des SGB V handelt und zum
anderen dessen Voraussetzungen wegen Überschreitens der Altersgrenze ohnehin offensicht-
lich nicht erfüllt sind, sodass eine Leistungspflicht der AOK Rheinland/Hamburg aus-
geschlossen ist.


[Abs. 14] Der Kreis W. ist zwar sachlich und örtlich zuständiger Träger der Sozialhilfe (§§ 97 Abs 1,
98 Abs 1 SGB XII iVm § 3 Abs 2 Satz 1 SGB XII und §§ 1, 2 Landesausführungsgesetz zum
SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2004 - Gesetz-
und Verordnungsblatt NRW 816 - iVm der Ausführungsverordnung zum SGB XII des
Landes NRW vom 16.12.2004 - GVBl NRW 717; vgl zur Auslegung der entsprechenden
landesrechtlichen Zuständigkeitsregelungen bei fehlender eigener Auslegung des LSG: BSGE
103, 39 ff RdNr 12 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1) für den vorliegend allein in Betracht kommenden
Anspruch auf Erhöhung des Regelsatzes; dies gilt auch für die Hilfen zur Gesundheit und die
Eingliederungshilfe. Nach § 3 Abs 1 AG-SGB XII NRW können die Kreise aber als örtliche
Träger der Sozialhilfe kreisangehörige Gemeinden zur Durchführung der ihnen als Träger der
Sozialhilfe obliegenden Aufgaben durch Satzung heranziehen. Der Kreis W. hat dies getan
und den kreisangehörigen Städten und Gemeinden, zu denen die Beklagte gehört, die
Durchführung der ihm im Rahmen des SGB XII obliegenden Aufgaben zur Entscheidung im
eigenen Namen übertragen (§ 1 der Satzung über die Mitwirkung der Städte und Gemeinden
bei der Erfüllung der Aufgaben des Kreises W. als örtlicher Träger der Sozialhilfe vom
10.3.2005). Ausgenommen von der Übertragung sind nur die in § 2 der Satzung aufgeführten
Aufgaben, zu denen die hier streitbefangene Leistung nicht gehört.

-6-



[Abs. 15] Ob die Klägerin einen Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen besitzt, kann nicht ab-
schließend beurteilt werden (dazu später). Zutreffend hat das LSG allerdings entschieden, dass
sich ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die ärztlich verordneten empfängnisverhüten-
den Mittel aus § 49 Satz 2 SGB XII für die Klägerin nicht ergibt, weil sie das 20. Lebensjahr
bereits vollendet hat. Die entsprechende einschränkende Leistungsvoraussetzung folgt aus
§ 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII (idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilfe-
rechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) iVm § 24a Abs 2
SGB V (idF, die die Norm durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992 - BGBl I
2266 - erhalten hat). Ein Anspruch auf empfängnisverhütende Mittel, den Hilfebezieher nach
dem BSHG auf den gegenüber § 24a Abs 2 SGB V weiter gehenden § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG
(eingeführt mit § 5 Nr 5 des Gesetzes über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Strafrechts-
reformgesetz vom 28.8.1975 - BGBl I 2289) bzw (ab dem 1.1.2001) auf § 36 BSHG (idF, die die
Norm durch Art 15 Nr 6 SGB IX vom 19.6.2001 - BGBl I 1046 - erhalten hat) stützen konnten,
besteht seit dem 1.1.2004 nicht mehr. Dies ergibt sich aus der historischen Entwicklung der
maßgeblichen Regelungen unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Ziels.



[Abs. 16] § 49 Satz 2 SGB XII geht zurück auf § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG, der Teilregelung des zum
1.12.1975 (im Zuge der damaligen Reform des § 218 Strafgesetzbuch) in das BSHG unter
Abschnitt 3 "Hilfe in besonderen Lebenslagen" eingefügten Unterabschnitts 5a "Hilfe zur Famili-
enplanung" war (vgl § 5 Nr 5 des Gesetzes über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Straf-
rechtsreformgesetz). Während in der GKV lediglich Ansprüche auf ärztliche Beratung über Fra-
gen der Empfängnisregelung einschließlich der erforderlichen Untersuchung und Verordnung
von empfängnisregelnden Mitteln eingeräumt worden waren (vgl § 200e Reichsversicherungs-
ordnung , eingefügt mit § 1 Nr 2 dieses Gesetzes), die Kosten für empfängnisver-
hütende Mittel als solche für gesetzlich Krankenversicherte aber ausdrücklich der Eigenvor-
sorge unterfallen sollten (vgl BT-Drucks 7/376, S 5), ist § 37b BSHG weiter gefasst worden:
Neben den § 200e RVO entsprechenden Maßnahmen für nicht gesetzlich versicherte Sozial-
hilfebezieher (vgl § 37b Satz 2 Nr 1 BSHG) sollte als generelles, primäres Angebot eine Über-
nahme von Kosten für ärztlich verordnete empfängnisverhütende Mittel im Hinblick auf die fi-
nanzielle Lage sozialhilfebedürftiger Frauen geschaffen werden (vgl § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG).
Maßnahmen der Familienplanung sollten nicht daran scheitern, dass von den Hilfesuchenden
die erforderlichen finanziellen Mittel nicht aufgebracht werden könnten (BT-Drucks 7/376, S 7;
im Einzelnen zum gesetzgeberischen Anliegen BVerwGE 96, 65, 66).



[Abs. 17] In der GKV besteht seit Inkrafttreten des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes vom
27.7.1992 (BGBl I 1398) zum 5.8.1992 für Versicherte ein Anspruch auf Versorgung mit emp-
fängnisverhütenden Mitteln zur Familienplanung, soweit sie jünger als 20 Jahre sind und das
Mittel ärztlich verordnet wird (vgl § 24a Abs 2 SGB V). Nach der Gesetzesbegründung ist von
§ 24a Abs 2 SGB V der Kreis der Frauen erfasst, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage, ins-
besondere weil sie sich noch in der Ausbildung befinden, am wenigsten in der Lage sind, die

-7-



Kosten für empfängnisverhütende Mittel selbst aufzubringen. Eine Heraufsetzung dieser Alters-
grenze sei wünschenswert; eine entsprechende Finanzierung müsse aber noch geklärt werden
(vgl BT-Drucks 12/2605, S 20). Danach sind keine Änderungen des § 24a SGB V in der Sache
erfolgt. § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG ist demgegenüber nach Einführung von § 24a SGB V inhaltlich
unverändert geblieben, sodass sich für Hilfeempfänger nach dem BSHG (seit dem 1.1.2001 auf
Grundlage der entsprechenden Regelung in § 36 Satz 2 BSHG) ein gegenüber den Leistungen
der GKV weitergehender Anspruch ergab.



[Abs. 18] Diese Begünstigung Hilfebedürftiger nach dem BSHG ist indes zum 1.1.2004 entfallen. Seither
bestimmt § 38 Abs 1 Satz 1 BSHG (idF, die die Norm durch Art 28 Nr 4 Buchst c GMG erhalten
hat) und ihm folgend § 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII (der entsprechend im Gesetzgebungsverfahren
des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch angepasst worden
ist), dass die Vorschriften des 4. Unterabschnitts der Hilfe in besonderen Lebenslagen nach
dem BSHG bzw des Fünften Kapitels des SGB XII dem Leistungsberechtigten einen Anspruch
auf Hilfe bei Krankheit nur entsprechend dem SGB V einräumen. Die zuvor enthaltene Erweite-
rung im 2. Halbsatz ("soweit in diesem Gesetz keine andere Regelung getroffen ist") ist zu die-
sem Zeitpunkt gestrichen worden. Der Senat hat bereits hinsichtlich der Zuzahlungsregelungen
der §§ 61, 62 SGB V entschieden, diese Gesetzesentwicklung lasse nur den Schluss zu, dass
die Übernahme finanzieller Eigenleistungen durch den Sozialhilfeträger auf Grundlage des § 37
BSHG (bis 31.12.2004) bzw § 48 SGB XII (ab 1.1.2005) ausscheide (BSGE 107, 169 ff
RdNr 12 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6). Dies gilt auch hinsichtlich des Leistungsumfangs der
übrigen in §§ 47 bis 51 SGB XII geregelten Hilfen zur Gesundheit. § 24a Abs 2 SGB V trifft mit
dem Ausschluss für Versicherte nach Vollendung des 20. Lebensjahres und der Beschränkung
auf verordnungsfähige und ärztlich verordnete Kontrazeptiva eine solche Regelung zum
Leistungsumfang der GKV (dazu im Einzelnen Schütze in juris PraxisKommentar
SGB V, 2. Aufl 2012, § 24a RdNr 29). Damit scheidet eine Kostenerstattung von empfäng-
nisverhütenden Mitteln nach Vollendung des 20. Lebensjahres auch auf Grundlage des § 49
SGB XII aus (vgl: Söhngen in jurisPK-SGB XII, § 49 SGB XII RdNr 6 und 12; Bieritz-Harder in
Lehr- und Praxis Kommentar SGB XII, 9. Aufl 2012, § 49 SGB XII RdNr 1 und 3; Flint in
Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 49 SGB XII RdNr 7; Schlette in Hauck/Noftz,
SGB XII, K § 49 RdNr 1 und 9, Stand April 2010; Rücker in Linhart/Adolph,
SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 49 SGB XII RdNr 16, Stand Oktober 2010; U. Meyer in Oestreicher,
SGB II/SGB XII, § 49 SGB XII RdNr 9 und 19, Stand Juni 2006).



[Abs. 19] Hiergegen lässt sich nicht einwenden, die Änderung des § 38 Abs 1 Satz 1 BSHG zum
1.1.2004 beziehe sich nur auf die Streichung der Zuzahlungsregelungen in § 38 Abs 2 BSHG,
nicht aber auf die sonstigen Hilfen zur Gesundheit (so aber Böttiger, Sozialrecht aktuell 2008,
203 ff; ähnlich Lippert in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 49
SGB XII, RdNr 20, Stand Januar 2011). Aus der amtlichen Überschrift des § 38 BSHG nach
seiner Änderung wie der des § 52 SGB XII ("Leistungserbringung, Vergütung") folgt nicht, dass



-8-

hier ausschließlich die Leistungserbringung durch Bezugnahme auf das SGB V geregelt würde.
Schon aus § 52 Abs 1 Satz 2 SGB XII zu sog Satzungsregelungen der Krankenkassen lässt
sich erkennen, dass auch Umfang und Inhalt der Leistungen nach §§ 47 bis 51 SGB XII und
damit ebenso § 49 SGB XII erfasst sind. Die eigentliche Normierung der Leistungserbringung
findet sich in § 52 Abs 3 SGB XII.



[Abs. 20] Zwar ist die Änderung in § 38 Abs 1 Satz 1 BSHG mit dem GMG in den Gesetzesmaterialien
lediglich als "Folgeänderung" zur Streichung der Zuzahlungsregelungen in § 38 Abs 2 BSHG
bezeichnet. Mit der Änderung des gesamten Unterabschnitts und insbesondere der Einführung
des § 264 SGB V ("Quasiversicherung") war aber die Gleichstellung der Sozialhilfeempfänger,
die nicht in der GKV versichert sind, mit GKV-Versicherten nicht nur hinsichtlich der Zuzah-
lungsregelungen, sondern umfassend beabsichtigt (BT-Drucks 15/1525, S 77, und
insbesondere zu § 264 SGB V, aaO, S 140 ff). § 49 SGB XII hat damit allerdings - wie uU
weitere Teile der §§ 47 bis 51 SGB XII - schon seit Inkrafttreten des SGB XII für die Versichtern
und "Quasiversicherten" keine praktische Bedeutung mehr. Dass dieser Aspekt in den
Gesetzesmaterialien bei den Änderungen des BSHG keine Erwähnung findet und auch die
Folgeregelungen im SGB XII nicht eingehend erläutert werden (zu § 44 des Entwurfs, der § 49
SGB XII entspricht, vgl BT-Drucks 15/1514, S 62), lässt nicht den Schluss zu, es solle mit § 49
SGB XII weiterhin eine gegenüber dem SGB V günstigere Regelung für sozialhilfebedürftige
Frauen bestehen (H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 49
SGB XII RdNr 8).


[Abs. 21] Sinn und Zweck der Hilfen zur Gesundheit - und dabei auch der Hilfen zur Familienplanung -
steht dieses Ergebnis nicht entgegen. Entsprach noch bei Einführung des § 24a Abs 2 SGB V
eine weitergehende Kostenübernahme für Hilfebedürftige in § 37b BSHG dem gesetzgeberi-
schen Willen, lässt sich dies im Ergebnis der folgenden Gesetzesänderungen nicht mehr erse-
hen. Mit der Streichung des § 38 Abs 2 BSHG aF hat der Gesetzgeber des GMG zugleich be-
stimmt, dass der in der Regelsatzverordnung näher umschriebene Regelsatz auch Leistungen
für Kosten bei Krankheit, bei vorbeugender und bei sonstiger Hilfe umfasst, soweit sie nicht
nach den §§ 36 bis 38 des Gesetzes übernommen werden (Art 29 GMG; dazu bereits BSGE
107, 169 ff, RdNr 15 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6). Dementsprechend sind bei der Sonderauswer-
tung der EVS 2003 die Positionen "Pharmazeutische Erzeugnisse", zu denen verschreibungs-
pflichtige Kontrazeptiva zählen, in vollem Umfang berücksichtigt (BR-Drucks 206/04, S 8). Auch
die Kosten, die nach Auswertung der EVS 2008 auf die Versorgung mit verschreibungspflich-
tigen Arzneimitteln entfallen, werden - zusätzlich zu den Kosten für nicht verschreibungspflich-
tige Arzneimittel (5,07 Euro) - in vollem Umfang, nämlich in Höhe von 3,57 Euro, als regelsatz-
relevant eingestellt (vgl BT-Drucks 17/3404 S 58 und S 140 Zeile 101 bis 105 Code 0611 bis
0612). Insgesamt sind damit seit dem 1.1.2011 rund 15,55 Euro als Kosten für Gesundheit im
Regelsatz enthalten. Neben der mit dem GMG zum Ausdruck gekommenen grundsätzlichen
Angleichung des Leistungsumfangs hinsichtlich der Hilfen zur Gesundheit nach dem

-9-



BSHG/SGB XII an den des SGB V zeigt damit auch die Neubemessung der Regelsätze zum
1.1.2005, dass die Beschaffung solcher verschreibungspflichtiger Medikamente, die nicht von
der GKV übernommen werden, der Eigenverantwortung der Hilfebedürftigen unterfällt und des-
halb die Regelsätze entsprechende Kosten umfassen. Aus den vom Senat dargestellten Grün-
den (vgl BSGE 107, 169 ff RdNr 15 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6) rechtfertigen solche Kosten, die
- wie hier - die Kosten, die üblicherweise von Frauen für Empfängnisverhütung aufgebracht
werden, nicht überschreiten, für sich genommen keine Erhöhung des Regelsatzes (dazu im
Einzelnen später).



[Abs. 22] Mit dieser Auslegung ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin keine gleichheitswidrige
Schlechterstellung gegenüber Frauen, die nach dem AsylbLG leistungsberechtigt sind. Soweit
sich der Leistungsumfang Leistungsberechtigter nach dem AsylbLG nicht ohnehin nach dem
SGB XII richtet (vgl § 2 Abs 2 AsylbLG), ist das System des AsylbLG, das durch ein Sachleis-
tungssystem gekennzeichnet ist (vgl § 3 Abs 1 Satz 1 AsylbLG), nicht mit dem des SGB XII
vergleichbar. Das Leistungssystem beruht gerade nicht auf der Bemessung nach Regelsätzen,
in die die Kosten für empfängnisverhütende Mittel eingeflossen sind.



[Abs. 23] Ein Anspruch nach § 73 SGB XII scheidet ebenfalls aus. Hiervon werden nur atypische ("be-
sondere" bzw "sonstige") Lebenslagen erfasst, für die nicht bereits andere Vorschriften des
SGB XII einschlägig sind (BSGE 107, 169 ff RdNr 13 mwN = SozR 4-3500 § 28 Nr 6). Da So-
zialhilfeempfänger - wie dargelegt - ab 1.1.2004 Kosten für empfängnisverhütende Mittel aus
den allgemeinen Regelsätzen zu bestreiten haben, sofern sie das 20. Lebensjahr vollendet
haben, bleibt für eine Anwendung des § 73 SGB XII kein Raum.



[Abs. 24] Auch ein Leistungsanspruch der Klägerin aus §§ 53, 54 Abs 1 SGB XII (in den Normfassungen
des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB XII) iVm 55 Abs 1 und 2 SGB IX
scheidet aus. Nach § 55 Abs 1 SGB IX, auf den § 54 Abs 1 SGB XII verweist, werden Leistun-
gen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht, die dem behinderten Menschen die
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich
unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden. Als sol-
che Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (soziale Rehabilitation) kommt die
Kostenübernahme nicht in Betracht; denn nach den Feststellungen des LSG ist bereits nicht
erkennbar, dass über den allgemeinen Wunsch nach Empfängnisverhütung vor dem Hinter-
grund der klägerischen Lebensumstände hinaus durch eine Empfängnisverhütung spezifische
behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen wären, um der Klägerin eine Teilhabe am ge-
sellschaftlichen Leben zu ermöglichen.



[Abs. 25] Das LSG wird nach Zurückverweisung des Rechtsstreits allerdings einen Anspruch auf höhere
Leistungen der Grundsicherung zu überprüfen haben. Gemäß § 19 Abs 2 SGB XII (idF, die die
Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom

- 10 -



27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) iVm § 41 Abs 1 und 3 SGB XII (in der Normfassung
des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur
Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007
- BGBl I 554) erhalten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die das 18. Lebensjahr
vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS von
§ 43 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sind
und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann,
auf Antrag Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Die Anspruchs-
voraussetzungen für solche Leistungen dürften dem Grunde nach zwar gegeben sein - genaue
Feststellungen (auch zu § 21 SGB XII) fehlen. Ob die Klägerin einen Anspruch auf höhere
Grundsicherungsleistungen hat, kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des
LSG ohnedies nicht entschieden werden. Zu überprüfen ist, ob sich ein höherer Anspruch auf
der Grundlage einer unabweisbaren, erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweichenden
Bedarfslage ergibt (§ 28 Abs 1 Satz 2 iVm § 42 Satz 1 Nr 1 SGB XII; zur Anwendung des § 28
Abs 1 Satz 2 SGB XII im Rahmen der Grundsicherung vgl nur Blüggel in jurisPK-SGB XII, § 42
SGB XII RdNr 15 mwN zur Rechtsprechung; vgl auch die Klarstellung des § 42 Satz 1 Nr 1
SGB XII idF des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom
20.12.2012 - BGBl I 2783 - und BT-Drucks 17/10748, S 14 zu Nr 2). Dazu ist bislang weder er-
mittelt noch vorgetragen, weil die Beteiligten einen Anspruch lediglich unter anderen Aspekten
diskutiert haben. Zwar sind die Kosten für Kontrazeptiva - wie oben dargestellt - in die Bemes-
sung des Regelsatzes eingeflossen; es ist aber denkbar, dass durch individuell höhere Aus-
gaben im Bereich der Kosten für Gesundheit im Einzelfall eine erheblich abweichende, unab-
weisbare Bedarfslage in den Monaten März und Juni 2007 entstanden ist. Allein die Versorgung
mit Kontrazeptiva führte hierzu nicht, schon weil keine Abweichung vom Regelfall vorliegt.

[Abs. 26] Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Entscheidung bei Sozialgerichtsbarkeit.de

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BSG, B 8 SO 21/12 BH vom 14.01.2013, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss
in dem Rechtsstreit

Az: B 8 SO 21/12 BH
L 20 SO 44/11 (LSG Nordrhein-Westfalen)
S 5 SO 464/09 (SG Dortmund)

1. .................................,
2. .................................,

Kläger und Antragsteller,

g e g e n

Hochsauerlandkreis,
Am Rothaarsteig 1, 59929 Brilon,
Beklagter.

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 14. Januar 2013 durch
den Vorsitzenden Richter E. sowie die Richterinnen K.
und S.
beschlossen:

Die Anträge der Kläger, ihnen für die Durchführung des Verfahrens der Beschwerde
gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-
Westfalen vom 20. August 2012 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechts-
anwalt beizuordnen, werden abgelehnt.

- 2 -

G r ü n d e :

I

[1] Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
(Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe -
(SGB XII) von Oktober 2007 bis September 2010.

[2] Die 1936 bzw 1941 geborenen Kläger beziehen ergänzend zu ihrer jeweiligen Altersrente seit
Januar 2005 Grundsicherungsleistungen. Im April bzw Mai 2007 wandten sie sich an den
Beklagten und machten die Übernahme der Kosten für diverse Einzelpositionen wie auch die
Festsetzung eines höheren Regelsatzes in Höhe von 570 Euro monatlich pro Person geltend.
Die Klage ist erst- und zweitinstanzlich ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Dort-
mund vom 8.12.2010; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom
20.8.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klagen auf
Bewilligung einmaliger Leistungen in Höhe von 1450 Euro, einer Zahlung für zwei Hörgeräte in
Höhe von 2600 Euro sowie eines höheren Mietzuschusses seien bereits unzulässig. Teilweise
fehle es insoweit bereits an einer gerichtlich überprüfbaren Verwaltungsentscheidung der
Beklagten; im Übrigen handle es sich um eine unzulässige Klageerweiterung im Rahmen des
Berufungsverfahrens. Soweit die Kläger höhere Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung, eine einmalige Beihilfe für zwei Fahrräder sowie die Übernahme der auf
dem Girokonto entstandenen Sollzinsen begehren, sei die Berufung unbegründet. Der Beklagte
habe die den Klägern zustehenden Leistungen zutreffend berechnet. Höhere
Grundsicherungsleistungen stünden unter keinem (verfassungs-)rechtlichen Gesichtspunkt zu;
für die geltend gemachten Einzelbedarfe seien die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt.

[3] Zur Durchführung des beabsichtigten Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des LSG haben die Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH)
beantragt.

II

[4] Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die
beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz iVm § 114 Zivilprozessordnung ); daran fehlt es hier.
Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG
abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmäch-
tigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe
können zur Zulassung der Revision führen. Ein solcher Zulassungsgrund ist nicht ersichtlich.

- 3 -

[5] Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG); denn sie
wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit
oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17). Insbesondere soweit die Kläger geltend machen, der
Regelsatz sei zu gering, um auch im Alter menschenwürdig zu leben, liegt schon infolge der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010 (BVerfGE 125, 175 ff) keine
Klärungsbedürftigkeit vor. Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2
SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen nicht. Die Kläger können sich
schließlich auch nicht auf einen Verfahrensmangel berufen, auf dem die angefochtene
Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG). Entgegen der Ansicht der
Kläger ist der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Eine des Weiteren behauptete
fehlerhafte Beweiswürdigung durch das LSG (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) kann nach der
ausdrücklichen Regelung des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht Gegenstand einer
Nichtzulassungsbeschwerde sein. Auch mit der Behauptung, Teile des Vortrags seien nicht,
nicht zutreffend oder nur unzureichend gewürdigt worden, wenden sich die Kläger im Ergebnis
lediglich gegen die Beweiswürdigung wie auch die rechtliche Würdigung bestimmter
Sachverhalte durch das LSG. Zudem ist das Gericht nicht verpflichtet, sich mit jedem
Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Insbesondere ist
es nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe
des Verfahrens zur Sprache gebracht worden sind (BVerfGE 96, 205, 217). Deshalb kann
regelmäßig ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz)
nicht angenommen werden, wenn das Gericht Ausführungen eines Beteiligten unerwähnt lässt,
die nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich oder offensichtlich haltlos sind (BVerfGE 70,
288, 293 f). Dies ist nur anders, wenn das Gericht Kernvortrag der Kläger außer Acht gelassen
hätte, den es auch ausgehend von seiner Rechtsansicht hätte beachten müssen. Dafür liegen
jedoch nach Aktenlage keine Anhaltspunkte vor.

[6] Mit der Ablehnung der PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen
der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

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BSG, B 4 RA 131/98 B vom 27.01.1999, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Az: B 4 RA 131/98 B

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte,

Ruhrstraße 2, 10709 Berlin,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 27. Januar 1999 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. M., die Richter Dr. B. und
Dr. S. sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. S. und
T.

beschlossen:



Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil

des Landessozialgerichts für das Saarland vom 17. Juli 1998 wird zurückge-

wiesen.



Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.



- 2 -



Gründe:



I



Der Kläger, der den Beruf des Einzelhandelskaufmanns erlernt hat und vor Ausübung ei-

ner selbständigen Erwerbstätigkeit zuletzt bis zum Jahre 1988 als Geschäftsführer ab-

hängig beschäftigt war, begehrt im Rahmen des Hauptsacheverfahrens die Gewährung

einer Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit. Das Landessozialgericht (LSG) hat das

in vollem Umfang zusprechende erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abge-

wiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen folgendes ausgeführt: Das Bundessozi-

algericht (BSG) habe zur Bestimmung der Wertigkeit des bisherigen Berufs für

Angestellte die folgenden Gruppen gebildet:

-unausgebildete Angestellte (Ungelernte)

-Angestellte mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Angelernte)

-Angestellte mit längerer Ausbildung, regelmäßig von drei Jahren (Ausge-

bildete) und

-Angestellte mit hoher beruflicher Qualität.

Ausgehend von diesen Kriterien sei der Kläger der Gruppe der Angestellten mit längerer

Ausbildung zuzuordnen und könne daher unter Berücksichtigung der festgestellten Lei-

stungseinschränkungen zumutbar noch auf Tätigkeiten der Anlernebene (hier: Angestell-

ter in der Registratur und im Archiv) verwiesen werden.



Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit der

vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde und beruft sich zur Begründung seines Rechts-

mittels insbesondere auf eine Abweichung des Berufungsurteils von der Rechtsprechung

des BSG. Das LSG habe das von diesem im Bereich der Angestelltenversicherung zu-

grunde gelegte Sechs-Stufen-Schema undifferenziert zusammengefaßt und nur lücken-

haft angewandt. Dadurch sei es zu einer für den Kläger ungünstigen Bewertung seines

bisherigen Berufs und einer unzutreffenden bzw unzumutbaren Verweisung auf eine

Tätigkeit im Anlernbereich gekommen.



II



Die auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz

) gestützte Beschwerde des Klägers ist zulässig, aber unbegründet (vgl zur Unter-

scheidung in Fällen der vorliegenden Art Bundesverfassungsgericht vom

1. Oktober 1997, 1 BvR 454/95, LKV 1998, 141 f = ZBR 1998, 168 ff). Das Berufungsge-

richt hat zwar die vom Senat in Konkretisierung des einschlägigen Gesetzesrechts formu-



- 3 -



lierten Obersätze im Einzelfall unzutreffend angewandt, seiner Entscheidung aber keinen

eigenen - von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abweichenden - abstrakten

Rechtssatz zugrunde gelegt und den Aussagen des BSG entgegengehalten.



Weder Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) noch das allgemeine Rechtsstaatsprinzip - und

ebensowenig das Sozialstaatsprinzip - gewährleisten einen Instanzenzug (BVerfG, Be-

schluß vom 19. Februar 1992, 1 BvR 1935/91 in SozR 3-1500 § 160 Nr 6 mH auf

BVerfGE 4, 74, 94 f; 8, 174, 181 f; 11, 232, 233; ebenso BVerfGE 28, 21, 36). Insbeson-

dere ist es demgemäß auch nicht geboten, stets das Rechtsmittel der Revision zu eröff-

nen (BVerfGE 19, 323). Kann aber das Gesetz den Zugang zur Revisionsinstanz voll-

ständig versperren, kann es die Zulassung des Rechtsmittels im Rahmen der normativen

Ausgestaltung durch die jeweilige Prozeßordnung, deren Art 19 Abs 4 GG ohnehin stets

bedarf (BVerfGE 60, 253, 268, 269), grundsätzlich auch von formalen und inhaltlichen

Voraussetzungen abhängig machen. Das Institut der Revision ist daher eine nach ge-

setzgeberischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen geformteprozessuale Einrichtung

(BVerfGE 49, 148, 160), bei deren Gestaltung ein Verlust an Chancen zur Realisierung

materieller Gerechtigkeit im Einzelfall grundsätzlich in Kauf genommen werden kann

(BVerfGE 60, 253, 268). Eine äußerste Grenze der Auslegung einschlägiger gesetzlicher

Vorschriften besteht von Verfassungs wegen lediglich insofern, als einfachgesetzlich er-

öffnete Möglichkeiten, ein Rechtsmittel einzulegen bzw seine Zulassung zu erstreiten,

nicht in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise be-

schränkt werden dürfen (vgl BVerfGE 10, 264, 268, ständige Rechtsprechung; zuletzt

etwa BVerfG in NVwZ 1994, Beilage 4, 27 = BayVBl 1994, 530; speziell zur Nichtzulas-

sungsbeschwerde im SGG-Verfahren BVerfG in SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10).

Das BSG fungiert als eines der fünf obersten Bundesgerichte (Art 96 Abs 1 GG) grund-

sätzlich als höchstes Rechtsmittelgericht innerhalb seines Gerichtszweiges (vgl BVerfGE

8, 174, 177; BT-Drucks V/1449, S 3, 4 und Leibholz/Rinck/Hesselberger, Kommentar zum

Grundgesetz, Art 95 GG RdNr 11; Bettermann, JZ 1958, 235 ff mwN). Seine Aufgabe be-

steht demgemäß neben der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen gerichtlichen Ver-

fahrens im wesentlichen in der Einheit und Fortbildung des materiellen Bundes- bzw des

in § 162 SGG ausdrücklich aufgeführten Landesrechts (vgl BVerfGE 10, 285, 295;

BT-Drucks 7/861, S 10; BT-Drucks 7/2024, S 3). Nur innerhalb dieses öffentlichen Anlie-

gens und der vornehmlich hieran orientierten Ausgestaltung der Revision kann das Indivi-

dualinteresse an der Beseitigung und Ersetzung unrichtiger Instanzentscheidungen zum

Zuge kommen: Es dient als unverzichtbar notwendiges Vehikel der Klärung des abstrak-

ten Rechts und hat nur insofern und insoweit, als hieran ein unabweisbarer Bedarf be-

steht, Anspruch auf die hieraus für den konkreten Sachverhalt zu erteilende Antwort.

Dem entspricht äußerlich die doppelte Notwendigkeit von (ggf im Wege der Beschwerde

erkämpfter) Zulassungsentscheidung und Einlegung der Revision, inhaltlich ihre Abhän-



- 4 -



gigkeit vom tatsächlichen Vorliegen der im Gesetz enumerativ aufgeführten Zulassungs-

gründe. Die Beschwerde nach § 160a SGG gegen die vom Berufungsgericht verweigerte

Zulassung der Revision dient in diesem Zusammenhang allein der Herbeiführung der

Statthaftigkeit des Rechtsmittels in der Hauptsache durch Klärung und Feststellung eines

im öffentlichen Interesse liegenden Entscheidungsbedarfs im Zusammenhang eines

sachlich allenfalls nach Zulassung und zulässiger Einlegung der Revision zu beurteilen-

den Tatbestandes. Sie hat damit weder eine originäre Sachentscheidung noch eine auf

die Sachentscheidung der Vorinstanz bezogene Rechtsmittelentscheidung zum Ziel, son-

dern betrifft ausschließlich die hiervon gänzlich unabhängig zu beantwortende Frage, ob

das Berufungsgericht zutreffend die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision ver-

neint hat (BVerwGE 34, 40, 41 f). Der Beschwerdeführer wird unter diesen Umständen

auf dem "schmalen Weg zum Revisionsgericht" (vgl Baring, Die Nichtzulassungsbe-

schwerde im Verwaltungsgerichtsverfahren, NJW 1965, 2280) gezwungenermaßen in die

Rolle eines Anwalts öffentlicher Belange gedrängt.



Die genannten Gegebenheiten eröffnen den Kontext, in dem die hier allein in Frage ste-

henden Nrn 1 und 2 des § 160 Abs 2 SGG sowie die hierzu bzw zu § 160a SGG ergan-

gene Rechtsprechung zu sehen sind. Eine "grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache"

liegt demgemäß im besonderen Zusammenhang der Eröffnung des Zugangs zur Revi-

sionsinstanz (vgl BSGE 2, 45, 47 f; BVerwGE 70, 24, 25) nur dann vor, wenn sie dazu

zwingt, im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung eine

Rechtsfrage zum revisiblen Recht zu klären. Die Rechtsfrage muß hierzu einerseits zu

einer aufgrund ihrer Bedeutung für die Sicherung oder Erhaltung der Rechtseinheit bzw

die Fortbildung des Rechts über den Einzelfall hinausgehenden Entscheidung führen

(BSG in SozR 1500 § 160a Nrn 7 und 31), darf aber andererseits nicht nur abstrakt von

Interesse sein (vgl BFH vom 28. April 1972, III B 40/71, BFHE 105, 335), sondern muß

gerade im konkreten Fall tragend entscheidungserheblich und klärungsfähig sein. Auf-

grund dieser Vorbedingungen ist gleichzeitig für das Revisionsverfahren sichergestellt,

daß die oberstgerichtliche Rechtsprechung ihrer Funktion entsprechend über die streitige

Entscheidung des jeweils zur Entscheidung stehenden Einzelfalles hinaus stets auch ih-

rerseits verallgemeinerungsfähige Aussagen zum Inhalt der von ihr nach § 162 SGG an-

zuwendenden Rechtssätze trifft.



Ist ein Rechtsproblem auf diese Weise beantwortet, verbleibt dem Revisionsgericht abge-

sehen von den Ausnahmefällen des Auftretens erneuter Klärungsbedürftigkeit und sich

hieraus ggf abermals ergebender grundsätzlicher Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1

SGG (vgl etwa BSG in SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 13 und BFHE 97, 281 ff,

284 mwN) im wesentlichen nur die Sicherung der Rechtseinheit. Weder der allein auf die

Bewahrung einer Übereinstimmung auf abstrakt-genereller Ebene beschränkte Aufga-

benbereich des BSG noch der funktionelle Anwendungsbereich der Nichtzulassungsbe-

schwerde, deren Gegenstand wie dargestellt gerade nicht die Kontrolle sachlicher



- 5 -



Rechtsfehler ist, sind indessen bereits dann eröffnet, wenn Instanzgerichte im Einzelfall

eine Entscheidung treffen, die mit den Vorgaben der oberstgerichtlichen Rechtsprechung

nicht übereinstimmt (vgl BSG in SozR 1500 § 160a Nr 7; BVerwG in Buchholz 310 § 108

VwGO Nr 266; BFHE 129, 313). Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall,

sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Re-

vision wegen Abweichung (BSG in SozR 1500 § 160a Nr 67). Vielmehr weicht das LSG

nur dann iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG als spezialgesetzlich geregeltem Unterfall der Zu-

lassung wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl BVerwG in Buchholz 310 § 132 Abs 2

Ziff 2 VwGO Nr 2) von einer Entscheidung ua des BSG ab, wenn es auch seinerseits zu-

mindest sinngemäß und in scheinbar fallbezogene Ausführungen gekleidet (BSG in SozR

1500 § 160 Nr 28; BAG AP Nr 9 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz) einen abstrakten

Rechtssatz aufstellt, der der zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehend aktu-

ellen - nicht also etwa von der zwischenzeitlichen Gesetzes- oder Rechtsprechungsent-

wicklung überholten (BSG in SozR 1500 § 160a Nrn 58, 61) - abstrakten Aussage des

BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt (BSG in SozR 1500

§ 160a Nr 67; BAG in AP § 72a ArbGG 1979 Nrn 1, 2, 10). Hieran fehlt es im vorliegen-

den Fall.



Der Kläger hat zwar den im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung zu stellenden Anforderun-

gen (vgl BAG AP § 72a ArbGG 1979 Nr 9) genügend in ausreichendem Umfang darge-

legt, daß den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils aus seiner Sicht zwingend ein

divergierender abstrakter Rechtssatz zu entnehmen sei. Indessen ergibt eine sachliche

Überprüfung dieser Behauptung, daß das LSG die "Rechtsprechung des Bundessozialge-

richts", lediglich im dort entschiedenen Einzelfall unzutreffend angewandt hat.



Zur Gewährleistung einer zuverlässigen Abgrenzung von den Fällen einer fehlerhaften

Rechtsanwendung erfordert die Anwendung von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG stets unverzicht-

bar, daß das LSG selbst zweifelsfrei in den Gründen seiner Entscheidung wenigstens

mittelbar und (im Ergebnis) eindeutig einen Rechtssatz aufstellen wollte (BVerfG in NJW

1996, S 45 mwN; BAG AP § 72a ArbGG 1979 Divergenz Nr 15). Hieran fehlt es evident

bereits immer dann, wenn das LSG eine Rechtsfrage übersehen (BVerwG in Buchholz

310 § 132 VwGO Nr 147) oder Tatsachen anders beurteilt hat, als dies in der angezoge-

nen Entscheidung geschehen ist (BVerwG in Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 128; BFHE

129, 313). Die genannte Voraussetzung kann aber auch nicht bereits dann angenommen

werden, wenn sich ein abstrakter Obersatz erst nachträglich aus der Sicht eines kundigen

Lesers logisch induktiv aus der Urteilsbegründung ableiten läßt (vgl BAG AP § 72a ArbGG

1979 Nrn 11, 13); andernfalls läge bei falscher Rechtsanwendung und Vorliegen einer

einschlägigen Entscheidung des BSG oder des BVerfG stets eine Divergenz vor. Eine mit

Hilfe der Revisionszulassung zu beseitigende Gefährdung der Rechtseinheit ist vielmehr

nur und erst dann zu befürchten, wenn die Ausführungen des Berufungsurteils unzwei-

felhaft die Deduktion des gefundenen Ergebnisses aus einem sich aus der Entscheidung



- 6 -



selbst wenigstens schlüssig ergebenden Rechtssatz, den das LSG als solchen auch

tatsächlich vertreten wollte (BVerfG und BAG aaO), erkennen lassen. Dies ist insbe-

sondere nicht der Fall, wenn sich das angefochtene Urteil - wie hier - auf den Boden "der

Rechtsprechung des Bundessozialgerichts" stellt und damit (nach dem Sachzusammen-

hang eindeutig) die Rechtssätze benennt, auf die es sich stützen will, dann aber unmittel-

bar anschließend dessen Aussagen zum - auf sechs Hauptstufen begrenzten - sog Mehr-

stufenschema (vgl Urteil des Senats in SozR 3-2600 § 43 Nr 13, 14) nur bruchstückhaft

wiedergibt.



Mißversteht das Berufungsgericht in dieser Weise einen Rechtssatz, dem es erkennbar

zu folgen gewillt war, und subsumiert es dementsprechend den von ihm festgestellten

Sachverhalt fehlerhaft (oder geht es zwar von einem zutreffenden Verständnis des Ober-

satzes aus, ordnet aber dennoch den von ihm festgestellten Sachverhalt unrichtig zu),

handelt es zwar im Einzelfall fehlerhaft, gefährdet aber - worauf es im vorliegenden Zu-

sammenhang allein ankommt - nicht die Rechtseinheit.



Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

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BSG, B 4 AS 69/10 S vom 20.07.2010, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss
in dem Rechtsstreit

Az: B 4 AS 69/10 S

L 7 AS 404/10 B ER (Bayerisches LSG)
S 10 AS 254/10 ER (SG Landshut)


1.
2.
3.
Antragsteller und Beschwerdeführer,



gegen



Arbeitsgemeinschaft für Grundsicherung für Arbeitsuchende Region Passau-Land,
Spitalhofstraße 37a, 94032 Passau,
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin.



Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 20. Juli 2010 durch die
Richterin S. K. als Vorsitzende sowie die Richterinnen

B. und H.
beschlossen:


Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 25. Juni 2010 - L 7 AS 404/10 B ER - wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.


- 2 -

Gründe:


[Abs. 1]
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die vorläufige Ge-
währung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Antrag-
stellerin zu 1 hat mit einem von ihr verfassten Schreiben vom 6.7.2010 gegen den
vorgenannten Beschluss ausdrücklich Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Mit dieser
Entscheidung hat das Bayerische LSG die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss
des SG Landshut vom 21.5.2010 - S 10 AS 254/10 ER - zurückgewiesen.



[Abs. 2]
Die Beschwerde der Antragsteller ist unzulässig. Der Beschluss des LSG vom 25.6.2010 ist,
worauf das LSG in der Entscheidung zutreffend hingewiesen hat, gemäß § 177 SGG nicht mit
der Beschwerde an das BSG anfechtbar.



[Abs. 3]
Die Verwerfung des Rechtsmittels der Antragsteller erfolgt ohne Beteiligung der ehrenamtlichen
Richter in entsprechender Anwendung des § 169 SGG.



[Abs. 4]
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

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BSG, B 4 AS 59/12 B vom 10.05.2012, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss
in dem Rechtsstreit

Az: B 4 AS 59/12 B
L 6 AS 299/11 (LSG Nordrhein-Westfalen)
S 23 (30) AS 403/08 (SG Dortmund)

Klägerin und Beschwerdeführerin,

gegen

Jobcenter Olpe,
Franziskanerstraße 6, 57462 Olpe,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 10. Mai 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. V. sowie die Richterinnen
S. K. und B.


beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Januar 2012 - L 6 AS 299/11 -
wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:


[Abs 1] Unter den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Grundsicherungsleistungen nach dem
SGB II für die Zeit von Januar 2007 bis August 2008 streitig. Das SG Dortmund hat die Klage
mit Urteil vom 13.12.2010 abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das
LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 19.1.2012 zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem vorbezeichneten, ihr am 3.3.2012 zugestellten, Urteil hat die Klägerin mit
einem von ihr selbst verfassten Schreiben vom 2.4.2012 ausdrücklich Beschwerde eingelegt.

[Abs 2] Die Beschwerde ist nach § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne
Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der
am 3.4.2012 abgelaufenen einmonatigen Frist durch einen Prozessbevollmächtigten eingelegt
worden ist (§ 160a Abs 1, § 64 Abs 2 S 1 SGG). Sie entspricht damit auch nicht der
gesetzlichen Form, weil sie nicht wirksam durch einen vor dem BSG zugelassenen
Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist (§ 73 Abs 4 SGG). Hierauf ist die Klägerin in der
Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils hingewiesen worden.

[Abs 3] Eine von der Klägerin ebenfalls beabsichtigte Revision ist nicht statthaft, da das LSG die Revi-
sion in seinem Urteil ausdrücklich nicht zugelassen hat und ein die Revision zulassender Be-
schluss des BSG (§ 160a Abs 4 S 2 SGG) nicht vorliegt.

[Abs 4] Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

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BSG, B 2 U 396/02 B vom 14.02.2003, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 2 U 396/02 B

Kläger und Beschwerdegegner,

Prozessbevollmächtigte:

gegen

Unfallkasse Sachsen-Anhalt,
Käsperstraße 31, 39261 Zerbst,

Beklagte und Beschwerdeführerin.

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat am 14. Februar 2003 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. B. sowie die Richter K.
und B.

beschlossen:

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. September 2002 wird als unzulässig
verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren
zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil des Landessozialge-
richts (LSG) gerichtete, auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und
des Verfahrensmangels gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Be-
gründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialge-
richtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bun-
dessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, dass der Zulassungsgrund schlüs-
sig dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34, 47 und 58; vgl hierzu auch
Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl, 2002, IX,
RdNr 177 und 179 mwN). Daran mangelt es hier.

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche
Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muss nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG
diese grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgezeigt werden. Hierzu ist zunächst
darzulegen, welcher konkreten abstrakten Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beige-
messen wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). Denn die Zulassung der Revision erfolgt
zur Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen und nicht zur weiteren Entscheidung des
Rechtsstreits. Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren
Voraussetzungen für die begehrte Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prü-
fen zu können (Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 181). Dazu ist erforderlich, dass ausge-
führt wird, ob die Klärung dieser Rechtsfrage grundsätzliche, über den Einzelfall hinaus-
gehende Bedeutung hat. Insbesondere hat der Beschwerdeführer darzulegen, dass die
Rechtsfrage klärungsbedürftig, also zweifelhaft, und klärungsfähig, mithin rechtserheblich
ist, so dass hierzu eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu erwarten ist (BSG SozR
3-1500 § 160 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Zur Klärungsfähigkeit gehört auch,
dass die Rechtsfrage in einem nach erfolgter Zulassung durchgeführten Revisionsverfah-
ren entscheidungserheblich ist (BSG Beschluss vom 11. September 1998 - B 2 U
188/98 B -).

Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich
beantwortet ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65)
oder wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen ist (BSG SozR 1300 § 13
Nr 1), wenn sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17), wenn sie prak-
tisch außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4) oder wenn sich für die Antwort in
anderen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (BSG SozR 3-
1500 § 146 Nr 2 und § 160 Nr 8; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990,
RdNr 117; Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 66). Die Klärungsbedürftigkeit ist schließlich
nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage nicht mehr geltendes Recht betrifft und nicht er-
kennbar wird, dass noch eine erhebliche - genau zu bezeichnende - Anzahl von Fällen

- 3 -

nach diesen Vorschriften zu entscheiden sind (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 19; Be-
schlüsse des Senats vom 15. September 1986 - 2 BU 104/86 -, vom 23. August 1996
- 2 BU 149/96 -, vom 26. Oktober 1998 - B 2 U 252/98 B - nachfolgend Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 2000 - 1 BvR 2198/98 - sowie vom 29. April
1999 - B 2 U 178/98 B - HVBG-Info 1999, 2943; Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 187)
oder dass die Rechtsfrage für das neue Recht weiterhin von Bedeutung ist (BSG SozR
1500 § 160a Nr 58; Beschlüsse des BSG vom 26. November 1996 - 3 BK 4/96 -,
31. März 1999 - B 7 AL 170/98 B - und 6. Mai 1999 - B 11 AL 209/98 B -).

Die Beklagte hält die Frage für eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage, "ob Strafge-
fangene während des Arbeitseinsatzes zu DDR-Zeiten zum Kreis der in der Sozialver-
sicherung der ehemaligen DDR versicherten Personen gehörten und Unfälle beim Ar-
beitseinsatz entsprechend Arbeitsunfälle nach DDR-Recht waren, oder ob sich unabhän-
gig von dieser Frage bereits aus §§ 6 Abs 2, 3 und 38 StVG ergibt, dass Unfälle von
Strafgefangenen während des Arbeitseinsatzes zu DDR-Zeiten als Arbeitsunfälle nach
den Vorschriften der ehemaligen DDR zu werten waren, mit der Folge, dass im Rahmen
des doppelten Prüfrechts entsprechende Unfälle auch nach dem Recht des Dritten
Buches der RVO zu entschädigen sind". Diese Frage habe über den Einzelfall hinausge-
hende Bedeutung, da allein bei ihr - der Beklagten - noch zahlreiche Parallelfälle anhän-
gig seien. Die aufgezeigte Frage sei klärungsbedürftig, weil das BSG zu diesem
Problemkreis bisher noch nicht Stellung genommen habe. Ihre Beantwortung ergebe sich
auch nicht zweifelsfrei aus dem Gesetz selbst. Sie sei schließlich in einem anschließen-
den Revisionsverfahren auch klärungsfähig und entscheidungserheblich.

Die Beschwerdebegründung der Beklagten entspricht nicht den dargestellten besonderen
Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechts-
frage. Entgegen der bloßen Behauptung der Beklagten steht die Beantwortung der
Rechtsfrage praktisch außer Zweifel, weil sie sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Der
Unfall des Klägers vom 27. Dezember 1985 während eines Arbeitseinsatzes im Rahmen
seiner Strafhaft war Arbeitsunfall der Sozialversicherung der DDR. Durch das Strafvoll-
zugsgesetz der DDR (StVG) vom 7. April 1977 (GBl I Nr 11 S 109) wurde ein Unfallver-
sicherungsschutz während der Haft eingeführt. Dies ergibt sich eindeutig aus den vom
LSG angezogenen Vorschriften der §§ 6 und 38 StVG (vgl Beschluss des Thüringer LSG
vom 25. Februar 2002 - L 1 U 92/01 - HVBG-Info 2002, 2053). Die unter Hinweis auf die
Rechtsauffassungen der für die Strafgefangenen zuständigen Unfallversicherungsträger
in den Ländern Sachsen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern durch die Beklagte ver-
tretene gegenteilige Auffassung erschließt sich dem Senat weder aus den Ausführungen
in ihrer Beschwerdebegründung noch aus ihren Schriftsätzen im Berufungsverfahren.

- 4 -

Soweit die Beklagte als Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend macht,
das LSG hätte ihrem Vertagungsantrag entsprechen müssen und nicht entscheiden dür-
fen, hat sie diesen Verfahrensfehler nicht schlüssig dargelegt. Ihrem weiteren Vorbringen
ist zu entnehmen, dass einer ihrer Mitarbeiter auf telefonische Anfrage des LSG der Ent-
scheidung nach einer Verhandlung ohne Beteiligung der Beklagten zugestimmt habe und
hilfsweise den Antrag gestellt habe, die Revision zuzulassen. Zwar macht die Beklagte
weiter geltend, der betreffende Mitarbeiter sei mit dem Prozessstoff überhaupt nicht ver-
traut gewesen. Sie hat indes weiter weder vorgetragen, dass dieser Mitarbeiter zur Ab-
gabe der zitierten Erklärung nicht befugt gewesen sei, noch dass dem entscheidenden
Senat des LSG dieser Umstand bekannt gewesen sei.

Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2
iVm § 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 1 KR 63/11 B vom 21.09.2011, Bundessozialgericht
Seite 1

1 BUNDESSOZIALGERICHT
2 Beschluss

3 in dem Rechtsstreit

4 Az.: B 1 KR 63/11 B
5 L 5 KR 347/10 (Bayerisches LSG)
6 S 2 KR 346/09 (SG Regensburg)

7
8 ...
9 Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer

10 Prozessbevollmächtigte
11 …

12 gegen

13 ...-Krankenkasse
14 ...

15 Beklagte und Beschwerdegegnerin

16 Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21. September 2011 durch
17 den Präsidenten M... sowie die Richterin Dr. R... und den
18 Richter Dr. E...
19 beschlossen:

20 Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der
21 Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 2011 Prozesskosten-
22 hilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin ... , zu gewähren, wird
23 abgelehnt.

Seite 2

1 Gründe:

I.
2 [Abs. 1] Der bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren, Kostenerstat-
3 tung für die (wiederholte) Entfernung harter und weicher Zahnbeläge im Jahr 2008 zu erhalten
4 und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, medizinisch ausreichende Leistungen zur
5 Zahnbelagentfernung zu erbringen, in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG. hat ua
6 ausgeführt, der Sachleistungsanspruch sei nach Nr 107 Bema-Z auf die einmalige Entfernung
7 harter Zahnbeläge pro Kalenderjahr begrenzt (Urteil vom 28.6.2011).

8 [Abs. 2] Der Kläger begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seiner
9 Rechtsanwältin für seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II.

10 [Abs. 3] Der Antrag des Klägers ist abzulehnen, da er keinen Anspruch auf PKH unter Beiordnung eines
11 Rechtsanwaltes hat. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm 5 114, 5 121 ZPO kann einem bedürfti-
12 gen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein
13 Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn — ua - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
14 Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

15 [Abs. 4] Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht
16 durchdringen. Nach Durchsicht der Akten fehlen - auch unter Würdigung des Vorbringens des
17 Klägers - Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 Nr1 bis 3 SGG abschließend
18 aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.

19 [Abs. 5] 1. Die Sache bietet weder Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende
20 grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch ist ersichtlich, dass das LSG entscheidungs-
21 tragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein
22 könnte (Zulassungsgründe des § 160 Abs 2 Nr 1 und Nr2 SGG). Insbesondere zu der sich hier
23 stellenden Rechtsfrage nach dem Umfang einer Zahnreinigung als Leistung der GKV hat der
24 erkennende Senat grundlegend am 21.6.2011 entschieden: Nach den Richtlinien für eine aus-
25 reichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (idF vom
26 4.6./24.9.2003, BAnz Nr 226 vom 3.12.2003 S 24966, zuletzt geändert durch Beschluss vom
27 1.3.2006; BAnz Nr 111 vom 17.6.2006 S 4466) gehören als sonstige Behandlungsmaßnahmen
28 nach B.Vl.1. zur vertragszahnärztlichen Versorgung das Entfernen von harten verkalkten Be—
29 lägen und die Behandlung‘von Erkrankungen der Mundschleimhaut. Leistungen können Ver-
30 sicherten als Naturalleistungen nur dann von einem Vertragszahnarzt zu Lasten der GKV er-

Seite 3

1 bracht und abgerechnet werden, wenn sie im Bema-Z (hier Nr 107) aufgeführt sind. Eine grund-
2 rechtsorientierte Leistungsausweitung kann nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig töd-
3 lichen oder wertungsmäßig hiermit vergleichbaren Erkrankungen in Betracht gezogen werden
4 (BSG Urteil vom 21.6.2011 - B 1 KR 17/10 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Ange-
5 sichts der vorhandenen und im Volltext in juris vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist ver-
6 öffentlichten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist nicht ersichtlich, dass weiterer Klärungs-
7 bedarf aufgezeigt werden kann (vgl. Kummer Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010,
8 RdNr 316 mwN).

9 [Abs. 6] 2. Auch bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Kläger einen die Revisionszulassung recht-
10 fertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2
11 Nr 3 SGG). Allerdings ist die Vorinstanz insbesondere dem in der mündlichen Verhandlung
12 gestellten Antrag auf Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur
13 erhöhten Notwendigkeit der Zahnbelagsentfernung beim Kläger nicht nachgekommen. Auf die
14 Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) kann eine Nichtzulassungsbeschwerde
15 indes nur gestützt werden, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne
16 hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Das LSG hat die Beweiserhebung zur medizinischen
17 Notwendigkeit zwar alleine mit dem Hinweis auf Nr 107 Bema-Z abgelehnt. Der anwaltlich ver-
18 tretene Kläger hat jedoch lediglich unter Bezug auf eine wissenschaftliche Stellungnahme zur
19 Zahnsanierung vor und nach Organtransplantationen „ein erhöhtes Risiko einer bakteriellen Infek-
20 tion nach der Organtransplantation“ geltend gemacht. Hiervon ausgehend wird sich mangels
21 durchgreifender Hinweise auf eine grundrechtsorientierte Leistungsausweitung nicht schlüssig
22 aufzeigen lassen, dass weitere Ermittlungen von Amts nahe gelegen hätten (hierzu vgl Meyer-
23 Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 103 RdNr 8 mwN). Im Übrigen wird mit Blick auf
24 die Hauptanträge (Kostenerstattung trotz fehlender Einhaltung des Beschaffungswegs und Fest-
25 stellung trotz Subsidiarität) voraussichtlich auch nicht dargelegt werden können, dass die Ent-
26 scheidung der Vorinstanz auf einem Verfahrensfehler beruht.

27 M Dr. E Dr R

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EGMR 20584/11 vom 16.05.2013, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
23. Mai 2013

Beschwerde Nr. 20584/11
... ./. Deutschland

...

Ihre am 27.März 2011 eingelegte Beschwerde wurde hier unter der obigen Nummer
registriert.

Hiermit teile ich Ihnen mit, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwischen
dem 2. Mai 2013 und dem 16. Mai 2013 in Einzelrichterbesetzung (H. Keller, unterstützt von
einem Berichterstatter in Übereinstimmung mit Artikel 24 Absatz 2 der Konvention)
entschieden hat, die Beschwerde für unzulässig zu erklären. Diese Entscheidung erging am
zuletzt genannten Datum.

Soweit die Beschwerdepunkte in seine Zuständigkeit fallen, ist der Gerichtshof aufgrund aller
zur Verfügung stehenden Unterlagen zu der Auffassung gelangt, dass die in Artikel 34 und
35 der Konvention niedergelegten Voraussetzungen nicht erfiillt waren.

Diese Entscheidung ist endgültig und unterliegt keiner Berufung an den Gerichtshof sowie an
die Grosse Kammer oder eine andere Stelle. Sie werden daher Verständnis dafür haben, dass
die Kanzlei Ihnen keine weiteren Auskünfte über die Beschlussfassung des Einzelrichters
geben und auch keinen weiteren Schriftverkehr mit Ihnen in dieser Angelegenheit führen
kann. Sie werden in dieser Beschwerdesache keine weiteren Zuschriften erhalten, und die
Beschwerdeakte wird ein Jahr nach Datum dieser Entscheidung vernichtet werden.

Das vorliegende Schreiben ergeht nach Artikel 52A der Verfahrensordnung des
Gerichtshofes.

Mit freundlichen Grüßen
Für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

...
Referent

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1 BvR 1484/10

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BVerfG, 1 BvR 1484/10 vom 28.09.2010, Bundesverfassungsgericht
Ausfertigung

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1484/10 -

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde

des

gegen a) den Beschluss des Bundessozialgerichts
vom 21. Mai 2010 - B 1 KR 6/10 BH -

b) das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 17. November 2009 – L 5 KR 187/08 -

und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten K...
die Richter B...
und S...
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BverfGG in der Fassung der Bekannt-
machung vom 11. August 19993 (BGBl I S. 1473)
vom 28. September 2010 einstimmig beschlossen:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird
abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne
Aussicht auf Erfolg ist.

Die Verfassungsbeschwerde wird – unbeschadet einer
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - nicht zur
Entscheidung angenommen.

Von einer Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BverfGG
abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

K... B... S...

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20584/11 EGMR

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LSG BAY, L 5 B 314/08 KR ER vom 03.06.2008, Bayerisches Landessozialgericht
Ausfertigung

L 5 B 314/08 KR ER
Sozialgericht Regensburg
S 14 KR 69/08 ER

BAYR. LANDESSOZIALGERICHT

In der B e s c h w e r d e s a c h e

- Antragsteller und Beschwerdeführer -

g e g e n

... - Krankenkasse,

- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -

wegen einstweiliger Anordnung

erlässt der 5. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in München

am 3. Juni 2008

ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landesso-
zialgericht M... sowie die Richterin am Bayer. Landessozialgericht W....—
-W.. und den Richter am Bayer. Landessozialgericht R... folgenden

Beschluss:

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Regensburg vom 12.03.2008 wird zurückgewie-
sen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

G r ü n d e

Der am geborene Antragsteller ist multimorbid und
leidet insbesondere an einer chronischen dialysepflichtigen
Niereninsuffizienz‚ weswegen er laufend hämodialysiert wird. Er
begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Fahrtkostener-
stattung von der Antragsgegnerin, bei welcher er gesetzlich
krankenversichert ist.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2008 wies die Antragsgegne-
rin mehrere Widersprüche des Antragstellers gegen Fahrtkosten-
abrechnungen zurück, weil diese das notwendige Maß überschrit-
ten hätten, unter anderem weil die Fahrten zu ambulanten Be-
handlungen außerhalb der Dialyse nicht erstattungsfähig seien.

Dagegen hat der Antragsteller Klage zum Sozialgericht Regens-
burg erhoben und gleichzeitig einstweiligen Rechtsschutz bean-
tragt. Unbestritten müsse die Antragsgegnerin die Fahrtkosten
zu medizinisch notwendigen Behandlungen erstatten. Er sei als
Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsunfähige
bei einem Regelsatz von monatlich 278,00 EUR nicht in der Lage,
die erforderlichen Taxikosten zu tragen. Zudem seien nicht nur
20 Cent, sondern 30 Cent pro gefahrenen Kilometer erstattungs-
pflichtig. Dagegen hat sich die Antragsgegnerin gewandt und
ausgeführt, grundsätzlich übernehme sie die notwendigen Fahrt-
kosten für notwendige medizinische Behandlungen. Die entspre-
chende gesetzliche Regelung lasse jedoch höhere als die bislang
angesetzten Kostenerstattungen nicht zu.

Mit Beschluss vom 12.03.2008 hat das Sozialgericht den Antrag
zurückgewiesen im Wesentlichen mit der Begründung, eine unmit-
telbare Gefährdung für Leib und Leben des Antragstellers sei
bei der Nichtgewährung des einstweiligen Rechtsschutzes nicht
erkennbar. Zu beachten sei, dass die Entscheidung des einstwei-

- 3 -

ligen Rechtsschutzverfahrens zu Gunsten des Antragstellers die
Hauptsache vorwegnehmen würde, weil im Falle der Unrechtmäßig-
keit dieser Entscheidung der Erstattungsanspruch der Antrags-
gegnerin mangels finanzieller Leistungskraft des Antragstellers
ins Leere liefe. Eine konkrete Gefährdung des Antragstellers
sei nicht erkenntlich, zumal der Antragsteller dargetan habe,
er könne mit einem eigenen bzw. geliehenen Pkw fahren. Aus den
medizinischen Unterlagen ergebe sich, dass der Antragsteller
öffentliche Verkehrsmittel nutzen könne, wenn auch nicht regel-
mäßig. Die Fahrkostenabrechnungen der Beklagten seien auch der
Höhe nach zutreffend erfolgt, insbesondere seien nur 20 Cent
je gefahrenen Kilometer, nicht aber 30 Cent erstattungsfähig.

Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt und geltend
gemacht, streitig sei nicht die Erstattungshöhe in Höhe von
30 Cent oder 20 Cent, sondern er beantrage die Übernahme von
Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen mit jeglichem Transport-
mittel, nicht nur mit Taxen. Das Vorgehen der Antragsgegnerin
stelle einen Verstoß gegen seine Menschenwürde dar, weil er im-
mer wieder um Zahlungsaufschübe betteln müsse. Der Zweck des
Schonvermögens, aus welchem er die Kosten vorstrecken müsse,
werde von der Antragsgegnerin verkannt. Die Verweigerung der
notwendigen Fahrkosten sei ein Angriff auf seinen Leib und sein
Leben. Es sei abzusehen, dass die Verwandten des Antragstellers
künftig nicht mehr bereit sein könnten, ihr Fahrzeug zur Verfü-
gung zu stellen. Auch im Übrigen sei der angefochtene Beschluss
rechtswidrig.

Die Antragsgegnerin hat Zurückweisung der Beschwerde begehrt
und auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig
(§§ 172 ff. Sozialgerichtsgesetz — SGG —)‚ aber unbegründet.

- 4 -

Unter Bezugnahme auf die zutreffenden Ausführungen des ange-
fochtenen Beschlusses ist zunächst auszuführen, dass für die
begehrte Regelungsanordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG
ein Anordnungsgrund‚ der die Eilbedürftigkeit begründet sowie
ein Anordnungsanspruch, welcher die Rechtsgrundlage für das mat
terielle Begehren bildet, bestehen muss. Weil vorliegend keine
konkrete Gefährdung für Leib und Leben des Klägers durch Nicht-
behandlung einer lebensbedrohlichen Krankheit im Streite steht,
ist im Wege des summarischen Verfahrens zu entscheiden, ob der
geltend gemachte einstweilige Rechtsschutz zu gewähren ist oder
nicht.

In Würdigung der Beschwerdeschrift vom 11.04.2007 ergibt sich,
dass der Antragsteller sein Begehren erweitert hat und nunmehr
die Übernahme von Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen mit
jeglichem Transportmittel streitig ist. Nicht mehr zu befinden
ist hinsichtlich der Erstattungshöhe ob 20 oder 30 Cent pro ge-
fahrenem Kilometer zu zahlen wären.

Ein solches weitgehendes Begehren ist dem einstweiligen Rechts-
schutz nicht zugänglich, zumal die Antragsgegnerin erklärt hat,
dass sie grundsätzlich die Fahrkosten zur Dialyse, zur statio-
nären Behandlung sowie im Übrigen nach Maßgabe des 5 60 Sozial-
gesetzbuch V übernimmt. Danach hat sie auch gehandelt, indem
sie die entsprechenden Kostenerstattungen für die Vergangenheit
erbracht hat — wenn auch die Höhe der zu erstattenden Leistung
und deren Umfang streitig geblieben ist. Eine generelle Ver-
pflichtung der Antragsgegnerin, Fahrkosten in angefallener Höhe
zu nicht näher konkretisierten Behandlungen zu erstatten ist
damit nicht veranlasst. Eine solche Entscheidung widerspräche
auch der gesetzlichen Regelung in § 60 SGB V, welche in einer
klaren Ordnungsstruktur bestimmt, unter welchen Voraussetzungen
welche Fahrkostenerstattungen geleistet werden dürfen.

Die Beschwerde des Antragstellers ist deshalb in vollem Umfang
zurückzuweisen.

- 5 -

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gegen diesen Beschluss ist Beschwerde zum Bundessozialgericht
nicht eröffnet, § 177 SGG.

M... W...—W... R...

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siehe auch
L 5 B 748/08 KR
1 BvR 1601/08

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SG R, S 14 KR 69/08 ER vom 12.03.2008, Sozialgericht Regensburg
S 14 KR 69/08 ER

SOZIALGERICHT REGENSBURG

In dem Antrags Verfahren


— Antragsteller —

g e g e n

… —Krankenkasse,

— Antragsgegnerin —

erlässt der Vorsitzende der 14. Kammer, Richter am Sozialge-
richt Dr. E… , ohne mündliche Verhandlung am
12. März 2008 folgenden

Beschluss:

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anord-
nung bezüglich der Erstattung von Fahrtkosten zur
ambulanten Behandlung wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2-

Gründe

Die Beteiligten streiten in dem Hauptverfahren und vorliegenden
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Erstattung
von Fahrtkosten.

Der am ... geborene Antragsteller (Ast) ist Dialysepati—
ent, im Rahmen der Schwerbehindertenrechts verfügt er über das
Merkzeichen "G" und "RF". Streitig ist zum einen, ob für die
Fahrten mit dem privaten Pkw zu den Behandlungen 20 Cent oder
30 Cent pro gefahrene Kilometer erstattet werden, zum anderen
ob Fahrten mit dem Taxi anlässlich ambulanter Behandlungen zu
übernehmen sind.

Letztlich mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2008 sind beide
Begehren des Ast abgelehnt worden. Der Ast selbst bezieht Hilfe
zum Lebensunterhalt durch das Sozialamt Regensburg.

Mit seinem Antrag auf einstweilige Anordnung möchte er gerade
wegen des Verwiesenseins auf Hilfe zum Lebensunterhalt die
Fahrtkosten bzw. die erhöhten Fahrtkosten bezahlt bekommen, um
seine Fahrten zu gewährleisten. Derzeit werde er durch Angehö-
rige gefahren, dieser Zustand sei jedoch nicht tragbar, falls
die Hilfsperson ausfallen sollte.

Die Antragsgegnerin (Ag) führte zu dem Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung aus, dass weder ein Anordnungsanspruch
noch ein Anordnungsgrund gegeben sei. Der Anordnungsanspruch
hinsichtlich einer erhöhten Entschädigung mit einer Pauschale
von 30 Cent pro gefahrenen Kilometer scheitere an dem anwendba-
ren Bundesreisekostengesetz, wonach ein erhebliches dienstli-
ches Interesse bestehen müsse (analog angewandt auf das Kran-

- 3 -

kenversicherungsrecht). Dies sei nicht gegeben. Ebenso seien
die Taxifahrten nicht zu übernehmen, da die Voraussetzungen
nach den Krankentransport—Richtlinien beim Ast nicht vorliegen
würden. Nachdem er die erforderlichen Merkzeichen "aG" und "H"
nicht aufweise‚ des Weiteren nicht die Pflegstufe II, sei auf
eine hohe Behandlungsfrequenz abzustellen. Der Medizinische
Dienst der Krankenversicherung habe sich dahingehend eingelas-
sen, dass eine solche nicht gegeben sei.

Des Weiteren liege kein Anordnungsgrund vor, da der Ast durch-
aus öffentliche Verkehrsmittel benutzen könne. Schwere oder un-
zumutbare, nicht anders abzuwendende Nachteile würden nicht
entstehen. Als letztes Mittel würden dem Ast Leistungen der So-
zialhilfe zur Verfügung stehen.

Bezug genommen wird zur Ergänzung der Gründe auf die Ausführun-
gen des Ast sowie der Ag.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zuläs-
sig, jedoch nicht begründet.

Gemäß § 86 b Abs.2 Sozialgerichtsgesetz TSGG) kann das Gericht
der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug
auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass
durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirkli-
chung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streiti-
ges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antrag
ist schon vor Klageerhebung zulässig. Erfasst werden somit in
§ 86 Abs. 2 SGG sowohl die sogenannte Sicherungsanordnung als
auch die sogenannte Regelungsanordnung.

- 4 -

Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist,
dass sowohl ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund ge-
geben sind. Anordnungsanspruch ist dabei der materielle An-
spruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtschutz
sucht, Anordnungsgrund ist die Eilbedürftigkeit der begehrten
Sicherung oder Regelung (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m.
§ 920 ZPO). Das Gericht prüft, ob Anspruch und Grund glaubhaft
gemacht worden sind. Eine endgültige Entscheidung in der Haupt-
sache wird durch die einstweilige Anordnung nicht vorweggenom—
men .

Aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zuläs-
sigen summarischen und pauschalen Prüfung der Sach- und Rechts-
lage kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass zumindest ein An-
ordnungsgrund nicht gegeben ist. Das Gericht sieht ebenso wie
die Ag keine unzumutbaren Nachteile für den Ast, das Hauptver-
fahren abzuwarten. Denn wenn nunmehr positiv für den Ast im
Verfahren der einstweiligen Anordnung entschieden werden würde,
so käme dies der Vorwegnahme der Hauptsache gleich, da dem Ast
die begehrten Fahrtkosten vorerst zugestanden würden. Nachdem
der Ast Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt bezieht, wären
diese Leistungen nicht mehr rückabwickelbar, falls sich im
Hauptverfahren herausstellen sollte, dass dem Ast der Anspruch
nicht zusteht. Soweit eine Verweisung auf Leistungen der Sozi-
falhilfe ausscheidet‚ müsste bei Nichtgewährung der beantragten
Leistungen eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben des Ast
bestehen (LSG Niedersachsen—Bremen, NZS 2004, 112). Dies hat
der Ast ebenso nicht dargetan. Vielmehr gibt er selber zu, dass
er im Notfall durch Angehörige gefahren werden kann. Er benö-
tigt die einstweilige Anordnung nur deshalb, um für den Ausfall
dieser Personen oder dieser Person eine Rückversicherung zu ha-
ben. Dies ist mit dem Rechtsinstitut der einstweiligen Anord-
nung mangels nunmehriger konkreter Gefährdung nicht machbar.
Zwar geben die hereingereichten ärztlichen Bescheinigungen um-
fassende Diagnosen des Ast an, wie z.B. die Niereninsuffizienz
seit 1977 und darauffolgende Nierentransplantationen. Eine
Übernahme der Taxikosten wird auch durch die ärztlichen Be-

scheinigungen für Fahrten außer zu den Dialysebehandlungen zur
ambulanten Untersuchungen gefordert. Insoweit ist jedoch darge-
tan, dass der Ast seinen eigenen Pkw fahren kann, dies ihm je-
doch mitunter oftmals nicht möglich ist. Zudem kann der Ast, so
die Bescheinigungen, Bus und Bahn benutzen, diese jedoch nicht
regelmäßig. Im Hinblick auf die Möglichkeiten der Fortbewegung
ist eine erhebliche Gefährdung, die für einen Anordnungsan—
spruch erforderlich wäre, nicht gegeben.

Zudem zweifelt das Gericht an dem Anordnungsanspruch. Zum einen
ist der Betrag von 20 Cent gesetzlich im anwendbaren Reiseko-
stengesetz ausgewiesen, zum anderen sind die Taxifahrten zu den
ambulanten Behandlungen durch die Krankentransportrichtlinien
nur für Fälle einer hohen und dichten Behandlungsfrequenz vor-
behalten, nachdem der Ast weder das Merkzeichen "aG” noch "H"
noch die Pflegestufe II aufweist. Die hohe Behandlungsfrequenz
hat der Medizinische Dienst der Krankenversicherung nach Sich-
tung der Unterlagen abgelehnt. Diese Stellungnahme müsste durch
weitere Beweisaufnahmen erst erschüttert werden. Dafür ist das
Hauptverfahren zuständig, nicht im Zusammenhang mit dem Fehlen
des Anordnungsgrundes das Verfahren des einstweiligen Rechts-
schutzes.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist gemäß den §§ 172 Abs.1, 173 SGG Be-
schwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Be-
schwerde ist binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Sozialgericht Regensburg, Safferlingstraße 23, 93053
Regensburg, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeam—
ten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde in-
nerhalb der Frist beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße

15‚ 80539 München oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landesso—
zialgerichts‚ Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder
mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäfts-
stelle eingelegt wird.

Der Vorsitzende der 14. Kammer

Dr. E...
Richter am Sozialgericht

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L 5 B 314/08 KR ER

L 5 B 748/08 KR ER C

1 BvR 1601/08

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SG R, S 14 KR 60/08 vom 13.06.2008, Sozialgericht Regensburg
SOZIALGERICHT REGENSBURG

GERICHTSBESCHEID

in dem Rechtsstreit

- Kläger -

Proz. Bev.: D.

gegen

... Krankenkasse,

Die 14. Kammer des Sozialgerichts Regensburg erlässt durch ihren Vorsitzenden, Richter
am Sozialgericht ... , am 13. Juni 2008 ohne mündliche Verhandlung folgenden

Gerichtsbescheid:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Tatbestand und Entscheidungsgründe:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Fahrtkosten. Der am ...

geborene Kläger ist multimorbid und leidet an einer dialysepflichtigen chronischen

Niereninsuffizienz. Mit Antrag vom 10.05.2007 begehrte er die Übernahme von

Fahrtkosten mit einem Taxi mit Rechnung vom 26.04.2007 in Höhe von 60,00 €.

Weitere Taxikosten vom 28.06.2007 wurden mit Antrag vom 07.07.2007 in Rech-

nung gestellt. Die Beklagte wies mit Bescheid vom 08.05.2007 und dann mit Be-
scheid vom 22.08.2007 darauf hin, dass die Taxifahrt vom 26.04. nicht übernom-
men werden könne, da nicht im Zusammenhang mit der ... erfolgt. Im Be-
scheid vom 22.08.2007 ist dargetan, dass die Fahrtkosten zu einer ambulanten
Behandlung ebenso nicht übernommen werden können, da nicht für die ...
erfolgt. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers führte zu zwei Stellung-
nahmen
des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), wonach
keine hohe Behandlungsfrequenz gegeben sei und somit die Voraussetzungen für
eine Kostenübernahme nicht vorliegen würden. Dies wurde dem Kläger mit Wider-
spruchsbescheid vom 05.02.23008 so mitgeteilt unter Hinweis auf die Kranken-
transport-Richtlinien.

Dagegen legte der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg ein. Diese Klage
(S 14 KR 60/08) wurde mit dem Rechtsstreit S 14 KR 66/08 verbunden. Unter dem
Aktenzeichen S 14 KR 60/08 wurden beide Rechtsstreitigkeiten weitergeführt. Der
vormalige Rechtsstreit S 14 KR 66/08 bezeichnet zwar in seiner Klage wiederum
den Bescheid vom 22.08.2007, aus der Vollmacht an den Vertreter des Klägers
geht jedoch hervor, dass damit die Kilometerpauschale beklagt werden sollte. Die-
se wurde mit Antrag vom 21.10.2007 (als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X)
bezeichnet durch den Kläger bei der Beklagten eingereicht. Es sollten nicht Fahrt-
kosten in Höhe von 20 Cent, sondern von 30 Cent angesetzt werden. Mit Be-
scheid vom 29.10.2007 wies die Beklagte darauf hin, dass gemäß dem Kranken-

- 3 -

versicherungsrecht nur 20 Cent angeordnet werden könnten. Der dagegen einge-
legte Widerspruch endete im Widerspruchsbescheid vom 05.02.2008.

Daneben betrieb der Kläger einen weiteren Rechtsstreit unter seinem eigenen
Namen unter dem Az. S 14 KR 70/08. Insoweit erging Gerichtsbescheid vom
02.05.2008 wegen Unzulässigkeit dieser Klage. Ein weiteres Verfahren als einst-
weilige Anordnung unter dem Az S 14 KR 69/08 ER betrieben endete mit dem Be-
schluss vom 12.03.2008, wonach der Antrag zurückgewiesen wurde. Eine Be-
schwerde dagegen hatte keinen Erfolg (Beschluss des BayLSG vom 03.06.2008).

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers beantragen sinngemäß,

sowohl die Bescheide vom 08.05.2007 und 22.08.2007 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.2008 wie
den Bescheid vom 29.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchs-
bescheids vom 05.02.2008 aufzuheben und dem Kläger für
Fahrten zur ambulanten Untersuchung und Behandlung die
Taxikosten zu erstatten bzw. soweit selbst gefahren wird, einen
höheren Entschädigungssatz von 0,30 € anzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass Gerichtsbescheid ergehen kann.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte so-
wie die Gerichtsakten in den Verfahren S 14 KR 66/08, S 14 KR 70/08 und S 14
KR 69/08 ER sowie die Beklagtenakten. Sämtlicher Inhalt war Gegenstand der

Entscheidungsfindung.

II.

Die zulässigen Klagen sind im Sinne einer objektiven Klagehäufung nicht begründ-
et, denn die Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig.

Das Gericht kann gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbe-
scheid entscheiden, da der Sachverhalt keine besonderen Schwierigkeiten tat-
sächlicher bzw. rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Das Gericht macht ebenso von der Vorschrift des § 136 Abs.3 SGG Gebrauch,
der im Verfahren des Gerichtsbescheids ebenso seine Anwendung findet und
verweist auf die Darstellung in den Entscheidungsgründen der Bescheide und Wi-
derspruchsbescheide der Beklagten, denen es folgt und die sie sich zu eigen
macht.

Die Beklagte hat zu Recht § 60 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i. V. m.
dem Bundesreisekostengesetz (BRKG) angewandt, wonach die Höchstvergü-
tungspauschale von 0,20 € pro gefahrenem Kilometer anzusetzen ist. Für eine hö-
here Höchstvergütungspauschale bleibt somit von Gesetzes wegen kein Raum. D
iese Handhabung entspricht dem § 5 BRKG, wonach 20 Cent pro Kilometer
festgeschrieben sind; ein erheblich darüber hinausgehendes („dienstliches“) be-
stehendes Interesse für eine Wegstreckenentschädigung von 30 Cent pro Kilome-
ter kann im Fall des Klägers nicht gesehen werden. Er selbst gibt kein darüber
hinausgehendes Interesse an, verweist nur darauf, dass der Höchstbetrag eben
30 Cent sei. Dies reicht nicht aus.

Soweit es die Fahrkosten zu den ambulanten Behandlungen außerhalb der ...
betrifft (Taxifahrten) fehlt es schon an der vorherigen Genehmigung durch die
Beklagte; des Weiteren sind die Voraussetzungen nach den anwendbaren Kran-
kentransport-Richtlinien nicht erfüllt. Der Kläger weist in seinem Schwerbehinder-
tenausweis nicht die Merkzeichen „aG“, „BL“ oder „H“ auf (nur ...)
und verfügt nicht über die Pflegestufe II oder III in der Pflegeversiche-
rung. Eine hohe Behandlungsfrequenz wurde durch den MDK zu Recht abgelehnt.

Wie das BayLSG in seinem Beschluss vom 03.06.2008, in Bestätigung des Be-
schlusses des SG Regensburg vom 12.03.2008 ausführt, hat die Beklagte grund-
sätzlich zu Recht die Fahrkosten zur ... und zur stationären Behandlung so-
wie nach Maßgabe des § 60 SGB V übernommen. Eine weiter darüber hinausge-
hende Entscheidung lassen die Vorschriften nicht zu.

- 5 -

Somit bestehen keine Ansprüche, weder nach dem Sachleistungsprinzip des § 13
Abs. 1 SGB V noch als Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 SGB V (die-
ser kann nicht weiter reichen, als ein Sachleistungsanspruch).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden, da es dem Klä-
ger nicht nur um die Einforderung einer Summe von unter 750,00 € geht(§ 144
SGG), sondern die Klage darauf gerichtet ist, weiterhin und künftig Taxikosten
bzw. Fahrtkosten zu übernehmen bzw. in höherer Art zu übernehmen.

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L 5 KR 187/08 (Bayerisches LSG)
B 1 KR 6/10 BH (Bundessozialgericht)
1 BvR 1484/10 (Bundesverfassungsgericht)
20584/11 (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte)

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BSG, B 1 KR 6/10 BH vom 21.05.2010, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 6/10 BH
L 5 KR 187/08 (Bayerisches LSG)
S 14 KR 60/08 (SG Regensburg)

Kläger und Antragsteller

gegen

Beklagte.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21 Mai 2010 durch den Präsidenten
M. sowie die Richter Dr. K. und Dr. H. beschlossen:

Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. November 2009
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu gewähren, wird abgelehnt.

- 2 -

Gründe:

I

[Abs. 1]
Der 1963 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger leidet an einer Nieren-
erkrankung, weshalb ihm ua im Dezember 2007 eine Niere implantiert wurde, zudem an
Erkrankungen des Herzkreislaufsystems, einem Zustand nach Schilddrüsenkarzinom, Schwer-
hörigkeit sowie orthopädischen Krankheiten. Deshalb sind bei ihm ein Grad der Behinderung
von 100 nach dem SGB IX und die Merkzeichen “G“ sowie “RF“ festgestellt worden. Er hat
Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsunfähige beantragt. Mit seinem Begehren, für
ambulante Behandlungen Taxikosten und bei Eigenfahrten eine Erstattung von 30 Cent anstelle
von 20 Cent je gefahrenem Kilometer zu erhalten, ist der Kläger bei der Beklagten und in den
Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, für einen
Generalantrag zu allgemeiner Übernahme von Fahrtkosten fehle das Rechtsschutzbedürfnis.
Für eine orthopädische und kardiologische Behandlung jeweils in Regensburg habe der Kläger
öffentliche Verkehrsmittel benutzen können. Seine Mobilität sei nicht vergleichbar mit der eines
schwerbehinderten Menschen eingeschränkt, bei welchem die Voraussetzungen der Merk-
zeichen “aG“, “Bl“ oder “H“ erfüllt seien. Weder seien diese Merkzeichen noch eine Pflege-
stufe II oder III beim Kläger festgestellt worden. Eine höhere Erstattung als 20 Cent je Kilometer
könne der Kläger nach der gesetzlichen Regelung nicht beanspruchen, da ein höherer
Erstattungssatz nach § 5 Abs 2 Bundesreisekostengesetz (BRKG vom 26.5.2005 BGBl I 1418)
ausschließlich aus dienstlichen Erfordernissen heraus zu begründen sei (Urteil vom 17.11.2009).

[Abs. 2]
Der Kläger begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines
Rechtsanwalts für Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

[Abs. 3]
Der Antrag des Klägers auf Gewährung von PKH unter Beiordnung eines anwaltlichen Bevoll-
mächtigten ist abzulehnen.

[Abs. 4]
Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 144, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das
Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet
werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und
nicht mutwillig erscheint. An dieser Erfolgsaussicht fehlt es. Der Kläger kann aller Voraussicht
nach in dem von ihm beabsichtigten Beschwerdeverfahren mit seinem Begehren auf Zulassung
der Revision nicht durchdringen. Auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers und nach
Aktenlage gibt es bei summarischer Prüfung keine Hinweise darauf, dass eine der

- 3 -

abschließend in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründe für die Zulassung der Revision in einem
Beschwerdeverfahren bejaht werden könnte. Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde
ermöglicht dagegen keine weitergehende, umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle der zuvor
ergangenen Entscheidungen. Ob das LSG-Urteil allgemein in Einklang mit Recht und Gesetz
steht, ist für den Erfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde ohne Belang (vgl zB BSG SozR 1500
§ 160a Nr 7).

[Abs. 5]
Die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde bietet im Hinblick auf den Zulassungsgrund der
Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg da nichts dafür
spricht, dass der Kläger den gesetzlichen Darlegungsvoraussetzungen genügen könnte. Der
Kläger führt allerdings in seinem PKH-Gesuch eine Reihe von Entscheidungen des BVerfG und
des BSG an, von denen das LSG nach seiner Auffassung abgewichen ist. Um den Zulassungs-
grund einer Rechtsprechungsdivergenz nach § 160 Abs 2 SGG entsprechend den
Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG darzulegen, müsste der Kläger indes ent-
scheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einer-
seits und in den herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidungen andererseits gegenüber-
stellen und Ausführungen dazu machen können, weshalb beide miteinander unvereinbar sein
sollen. Hierzu müsste der Kläger darlegen, dass das LSG einen vom BVerfG oder BSG
abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt habe, aus dem sich das Bedürfnis nach Her-
stellung von Rechtseinheit in einem Revisionsverfahren ergibt (vgl zB BSG Beschluss vom
21.1.2010 – B 1 KR 128/09 B -RdNr 5 mwN). Ein solches Vorhaben würde vorliegend nach aller
Voraussicht daran scheitern, dass das LSG der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgen
wollte und die vom Kläger im Kern allein geltend gemachte fehlerhafte Anwendung der höchst-
richterlichen Rechtsprechung nach der gesetzlichen Regelung des § 160 Abs 2 SGG nicht die
Zulassung der Revision ermöglicht.

[Abs. 6]
Auch das Vorbringen, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1
SGG), bietet für das angestrebte Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und aus-
führen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG
SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; siehe auch BSG
SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Von den vielen Fragen, die der Kläger insoweit
formuliert hat, kommt unter Berücksichtigung der durch höchstricherliche Rechtsprechung
bereits geklärten Fragen lediglich die vom Kläger angedeutete Frage näher in Betracht, ob § 60
Abs 3 Nr 4 SGB V bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs auf den Höchstbetrag lediglich
nach § 5 Abs 1 Satz 2 BRKG verweist, oder ob insoweit die erhöhte Wegstreckenentschädigung
von 30 Cent je Kilometer bei Bestehen eines erheblichen dienstlichen Interesses an der
Benutzung eines Kraftwagens nach § 5 Abs 2 Satz 1 BRKG in Betracht kommt. Auch unabhän-

- 4 -

gig von einer höchstrichterlichen Klärung ist indes eine Rechtsfrage dann als nicht klärungsbe-
dürftig anzusehen, wenn ihre Beantwortung so gut wie unbestritten ist (vgl zB BSG SozR 1500
§ 160 Nr 17) oder die Antwort von vorneherein praktisch außer Zweifel steht (vgl zB BSGE 40, 40
= SozR 1500 § 160a Nr 4). So liegt es hier bei der vom Kläger indirekt aufgeworfenen Frage
unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 12/3608 S 82) und dem Sinn
und Zweck der Verweisungsregel in § 60 Abs 3 Nr 4 SGB V, die für den Ausnahmefall des
§ 5 Abs 2 Satz 2 BRKG keinen Anwendungsraum bietet.

Schließlich fehlt es auch an einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg dafür, dass der Kläger im
angestrebten Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren einen Verfahrensmangel geltend machen
kann, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann
der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1
Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des §§ 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf
einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Für
einen solchen Verfahrensmangel liegt nach der gebotenen summarischen Prüfung nichts vor,
zumal der in der mündlichen Verhandlung durch einen Rechtssekretär der DGB-Rechtsschutz
GmbH vertretene Kläger Sachanträge gestellt hat und eine Verletzung des Grundsatzes der
freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) die Zulassung der Revision nicht zu recht-
fertigen vermag.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab.

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1 BvR 1484/10

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BSG, B1 KR 43/04 B vom 27.06.2005, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 43/04 B

Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigter:

gegen

Kaufmännische Krankenkasse – KKH,
Karl-Wiechert-Allee 61, 30625 Hannover,
Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 27. Juni 2005 durch den
Präsidenten von W. sowie die Richter Prof. Dr. S.
und Dr. H.

beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision
im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. April
2004 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

-2-

Gründe:

I

[Abs 1] Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, ihr die Kosten für die privatärztliche Behandlung bei
Dr. K in Höhe von 2.226,32 DM sowie vier mal 1.400,36 € für jeweils eine extrakorporale
Photopherese bei den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat
in seinem Urteil vom 20. April 2004 ua ausgeführt, die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Fünftes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien nicht erfüllt. Es verweise auf die Entscheidungsgründe
des Urteils des Sozialgerichts (SG). Danach kam eine Kostenerstattung für die extrakorporalen
Photopheresen nicht in Betracht, weil eine positive Empfehlung des Bundesausschusses zu
dieser neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode fehle. Im Übrigen wären die Maßnah-
men von Dr. Kinnerhalb der vertragsärztlichen Versorgung zu erbringen gewesen. Die
Leistungen seien auch nicht unaufschiebbar gewesen. Das LSG hat ergänzt, auf die
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) könne sich die Klägerin nicht
stützen, da es um eine Inlandsbehandlung gehe; zudem werde auch nach § 18 SGB V nur eine
solche Behandlung erstattet, die zum Leistungsumfang der vertragsärztlichen Versorgung
gehöre, was bei der hier streitigen nicht der Fall sei, wie es das SG in seinem Urteil ausführlich
dargelegt habe. Dass sich die Klägerin im Inland zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung nur bei Vertragsärzten behandeln lassen könne, verstoße nicht gegen
Art 3 Grundgesetz (GG), da das Zulassungssystem die Qualität und die Beachtung des
Wirtschaftlichkeitsgebots sichere. Der Anspruch aus § 13 Abs 3 2. Fallgruppe SGB V scheitere
bereits daran, dass sich die Klägerin in die Behandlung eines Nicht-Vertragsarztes gegeben
habe (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 7).

[Abs 2] Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil
des LSG vom 20. April 2004.

II

[Abs 3] Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozial-
gerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2
Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisions-
zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG.

[Abs 4] 1. Soll die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechts-
sache zugelassen werden, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung
dargelegt werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hierzu ist es nach der ständigen Rechtspre-
chung des Bundessozialgerichts (BSG) erforderlich, eine Rechtsfrage klar zu formulieren und

- 3 -

aufzuzeigen, dass sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, und dass die
Rechtsfrage klärungsbedürftig sowie klärungsfähig ist, dh sie im Falle der Zulassung der Revi-
sion entscheidungserheblich wäre (vgl Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 6/04 B;
BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500
§ 240 Nr 33 S 151 f mwN). Hieran fehlt es. Die Beschwerde sieht es als klärungsbedürftige
Rechtsfrage an,"ob sich gesetzlich Krankenversicherte auf Grund der neuen
EuGH-Rechtsprechung grundsätzlich von jedem - in einem EG-Mitgliedsstaat niedergelasse-
nen - Arzt auf Kosten ihrer gesetzlichen Krankenkasse ambulant behandeln lassen dürfen". Zur
Entscheidungserheblichkeit dieser Rechtsfrage hat sich die Beschwerde jeglicher
Ausführungen enthalten. Entscheidungserheblichkeit bedeutet, dass es für die Entscheidung
des Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt und die
Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin in ihrem
Sinne hätte ausfallen müssen. Hat ein geltend gemachter Anspruch mehrere Voraussetzungen
und wurde er vom Berufungsgericht verneint, weil eine dieser Voraussetzungen nicht vorliegt,
muss dargelegt werden, dass auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind. Anderenfalls ist
der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen, das die Entscheidung über die aufgeworfene
Rechtsfrage Konsequenzen für den Ausgang des Rechtsstreits hat. Kann mangels
entsprechenden Vortrags nicht ausgeschlossen werden, dass der geltend gemachte Anspruch
unabhängig vom Ergebnis der angestrebten rechtlichen Klärung womöglich am Fehlen einer
weiteren, bisher unbeachtet gebliebenen Anspruchsvoraussetzung scheitern müsste, fehlt es
an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und damit der Klärungsfähigkeit der
aufgeworfenen Rechtsfrage (vgl dazu Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 6/04 B;
Beschluss vom 6. Dezember 2004, B 1 KR 96/03 B; BSG, Beschluss vom 30. August 2004,
SozR 4-1500 § 160a Nr 5 mwN). So aber liegt es hier. Der Kostenerstattungsanspruch des § 13
Abs 3 SGB V setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG voraus, dass Kosten tatsächlich
entstanden sind (BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 4). Dies ist aber weder nach dem Tatbestand noch
nach den Entscheidungsgründen des LSG-Urteils oder nach dem Vorbringen der Beschwerde
vorgetragen oder sonst ersichtlich.

[Abs 5] Soweit die Klägerin dagegen einen Freistellungsanspruch geltend machen will, der ebenfalls
vom Anspruch des § 13 Abs 3 SGB V umfasst ist (vgl BSG, ebenda mwN), setzt dieser eine
rechtsgültige Zahlungsverpflichtung voraus. Dass eine solche besteht, hat die Beschwerde
nicht dargelegt. Darüber hinaus fehlt es an Darlegungen dazu, dass sich die Klägerin die
Behandlung als eine notwendige Leistung entweder selbst beschaffen musste, weil die
Beklagte sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (§ 13 Abs 3, 1. Fallgruppe SGB V) oder dass die
Forderung, der sich die Klägerin ausgesetzt sieht, gerade darauf beruht, dass die Beklagte die
Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (§ 13 Abs 3, 2. Fallgruppe SGB V). Dazu hätte besonderer
Anlass bestanden, weil das LSG-Urteil in den Entscheidungsgründen davon ausgeht, dass die
Behandlung nicht zum Leistungsumfang der vertragsärztlichen Versorgung gehört und ein
Notfall nicht vorgelegen habe. Das BSG ist aber an die im Urteil getroffenen tatsächlichen

-4-

Feststellungen zur Zulassung der Revision gebunden, außer wenn in Bezug auf diese
Feststellung zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 163 SGG), woran
es fehlt.

[Abs 6] 2. Auch so weit sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG be-
ruft und geltend macht, das LSG-Urteil sei vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02 (NJW 2003, 1236 = NZS 2003, 253f) abge-
wichen, es hätte nicht ausnahmslos die Kostenübernahme von der Anerkennung seitens des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen fordern dürfen, fehlt es an § 160a Abs 2
Satz 3 SGG genügenden Darlegungen. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss
entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in
einer höchstrichterlichen Entscheidung andererseits gegenüber stellen und begründen,
weshalb diese miteinander unvereinbar seien (vgl Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005,
B 1 KR 10/04 B; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 160a RdNr 15, § 160 RdNr 10 ff mwN).
Daran fehlt es. Die Beschwerde zitiert zwar Passagen aus dem Beschluss des BVerfG, benennt
aber keinen dazu konträren Rechtssatz des LSG-Urteils, aus dem sich die Notwendigkeit zur
Herstellung von Rechtseinheit durch eine höchstrichterliche Entscheidung ergeben könnte.
Abgesehen davon, dass das BVerfG in dem genannten Beschluss keine konkreten materiell-
rechtlichen Ansprüche auf die Gewährung bestimmter Leistungen aus Art 2 Abs 2 Satz 2 GG
abgeleitet, sondern im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes unter dem Gesichtspunkt des
Art 19 Abs 4 GG vom Beschwerdegericht eine "besonders intensive und nicht nur summarische
Prüfung der Erfolgsaussichten" oder eine Folgenabwägung verlangt hat, trägt die Beschwerde
der Sache nach allenfalls vor, das LSG sei den Grundsätzen des BVerfG nicht gefolgt. Dies
stellt indessen keine Divergenz im Sinne eines bewussten Aufstellens abweichender
Rechtssätze dar (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26). Ebenso wenig legt die Beschwerde dar,
dass aus den von ihr genannten Aussagen des BVerfG hätte zwingend ein Anspruch auf die
begehrten Leistungen folgen müssen.

[Abs 7] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Landessozialgericht Hamburg,
L 1 KR 43/04
vom 10.11.2004
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BSG, B 1 KR 19/10 B vom 23.02.2010, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit



Az: B 1 KR 19/10 B

L 5 KR 92/08 (Schleswig-Holsteinisches LSG)

S 8 KR 333/06 (SG Lübeck)





Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigte:



gegen



BARMER GEK,

Axel-Springer-Straße 44, 10969 Berlin,

Beklagte und Beschwerdegegnerin,

Prozessbevollmächtigte:



Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 9. Juli 2010 durch

Sden Präsidenten M. sowie den Richter Dr. H. und

die Richterin Dr. B.



beschlossen:



Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des

Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 2009 wird als unzulässig

verworfen.



Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.



- 2 -



Gründe:



I



[Abs. 1] Die 1952 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse (KK) versicherte Klägerin, bei der im August

2004 eine Bauchspeicheldrüsen- und Nierentransplantation durchgeführt wurde, ist mit ihrem

Begehren, die Beklagte möge die Kosten für die Fahrten zu ambulant-ärztlichen Kontrollbe-

handlungen in der Charité Berlin und bei dem Nephrologen in Pinneberg auch über den

17.1.2005 hinaus übernehmen, in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat im

Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch auf Übernahme der Fahrkosten nach § 60 Abs 1 Satz 3

SGB V in Verbindung mit den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92

Abs 1 Satz 2 Nr 12 SGB V scheitere schon an der fehlenden vorherigen Genehmigung durch

die Beklagte; im Übrigen seien aber auch die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls nach den

Krankentransportrichtlinien (KrTransp-RL - BAnz Nr 18 S 1342) nicht erfüllt. Insbesondere sei

eine "hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum" iS von § 8 Abs 2 KrTransp-RL

nicht gegeben. Im Anschluss an die Anforderungen, die das Urteil des BSG vom 28.7.2008 (B 1

KR 27/07 R - SozR 4-2500 § 60 Nr 5) aufgestellt habe, genüge die von der Klägerin ange-

gebene Häufigkeit der Behandlungen im Verhältnis zur Behandlungsdauer nicht (2005:

14 Fahrten, 2006 und 2007: Behandlungsfrequenz in einem Abstand von knapp sechs Wochen;

2008 und 2009: B5ehandlungsfrequenz im Abstand von 13 Wochen). Aus § 115a Abs 2 Satz 4

SGB V könne die Klägerin keine Ansprüche herleiten, da diese Vorschrift nur die Beziehungen

der Leistungserbringer regele und dem Versicherten über § 60 Abs 2 Nr 4 SGB V hinaus keine

Leistungsansprüche vermittele (Urteil vom 10.12.2009).



[Abs. 2 ] Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-

Urteil. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.



II



[Abs. 3] 1. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2

SGG iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a

Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Re-

visionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2

Nr 1 SGG.



[Abs. 4] Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und aus-

führen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich so-

wie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR

3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; siehe auch BSG SozR 3-2500 § 240



- 3 -



Nr 33 S 151 f mwN). Rechtsfragen sind in aller Regel nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie

bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden worden sind (vgl zB BSG

SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52 mwN). Nach diesem Maßstab

hat die Klägerin die Erfordernisse der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht hinrei-

chend dargelegt.



[Abs. 5] Die Klägerin formuliert zwar die Rechtsfrage,

ob "die Nachsorge in einem Transplantationszentrum nach einer Organübertragung gem.

§ 9 Abs. 1 des Transplantationsgesetzes und die dortige entsprechende ärztliche

nachstationäre Behandlung nach § 115 a Abs 2 Sz. 4 SGB V vergleichbar ist mit den

Beispielen der Anlage 2 der Krankenhaustransportrichtlinien oder nicht".



[Abs. 6] Sie hat jedoch nicht hinreichend dargetan, dass diese Rechtsfrage trotz der bereits

vorliegenden Rechtsprechung des BSG (vgl insbesondere BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 5) noch

klärungsbedürftig ist.



[Abs. 7] Das BSG hat bereits über die Ausfüllung des auch hier einschlägigen Tatbestandsmerkmals

"hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum" iS von § 8 Abs 2 KrTransp-RL ent-

schieden. Seine Auslegung ist danach zu bestimmen, ob die Behandlung, zu deren Ermög-

lichung die Fahrten durchgeführt werden sollen, mit den in Anlage 2 der RL genannten anderen

Behandlungsformen von ihrem zeitlichem Ausmaß her wertungsmäßig vergleichbar ist; dabei

ist die Häufigkeit einerseits und die Gesamtdauer andererseits gemeinsam zu den

Regelbeispielen der Dialysebehandlung, der onkologischen Strahlentherapie sowie der

onkologischen Chemotherapie in Beziehung zu setzen. Dieser Maßstab ergibt sich aus der

Absicht des Gesetzgebers, ab 1.1.2004 Fahrkosten in der ambulanten Behandlung

grundsätzlich gar nicht mehr zu erstatten und nur in "besonderen" Ausnahmefällen etwas

anderes gelten zu lassen, nicht aber schon breitflächig allgemein in Härtefällen. Dabei hat der

Senat eine "hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum" bei einer dauerhaften

Behandlung angenommen, bei der die Behandlungsfrequenz zumindest einmal pro Woche

beträgt (vgl BSG aaO RdNr 29 ff). Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, ist die

gesetzeskonforme Konkretisierung der Ausnahme nach § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V durch die

KrTransp-RL nicht aufgrund ranghöheren Rechts erweiternd auszulegen. Mit der Änderung des

§ 60 SGB V zum 1.1.2004 (durch Art 1 Nr 37 des Gesetzes zur Modernisierung der

Gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003 , BGBl I 2190) hat der

Gesetzgeber vielmehr stärker als zuvor auf die medizinische Notwendigkeit der im

Zusammenhang mit der KKn-Leistung erforderlichen Fahrt abgestellt und die Möglichkeit der

KKn, Fahrkosten generell in Härtefällen zu übernehmen, verfassungskonform beseitigt (vgl im

Einzelnen BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 1 RdNr 13 f).



- 4 -



[Abs. 8 ] Mit dieser Rechtsprechung und ihren Maßstäben setzt sich die Klägerin nicht im Einzelnen aus-

einander. Die weitere Ausfüllung dieser Maßstäbe bewegt sich im Bereich der Subsumtion,

kann also keine "grundsätzliche" Bedeutung begründen. Die Klägerin legt auch nicht dar, dass

diese Rechtsprechung in den Entscheidungen der Instanzgerichte oder im Schrifttum nachhaltig

auf Kritik gestoßen und deshalb erneut klärungsbedürftig geworden ist. Sie vertritt im

Wesentlichen lediglich, dass die im LSG-Urteil berücksichtigte Behandlungsfrequenz in ihrem

Fall für einen Leistungsanspruch ausreichend sei. Im Kern läuft das Beschwerdevorbringen der

Klägerin darauf hinaus, dass sie die inhaltliche Richtigkeit des zweitinstanzlichen Urteils

angreift. Ein solches Vorbringen vermag die Revisionsinstanz jedoch auch dann nicht zu

eröffnen, wenn die geltend gemachte Rechtswidrigkeit aus einer vermeintlich fehlerhaften

Umsetzung der BSG-Rechtsprechung im Einzelfall hergeleitet wird; denn zulässiger

Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache

richtig entschieden hat (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 15).



[Abs. 9] Soweit die Klägerin sinngemäß auch die Rechtsfrage stellt, ob § 115a Abs 2 Satz 4 SGB V da-

hingehend auszulegen sei, dass bei medizinisch notwendigen Kontrolluntersuchungen nach

Organübertragungen nach § 9 Abs 1 Transplantationsgesetz auch die entsprechenden Fahr-

kosten umfasst seien, wird ebenfalls deren Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt.

Das BSG hat bereits entschieden, dass § 60 SGB V die Ansprüche auf Fahrkosten abschlie-

ßend regelt (BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 5 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 2 RdNr 12; BSG

SozR 4-2500 § 60 Nr 1 RdNr 9). Auch hierauf geht die Beschwerdebegründung nicht ein.



[Abs. 10 ] Im Übrigen legt die Klägerin zudem die Entscheidungserheblichkeit der angesprochenen

Fragen nicht hinreichend dar, denn das LSG hat den Anspruch der Klägerin auch deshalb

verneint, weil die nach § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V notwendige vorherige Genehmigung der KK

gefehlt habe. Die Beschwerdebegründung hätte demnach Ausführungen enthalten müssen,

dass ein Anspruch an dieser Voraussetzung nicht scheitert.



[Abs. 11] 2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat analog § 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG

ab.



[Abs. 12] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 1 KR 155/06 vom 02.11.2006, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT



Beschluss



in dem Rechtsstreit



Az: B 1 KR 155/06 B



Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte:



gegen





Barmer Ersatzkasse,

Lichtscheider Straße 89-95, 42285 Wuppertal,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.



Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. Januar 2007 durch den

Präsidenten von Wulffen sowie die Richter Prof. Dr. Schlegel

und Dr. Hauck



beschlossen:



Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil

des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. November 2006 wird als

unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.



- 2 -



Gründe:



I



[Abs. 1] Der bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren, 1.410 € Kosten

einer Positronen-Emissions-Tomographie (PET) zur Abklärung des Vorhandenseins von Rezi-

diven oder Metastasen seines operierten Adenokarzinoms des Rektums erstattet zu erhalten, in

den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung

ua ausgeführt, der frühere Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen und jetzige

gemeinsame Bundesausschuss habe die neue Untersuchungsmethode im Zeitpunkt der

Behandlung nicht empfohlen gehabt. Auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

(BVerfG) vom 6. 12. 2005 (1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) könne

sich der Kläger nicht stützen, da es als Behandlungsalternative zunächst geboten gewesen sei,

eine Kernspintomographie (MRT) durchzuführen. Das Bestehen eines Erstattungsanspruchs

könne auch nicht von nachträglichen Umständen - wie den durch die Tomographien (MRT und

PET) gewonnenen Erkenntnissen - abhängig sein (Urteil vom 2. 11. 2006).



[Abs. 2] Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-

Urteil und beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits, Divergenz und Ver-

fahrensfehler.



II



[Abs. 3] Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozial-

gerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2

Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisions-

zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung, der Divergenz und des Verfahrensfehlers

(Zulassungsgründe des § 160 Abs 2 Nr 1, 2 und 3 SGG).



[Abs. 4] 1. Die Beschwerde legt den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht hinreichend

dar. Den Darlegungserfordernissen an eine Grundsatzrüge genügt eine Nichtzulassungsbe-

schwerde nur dann, wenn eine Rechtsfrage klar formuliert und ausgeführt wird, inwiefern diese

Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig

und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38;

BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die

Beschwerde sieht folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam an:

"1) Setzt eine Eintrittspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung außerhalb des Leis-

tungskatalogs gemäß den Grundsätzen der Entscheidung des BVerfG vom



- 3 -



6. Dezember 2005 ausnahmslos und in jedem Fall voraus, dass zuvor das

- theoretische - Spektrum der im Leistungskatalog enthaltenen Behandlungs-/Unter-

suchungsmethoden durchgeführt wurde, oder kommt es entscheidend auf deren

Geeignetheit und Erfolgsaussichten im konkreten Fall an?



2) Ist es dem Patienten in den unter 1) genannten Fällen verwehrt, die fehlende Geeig-

netheit bzw Erfolgsaussicht der im Leistungskatalog enthaltenen Methoden dadurch

nachzuweisen, dass er diese nach Inanspruchnahme der streitgegenständlichen

Behandlung noch durchführen lässt und sich deren Erfolglosigkeit ergibt?"



[Abs. 5] Die Beschwerde hält zudem die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "wie die vom BVerfG in der

oa Entscheidung aufgestellten Grundsätze im Falle von Diagnostikmethoden umzusetzen sind".



[Abs. 6] Hinsichtlich der Fragen zu 1) und 2) bedarf es keiner Entscheidung, ob damit eine Rechtsfrage

hinreichend klar bezeichnet ist, denn die Beschwerde geht jedenfalls nicht hinreichend auf die

Klärungsbedürftigkeit der Fragen ein. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Recht-

sprechung entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB BSG SozR

3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52). Soll gleichwohl eine

grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage geltend gemacht werden, obliegt es dem

Beschwerdeführer darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher

Begründung der Rechtsprechung widersprochen worden ist bzw die Anforderungen der

Rechtsfrage umstritten sind (vgl zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52 mwN). Daran fehlt es.

Die Beschwerde setzt sich nicht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander,

wonach es für die Prüfung der Frage, ob eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard

entsprechende Behandlung zur Verfügung steht, auf die konkreten Verhältnisse des Einzelfalls

ankommt (vgl zB BSG, Urteil vom 4. 4. 2006 - B 1 KR 7/05 R - SozR 4-2500 § 31 Nr 4,

RdNr 21, 31, Tomudex; BSG, Urteil vom 26. 9. 2006 - B 1 KR 1/06 R - RdNr 26 ff, - Ilomedin,

zur Veröffentlichung vorgesehen mwN). Die Beschwerde geht auch nicht auf die

Rechtsprechung ein, wonach für die fehlende Geeignetheit oder Erfolgsaussicht einer

Behandlungsmethode auf den Zeitpunkt der Behandlung, nicht aber auf einen späteren

Zeitpunkt abzustellen ist (vgl zB BSG, Urteil vom 4. 4. 2006 - B 1 KR 12/05 R - RdNr 23 mwN -

interstitielle Brachytherapie, zur Veröffentlichung vorgesehen; BSG, Urteil vom 7. 11. 2006 - B 1

KR 24/06 R - RdNr 15, LITT, zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Beschwerde hat sich

schließlich auch nicht mit derjenigen Rechtsprechung auseinandergesetzt, nach welcher im

Rahmen der Würdigung der voraussichtlichen Erfolgschancen einer Methode zu

Behandlungsbeginn auch später publizierte Kenntnisse Berücksichtigung finden können, soweit

diese im Behandlungszeitpunkt bereits vorgelegen haben (vgl zB BSG, Urteil vom 26. 9. 2006 -

B 1 KR 1/06 R - RdNr 25, 27 - Ilomedin, zur Veröffentlichung vorgesehen; BSG, Urteil vom

7. 11. 2006 - B 1 KR 24/06 R - RdNr 32 ff, LITT, zur Veröffentlichung vorgesehen).



- 4 -



[Abs. 7] Mit der dritten Frage hat die Beschwerde demgegenüber bereits eine Rechtsfrage nicht hinrei-

chend klar formuliert, sondern lediglich eine generelle Problematik aufgezeigt, vergleichbar

etwa mit dem - ebenfalls nicht ausreichenden - Vorbringen, eine Norm sei verfassungswidrig

(vgl zu Letzterem zB BSG, Beschluss vom 22. 7. 1993 - 11 BAr 5/92; BSGE 40, 158 = SozR

1500 § 160a Nr 11; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 45). Zudem hat sich die Beschwerde auch

insoweit nicht mit der Klärungsbedürftigkeit in Würdigung der höchstrichterlichen

Rechtsprechung auseinander gesetzt, ebenso wenig wie mit der Entscheidungserheblichkeit

der Frage.



[Abs. 8] 2. Soweit sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG beruft und

geltend macht, das LSG-Urteil sei vom Beschluss des BVerfG vom 6. 12. 2005 (aaO) abge-

wichen und beruhe auf dieser Abweichung, fehlt es an § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügenden

Darlegungen. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss entscheidungstragende ab-

strakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einer höchstrichterlichen

Entscheidung andererseits gegenüberstellen und begründen, weshalb diese miteinander unver-

einbar seien (vgl zB BSG, Beschluss vom 27. 6. 2005 - B 1 KR 43/04 B; BSG, Beschluss vom


18. 7. 2005 - B 1 KR 110/04 B mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichen-

den Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich nur fehlerhaft das Recht angewendet hat

(vgl zB BSG, Beschluss vom 15. 1. 2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160

Nr 26 S 44 f). An der Darlegung eines vom LSG bewusst abweichend aufgestellten Rechtssat-

zes fehlt es. Das LSG hat ausgeführt, der Kläger könne sich nicht auf den Beschluss des

BVerfG vom 6. 12. 2005 (aaO) stützen, da eine schulmedizinische Behandlungsmethode zur

Verfügung gestanden habe. Es sei zunächst geboten gewesen, eine Kernspintomographie

durchzuführen. Wieso die Beschwerde ausgehend von diesen rechtlichen Überlegungen des

LSG zu der Ansicht gelangt, das LSG habe die Auffassung vertreten, alle Behandlungsalterna-

tiven müssten vorab - ungeachtet ihrer Erfolgsaussicht und Geeignetheit im konkreten Fall -

abgespult worden sein, bevor die Rechtsprechung des BVerfG greife, hat sie nicht dargelegt.

Im Kern wendet sich die Beschwerde insoweit vielmehr gegen die Feststellung des LSG, die

Durchführung einer Kernspintomographie sei vorrangig geboten gewesen. Damit legt sie aber

nicht eine Divergenz im Rechtssinne dar.



[Abs. 9] 3. Mit ihrem Vorbringen, das LSG hätte ein Sachverständigengutachten zur Eignung und zum

Erfolg einer Kernspintomographie und zur Überlegenheit der PET einholen müssen, legt die Be-

schwerde ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) nicht hinreichend dar. Nach

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend ge-

macht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Ver-

fahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf

eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag be-

zieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Danach hätte die Be-

schwerde im Einzelnen aufzeigen müssen, dass ein Beweisantrag in der Sitzungsniederschrift



- 5 -



protokolliert oder im Urteilstatbestand aufgeführt worden ist, den das Gericht übergangen hat

(vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20; SozR 1500 § 160 Nr 64). Entsprechender Vortrag fehlt.

Stellt ein anwaltlicher Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung beim LSG - wie im Falle

des Klägers - nur noch einen Sachantrag, darf das Gericht davon ausgehen, dass andere,

zuvor schriftsätzlich gestellte Beweisanträge nicht weiter verfolgt werden sollen (vgl BSG SozR

4-1500 § 160 Nr 1 S 2).



[Abs. 10] 4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 3 SGG).



[Abs. 11] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 1 KR 149/06 B vom 15.01.2007, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT



Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 149/06 B



Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte:



gegen



Hanseatische Ersatzkasse,

Wandsbeker Zollstraße 86-90, 22041 Hamburg,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.



Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 15. Januar 2007 durch den

Präsidenten von W. sowie die Richter Dr. K.

und Dr. H.



beschlossen:



Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil

des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. September 2006 wird als

unzulässig verworfen.



Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.



- 2 -



Gründe:



I



[Abs 1] Der bei der beklagten Ersatzkasse pflichtversicherte Kläger, kaufmännischer Angestellter mit

Anspruch auf sechsmonatige Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall, bezog

Krankengeld (Krg) ab 25. April 2000 wegen derselben Krankheit (Wirbelsäulenleiden und

somatisierte Depression) für 78 Wochen - unter Einrechnung der Zeit fortgezahlten Arbeits-

entgelts - bis zum 26. November 2002. Trotz bis zum 6. Januar 2003 ärztlich bescheinigter

Arbeitsunfähigkeit (AU) nahm der Kläger im Dezember 2002 seine Arbeit wieder auf. Wegen

erneuter AU zahlte seine Arbeitgeberin vom 28. Januar bis zum 27. Juli 2003 Arbeitsentgelt

fort. Mit seinem Begehren, ab 28. Juli 2003 Krg für weitere 140 Tage zu erhalten, ist der Kläger

in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ua ausgeführt,

die Voraussetzungen eines Krg-Anspruchs nach § 48 Abs 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch

(SGB V) seien ab 28. Juli 2003 nicht erfüllt. Der Kläger habe im Dreijahreszeitraum vom

25. April 2000 bis zum 24. April 2003 wegen derselben Krankheit für 78 Wochen Krg bezogen.

Die sechsmonatige Fortzahlung des Arbeitsentgelts, die den Krg-Anspruch zum Ruhen

gebracht habe (§ 49 Abs 1 Nr 1 SGB V), sei nach § 48 Abs 3 Satz 1 SGB V wie eine Zeit des

Bezugs vom Krg zu berücksichtigen. Nach Beginn des neuen Dreijahreszeitraums mit dem

25. April 2003 habe wegen derselben Krankheit kein neuer Anspruch auf Krg bestanden, weil

der Kläger wegen derselben Krankheit weiterhin arbeitsunfähig und nicht erwerbstätig gewesen

sei oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden habe. Die Anrechnung des

sechsmonatigen Entgeltfortzahlungszeitraums auf den Krg-Bezug verstoße nicht gegen den

allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art 3 Abs 1 Grundgesetz (Urteil vom 14. September 2006).

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-



[Abs 2] Urteil und beruft sich auf Divergenz und auf die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits.



II



[Abs 3] Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozial-

gerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2

Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisions-

zulassungsgründe der Divergenz und der grundsätzlichen Bedeutung (Zulassungsgründe des

§ 160 Abs 2 Nr 2 und 1 SGG).

[Absatz 4] 1. Soweit sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG beruft und

geltend macht, das LSG-Urteil sei vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

(BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6) abgewichen, fehlt es an § 160a Abs 2 Satz 3 SGG



- 3 -



genügenden Darlegungen. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss entscheidungs-

tragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einer höchst-

richterlichen Entscheidung andererseits gegenüberstellen und begründen, weshalb diese mit-

einander unvereinbar seien (vgl zB BSG, Beschluss vom 27. Juni 2005 - B 1 KR 43/04 B; BSG,

Beschluss vom 18. Juli 2005 - B 1 KR 110/04 B mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst

einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich nur fehlerhaft das

Recht angewendet hat (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f). An der Darlegung

eines vom LSG bewusst abweichend aufgestellten Rechtssatzes fehlt es. Die Beschwerde legt

lediglich dar, dass das LSG einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz unter

Hinweis auf Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE 79, 224 = SozR 2200 § 180 Nr 46; 53, 313

= SozR 4100 § 168 Nr 12) verneint hat, nicht aber die von der Beschwerde für einschlägig

erachtete Entscheidung des BVerfG vom 11. Januar 1995 (BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200

§ 385 Nr 6) zugrunde gelegt hat. Damit legt die Beschwerde indessen keine Divergenz im

Sinne eines bewussten Aufstellens abweichender Rechtssätze dar.



[Abs 5] 2. Die Beschwerde legt auch den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht hinrei-

chend dar. Den Darlegungserfordernissen an eine Grundsatzrüge genügt eine Nichtzulas-

sungsbeschwerde nur dann, wenn eine Rechtsfrage klar formuliert und ausgeführt wird, inwie-

fern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungs-

bedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a

Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).

Die Beschwerde sieht die Frage als grundsätzlich bedeutsam an, ob die Bestimmung des § 48

Abs 3 Satz 1 SGB V verfassungsgemäß ist. Es bedarf keiner Entscheidung, ob damit eine

Rechtsfrage hinreichend klar bezeichnet ist, obwohl die bloße Behauptung der Verfassungswid-

rigkeit einer Norm hierfür regelmäßig nicht genügt (vgl zB BSG, Beschluss vom 22. Juli 1993

- 11 BAr 5/92; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; vgl auch BVerfG SozR 1500 § 160a

Nr 45). Auch wenn man insoweit die Begründung zum Vorliegen einer Divergenz in die

Beschwerdebegründung für die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache einbezieht, geht

die Beschwerde jedenfalls nicht hinreichend auf die Klärungsbedürftigkeit der Frage ein. Ist eine

Frage bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, ist sie grundsätzlich

nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG SozR 1500 § 160

Nr 51 S 52). Soll gleichwohl eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage geltend gemacht

werden, obliegt es dem Beschwerdeführer darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite

und mit welcher Begründung der Rechtsprechung widersprochen worden bzw die Anforderun-

gen der Rechtsfrage umstritten ist (vgl zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52 mwN). Daran fehlt

es. Die Beschwerde nimmt schon nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung in den Blick, die

bereits die Vorgängerregelung in § 189 Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 385 RVO als

eine verfassungskonforme Ausgestaltung des Leistungsrechts angesehen hat (vgl BSGE 56,

191 = SozR 2200 § 385 Nr 6). Zudem geht die Beschwerde nicht auf die Rechtsprechung ein,

wonach der Ausschluss von Doppelleistungen, der der Ruhensregelung in § 49 SGB V



- 4 -



zugrunde liegt, und an den § 48 Abs 3 Satz 1 SGB V anknüpft, aus Gründen der Gleichbehand-

lung nicht nur sachlich gerechtfertigt, sondern geradezu als geboten angesehen werden kann

(vgl BSG SozR 3-2500 § 49 Nr 3 S 8 mwN). Schließlich setzt sich die Beschwerde auch nicht

damit auseinander, dass die von ihr selbst zitierte Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 92, 53,

71 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6 S 21) es als verfassungskonform ansieht, dass im

Sozialversicherungsrecht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einerseits Maßstab für die

Heranziehung zu Beiträgen ist, andererseits die durch den Versicherungsfall verursachte

Einbuße an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit Maßstab für die Berechnung von Lohner-

satzleistungen ist. Fehlt es an einer durch den Versicherungsfall verursachten Einbuße an wirt-

schaftlicher Leistungsfähigkeit, ist - jedenfalls ohne eingehende, hier fehlende Darlegungen -

nicht ersichtlich, wieso Raum für Lohnersatzleistungen sein soll. Ebenso wenig ist ohne

entsprechende, hier nicht vorhandene Darlegungen ersichtlich, wieso derjenige, der volles

Arbeitsentgelt bezieht, beitragsrechtlich zu privilegieren wäre. Die Beschwerde geht auch nicht

darauf ein, dass vorliegend lediglich die Leistungs-, nicht aber die Beitragsseite betroffen ist.



[Abs 6] 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 3 SGG).



[Abs 7] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 1 KR 128/09 B vom 21.01.2009, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 128/09 B
L 5 KR 100/08 (LSG Rheinland-Pfalz)
S 5 KR 118/06 (SG Trier)

Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigter:

gegen

BARMER GEK,

Axel-Springer-Straße 44, 10960 Berlin,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21. Januar 2010 durch den
Präsidenten M., den Richter Dr. K. und die Richterin
Dr. B.
beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. August 2009 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

[Abs 1]
Die 1957 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versichert gewesene Klägerin, die an se-
kundär progredienter Multipler Sklerose leidet, ist mit ihrem Begehren auf Erstattung der ihr von
März 2005 bis 28.2.2009 entstandenen Kosten (132 Euro pro Quartal, insgesamt 2.112 Euro)
für das Mittel "Algonot plus" in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landes-
sozialgericht (LSG) hat die Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil
zurückgewiesen und ua ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1
Fall 2 SGB V: Das hier betroffene Mittel unterfiele - wäre es ein Arzneimittel - mangels erforder-
licher arzneimittelrechtlicher Zulassung nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenver-
sicherung. Wäre "Algonot plus" dagegen als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel ein-
zustufen, scheitere die Leistungspflicht der Beklagten daran, dass solche Mittel grundsätzlich
nicht beansprucht werden könnten und dass die Bestandteile des Mittels nicht unter die Aus-
nahmeregelungen fielen, die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) nach § 31 Abs 1
Satz 2 SGB V in den Arzneimittel-Richtlinien festgelegt habe. Leistungsrechtliche Er-
leichterungen kämen weder unter dem Blickwinkel eines sog Seltenheitsfalls noch unter
demjenigen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6.12.2005
(BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) in Betracht; die Krankheit der Klägerin sei nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht als lebensbedrohlich einzustufen und
stehe einer solchen Krankheit auch nicht gleich. Ferner fehle es an einer nicht ganz fern
liegenden Aussicht auf eine positive Einwirkung des Mittels auf den Krankheitsverlauf (Urteil
vom 20.8.2009).

[Abs 2]
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-
Urteil.

II

[Abs 3]
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a
Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Re-
visionszulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 2 SGG.

[Abs 4]
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160
Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese
Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig

- 3 -

und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38;
BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die
Klägerin formuliert die Rechtsfrage, "ob die Arzneimittelrichtlinien den gesetzlichen An-
forderungen des § 34 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB V sowie § 92 Abs 2 Satz 2 SGB V entsprechen";
sie meint, die Vorgehensweise des GBA führe "zwangsläufig zu einem ... Systemversagen".
Damit werden die Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung indessen
nicht erfüllt. Die Klägerin übersieht, dass sich das LSG in dem hier zu entscheidenden Fall -
anders als in dem Beschwerdeverfahren B 1 KR 127/09 B - gar nicht auf Ausnahmeindikationen
von der Verschreibungspflicht nach § 34 SGB V gestützt hat, sondern auf andere tatsächliche
und rechtliche Gesichtspunkte (fehlende Arzneimittelzulassung; fehlende Ausnahmeindikation
für Lebens- bzw Nahrungsergänzungsmittel nach § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V). Damit aber fehlt
es schon an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage.

[Abs 5]
2. Die Klägerin macht als Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG geltend, das LSG-
Urteil weiche vom Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (aaO) ab. Auch damit kann sie jedoch
nicht durchdringen. Um eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den Anforderungen des
§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG darzulegen, müssen nämlich entscheidungstragende abstrakte
Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in dem heran-
gezogenen höchstrichterlichen Urteil andererseits gegenübergestellt und Ausführungen dazu
gemacht werden, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB Leitherer in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 160a RdNr 15 ff, § 160 RdNr 10 ff,
jeweils mwN). Das Beschwerdevorbringen enthält darauf bezogen keine hinreichenden Aus-
führungen. Es wird schon nicht behauptet, dass das LSG (das dem BVerfG folgen wollte) einen
vom BVerfG abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt habe, aus dem sich das Bedürf-
nis nach Herstellung von Rechtseinheit in einem Revisionsverfahren ergibt. Geltend gemacht
wird im Kern vielmehr nur, dass das LSG-Urteil auf einer fehlerhaften Anwendung der Recht-
sprechung des BVerfG beruhe; dazu wird dann auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen
der Klägerin verwiesen, welche abweichend von der Einschätzung des LSG das Kriterium der
besonderen Krankheitsschwere erfüllten (die wiederum erst Voraussetzung für eine grund-
rechtsorientierte Erweiterung des Leistungsspektrums auf der Rechtsfolgenseite wäre). Das
Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde dient indessen nicht dazu, die angezweifelte sach-
liche Richtigkeit der Begründung des LSG erneut durch das BSG umfassend überprüfen zu
lassen.

[Abs 6]
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

[Abs 7]
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 1 KR 110/04 B vom 18.07.2005, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT







Beschluss







in dem Rechtsstreit







Az: B 1 KR 110/04 B







Klägerin und Beschwerdeführerin,







Prozessbevollmächtigte:







gegen







Deutsche Angestellten-Krankenkasse,



Nagelsweg 27-31, 20097 Hamburg,







Beklagte und Beschwerdegegnerin.







Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 18. Juli 2005 durch den



Präsidenten von W. sowie die Richter Dr. K.



und Dr. H.



beschlossen:







Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-



sozialgerichts Hamburg vom 14. Juli 2004 wird als unzulässig verworfen.



Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.









- 2 -







Gründe:



I







[Abs 1] Die am 30. November 1995 geborene Klägerin ist mit ihrem Begehren, wegen idiopathischen



Kleinwuchses ab 14. Juli 2004 von der Beklagten eine Therapie mit dem für diese Indikation



nach deutschem Arzneimittelrecht nicht zugelassenen Arzneimittel Somatropin zu erhalten, in



den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ua ausgeführt, die



Voraussetzungen des Anspruchs aus § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch



(SGB V) und § 31 Abs 1 SGB V seien unter Berücksichtigung der Einschränkungen aus § 2



Abs 1 Satz 3 SGB V und § 12 Abs 1 SGB V nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundes-



sozialgerichts (, Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R, BSGE 89, 184 = SozR



3-2500 § 31 Nr 8) nicht erfüllt. Es bleibe dahingestellt, ob und wann ein (idiopathischer) Klein-



wuchs eine Krankheit iS von § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V sei. Von einer schwerwiegenden



(lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkran-



kung könne der Senat nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung nicht ausgehen, zu-



mal sich die Klägerin noch in vorpubertärem Alter befinde und ihr Wachstumsprozess nicht



abgeschlossen sei. Selbst wenn man dies aber und zugleich unterstelle, dass eine andere The-



rapie nicht verfügbar sei, könne jedenfalls von einem Konsens in den einschlägigen



Fachkreisen über einen voraussichtlichen Nutzen des Arzneimittels nicht gesprochen werden



(Urteil vom 14. Juli 2004).







[Abs 2] Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-



Urteil. Sie macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz und Verfahrens-



fehler geltend.









II









[Abs 3] Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozial-



gerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2



Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisions-



zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1, 2 und 3 SGG.







[Abs 4] 1. Soll die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechts-



sache zugelassen werden, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung



dargelegt werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hierzu ist es nach der ständigen Rechtspre-



chung des BSG erforderlich, eine Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie



über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, und dass die Rechtsfrage klärungsbe-



dürftig sowie klärungsfähig ist, dh sie im Falle der Zulassung der Revision entscheidungserheb-



lich wäre (vgl Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 6/04 B; BSG SozR 3-1500









- 3 -









§ 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f



mwN). Wird ein Urteil - wie vorliegend - nebeneinander auf mehrere selbstständige Begründun-



gen gestützt, so kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zur Zulassung der Revision



führen, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt und form-



gerecht gerügt wird (vgl Senat, Beschluss vom 24. März 2005, B 1 KR 94/04 B; Senat, Be-



schluss vom 16. Juni 1998, B 1 KR 5/98 B; BSG SozR 1500 § 160a Nr 38; Hennig, SGG,



§ 160a RdNr 207 mwN). Hieran fehlt es. Das LSG hat die Berufung der Klägerin



zurückgewiesen,weildergeltendgemachteAnspruchausmehrerenvoneinander



unabhängigen Gründen nicht bestehe: Zum einen sei der idiopathische Kleinwuchs, soweit es



sich überhaupt um eine Krankheit handele, jedenfalls keine schwerwiegende Krankheit. Zum



anderen bestehe auf Grund der Datenlage nicht die begründete Aussicht, dass mit dem



betroffenen Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Im Hinblick auf diese, die



Entscheidung jeweils selbstständig tragenden Begründungen im LSG-Urteil hätte die



Beschwerdefürbeide voneinanderunabhängigeBegründungsstränge



Revisionszulassungsgründe behaupten und darlegen müssen. Daran fehlt es.









[Abs 5] Bereits die Darlegungen der Beschwerde zum ersten Begründungsstrang reichen nicht hin. Die



Beschwerde bezieht sich insoweit auf den Seiten 5 f und 9 f der Beschwerdebegründung auf



mehrere Rechtsfragen, die unterschiedlich formuliert und (teilweise in den Fragestellungen



selbst) mit weiterem tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen untermauert werden. Diese Fra-



gen werden schlussendlich auf Seite 16 sinngemäß und - den Darlegungserfordernissen des



§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechend - hinreichend klar wie folgt zusammengefasst:









[Abs 6] 1. Wann ist eine schwerwiegende, dh die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig



beeinträchtigende Erkrankung anzunehmen?









[Abs 7] 2. KönnenStudienergebnisse ausausländischen abgeschlossenen



Zulassungsverfahren als ausreichende Erkenntnisse zum Nachweis dafür



herangezogen werden, dass mit einem in Deutschland zulassungsüberschreitend



angewandten Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden



kann bzw dass in Fachkreisen Konsens über den Einsatz des Arzneimittels für die



konkrete streitige Indikation besteht?









[Abs 8] Bezüglich dieser Fragen ist indessen nicht erkennbar, dass sie in dem angestrebten Revisions-



verfahren klärungsfähig bzw entscheidungserheblich sein können.









[Abs 9] Insoweit ist von Bedeutung, dass das LSG zu Frage 1. angenommen hat, dass eine die ge-



nannten Ausmaße erreichende Krankheit bei der Klägerin nicht bestehe. Es hat sich dazu zum



einen auf den Wachstumsprozess der Klägerin gestützt, die sich noch in einem vorpubertären



Alter befinde, und zum anderen darauf, dass nach dem Eindruck, den der Senat in der münd-



lichen Verhandlung von der Klägerin gewonnen habe, nicht festgestellt werden könne, dass sie









- 4 -









durch ihre Körpergröße in ihrer Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigt sei. Hinzuweisen ist



weiter darauf, dass der Senat im Sandoglobulin®-Urteil (BSGE 89, 184 191 f = SozR 3-2500



§ 31 Nr 8) den Ausgangspunkt des Vorliegens einer "schwerwiegenden" Erkrankung bereits



dahin näher definiert hat, dass es um eine "lebensbedrohende oder die Lebensqualität auf



Dauer nachhaltig beeinträchtigende" Krankheit gehen muss. Die Beschwerde wirft in



Ergänzung dieser Rechtsprechung letztlich nur die Frage auf, in welcher Weise die



beschriebenen Merkmale weiter konkret auszufüllen sind. Dies wird daran deutlich, dass sie



sich hierzu auf den Seiten 6 bis 9 ihrer Begründung ausführlich mit der besonderen Situation



der Klägerin befasst und sich dazu auf das bei ihr bestehende Leiden (= Kleinwuchs im



Kindesalter) bezieht. Es bestand vor dem aufgezeigten Hintergrund indessen sowohl Anlass, im



Einzelnen darzulegen, dass es bei der aufgeworfenen Frage um eine Rechtsfrage von



allgemeiner, über den Einzelfall der Klägerin und ihre spezifische Erkrankung hinausgehende



Bedeutung geht, als auch die Notwendigkeit darauf einzugehen, dass hier nicht lediglich eine



(mit Blick auf § 163 SGG) nur mit Verfahrensrügen angreifbare Tatfrage im Raum steht. Die



Frage, ob das LSG den Sachverhalt zutreffend unter einen in der höchstrichterlichen



Rechtsprechung bereits mit Auslegungshinweisen versehenen Rechtsbegriff subsumiert hat, ist



regelmäßig kein im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beachtlicher Gesichtspunkt (vgl



§ 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG). Zum anderen kann angesichts der Vielzahl der in der Medizin



diskutierten Krankheitsbilder die Frage nach den Behandlungsmöglichkeiten und dem



Behandlungsanspruch für ein einzelnes Leiden nicht in den Rang einer Rechtsfrage von



grundsätzlicher Bedeutung gehoben werden (vgl zB Beschlüsse des Senats vom 20. Juni 2004



- B 1 KR 1/03 B, vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 92/03 B und vom 21. Dezember 2004 - B 1 KR



11/03 B). Unter dem Blickwinkel, ob die Frage in einem Revisionsverfahren überhaupt



klärungsfähig ist, hätte die Beschwerde vor allem darauf eingehen müssen, dass ein



allgemeiner Bedarf bestehen soll und es überhaupt möglich ist, die im Sandoglobulin-Urteil



aufgestellten Voraussetzungen für einen Off-Label-Use in Bezug auf das streitige Merkmal



revisionsrechtlich weiter zu präzisieren. Hierzu hätte dargelegt werden müssen, dass eine



genauere Konkretisierung der Merkmale unter Zuhilfenahme allgemein gültiger Kriterien



unabhängig von den Verhältnissen im Zusammenhang mit einer einzelnen Krankheit in



Betracht kommt. Daran fehlt es.









[Abs 10] Soweit die Beschwerde mit ihrer zweiten Frage eine weitere Voraussetzung des Off-Label-Use



im Falle der Klägerin für grundsätzlich bedeutsam hält, fehlt es an der Entscheidungserheblich-



keit. Der Senat dürfte - wie dargelegt - in einem Revisionsverfahren schon nicht zu Grunde le-



gen, dass hier das vorgreifliche Merkmal einer bestehenden schwerwiegenden Erkrankung er-



füllt ist.









[Abs 11] 2. Auch soweit sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG be-



ruft und geltend macht, das LSG-Urteil sei vom Urteil des Senats vom 19. Oktober 2004,



B 1 KR 27/02 R (vorgesehen für BSGE und SozR) abgewichen, fehlt es an § 160a Abs 2 Satz 3









- 5 -









SGG genügenden Darlegungen. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss entschei-



dungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einer



höchstrichterlichen Entscheidung andererseits gegenüberstellen und begründen, weshalb diese



miteinander unvereinbar seien (vgl Senat, Beschluss vom 27. Juni 2005, B 1 KR 43/04 B;



Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 10/04 B; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,



SGG, 8. Aufl 2005, § 160a RdNr 15, § 160 RdNr 10 ff mwN). Daran fehlt es. Die Beschwerde



zitiert zwar Passagen aus dem Urteil des BSG, benennt aber keinen dazu konträren Rechtssatz



des LSG-Urteils, aus dem sich die Notwendigkeit zur Herstellung von Rechtseinheit durch eine



höchstrichterliche Entscheidung ergeben könnte. Während das BSG in der zitierten Entschei-



dung sich mit Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit auseinander setzt, die so selten



auftritt, dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheidet, geht das LSG-Urteil nicht



von einem solchen Sachverhalt aus. Dies stellt indessen keine Divergenz iS eines bewussten



Aufstellens abweichender Rechtssätze dar (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26).









[Abs 12] 3. Soweit die Beschwerde vorbringt, das LSG hätte bezüglich des Vorliegens einer schwerwie-



genden Erkrankung sowie zum Bestehen ausreichender Kenntnisse aus Studien der Phase III



über den Einsatz von Somatropin bei idiopathischem Kleinwuchs Beweis erheben müssen, legt



sie einen Verfahrensfehler nicht in der gebotenen Weise dar. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist



die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, auf dem die ange-



fochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nach



Halbsatz 2 der Regelung auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich



auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.



Insoweit fehlt es an der Bezugnahme auf einen berücksichtigungsfähigen Beweisantrag. Hierzu



geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es jedenfalls rechtskundig vertre-



tenen Beteiligten wie hier der rechtsanwaltlich vertretenen Klägerin obliegt, in der mündlichen



Verhandlung alle diejenigen Anträge zur Niederschrift des Gerichts zu stellen, über die das Ge-



richt entscheiden soll (vgl Senat, Beschluss vom 27. Juni 2005, B 1 KR 40/04 B mwN). Sinn der



erneuten Antragstellung ist es, zum Schluss der mündlichen Verhandlung auch darzustellen,



welche Anträge nach dem Ergebnis der für die Entscheidung maßgebenden mündlichen Ver-



handlung noch abschließend gestellt werden, mit denen sich das LSG dann im Urteil befassen



muss, wenn es ihnen nicht folgt. Dem genügt die Beschwerde mit ihrem Hinweis nicht, die Klä-



gerin habe ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 14. Juli 2004 hilfsweise beantragt,



Dr. A zur Kausalität zwischen Somatropin-Therapie und Wachstum zu vernehmen.



Ungeachtet der Frage, ob damit eine bloße Beweisanregung oder tatsächlich ein Beweisantrag



bezeichnet wird (vgl hierzu §§ 373, 404 Zivilprozessordnung iVm § 118 SGG und Senat,



Beschluss vom 16. März 2005, B 1 KR 19/04 B; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9), bezeichnet die



Beschwerde damit keinen Beweisantrag zum Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung



oder zum Bestehen ausreichender Erkenntnisse. Der Hinweis auf frühere Äußerungen der



Klägerin in Schriftsätzen für das Gericht genügt unter Berücksichtigung der Warnfunktion, die



- wie dargelegt - der Antragswiederholung zukommen soll, gerade nicht.









- 6 -









[Abs 13] Soweit die Beschwerde mit dem Vortrag, die Klägerin habe nicht davon ausgehen müssen,



dass das Gericht den mit Schriftsatz vom 11. Juli 2004 vorgelegten Urkunden keine Beachtung



schenke, beabsichtigt haben sollte, die Gehörsrüge zu erheben, so ist diese ebenfalls nicht hin-



reichend dargelegt. Die Beschwerde setzt sich insoweit nicht damit auseinander, dass das



LSG-Urteil ausdrücklich auf Seite 7 im ersten Absatz der Entscheidungsgründe auf die



überreichten Urkunden, das Schreiben der Fa. Lvom 9. Juli 2004, eingeht und den



kanadischen Pädiater Prof. G zitiert hat, der nicht davon ausgehe, "dass gesunde



Kleinwüchsige unterm Strich von der Therapie profitieren" würden. Im Kern geht es der



Beschwerde auch an dieser Stelle um die Beweiswürdigung des LSG-Urteils. Nach § 160 Abs 2



Nr 3 2. Halbsatz SGG kann die Beschwerde aber nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1



Satz 1 SGG gestützt werden.







[Absatz 14] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

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BSG, B 14 EG 6/98 B vom 28.01.1999, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT


Beschluß
in dem Rechtsstreit



Az: B 14 EG 6/98 B



Klägerin und Beschwerdeführerin,
Prozeßbevollmächtigter:



gegen



Land Nordrhein-Westfalen,
vertreten durch das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen,
Von-Vincke-Straße 23-25, 48143 Münster,
Beklagter und Beschwerdegegner.



Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat am 28. Januar 1999 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. L. , die Richter Dr. U. und
Dr. N. sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. D. und die
ehrenamtliche Richterin P.
beschlossen:


Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil
des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. April 1998 wird zurück-
gewiesen.



Kosten sind nicht zu erstatten.



-2-

Gründe:



Die Klägerin begehrt rückwirkende Gewährung von Erziehungsgeld (Erzg) für ihre 1987
geborene Tochter. Sie lebte während der möglichen Bezugszeit des Erzg mit ihrer Familie
in Belgien. Ein seinerzeit gestellter Antrag ist von dem Beklagten unter Hinweis auf ihren
Wohnsitz durch bindenden Bescheid abgelehnt worden. Im Hinblick auf das Urteil des Eu-
ropäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen H und Z (C 245/94 und
312/94) machte die Klägerin im November 1996 erneut den Anspruch auf Erzg geltend;
ihr stehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu, da sie einen Antrag auf Überprü-
fung des bindenden Bescheides und auf Gewährung von Erzg innerhalb der Ausschluß-
frist des § 44 Abs 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nur deshalb versäumt habe,
weil der Beklagte bei der Bescheidung der von ihr anläßlich der Geburt weiterer Kinder in
den Jahren 1990 und 1992 gestellten Anträge auf Erzg weiterhin seine unzutreffende
Rechtsauffassung zugrunde gelegt und sie nicht darauf hingewiesen habe, daß die Frage
der Erzg-Berechtigung von deutschen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in einem anderen
Mitgliedstaat der Europäischen Union und einem Beschäftigungsverhältnis in Deutschland
bereits Gegenstand eines Rechtsstreits vor dem Landessozialgericht (LSG) gewesen und
von diesem anders beurteilt worden sei als von dem Beklagten. Aus diesem
Fehlverhalten sei ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen, der die
Versäumung der Ausschlußfrist des § 44 Abs 4 SGB X heile. In den Vorinstanzen hatte
die Klägerin keinen Erfolg. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.


Mit der dagegen erhobenen Beschwerde macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeu-
tung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ) und einen Verfah-
rensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend. Die Frage, ob die Begrenzung einer rückwir-
kenden Leistungsgewährung auf einen Zeitraum von vier Jahren in § 44 Abs 4 SGB X
auch auf den der Klägerin hier zustehenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruch an-
zuwenden sei, sei in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht einheit-
lich entschieden worden, was sich insbesondere aus den Urteilen des BSG in SozR 1300
§ 44 Nr 18 einerseits sowie in SozR 1300 § 44 Nr 17 und BSGE 60, 158 andererseits er-
gebe. Diese Rechtsfrage bedürfe weiterer Klärung. Außerdem habe das LSG das Recht
der Klägerin auf Gehör verletzt, weil es das Vorbringen der Klägerin unberücksichtigt ge-
lassen habe, daß dem Beklagten die europarechtliche Fragestellung rechtzeitig bekannt
gewesen sei.


Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Sie kann eine Zulassung der Revision we-
der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch
wegen des Vorliegens eines Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründen. Die
Revision kann wegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur zugelassen
werden, wenn die zu entscheidende Rechtsfrage klärungsbedürftig und klärungsfähig ist.
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus

-3-



dem Gesetz beantworten läßt und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht
entschieden worden ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Klärungsfähig ist die Rechts-
frage nur, wenn sie im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (vgl
BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.


Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die Anwendung des sozial-
rechtlichen Herstellungsanspruchs dann nicht in Betracht kommt, wenn das fehlerhafte
Handeln der Verwaltung (nur) in einer falschen Sachentscheidung liegt und sich die Fol-
gen darin erschöpfen. Denn für das in richterlicher Rechtsfortbildung entwickelte
Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist nur dort Raum, wo es an
gesetzlichen Regelungen fehlt (vgl zuletzt Bundesverwaltungsgericht, NJW 1997, 2966).
Dies ist hinsichtlich der Behandlung rechtswidriger Verwaltungsakte nicht der Fall. Hier
hat der Gesetzgeber dem Betroffenen zunächst das Recht eingeräumt, die im SGG vor-
gesehenen Rechtsbehelfe einzulegen (Widerspruch, Klage, Berufung usw). Ist ein derar-
tiger Bescheid bestandskräftig geworden (vgl § 77 SGG), besteht die Möglichkeit eines
Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X. Damit ist die Korrektur von Verwaltungsentschei-
dungen, welche die Rechte eines Betroffenen verletzen, grundsätzlich abschließend ge-
regelt (so die neueste Rechtsprechung des BSG im Anschluß an: BSGE 60, 158, 164 ff
= SozR 1300 § 44 Nr 23, vgl Urteil des 13. Senats vom 30. Oktober 1997 - 13 RJ 71/96
= SGb 1998, 110 sowie Urteil des 5. Senats vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 36/96 = NZS 1998,
247, beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).


Allerdings hat die Rechtsprechung des BSG einen Herstellungsanspruch dann für möglich
gehalten, wenn sich der Nachteil des Betroffenen nicht in der Versagung der Leistung
durch einen bindend gewordenen Bescheid erschöpft, sondern darauf beruht, daß der
Betroffene im Vertrauen auf die Richtigkeit der dem Bescheid zugrundeliegenden Rechts-
auffassung andere, ihm günstige Maßnahmen unterlassen hat (BSG SozR 1300 § 44
Nr 18), insbesondere eine anderweitige rechtzeitige Antragstellung. Insoweit ist der Vor-
trag der Klägerin nachvollziehbar, daß die ebenfalls unrichtigen späteren Bescheide über
das Erzg für die weiteren Kinder von 1990 und 1992 als solche zwar nach § 44 SGB X
korrigierbar waren und insoweit, als es um die Leistungsversagung in diesen beiden Fäl-
len ging, die Anwendung des Herstellungsanspruchs ausschlossen, nicht aber insoweit,
als der erste, hier streitige Fall betroffen ist, für den als Fehlverhalten der Verwaltung nicht
nur die falsche Bescheiderteilung an sich, sondern eine Bestätigung der falschen Rechts-
auffassung in den nachfolgenden Bescheiden sowie eine unterbliebene Aufklärung über
die anderweitig anhängigen Verfahren geltend gemacht wird, was zur Versäumung der
Frist des § 44 Abs 4 SGB X geführt habe.


Auch wenn die Klägerin im Wege des Herstellungsanspruchs so gestellt werden müßte,
daß ihr erst 1996 gestellter "Zugunstenantrag" bereits als 1992 gestellt gilt, führt dies je-
doch nicht dazu, daß ihr Leistungen rückwirkend ab 1988 zu gewähren wären. Denn es ist

-4-



- wie das BSG bereits geklärt hat (vgl BSGE 60, 245) - auf den Herstellungsanspruch die
eine rückwirkende Leistungsverpflichtung begrenzende Vorschrift des § 44 Abs 4 SGB X
entsprechend anwendbar, so daß hier eine nachträgliche Leistung für die Zeit vor 1992
nicht mehr in Betracht kommt. Auch wenn der Fall einer Wiedereinsetzung wegen
Versäumung der Frist des § 44 Abs 4 SGB X im Wege des Herstellungsanspruchs (vgl
dazu Ladage, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1990, 87, 92) in der Rechtspre-
chung des BSG noch nicht entschieden worden ist, bedarf es nicht der Durchführung ei-
nes Revisionsverfahrens in dieser Sache. Die Entscheidung läßt sich ohne weiteres an-
hand der bisherigen Rechtsprechung treffen, die § 44 Abs 4 SGB X als Ausdruck eines
allgemeinen Rechtsgedankens bezeichnet hat, der eine mehr als vier Jahre zurückrei-
chende Leistungserbringung ausschließt (BSGE 60, 245).


Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen
Gehörs kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil er - als gegeben unterstellt - in
der Sache nicht zum Erfolg führen könnte.



Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 11a AL 11/07 B vom 23.01.2007, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss
in dem Rechtsstreit
Az: B 11a AL 11/07 B

L 3 AL 2271/04 (LSG Baden-Württemberg)
S 5 AL 2169/98 (SG Konstanz)

.....................................................,
Klägerin und Beschwerdeführerin,
Prozessbevollmächtigter:
............................................................,

g e g e n


Bundesagentur für Arbeit,
Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,
Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 11a. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21. August 2007 durch
die Vizepräsidentin Dr. W.-S. sowie den Richter
Dr. V. und die Richterin Dr. R.

beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-
sozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Dezember 2006 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.


- 2 -

G r ü n d e :

[1] Die ausschließlich auf Verfahrensfehler des Landessozialgerichts (LSG) gestützte Beschwerde
ist unzulässig, da ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialge-
richtsgesetz (SGG) entspricht.

[2] Nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muss in der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde ein
geltend gemachter Verfahrensmangel bezeichnet werden. Eine ordnungsgemäße Bezeichnung
setzt voraus, dass die verletzte Verfahrensnorm und die eine Verletzung vermeintlich begrün-
denden Tatsachen substantiiert und schlüssig dargelegt werden (stRspr, ua BSG SozR 1500
§ 160a Nr 14 und SozR 3-1500 § 73 Nr 10). Eine solche Darlegung ist der von der Beschwer-
deführerin vorgelegten Begründung nicht zu entnehmen.

[3] Die Beschwerdeführerin rügt in ihrer Beschwerdebegründung vom 23. Januar 2007, das LSG
habe das rechtliche Gehör (§ 62 SGG) dadurch verletzt, dass es am 13. Dezember 2006 ent-
schieden habe, obwohl sie mit Schreiben vom 12. Dezember 2006 die Aufhebung des Termins
und eine Verschiebung um sechs Wochen beantragt habe. Es kann dahinstehen, ob in der Be-
schwerdebegründung überhaupt hinreichende Gründe für eine Terminverlegung wegen Ver-
hinderung dargelegt werden. Ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung liegt grundsätzlich
nur bei einer plötzlichen Verhinderung vor (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 8. Aufl
2005, § 62 Rz 6d mwN). Zweifel an der Plötzlichkeit der Verhinderung, die durch die Beschwer-
debegründung nicht beseitigt werden, ergeben sich insbesondere aus der Art der behaupteten
Umstände.

[4] Abgesehen davon, dass die Beschwerdebegründung den Verfahrensgang in der Vorinstanz
nicht lückenlos nachgezeichnet hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 62), fehlt es jedenfalls
an einem schlüssigen Vortrag zu der Frage, in welcher Weise der Vertagungsgrund durch die
Klägerin glaubhaft gemacht worden ist. Nach dem gemäß § 202 SGG auch im Verfahren der
Sozialgerichtsbarkeit anwendbaren § 227 Abs 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein
Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder vertagt werden. Die Entscheidung liegt im
Ermessen des Vorsitzenden bzw des Gerichts, doch hat das Gesetz Maßnahmen dieser Art zur
Straffung des Verfahrens an erhebliche Gründe geknüpft, die nach § 227 Abs 2 ZPO auf
Verlangen des Vorsitzenden bzw des Gerichts glaubhaft zu machen sind. Die Klägerin macht
zwar geltend, dass sowohl sie als auch ihre Bevollmächtigten erkrankt bzw aus pflegerischen
Gründen an einer Terminwahrnehmung verhindert gewesen seien. In der Beschwerde-
begründung wird jedoch nicht dargelegt, dass sie der Anforderung des Gerichts (vom
8. Dezember 2006), ihre Verhinderung und die Verhinderung ihrer Bevollmächtigten durch Vor-
lage entsprechender Belege (Arztbescheinigung etc) glaubhaft zu machen, nachgekommen sei.
Es ist lediglich vorgetragen worden, es sei eine ärztliche Bescheinigung hinsichtlich der
Arbeitsunfähigkeit des Ehemanns der Klägerin sowie dessen Schwerbehindertenausweis vor-


- 3 -

gelegt worden. In der Beschwerdebegründung wird jedoch nicht aufgezeigt, dass ein derartiger
Nachweis hinsichtlich der Klägerin und der weiteren Prozessbevollmächtigten C Z ge-
führt worden ist. Soweit sich in der Beschwerdebegründung die Behauptung findet, es seien für
C Z diesbezüglich "Auskünfte" vorgelegt worden, ergibt sich jedenfalls nicht nachvoll-
ziehbar, welchen genauen Inhalt die angeblichen Auskünfte gehabt haben sollen. Dies wäre
aber erforderlich gewesen, um darzulegen, dass ein erheblicher Grund tatsächlich glaubhaft
gemacht worden ist. Denn die Erkrankung bzw sonstige Verhinderung muss sich schlüssig aus
der vorgelegten Bescheinigung ergeben; die Bescheinigung muss so substantiiert sein, dass
das Gericht auf ihrer Grundlage in der Lage ist, die Frage der behaupteten Verhinderung selbst
zu beurteilen (vgl BFH, Beschluss vom 17. Mai 2000 - IV B 86/99 - BFH/NV 2000, 1353;
BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2001 - 8 B 69/01 - NJW 2001, 2735 mwN). Die erforderlichen
Darlegungen wären im Übrigen ausweislich des Inhalts der vorgelegten Berufungsakte auch
nicht möglich gewesen, denn nach dem Inhalt der Berufungsakte sind entsprechende
Auskünfte für die Klägerin und die Bevollmächtigte C Z nicht beigebracht, sondern nur
deren Einholung als Beweismittel angeregt worden.


[5] Die unzulässige Beschwerde ist zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2, § 169 SGG).


[6] Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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BSG, 9 RV 24/94 vom 11.10.1994, Bundessozialgericht
Das Folgende ist zunächst ein Auszug aus der Entscheidung vom 12.03.1996 über den Prozesskostenhifeantrag im Hauptverfahren. Zur Entscheidung vom 18.06.1996 im Hauptverfahren siehe unten.



Prozesskostenhilfe ist nicht zu bewilligen, weil der Kl. nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Kosten der Prozeßführung aus seinem Vermögen aufzubringen (§ 73 a I 1 SGG iVm §§ 114, 115 II ZPO). Zum Vermögen eines Antragstellers gehören Ansprüche gegen eine Rechtsschutzversicherung (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 73 a Rz 6 a) und ebenso ein satzungsgemäßer Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch eine Gewerkschaft oder einen Verband (Henning/Danckwerts/König, SGG, Stand 1993, § 73 a Anm 5.3). Da Prozeßkostenhilfe eine besondere Art der Sozialhilfe auf dem Gebiet gerichtlichen Rechtsschutzes ist (BverfGE 9, 256, 258; 35, 348, 355), ist ein Antragsteller wegen des für Sozialhilfe und Prozeßkostenhilfe gleichermaßen geltenden Subsidiaritätsprinzips verpflichtet, die dem Justizfiskus durch Prozesskostenhilfe entstehenden Ausgaben gering zu halten. Ein Gewerkschafts- oder Verbandsmitglied muss deshalb zunächst seine satzungsgemäßen Rechte auf kostenlose Prozeßvertretung ausschöpfen und erwirbt einen Anspruch auf Prozeßkostenhilfe erst, wenn die Gewerkschaft oder der Verband keinen Rechtsschutz gewährt. Die Lage eines solchen Mitglieds ist nicht anders als die eines rechtsschutzversicherten Antragstellers, dem Prozesskostenhilfe erst gewährt wird, wenn er seinen Anspruch gegen die Rechtsschutzversicherung evtl bis zu einem Stichentscheid nach § 17 II der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) vergeblich verfolgt hat. (BGH, Betriebsberater 1987, 1845; Baumbach/Lauterbach, ZPO. 53. Aufl 1995 § 114 Rz 67; Rohwer/Kahlmann, SGG, Stand 1995, § 73 a Rz 3).



Die Lage eines Verbands- oder Gewerkschaftsmitglieds unterscheidet sich allerdings von der eines rechtsschutzversicherten Antragstellers, wenn die jeweilige Organisation Rechtsschutz im Einzelfall gewährt: Der Versicherungsnehmer kann dann einen Rechtsanwalt seines Vertrauens wählen, dessen Kosten die Versicherung übernimmt. Der Verband oder die Gewerkschaft dagegen gewährt Rechtsschutz durch einen ihrer Angestellten als „Sachleistung“. Hat der Antragsteller zu dem ihm vom Verband oder der Gewerkschaft gestellten Vertreter kein Vertrauen, so kann es ihm unzumutbar sein, sich bei der Prozessführung durch diesen Angestellten vertreten zu lassen. Dafür reicht allerdings die bloße Behauptung fehlender oder – im Laufe der Vertretung – gestörten Vertrauens nicht aus. Ebenso wie beim Wechsel eines frei gewählten und im Rahmen der Prozeßkostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts sind berechtigte sachliche oder persönliche Gründe erforderlich (vgl dazu Kalthoener/Büttner, Prozeßkostenhilfe und Beratungshilfe, 1988, Rz 569; LSG NRW, ZAP EN-Nr 154/92; zu § 167 SGG aF: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 252 r, Dapperich, Das sozialgerichtliche Verfahren, 1959, 209; BSG, Ausschuß für Verfahrensfragen, Niederschrift vom 6.2.1957, Punkt 1 – unveröffentlicht - ). Solche triftigen Gründe hat der Kl. nicht vorgebracht. Die von ihm geschilderten Eindrücke und Erfahrungen aus einem anderen Rechtsstreit, in dem er von einem Rechtsschutzsekretär seiner Gewerkschaft vertreten war, lassen zwar seine Unzufriedenheit mit dessen Tätigkeit erkennen, reichen nach Art und Gewicht aber nicht aus, um das Vertrauensverhältnis als allgemein und damit auch für diesen Fall gestört anzusehen. Das gilt um so mehr, als der Kl. im Revisionsverfahren voraussichtlich von einem Mitglied der bisher nicht eingeschalteten Bundesrechtsstelle seiner Gewerkschaft vertreten werden würde.



Ein Anspruch des Kl. auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der von ihm ausgewählten und bevollmächtigten Rechtsanwältin läßt sich (entgegen Meyer-Ladewig, aao, Rz 4) auch nicht daraus herleiten, daß § 73 a II SGG nach seinem Wortlaut die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe verbietet, wenn der Bet. durch einen Angestellten seines Verbands oder seiner Gewerkschaft tatsächlich vertreten ist, nicht nur, wenn er sich vertreten lassen kann, wie § 11 a Arbeitsgerichtsgesetz bestimmt. Aus der unterschiedlichen Formulierung der Gesetze läßt sich nicht herleiten, daß das Recht auf Prozeßkostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren weiter geht als im arbeitsgerichtlichen Verfahren (so aber Meyer-Ladewig, aaO, Rz 4). Für eine unterschiedliche Regelung gibt es keinen sachlichen Grund (so zutreffend Zeihe, SGG, Stand 1994, § 73 a Rz 11 a). § 73 a II SGG ist deshalb nur als klarstellendes Verbot zu verstehen, dem mittellosen Bet. zusätzlich zu einem bereits bevollmächtigten Verbands- oder Gewerkschaftsvertreter im Wege der Prozeßkostenhilfe noch einen Anwalt beizuordnen. Die Vorschrift besagt jedoch nichts darüber, was gilt, wenn ein Verbandsvertreter noch nicht bevollmächtigt ist, aber in Anspruch genommen werden kann.



Hätte das mittellose Gewerkschaftsmitglied die Wahl zwischen kostenlosem gewerkschaftlichen Rechtsschutz und der Beiordnung eines frei gewählten Rechtsanwalts (so Meyer-Ladewig, aaO, Rz 4; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, 203), so stände es besser als ein Bet., der über genügend Mittel zur Prozeßführung durch einen Rechtsanwalt verfügt. Dieser Bet. würde in aller Regel verständigerweise aus wirtschaftlichen Gründen das Kostenrisiko meiden und sich regelmäßig für kostenlosen Rechtsschutz durch einen Verbandsvertreter entscheiden. Es besteht deshalb kein Grund, dem finanziell minderbemittelten Bet. aus staatlichen Mitteln die Wahlfreiheit zu finanzieren, die der bemittelte Bet. verständigerweise nicht in Anspruch nimmt.



Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, daß ein mittelloses Gewerkschaftsmitglied mit Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch seine Organisation anders behandelt wird, als ein mittelloser Antragsteller, der nicht organisiert ist. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art 3 I Grundgesetz (GG) liegt darin nicht. Art 3 I GG verlangt iVm dem Rechtsstaatsprinzip lediglich die Situation bemittelter und Unbemittelter bei der Realisierung gerichtlichen Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen (vgl BverfGE 81, 347, 356, NJW 1995, 1415). Darum geht es hier nicht. wer Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch seine Organisation hat, ist nicht mittellos. Er ist bereits in jener Lage, in die Prozeßkostenhilfe den Unbemittelten erst versetzen soll: Er kann sein Recht vor Gericht suchen, ohne daran aus wirtschaftlichen Gründen gehindert zu sein. Dafür macht es keinen Unterschied, ob ihn ein Angestellter seiner Organisation oder ein Rechtsanwalt vertritt. Gerichtlicher Rechtsschutz ist auf dem Gebiet des Sozialrechts bereits bei Vertretung durch eine Behörde gewährleistet (BverfGE 22, 349, 358) und erst recht bei Vertretung durch Verbands- oder Gewerkschaftsangestellte, denen der Gesetzgeber in § 166 II SGG Rechtsanwälte gleichgestellt hat. Das Recht, unter letzteren zu wählen (§ 121 I ZPO), hat nur, wer überhaupt Anspruch auf Prozeßkostenhilfe hat.



Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die prozeßkostenhilferechtliche Sonderstellung mittelloser Gewerkschafts- und Verbandsmitglieder mit Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz gegen ihre Organisation lassen sich auch nicht aus Art 9 I und III GG herleiten. Durch den regelmäßigen Ausschluß vom Anspruch auf Prozesskostenhilfe wird weder die kollektive Vertragsfreiheit noch die Tätigkeit der Gewerkschaft (vgl BverfGE 88, 5, 15) noch die Entscheidungsfreiheit des einzelnen, einem Verband oder einer Gewerkschaft beizutreten, ernsthaft beeinträchtigt. Es kann zwar unterstellt werden, daß der einem Organisierten regelmäßig drohende Verlust einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Prozeßkostenhilfe die Entscheidungsfreiheit Mittelloser darüber beeinflußt, einer Gewerkschaft oder einem Verband wegen des dort gebotenen Rechtsschutzes beizutreten. Diese allenfalls geringfügigen Auswirkungen sind aber in Abwägung mit dem Ziel hinzunehmen, Prozeßkostenhilfe nur demjenigen zu gewähren, der sonst aus wirtschaftlichen Gründen gehindert wäre, gerichtliche Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.



BUNDESSOZIALGERICHT



Im Namen des Volkes



Urteil
in dem Rechtsstreit
Az: 9 RV 24/94



Kläger und Revisionsbeklagter,
Prozeßbevollmächtigte:



gegen



Land Sachsen-Anhalt,
vertreten durch den Präsidenten des Landesamtes für Versorgung und Soziales des
Landes Sachsen-Anhalt,
Halle, Neustädter Passage 9,

Beklagter und Revisionskläger.



Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni
1996 durch Vorsitzenden Richter Dr. S.,
Richter Dr. K. und Richter D a u sowie ehrenamtliche Richterin K.
und ehrenamtlichen Richter B. für Recht erkannt:


Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt
vom 11. Oktober 1994 wird zurückgewiesen.

- 2 -



Der Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

- 3 -



Gründe:



I



Der damals neun Jahre alte Kläger fand am 1. Juni 1950 beim Spielen auf dem Gelände
einer ehemaligen Munitions- und Sprengstoffabrik in R. (S -A.) einen
Sprengkörper. Bei dessen Explosion verlor der Kläger Daumen, Zeige- und Mittelfinger
der linken Hand sowie einen Teil der Handfläche.


Der Beklagte lehnte es ab, dem Kläger auf dessen Antrag vom 4. Juni 1992 Versorgung
zu gewähren, weil der Unfall weder auf nachträgliche Auswirkungen kriegerischer
Vorgänge noch auf Handeln der Besatzungsmacht zurückzuführen sei.


Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 1. November
1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, ab 1. Januar 1991
Versorgung nach einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu
gewähren (Urteil vom 11. Oktober 1994). Bei der Explosion des Sprengkörpers habe es
sich um einen schädigenden Vorgang infolge einer besonderen Gefahr aus der
militärischen Besetzung deutschen Gebietes gehandelt. Die sowjetische
Besatzungsmacht habe das Fabrikgelände beschlagnahmt, um die Anlagen zu
demontieren und anschließend die Gebäude zu sprengen, ohne das 320 ha große
Grundstück, dessen Umzäunung von der Bevölkerung für eigene Zwecke abgebaut war,
bis zur Übergabe an das Land Sachsen-Anhalt im März 1949 gegen Betreten durch
spielende Kinder zu sichern oder die dort lagernden Sprengstoffe zu räumen. Einer
weiteren Vernachlässigung dieser Pflichten durch das Land Sachsen-Anhalt bis zum
Unfall im Jahre 1950 komme gegenüber dem unmittelbaren Besatzungseinfluß
geringeres Gewicht zu.


Der Beklagte macht mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision geltend, das LSG
habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und §1 Abs 1 Buchst d
Bundesversorgungsgesetz (BVG) verletzt. Die unterlassene Sicherung des Fabrik-
geländes sei allein dem Land Sachsen-Anhalt zuzurechnen. Nach der Rechtsprechung
(BSGE 20, 114, 115) seien Gefahrenzustände nicht mehr der Besatzungsmacht, sondern
ab Aufgabenübertragung auf eine in Mindestform und -umfang funktionsfähige
Zivilverwaltung dieser zuzurechnen.
Das LSG habe im übrigen verkannt, daß nach der Rechtsprechung (BSGE 2, 99, 101,
102) nicht jede mit der Besatzung ursächlich zusammenhängende Gefahr unter § 5 Abs 1
Buchst d BVG falle. Nur "besatzungseigentümliche" Gefahren seien gemeint. Die
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht sei hier aber nicht besatzungseigentümlich.

- 4 -



Der Beklagte beantragt,


das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 11. Oktober 1994
aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Dessau vom 1. November 1993 zurückzuweisen.



Der Kläger beantragt,



die Revision zurückzuweisen.



II



Die Revision ist unbegründet. Der Kläger ist durch unmittelbare Kriegseinwirkung
geschädigt worden; er hat wegen der Folgen dieser Schädigung Anspruch auf
Versorgung. Leistungen sind nach Anl I Kap VIII Sachgebiet K Abschn III Maßgabe 1 i
zum Einigungsvertrag ab 1. Januar 1991 zu gewähren, weil die Voraussetzungen zu
diesem Zeitpunkt vorgelegen haben und der Antrag vor dem 1. Januar 1994 gestellt
worden ist.



Das LSG hat zwischen dem Verhalten der sowjetischen Besatzungsmacht und der
Schädigung des Klägers zu Recht einen versorgungsrechtlich erheblichen Zusam-
menhang hergestellt. Die dagegen gerichteten Angriffe des Klägers bleiben ohne Erfolg.


Zwar trifft der Einwand des Beklagten zu, daß das Verhalten der Besatzungsmacht,
entgegen den Ausführungen des LSG, nicht deshalb als unmittelbare Kriegseinwirkung
gilt, weil es eine mit der militärischen Besetzung deutschen Gebietes
zusammenhängende besondere Gefahr iS des § 5 Abs 1 Buchst d BVG hervorgerufen
hätte. Denn dazu zählen nicht alle mit der militärischen Besetzung verbundenen
Gefahren, sondern aus diesem Kreis nur solche, die für die besonderen Verhältnisse der
militärischen Besetzung typisch sind (BSGE 12, 13, 15).
Nicht besetzungseigentümlich und deshalb vom Versorgungsschutz ausgenommen sind
schädigende Vorgänge, die ihrer Art nach ebenso hätten eintreten können, wenn sie
durch Maßnahmen oder Unterlassungen der deutschen Verwaltung statt durch die
Besatzungsmacht verursacht worden wären (BSGE 17, 225, 229 = SozR BVG § 1 Nr 62).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Gebot, das munitionsverseuchte Fabrikgrundstück
gegen Betreten durch spielende Kinder zu sichern, wurde sowohl von der sowjetischen
Besatzungsmacht während der Zeit der Beschlagnahme, als auch anschließend nach
Übertragung des Eigentums im März 1949 von der Verwaltung des Landes
Sachsen-Anhalt verletzt. Diese Verletzung der Verkehrssicherungspflicht war mithin nicht
besetzungseigentümlich.

- 5 -



Gleichwohl hat der Kläger Anspruch auf Versorgung wegen der Verletzungsfolgen. Denn
versorgungsrechtlich geschützt ist auch, wer einen nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu
ersetzenden Besatzungspersonenschaden zu einem Zeitpunkt erleidet, zu dem eine
Regelung für die Entschädigung von Besatzungsschäden noch nicht vorhanden war. Das
Versorgungsrecht schließt diese zivilrechtliche Anspruchslücke, indem es Schäden, die
durch Angehörige der Besatzungsmacht verursacht worden sind, zu nachträglichen
Auswirkungen kriegerischer Vorgänge erklärt (§ 5 Abs 2 Buchst a BVG), die ihrerseits als
unmittelbare Kriegseinwirkung iS des § 1 Abs 2 Buchst a BVG gelten (§ 5 Abs 1 Buchst e
BVG).


In den westlichen Besatzungszonen bestand diese Lücke nur bis zum 31. Juli 1945. Denn
für Besatzungsschäden, die vom 1. August 1945 an verursacht worden sind, galt das
Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden vom 1. Dezember 1955 (BGBl I, 734;
vgl dessen § 2).


In der DDR wurde eine Entschädigungsregelung für Besatzungspersonenschäden erst
eingeführt durch das Abkommen vom 11. April 1957 zwischen der Regierung der DDR
und der Regierung der UdSSR über Fragen, die mit der zeitweiligen Stationierung
sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der DDR zusammenhängen (GBl I 237).
Dieses Abkommen ist nach seinem Art 21 Satz 2 am 27. April 1957 in Kraft getreten
(GBl I 285). Bis dahin eingetretene Schädigungen durch Angehörige der sowjetischen
Streitkräfte stehen in engem Zusammenhang mit Krieg und Besatzung und fallen deshalb
unter §5 Abs 2 Buchst a BVG. Das entspricht auch der Auffassung des
Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (vgl dessen Rundschreiben vom
10. Juni 1991, BArbBl 1991, 9/108). Die sowjetischen Truppen waren bis dahin als Streit-
kräfte einer Besatzungsmacht iS des § 5 Abs 2 Buchst a BVG in der DDR stationiert. Der
Senat hat die sowjetische Besatzungsherrschaft in einer früheren Entscheidung zwar
bereits durch den Vertrag vom 20. September 1955 über die Beziehungen zwischen der
DDR und der UdSSR, in Kraft getreten am 6. Oktober 1955 (GBl I 917), für beendet
gehalten und deshalb Versorgungsansprüche nach § 5 Abs 2 Buchst a BVG wegen eines
erst 1965 durch sowjetische Soldaten in der DDR verursachten Verkehrsunfalls
ausgeschlossen (BSGE 59, 94, 97 = SozR 3100 § 5 Nr 9). Maßgeblich hat der Senat aber
schon damals darauf abgestellt, daß die sowjetischen Truppen in der DDR ihre Stellung
und ihre Befugnisse als Besatzungsmacht durch die Bestimmungen des Vertrages vom
11. April 1957 endgültig verloren haben.


Die Verletzung des Klägers am 1. Juni 1950 ist nach den Feststellungen des LSG eine
Schädigung iS des § 5 Abs 2 Buchst a iVm Abs 1 Buchst e BVG. Daß das LSG diese
Feststellungen im Zusammenhang mit der Erörterung des § 5 Abs 1 Buchst d BVG
getroffen hat, steht nicht entgegen. Der Schaden ist durch Angehörige der sowjetischen
Besatzungsmacht in der DDR verursacht worden. Deren Verhalten war für den Unfall

- 6 -



wesentliche Bedingung iS der auch hier geltenden versorgungsrechtlichen
Kausalitätsnorm (BSG SozR BVG § 5 Nr 35). Das LSG hat unangegriffen festgestellt, daß
der Unfall des Klägers im vorgenannten Sinne nicht auf dessen eigenes Verhalten oder
das Verhalten seiner Eltern zurückzuführen war, sondern auf eine Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht. Dabei hat es der Pflichtverletzung durch das Land
Sachsen-Anhalt nur untergeordnete Bedeutung beigemessen und den Unfall des Klägers
wesentlich auf die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die sowjetische
Besatzungsmacht in den Jahren 1945 bis 1949 zurückgeführt. Bei dieser Bewertung sind
Rechtsfehler nicht zu erkennen. Seit März 1949 war zwar das Land Sachsen-Anhalt als
Eigentümer und Eigenbesitzer für den verkehrssicheren Zustand des Grundstücks
verantwortlich. Damit endete aber nicht die Verantwortlichkeit der sowjetischen
Besatzungsmacht als früherer Eigenbesitzer. Grundsätzlich trifft die
Zustandsveranwortlichkeit für Grundstücke den gegenwärtigen Eigenbesitzer. Davon ist in
sinnentsprechender Anwendung der für den Einsturz von Gebäuden getroffenen
Regelung des § 836 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aber eine Ausnahme zu
machen (vgl Mertens in Münchner Komm, 2. Aufl 1986, § 823 Rz 192). Der frühere
Eigenbesitzer bleibt jedenfalls übergangsweise verantwortlich, wenn er die von dem
Grundstück ausgehende Gefahr durch vorangegangenes Handeln oder Unterlassen
begründet hat. Die Übergangszeit kann auch angesichts der Nachkriegsverhältnisse nicht
auf ein Jahr beschränkt werden, wie das § 836 Abs 2 BGB vorsieht. Die sowjetische
Besatzungsmacht hatte es hingenommen, daß in den Jahren ab 1945 die Umzäunung
des von ihr beschlagnahmten Fabrikgeländes von der Bevölkerung abgebaut und damit
das vorher gesicherte Grundstück zu einer Gefahrenquelle für spielende Kinder geworden
war. Die Umzäunung wurde bis zum März 1949 weder erneuert oder repariert noch wurde
die massenhaft herumliegende Munition geräumt. Im März 1949 hat sich die
Besatzungsmacht dann des heruntergekommenen, munitionsverseuchten Grundstücks
zu Lasten einer Gebietskörperschaft entledigt, die unter den Mangelverhältnissen der
Nachkriegszeit mit Aufgaben überlastet war und schwerlich in kurzer Zeit das nachholen
konnte, was jahrelang versäumt worden war und den gefährlichen Zustand des
Grundstücks begründet hatte.


Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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BSG, 9b RAr 7/90 vom 06.03.1991, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT


Im Namen des Volkes



Urteil



in dem Rechtsstreit



Az: 9b RAr 7/90

Klägerin und Revisionsbeklagte,
Prozeßbevollmächtigte:



gegen



Bundesanstalt für Arbeit,
Nürnberg, Regensburger Straße 104,
Beklagte und Revisionsklägerin.



Der 9b Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. März
1991 durch Vorsitzenden Richter Dr. S., Richter Dr. W. und Richter
Dr. L. sowie ehrenamtliche Richterin Dr. N. und ehrenamtlichen Richter R.
für Recht erkannt:



- 2 -



Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts
Rheinland-Pfalz vom 16. Februar 1990 und des Sozialgerichts Koblenz vom 28. April
1989 geändert.


Die Klage wird abgewiesen.



Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



- 3 -

Gründe:



I



Die Klägerin, geprüfte Krankenschwester, erhielt von der Beklagten für die Teilnahme an
einer Weiterbildung zur Unterrichtsschwester (Lehrkraft an Krankenpflegeschulen) von
Oktober 1982 bis September 1983 ua Unterhaltsgeld (Uhg) als Darlehen (Bescheid vom
21. oder 25. Oktober 1982). Mit Schreiben vom 19. September 1983 beantragte die
Klägerin die Gewährung des Uhg als Zuschuß statt als Darlehen, weil der Beruf der
Unterrichtsschwester nach einem Runderlaß der Beklagten als Mangelberuf anerkannt
sei. Die Beklagte lehnte eine Überprüfung ihrer rechtsverbindlichen Entscheidung ab
(Bescheid vom 23. Januar 1985, Widerspruchsbescheid vom 11. März 1985) und forderte
die Klägerin zur Rückzahlung des Darlehens in Raten auf (Bescheid vom 25. Januar
1985). Auf einen im April 1988 erneut gestellten, auf Rechtsprechung gestützten Antrag,
das Darlehen in einen Zuschuß umzuwandeln, verweigerte das Arbeitsamt wiederum eine
neue Sachprüfung nach § 44 Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren -SGB X- (Bescheid
vom 1. Juli 1988); im Widerspruchsbescheid vom 28. September 1988 wurde die
Gewährung eines Darlehens als rechtmäßig bestätigt. Das Sozialgericht (SG) hat die an-
gefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über den Antrag der
Klägerin auf Änderung des Bescheides vom 25. Oktober 1982 über das gewährte Uhg
unter Rücknahme der Bescheide vom 23. Januar 1985 und 11. März 1985 gemäß der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (Urteil vom 21. April 1989). Das
Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom
16. Februar 1990). Nach seiner mit dem SG übereinstimmenden Rechtsauffassung hat
die Beklagte eine Überprüfung der Verwaltungsakte und die Gewährung des Uhg als
Darlehen zu Unrecht abgelehnt. Sie müsse den 1982 erlassenen Bescheid insoweit, als
er die Leistung als Zuschuß versagt hat, und die Ablehnung eines neuen Verfahrens
(1985) als unrichtig zurücknehmen (§ 44 SGB X iVm § 152 Arbeitsförde-
rungsgesetz -AFG-); denn die Fortbildung der Klägerin sei deshalb notwendig gewesen,
weil der angestrebte Beruf einer Lehrschwester nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
und nach der Rechtsprechung bundesweit ein Mangelberuf sei (§ 44 Abs 2 Satz 2 Nr 4
AFG). § 44 Abs 1 SGB X sei nicht anzuwenden; denn die Klägerin habe die Sozialleistung
Uhg bereits erhalten. Deshalb scheide auch der allein auf Abs 1 bezogene Abs 4 aus,
wonach nach der Rücknahme neue Leistungen nicht für länger als vier Jahre rückwirkend
gewährt werden dürfen. Soweit die Klägerin das Darlehen noch nicht zurückgezahlt habe,
sei sie nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X davon für die Zukunft befreit. Soweit sie
Teilleistungen von insgesamt 7.410,-- DM erstattet habe, müsse die Beklagte nach § 44
Abs 2 Satz 2 SGB X für die Vergangenheit ihr Rücknahmeermessen ausüben. In Höhe
des nach dem Antrag vom April 1988 zurückgezahlten Gesamtbetrages von 3.040,-- DM

- 4 -



bleibe keine andere Entscheidung offen, als den Anspruch über den Darlehenscharakter
des Uhg aufzuheben. Falls die Beklagte über den Antrag sofort entschieden hätte, wäre
sie insoweit nach § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X verpflichtet gewesen, den Zuschuß
zuzuerkennen; das bestätige § 44 Abs 2 Satz 3 SGB X. Anderenfalls könnte sich die
Verwaltung durch eine Verzögerung den Ermessensspielraum für die Entscheidung nach
§ 44 Abs 2 Satz 2 SGB X verschaffen.


Die Beklagte rügt mit ihrer - vom LSG zugelassenen -Revision eine Verletzung des § 44
Abs 1, 2 und 4 SGB X. Sie begründet ihre Revision allein damit, daß das Uhg wegen
Fristablaufs nach § 44 Abs 4 SGB X nicht mehr als Zuschuß für die Zeit der Fortbildung
(1982/1983) gewährt werden könne. Die Frage, ob die Voraussetzung, dh die
Notwendigkeit der Fortbildung wegen eines Mangelberufs nach § 44 Abs 2 Nr 4 AFG aF,
gegeben ist, sei unerheblich. Die darüber ergangene Entscheidung des Berufungsgerichts
werde allerdings nicht beanstandet. Entgegen der Auffassung des LSG habe die
Verwaltung die beantragte Leistung nicht bereits iS des § 44 Abs 4 SGB X "erbracht". Der
Klägerin sei allein ein Uhg als Darlehen gewährt worden, und ein solches, das
zurückgezahlt werden müsse, unterscheide sich elementar von einem Zuschuß. Selbst
wenn die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens nach § 44 Abs 1 SGB X iVm § 152 Abs 1
AFG die Ablehnung eines Zuschusses für die Vergangenheit zurücknehme, dürfe sie die
angestrebte Zugunstenentscheidung nach § 44 Abs 4 SGB X nicht treffen. Dabei sei der
Vierjahreszeitraum von dem im April 1988 gestellten Antrag ab zu berechnen. Entgegen
der Auffassung des SG lebe durch eine Rücknahme der rechtsverbindlichen Ablehnung
einer Überprüfung der darauf gerichtet gewesene Antrag von 1983 nicht wieder auf in der
Weise, daß er für die Fristberechnung nach § 44 Abs 4 SGB X maßgebend sei. Im üb-
rigen sei auf die nach Auffassung des LSG anwendbare Rücknahmevorschrift des § 44
Abs 2 SGB X die Ausschlußregelung des § 44 Abs 4 SGB X entsprechend anzuwenden,
soweit der Empfänger nachträglich von einer Rückzahlungsverpflichtung befreit werden
wolle. Eine solche Entlastung belaste den Leistungsträger für einen länger als vier Jahre
zurückliegenden Zeitraum ebenso wie eine nachträgliche Zahlung. Der Anspruch auf
Rückzahlung, der wegfallen solle, sei 1982/83 entstanden.



Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen zu ändern und die Klage abzuweisen.



Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.



Sie betont, daß § 44 Abs 4 SGB X nicht die Möglichkeit, einen nicht begünstigenden
Verwaltungsakt zu überprüfen,
regele; die Rücknahme sei - anders als nach § 45 Abs 3 SGB X - zeitlich unbegrenzt
möglich. § 44 Abs 4 SGB X verbiete allein, eine Leistung für die Zeit vor vier Jahren

- 5 -



rückwirkend zu erbringen, dh zu zahlen, nicht aber eine weiter zurückliegende Gewährung
(Bewilligung, Zuerkennung) durch die Rücknahme. Eine Umwandlung des bereits
1982/83 gezahlten Uhg, der Sozialleistung, in einen Zuschuß würde nur vom Antrag ab
der Tilgung die Rechtsgrundlage entziehen. Die rückwirkende Beseitigung der
Tilgungspflicht werde nicht durch § 44 Abs 4 SGB X ausgeschlossen.


Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.


II



Die Revision der Beklagten ist begründet.



Die Klage hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen hätten die Beklagte nicht verpflichten
dürfen, über den Rücknahmeantrag der Klägerin unter Beachtung der gerichtlichen
Rechtsauffassung neu zu entscheiden.



Die Beklagte, die der Klägerin 1982/83 Uhg als zurückzuzahlendes Darlehen gewährte
(§ 44 Abs 2a AFG hier idF des AFKG vom 22. Dezember 1981 - BGBl I 1497 -, § 607
Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch), hat damit zugleich Uhg als übliche, in erster Linie
begehrte Sozialleistung, dh als Zuschuß zum Verbleib (§ 11 Satz 1 Sozialgesetzbuch
Allgemeiner Teil -SGB I- vom 11. Dezember 1975 - BGBl I 3015 -, § 44 Abs 1 bis 2 Satz 2
Nr 4 AFG), abgelehnt. Der versagende Verfügungssatz, der die Klägerin nicht
begünstigte, sondern belastete (vgl die Definition des begünstigenden Verwaltungsaktes
in § 45 SGB X vom 18. August 1980 - BGBl I 1469 -), wäre, falls er unrichtig wäre, nach
§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X zurückzunehmen und durch eine neue - richtige - Entscheidung
zu ersetzen (BSG Breithaupt 1982, 800). Diese Regelung wird für das
Arbeitsförderungsrecht durch § 152 Abs 1 AFG (idF des Art II § 2 Nr 18 Buchstabe a
SGB X) dahin abgewandelt, daß ein Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft zu-
rückgenommen wird; nach dem 1987 klarstellend angefügten Halbsatz 2
(8. Änderungsgesetz vom 14. Dezember 1987 - BGBl I 2602 - dazu Gesetzesbegründung
in BT-Drucks 11/800 zu Nr 35 - § 152 -) darf aber die Verwaltung nach ihrem Ermessen
die Rücknahme auf die Vergangenheit erstrecken.


Ob die Versagung des Uhg als Zuschuß rechtswidrig war, weil die Lehrschwestertätigkeit
1982/83 ein Mangelberuf war und deshalb die Weiterbildung für sie notwendig gewesen
wäre (§ 44 Abs 2 Satz 2 Nr 4 AFG), war in diesem Verfahren nicht mehr als
Voraussetzung für eine Rücknahme zu entscheiden. Eine Rücknahme des ablehnenden
Verwaltungsaktes wegen einer entsprechenden Rechtswidrigkeit und eine Ersetzung

- 6 -



durch einen Bewilligungsakt ist wegen der Einwirkung der Verfallklausel des § 44 Abs 4
SGB X auf die Rücknahmeregelung schlechthin ausgeschlossen. Die Verwaltung hat jene
beiden Entscheidungen zugunsten eines Antragstellers dann nicht mehr vorzunehmen,
wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung
ausschließlich Leistungen für eine Zeit, die länger als vier Jahre vor dem
Rücknahmeantrag liegt, regelte und wenn der ersetzende Bewilligungsbescheid sich
ebenfalls nur auf den genannten Zeitraum auswirken würde. So war es hier. Der 1988
gestellte Rücknahmeantrag der Klägerin bezieht sich auf Uhg für die 1982/83 durch-
geführte Maßnahme.


Nach § 44 Abs 4 Satz 1 und 2 SGB X werden Sozialleistungen, falls ein Verwaltungsakt
mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen und durch einen
Zugunstenbescheid ersetzt wird, längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der
Rücknahme erbracht. Für die Berechnung des Zeitraumes tritt nach Satz 3 an die Stelle
des Rücknahmeaktes ein Antrag, falls er zur Rücknahme führte. Diese Vollzugsregelung
(BSGE 61, 154, 156 f = SozR 1300 § 48 Nr 32), die zwingend anzuwenden ist (BSGE 60,
158, 160 f = SozR 1300 § 44 Nr 23), steht für die länger als vier Jahre zurückliegende
Zeit, für die keine Leistungen mehr erbracht werden dürfen, einem Rücknahme- und
einem Ersetzungsakt entgegen. Sie ist auf die Rücknahmeregelung bezogen, die
voraussetzt, daß infolge der unrichtigen Entscheidung Sozialleistungen nicht erbracht
wurden (BSGE 62, 10, 13 = SozR 2200 § 1254 Nr 7). "Erbringen" bedeutet tatsächliches
Leisten (§ 43 SGB I, §§ 102 bis 105 SGB X; zu § 18c Abs 1 bis 3
Bundesversorgungsgesetz: RdSchr des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
vom 18. Juni 1982 - BABl 1982 Heft 9 S 109 -; vgl auch BSG 12. Oktober 1990 - 2 RU
63/89 - RdSchr Nr 9/91 des Bundesverbandes der Unfallversicherungsträger der
öffentlichen Hand). Ein derart zu vollziehender Verwaltungsakt ist nicht mehr zu erlassen,
wenn er nicht ausgeführt werden darf. Er wäre wirkungslos. Von der Verwaltung darf
keine unnötige, überflüssige Tätigkeit verlangt werden, die hier auch die - mitunter recht
schwierige und aufwendige - Prüfung auf eine Unrichtigkeit einbezöge. Ein Antragsteller,
der über § 44 SGB X keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten darf, hat kein
rechtliches Interesse an der Rücknahme und der zusprechenden Entscheidung, die nach
Abs 4 nicht vollzogen werden dürfen.


§ 44 Abs 4 SGB X ist hier nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin schon
1983, also innerhalb des Vier-Jahres-Zeitraumes, der die Maßnahmezeit von 1982/83
umfaßte, die Rücknahme und damit die Gewährung des Uhg als Zuschuß beantragt hat.
Selbst wenn ein Antrag wie dieser, der rechtsverbindlich abgelehnt wurde, durch eine
Rücknahme wiederauflebte (vgl dazu BSG Breithaupt 1982, 800), tritt diese Wirkung hier
nicht ein; denn der 1988 von der Klägerin gestellte Antrag, über den in diesem Verfahren
zu entscheiden ist, könnte aus den dargelegten Gründen nicht zu einer Rücknahme und
Ersetzung führen. Dann ist auch nicht der Verwaltungsakt, durch den 1985 der Antrag von

- 7 -



1983 abgelehnt wurde, mitsamt dem Widerspruchsbescheid zurückzunehmen. Diese
Verwaltungsentscheidungen, mit denen die Beklagte eine erneute Sachprüfung abgelehnt
hat, sind auch aus einem anderen verfahrensrechtlichen Grund nicht zurückzunehmen. In
dem abgelehnten Antrag wies die Klägerin nicht auf neue Erkenntnisse hin, die die
Lehrschwestertätigkeit als Mangelberuf beurteilen ließen. Im ersten Abschnitt zur
Eröffnung des dreistufigen Entscheidungsprozesses über eine Rücknahme und eine
Ersetzung eines unrichtigen Verwaltungsaktes ist allein darüber zu befinden, ob
überhaupt ein rechtsverbindlicher Bescheid erneut zu überprüfen ist (BSGE 63, 33, 35 f
= SozR 1300 § 44 Nr 33). Die Verwaltung darf dies ablehnen, falls - wie hier - keine neuen
Erkenntnisse für eine Unrichtigkeit vorgetragen werden oder sonst erkennbar sind (BSG
aaO). Sie soll nicht durch aussichtslose Anträge, die beliebig oft wiederholt werden
könnten, immer wieder zu neuen Sachprüfungen gezwungen werden können.


Die Einschränkung der Rücknahmeregelung (§ 44 Abs 1 SGB X iVm § 152 Abs 1 AFG)
durch die Ausschlußklausel (§ 44 Abs 4 SGB X) entfällt im Fall der Klägerin weder
deshalb, weil die Klägerin das abgelehnte, jetzt erneut beantragte Uhg bereits 1982/83
während der Weiterbildungsmaßnahme erhalten hätte, noch deshalb, weil sie das
ausbezahlte Darlehen in der Zeit seit dem Rücknahmeantrag und vorher nicht länger als
vier Jahre zurückliegend (seit 1985) zurückzahlen muß.


Die Auszahlung der Uhg-Beträge während der Bildungsmaßnahme beruhte nicht auf der
jetzt umstrittenen Gewährung eines Zuschusses, sondern auf der Darlehensgewährung,
deren Vollzug allerdings im Fall einer Rücknahme und Bewilligung eines Zuschusses
deshalb rückgängig gemacht werden müßte, weil die Leistung nicht doppelt gezahlt
werden darf. Das Uhg als Zuschuß hat eine andere Rechtsnatur als das Darlehen, dh als
der nur zur zeitweiligen Nutzung gewährte Uhg-Betrag, wenn auch beide Leistungen der
Sicherung des Lebensunterhaltes während einer beruflichen Bildungsmaßnahme und
zugleich der Motivierung zur Teilnahme dienen (BSGE 58, 160, bes 164 = SozR 4100
§ 138 Nr 11).


Ein Verzicht der Verwaltung auf die Rückzahlung würde nicht wie ein "Erbringen" iS des
§ 44 Abs 1 und 4 SGB X wirken. Die Pflicht zur Rückzahlung des Darlehens ist keine
Folge der - möglicherweise - unrichtigen Entscheidung, durch die ein Zuschuß abgelehnt
wurde. Sie wurde auch nicht durch einen teilweise belastenden Verwaltungsakt iS des
§ 44 Abs 1 SGB X, der mit der begünstigenden Gewährung dieser Leistung verbunden
gewesen wäre, der Klägerin auferlegt. Die Bewilligung des Darlehens stellt einen nicht
teilbaren begünstigenden Verfügungssatz dar, allerdings inhaltlich durch die ein-
geschlossene Rückzahlungspflicht, die der Rechtsnatur des Darlehens eigen ist,
eingeschränkt. Im Gesamtergebnis ist die Klägerin durch die Gewährung des Darlehens
besser gestellt, als wenn die Beklagte ausschließlich ein Uhg als Zuschuß abgelehnt
hätte. Die Rechtslage in diesem Fall ist nach § 44 SGB X, ergänzt durch § 152 Abs 1


- 8 -

AFG, allein nach dem erlassenen und nach dem angestrebten Verwaltungsakt über ein
Uhg als Zuschuß zu beurteilen. Dies wäre noch deutlicher, wenn die Verwaltung die
darüber ergangene Ablehnungsentscheidung zeitlich gesondert von der
Darlehensgewährung erlassen hätte.


Die Klägerin kann sich nicht zu ihren Gunsten auf die Rechtsfolgen der Rücknahme eines
Bescheides berufen, durch den ein begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X zu-
rückgenommen wurde. Die zwingende Rechtsfolge des ersten Aufhebungsaktes, die
Erstattungspflicht nach § 50 SGB X, kann dadurch rückgängig zu machen sein, daß der
Leistungsträger diese Pflicht beseitigt (vgl dazu BSG SozR 1300 § 44 Nr 22; kritisch dazu
Kopp, SGb 1987, 121; vgl auch BVerwG Urteil vom 15. November 1990 - 5 C 78.88). Die
Klägerin hatte aber, wie schon dargelegt, den erhaltenen Darlehensbetrag nicht als
unmittelbare Folge der Ablehnung eines Zuschusses, deren Rechtmäßigkeit umstritten ist
und die nach dem Willen der Klägerin aufgehoben werden soll, in Raten zurückzuzahlen.
Vielmehr war diese Versagung des Uhg nur das Motiv für den Entschluß der Klägerin, an
Stelle eines Zuschusses ein - zinsloses - Darlehen zu nehmen. Die Mittel des
Verwaltungsverfahrensrechts können nicht die wirtschaftlichen Folgen eines Entschlusses
beseitigen, der wegen eines Verwaltungsaktes gefaßt wurde, wenn später behauptet wird,
dieser belastende Verwaltungsakt sei rechtswidrig gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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BSG, 9 BV 39/88 vom 24.11.1988, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht

9 BV 39/88

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. November



1988







beschlossen:







Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der



Revision durch das Landessozialgericht Hamburg im Urteil



vom 19. Januar 1988 wird zurückgewiesen.



Kosten sind nicht zu erstatten.







- 3 -







Gründe:







Die Revision ist nicht gemäß den §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 Sozial-



gerichtsgesetz (SGG) zuzulassen, weil die Voraussetzungen, unter



denen ein - hier allein geltend gemachter - Verfahrensmangel zur



Zulassung der Revision führen kann, nicht erfüllt sind. Nach



§ 160 Abs 2 Nr 3, 2. Halbs SGG kann die Rüge eines Verfahrens-



mangels nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1



SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden,



wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozi-



algericht (LSG) ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.







Der Kläger räumt ein, daß er eine Verletzung des § 109 SGG im



Beschwerdeverfahren nicht rügen kann, soweit das LSG dem Antrag,



die Neurologin und Psychiaterin Dr. H. zu hören, nicht gefolgt



ist. Er meint aber, in dem zu Protokoll erklärten und auf 3 109



SGG gestützten Antrag läge ein Beweisantrag, dem das LSG bereits



in Erfüllung seiner Pflicht zur Sachaufklärung nach § 103 SGG von



Amts wegen habe folgen müssen; mit der Ablehnung dieses Antrags



sei also nicht nur § 109 SGG, sondern auch § 103 SGG verletzt. In



einem auf § 109 SGG gestützten Antrag auf Anhörung eines be-



stimmten Arztes sei notwendig ein Beweisantrag nach § 103 SGG



enthalten. Dem ist nicht zu folgen.







Für seine Rechtsauffassung kann sich der Kläger zwar auf Meyer-



Ladewig, Kommentar zum SGG, 3. Aufl, 5 160 RdNr 18 stützen; eine



Begründung fehlt hier jedoch. Auch der 1. Senat des Bundessozial-



gerichts (BSG) hat in dem nicht veröffentlichten Beschluß vom



5. April 1988 - 1 BA 255/87 - unter Hinweis auf diese Kommentar-



stelle ohne Begründung unterstellt, daß ein Antrag nach § 109 SGG



ein Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG sei; er hat aber die



Beschwerde aus einem anderen Grund als unzulässig verworfen.



Stellt der Kläger einen Antrag nach § 109 SGG, so mag zwar aus



seiner Sicht der Sachverhalt häufig noch nicht hinreichend aufge-



klärt sein; das kann aber nicht dazu führen, in jedem Antrag nach



§ 109 SGG zugleich die Aufforderung an das Gericht zu erkennen,



in erster Linie von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzu-







- 3 -







klären. Der Antrag nach § 109 SGG wäre damit immer als soge-



nannter Hilfsantrag aufzufassen. So ist der Antrag nach § 109 SGG



aber in der Rechtsprechung nie verstanden worden. Es ist zwar



anerkannt worden, daß der Antrag als Hilfsantrag gestellt werden



kann (BSG SozR SGG § 109 Nr 17). Wird der Antrag aber nicht aus-



drücklich als Hilfsantrag bezeichnet, so ist er als Inanspruch-



nahme der Berechtigung aufzufassen, unbeschadet der gerichtlichen



Sachaufklärungspflicht einen Arzt des Vertrauens zu hören. Er hat



eine andere Zielrichtung als die in § 103 SGG erwähnten Beweisan-



träge.







Der Beweisantrag, der mit der Rüge der Verletzung des § 103 SGG



zur Zulassung der Revision führen kann, muß ein Beweisantrag iS



dieser Vorschrift sein (ebenso Zeihe, SGG, 5. Aufl, § 160



Anm 25e). Wenn ein solcher Antrag gestellt wird, muß zwar nicht



diese Vorschrift ausdrücklich erwähnt werden; es muß jedoch un-



zweifelhaft erkennbar sein, daß eine weitere Sachverhaltsaufklä-



rung von Amts wegen für erforderlich gehalten wird. Das ergibt



sich aus dem Sinn und Zweck der nur beschränkten Eröffnung der



Revisionsinstanz bei Verfahrensfehlern. § 160 SGG in der gegen-



wärtigen Fassung ist durch das Gesetz vom 30. Juli 1974 (BGBl I



1625) mit der Absicht eingefügt worden, die Revisionsinstanz von



den zuvor in großer Zahl anfallenden sogenannten Verfahrensrevi-



sionen zu entlasten (vgl Begründung des Regierungsentwurfs



BT-Drucks 7/861). Gerade die häufigsten, auf die Verletzung der



§§ 103, 109 und 128 SGG gestützten Verfahrensrevisionen sollten



eingeschränkt werden. Während die Verletzung der §§ 109 und 128



SGG überhaupt nicht mehr zur Zulassung der Revision führen kann,



ist für eine Rüge der Verletzung des § 103 SGG ein Beweisantrag



als erforderlich angesehen worden, der diese Rüge bereits in der



Berufungsinstanz vorbereitet. Diese Regelung mag in einem nicht



einem Vertretungszwang unterworfenen Verfahren systemfremd er-



scheinen (vgl dazu Krasney, Die Ersatzkasse 1973, 312; 197A, 330;



derselbe, Der Kompaß, 197A, 303). Die Regelung läßt aber er-



kennen, daß auch die wegen einer Verletzung des § 103 SGG zuzu-



lassende Revision die Ausnahme bleiben soll; sie soll sich auf



Aufklärungsmängel beschränken, auf die das Gericht bereits vor







- 4 -







der Entscheidung hingewiesen worden ist. Für diesen Hinweis ver-



langt das Gesetz überdies eine besondere Form, nämlich einen Be-



weisantrag, der grundsätzlich auch das Beweisthema und das Be-



weismittel enthalten muß (vgl Meyer-Ladewig aaO und BSG SozR 1500



§ 160a Nr 2N). Erst wenn der Tatsacheninstanz durch einen Beweis-



antrag vor der Entscheidung noch einmal deutlich vor Augen ge-



führt worden ist, daß der Kläger die gerichtliche Sachaufklä-



rungspflicht in einem bestimmten Punkt noch nicht als erfüllt



ansieht, soll das Übergehen eines solchen Antrages oder eine



nicht hinreichend begründete Ablehnung die Revisionsinstanz und



damit die weitere Sachaufklärung nach Zurückverweisung des



Rechtsstreits in die Tatsacheninstanz ermöglichen. Der Beweisan-



trag hat somit auch warnfunktion. Der Senat hat deshalb schon für



eine schlüssige Darlegung des Verfahrensverstoßes stets verlangt,



daß der Antrag in das Protokoll über die mündliche Verhandlung



aufgenommen worden ist oder sich aus dem Urteilsinhalt ergibt



oder schriftsätzlich vorgebracht und bis zum Ende der Sitzung



aufrechterhalten worden ist (vgl Beschluß vom 15. Februar 1988



- 9/9a BV 196/87 - zur Veröffentlichung bestimmt; ferner BSG SozR



1500 § 160 Nr 12). Der Kläger hat hier seinen Antrag zwar aus-



drücklich zu Protokoll erklärt; indem er sich aber auf § 109 SGG



bezog und einen bestimmten ärztlichen Sachverständigen nannte,



hat er zumindest nicht hinreichend erkennbar gemacht, daß er noch



eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen für erforderlich



hielt, obwohl ihm das LSG zuvor mitgeteilt hatte, daß von Amts



wegen keine weiteren Gutachten mehr eingeholt würden. Das LSG hat



den gestellten Antrag auch nur als Ausübung des Rechts nach § 109



SGG aufgefaßt und als verspätet zurückgewiesen.







- 5 -







Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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BSG, 9 BV 26/93 vom 24.05.1993, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT
Beschluß
in dem Rechtsstreit

Az: 9 BV 26/93
...........................................................,
Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigter: ...........................,

g e g e n

Land Niedersachsen,

vertreten durch das Landesversorgungsamt Niedersachsen,
Hannover 1, Gustav-Bratke-Allee 2,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. Mai 1993 durch Vorsitzenden Richter
Dr. S c h m i t t, Richterin J a e g e r und Richter D a u beschlossen:


Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision durch das
Landessozialgericht Niedersachsen im Urteil vom 18. Dezember 1992 wird als unzulässig
verworfen.


Kosten sind nicht zu erstatten.


- 2 -

G r ü n d e :


Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und
§ 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgelegten gesetzlichen Form. Sie war
deshalb entsprechend den §§ 169, 193 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter
zu verwerfen (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).


Der Beschwerdeführer weist zwar auf Zulassungsgründe hin, die in § 160 Abs 2 SGG
aufgeführt sind. Er behauptet, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS des
§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG und das angegriffene Urteil beruhe auf einem Verfahrensfehler iS
des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Die behaupteten Zulassungsgründe sind aber nicht so
dargelegt und bezeichnet, wie dies § 160 Abs 2 Satz 3 SGG verlangt. Zulassungsgründe
müssen schlüssig dargetan werden.


Zur Begründung der Grundsätzlichkeit der Rechtssache muß erläutert werden, daß und
warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein wird, die
über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a
Nr 44; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Es muß überdies die Klärungsbedürftigkeit und
Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage darlegt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65).
Rechtsfragen, die vom Bundessozialgericht (BSG) entschieden sind, sind im allgemeinen
nicht mehr klärungsbedürftig und haben keine grundsätzliche Bedeutung mehr, es sei
denn, die Beantwortung der Frage ist klärungsbedürftig geblieben oder es erneut
geworden. Das muß substantiiert vorgetragen werden. Hieran fehlt es im vorliegenden
Fall, weil die behauptete grundsätzliche Frage vom Landessozialgericht (LSG) nicht zur
Grundlage seiner Entscheidung gemacht worden ist. Das LSG hat entgegen der
Beschwerdebegründung seine Entscheidung nicht darauf gestützt, daß grundsätzlich
Berufsschadensausgleich(BSchA) erst ab Vollendung des 60. (ausnahmsweise
59.) Lebensjahres bei schwerbeschädigten Selbständigen möglich ist. Diese Auffassung
konnte daher in der Beschwerdebegründung auch nicht belegt werden. Das LSG hat viel-
mehr im Wege der Beweiswürdigung konkret für den Kläger ein schädigungsbedingtes
Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verneint und sich im übrigen hinsichtlich der
grundlegenden Rechtsfragen an der Rechtsprechung des BSG orientiert (vgl BSG SozR
3-3642 § 8 Nrn 1 und 6). Da sich die Beschwerdebegründung mit beiden Entscheidungen
nicht auseinandersetzt, fehlt es an einer schlüssigen Darlegung einer verbleibenden
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, zumal die Berechnung des BSchA für
Selbständige vom BSG weitgehend vom tatsächlichen Einkommen abgelöst worden ist
(BSG aaO Nr 1). Zu der in der Beschwerde ebenfalls als grundsätzlich angesprochenen
Rechtsfrage, ob die Schädigungsfolgen mit zunehmendem Alter mit einer erhöhten
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu bewerten seien, hat der Beschwerdeführer
weder § 31 Abs 1 Satz 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) noch die hierzu ergangene


- 3 -

Rechtsprechung (vgl BSG SozR 3100 § 30 Nr 79) erörtert, so daß insoweit noch
klärungsbedürftige Fragen nicht aufgezeigt sind.


Auch die erhobene Verfahrensrüge bezeichnet einen Verfahrensmangel nicht schlüssig.
Es müssen die sie begründenden Tatsachen im einzelnen genau angegeben sein und in
sich verständlich den behaupteten Verfahrensfehler ergeben (vgl BSG SozR 1500 § 160a
Nr 14). Teilweise begründet der Kläger diese Rüge damit, daß dem Berufungsgericht eine
fehlerhafte Würdigung des Beweismaterials vorgeworfen wird. Damit wird eine Verletzung
des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Beweiswürdigung) geltend gemacht. Hierauf kann die Rüge
nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG) nicht
gestützt werden. Zur Rüge, das LSG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG)
verletzt, hätte der Beschwerdeführer entsprechende Beweisanträge bezeichnen müssen
(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hieran fehlt es, obwohl sich
der Kläger auf seinen Berufungsschriftsatz, dessen Inhalt im Zeitpunkt des
Einverständnisses mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung wiederholt worden
ist, bezieht. Denn der Berufungsschriftsatz enthielt lediglich Beweisantritte iS von §§ 371,
373, 402 f Zivilprozeßordnung (ZPO). Sie enthalten Hinweise der Beteiligten auf ihnen
geeignet erscheinende Beweismittel und führen sie in den Prozeß ein (vgl
Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 50. Aufl Einf. § 284 Anm 5). Der Beweis muß
rechtzeitig angetreten werden, damit Nachteile infolge Verspätung vermieden werden (vgl
§ 296 Abs 1 und § 296 Abs 2 iVm § 282 ZPO). Da die Sozialgerichte den Sachverhalt von
Amts wegen aufklären (§ 103 SGG), haben derartige Beweisantritte im sozialgerichtlichen
Verfahren nur eine geringe prozessuale Bedeutung. Sie enthalten üblicherweise Hinweise
und Anregungen zu Maßnahmen, die von Amts wegen einzuleiten sind, wie das auch im
Zivilprozeß denkbar iVm § 144 ZPO vorkommt, und sollen dem Gericht seine Aufgaben
erleichtern (vgl RGZ 170, 264). Selbst der Zivilprozeß kennt daher die Unterscheidung
von Beweisantrag und Beweisanregung (vgl BGHZ 66, 62, 68).


Der Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG hat indessen einen völlig anderen
prozessualen Stellenwert. Er dient der Vorbereitung einer Revision bei gleichzeitigem
Hinweis an die letzte Tatsacheninstanz darauf, daß nach Ansicht des Antragstellers die
Sachaufklärung lückenhaft geblieben ist. Deshalb hat die Rechtsprechung insoweit hohe
Anforderungen gestellt.


Grundsätzlich muß eine Nichtzulassungsbeschwerde, die damit begründet wird, das
Berufungsgericht sei einem gestellten Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht
gefolgt, aufzeigen, daß der Beweisantrag protokolliert oder im Urteilstatbestand aufgeführt
ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 64). Fehlt es an einer mündlichen Verhandlung, muß ein im
Urteilstatbestand enthaltener Beweisantrag bezeichnet werden. Selbst wenn man für
derartige Fälle eine Erweiterung auf die ausdrücklich schriftsätzlich gestellten Anträge
zuläßt, die zugleich mit der Erklärung des Einverständnisses zur Entscheidung durch


- 4 -

Urteil ohne mündliche Verhandlung gestellt werden, fehlt es hier an der Bezeichnung
eines derartigen Antrags. Denn ein Beweisantrag, der mit der Rüge der Verletzung des
§ 103 SGG zur Zulassung der Revision führen kann, muß ein Beweisantrag im Sinne
dieser Vorschrift sein, also unzweifelhaft erkennen lassen, daß eine weitere Sachver-
haltsaufklärung von Amts wegen für erforderlich gehalten wird. Der Tatsacheninstanz soll
durch einen solchen Antrag vor der Entscheidung vor Augen geführt werden, daß der
Kläger die gerichtliche Sachaufklärungspflicht in einem bestimmten Punkt noch nicht als
erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 160
Nr 67). Eine solche Warnfunktion fehlt bei Beweisantritten, die in der Berufungsschrift
oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind, und ihrem Inhalt nach lediglich als
Anregungen zu verstehen sind, wenn sie nach Abschluß der von Amts wegen
durchgeführten Ermittlungen nicht mehr zu einem bestimmten Beweisthema als
Beweisantrag aufgegriffen werden; eine unsubstantiierte Bezugnahme auf frühere
Beweisantritte genügt nicht.


Die mangelnde Darlegung des Beweisthemas und der Bedeutung weiterer Sach-
aufklärung im Berufungsverfahren wird in der Beschwerdeschrift dadurch bestätigt, daß
auch hier nicht ausgeführt wird, inwiefern sich das Berufungsgericht - ausgehend von
seinem Rechtsstandpunkt - zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen (vgl
BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34 und 56). Insoweit fehlt es an einer Auseinandersetzung
mit der Rechtsauffassung des LSG, so daß nicht deutlich ist, inwiefern die dem
Beschwerdeführer wesentlich erscheinenden Sachverhaltselemente auch für das
Berufungsgericht von Bedeutung gewesen sind.

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Volltext auch bei jurion.de 9 BV 26/93 vom 24.05.1993

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BSG, 9a RV 44/85 vom 13.08.1986, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht



9a RV 44/85



Im Namen des Volkes



Urteil



in dem Rechtsstreit



Kläger und Revisionskläger,



Prozeßbevollmächtigter:



gegen



Beklagter und Revisionsbeklagter.



Das Bundessozialgericht, 9a Senat, hat ohne mündliche Ver-

handlung am 13. August 1986

für Recht erkannt:



Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen

Versäumens der Revisionsfrist gewährt.



Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen

Landessozialgerichts vom 29. August 1985 aufgehoben, soweit

es Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz wegen Gesund-

heitsstörungen auf psychiatrisch—neurologischem und auf



-2-



urologischem Gebiet betrifft. Insoweit wird die Sache zur

erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozial-

gericht zurückverwiesen.



Im übrigen wird die Revision als unzulässig verworfen.



Gründe:



Der Kläger, der in Österreich lebt, war vom 2. Mai bis zum



26. September 1945 wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit in

jugoslawischer Haft. Auf schädigende Einwirkungen dieses Lager-

aufenthalts führt er mehrere Gesundheitsstörungen zurück. Sein

Versorgungsantrag nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ist er-

folglos geblieben (Bescheid vom 25. Januar 1979, Widerspruchs-

bescheid vom 3. Juli 1980, Urteile des Sozialgerichts -SG- vom

3. Februar 1981 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 29. Au-

gust 1985). Das LSG hat einen ursächlichen Zusammenhang zwischen

zahlreichen Gesundheitsstörungen, die der Kläger geltend macht,

und Hafteinwirkungen als nicht wahrscheinlich beurteilt. Insbe-

sondere hätte dies nicht für ein Nervenleiden und für Störungen

im urologischen Bereich zugunsten des Klägers geklärt werden

können. Die vom Urologen für notwendig erachteten Untersuchungen

als Grundlage für eine fachliche Begutachtung seien nicht möglich

gewesen, weil der Kläger die Mitwirkung daran abgelehnt habe. Das

Gericht hat sich mit Gutachten begnügt, die nach Aktenlage er-



- 3 -



stellt worden sind.



Der Kläger rügt mit seiner — vom LSG zugelassenen — Revision eine

Verletzung der §§ 103 und 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG), des § 1

Abs 3 BVG und des § 66 Abs 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner

Teil - (SGB 1). Das Berufungsgericht hätte ein psychiatrisch-

neurologisches und ein urologisches Gutachten auf Grund von Un-

tersuchungen des Klägers einholen müssen. Zwei Sachverständige

für diese Fachgebiete hätten in ihren nach Aktenlage erstatteten

Gutachten diese Sachaufklärung für erforderlich erklärt. Der

Kläger hätte über die Folgen einer Weigerung, bei diesen Beweis-

erhebungen mitzuwirken, vom Gericht hinreichend belehrt werden

müssen. Dies sei nicht geschehen. Deshalb hätte seine Äußerung,

er könne sich jetzt aus gesundheitlichen Gründen nicht nochmals

untersuchen lassen, nicht als endgültige Weigerung gewertet wer-

den dürfen.



Auf Anfrage des Revisionsgerichts hat der Kläger persönlich aus-

drücklich erklärt, er wolle an den notwendigen Untersuchungen

mitwirken.



Der Kläger beantragt,

ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

wegen Versäumung der Revisionsfrist zu

gewähren.



In der Sache beantragt er,



das Urteil des LSG aufzuheben und den



- 4 -



Rechtsstreit an das Berufungsgericht

zurückzuverweisen.



Der Beklagte beantragt,



die Revision als unzulässig zu verwerfen.



Nach seiner Auffassung hat die Revision einen Beweisantrag nicht

dargetan.



Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche

Verhandlung einverstanden erklärt.



II



Dem Kläger war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen un-

verschuldeten Versäumens der Revisionsfrist zu gewähren (§ 67

SGG); er war wegen der wirtschaftlichen Voraussetzung für eine

Prozeßkostenhilfe gehindert, rechtzeitig einen Prozeßbevollmäch-

tigten zu beauftragen.



Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg.



Der Kläger begehrt Versorgung nach dem BVG wegen verschiedener

Gesundheitsstörungen als wahrscheinlichen Folgen seiner jugosla-

wischen Haft (§ 1 Abs 1 und 2 Buchstaben a und c, Abs 3 Satz 1,

§ 5 Abs 1 Buchstabe d, § 9 BVG). Soweit es um die tatsächlichen



- 5 -



Voraussetzungen für die Anerkennung von psychiatrisch-neurologi-

schen und von urologischen Störungen als Schädigungsfolgen (BSG

SozR Nr 81 zu § 1 BVG) und um einen darauf beruhenden Versor-

gungsanspruch geht, hat der Kläger formgerecht und zutreffend

gerügt, daß das LSG seine Sachaufklärungspflicht (§ 153 Abs 1,

§§ 155, 103 Satz 1 Halbs 1 und Satz 2, § 106 Abs 3 Nr 4 SGG)

verletzt hat. Damit fehlt es insoweit an verbindlichen tatsäch-

lichen Feststellungen für eine Sachentscheidung (§§ 163, 104

Abs 2 Satz 3 SGG). Bezüglich dieser selbständigen Ansprüche und

teilbaren Streitgegenstände (§§ 123, 141 Abs 1 SGG) ist das an-

gefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten

Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170

Abs 2 Satz 2 SGG; stRspr, zB BSGE 41, 80, 81 = SozR 3100 § 35

Nr 2; Zeine, Das Sozialgerichtsgesetz und seine Anwendung, § 170

Abs 2 und 3, Rz 15b; Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, 1981, § 170,

Rz 6).



Dem Berufungsgericht hätte es sich auf Grund von Äußerungen des

Urologen Dr. S. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme

vom 13. August 1984 und des Nervenarztes Prof. Dr. F.

im Aktengutachten vom 21. Januar 1985 aufdrängen müssen, den

Kläger von Sachverständigen dieser beiden Fachgebiete untersuchen

und begutachten zu lassen. Die beigezogenen Befundunterlagen und

die nach Aktenlage erstatteten Gutachten ergaben kein zureichen-

des Bild über die beim Kläger im psychiatrisch-neurologischen und

im urologischen Bereich bestehenden Gesundheitsstörungen. Erst

wenn die Krankheitsbilder auf diesen medizinischen Gebieten durch



- 6 -



erforderliche ambulante oder notfalls stationäre Untersuchungen

geklärt sind, ließe sich fachärztlich beurteilen, ob die fest-

gestellten Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit durch

schädigende Einwirkungen der jugoslawischen Haft als wesentliche

Allein- oder Mitbedingung anhaltend verursacht worden sind. Es

ist nicht ausgeschlossen, daß die noch erforderlichen Beweiser-

hebungen zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis führen. Me-

dizinische Sachverständige könnten den Kläger bei ihren Untersu-

chungen auch fachlich gezielt nach Haftumständen befragen, die

als Krankheitsursachen in Betracht kommen, sowie nach dem Krank-

heitsbeginn und -verlauf. Diese Aufklärung wäre notwendig als

Grundlage für die richterliche Entscheidung, welche Einwirkungen

als erwiesen anzusehen sind. Vorab müßte medizinisch geklärt

werden, ob nach allgemeiner Erfahrung schwere Belastungen und

Schädigungen in einer so kurzen Haft, wie sie der Kläger erlitten

hat, schädigende Auswirkungen auf psychiatrisch-neurologischem

Gebiet schlechthin nicht erwarten lassen.



Die gebotene Beweiserhebung erübrigte sich nicht deshalb, weil

der Kläger nicht in der gebotenen Weise bei den ärztlichen Un-

tersuchungen hätte mitwirken wollen (§ 103 Satz 1 Halbs 2 SGG;

Meyer-Ladewig, aaO, § 103, Rz 13 ff; Peters/Sautter/Wolff, Komm

zur Sozialgerichtsbarkeit, § 103, Anm 3; aA Heinze, SGb 198A,

390, 395 f). Bevor das Gericht aus der Erklärung des Klägers, aus

gesundheitlichen Gründen könne er zur Zeit nicht zur ärztlicnen

Untersuchung erscheinen, folgern durfte, er mache endgültig die

gebotene Sachaufklarung unmöglich, hätte es ihn hinreichend über

die Folgen eines solchen Verhaltens schriftlich belehren müssen.



Das folgt entgegen der Rechtsansicht der Revision nicht aus der



-7 -



Vorschrift des § 66 Abs 3 SGB 1 vom 11. Dezember 1975 (BGBl I

3015), die eine entsprechende Regelung enthält (BSG SozR 1500

§ 160 Nr 3A; Peters/Sautter/Wolff, aaO, S 103, Anm 3 S II/74-öf;

aA anscheinend Meyer-Ladewig, § 103, Rz 17). Diese Bestimmung

regelt eine Voraussetzung für die Versagung oder Entziehung einer

Sozialleistung wegen fehlender Mitwirkung, ua bei einer ärztli-

chen Untersuchung (§ b2 SGB 1) im Verwaltungsverfahren (§ 66

Abs 1 und 2 SGB 1). Im Gerichtsverfahren ist hingegen eine Ver-

letzung der Mitwirkungspflicht bei der Sachaufklärung allein be-

deutsam für die Beweiswürdigung; sie kann zur Folge haben, daß

die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht als erwiesen anzusehen

sind (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Dann ist der Klageanspruch nicht

begründet. Indes wird auch im Prozeß, ungeachtet des § 66 Abs 3

SGB 1, regelmäßig als Voraussetzung einer solchen Folgerung ver-

langt, daß das Gericht zuvor den Beteiligten hinreichend über

seine Mitwirkungspflicht und über jene Auswirkung einer unbe-

gründeten Weigerung belehrt hat (BSG SozR Nr 55 zu § 103 SGG;

Meyer-Ladewig, aaO). Daran fehlte es im Schreiben des LSG vom

27. Juli 1983, in dem der Kläger bloß gefragt wurde, ob er zur

Untersucnung in G. oder in der näheren Umgebung bereit und in

der Lage sei. Das Berufungsgericht hat ohne weitere Nachfrage auf

Grund der oben zitierten Erklärung des Klägers Begutachtungen

nach Aktenlage angeordnet. Der Kläger hat aber im Revisionsver-

fahren auf genaueres Befragen verbindlich erklärt, er wolle sich

den erforderlichen Untersuchungen unterziehen.



Im übrigen ist die Revision nicht zulässig, was für jeden ein-

zelnen selbständigen Anspruch gesondert zu prüfen und zu ent-



- 8 -



scheiden ist (BSGE 7, 35, 38 f). Die Frage, die die Grundlage des

gesamten Berufungsurteils betrifft, ob nämlich die mitwirkenden

ehrenamtlichen Richter ordnungsmäßig berufen worden waren, ist

nicht Gegenstand der Revision. Der Kläger hat ausdrücklich er-

klärt, eine darauf bezogene Revisionsrüge erhebe er nicht. Diese

Frage ist im übrigen inzwischen höchstrichterlich geklärt (Bun-

desverfassungsgericht SozR 1500 § 13 Nr 1; zur Veröffentlichung

bestimmtes Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. Januar

1986 - 11a RA 46/85 -.



Gegen die Entscheidung über die einzelnen anderen selbständigen

Ansprüche, dh bezüglich der Nichtbewertung einzelner anderer Ge-

sundheitsstörungen als Schädigungsfolgen sowie des Ausschlusses

einer BVG-Entschädigung für die jugoslawische Haft als solche und

für eine anschließende Arbeitslosigkeit, hat der Kläger keine

Revisionsrügen geltend gemacht. Damit ist insoweit die Revision

unzulässig (BSG SozR 1500 § 104 Nr 22) und zu verwerfen (§ 169

Satz 1 und 2 SGG).



- 9 -



Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG

vorbehalten.

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BSG, 9a BVi 7/83 vom 21.11.1983, Bundessozialgericht
SozR 1500 § 160 Nr 51

Bundessozialgericht

9a BVi 7/83

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Beklagter und Beschwerdegegner.

Das Bundessozialgericht, 9a Senat, hat am 21. November 1983

beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision durch das Landessozialgericht Niedersachsen im

Urteil vom 19. Mai 1983 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe

Die Beschwerde ist nicht zulässig; mit ihr wird keine der Vor—
aussetzungen, die nach § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für
die Zulassung der Revision aufgeführt sind, in der nach § 160a
Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form bezeichnet.

Der Kläger sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) darin, daß die "Beweislastumkehr" im
Impfschadensrecht jedenfalls dann geboten sei, wenn der streitige
ursächliche Zusammenhang trotz erschöpfender Sachaufklärung nicht
wahrscheinlich, aber auch nicht unwahrscheinlich sei. Diese
Rechtsfrage ist nicht mehr klärungsbedürftig, da sie vom Revi—
sionsgericht — wie übrigens vom Kläger selbst vorgetragen — be—
reits entschieden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Nach den Ur—
teilen des erkennenden Senats vom 28. Oktober 1980 (Breithaupt
1981, 803f) und vom 19. August 1981 (BSG SozR 3850 § 52 Nr 1)
kehrt sich die Beweislast bei der Feststellung des ursächlichen
Zusammenhangs zwischen Impfung und Gesundheitsstörung (= haf—
tungsausfüllende Kausalität) nicht um. Vielmehr ist die Wahr-
scheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genügend, aber auch
erforderlich. Läßt sich unter diesen erleichterten Bedingungen
der Wahrscheinlichkeit ein anspruchsbegründender Umstand nicht
ermitteln, geht dies zu Lasten desjenigen, der daraus eine ihm
günstige Rechtsfolge geltend macht (ständige Rechtsprechung des
BSG ua BSGE 30, 121, 123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG; SGb 1976,
490). Demgegenüber beziehen sich die vom Reichsgericht und

- 3 -

Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze über die Beweislastum—
kehr bei Arzthaftpflichtprozessen auf die haftungsbegründende
Kausalität. Da der Kläger gleichwohl eine grundsätzliche Bedeu-
tung der Rechtsfrage geltend macht, obliegt es ihm darzulegen, in
welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der
Rechtsprechung widersprochen bzw die Beantwortung der Rechtsfrage
umstritten ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13; 1500 § 160 Nr 17).
Dies ist nicht geschehen. Der Kläger bezieht sich lediglich auf
die Ausführungen von Walter Bogs, mit denen sich der Senat
bereits in seinem Urteil vom 19. August 1981 (aaO) auseinander—
gesetzt hat.

Ebensowenig ist der Rechtsbegriff der Wahrscheinlichkeit im
Impfschadensrecht klärungsbedürftig. Wie der erkennende Senat in
den oben zitierten Entscheidungen entschieden hat, ist das Impf-
schadensrecht allen Rechtsgrundsätzen des Bundesversorgungsge-
setzes (BVG) unterstellt worden, soweit nicht Besonderheiten
ausdrücklich angeordnet worden sind. Das Impfschadensrecht ist
dem sozialen Entschädigungsrecht im Sinne der §§ 5 und 24 So-
zialgesetzbuch (Allgemeiner Teil) - SGB 1 - eingegliedert. Dieses
soziale Entschädigungsrecht richtet sich nach versorgungsrecht-
lichen Grundsätzen (Art II § 1 Nr 11 Buchst d SGB 1). Infolge-
dessen ist die gleichlautende Rechtsnorm über die Anforderung,
die an den Gewißheitsgrad für den ursächlichen Zusammenhang ge-
stellt wird, hier nicht anders als im Recht der Kriegsopferver-
sorgung auszulegen. Der erkennende Senat hat auch in den genann—
ten Entscheidungen ausgeführt, daß die besondere Ausgestaltung
des Sozialstaatspostulats im Sozialgesetzbuch die Beweisanfor—

- 4 -

derungen auch im Impfschadensrecht unangetastet läßt. Die dem
einzelnen zustehenden sozialen Rechte begründen Ansprüche nur
insoweit, als sie im besonderen Teil des Sozialgesetzbuches
normiert sind (§ 2 Abs 1 Satz 2 SGB 1). Als ein solcher im
genannten Sinne besonderer Teil rechnet das BVG, auch soweit § 51
des Bundesseuchengesetzes die entsprechende Anwendung der
Leistungsvorschriften des BVG vorsieht (Art II S 1 Nr 11 Buchst d
SGB 1).

Bei der ebenfalls als Grund für die Zulassung der Revision gel-
tend gemachte Abweichung des angefochtenen Urteils von den Ur-
teilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. Februar 1980
- 5 RKnU 4/79 —‚ vom 19. August 1981 - 9 RVi 5/80 -‚ vom
22. September 1977 - 10 RV 15/77 — sowie BSGE 19, 52 und 24, 25,
fehlt es an der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen "Bezeich-
nung". Zur Zulässigkeit der Divergenzrüge (5 160 Abs 2 Nr 2 SGG)
gehört die Darlegung, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Ab—
weichung vorliegt; der Beschwerdeführer muß dartun, mit welcher
konkreten rechtlichen Aussage das Landessozialgericht (LSG) von
einer bestimmten Aussage der höchstrichterlichen Rechtsprechung
abgewichen ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 21 und Nr 29). Soweit der
Kläger unter Bezugnahme auf die drei erstgenannten Urteile des
BSG darauf verweist, daß die einzige konkrete Möglichkeit aber
auch wahrscheinlich sei, ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu
entnehmen, welche konkrete Rechtsfrage das LSG anders entschieden
haben soll. Daß andererseits bei der gegebenen Fallgestaltung der
Kläger sich in einem Beweisnotstand befunden habe, erörtert er
nicht im einzelnen. Auch ist ein Abweichen von einer konkreten

- 5 -

Rechtsfrage nicht dargelegt. Abgesehen davon befaßt sich die
Entscheidung BSGE 19, 52, 56 mit der Beweiswürdigung bei unge—
klärter Todesursache und gerade nicht mit dem ursächlichen Zu-
sammenhang, um den es hier ausschließlich geht. Die Entscheidung
BSG 24‚ 25 nimmt zu der Frage der Feststellungslast und Beweis—
würdigung bei schuldhaft vereitelter Sachverhaltsaufklärung
Stellung, hat also ebensowenig den ursächlichen Zusammenhang zum
Inhalt. Inwieweit dennoch eine Abweichung gegeben sein soll, ist
dem Beschwerdevorbringen des Klägers nicht zu entnehmen.

Mit der Rüge, das Berufungsgericht hätte den Beweisanträgen
stattgeben müssen, macht der Kläger eine Verletzung der Sach—
aufklärungspflicht (§ 103 SGG) geltend. Indes fehlen Angaben
darüber, um welche Anträge es sich im einzelnen handelt und wann
diese gestellt worden sind. Sie sind mithin für das Revisions—
gericht nicht ohne weiteres auffindbar. Infolgedessen fehlt es an
einer hinreichenden Kennzeichnung derselben (BSG SozR 1500 § 160
Nr 5).

Die Beschwerde des Klägers enthält in seinem wesentlichen Teil
den Vorwurf, das LSG habe das Recht der freien Beweiswürdigung
(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) verletzt. Diese Rüge ist als Zulas—
sungsgrund schlechthin ausgenommen (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2
SGG). Das gilt auch insoweit, als der Kläger sich gegen die
materielle Richtigkeit des Berufungsurteils wendet. Gegenstand
der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht die Prüfung, ob das
Berufungsgericht richtig entschieden hat. Vielmehr kann auf die
Beschwerde lediglich geprüft werden, ob eine der in § 160 Abs 2

- 5 -

SGG abschließend aufgezählten Zulassungsgründe geltend gemacht
ist und auch vorliegt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 9).

Nach alldem ist das Rechtsmittel zu verwerfen (S 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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BSG, 9/9a RVs 19/86 vom 03.02.1988, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: 9/9a RVs 19/86

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Beklagter und Revisionsbeklagter.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung
am 3. Februar 1988

für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom
23. Oktober 1986 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

Bei dem Kläger ist wegen seiner Kriegsverletzung und wegen anderer Gesund-
heitsstörungen ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 vH anerkannt. Ihm ist
ferner das Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung) und die Berechtigung
zur zuschlagsfreien Benutzung der 1. Klasse bei Reisen mit der Bundesbahn
zuerkannt. Er erstrebt auch das Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Geh-
behinderung), um die besonderen für außergewöhnlich Gehbehinderte einge-
richteten Parkplätze benutzen zu dürfen, weil er nur ein- und aussteigen könne,
wenn die Wagentür vollständig geöffnet sei; das setze die geräumigeren mit
dem Rollstuhlfahrersymbol gekennzeichneten Parkplätze voraus.

Das Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) hat die Klage mit der Begründung abge-
wiesen, der Kläger gehöre nicht dem gesetzlich umschriebenen Personenkreis
an, der sich wegen der Schwere des Leidens ständig nur mit fremder Hilfe oder
nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen könne.
Pro Tag könne der Kläger zwar nur 1 bis 1,5 km an Wegstrecke zurücklegen, er
sei jedoch fähig, zusammenhängend 300 m zu gehen. Diese Fähigkeit über-
steige erheblich die Gehstrecke, die Querschnittsgelähmten, Doppeloberschen-
kelamputierten oder vergleichbaren Behinderten noch zugemutet werden
könne.

Mit der vom SG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, er könne im
Umkreis von 300 m von seiner Wohnung kein öffentliches Verkehrsmittel errei-
chen. Wenn man ihm das Merkzeichen "aG" verweigere, verstoße dies gegen
den Zweck des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG), die Eingliederung in
Arbeit, Beruf und Gesellschaft zu fördern. Es müsse immer die Behinderung im
Einzelfall beachtet werden.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten unter Abän-
derung des Bescheides vom 23. November 1984 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 1985 und unter Aufhebung des
Bescheides vom 3. Juni 1983 zu verurteilen, ihm das Merkzeichen
"außergewöhnliche Gehbehinderung (aG)" zuzuerkennen.

- 3 -

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Ver-
handlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden,
daß dem Kläger das Merkzeichen "aG" nicht zusteht.

Nach § 3 Abs 4 SchwbG idF der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1979
(BGBl I 1649) und ebenso nach § 4 Abs 4 der Neufassung vom 26. August
1986 (BGBl I S 1421, berichtigt 1550) treffen die für die Durchführung des Bun-
desversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden die erforderlichen Fest-
stellungen über weitere gesundheitliche Merkmale als Voraussetzung für die
Inanspruchnahme einer Vergünstigung, bzw eines Nachteilsausgleichs. Nach
§ 3 Abs 1 Nr 1 der Vierten Verordnung zur Durchführung der SchwbG vom
15. Mai 1981 (BGBl I 431 - Ausweisverordnung -, jetzt gültig idF der Bekannt-
machung vom 3. April 1984 - BGBl I S 509) ist im Ausweis des Schwerbehin-
derten das Merkzeichen "aG" einzutragen, wenn der Schwerbehinderte außer-
gewöhnlich gehbehindert ist iS des § 6 Abs 1 Nr 14 des Straßenverkehrs-
gesetzes (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften.
Damit weist das Schwerbehindertenrecht, wie der Senat bereits in seinem Urteil
vom 6. November 1985 - 9a RVs 7/83 - (SozR 3870 § 3 Nr 18) entschieden hat,
die Abgrenzung des begünstigten Personenkreises dem Rechtsgebiet zu, für
das die Begünstigung allein Bedeutung hat. Denn ein Ausweis mit dem Merk-
zeichen "aG" befreit den Behinderten von Beschränkungen des Haltens und
Parkens im Straßenverkehr und eröffnet ihm besonders gekennzeichnete
Parkmöglichkeiten, die - wie der Kläger zutreffend anführt - auch eine größere
Fläche als Parkraum zur Verfügung stellen (nach DIN 18 024 Teil 1, wie in der
nach § 6 Abs 1 Straßenverkehrsgesetz -StVG- idF vom 6. April 1980 (BGBl I
S 413) zuletzt erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Änderung der
Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO vom 21. Juli 1980 (BAnz Nr 137
vom 29. Juli 1980 S 2) unter Art 1 Nr 7a VIII zu § 45 angeordnet ist).

- 4 -

Umschrieben wird der begünstigte Personenkreis in der vom Bundesminister
für Verkehr erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO idF vom
22. Juli 1976 (BAnz Nr 142 vom 31. Juli 1976 S 3), die auf der gesetzlichen
Grundlage des § 6 StVG idF vom 6. August 1975 (BGBl I 2121) beruht. Dort
wird unter Art 1 II die alte Verwaltungsvorschrift zu § 46 unter Nr 11 dahin er-
gänzt, welche Schwerbehinderten als außergewöhnlich gehbehindert anzuse-
hen sind, nämlich solche, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd
nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraft-
fahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppel-
oberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, aber auch einseitig
Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tra-
gen oder die nur eine Beckenkorbprothese tragen können. Neben beispielhaft
aufgeführten Behinderten zählen dazu auch diejenigen, die nach versorgungs-
ärztlicher Feststellung aufgrund von Erkrankungen dem vorstehend
angeführten Personenkreis gleichzustellen sind; des weiteren enthält diese
Verwaltungsvorschrift besondere Regelungen für Blinde.

Das SG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger dem begünstigten Perso-
nenkreis nicht gleichgestellt werden kann. Er leidet an einer erheblichen Bewe-
gungseinschränkung des Hüftgelenks bei federnder Versteifung des Knie-
gelenks nach deformverheiltem Schußbruch des linken Oberschenkels. Wie der
Senat bereits in dem genannten Urteil unter Bezugnahme auf SozR 3870 § 3
Nr 11 entschieden hat, liegt eine außergewöhnliche Gehbehinderung in diesem
Sinne nur vor, wenn die Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße einge-
schränkt ist; die Fähigkeit zu gehen muß unter ebenso großer Anstrengung
oder ebenso nur noch mit fremder Hilfe möglich sein, wie bei dem beispielhaft
aufgeführten Personenkreis. Das Recht, die Gruppe der zu begünstigenden
Schwerbehinderten aus den Zwecken des SchwbG darüber hinaus zu erwei-
tern, ist weder den für die Ausstellung des Ausweises zuständigen Behörden
noch den Sozialgerichten eingeräumt. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die
Formulierung in § 3 Abs 1 Nr 1 der Schwerbehinderten-Ausweisverordnung in-
soweit straßenverkehrsrechtliche Vorschriften für maßgeblich erklärt. Daran hat
die Aufforderung des § 48 Abs 1 SchwbG (in der seit 1. August 1986 geltenden
Fassung), die Nachteilsausgleiche so zu gestalten, daß sie der Art oder
Schwere der Behinderung Rechnung tragen, nichts geändert. Gleichgestellt
werden können daher nicht alle Personen, die durch vergleichbar schwere Lei-
den behindert sind, sondern nur solche, bei denen die Auswirkungen der
Leiden denen gleichzuerachten sind, die der Bundesminister für Verkehr in
seinen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften genannt hat. Der

- 5 -

Leidenszustand muß wegen der außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen
die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken.

Das SG hat unangegriffen (§ 163 SGG) festgestellt, daß die von verschiedenen
Ärzten festgestellte Gehstrecke, die der Kläger noch zusammenhängend zu-
rücklegen kann, weit über den Wegstrecken liegt, die Doppeloberschenkel-
amputierten und vergleichbaren Personen zugemutet werden können. Der Klä-
ger erstrebt auch die Vergünstigung nicht so sehr deshalb, weil er von gewöhn-
lichen Parkplätzen aus angestrebte Ziele nicht erreichen könnte. Er sieht sich
auf einen mit dem Rollstuhlfahrersymbol gekennzeichneten Parkplatz deshalb
angewiesen, weil normale Parkplätze ihm das Ein- und Aussteigen nicht oder
nicht ungefährdet ermöglichen. Zum Ausgleich derartiger Nachteile hat aber der
Bundesminister für Verkehr die Ausnahmegenehmigung nicht geschaffen. Sie
ist vielmehr dazu gedacht, den Schwerbehinderten mit dem Pkw möglichst
nahe an sein jeweiliges Ziel fahren zu lassen: Er darf in Fußgängerzonen par-
ken, Parkzeiten überschreiten oder ohne Gebühr parken. Damit derartige Park-
plätze auch ortsnah zur Verfügung stehen, sind Sonderparkplätze in der Nähe
von Behörden, Krankenhäusern, Orthopädischen Kliniken anzulegen; den
außergewöhnlich Gehbehinderten sind auch Parksonderrechte vor der Woh-
nung oder in der Nähe der Arbeitsstätte einzurichten, wenn in zumutbarer Ent-
fernung eine Garage oder ein Abstellplatz außerhalb des öffentlichen Verkehrs-
raumes nicht vorhanden ist (vgl die Allgemeine Verwaltungsvorschrift in der
Fassung vom 21. Juli 1980 aaO). Der Umfang dieser Vergünstigungen verdeut-
licht nochmals, daß nicht die Schwierigkeiten bei der Benutzung des gewöhnli-
chen Parkraums, sondern die jeweilige Lage bestimmter Parkplätze zu be-
stimmten Zielen straßenverkehrsrechtlich maßgeblich ist. Der Nachteilsaus-
gleich soll allein die neben der Personenkraftwagenbenutzung unausweichlich
anfallende tatsächliche Wegstrecke soweit wie möglich verkürzen. Dies be-
deutet zugleich, daß der Personenkreis eng zu fassen ist. Denn mit der Aus-
weitung des Personenkreises steigt nicht nur die Anzahl der Benutzer, dem an
sich mit einer Vermehrung entsprechender Parkplätze begegnet werden
könnte. Mit jeder Vermehrung der Parkflächen wird aber dem gesamten Perso-
nenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet, weil ortsnaher
Parkraum nicht beliebig geschaffen werden kann. Auch hier ist bei einer an sich
vielleicht wünschenswerten Ausweitung des begünstigten Personenkreises zu
bedenken, daß dadurch der in erster Linie zu begünstigende Personenkreis
wieder benachteiligt würde.

Auch aus der Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung für Blinde können
weitere Folgerungen zugunsten des Klägers nicht gezogen werden. Wie der

- 6 -

Senat in der Entscheidung SozR 3870 § 3 Nr 18 bereits ausgeführt hat, fehlt es
insoweit an der Möglichkeit, sonstige Beschädigte mit Blinden gleichzustellen.
Die maßgebliche Verwaltungsvorschrift zu § 46 Nr 11 II Nr 2 besagt vielmehr im
Einklang mit § 6 Abs 1 Nr 14 StVG lediglich, daß für Blinde ebenso wie für
außergewöhnlich Gehbehinderte eine Ausnahmegenehmigung zugunsten des
jeweiligen Kraftfahrzeugführers ausgestellt werden kann. Die Blinden werden
damit nicht zu außergewöhnlich Gehbehinderten erklärt. Ihnen wird nur stra-
ßenverkehrsrechtlich derselbe Nachteilsausgleich eingeräumt, ohne daß ihr
Schwerbehindertenausweis mit "aG" zu kennzeichnen ist. Auf die tatsächliche
Handhabung kommt es insoweit nicht an. Schon deshalb entbehrt der Gleich-
stellungsanspruch des Klägers gegenüber der Versorgungsverwaltung der
Grundlage. Der Kläger ist auch nicht generell an der Benutzung gewöhnlicher
Parkplätze gehindert. Es hängt von ihrer Lage und Ausgestaltung im Einzelfall
ab, ob der Kläger auf der Fahrerseite die Tür ausreichend weit öffnen und mit
welchen Vorkehrungen er eine Gefährdung durch den fließenden Verkehr ver-
meiden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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BSG, 9/9a BV 196/87 vom 15.02.1988, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht



9/9a BV 196/87





Beschluß





in dem Rechtsstreit







Klägerin, Antragstellerin



und Beschwerdeführerin,



Prozeßbevollmächtigte:







Beklagter, Antragsgegner



und Beschwerdegegner.







Das Bundessozialgericht, 9. Senat, hat am 15. Februar 1988



beschlossen:







Der Antrag der Klägerin, ihr Prozeßkostenhilfe für das Ver-



fahren vor dem Bundessozialgericht zu gewähren und Rechts-



anwalt K als Prozeßbevollmächtigten beizuordnen,



wird abgelehnt.







Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der



Revision durch das Landessozialgericht Niedersachsen im



Urteil vom 14. August 1987 wird als unzulässig verworfen.







- 2 -







Kosten sind nicht zu erstatten.







G r ü n d e :







Prozeßkostenhilfe kann der Klägerin nicht gewährt werden, weil



ihre Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg



bietet (§ 73a Sozialgerichtsgesetz -SGG- iVm § 11H Abs 1 Satz 1



Zivilprozeßordnung -ZPO-).







Die Revision ist nicht durch das Bundessozialgericht (BSG) zuzu-



lassen; denn die Klägerin hat einen Beweisantrag, den das Lan-



dessozialgericht (LSG) ohne hinreichende Begründung übergangen



haben soll (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm § 103), nicht form-



gerecht bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).







Einen solchen Antrag hätte sie entweder nach dem Inhalt der



Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem



Berufungsgericht oder wenigstens nach dem Urteilsinhalt gestellt



oder vorher schriftlich vorgebracht und bis zum Ende der Sitzung



aufrecht erhalten haben müssen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 12). Nach



der Beschwerdebegründung ist keine dieser Voraussetzungen er-



füllt.







Die Klägerin bezieht sich lediglich auf einen mündlich gestellten



Antrag, der nicht protokolliert wurde. Sie behauptet nicht, er



sei in die Sitzungsniederschrift aufgenommen worden (§§ 153, 122







- 3 -







SGG iVm § 159 Abs 1 Satz 1, § 160 Abs 3 Nr 2 und Abs 6 ZPO), was



auch nicht zutrifft. Ein Beweisantrag, der über § 160 Abs 2 Nr 3



Halbsatz 2 SGG für die Zulassung der Revision bedeutsam wird, muß



protokolliert sein; er gehört zu den Anträgen "im weiteren Sinn",



und zwar zu den rechtserheblichen Angriffsmitteln, die in § 136



Abs 2 Satz 2 SGG neben dem "erhobenen Anspruch" (vgl dazu § 123



SGG) genannt werden. Das Beachten dieser vorgeschriebenen Förm-



lichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden (§ 165



ZPO). wenn eine Klägerin - wie im gegenwärtigen Fall - vor dem



LSG durch einen Rechtsanwalt vertreten war, ist der protokol-



lierte Antrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ebenso maß-



geblich, wie wenn sie nicht rechtskundig vertreten war. Im



zweiten Fall muß das Revisionsgericht davon ausgehen, daß der



Vorsitzende des Berufungsgerichts einen gestellten Beweisantrag



hätte protokollieren lassen (§ 112 Abs 2 Satz 2 SGG iVm § 160



Abs 3 Nr 2 ZPO). Die Klägerin behauptet nicht, sie habe durch



ihren Rechtsanwalt die Protokollierung eines Beweisantrages, auf



den die Beschwerde abstellt, beantragt (§ 160 Abs 4 Satz 1 ZPO)



und dies sei abgelehnt worden (§ 160 Abs 4 Satz 2 und 3 ZPO).



Schließlich hat die Klägerin keine Protokollergänzung oder -be-



richtigung beantragt (§ 160a Abs 2 Satz 3 und § 164 ZPO).







Ein Beweisantrag, auf den sich die Klägerin jetzt bezieht, wird



auch nicht im Tatbestand des Berufungsurteils wiedergegeben



(§ 136 Abs 1 Nr 5 und Abs 2 Satz 2 SGG). Insoweit hat die Kläge-



rin keine Berichtigung des Urteils beantragt (§ 139 SGG). Eine



Prozeßhandlung, die für die Eröffnung des Revisionsverfahrens



unerläßlich wäre, muß in verfahrensrechtlich vorgeschriebener







- 4 -







Form beurkundet sein, dh im Protokoll oder wenigstens im Ur-



teilstatbestand. Die Zulassung der Revision kann nicht davon ab-



hängig sein, ob sich bei einer vom Revisionsgericht zu veran-



lassenden Zeugenvernehmung die Richter, der Schriftführer oder



ein Beteiligter daran erinnern können, daß der Kläger eine wei-



tere Beweiserhebung mündlich beantragt hat.







Die Beschwerdebegründung verweist mit ihrem Bezug auf die beiden



Schriftsätze der Klägerin vom 14. März 1986 und 29. April 1986



nicht auf einen solchen Beweisantrag. Die Beschwerde wird darauf



-gestützt, daß ein Ursachenzusammenhang zwischen einer Leberschä-



digung und einer Lues-Behandlung mit arsenhaltigem Neo-Salvarsan



nicht geprüft worden sei. Zwar hat die Klägerin in den bezeich-



neten Schriftsätzen für notwendig erklärt, noch durch ein Gut-



achten zu klären, ob eine Salvarsan-Behandlung ihren Leberschaden



verursacht habe. Aber damit stellte sie kein neues Beweisthema



zur Diskussion; denn Prof. Dr. K , dessen Gutachten vom



25. Mai 1984 die Klägerin damals beanstandete und noch weiterhin



für unzureichend hält, hat auch eine Leberschädigung durch andere



Medikamente als Quecksilberpräparate zur Behandlung einer Lues



nicht als wahrscheinlich beurteilt (vgl das wörtliche Zitat in



der Beschwerdebegründung). Bei dieser Sachlage hätte die Klägerin



zu ihren schriftlichen Anträgen darlegen müssen, warum das Gut-



achten insoweit unzureichend sein sollte. Abgesehen davon wird



mit der Beschwerde nicht schlüssig geltend gemacht, nach dem



weiteren Verfahrensverlauf müsse angenommen werden, daß der Be-



weisantrag in der mündlichen Verhandlung aufrecht erhalten wurde



(BSGE 3, 284, 285; SozR 1500 § 160 Nr 12). Falls der Klägerin die







- 5 -







nach ihrer schriftlichen Beweisanregung vorgenommene Sachaufklä-



rung nicht genügte, hätte ihr Prozeßbevollmächtigter im Hinblick



auf § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG zuletzt vor der mündlichen



Verhandlung oder im Termin selbst einen ergänzenden Beweisantrag



entsprechend dem jetzigen Beschwerdevorbringen ausdrücklich stel-



len müssen. Die Klägerin behauptete nicht, sie habe genau einen



derartigen Beweisantrag in der Sitzung vorgebracht. Bei dieser



Verfahrenslage durfte das LSG davon ausgehen, daß eine Begutach-



tung über eine Verursachung durch Neo-Salvarsan nicht mehr bean-



tragt wurde.







Die Kostenentscheidung entspricht § 193 SGG.

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BGH, VIII 298/83 vom 30.05.1984, Bundesgerichtshof
BUNDESGERICHTSHOF

VIII ZR 298/83

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

der Firma S. G.. de B. S.A., Aktiengesellschaft
belgischen Rechts, , M. du P., B., vertreten durch
ihren Vorstand, Albert C., Rene L., Yves B., Comte Eric
de V. de C, ebenda, diese vertreten durch die
B. Bank, Niederlassung K., der S. G. de
B. S.A,, Z.straße in K, vertreten durch
die Geschäftsleitunq, Dr. Jürgen D., Georges N.,

Kägerin und Revisionsklägerin

Prozeßbevollmächtiqter: Rechtsanwalt Dr.

den Kaufmann Mohammed Reza M.-Z., Inhaber der Handels-
firma M. Bros., G. B. in H. ,

Beklagten und Revisionsbeklagten,

Prozeßbevollmächtigte Rechtsanwälte Dr. und ,
IT. Instanz: in

- 2 -

Der VIII Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den
Vorsitzenden Richter B. und die Richter T., Dr. Z.,
Dr. P. und G.

am 30. Mai l984

beschlossen:

Der Antrag des Beklagten, ihm unter Beiordnung
seiner zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten
Prozeßkostenhilfe für das beabsichtigte Verfahren
zur Bewilligung der Prozeßkostenhilfe zu gewähren,
wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte beantragt, ihm Pro-
zeßkostenhilfe für das Verfahren zur Bewilligung von Prozeßko-
stenhilfe für das Revisionsverfahren zu gewähren und ihm dafür
seine zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten beizuordnen.
Nach Bewilligung beabsichtigt er, Prozeßkostenhilfe für seine
Rechtsverteidigung in der Revisionsinstanz und für eine unsel-
bständige Anschlußrevision zu beantragen.

- 3 -

II. 1. Unter der Geltung des Armenrechts und auch nach
Einführung der Prozeßkostenhilfe war und ist in Rechtsprechung
und Literatur umstritten, ob im Prozeßkostenhilfe- (bzw. im
Armenrechts-) Bewilligungsverfahren Prozeßkostenhilfe (bzw.
Armenrecht) gewährt werden kann (vgl. ablehnend: OLG Schleswig
SchlHA 1978, 75; OLG Hamburg FamRZ 1978, 936; OLG Bremen JurBüro
1979, 447; OLG Karlsruhe AnwBl 1980, 198; OLG Düsseldorf JurBüro
1981, 773; OLG Nürnberg NJW 1982, 288; OLG Hamm FamRZ 1982, 623;
KG FamRZ 1982, 831; Schneider MDR 1981, 793; Pentz NJW 1982,
1269; Thomas/Putzo, ZPO, 12. Aufl. § 114 Anm. 1; Wieczorek,
ZPO, 2. Aufl. § 114 Rdn. A II; Zöller/Schneider, ZPO,
13. Aufl. Anm. I 1 b; ders. Vorbem. § 114 Anm. III;
bejahend: OLG Köln OLGZ 1969, 33, 35; OLG Celle Nds Rpfl 1977,
190; OLG Köln MDR 1980, 407; OLG Hamm NJW 1982, 287; Baumbach/
Lauterbach/Hartmann, ZPO, 41. Aufl. § 114 Anm. 2 B i, § 119
Anm. 1 C e; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl. § 118 a
Rdn. 14). Der Bundesgerichtshof hat diese Streitfrage bisher
nicht entschieden; er hat sie in seinem Beschluß vom 28. Janu-
ar 1956 - IV ZR 225/55 (*= LM ZPO § 119 Nr. 3) ausdrücklich
offen gelassen.

2. Der überwiegenden Auffassung, nach der für das Pro-
zeßkostenhilfeverfahren grundsätzlich keine Prozeßkostenhilfe
gewährt werden kann, ist zuzustimmen. Das Gesetz sieht Prozeß-
kostenhilfe für das Bewilligungsverfahren nicht vor (so auch OLG
Schleswig SchlHA 1978, 75, 76; OLG Bremen JurBüro 1979, 447; OLG

- 4 -

Düsseldorf JurBüro 1981, 773, 774; OLG Nürnberg, NJW 1982, 288;
OLG Hamm FamRZ 1982, 623). Nach § 114 ZPO kann Prozeßkostenhilfe
für die "Prozeßführung" gewährt werden. Hierunter ist das ei-
gentliche Streitverfahren zu verstehen, nicht aber das Prozeß-
kostenhilfeprüfungsverfahren, in welchem lediglich über die Ge-
währung staatlicher Hilfe für den Antragsteller zu befinden ist
(vgl. OLG Hamm FamRZ 1982, 623). Dagegen weisen diejenigen, die
Prozeßkostenhilfe für das Prüfungsverfahren befürworten, darauf
hin, im Prozeßkostenhilfeverfahren werde zwar unmittelbar über
staatliche Fürsorgeleistungen entschieden, gleichzeitig erfolge
jedoch eine vorläufige rechtliche Prüfung durch den Richter, in
deren Rahmen die Beteiligten ihre Rechte verfolgten. Das Be-
willigungsverfahren sei deshalb dem streitigen Prozeßverfahren
eng verwandt (OLG Köln OLGZ 1969, 33, 35, 36; vgl. auch OLG
Köln MDR 1980, 407).

Einer solchen ausdehnenden Auslegung bedarf es nach Sinn
und Zweck der Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe jedoch
nicht. Der armen Partei soll ermöglicht werden, ihr Recht vor
Gericht zu verfolgen oder sich in einem Rechtsstreit zu vertei-
digen. Die Partei wird nicht dadurch benachteiligt, daß ihr für
das Bewilligungsverfahren keine Prozeßkostenhilfe gewährt, ins-
besondere kein Rechtsanwalt beigeordnet wird. Bedarf der Antrag-
steller, bevor er einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe stellt, der
Beratung über die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung, so findet das Beratungshilfegesetz Anwen-

- 5 -

dung, das unter den Voraussetzungen des § 1 Rechtsberatung durch
Anwalt oder Gericht außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens er-
möglicht (vgl. OLG Nürnberg NJW 1982, 288; Schneider MDR 1981,
793, 794; Zöller/Schneider, ZPO, 13. Aufl. § 119 Anm. I 1 b
und Vorbem.§ 114 Anm. III; für die Anwendbarkeit des Bera-
tungshilfegesetzes zugunsten des Antrags g e g n e r s, weil
für diesen das Prozeßkostenhilfeverfahren kein gerichtliches
Verfahren sei, Pentz NJW 1982, 1269, 1270; a.A. auch für den
Antragsgegner: OLG Hamm NJW 1982, 287). Ziel des Beratungshilfe-
gesetzes ist es, sicherzustellen, daß die rechtliche Betreuung
finanziell hilfsbedürftiger Bürger auch im vor- und außerge-
richtlichen Bereich gewährleistet ist (vgl. Gesetzentwurf der
Bundesregierung und Stellungnahme des Bundesrates in BR-Drucks.
404/79, Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
(6. Ausschuß) in BT-Drucks. 8/3695). Hierzu gehört die Be-
ratung der armen Partei über ein beabsichtigtes Prozeßkosten-
hilfeverfahren, insbesondere die für die Bewilligung der Prozeß-
kostenhilfe maßgeblichen Erfolgsaussichten der vorgesehenen
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, die im vorliegenden
Falle vom Gericht zwar nicht hinsichtlich der Rechtsverteidigung
des Beklagten als Rechtsmittelgegner (vgl. § 119 Satz 2 ZPO),
wohl aber hinsichtlich der beabsichtigten Anschlußrevision zu
prüfen wären. Auch für eine solche Beratung im Vorfeld des
Prozeßkostenhilfeverfahrens muß die staatliche Betreuung der
armen Partei gewährleistet sein. Denn der zweitinstanzliche
Prozeßbevollmächtigte würde - wie jeder neu eingeschaltete

- 6 -

Rechtsanwalt - für diese Tätigkeit eine besondere Auskunfts-
gebühr nach § 20 BRA- GebO erhalten (Riedel/Sußbauer/Fraunholz,
BRAGebO, 3. Aufl. § 20 Rdn. 16).

Der Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe als sol-
cher kann sodann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt
werden (§ 117 Abs. 1 ZPO); Anwaltszwang besteht nach § 78
Abs. 2 ZPO auch in der Revisionsinstanz nicht. Dabei ist der
Urkundsbeamte verpflichtet, den Antragsteller über die Antrags-
erfordernisse des § 117 ZPO sachgemäß zu beraten (Baumbach/
Lauterbach/Hartmann, ZPO, 42. Aufl. § 117 Anm. 2 B).

Der armen Partei, der für das Bewilligungsverfahren Pro-
zeßkostenhilfe nicht gewährt wird, entstehen auch keine Kosten-
nachteile. Das Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahren ist gerichts-
gebührenfrei (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 42. Aufl.
§ 118 Anm. 5 A; Thomas/Putzo, ZPO, 12. Aufl. § 118
Anm. 3 a). Dem Gegner werden außergerichtliche Kosten, die ihm
im Bewilligungsverfahren entstehen, nicht erstattet (§ 118
Abs. 1 Satz 4 ZPO). Auch für etwaige Auslagen nach § 118
Abs. 1 Satz 5 ZPO muß der Antragsteller keinen Vorschuß lei-
sten. Sie werden zunächst von der Staatskasse getragen und nach
Abschluß des Rechtsstreits der unterlegenen Partei als Gerichts-
kosten auferlegt (Baumbach/Lauterbach/Hartmann aaO; Thomas/Putzo
aaO).

- 7 -

3. Da die Rechtsberatung der armen Partei durch das Be-
ratungshilfegesetz gewährleistet ist und der Urkundsbeamte der
Geschäftsstelle für einen vollständigen und sachgemäßen Antrag
der Partei sorgen muß, ist die Chancengleichheit der armen Par-
tei im Vergleich zu finanziell gut gestellten Rechtssuchenden
gewahrt. Die restriktive Auslegung des Begriffes "Prozeßführung"
in § 114 ZPO verstößt daher nicht gegen den Gleichheitssatz des
Art. 3 Abs. 1 GG (so auch OLG Bremen JurBüro 1979, 447). Auch
ist dem Erfordernis des Art. 103 Abs. 1 GG (rechtliches Gehör)
Rechnung getragen (so auch OLG Nürnberg NJW 1982, 288). Denn das
Grundgesetz verlangt nicht, daß das rechtliche Gehör gerade
durch Vermittlung eines Anwalts wahrgenommen wird (BVerfG NJW
1971, 2302).

4. Das Oberlandesgericht Hamm hat in seinem Beschluß vom
10. November 1981 dem Antragsgegner für das Prozeßkostenhilfe-
verfahren Prozeßkostenhilfe mit der Begründung gewährt, die Neu-
fassung des § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO nötige unter den Voraus-
setzungen des § 114 ZPO zur Bewilligung der Prozeßkostenhilfe
und Beiordnung eines Rechtsanwalts, weil danach das Interesse
einer Partei an anwaltlicher Vertretung immer dann beachtlich
sei, wenn auch die andere Partei durch einen Rechtsanwalt ver-
treten sei (NJW 1982, 287, 288). Dem kann nicht gefolgt werden.
Denn § 121 ZPO regelt lediglich, ob der Partei, der Prozeß-
kostenhilfe bewilligt worden ist, auch ein Rechtsanwalt beige-
ordnet werden muß. Dieser Vorschrift kann umgekehrt aber nicht

- 8 -

entnommen werden, daß dem - armen - Gegner einer anwaltlich ver-
tretenen Partei immer Prozeßkostenhilfe bewilligt und ein Anwalt
beigeordnet werden muß.

5. Da die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozeß-
kostenhilfe nach alledem nicht vorliegen, kann offen bleiben, ob
der gestellte Antrag nicht schon deshalb zurückgewiesen werden
müßte, weil dem Beklagten im Falle der Bewilligung der nach-
gesuchten Prozeßkostenhilfe seine zweitinstanzlichen Prozeßbe-
vollmächtigten nach § 121 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht beigeordnet
werden könnten. Hierdurch entstünden nämlich zusätzliche Kosten.
Das Prozeßkostenhilfeverfahren zählt zum Gebührenrechtszug des
Verfahrens, auf das es sich bezieht (Riedel/Sußbauer/Keller,
BRAGebO, 3. Aufl. § 51 Rdn. 13), hier also zur Revisionsin-
stanz. Das bedeutet, daß die im Prozeßkostenhilfeverfahren ver-
dienten Gebühren auf die im Rechtsstreit entstehenden ange-
rechnet werden (Riedel/Sußbauer/Keller aaO). Die Vertretung der
Partei im Prozeßkostenhilfeverfahren durch einen beim Revisions-
gericht nicht zugelassenen Rechtsanwalt würde daher die Anrech-
nung verhindern. Dieses Ergebnis soll durch § 121 Abs. 2 Satz 2
ZPO ausgeschlossen werden. Ohne die Beiordnung seiner zweitin-
stanzlichen Prozeßbevollmächtigten hätte die Bewilligung von
Prozeßkostenhilfe für das Prozeßkostenhilfeverfahren für den
Beklagten indessen kein erkennbares Interesse.

- 9 -

6. Ob über die Frage der Gewährung von Prozeßkostenhilfe
für das Bewilligungsverfahren anders zu entscheiden wäre, wenn
im Rahmen des Prozeßkostenhilfeverfahrens ein Vergleich ge-
schlossen werden soll (vgl. hierzu OLG Schleswig SchlHA 1978,
75, 76; Pentz NJW 1982, 1269, 1270), kann hier dahinstehen, da
ein solcher Fall nicht vorliegt.

B. T. Dr. Z.
Dr. P. G.

Nachschlagewerke: ja
BGHZ: ja

ZPO §§ 114, 121 Abs. 2 Satz 2

Für das Prozeßkostenhilfeverfahren kann Prozeßkostenhilfe nicht
gewährt werden.

BGH, Beschl. v. 30. Mai 1984 - VIII ZR 298/83 - OLG Hamburg
LG Hamburg

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BVerwG, 7 B 46.88 vom 31.03.1988, Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE: nein

Fachpresse: ja



Sachgebiet:

Prüfungsrecht

Erste Juristische Staatsprüfung

Verwaltungsprozeßrecht



Stichworte:

Prüfungsrechtliches Gebot der Sach-

lichkeit; Voraussetzungen einer

Divergenz



Rechtsquelle:



VwGO S 132 Abs. 2 Nr. 2

Buchh. 310 § 132 VwGO Nr. 260 (LT1)

KMK HScHR 1988, 981-982 (LT1)



Beschluß vom 31. März 1988 - BVerwG 7 B 46.88



Leitsatz:



Die unrichtige Anwendung eines vom Bundes-

verwaltungsgericht entwickelten und vom

Berufungsgericht nicht in Frage gestell-

ten Rechtsgrundsatzes auf den zu entschei-

denden Einzelfall begründet keine Abwei-

chung im Sinne des S 132 Abs. 2 Nr. 2

VwGO (ständige Rechtsprechung).



Beschluß des 7. Senats vom 31. März 1988 - BVerwG 7 B 46.88



I. VS Hannover vom 04 02.1987 - Az.: 6 VG A 17/85 -

II. OVG Lüneburg vom 15.12.1987 - Az.: 10 OVG A 5/87 -



BUNDESVERWALTUNGSGERICHT



BVerwG 7 B 46.88

10 OVG A 5/87



BESCHLUSS



In der Verwaltungsstreitsache



hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts



am 31. März 1988 .



durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts

Prof. Dr. S. und die Richter am Bundes-

verwaltungsgericht S. und Dr. G.



beschlossen:



Die Beschwerde der Klägerin gegen die

Nichtzulassung der Revision in dem Urteil

des Oberverwaltungsgerichts für die Länder

Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom

15. Dezember 1987 wird zurückgewiesen.



Die



- 2 -



Die Klägerin trägt die Kosten des Be-

schwerdeverfahrens.



Der Wert des Streitgegenstandes wird

für das Beschwerdeverfahren auf

6 000 DM festgesetzt.



Die Klägerin, die die Erste Juristische Staatsprüfung mit

der Abschlußnote "vollbefriedigend (11,20 Punkte)" bestanden

hat, möchte erreichen, daß die Note auf "gut" verbessert

wird. Sie stützt ihr Begehren darauf, daß die Beurteilung

ihrer Hausarbeit als "gut (13 Punkte)" Fehler enthalte.



Nach ihrer Auffassung wäre die Hausarbeit ohne die Fehler

mindestens als "gut (14 Punkte)" beurteilt und damit die

erstrebte Gesamtnote erzielt worden. Widerspruch, Klage und

Berufung waren ohne Erfolg.



Auch die Beschwerde, mit der die Klägerin sich gegen die

Nichtzulassung der Revision wendet, kann keinen Erfolg

haben. Die allein geltend gemachte Abweichung des Berufungs-

urteils von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom

20. September 1984 (BVerwGE 70, 143 = DVBl. 1985, 61 =

DÖV 1985, 488 = NVwZ 1985, 187) liegt nicht vor.



In dem bezeichneten Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht

ausgesprochen, daß im Prüfungsrecht das Gebot der Sachlich-

keit gilt, und dargelegt, welche Anforderungen dieses Gebot

an den Prüfer stellt. Eine Abweichung im Sinne des S 132

Abs. 2 Nr. 2 VwGO läge nur dann vor, wenn das Berufungs-

urteil dem widersprochen, also das Gebot der Sachlichkeit

nicht



- 3 -



nicht als Voraussetzung eines fehlerfreien Prüfungsverfahrens

anerkannt oder hinsichtlich der Anforderungen andere Maßstäbe

gesetzt hätte. Das aber ist nicht der Fall.



Das Berufungsgericht geht ersichtlich davon aus, daß das Gebot

der Sachlichkeit zu den allgemeingültigen Bewertungsgrundsätzen

gehört, denn es behandelt ausdrücklich die Frage, ob die Korrek-

toren der Hausarbeit gegen dieses Gebot verstoßen haben (UA S. 9).

Daß es hierbei andere Maßstäbe angelegt hat als das Bundes-

verwaltungsgericht‚ ergibt sich aus dem Urteil nicht. Die Be-

schwerde verweist insoweit (unter den Buchstaben a) bis c))

auf Fehler, die nach ihrer Auffassung den Beurteilern unter-

laufen sind. Dabei übersieht sie, daß sich aus einer fehler-

haften Beurteilung allein noch nicht der Schluß auf einen Verstoß

gegen das Gebot der Sachlichkeit ziehen läßt. Davon abgesehen

läuft die Argumentation der Beschwerde darauf hinaus, das Be-

rufungsgericht habe die Fehler zu Unrecht nicht als prüfungs-

rechtlich relevant gewertet und damit das Recht - in seiner

Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht - unrichtig ange-

wendet. Die unrichtige Anwendung eines vom Bundesverwaltungs-

gericht entwickelten und vom Berufungsgericht nicht in Frage

gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden Einzel-

fall wäre aber noch keine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2

Nr. 2 VwGO. Die Beschwerde verkennt, daß der Tatbestand dieser

Bestimmung nur erfüllt ist, wenn das Berufungsgericht in einer

Rechtsfrage - losgelöst von der Würdigung des Einzelfalles -

eine dem Bundesverwaltungsgericht widersprechende Rechtsauf-

fassung vertritt. Das ist hier nicht der Fall.



Die Kostenentscheidung beruht auf S 154 Abs. 2 VwGO, die Streit-

wertfestsetzung auf S l4 Abs. 1 Satz l in Verbindung mit S l3

Abs. 1 Satz 2 GKG. '



Prof. Dr. S. S. Dr. G.

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VG Wiesbaden, 6 K 1374/11.WI vom 15.03.2013, Verwaltungsgericht Wiesbaden
6 K 1374/11.WI



Verkündet am: 15.03.2013



(K...)

Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle



VERWALTUNGSGERICHT WIESBADEN





URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES



In dem Verwaltungsstreitverfahren





- Kläger —

bevollmächtigt:

Rechtsanwälte



gegen



Bundesrepublik Deutschland,

vertreten durch das



- Beklagte -



wegen



Verfahren nach dem Informationsfreiheitsgesetz



- 2 -



hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden durch

Vorsitzenden Richter am VG Schild als Berichterstatter



aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2012 am 15.03.2013 für Recht er-

kannt:



Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren einge-

stellt. lm Übrigen wird die Klage abgewiesen.



Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.



Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf

die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe

der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Voll-

streckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.



Tatbestand



Der Kläger begehrt Einsicht in die Haushaltsbücher der Einkommens- und Verbraucher-

stichprobe des Jahres 2008 (EVS 2008).



Der Kläger wandte sich erstmals mit Mail vom 29.09.2010 an die Beklagte. Dabei führte

er aus, dass er den Regelsatz für Alleinstehende für zu niedrig halte. Aufgrund seiner

persönlichen Erfahrung könne er sich nicht vorstellen, dass der Regelsatz korrekt be-

rechnet worden sei. Er benötige deshalb alle Berechnungsfaktoren und bitte um ent-

sprechende Zusendung. Er halte es für zwingend notwendig, die Berechnung des Sta-

tistischenBundesamtes zu prüfen; dies, um auszuschließen, dass die Berechnungen



- 3 -



manipuliert oder gemäß dem politischen Willen der Koalition interpretiert worden seien.

Er bitte, ihm alle für eine Nachvollziehung der Berechnung notwendigen Einzeldatensät-

ze, am Besten eine Ablichtung der abgegebenen Datenaufschreibung zukommen zu

lassen.



Nachdem ihm verschiedene Veröffentlichungen zugänglich gemacht worden waren, er-

klärte der Kläger mit Mail vom 11.01.2011, dass er alle 60.000 Haushaltsbücher zwecks

Auswertung, jedoch ohne Namensangabe und konkreten Wohnsitz benötige. Daraufhin

wurde ihm mitgeteilt, dass anonymisierte Mikrodaten (Einzeldaten aus den Haushalts-

büchern) Wissenschaftlern auf Antrag bereitgestellt würden.



Nachdem der Beklagte dem Kläger Daten der Einkommens- und Verbraucherstichprobe

(EVS) 2008 zum Haushaltsbudget u.a. den privaten Verbrauch nach Einzelcodes in der

tiefsten Gliederung zugesandt hatte, beantragte der Kläger mit Mail vom 24.08.2011

erneut, ihm die 60.000 Datensätze, die Basis für die Hartz IV-Regelsatzberechnung wa-

ren, als Datenfiles zukommen zu lassen. Dabei berief er sich auf das Informationsfrei-

heitsgesetz.



Daraufhin wurde dem Kläger mit Mail vom 29.08.2011 mitgeteilt, dass das Statistische

Bundesamt die Informationsversorgung der Bevölkerung gewährleiste, indem es sehr

detaillierte Ergebnisse der EVS 2008 kostenlos zur Verfügung stelle. Die Ergebnisse

basierten auf den Daten von 55.100 Haushalten, die Haushaltsbücher der EVS 2008

ausgefüllt hätten. Mikrodaten würden für Wissenschaftler bereitgestellt. Im Sinne größt-

möglicher Transparenz und Nachvollziehbarkeit habe das Bundesministerium für Arbeit

und Soziales alle statistischen Berechnungen offen gelegt, die bei der Neuberechnung

der Regelsätze verwendet worden seien. Diese Berechnungen seien Sonderauswertun-

gen vom Statistischen Bundesamt, welche im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit

und Soziales durchgeführt worden.



Daraufhin begehrte der Kläger mit Mail vom 29.08.2011 eine formelle Bescheidung.



- 4 -



Mit Schreiben der Beklagten vom 01.09.2011 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die ge-

sammelten, personenbezogenen Daten für Zwecke der amtlichen Statistik erhoben und

deshalb dem Statistikgeheimnis nach § 16 Bundesstatistikgesetz (BStatG) unterliegen

würden. Nach § 16 Abs. 6 BStatG dürften Daten, die dem Statistikgeheimnis unterfallen,

auch in anonymisierter Form nur für die Durchführung wissenschaftlicher Vorhaben an

Hochschulen oder sonstigen Einrichtungen unabhängiger Forschung übermittelt wer-

den, wenn die Einzelangaben nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand an Zeit, Kos-

ten, Arbeitskraft zugeordnet werden könnten und die Empfänger Amtsträger oder für

den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete nach § 16 Abs. 7 BStatG seien. Der

Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er zu dem begünstigten Personenkreis zäh-

le.



Das Informationsfreiheitsgesetz (lFG) gebe jedermann nach Maßgabe der Gesetze ge-

genüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informati-

onen. Dieser Zugang sei jedoch nicht schrankenlos, sondern an Voraussetzungen ge-

knüpft. So sei z.B. auch der Zugang zu personenbezogenen Daten eingeschränkt. Dies

sei der Fall, wenn ein besonderes Amtsgeheimnis der Informationsgewährung entgegen

stehe. Dies sei mit § 16 BStatG gegeben. Man gebe ihm abschließend Gelegenheit zur

Stellungnahme.



Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 04.09.2011 ihm Kopien der ca.

60.000 Haushaltsbücher in anonymisierter Form, in Papierform oder aber hilfsweise als

Datenfiles, zukommen zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht habe ihm mit Schrei-

ben vom 17.02.2011 mitgeteilt, dass die Rohdaten beim Beklagten zu beziehen seien.

Er wiederhole ausdrücklich, dass er keinerlei personenbezogene Daten (Namen und

Anschriften der Haushaltsbuchführer) erhalten wolle, sondern lediglich alle Daten, die es

ihm ermöglichten, die Richtigkeit der EVS-Erhebung kontrollieren zu lassen, da er diese

anzweifle.



Mit Bescheid des Beklagten vom 15.09.2011, zur Post gegeben am 16.09.2011, wurde

der Antrag abgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass auf-



- 5 -



grund der Beachtung und Wahrung des Statistikgeheimnisses nach § 16 Abs. 6 BStatG

durch das Statistische Bundesamt keine Einzeldaten herausgegeben werden könnten.

Das Statistikgeheimnis sei ein besonderes Amtsgeheimnis.



Hiergegen legte der Kläger mit Fax vom 21.09.2011 Widerspruch ein. Im Weiteren frage

der Kläger an, ob die Datenfiles EVS 2008 Wissenschaftlern, Gutachtern sowie übrigen

Beteiligten der Anhörung im Bundestagsausschuss Arbeit und Soziales zur Verfügung

gestellt worden seien.



Nach mehreren Erinnerungen des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid des Be-

klagten vom 09.11.2011 der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im

Wesentlichen ausgeführt, dass der Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen

nach § 1 IFG nicht schrankenlos sei. Gemäß § 3 IFG bestehe ein Anspruch auf Informa-

tionszugang nicht, sondern sei z.B. ausgeschlossen bei militärischen oder sicherheitsre-

levanten Bereichen und auch dann, wenn die Informationen einem Berufs- oder beson-

derem Amtsgeheimnis unterliegen. Das Statistikgeheimnis nach § 16 Abs. 1 BStatG

stelle eine solches Amtsgeheimnis dar. Unter seinem Schutz stünden Einzelangaben

über persönliche oder sachliche Verhältnisse, die für die Bundesstatistik gemacht wor-

den seien. Schutzwürdig und damit geheim zu halten seien danach Einzeldaten, die

vom Auskunftspflichtigen oder Befragten in Erfüllung seiner statistischen Auskunfts-

pflicht oder bei einer Erhebung ohne Auskunftspflicht freiwillig abgegeben würden. Die

in den Haushaltsbüchern von den teilnehmenden Haushalten gemachten Angaben un-

terlägen damit dem Statistikgeheimnis und dürften nicht herausgegeben werden. Selbst

wenn man die begehrten Haushaltsbücher derart anonymisiere, dass sie nur mit einem

unverhältnismäßig großem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeit zugeordnet werden

könnten, dürften diese nicht zur Verfügung gestellt werden, da sie nicht die Voraus-

setzungen des § 16 Abs. 1 BStatG erfüllten.



Der Widerspruchsbescheid wurde am 15.11.2011 zugestellt.



- 6 -



Mit Schriftsatz vom 11.12.2011, eingegangen am selben Tage bei dem VerwaItungsge-

richt Wiesbaden, hat der Kläger Klage erhoben mit dem Ziel, ihm Kopien der rund

60.000 Haushaltsbücher, die Gegenstand der EVS 2008 waren, in anonymisierter Form

zu überlassen.



Im Laufe des weiteren Verfahrens beantragte der Kläger schließlich in der mündlichen

Verhandlung am 30.11.2012



die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die im Rahmen der EVS 2008 erhobenen

Daten zur Verfügung zu stellen, soweit sie folgende Teile der Haushaltsbücher

betreffen:



— alle Daten eines Einpersonenhaushalts mit Ausnahme der Datenfelder Land,

Haushaltsnummer, Datenfelder A bis H; stattdessen das von der Beklagten

ermittelte Nettoeinkommen pro Einpersonenhaushalt;



— die Ausgaben I bis W

mit der Maßgabe, dass der Beklagten zugestanden wird, für jedes einzelne

Datenfeld die Extremwerte im Volumen der jeweils kleinsten bzw. größten

zehn Prozent der Werte, mindestens jedoch fünf der jeweiligen Spitzenwerte

(im oberen bzw. unteren Bereich) unkenntlich zu machen und so darzustellen,

als ob keine Angaben eingefügt worden sind;



— der Beklagten nachgelassen bleibt, einzelne Datensätze vollständig auszulas-

sen, wenn die Daten so signifikant sind, dass sie mit geringem Aufwand an

Zeit, Kosten und Arbeitsaufwand einer Person zugeordnet werden können.



Der Kläger stellt klar, dass keine Namen, Geburtsdaten oder sonstigen personenbezo-

genen/beziehbaren Daten erwünscht werden. Der Beklagten werde dabei freigestellt, in

welcher Form die Daten zur Verfügung gestellt werden.



Der Kläger erklärte ferner klarstellend, dass mit den obersten und untersten zehn Pro-

zent der jeweils oberste und unterste Wert für jedes einzelne Merkmal gemeint seien.



- 7 -



Im Übrigen nahm er die Klage zurück.



Das beklagte Statistische Bundesamt beantragt,

die Klage abzuweisen.



Es führt letztendlich zur Begründung aus, dass, nach dem nunmehrigen Antrag des Klä-

gers die Vorgaben nach dem Klageantrag zwar technisch möglich umgesetzt werden

könnten. Insoweit könnten die Datensätze der Einzelhaushalte (15.465 Haushalte) her-

ausgefiltert werden. Aus diesen Datensätzen würden dann alle Datenfelder gelöscht mit

Ausnahme der Datenfelder, die Angaben zu den Haushaltsbuchabschnitten I bis W so-

wie den Wert zum jeweiligen Haushaltsnettoeinkommen enthalten. Ebenfalls technisch

umsetzbar sei die Vorgabe, dass jedes einzelne Datenfeld die Extremwerte in Volumen,

die jeweils kleinsten bzw. größten 10 % der Werte, mindestens jedoch 5 der jeweiligen

Spitzenwerte unkenntlich zu machen, indem sie so dargestellt werden, als ob der Haus-

halt keine Angaben gemacht hätte.



Jedoch gebe das Bundesstatistikgesetz vor, dass Einzelangaben nur an Hochschulen

oder sonstige Einrichtungen mit der Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher For-

schung übermittelt werden dürften, sofern sie nur mit unverhältnismäßig großem Auf-

wand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft zugeordnet werden könnten. Der Kläger zähle als

Privatperson nicht zu diesem Adressatenkreis. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 BStatG dürften

Einzelangaben Privatpersonen nur zugänglich gemacht werden, wenn sie den Befragten

oder Betroffenen nicht mehr zuzuordnen seien.



Die Kriterien für einen absolut anonymisierten Datensatz könnten vorliegend nicht erfüllt

werden. Bei den gewünschten Daten handele es sich um keine Stichprobe. Auch sei die

Erhebung noch aktuell. Hinzu komme, dass der Kläger das ermittelte Nettoeinkommen

pro Ein-Personen-Haushalt „spitz“ wünsche. Die Angaben I bis W müssten mindestens

5-fach besetzt sein.



- 8 -



Eine absolute Anonymisierung der Daten führe dazu, dass eine Deanonymisierung nur

mit erheblich höherem Aufwand durchführbar wäre, wenn nicht die Originaldaten, son-

dern in geeigneter Weise durch Berechnungsverfahren veränderte Daten herausgege-

ben würden. Dies würde aber bedeuten, dass ein neuer Datensatz berechnet werden

müsste. Dies entspreche dann nicht mehr den Vorgaben des lFG. Hiernach müsse die

Behörde nur vorhandene Daten bzw. Aufzeichnungen herausgeben. Jedoch müssen

keine neuen Aufzeichnungen hergestellt werden.



Ohne Neuberechnung wäre trotz der erfolgten Löschung etc. eine Deanonymisierung

der Daten möglich. Dabei müsse insbesondere auch die Kombination von Ausgabeposi-

tionen betrachtet werden, die derart exklusiv seien, dass sie einem bestimmten Haus-

halt zugeordnet werden könnten. Für einige wenige Positionen seien die exakten Aus-

gaben zu erkennen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass mehr als ein Haushalt eine auf

den Cent-Betrag identische Ausgabenkombination aufweise, ausgesprochen gering sei.

An den Kläger dürften aber nur absolut anonymisierte Datensätze zur Verfügung gestellt

werden.



Außerhalb des IFG gebe es die Möglichkeit, für den Kläger einen absolut anonymisier-

ten Datensatz herzustellen. Die Herstellung und Übermittlung eines solchen Datensat-

zes erfolge dann aber nur gegen eine entsprechende Kostenübernahme (in Höhe von

geschätzt mehreren Tausend Euro).



Bereits mit Kammerbeschluss vom 22.05.2012 wurde dem Kläger nur insoweit Prozess-

kostenhilfe gewährt, als ihm die im Rahmen der EVS 2008 erhobenen Daten von rund

60.000 Haushaltsbüchern als Datenfiles in anonymisierter Form zur Verfügung zu stel-

len seien. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt.



Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Klägers wurde vom HessVGH mit Beschluss

vom 16.08.2012 zurückgewiesen (Az. 6 D 1218/12).



- 9 -



Eine dagegen eingelegte Anhörungsrüge wurde mit Beschluss des HessVGH vom

10.09.2012 zurückgewiesen (Az. 6 D 1757/12.R).



Bereits mit Schriftsatz vom 14.12.2011 (Bl. 31 GA) hat sich der Kläger und mit Schrift-

satz vom 28.12.2011 hat sich das beklagte Statistische Bundesamt (Bl. 34 GA) mit einer

Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.



In der nach mehreren Terminierungsversuchen durchgeführten mündlichen Verhand-

lung am 30.11.2012 wurde der Sach- und Streitstand sehr ausgiebig erörtert. Insoweit

wird vollinhaltlich auf das Protokoll Bezug genommen.



Aufgrund des insoweit in der mündlichen Verhandlung gestellten, modifizierten und ein-

geschränkten Klageantrages erhielt sowohl das Statistische Bundesamt als auch an-

schließend der Kläger hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme. Auf die abgegebe-

nen Stellungnahmen wird vollinhaltlich Bezug genommen.



Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die Prozesskos-

tenhilfe-Akte, die Behördenakte sowie die Gerichtsakte 6 L 928/12.WI Bezug genom-

men, welche sämtlich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung

gemacht worden sind.



Entscheidungsgründe



Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Klage zurückgenommen hat, war

das Verfahren einzustellen.



Der von dem Kläger nunmehr gestellte konkretisierende Antrag ist zulässig und sach-

dienlich. Er ist aber nicht begründet. Zwar hat jeder nach Maßgabe des IFG gegenüber

den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen, § 1

Abs. 1 Satz 1 IFG. Jedoch besteht ein solcher Anspruch auf Informationszugang nicht,



- 10 -



wenn die Informationen einer durch Rechtsvorschrift oder allgemeine Verwaltungsvor-

schrift zum materiellen oder organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten

Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitsverpflichtung oder einem Berufs- oder besonde-

ren Amtsgeheimnis unterliegt, § 3 Nr. 4 IFG. Bei der Regelung des § 3 IFG handelt es

sich um einen absoluten Ausschlusstatbestand. Unter besondere Amtsgeheimnisse fal-

len neben dem Sozialgeheimnis (§ 35 SGB l) und dem Steuergeheimnis (§ 30 AO) auch

das Statistikgeheimnis gemäß § 16 BStatG.



Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 BStatG sind „Einzelangaben über persönliche und sachliche

Verhältnisse, die für eine Bundesstatistik gemacht worden sind und von den Amtsträ-

gern und für den Öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, die mit der Durchführung

von Bundesstatistiken betraut sind, geheimzuhalten, soweit durch besondere Rechts-

vorschriften nichts anderes bestimmt ist“. Bei der Einkommens- und Verbraucherstich-

probe des Jahres 2008 (EVS 2008) handelt es sich um eine Bundesstatistik. Hierbei

wurden von den jeweiligen Betroffenen Einzelangaben in die Haushaltsbücher eingetra-

gen. Damit unterliegen diese der Geheimhaltung gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 BStatG.



Eine besondere Rechtsvorschrift, die etwas anderes bestimmt und damit die Geheim-

haltungspflicht des § 16 Abs. 1 S. 1 BStatG durchbricht, ist nicht gegeben.



Das Statistikgeheimnis findet jedoch gemäß § 16 Abs. 1 S. 2 BStatG keine Anwendung,

wenn



a) der Befragte schriftlich in die Übermittlung oder Veröffentlichung von Einzelangaben

eingewilligt hat,



b) die Einzelangaben aus allgemein zugänglichen Quellen stammen,



c) die Einzelangaben von dem Statistischen Bundesamt oder den statistischen Ämtern

der Länder mit den Einzelangaben anderer Befragter zusammengefasst und in statis-

tischen Ergebnissen dargestellt sind (sog. aggregierte Daten)

oder aber, wenn



d) die Einzelangaben dem Befragten oder Betroffenen nicht zuzuordnen sind (§ 16

Abs. 1. S. 2 Nr. 4 BstatG).



- 11 -



Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Denn der Kläger begehrt mit seinem Klageantrag

alle Daten eines Ein-Personen-Haushaltes mit Ausnahme der Datenfelder: Land, Haus-

nummer, Datenfelder A — H. Insoweit begehrt er das jeweils ermittelte Nettoeinkommen

pro Ein-Personen-Haushalt und ferner die Angaben über die Ausgaben I — W (Kosten

für Wohnen und Energie, Verkehr, Post und Telekommunikation, Gesundheit und

Körperpflege, Bekleidung und Schuhe, Innenausstattung, Haushaltsgeräte und

—gegenstände, laufende Haushaltsführung, Freizeit, Unterhaltung und Kultur, Gaststät-

ten, Kantinen, Hotels, Pensionen, Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren, Bildungswe-

sen und Kinderbetreuung, sonstige Waren und Dienstleistungen, Versicherungsbeträge,

Bildung von Geldvermögen, Restzahlungen, Ratenzahlungen, Soll- und Überziehungs-

zinsen, Neuaufnahme von Krediten). Bei diesen Daten handelt es sich um Einzelanga-

ben, die dem jeweiligen Betroffenen, der das Haushaltsbuch ausgefüllt hat, im Einzel-

nen zugeordnet werden können.



Zwar hat der Kläger dargelegt, dass er die Datensätze vollständig ausgelassen habe

wolle, die so signifikant sind, dass mit geringem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeits-

aufwand diese einer Person zugeordnet werden können, jedoch bleiben auch die übri-

gen Einzelangaben grundsätzlich dem jeweiligen Betroffenen zuordenbar. Es handelt

sich in diesem Fall, so wie der Kläger die Daten nunmehr von der Beklagten begehrt, -

wenn überhaupt - um lediglich anonymisierte Daten. Denn mit einem entsprechenden

Zusatzwissen kann das auf Cent genau angegebene Einkommen, aber auch eine Aus-

gabe, einer Person zugerechnet werden.



Nur soweit die Daten so zusammengefasst und so gehäuft sind, dass es sich um statis-

tische und damit aggregierte Daten handelt, sind Einzelangaben einer natürlichen Per-

son sicher nicht mehr zuordnenbar. Dabei ist zu beachten, dass § 3 Abs. 1 BDSG be-

stimmt, dass personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche

Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person sind. Soweit die

Daten nicht statistisch zusammengefasst sind, wofür es mindestens der Daten von fünf

Betroffenen zur Aggregierung bedarf, sind die Daten allenfalls als anonymisierte Daten



- 12 -



nur mit einem unverhältnismäßig großem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft ei-

ner bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zuordnenbar. Dabei ist anony-

misieren definiert als das Verändern personenbezogener Daten derart, dass die Einzel-

angaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse nicht oder nur mit einem unver-

hältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder

bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden können. Es handelt sich hierbei

jedoch weiterhin um personenbezogene Daten, solange eine Wiederzusammenführung

der zur Identifikation geeigneten Daten mit anderen anonymisierten Daten möglich ist.

Soweit eine Reidentifizierung nicht völlig ausgeschlossen werden kann, ist daher immer

von einem personenbezogenen Datum auszugehen.



Zur Anoymisierung ist es zwar auch unerlässlich, dass die direkten oder indirekten Iden-

tifikationsmerkmale, wie Name, Anschrift, Personenkennzeichen usw. gelöscht werden.

Dieser Vorgang, wie ihn der Kläger begehrt, führt jedoch letztendlich nicht dazu, dass

eine Personenbeziehbarkeit auszuschließen ist. Die Einzelangaben können im Zweifel

einem Betroffenen zugeordnet werden, auch wenn dazu vielleicht ein Zusatzwissen er-

forderlich ist. Erst wenn aus den Daten „Einzelangaben“ ein neuer Datenbestand ge-

schaffen wird, der personenbeziehbare Daten nicht mehr enthält, handelt es sich um

Einzelangaben, die einer natürlichen Person nicht mehr zugeordnet werden können.



Dabei ist zunächst festzustellen, dass das von dem Betroffenen angegebene Nettoein-

kommen und seine Ausgaben nach dem Klagebegehen (mit Ausnahme der „Extremwer-

te“) unverändert übermittelt werden sollen und damit einem einzelnen Betroffenen

grundsätzlich zuordnenbar sind. Nur wenn — wie die Beklagte zu Recht ausführt — die

Originaldaten in geeigneter Weise durch Berechnungsverfahren verändert würden (Zu-

sammenfassung von mindestens fünf Einzelhaushalten und Ermittlung eines Durch-

schnittswertes), lägen aggregierte Daten und damit keine Einzelangaben vor.



Bei den von dem Kläger begehrten Daten handelt es sich jedoch, selbst wenn man die

Datenfelder Land, Haushaltsnummer Datenfelder A — H löscht und auch signifikante Ext-

remwerte ausblendet, um nichts anderes als um anonymisierte Daten, die — wenn auch



- 13 -



gegebenenfalls mit einem erheblichen Aufwand —- einem Betroffenen zugerechnet wer-

den können.



Bezüglich anonymisierter Daten enthält § 16 BStatG jedoch eine Sonderregelung. Hier

regelt § 16 Abs. 6 BStatG, dass Einzelangaben, die nur mit unverhältnismäßig großem

Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft zugeordnet werden können, zur Durchführung

wissenschaftlicher Vorhaben an Hochschulen oder sonstige Einrichtungen mit der Auf-

gabe unabhängiger wissenschaftlicher Forschung übermittelt werden dürfen, wenn die

Empfänger Amtsträger sind oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete o-

der verpflichted nach § 16 Abs. 7 BStatG sind, sie also auf das Statistikgeheimnis ver-

pflichtet wurden.



Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil (Urteil vom

15.12.1983, Az.: 1 BvR 209/83 u.a.) festgestellt: „Für den Schutz des Rechts auf infor-

mationelle Selbstbestimmung ist — und zwar auch schon für das Erhebungsverfahren —

die strikte Geheimhaltung der zu statistischen Zwecken erhobenen Einzelangaben un-

verzichtbar, solange ein Personenbezug noch besteht oder herstellbar ist (Statistikge-

heimnis); das Gleiche gilt für das Gebot einer möglichst frühzeitigen faktischen Anony-

misierung, verbunden mit Vorkehrungen gegen eine Deanonymisierung.“



Damit wurde festgestellt, dass dem Betroffenen im Rahmen des Statistikgeheimnisses

das Restrisiko einer Deanonymisierung im Verhältnis zu der Statistikbehörde zugemutet

werden kann. Diese Überlegung führt jedoch nicht dazu, dass anonymisierte Daten von

der Statistikbehörde an Außenstehende wie den Kläger weiter gegeben werden dürfen.



Insoweit hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Urteil vom 10.09.2003, Az.:

5 E 2413/02, Rdnr. 28 — nach juris — ausgeführt:



„Angesichts der erheblichen Bedeutung der Statistik für die staatliche Politik, die

den Prinzipien und Richtlinien des Grundgesetzes verpflichtet ist, muss der Ein-

zelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbe-



- 14 -



stimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen (so BVerwG, Urteil

vom 15.12.1983, Az.: 1BvR 209/83 u.a.). Dabei muss berücksichtigt werden,

dass es nicht Aufgabe der Bundesstatistik ist, personen- oder institutionsbezoge-

ne Nachweise zu liefern, sondern sich mit Massenerscheinungen auseinanderzu-

setzen. Die amtliche Statistik ist daher generell dem Grundsatz verpflichtet, wo-

nach die Aufbereitung von Individualdaten immer zu einer strukturierten, anony-

misierten Form führen muss. Der Grundsatz der Geheimhaltung der statistischen

Einzelangaben ist somit als konstitutiv für die Funktionsfähigkeit der amtlichen

Statistik anzusehen (vgl. dazu Dr. Poppenheger, Erläuterung zu § 16 BStatG, in:

Das deutsche Bundesrecht Vl/l Z1 O). “



Insoweit sind Daten, welche letztendlich noch einem Betroffenen zugeordnet werden

können, dem Statistikgeheimnis unterliegend, soweit diese Daten beim Statistischen

Bundesamt vorliegen.



Zur Einhaltung des Statistikgeheimnisses gemäß § 16 Abs. 1 BStatG bedarf es vorlie-

gend auch mehr als dem einfachen Weglassen von personenbeziehbaren Datenteilen.

Vielmehr müssten die Daten komplett neu berechnet und verändert werden, was bedeu-

tet, dass neue Datensätzen herzustellen sind. Dies wiederum ist von dem Anspruch auf

Informationsfreiheit nicht gedeckt. Denn der Anspruch bezieht sich nur auf vorhandene

Informationen. Denn gemäß § 2 Nr. 2 IFG sind amtliche Informationen jede amtlichen

Zwecken dienende Aufzeichnung unabhängig von der Art ihrer Speicherung, mithin be-

reits vorhandene Daten. Insoweit kennt das IFG auch keine Informationsbeschaffungs-

pflicht oder gar Herstellungspflicht von Informationen.



Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob durch entsprechende Überarbeitung der

Daten diese so verändert werden können, dass sie einer einzelnen Person nicht mehr

zugeordnet werden können. Dies auch, wenn der Kläger dazu anmerkt, dass wenn man

das gesamte Anonymisierungsraster über die Daten legen würde, wie der Beklagte sie

vorgeschlagen habe, dies keinen Erkenntniswert mehr für ihn habe.



- 15 -



Wie sich im Rahmen des Verfahrens ergeben hat, liegen bei der Beklagten auch keine

„Rohdaten“ vor, welche so beschaffen sind, dass möglicherweise darin enthaltene Ein-

zelangaben dem Betroffenen nicht zuzuordnen sind. Insoweit ist der nunmehrige ge-

richtliche Kenntnisstand ein weitergehender als zum Zeitpunkt der Gewährung der Pro-

zesskostenhilfe bei dem Beschluss vom 22.05.2012.



Nach alledem war die Klage abzuweisen.



Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 VwGO.



Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit bezüglich der Kosten folgt

aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.



Rechtsmittelbelehrung



Die Beteiligten können die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil beantragen. Der

Antrag auf Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des voll-

ständigen Urteils bei dem



Verwaltungsgericht Wiesbaden

Mainzer Straße 124

65189 Wiesbaden



zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Mona

ten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen

die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag

vorgelegt worden ist, bei dem



Hessischen Verwaltungsgerichtshof

Brüder-Grimm-Platz 1

34117 Kassel



einzureichen.



Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn



1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,



2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,



3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,



- 16 -



4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwal-

tungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes o-

der des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht o-

der



5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend

gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.



Vor dem Hessischen Venrwaltungsgerichtshof besteht gemäß § 67 Abs. 4 VwGO Vertre-

tungszwang. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren beim Hessi-

schen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird.



Bei den hessischen Verwaltungsgerichten und dem Hessischen VerwaItungsgerichtshof

können elektronische Dokumente nach Maßgabe der Verordnung der Landesregierung

über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwalt-

schaften vom 26. Oktober 2007 (GVBI. l, S. 699) eingereicht werden. Auf die Notwen- '

digkeit der qualifizierten digitalen Signatur bei Dokumenten, die einem schriftlich zu un-

terzeichnenden Schriftstück gleichstehen, wird hingewiesen (§ 55a Abs. 1 Satz 3

VwGO)

Hinweis:

Soweit eine Ausfertigung dieses Urteils Randnummern enthält, sind diese von der Un-

terschrift des Richters nicht gedeckt und entspricht nicht dem Original.

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BSG, 5 RJ 26/94 vom 12.12.1995, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT



Im Namen des Volkes



Urteil



in dem Rechtsstreit



Az: 5 RJ 26/94



Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:



gegen



Landesversicherungsanstalt Hessen,

Frankfurt, Städelstraße 28,

Beklagte und Revisionsbeklagte.



Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 12.

Dezember 1995 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. B.,

die Richter B. und Dr. F. sowie die ehrenamtliche Richterin W.

und den ehrenamtlichen Richter van S. für Recht erkannt:



Auf die Revision des Klägers wird der Beschluß des Hessischen Landessozial-gerichts

vom 15. Oktober 1993 aufgehoben.



Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht

zurückverwiesen.



- 2 -



Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung

vorbehalten.



- 3 -



Gründe:



I



Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des

60. Lebensjahres und einer Arbeitslosigkeit von mindestens 52 Wochen in den letzten

eineinhalb Jahren an den Kläger. Streitig ist insbesondere das maßgebliche

Geburtsdatum des Klägers.



Der Kläger ist türkischer Nationalität. Er arbeitete zwischen 1969 und 1988 versi-

cherungspflichtig in der Bundesrepublik Deutschland. Bei der Erteilung der Versi-

cherungsnummer in der gesetzlichen Rentenversicherung wurde als Geburtsdatum der

10. Januar 1935 zugrunde gelegt. Seinen unter der Vorlage einer Entscheidung des

Amtsgerichts E /Türkei, wonach sein Geburtsdatum auf den 10. Januar 1930 geändert

worden war, gestellten Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs 2

der Reichsversicherungsordnung (RVO) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom

16. Februar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Januar 1991 ab,

weil der Kläger das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet habe.



Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts vom

14. August 1992; Beschluß des Landessozialgerichts vom 15. Oktober 1993). Zur

Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Nach den Urteilen des

Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. und 14. Oktober 1992 - 5 RJ 16/92 und 5 RJ 24/92 -

habe ein Versicherter grundsätzlich keinen Anspruch darauf, daß der Versicherungsträger

ein anderes Geburtsdatum als das bei der Bildung der Versicherungsnummer

berücksichtigte verwende. Denn richtiges Geburtsdatum sei stets und auf Dauer das von

dem Versicherungsträger bei Vergabe der Versicherungsnummer zugrunde gelegte

Geburtsdatum, wenn dieses den im damaligen Zeitpunkt vom Versicherten gemachten

Angaben entspreche und mit den von ihm damals vorgelegten ausländischen Urkunden

übereinstimme. Die spätere Änderung des Geburtsdatums sei daher nicht zu

berücksichtigen; somit entfalle die Notwendigkeit weiterer Beweiserhebung. Diese

Grundsätze seien auch auf den sogenannten "Leistungsfall" zu beziehen.



Der Kläger hat die vom BSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des

§ 1248 Abs 2 RVO und des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Er ist der Ansicht: Der Versicherungsträger sei bei Geltendmachung von Lei-

stungsansprüchen verpflichtet, das richtige Geburtsdatum für den Leistungsfall

festzustellen. Das in der Versicherungsnummer enthaltene Geburtsdatum des Ver-

sicherten könne nicht präjudiziell für die Festlegung des Leistungsfalls sein; so habe das

BSG im Urteil vom 29. November 1985 (4a RJ 9/85 - SozR 2200 § 1248 Nr 44) auch

entschieden, daß der Versicherungsträger stets verpflichtet sei, im Leistungsfall das



- 4 -



richtige Geburtsdatum aufgrund freier Beweiswürdigung festzustellen. Im Rahmen dieser

Beweiswürdigung komme dem durch ausländische Gerichte festgesetzten Geburtsdatum

zumindest Indizfunktion ("prima facie"-Beweis) zu. Dieses geänderte Geburtsdatum

werde auch von deutschen Behörden, zB der Ausländerbehörde, dem Arbeitsamt und der

Krankenkasse, als verbindlich anerkannt.

Der Kläger beantragt,

den Beschluß des Hessischen Landessozialgerichts vom 15. Oktober 1993, das

Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. August 1992 sowie den Bescheid der

Beklagten vom 16. Februar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom

25. Januar 1991 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter

Zugrundelegung des Geburtsdatums vom 10. Januar 1930 ab 1. Februar 1990

Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs 2 RVO zu gewähren,



hilfsweise,



den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG

zurückzuverweisen.



Die Beklagte beantragt,



die Revision zurückzuweisen.



Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und die Rügen des Klägers für un-

begründet. Den vom Kläger angebotenen Zeugenbeweis sieht sie für prinzipiell nicht

geeignet an, das Geburtsdatum eines Versicherten zu beweisen, weil es sich allenfalls um

einen Beweis vom "Hörensagen" handelte. Im weiteren führt sie aus: Zeugen, die

behaupteten, im gleichen Jahr wie der Kläger geboren zu sein, könnten diese Tatsache

nicht aus eigener Kenntnis bekunden. Das Geburtsdatum der Zeugen sei ebensowenig zu

beweisen, wie das des Klägers. Wenn Eintragungen in türkische Geburtsregister falsch

sein könnten, könnten dies auch die Eintragungen hinsichtlich der Zeugen sein.



II



Die kraft Zulassung durch das BSG statthafte Revision des Klägers ist iS der Aufhebung

des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und

Entscheidung an das LSG begründet. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen

für eine abschließende Entscheidung nicht aus. Das Berufungsgericht wird zum Alter des

Klägers und zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des vorgezogenen

Altersruhegeldes wegen Arbeitslosigkeit noch weitere Ermittlungen anzustellen haben.

Nach § 1248 Abs 2 RVO erhält Altersruhegeld auf Antrag der Versicherte, der - neben

weiteren Voraussetzungen - das 60. Lebensjahr vollendet hat. Feststellungen zum Alter



- 5 -



des Klägers hat das Berufungsgericht noch nicht getroffen. Es hat das Geburtsdatum des

Klägers vielmehr der bisher für ihn vergebenen Versicherungsnummer entnommen und

ausgeführt, ein Versicherter habe grundsätzlich kein Recht darauf, daß der

Versicherungsträger ein anderes Geburtsdatum als das bei der Bildung der

Versicherungsnummer berücksichtigte verwende. Bei der Gewährung von Altersruhegeld

gemäß § 1248 Abs 2 RVO sind die anspruchsbegründenden Tatsachen im Leistungsfall

jedoch von Amts wegen unter Ausschöpfung aller erreichbaren und tauglichen

Beweismittel nach den auch sonst im sozialrechtlichen Verwaltungs- und

Gerichtsverfahren geltenden Regeln festzustellen (dazu unten noch näher). Insoweit stellt

§ 1248 Abs 2 RVO als Anspruchsgrundlage keine Ausnahme vom Modell

leistungsrechtfertigender Normen iS des § 2 Abs 1 Satz 2 des Ersten Buches

Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) dar, für die es selbstverständlich ist, daß

zur ordnungsgemäßen Leistungsabwicklung der den jeweiligen Tatbestandsmerkmalen

entsprechende Sachverhalt im Einzelfall nach §§ 20 ff des Zehnten Buches

Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) und §§ 117 ff SGG konkret und

vollständig zu ermitteln und festzuschreiben ist.



Eine Besonderheit gegenüber den allgemein gültigen Grundsätzen besteht hierbei auch

nicht in der Frage, ob und in welchem Umfang es eine Bindung an zuvor schon in

anderem rechtlichen Zusammenhang und auf andere rechtliche Verfahrensweise

vorgenommene Notierungen von Daten gibt. Greifen nicht derartige generelle

Gesichtspunkte prozeß- oder auch sozialversicherungsrechtlicher Art (zB Beweis-

sicherung nach § 76 SGG, Tatbestandswirkung, Vormerkung von Versicherungszeiten)

mit bestätigender - dh Zweifel erschwerender oder sogar ausschließender - Wirkung ein,

bleibt es für eine anspruchsbegründende Tatsache beim Grundsatz der aktuell auf den

Leistungsfall bezogenen vollen Ermittlung und Beweisführung. Der Tatsache des

Geburtsdatums eines Versicherten ist durch die Verwendung als Bestandteil der

Versicherungsnummer in dieser Hinsicht keine Sonderstellung eingeräumt.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts gibt es weder eine materiell-rechtliche

Bestimmung noch einen sonstigen Rechtssatz, wonach für den Versicherungsfall

maßgebendes Geburtsdatum stets und auf Dauer das vom Versicherungsträger bei der

Vergabe der Versicherungsnummer zugrunde gelegte Geburtsdatum ist, wenn dieses den

im damaligen Zeitpunkt von dem Versicherten gemachten Angaben entspricht und mit

den von ihm damals vorgelegten ausländischen Urkunden übereinstimmt. Die insoweit

vom LSG zitierten Urteile des erkennenden Senats vom 13. und 14. Oktober 1992 (5 RJ

16/92 und 24/92 -BSGE 71, 170 = SozR 3-5748 § 1 Nr 1 und SozVers 1993, 278)

betreffen allein den Anspruch eines Versicherten auf Berichtigung seiner bisherigen

Versicherungsnummer (Vergabe einer neuen Versicherungsnummer) bei geändertem

Geburtsdatum. In diesen Entscheidungen hat der Senat auf die Ordnungsfunktion der

Versicherungsnummer abgestellt, die lediglich dazu dient, die personenbezogene



- 6 -



Zuordnung der Daten für die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe nach dem Sozi-

algesetzbuch (SGB) zu ermöglichen, § 147 des Sechsten Buches Sozialgesetz-

buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI). Hierzu hat er ausgeführt, mit der auf

die Ordnungsfunktion beschränkten Aufgabe der Versicherungsnummer sei nicht zu

vereinbaren, daß der Versicherungsträger nach ordnungsgemäßer Bildung der

Versicherungsnummer gezwungen werden solle, späterem Vorbringen des Versicherten

über die Unrichtigkeit der seinerzeit von ihm selbst gemachten Angaben nachzugehen,

um in aller Regel nur feststellen zu können, daß ein anderes Geburtsdatum allenfalls

möglich, das genaue Geburtsdatum aber ohnehin nicht feststellbar sei.



Damit hat der Senat zwar erkannt, daß sich ein "richtiges" Geburtsdatum für die Bildung

einer neuen Versicherungsnummer nach Tag, Monat und Jahr Jahrzehnte nach der

Geburt selbst im Inland in aller Regel nachträglich nicht bestimmen läßt, es sei denn

anhand der Eintragungen im Geburtenbuch oder anderer geburtsnah erstellter Urkunden.

Er hat aber auch ausgeführt, daß eine Entscheidung des Versicherungsträgers, nunmehr

bei Bildung der Versicherungsnummer ein anderes Geburtsdatum zu verwenden, nicht

vorgreiflich für eine spätere Entscheidung im Leistungsfall oder bindend für andere

Behörden sein kann, eine Divergenz zwischen dem zur Bildung der

Versicherungsnummer angenommenen Geburtsdatum und dem Geburtsdatum, das den

altersabhängigen Leistungsfall begründet, mithin grundsätzlich nicht auszuschließen ist.

Inwieweit der Versicherungsträger auch im Leistungsfall von dem bei Eintritt in die

Versicherung angegebenen Geburtsdatum ausgehen darf, hat der Senat ausdrücklich

offengelassen.



Wegen der unterschiedlichen Bedeutung des Geburtsdatums bei Bildung der Versi-

cherungsnummer (Ordnungsfunktion oder auch "Identifizierungsmerkmal", vgl Se-

natsurteil vom 12. April 1995 - 5 RJ 48/94) und im Leistungsfall (Anspruchsbegründung)

mußte der Senat deshalb bisher auch nicht entscheiden, ob er sich der Ansicht des

4. Senats im Urteil vom 29. November 1985 (4a RJ 9/85 - SozR 2200 § 1248 Nr 44)

anschließt, wonach der Versicherungsträger stets verpflichtet ist, im Leistungsfall das

richtige Geburtsdatum festzustellen, auch wenn der Versicherte vorher bei der Bildung der

Versicherungsnummer ein anderes - für den Leistungsfall ungünstigeres - Geburtsdatum

angegeben hat. Der erkennende Senat tritt nunmehr der Auffassung des 4. Senats bei.



Dem geltenden Recht läßt sich keine Grundlage dafür entnehmen, daß die inner-

staatlichen Sozialleistungsträger das Recht haben, bei der Beurteilung des Leistungsfalles

ohne Prüfung die frühere oder auch spätere Eintragung in den ausländischen

Personenstandsunterlagen zugrunde zu legen. Ergeben sich Zweifel, sind sie stets im

Wege gesonderter Tatsachenfeststellung auszuräumen. Die bereits dargelegte

Normstruktur des § 1248 Abs 2 RVO als Anspruchsgrundlage läßt keine andere

Vorgehensweise zu.



- 7 -



Für die verbindliche Feststellung von Personenstandsdaten ist weder im materiellen

Sozialrecht noch im Sozialverfahrensrecht eine die Besonderheit der Problematik

betreffende Regelung getroffen worden. Während bei einer Geburt in Deutschland das

Geburtenbuch als Personenstandsbuch den Tag der Geburt beweist (§ 1 Abs 2, § 2

Abs 2, §§ 16 ff, 60 Abs 1 Satz 1 des Personenstandsgesetzes idF der

Bekanntmachung vom 8. August 1957 ) und Personenstandsurkunden,

zu denen der Geburtsschein und die Geburtsurkunde gehören (§§ 61a, 61c, 62 PStG),

dieselbe Beweiskraft haben wie Personenstandsbücher (§ 66 PStG), kann ein

gleichwertiger Beweis gestützt bloß auf Eintragungen in ausländischen

Personenstandsbüchern nicht geführt werden. Denn die Personenstandsbuchführung ist

vom Territorialitätsprinzip beherrscht. Die deutschen Personenstandsbücher beurkunden

also nur innerstaatliche Personenstandsfälle (vgl im einzelnen BSG Urteil vom

29. November 1985 - 4a RJ 9/85 -SozR 2200 § 1248 Nr 44). Demgemäß gilt die

Beweisregel der § 60 Abs 1 Satz 1, § 66 PStG nicht für eine ausländische

Geburtsurkunde. Diese kann zwar ("geeignetes") Beweismittel sein; ihr Inhalt unterliegt im

Gerichtsverfahren aber - nicht anders als ihre Echtheit (§ 438 der Zivilprozeßordnung

) - freier richterlicher Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 SGG.



Eine erhöhte Beweiskraft erlangen ausländische Personenstandsunterlagen auch nicht

über Art 2 Abs 1 des Übereinkommens über die Erteilung gewisser für das Ausland

bestimmter Auszüge aus Personenstandsbüchern vom 27. September 1956 (BGBl II

1961, 1055; für die Bundesrepublik in Kraft ab 23. Dezember 1961 - BGBl II 1962, 42)

oder über Art 2 Abs 1 des Übereinkommens betreffend die Entscheidungen über die

Berichtigung von Eintragungen in Personenstandsbüchern (Zivilstandsregister) vom

10. September 1964 (BGBl II 1969, 445 und 446, in Kraft ab 25. Juli 1969 - BGBl II 1969,

2054). Denn entsprechende Unterlagen erhalten hierdurch nur die Beweiskraft einer

ausländischen, nicht einer deutschen öffentlichen Urkunde. Eine die Geburt des Klägers

betreffende Eintragung wird aus einem türkischen Personenstandsregister nicht in ein

deutsches Personenstandsbuch übernommen (vgl hierzu im einzelnen: BSG Urteil vom

29. November 1985 - 4a RJ 9/85 - SozR 2200 § 1248 Nr 44).



Das Urteil des türkischen Amtsgerichts E vom 28. August 1987 bindet die deutschen

Sozialleistungsträger und Gerichte nicht. Dieses Urteil ordnet eine Berichtigung des in

V /E geführten türkischen Personenstandsregisters an; es kann keine

weitergehenden Wirkungen haben, als die aufgrund dieses Urteils berichtigte Eintragung

im türkischen Personenstandsregister selbst (BSG Urteil vom 29. November 1985 - 4a RJ

9/85 - SozR 2200 § 1248 Nr 44; Urteil vom 29. Januar 1985 - 10 RKg 20/83 - SozR 5870

§ 2 Nr 40).



Unterliegt bei fehlender Bindung einer - berichtigten - Eintragung in ein türkisches

Personenstandsbuch die Feststellung des Tags der Geburt des Klägers mithin der freien



- 8 -



Beweiswürdigung des deutschen Gerichts, so kann die Auffassung des LSG nicht

zutreffen, es sei - wenn auch nicht an die berichtigte zweite, so doch - an die erste

Feststellung des Geburtsdatums bei Vergabe der Versicherungsnummer gebunden. Die

erste wie die berichtigte Eintragung in türkische Personenstandsunterlagen sind in bezug

auf ihre Beweiskraft, die sie in der Bundesrepublik Deutschland entfalten, darin gleich zu

beurteilen, daß sie beide die deutschen Sozialleistungsträger und Gerichte nicht binden.



Danach mußte das angefochtene Urteil auf die Revision des Klägers aufgehoben und

dem LSG durch Zurückverweisung der Sache Gelegenheit gegeben werden zu prüfen, ob

der Vortrag des Klägers den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beweisführung

genügt, um gegebenenfalls sodann den Geburtstag des Klägers - und daran

anschließend die Vollendung des 60. Lebensjahres - aufgrund einer Beweiserhebung, die

den allgemein dafür geltenden Regeln folgt, in freier Beweiswürdigung festzustellen.



Dabei wird es im Rahmen der Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG) lediglich solche

Ermittlungen anzustellen haben, die nach "Lage der Sache" erforderlich sind

(Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 5. Aufl 1993, RdNr 7 zu § 103), dh, es hat nur, aber auch

stets zu ermitteln, soweit Sachverhalt und Beteiligtenvortrag Nachforschungen nahelegen

(BSG Beschluß vom 14. September 1955 - 10 RV 490/55 -SozR Nr 3 zu § 103). Seine

Ermittlungspflicht wird durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten beschränkt

(Meyer-Ladewig, aaO). Gerade in Fällen wie dem vorliegenden hängen die

Ermittlungsmöglichkeit und -notwendigkeit maßgeblich von der Benennung

des Beweismittels durch den Kläger - mithin seiner Mitwirkung - ab.



Beim - hier angebotenen - Zeugenbeweis wird der Beweis gemäß § 118 Abs 1 SGG iVm

§ 373 ZPO durch die Benennung der Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen

angetreten, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll. Dazu wird sich das

LSG Gedanken machen müssen zur Substantiierung der Beweisbehauptung, denn die

Ablehnung des Beweises für beweiserhebliche Tatsachen ist zulässig, wenn die

Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, daß ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann

oder wenn die Bezeichnung der Tatsachen zwar in das Gewand einer bestimmt

aufgestellten Behauptung gekleidet, gleichwohl aber nur aufs Geradewohl gemacht sind.

Bei solchen gleichsam "ins Blaue" aufgestellten Behauptungen ist ein Beweisantrag

rechtsmißbräuchlich (Bundesgerichtshof , Urteil vom 15. Dezember 1994 - 7 ZR

140/93 - NJW-RR 1995, 722 ff).



Die Behauptung einer bloß vermuteten Tatsache im Prozeß ist nur dann unzulässig, wenn

der Beteiligte sie ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich aufstellt; bei der Annahme von

Willkür in dem Sinne ist Zurückhaltung geboten (BGH, Urteil vom 25. April 1995 - VI ZR

178/94 - MDR 1995, 738). Wird nämlich eine Behauptung nach schlüssigem Vorbringen

des Klägers unter Beweis gestellt, so hat das Gericht diesen Beweis dem Gebot der



- 9 -



Erschöpfung der Beweismittel folgend (Art 103 Abs 1 Grundgesetz , § 118 Abs 1

SGG, § 286 ZPO) zu erheben (Bundesverfassungsgericht Beschluß vom

28. Februar 1992 - 2 BvR 1179/91 - NJW 1993, 254, 255; Beschluß vom 20. April

1982 - 1 BvR 1429/81 - BVerfGE 60, 250, 252; Bundesverwaltungsgericht

Urteil vom 11. Dezember 1981 - 4 C 71/79 - NVwZ 1982, 244).



Entschließt sich das LSG hiernach zur Erhebung des angebotenen

Beweises - gegebenenfalls durch Vernehmung der aufgebotenen Zeugen im Wege der

Rechtshilfe in der Türkei -, so hat es das Ergebnis der Beweisaufnahme iS des § 128

Abs 1 SGG frei zu würdigen. Dabei verstößt es gegen den Grundsatz der freien

Beweiswürdigung, wenn das Gericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen allein deshalb

verneint, weil der Zeuge einem Prozeßbeteiligten nahe steht und bei seiner Vernehmung

keine Umstände zu Tage getreten sind, die die von vornherein angenommenen Bedenken

gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen zerstreut hätten (BGH, Urteil vom 18. Januar

1995 - VIII ZR 23/94 - MDR 1995, 629). § 286 Abs 1 ZPO, der über § 202 SGG auch im

sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet (§ 128 Abs 1 SGG spricht - pauschaler -

nur vom "Gesamtergebnis des Verfahrens"), gebietet vielmehr, eine individuelle

Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der

Beweisaufnahme vorzunehmen. Auch die Annahme möglichen Eigeninteresses eines

aufgebotenen Zeugen führt nicht per se zur Verneinung der Glaubwürdigkeit dieses

Zeugen. Eine solche Annahme begründete eine - verfahrensrechtlich unzulässige -

abstrakte Beweisregel, die das Gesetz nicht kennt (BGH Urteil vom 3. November

1987 - VI ZR 95/87 -MDR 1988, 307 zur sogenannten Beifahrer-Rechtsprechung). Es gibt

aber keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß Zeugen, die einem Prozeßbeteiligten nahe

stehen, von vornherein als parteiisch und unzuverlässig zu gelten haben und ihre Aussa-

gen deswegen grundsätzlich unbrauchbar sind (BGH Urteil vom 18. Januar 1995 - VIII ZR

23/94 - MDR 1995, 629). Eine entsprechende Einschränkung der freien Beweiswürdigung

ist verfahrenswidrig (vgl hierzu Baumgärtel, Zwei wichtige BGH-Entscheidungen zu

Ausforschungsbeweis und "Behauptung ins Blaue hinein", MDR 1995, 987).



Bei seiner Beweiswürdigung wird das LSG berücksichtigen können, daß der Kläger die

Tatsache seiner früheren Geburt schon längere Zeit gewußt, der Beklagten gegenüber

aber nicht kund getan hat. Gemäß § 444 ZPO können nämlich im Falle der Vereitelung

des Urkundenbeweises Behauptungen des Gegners über die Beschaffenheit und den

Inhalt der Urkunde als bewiesen angesehen werden. Dieser Vorschrift wohnt der

allgemeine Rechtsgedanke inne, daß für den Fall, daß eine Partei eine Beweisführung

(teilweise) unmöglich macht, die Behauptung des Prozeßgegners zu der

beweiserheblichen Problematik als bewiesen angesehen werden kann

(Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO-Komm, 53. Aufl 1995, RdNrn 1 und 2 zu

§ 444). Eine arglistige oder auch nur fahrlässige Vereitelung einer Beweisführung durch

ein Tun oder pflichtwidriges Unterlassen (vgl BSG Urteil vom 10. August 1993 - 9/9a RV



- 10 -



10/92 - NJW 1994, 1303) kann im Rahmen freier Beweiswürdigung für die Richtigkeit des

gegnerischen Vorbringens gewürdigt werden (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,

aaO, RdNr 2). Unabdingbare Voraussetzung für eine solche Beweiswürdigung wird aber

sein, daß das pflichtwidrige Handeln oder Unterlassen den Beteiligten, der den

(vereitelten) Beweis zu führen hätte, in Beweisnot, dh in eine ausweglose Lage, gebracht

hat.



Das LSG kann ferner berücksichtigen, daß der Kläger - gestützt durch Erzählungen seiner

Eltern oder weiterer Verwandter bzw durch bestimmte Ereignisse wie die Einschulung -

möglicherweise selbst über lange Jahre davon überzeugt gewesen ist, iS des bisher

angenommenen Geburtsdatums später geboren zu sein. Dies kann unter Umständen zur

Prüfung Anlaß geben, ob in der nachträglichen Behauptung eines früheren

Geburtsdatums ein "venire contra factum proprium" liegt, etwa wenn der Kläger vorher

selbst das "alte" Geburtsdatum stets als das richtige im Geschäftsverkehr verwendet und

darauf gestützt rechtliche Vorteile genutzt hat. Denn das Verbot widersprüchlichen

Verhaltens gilt als Sonderfall des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben auch im

Bereich des öffentlichen Rechts, insbesondere des Sozialversicherungsrechts, und

kommt in diesem Sinne sowohl für das Handeln des Versicherungsträgers als auch für

das Verhalten des Versicherten in Betracht (BSG Urteil vom 21. Juli 1981 - 7 RAr 37/80 -

nicht veröffentlicht). Die Erkenntnis widersprüchlichen Verhaltens wiederum kann bei der

Beweiswürdigung die Überzeugung rechtfertigen, daß das "neue" Geburtsdatum nur

zweckgerichtet - zur früheren Erlangung einer Sozialleistung - behauptet und die Berichti-

gung der Personenstandsdaten in der Türkei nur deswegen veranlaßt worden ist. Diese

Überzeugung könnte - allerdings unter Abwägung aller Umstände - vorliegend dadurch

gestützt werden, daß der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren angegeben hat

(Schriftsatz vom 12. März 1992), Unterlagen über einen Schulbesuch oder Zeugnisse

könnten nicht beigebracht werden, weil er keine Schule besucht habe, während er zur

Begründung seiner Revision (Schriftsatz vom 6. Juni 1994) ausführt, der Zeuge A

hätte Fragen zum gleichzeitigen Schulbesuch beantworten können.



Bei der Beweiswürdigung kann ferner Berücksichtigung finden, daß eine auffallend hohe

Zahl nachträglicher Berichtigungen ausländischer Geburtseinträge in Fällen, in denen dies

Leistungsbewerbern in der Bundesrepublik günstig erscheinen kann, vorliegt (BSG Urteil

vom 29. November 1985 - 4a RJ 9/85 - SozR 2200 § 1248 Nr 44). Wie der 4. Senat in

seinem Beschluß vom 22. Februar 1995 - 4 S (A) 5/94 - klarstellt, wird hierdurch

allerdings keine abstrakte Beweisregel begründet, die das Gesetz nicht kennt. Vielmehr

handelt es sich allein um die Berücksichtigung von Erfahrungssätzen, die das

Tatsachengericht im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung zu gewichten hat.

Soweit der 10. Senat des BSG in seinem Urteil vom 29. Januar 1985 - 10 RKg 20/83 -

(SozR 5870 § 2 Nr 40) ausführt, die aufgrund eines Urteils berichtigte Eintragung in

türkischen Personenstandsregistern habe die Vermutung der Richtigkeit für sich, ist eine



- 11 -



gesetzlich begründete Vermutung nicht gemeint, da eine solche im Gesetz nicht

ausgesprochen ist. Zu prüfen ist allerdings, ob einer solchen Berichtigung ein hoher

Beweiswert zukommt, was eine "tatsächliche Vermutung" darstellen kann. Diese Prüfung

geschieht im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Tatsachengerichts.



Bleibt im Ergebnis der Beweiswürdigung ein non liquet, so gibt die materielle Beweislast

den Ausschlag für die Entscheidung. Sie besagt, daß ein nicht festgestelltes

Tatbestandsmerkmal so zu behandeln ist, als sei es nicht vorhanden (Meyer-Ladewig,

SGG-Komm, RdNr 19 zu § 103). Zu tragen ist der Nachteil der Unerwiesenheit von dem,

zu dessen Gunsten das Tatbestandsmerkmal im Prozeß wirkt (Meyer-Ladewig, aaO,

RdNr 6 zu § 118). Das bedeutet, daß es dann zu keiner Änderung des Geburtsdatums für

die Zwecke der Rentenversicherung kommt, wenn nicht festgestellt werden kann, daß der

Versicherte zu dem nunmehr von ihm behaupteten Zeitpunkt geboren ist.



Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung

vorbehalten.

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BVerwG, 5 ER 625.90 vom 18.12.1990, Bundesverwaltungsgericht
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BVerwG 5 ER 625.90
OVG 16 A 1486/89

BESCHLUSS

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Dezember 1990
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht
Dr. F. und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
R. und Dr. P.

beschlossen:

Der Antrag der Klägerin, ihr für eine Be-
schwerde gegen die Nichtzulassung der Revi-
sion in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
21. März 1990 Prozeßkostenhilfe zu bewilligen
und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird ab-
gelehnt.

- 2 -

Gründe:

Das Prozeßkostenhilfegesuch der Klägerin ist abzulehnen; die be-
absichtigte weitere Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).

Die angekündigte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts müßte erfolglos bleiben,
weil Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt und auch sonst
nicht erkennbar sind.

Die Klägerin macht geltend, das Oberverwaltungsgericht weiche von
dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. April 1987
- BVerwG 5 B 103.86 - (NJW 1988, 154) und von dem Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts vorn 12. Juni 1987 - BVerwG 5 C 2.83 -
FarnRZ 1987, 1089) ab und beruhe auf dieser Abweichung (§ 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die gerügte Abweichung könnte aber nicht zur
Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO führen.

Wie die Klägerin nicht verkennt, hat das Bundesverwaltungsgericht
sich der weiter entwickelten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
für den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BAföG an-
geschlossen und seine frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufge-
geben, soweit sie entgegensteht (Beschluß vorn 14. August 1989
- BVerwG 5 B 76.89 - ). Die Abweichung von einer Rechtsprechung, an der
das Bundesverwaltungsgericht in späteren Entscheidungen selbst
nicht mehr festhält, rechtfertigt die Zulassung der Revision
nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO jedoch nicht (vgl. u.a. BVerwG,
Beschluß vorn 20. November 1981 - BVerwG 3 B 52.81 - ; Weyreuther, Revisionszulassung
und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten
Bundesgerichte, 1971, Rdnr. 104).

Soweit die Klägerin ferner rügt, das Oberverwaltungsgericht habe
die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus dem Urteil
vom 7. Juni 1989 - IV b ZR 51/88 - angewandt, namentlich zu Unrecht
(BGHZ 107, 376) unzutreffend angenommen, zwischen ihrer
kaufmännischen Ausbildung und ihrem späteren Studium der Wirt-

- 3 -

schaftswissenschaften bestehe ein enger sachlicher und zeitlicher
Zusammenhang, benennt die Klägerin nicht den Zulassungsgrund, der
mit diesem Vortrag geltend gemacht werden soll. Abgesehen davon,
ist mit dem Vorbringen der Klägerin auch in der Sache kein Zu-
lassungsgrund dargelegt und auch unabhängig davon nicht erkennbar.

Das Oberverwaltungsgericht ist von den rechtlichen Grundsätzen
ausgegangen, die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
entwickelt und vorn Bundesverwaltungsgericht übernommen worden
sind. Es hat von diesen Grundsätzen ausgehend in Würdigung des
Einzelfalles der Klägerin nur nicht die Schlußfolgerungen gezogen,
die die Klägerin aus der Rechtsprechung von Bundesgerichtshof
und Bundesverwaltungsgericht für ihren Fall gezogen wissen möchte.
Die angeblich unrichtige Anwendung eines in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung entwickelten und vorn Berufungsgericht nicht in
Frage gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden
Einzelfall stellt aber keine Abweichung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar (BVerwG, Beschluß vom 31. März 1988
- BVerwG 7 B 46.88 - ).

Die Klägerin setzt sich im übrigen mit dem angefochtenen Urteil
unter wesentlicher Heranziehung der Umstände ihres Einzelfalles
nach Art einer Berufungs- oder Revisionsbegründung auseinander.
Damit wird weder eine konkrete Rechtsfrage bezeichnet noch
erkennbar gemacht, inwieweit die Beantwortung dieser Rechtsfrage
entscheidungserheblich und über den Fall der Beschwerdeführerin
hinaus von allgemeiner Bedeutung sein könnte. Deshalb ist auch
eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO weder dargelegt noch sonst ersichtlich.

Die Klägerin macht schließlich geltend, das angefochtene Urteil
beruhe auf Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Klägerin rügt, das Oberverwaltungsgericht habe seine
Pflichten verletzt, darauf hinzuwirken, daß ungenügende tat-
sächliche Angaben ergänzt und alle für die Feststellung und

- 4 -

Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben
werden (§ 86 Abs. 3 VwGO), sowie die Streitsache mit dem Beteiligten
tatsächlich und rechtlich zu erörtern (§ 104 Abs. 1 VwGO). Die ge-
rügten Verfahrensmängel liegen indes nicht vor. Das Oberverwaltungs-
gericht hat nicht seine Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) verletzt.
Der Berichterstatter des Berufungsgerichts hat vielmehr durch prozeß-
leitende Verfügungen die Klägerin auf das während des Berufungsver-
fahrens bekanntgewordene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni
1989 hingewiesen, verbunden mit der Anfrage, ob die Klägerin die
Klage aufrechterhalte. Die Klägerin wußte damit, daß das Oberver-
waltungsgericht dem Urteil des Bundesgerichtshofs auch für ihren
Fall Bedeutung beimißt und die dort aufgestellten Voraussetzungen
für ein Fortbestehen der Unterhaltspflicht als wohl gegeben ansah.
Die Klägerin hatte damit Gelegenheit, alles vorzutragen, was aus
ihrer Sicht gegen den engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang
zwischen praktischer kaufmännischer Ausbildung und wirtschaftswissen-
schaftlichem Studium, namentlich aber dagegen sprach, ihren Eltern
sei die Finanzierung ihres Studiums wirtschaftlich zumutbar. Die
Klägerin hat von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gernacht und ins-
besondere dargelegt, aus welchen Gründen sie die Finanzierung des
Studiums durch ihre Eltern für diese wirtschaftlich nicht für zurnut-
bar hielt. Sie hat dabei allerdings nicht erwähnt, einer ihrer Brüder
befinde sich noch in der Ausbildung, ein weiterer Bruder sei arbeits-
los und müsse wegen des geringen Arbeitslosengeldes durch die Eltern
unterstützt werden. Warum es eines weiteren Hinweises des Oberverwal-
tungsgerichts bedurft hätte, um auch diese Umstände noch vorzutragen,
legt die Beschwerde nicht dar. Das Unterbleiben eines weiteren Hin-
weises verstieß nicht gegen § 86 Abs. 3 VwGO. Die Hinweispflicht in
bezug auf den Sachvortrag der Beteiligten kann sich nur auf die Er-
gänzung ungenügender tatsächlicher Angaben erstrecken, deren Unvoll-
ständigkeit für das Gericht erkennbar ist. Eine Verletzung der Hin-
weispflicht kommt nur dann in Betracht, wenn für das Gericht erkennbar
der Kläger von falschen Voraussetzungen bei seiner Rechtsverfolgung
ausgegangen ist und deshalb unterlassen hat vorzutragen, was zur
Wahrnehmung seiner Rechte vorzutragen ist (BVerwG, Urteil vom
8. Mai 1984 - BVerwG 9 C 141.83 - ). Das Oberverwaltungsgericht konnte dem

- 5 -

Vortrag der Klägerin entnehmen, ihr sei bekannt, es komme u.a.
darauf an, ob ihren Eltern die Finanzierung des Studiums finanziell
zumutbar sei. Das Oberverwaltungsgericht durfte deshalb annehmen,
die Klägerin werde auch ohne weitere Hinweise alles vorbringen,
was hierzu aus ihrer Sicht vorzubringen war. Unter diesen Umständen
hat das Oberverwaltungsgericht auch nicht gegen seine Pflicht
aus § 104 Abs. 1 VwGO verstoßen, die Streitsache in tatsächlicher
Hinsicht zu erörtern (vgl. zu§ 104 Abs. 1 VwGO u.a. BVerwG, Urteil
vom 23. Mai 1989 - BVerwG 7 C 2.87 - ), zumal die Klägerin selbst gemäß § 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2
VwGO auf eine mündliche Verhandlung und damit auf eine Erörterung
der Streitsache verzichtet hat.

Die Klägerin rügt zum anderen, das Oberverwaltungsgericht habe
seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu erfor-
schen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Sie ist insoweit der Ansicht, das Ober-
verwaltungsgericht hätte ihre Eltern zu deren wirtschaftlichen
Verhältnissen als Zeugen hören müssen. Eine Anregung, in diese
Richtung Beweis zu erheben, hat die Klägerin im Berufungsverfahren
nicht gegeben. Erst recht hat sie keinen förmlichen Beweisantrag
gestellt. Im Gegenteil hat sie auf eine mündliche Verhandlung
ausdrücklich verzichtet, weil sie den Sachverhalt bereits für
geklärt hielt. Unter diesen Umständen könnte der Verfahrensmangel
einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts nur dann gegeben
sein, wenn ersichtlich wäre, weshalb sich dem Oberverwaltungsge-
richt eine weitere Sachaufklärung in der jetzt aufgezeigten
Richtung hätte aufdrängen müssen. Dem Gericht kann nur dann eine
unzureichende Aufklärung des Sachverhalts vorgeworfen werden,
wenn nach den gesamten Umständen - auch ohne einen entsprechenden
Beweisantrag - erkennbar war, daß weitere Beweismittel vorhanden
waren und diese der weiteren Sachaufklärung dienlich sein konnten
(BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1985 - BVerwG 3 C 36.84 - ). Das Oberverwaltungsgericht durfte aber
nach dem Verhalten der Klägerin annehmen, die Klägerin habe insoweit
alle - ohnehin in ihrem Lebensbereich liegenden - Umstände vorge-
tragen.

Dr. F. R. Dr. P.

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BVerwG, 5 C 12.80 vom 04.06.1981, Bundesverwaltungsgericht
VR 1981, 449-449(L1-2)



Sachgebiet:

Sozialhilferecht



Rechtsquellen:

BSHG § 1 Abs. 2

§ 2 Abs. 1

§ 76 Abs. 2 Nr. 3 und 4

VO zur Durchführung des § 76 BSHG

§ 3 Abs. 4 und 6



Begriff "gesetzlich vorgeschrieben":

§ 76 Abs. 2 und 3 BSHG

Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung

- Absetzung vom Einkommen, Angemessen-

heit dem Grunde nach;



Führung eines menschenwürdigen Lebens

und Halten eines Kfz.



FEVS 1981, 372 (LT1+2)

Zfs 1981, 342 (LT1+2)

ZfsH 1981, 340 (LT1+2)

Vole Beo A 1981, 313 (LT1+2)

Buchh 436.0 § 76 BSHG Nr 13 (LT)

DVBl 1982, 266 (LT1+2)

BVerwGE Bd. 62 261-267 (LT1+2)





Urteil vom 4. Juni 1981 - BVerwG 5 C 12.80



Leitsätze:



1. Im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt

(Abschnitt 2 des Bundessozialhilfe-

gesetzes) umfaßt der notwendige Lebens-

unterhalt den Aufwand für das Halten

eines Kraftfahrzeugs nicht.



2. Der Beitrag zur Kraftfahrzeug-Haftpflicht-

versicherung, der an die Kraftfahrzeug-

haltung als einen Akt freier Entscheidung

anknüpft, ist nicht "gesetzlich vorge-

schrieben" im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 3

BSHG; er ist bei der Gewährung von Hilfe

zum Lebensunterhalt nicht als eine dem

Grunde nach angemessene Ausgabe vom

Einkommen abzusetzen.



Urteil des 5. Senats vom 4. Juni 1981 - BVerwG 5 C 12.80



I. VG Bremen, Gerichtsbescheid vom 31.1.1979

- Az.: VG III A 449/78 -



II. OVG Bremen, Urteil vom 13.11.1979

- Az.: OVG II BA 9/79 -



- 1 -



Verkündet



am 4. Juni 1921

Neidhardt

Justizobersekretär

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle





BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BVerwG 5 C 12.80

OVG 2 BA 9/79



IM NAMEN DES VOLKES



In der Verwaltungsstreitsache



hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts

auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 1981

durch den Vornitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht

K. und die Richter am Bundesverwaltungsgericht

R. , Dr. S. , R. und

B.

für Recht erkannt: Die



- 2 -



Die Revision der Kläger gegen das

Urteil des Oberverwaltungsgerichts

der Freien Hansestadt Bremen vom

13. November 1979 wird zurückge-

wiesen.



Die Kläger tragen die Kosten des

Revisionsverfahrens als Gesamt-

schuldner. Gerichtskosten werden

nicht erhoben.



Gründe:



I.



Die Kläger, Eheleute, bezogen 1977 und 1978 für sich und

ihre Tochter Sozialhilfe in Gestalt von (ergänzender) Hilfe

zum Lebensunterhalt, da das dem Kläger als Berufsprakti-

kanten für den Beruf des Sozialarbeiters gezahlte Prakti-

kantencehalt unter dem sozialhilferechtlichen Bedarfssatz

für die Familie lag. Bei der Bemessung der Sozialhilfe be-

rücksichtigte der Träger der Sozialhilfe Ausgaben des Klä-

gers für das Halten eines Kraftfahrzeugs (Kfz) - durch Ab-

setzung eines Pauschbetrages vom Einkommen -, solange der

Kläger das Kfz für· die Ausübung der Praktikantentätigkeit

außerhalb seines Wohnorts benutzte (Oktober 1977 bis

März 1978). Als der Kläger anschließend an seinem Wohnort

als Berufspraktikant beschäftigt wurde, setzte der Träger

der Sozialhilfe. nur noch die Kosten der Fahrkarte für das

öffentliche Verkehrsmittel ab (DM 39 monatlich).



Anfang Juli 1978 beantragten die Kläger, die bereits Anfang

Mai fällig gewordene Kfz-Steuer (Halbjahresbetrag: 118,60 DM)

und die am 1. Juli 1978 fällig gewordenen Halbjahr.esbei träge für



- 3 -



für die Kfz-Haftpflichtversicherung, die Teilkaskoversiche-

rung und die Unfallversicherung (262,70 DM, 17,50 DM und

15,50 DM) vom einzusetzenden Einkommen abzusetzen. Die Be-

klagte lehnte dies ab, weil der Kläger für die Fahrt zwischen

Wohnung und Arbeitsstätte zumutbar öffentliche Verkehrsmittel

benutzen könne.



Mit der daraufhin erhobenen Klage haben die Kläger in den

Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Das Berufungsurteil ist

im wesentlichen wie folgt begründet: Die streitigen Aufwen-

dungen seien nicht mit der Erzielung des Einkommens verbun-

dene notwendige Ausgaben, weil der Kläger - wie gerichtsbe-

kannt sei - den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit

öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen könne. Als gesetz-

lich vorgeschriebene Beiträge zu einer privaten Versicherung

im Sinne der Nummer 3 des § 76 Abs. 2 BSHG könnten die

Versicherungsbeiträge nicht anerkannt werden, weil es nicht

der Sinn dieser Vorschrift sei, beliebigen Zwecken dienen-

de Versicherungsbeiträge abzusetzen. Der Gesamtzusammenhang

der Regelung ergebe, daß nur solche Beiträge in Betracht

kämen, mit denen der Hilfesuchende wie mit Vorsorgeleistungen

nach der Nummer 2 des § 76 Abs. 2 BSHG für Krankheit, Unfall-

folgen, Alter und Arbeitslosigkeit die Voraussetzungen für

einen Ausgleich bei einem künftigen Wegfall des Einkommens

aus eigener Erwerbstätigkeit schaffe. - Für eine Absetzung

der Kfz-Steuer außerhalb der Nummer 4 des § 76 Abs. 2 BSHG

gebe es offensichtlich keine Rechtsgrundlage.



Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter;

lediglich hinsichtlich der zunächst noch erstrebten Absetzung

eines Betrages von 2,00 DM (Säumniszuschlag bei der Kfz-Steuer)

haben sie das Rechtsmittel in der Revisionsverhandlung zurück-

genommen. Sie halten die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts

mit Rücksicht auf den klaren Wortlaut des Gesetzes für unrich-

tig; die Kfz-Haftpflichtversicherung sei gesetzlich vorge-

schrieben. Die Kfz-Steuer kann nach Meinung der Kläger nicht

anders behandelt werden; sie lasse sich bei analoger Anwen-

dung des Gesetzes berücksichtigen.



- 4 -



Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Sie macht sich

die Gründe des angefochtenen Urteils zu eigen.



II.



Die - zulässige - Revision ist unbegründet, so daß sie zu-

rückzuweisen ist ( § 144 Abs. 2 VwGO)



Die Kläger haben mit ihrer Klage in den Vorinstanzen zu

Recht keinen Erfolg gehabt. Sie haben keinen Anspruch dar-

auf, daß der Träger der Sozialhilfe ihnen und ihrer Tochter

(als Bedarfsgemeinschaft) von Juli 1978 an ergänzende Hilfe

zum Lebensunterhalt unter (anteilmäßiger) Berücksichtigung der

Aufwendungen gewährt, die dem Kläger im Zusammenhang mit dem

Halten eines Kraftfahrzeuges (Kfz) in Gestalt der Kfz-Steuer und

der Beiträge zu Kfz-Versicherungen erwachsen waren. Die Auffas-

sung des Oberverwaltungsgerichts, daß es sich dabei während

der fraglichen Zeit nicht um mit der Erzielung des Ein-

kommens des Klägers (Praktikantengehalt) verbundene not-

wendige Ausgaben gehandelt hat, steht mit § 76 Abs. 2 Nr. 4

BSHG in Einklang; denn nach den das Bundesverwaltungsge-

richt bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungs-

gerichts war es dem Kläger zuzumuten, den Weg zwischen der

Wohnung und der Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrs-

mitteln zurückzulegen (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 6

Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 76 des Bundes-

sozialhilfegesetzes vom 28. November 1962 [BGBl. I S. 692]).

Dies wollen offenbar auch die Kläger nicht in Abrede stel-

len; denn sie begehren - wie ihre Revisionsbegründung

zeigt -, die erwähnten Ausgaben nach der Nummer 3 des § 76

Abs. 2 BSHG zu berücksichtigen.



Ihrer Ansicht, daß die erwähnten Ausgaben nach dem schlichten

und klaren Wortlaut des Gesetzes ohne weiteres deshalb vom

Einkommen des Klägers abzusetzen seien, weil es sich um „gesetzlich



- 5 -



"gesetzlich vorgeschriebene" Beiträge handele, kann jedoch

nicht beigetreten werden. Was die Kfz-Steuer angeht, so ist

sie - gerade nach dem von den Klägern für sich in Anspruch

genommenen schlichten und klaren Wortlaut des Gesetzes - kein

Beitrag zu einer öffentlichen oder privaten Versicherung; oder

ähnlichen Einrichtune; und Beiträge zur Teilkasko- und Unfall-

versicherung sind nicht gesetzlich vorgeschrieben, ebenso-

wenig Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, soweit diese

die Mindestdeckungssummen überschreitet (vgl. dazu das Gesetz

über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter vom

5. April 1965 [BGBl. I S. 213] in Verbindung mit der Verord-

nung zur Änderung der Mindesthöhe der Versicherungssummen

in der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter vom

23. Juli 1971 [BGBl. I S. 1109]).



Aber auch die Kfz-Haftpflichtversicherung, soweit sie vom Um-

fang her gesetzlich vorgeschrieben ist, ist nicht schon aus

diesem Grund ohne weiteres vom Einkommen abzusetzen. Es kann

offenbleiben, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft,

daß die Absetzbarkeit dieser Ausgabe nach der Nummer 3 des § 76

Abs. 2 BSHG deshalb von Rechts wegen ausgeschlossen sei, weil

es sich um eine Ausgabe handele, die im Rahmen der Absetzungen

nach der Nummer 4 des § 76 Abs. 2 BSHG in Verbindung mit § 3

Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 2 der Durchführungsverord-

nug berücksichtigt werden könne, und weil diese Vorschriften

die Frage songergesetzlich abschließend regelten. Hierfür

spricht manches; gerade auch dass von den Klägern - wenn auch

mit entgegengesetzter Schlußfolgerung - angeführte Argument,

daß aus einem einheitlichen Lebensvorgang, nämlich dem Halten

eines Kraftfahrzeugs, erwachsende gesetzliche Verpflichtungen

(zur Zahlung von Kfz-Steuer und Kfz-Haftpflichtversicherungs-

beitrag) sozialhilferechtlich nicht unterschiedlich behandelt

werden könnten: Da die einheitliche Berücksichtigung dieser

"Pflichtausgaben" nur in § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG in Verbin-

dunp; mit § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 2 der Durch-

führungsverordnung vorgesehen ist, hat es bei dieser Sicht

der Dinge eben dabei sein Bewenden auch in bezug auf den

Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung; mit anderen



- 6 -



Worten: Die mit dem Halten eines Kfz verbundenen notwendi-

gen Ausgaben sollen danach nur dann absetzbar sein, wenn

sie mit der Erzielung von Einkommen verbundene notwendige

Ausgaben sind.



Jedoch braucht diese Frage nicht abschließend beantwortet

zu werden. Selbst wenn man hinsichtlich jeder Art von

Versicherung die Absetzbarkeit des Beitrages ausgangs-

weise für rechtlich möglich hält, ist die Absetzung des

Beitrags für die Kfz-Haftpflichtversicherung (mit ihrem

Mindestumfang) nicht ipso jure geboten. Auch hinsichtlich

dieses Beitrages ist im Einzelfall zu prüfen, ob er nach

Grund und Höhe unter dem Aspekt angemessen ist, dem Hilfe-

suchenden Mittel zu belassen (also mittelbar Sozialhilfe

zu gewähren), die ihn in den Stand setzen, Versicherungen

aufrechtzuerhalten, für die aus der Sicht der das Sozial-

hilferecht prägenden Grundsätze ein Bedürfnis besteht.



Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann dem

Träger der Sozialhilfe nicht mit der Begründung verwehrt

werden, daß die Kfz-Haftpflichtversicherung "gesetzlich vor-

geschrieben" sei. Das Bundesverwaltungsgericht teilt nicht

die Ansicht, die hierzu im Schrifttum verschiedentlich ver-

treten wird (Gottschick/Giese, Das Bundessozialhilfegesetz,

6. Aufl. 1977, § 76 RdNr. 8.3 Abs. 3; Jehle/Schmitt, Sozial-

hilferecht, Loseblatt-Kommentar, A (1. Teil), § 76 Erl. 4c;

Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum Bundessozialhilfe-

gesetz, 9. Aufl. 1977, § 76 RdNr. 21; Gutachten des Deutschen

Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 26. April

1971, Kleinere Schriften Heft 54 S. 30; anderer Ansicht

aber: Rehnelt in ZfF 1969, 280 [282]) und die auch vom

Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 16. Januar 1979

- ZfSH 1979, 216) geteilt wird. Das Tatbestandsmerkmal der

gesetzlich vorgeschriebenen Versicherung erhält den ihm in

§ 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG zugedachten Sinn erst mit der Frage

nach dem Grund für die Beitragsverpflichtung, nämlich ob

die betreffende Versicherung per se dem Hilfesuchenden

auferlegt



- 7 -



auferlegt ist, so daß er sich ihr durch freie Entschei-

dung nicht entziehen kann, oder danach, ob jedenfalls eine

solche Entscheidung unzumutbar erscheint. Der Abschluß der

Kfz-Haftpflichtversicherung ist die Folge des Hal-

tens eines Kfz. Dies ist dem einzelnen aber freigestellt.

Der Hilfesuchende kann daher auf das Halten eines Kfz ver-

zichten. Ein solcher Verzicht wird ihm vom Gesetz auch zuge-

mutet, wenn er aus dem von seinen Mitbürgern erarbeiteten

Bruttosozialprodukt, ohne das Leistung von Sozialhilfe nicht

möglich ist, die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt er-

wartet, die in § 11 BSHG auf den notwendigen

Lebensunterhalt begrenzt ist. In dem Verzicht auf ein Kfz

liegt dann Selbsthilfe, zu der § 2 Abs. 1 BSHG verpflich-

tet, in dem Sinne, daß der Hilfesuchende Ausgaben vermeidet,

die die ihm zur Verfügung stehenden und in erster Linie

für die Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts einzu-

setzenden Mittel mindern könnten. Das ergibt sich aus dem

inneren Zusammenhang, in dem die Vorschriften über den

Einsatz des Einkommens und Vermögens mit den Vorschriften

stehen, mit denen die materiellen Voraussetzungen für die

Gewährung von Sozialhilfe geregelt sind, in concreto aus dem

inneren Zusammenhang zwischen § 76 BSHG und den §§ 11 ff.

BSHG. Es macht keinen Unterschied, ob einem gänzlich Hilfe-

bedürftigen für die Bezahlung des Beitrages zur Kfz-Haft-

pflichtversicherung Sozialhilfe gewährt wird oder ob die

einem teilweise Hilfebedürftigen zu gewährende (ergänzende)

Hilfe zum Lebensunterhalt deshalb höher ausfällt, weil von

seinem als einsetzbar in Betracht zu ziehenden Einkommen

der Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung abgezogen wird.

Dieser im o.a. Schrifttum und vom Verwaltungsgericht Berlin

nicht erwogene, aber zwangsläufig bestehende innere Zusam-

menhang findet sich im Gesetz selbst in einem Teilbereich

ausgedrückt, nämlich im auch vom Oberverwaltungsgericht

erwähnten § 13 BSHG. Darin ist die Obernahme von Kranken-

versicherungsbeiträgen bestimmt (in Absatz 1 als "Muß"-

Leistung, in Absatz 2 als "Kann"-Leistung), wobei folge-

richtig § 76 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 BSHG von der Anwendung

ausgenommen



- 8 -



ausgenommen wird; andernfalls käme der Hilfeempfänger zwei-

mal in den Genuß entsprechender Beträge.



Wollte man also die Entrichtung eines Beitrages zur Kfz-Haft-

pflichtversicherung als im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG

"gesetzlich vorgeschrieben" erachten und ihre Berücksichti-

gung nach dieser Vorschrift deshalb als "Muß", so hätte das

zur Folge, daß einer völlig mittellos gewordenen Person, die

jedoch "aus besseren Tagen" noch ein Kfz besitzt, Sozialhilfe

nicht nur zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts

(vgl. besonders § 12 BSHG), sondern auch zur Bezahlung des

Beitrages zur Kfz-Haftpflichtversicherung (und wenn es nach

den Klägern ginge, auch zur Bezahlung der Kfz-Steuer) ohne

weiteres gewährt werden müßte. Es braucht nicht

näher dargelegt zu werden, daß eine solche Leistung mit den

das Sozialhilferecht prägenden Grundsätzen nicht vereinbar

ist. Daher muß bei einem "gesetzlich vorgeschriebenen" Bei-

trag, der dies nicht per se, sondern nur als Folge freiwil-

ligen Handelns ist, hier wie dort gefragt werden, ob seine

Berücksichtigung mit der Zielsetzung des Sozialhilferechts

in Einklang steht, die Führung eines Lebens zu ermöglichen,

das der Würde des Menschen entspricht, und den Hilfeempfän-

ger zur Selbsthilfe zu befähigen, damit weitere Gewährung

von Sozialhilfe entbehrlich wird (§ 1 Abs. 2 BSHG). Diesen

Zusammenhang haben offenbar auch die Kläger erkannt; denn

sie führen aus: Das Anschaffen und das Halten eines KfZ

seien nach allgemein gewandelter Anschauung nicht mehr an

den "Status eines zahlungskräftigen Bürgers" gebunden,

ein Kfz werde nicht mehr als Luxusgegenstand, sondern als

ein durchaus übliches Mittel zur Fortbewegung angesehen,

es sei menschenwürdiger, die Anschaffung eines Kfz als

freie Entscheidung eines Hilfeempfängers hinzunehmen als

in dem Gebrauch eines Kfz ein Statussymbol zu sehen.

Dieser Argumentation, die am Ende darauf hinausläuft, daß

ein menschenwürdiges Leben nur mit einem Kfz geführt werden

könne



- 9 -



könne, so daß für die Anschaffung und die Unterhaltung eines

Kfz Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren

sei, kann sich das Bundesverwaltungsgericht nicht anschließen.

Steht nur Hilfe zum Lebensunterhalt in Frage, so ist die Füh-

rung eines menschenwürdigen Lebens vom Halten und Benutzen

eines Kfz noch weniger abhängig als vom Fernsehen (vgl. zu

letzterem BVerwGE 48, 237). Daß ein Kfz ein übliches I1ittel

zur Fortbewegung ist, besagt nicht, daß es eine von,der Men-

schenwürde her gebotene Notwendigkeit ist. Es ist eine An-

nehmlichkeit, auf die zu verzichten übrigens aus Gründen

der Ökologie und der Energieeinsparung zunehmend aufgefor-

dert wird. Überdies läßt sich dem Sozialhilferecht selbst

entnehmen, daß die Übernahme der Kosten für das Anschaffen

eines Kfz und seine Unterhaltung nur als Maßnahme der Ein-

gliederungshilfe in Betracht kommt (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 BSHG

in Verbindung mit den §§ 8 und 10 Abs. 6 der Eingliederungs-

hilfe-Verordnung in der Fassung vom 1. Februar 1975

[BGBl. I S. 434]).



Entgegen der Ansicht der Kläger liegt in der Nichtberück-

sichtigung des Beitrags zur Kfz-Haftpflichtversicherung

keine "Gängelei", für die es keine rechtliche Grundlage

gäbe, so lange die Voraussetzungen für die Anwendung des

§ 25 BSHG nicht vorlägen. Die Kläger übersehen, daß es in

diesem Rechtsstreit nicht um die sinnvolle Verwendung ge-

währter Hilfe zum Lebensunterhalt durch sie geht; vielmehr

darum, daß sie zusätzlich eine Leistung der Sozialhilfe be-

gehren (indem ein entsprechender Betrag des vorhandenen

Einkommens ihnen freigelassen wird), die sie erst in den

Stand setzen·soll, ein Kraftfahrzeug zu halten.



Jedenfalls aus diesen Gründen war der Beitrag des Klägers

zur Kfz-Haftpflichtversicherung in seiner ganzen Höhe kein

dem Grunde nach angemessener und damit kein nach § 76 Abs. 2

Nr. 3 BSHG vom Einkommen absetzbarer Beitrag; ebensowenig

der Beitrag zur Teilkasko- und zur Unfallversicherung. Daß

sich aus eben diesen Gründen verbietet, § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG

analog



- 10 -



analog anzuwenden, um die Absetzbarkeit der Kfz-Steuer vom

Einkommen zu rechtfertigen, versteht sich dann von selbst.



Die Kostenentscheidung, bei der der durch partielle Revi-

sionsrücknahme erledigte Teil des Rechtsstreites einzube-

ziehen war, beruht auf den§§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2·und

159 Satz 2 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit.auf § 188

Satz 2 VwGO.



K. R. Dr. S.

R. B.

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BSG, 5 BJ 114/85 vom 14.02.1986, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht

5b BJ 114/85

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Klägerin, Antragstellerin
und Beschwerdeführerin,
Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Beklagte, Antragsgegnerin ‘
und Beschwerdegegnerin.

Der 5b Senat des Bundessozialgerichts hat am 14. Februar
1986

beschlossen:

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Beschwerdeverfahren
vor dem Bundessozialgericht Prozeßkostenhilfe zu bewilli- '
gen und ihr ihren Prozeßbevollmächtigten beizuordnen, wird
abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen
vom 28. Februar 1985 wird als unzulässig verworfen.



- 2 -


Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten
des Beschwerdeverfahrens nicht zu erstatten.

Gründe:

Nach § 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 11M der Zivil-
prozeßordnung (ZPO) kann einem Beteiligten für das Beschwerde-
verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) Prozeßkostenhilfe nur
dann bewilligt und ein Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigter
beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hin-
reichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzung liegt
hier nicht vor. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und ebenso auch eine Abweichung des
Berufungsurteils iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG macht die Klägerin
mit der Beschwerde nicht geltend. Anhaltspunkte dafür sind auch
aus den Akten nicht erkennbar.

Der zur Beschwerdebegründung allein gerügte Verfahrensmangel iS
von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist nicht hinreichend bezeichnet. Nach
§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG muß in der Beschwerdebegründung der Ver-
fahrensmangel bezeichnet werden. Die Begründung muß - wie bei der
Verfahrensrevision (vgl § 164 Abs 2 Satz 3 SGG) - die Tatsachen
bezeichnen, die den Mangel ergeben (vgl BSG in SozR 1500 § 160a
Nr 14). Da die Beschwerdebegründung auf einen Beweisantrag ver-
weist, den die Klägerin zu Beginn des Berufungsverfahrens in
ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 29. Mai 198U dahin ge-

- 3 -

stellt hat, erneut eine Diagnose von Dr. B. und einen Befund
von einem anderen Facharzt oder einer Klinik nach etwaigem Be- ·
obachtungsaufenthalt einzuholen, hatte sie besonderen Anlaß, nach
Durchführung der vom Landessozialgericht (LSG) angeordneten
Sachaufklärung in Gestalt der Einholung eines Befundberichts des
Dr. B. vom 19. August 198U und des nach zweitägiger sta-
tionärer Untersuchung der Klägerin erstatteten nervenfachärztli-
chen Gutachtens des Dr. F. vom 22. Januar 1985 einen An-
trag auf ergänzende Ermittlungen zu stellen, soweit ihr solche
erforderlich erschienen. Hierzu bestand insbesondere deshalb be-
sonderer Anlaß, weil das LSG dem Sachverständigen im Beweisbe-
schluß auch die Frage gestellt hatte, ob zur Klärung des medizi-
nischen Sachverhalts weitere Ermittlungen erforderlich seien, und
der Sachverständige diese Frage am Ende seines Gutachtens ver-
neint hatte. Spätestens bei Kenntnisnahme des Gutachtens mußte
die Klägerin daher auf eine etwa von ihr noch begehrte weitere
Beweiserhebung hinweisen. Da sie dies nicht getan hat, hat sie
einen Beweisantrag, über den das LSG iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG
hätte hinweggehen können, nicht mehr gestellt. Zur Beschwerdebe-
gründung hätte die Klägerin deshalb im einzelnen darlegen müssen,
daß und inwiefern für das LSG erkennbar ihr Beweisantrag aus der
Berufungsbegründungschrift durch die vom LSG angestellten Er-
mitlungen nicht erledigt war und somit bei der Entscheidung über
ihre Berufung ohne hinreichende Begründung übergangen worden ist.
Solche Darlegungen läßt die Beschwerdebegründung jedoch vermis-
sen.

Mangels der erforderlichen Erfolgsaussicht mußte daher das Gesuch

- 4 -

der Klägerin um Gewährung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung
ihres Prozeßbevollmächtigten abgelehnt werden. Zugleich war die
nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form begründete Be-
schwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG durch Beschluß
ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter wegen Formmangels als
unzulässig zu verwerfen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5;
BVerfG aaO Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des
§ 193 SGG.

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BGH, IVA ZR 318/86 vom 03.06.1987, Bundesgerichtshof
BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

IVa ZR 318/86

in dem Rechtstreit

des Handelsvertreter Joachim N. , W. Straße 61,

Klägers und Revisionsklägers,

- Prozeßbevollmächtigter Rechtsanwalt Dr. -

gegen

die S. Lebenversicherungs- und Rentenanstalt,

Versicherungsgenossenschaft auf Gegenseitigkeit, vertreten

durch den Hauptbevollmächtigten Dipl. Math. Günther H.,

L. straße 8-10, ,M. ,

Beklagte und Revisionsbeklagte,

- Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwälte Dr. und

II. Instanz: Partner, S. Ring 18, H. -

- 2 -

er IVa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den

Vorsitzenden Richter Dr. H. und die Richter R.,

D., Dr. S. und Dr. R.

am 3. Juni 1987

beschlossen

Der Antrag des Klägers auf Prozeßkostenhilfe
wird abgelehnt.

Gründe

Der Kläger ist rechtsschutzversichert; sein Versicherer
verweigert die Deckung der Revisionskosten lediglich deshalb,
weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf
Erfolg biete. In einem solchen Fall kann Prozeßkostenhilfe
nicht gewährt werden. Sollte der Rechtsschutzversicherer die
Prozeßaussichten zutreffend beurteilt haben, so wäre nach
§ 114 Satz 1 ZPO auch die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe
ausgeschlossen. Falls aber der Versicherer die Erfolgsaus-
sicht zu Unrecht verneint haben sollte, kann vom Antragstel-
ler erwartet werden, daß er seinen Prozeßbevollmächtigten

- 3 -

mit einem Stichentscheid nach § 17 Abs. 2 ARB beauftragt. Ei-
ne finanzielle Belastung ist für ihn damit nicht verbunden,
da die Kosten des Stichentscheids auch dann zu Lasten des
Rechtsschutzversicherers gehen, wenn der Anwalt dem Rechts-
mittel keine Erfolgschancen zubilligen sollte.

Dr. H. D.

Nachschlagewerk: ja

BGHZ: nein

ZPO § 114

Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen einer Partei
Prozeßkostenhilfe gewährt werden kann, wenn ihr Rechts-
schutzversicherer die Kostendeckung wegen mangelnder Er-
folgsaussicht ablehnt.

BGH, Beschl.v. 3. Juni l987 - IVa ZR 318/86 -

- 1 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

IVa ZR 318/86

in dem Rechtstreit

des Handelsvertreter Joachim N. , W. Straße 61,

Klägers und Revisionsklägers,

- Prozeßbevollmächtigte Rechtsanwältin als Ab-

wicklerin der Kanzlei des ver-
storbenen Rechstanwalts

Dr. -

gegen

die S. Lebenversicherungs- und Rentenanstalt,

Versicherungsgenossenschaft auf Gegenseitigkeit, vertreten
durch den Hauptbevollmächtigten Dipl. Math. Günther H.,
L. straße 8-10, ,M. ,

Beklagte und Revisionsbeklagte,

- Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwälte Dr.

- 2 -

Der IVa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den
Vorsitzenden Richter Dr. H. und die Richter R.,
, Dr. L. , D. und Dr. Z.

am 13. Januar 1988

beschlossen

Die Revision des Klägers gegen das Urteil

des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts

in Hamm vom 5. Dezember 1986 wird nicht

angenommen.

Der Kläger trägt die Kosten der Revision.

Gründe

Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die
Revision verspricht keine Erfolg.

Der Senat versteht die rechtsfehlerfreien tatsäch-
lichen Feststellungen des Berufungsgerichts dahin, daß
beim Kläger bereits im Mai 1984 ein Zustand vorlag, der
bei rückschauender Betrachtung eine Wiederherstellung
einer (zumindest halben) Arbeitskraft innerhalb abseh-

- 3 -

barer Zeit nach de Stand der Wissenschaft nicht mehr zu-
ließ. Infolgedessen kommt es auf die im Berufungsurteil
erörterte Frage, ob die Bedingungen der Beklagten eine
Prognose darüber verlangen, für welchen Zeitraum der Ver-
sicherte voraussichtlich krankheitsbedingt an der Aus-
übung seines Berufs gehindert ist, nicht an.

Dr. H. R. Dr. L.

D. Dr. Z.

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BGH, IV ZR 214/88 vom 17.01.1990, Bundesgerichtshof
BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

IV ZR 214/88 URTEIL

verkündet am:

17. Januar 1990

Keller

Justizassistentin

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle



in dem Rechtsstreit

der C ge-
setzlich vertreten durch den Vorstand, K. -Allee

H

Beklagten und Revisionsklägerin,

— Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt

gegen

Herrn Theo K , Alte H. , N

Kläger und Revisionsbeklagten,

- Prozeßbevollmächtigter Rechtsanwalt als Ab-
wickler für die Kanzlei

- 2 -

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch
den Vorsitzenden Richter B. und die Richter D.,
Dr. S., Dr. Z. und Dr. R. auf die münd-
liche Verhandlung vom 17. Januar 1990
für Recht erkannt:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil
des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Celle vom 15. Juni 1988 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisions-
verfahrens.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte dem Kläger
vertraglichen Rechtsschutz in einem gegen die Muttergesell-
schaft der Beklagten geführten Prozeß auch für die Beru-
fungsinstanz zu gewähren hat. Sie gehen übereinstimmend da-
von aus, daß dem zwischen ihnen bestehenden Versicherungs-
verhältnis die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-
versicherung (ARB) zugrunde liegen. Für den ersten Rechtszug
des gegen den Unfallversicherer des Klägers geführten Pro-
zesses hatte die Beklagte Rechtsschutz gewährt. Die Klage
ist abgewiesen worden. Mit ihrer Ablehnung, auch für das Be-
rufungsverfahren eine Kostenzusage zu geben, stellte es die
Beklagte dem Kläger anheim, einen für beide Teile verbindli-

- 3 -

chen Stichentscheid eines Rechtsanwaltes seines Vertrauens
gemäß § 17 Abs. 2 ARB herbeizuführen. Nach Erhalt eines die
Erfolgsaussicht der Berufung bejahenden Schreibens des Beru-
fungsanwaltes des Klägers vom 5. Februar 1987 und erneut
nach Erhalt einer Kopie der Berufungsbegründung vom 11. Fe-
bruar 1987 blieb die Beklagte jeweils bei ihrer Ablehnung,
die erbetene Kostenzusage zu geben. Nach ihrer Ansicht liegt
ein wirksamer, sie bindender Stichentscheid im Sinne des
§ 17 Abs. 2 ARB nicht vor.

Zu dem Prozeß gegen den Unfallversicherer des Klägers
ist es gekommen, weil der Kläger nach der Teilnahme an einer
Wanderung am Himmelfahrtstage 1985, auf der an drei ver-
schiedenen Rastplätzen Bier getrunken worden war, auf der
Heimfahrt als Beifahrer auf dem Soziussitz des von Oliver
G , einem Mitglied der Wandergruppe, geführten Mo-
torrades verunglückte. Zur Unfallzeit betrug die Blutalko-
holkonzentration bei dem Fahrer 1,54 und bei dem Kläger
2,87 g ‰. Klage und Berufung des Klägers sind ab- bzw.
zurückgewiesen worden mit der Begründung, der Kläger habe
seinen Unfall durch eine alkoholbedingte Bewußtseinsstörung
verursacht.

Im anhängigen Verfahren ist dem Klagebegehren auf Ge-
währung von Rechtsschutz in den beiden Vorinstanzen stattge-
geben worden. Mit ihrer - zugelassenen — Revision verfolgt
die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.

- 4 -

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht hat das Schreiben des Rechtsanwal-
A vom 5. Februar 1987 als eine beide Parteien
bindende Stellungnahme im Sinne des § 17 Abs. 2 ARB gewer-
tet. Die Ausführungen, die das Berufungsgericht zu den An-
forderungen gemacht hat, denen eine derartige Stellungnahme
formell und inhaltlich entsprechen muß, treffen zu.

1.a) Dem Rechtsanwalt, der gemäß § 17 Abs. 2 ARB tätig
wird, obliegt in der Funktion eines Schiedsgutachters die
Aufgabe, die "Notwendigkeit" der Interessenwahrnehmung von
Seiten des Versicherungsnehmers dem Streit der (Vertrags-)
Parteien zu entziehen (Harbauer, Rechtsschutzversicherung
3. Aufl. § 17 Rdn. 14). Gemäß § 1 Abs. 1 ARB ist die Inter-
essenwahrnehmung notwendig nur, "wenn sie hinreichende Aus-
sicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint." Mit
dieser wortgetreuen Übernahme der sachlichen Voraussetzungen
für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe, die folgerichtig
in § 17 Abs. 2 ARB wiederholt wird, haben die Rechtsschutz-
versicherer klargestellt, daß die Notwendigkeit der Wahrneh-
mung rechtlicher Interessen im Rahmen einer Rechtsschutzver-
sicherung nur und erst dann zu bejahen ist, wenn bei dem ge-
gebenen Sachverhalt einer Partei, die nach ihren persönli-
chen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten einer
Prozeßführung (ganz oder teilweise) nicht aufzubringen ver-
mag, Prozeßkostenhilfe zu gewähren wäre. Die Anforderungen
an die Erfolgsaussicht, zu der in einem Stichentscheid gemäß
§ 17 Abs. 2 ARB Stellung zu nehmen ist, sind demnach nicht
niedriger als in einem Prozeßkostenhilfeverfahren (a.A. Har-
bauer, aaO § 1 Rdn. 33). Diesen Maßstab hat der Berufungsan-

- 5 -

walt des Klägers indes nicht verkannt; er hat auf hinrei-
chende Erfolgsaussicht der Berufung abgestellt und diese be-
jaht.

b) Da gemäß § 17 Abs. 2 ARB eine begründete Stellung-
nahme zu der Notwendigkeit einer Wahrnehmung rechtlicher In-
teressen abzugeben ist, ist der Rechtsanwalt gehalten, die
Grundlagen seiner gutachterlichen Entscheidung und den Weg,
auf dem er zu ihr gelangt ist, aufzuzeigen; er hat deshalb
grundsätzlich den entscheidungserheblichen Streitstoff dar-
zustellen, anzugeben, inwieweit für bestrittenes Vorbringen
Beweis oder Gegenbeweis angetreten werden kann, die sich er-
gebenden rechtlichen Probleme unter Berücksichtigung von
Rechtsprechung und Rechtslehre herauszuarbeiten und das nach
seiner Ansicht bestehende (Prozeß—)Risiko aufzuzeigen, d.h.
sich auch mit etwa vorhandenen Argumenten auseinanderzuset-
zen, die gegen eine Erfolgsaussicht sprechen. Dabei ist es
von nachrangiger Bedeutung und weitgehend von den Besonder-
heiten des Einzelfalles abhängig, in welche Form der Anwalt
seine Stellungnahme kleidet und wie umfänglich er sie ge-
staltet und dabei auf die vom Rechtsschutzversicherer ange-
meldeten Bedenken eingeht. Das ist abhängig vom Umfang oder
von der Komplexität des Streitstoffes, von dem Stand der
vorangegangenen Korrespondenz mit dem Rechtsschutzversiche-
rer und seiner dadurch begründeten Vorkenntnis, ferner von
dem Stadium, in dem sich die Interessenwahrnehmung jeweils
befindet.

c) Der Inhalt und nicht die Form einer Stellungnahme
bleibt stets primär maßgebend dafür, ob sie den Anforderun-
gen an eine begründete Bejahung hinreichender Erfolgsaus-

- 6 -

sicht genügt; deshalb sind auch - jedenfalls zeitnahe – Er-
gänzungen einer Stellungnahme, in der noch nicht auf alle
für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Wahrnehmung
rechtlicher Interessen eine Rolle spielenden Gesichtspunkte
umfassend eingegangen worden war, zulässig und rechtlich be-
achtlich. Um eine derartige Ergänzung zur Stellungnahme vom
5. Februar 1987 handelt es sich bei der unter dem 11. Febru-
ar 1987 gefertigten Berufungsbegründung, die der Beklagten
am 18. Februar 1987 zugegangen ist. Daß der Berufungsanwalt
des Klägers hiermit seine bisherigen Ausführungen zur hin-
reichenden Erfolgsaussicht der Berufung ergänzen und unter-
mauern wollte, war auch für die Beklagte unübersehbar. Sie
hatte ihm in ihrem ersten Ablehnungsschreiben vom 2. Dezem-
ber 1986 unter anderem mitgeteilt: "Um ein Berufungsverfah-
ren mit einiger Aussicht auf Erfolg durchführen zu können,
müßten hier unseres Erachtens zumindest Zeugen dafür benannt
werden, daß für unseren Versicherungsnehmer auch in nüchter-
nem Zustand keineswegs erkennbar gewesen wäre, daß Herr Gl
alkoholbedingt fahruntüchtig war. Dies erscheint
uns nach dem bisher bekannten Sachverhalt nicht möglich zu
sein."

In seiner Stellungnahme vom 5. Februar 1987 hatte
Rechtsanwalt A. die Ansicht vertreten, die Kausalitätsfrage
sei nur noch am Rande von Bedeutung, weil im Berufungsver-
fahren eine andere Beurteilung der alkoholbedingten Bewußt-
seinsstörung des Klägers erwartet werden dürfe. Er hatte da-
zu aufgezeigt, was sein Mandant gegen die Annahme des Land-
gerichts anführen könne, er sei bei Fahrtantritt alkoholbe-
dingt bewußtseinsgestört gewesen. Mit der umgehend nachge-
reichten Berufungsbegründung verdeutlichte er der Beklagten

- 7 -

dann zum einen, daß der Kläger auch Beweis anbieten könne
für diese Behauptung, und führte ihr zum anderen nunmehr
auch vor Augen, daß der Kläger auch zur Entkräftung der vom
Landgericht bejahten Kausalität einer alkoholbedingten Be-
wußtseinsstörung für den Fahrtantritt mit einem absolut
fahruntüchtigen Motorradfahrer und damit für den Unfall noch
nicht erhobenen Beweis angetreten hatte.

Ist bestrittenes Vorbringen, mit dem die Rechtsverfol-
gung oder die Rechtsverteidigung begründet werden soll, un-
ter Beweis gestellt, ohne daß sich auf Anhieb sagen ließe,
dieses Vorbringen sei mit der jeweils verfolgten Wahrnehmung
rechtlicher Interessen schlechterdings nicht in Zusammenhang
zu bringen, oder hat der Versicherungsnehmer gegen eine ihm
ungünstige Feststellung in einem Urteil, das er angreifen
will, Beweis angetreten, so bindet die hierauf in einem
Stichentscheid gestützte Bejahung von Erfolgsaussicht die
Parteien des Rechtsschutzversicherungsvertrages, solange
nicht derjenige, der die Bindungswirkung anzweifelt, be-
weist, daß die Stellungnahme "offenbar von der wirklichen
Rechtslage erheblich abweicht." Keine Rolle spielt es bei
der Beurteilung, ob der Stichentscheid ausreichend begründet
worden ist bzw. ob er offenbar erheblich von der wirklichen
Rechtslage abweicht, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung tatsächlich Erfolg hatte. wie im
Prozeßkostenhilfeverfahren ist nur eine ex ante-, nicht eine
ex post-Beurteilung erlaubt, d.h. es ist unter anderem uner-
heblich, zu welchem Ergebnis spätere Beweisaufnahmen geführt
haben.

d) Für ihre Ansicht, die zeitnah und zu Beginn des Be-
rufungsverfahrens gegen den Unfallversicherer nachgereichte

— 8 —

Berufungsbegründung sei keine beachtliche Ergänzung der ur-
sprünglichen Stellungnahme vom 5. Februar 1987, kann sich
die Beklagte nicht auf die in VersR 1980, 671 veröffentlich-
te Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm berufen. Auch
wenn die Annahme dieses Gerichts zutreffen sollte, es bleibe
kein Raum mehr für ein Verfahren gemäß § 17 Abs. 2 ARB, wenn
dem Rechtsschutzversicherer erstmalig nach Abschluß eines
gerichtlichen Verfahrens von einer auf diesem Wege verfolg-
ten Wahrnehmung rechtlicher Interessen Mitteilung gemacht
worden sei, besagt dies nichts dazu, ob eine zeitgerechte
Stellungnahme zu ihrer Begründung gemäß § 17 Abs. 2 ARB
zeitnah durch weitere Schriftstücke ergänzt werden darf.

Ebensowenig einschlägig ist der Beschluß des erkennenden Se-
nates vom 3. Juni 1987 - IVa ZR 318/86 - VersR 1987, 978; er
besagt nur, daß es einer Partei, deren Rechtsschutzversiche-
rer eine Kostenzusage mangels Erfolgsaussicht abgelehnt hat,
zuzumuten ist, einen Stichentscheid gemäß § 17 Abs. 2 ARB
herbeizuführen, so daß ihr nicht stattdessen Prozeßkosten-
hilfe bewilligt werden kann.

2.a) Den ihr obliegenden Beweis offenbar erheblichen
Abweichens des Stichentscheids von der wirklichen Rechtslage
hat die Beklagte nicht geführt. Zu Recht bezweifelt auch die
Beklagte nicht, daß eine alkoholbedingte Bewußtseinsstörung
des Klägers (bzw. deren Fehlen oder deren Nichterweislich-
keit) und die Kausalität dieser Bewußtseinsstörung für den
Unfall maßgeblich sind und waren zur Beurteilung hinreichen-
der Erfolgsaussicht der Berufung gegen das Urteil, mit dem
Ansprüche gegen den Unfallversicherer abgewiesen worden wa-
ren. Was den juristischen Ausgangspunkt betrifft, den
Rechtsanwalt A. für seinen Stichentscheid gewählt hatte,

- 9 -

kommt demnach ein Abweichen von der wirklichen Rechtslage
nicht in Betracht.

b) Es ging in dem Prozeß gegen den Unfallversicherer
allein darum, ob sich der Kläger nur und gerade wegen einer
alkoholbedingten Bewußtseinsstörung einem absolut fahrun-
tüchtigen Motorradfahrer anvertraut hatte; es ging dagegen
nicht um ein alkoholbedingtes unfallursächliches Verhalten
des Klägers während der Fahrt. In zutreffender Berücksichti-
gung der Senatsrechtsprechung (vgl. Urteil vom 27. Februar
1985 — IVa ZR 96/83 - VersR 1985, 583 unter II) hatte das
Erstgericht nicht allein aufgrund der erwiesenen Blutalko-
holkonzentration von 2,87 g ‰ eine alkoholbedingte Be-
wußtseinsstörung im Sinne des in § 3 Abs. 4 der Allgemeinen
Unfallversicherungsbedingungen (AUB) enthaltenen Risikoaus-
schlusses bejaht; es hatte seine Überzeugung - ein An-
uscheinsbeweis kam nicht in Betracht (vgl. dazu auch Senats-
urteil vom 24. Februar 1988 — IVa ZR 193/86 unter 2 – VersR
1988, 733) — zusätzlich aus den Feststellungen hergeleitet,
die der den Kläger nach dem Unfall behandelnde Arzt getrof-
fen hatte. In seiner Stellungnahme vom 5. Februar 1987 zeig-
te Rechtsanwalt A. auf: Die ärztliche Feststellung, die
Atemluft des Klägers habe deutlich nach Alkohol gerochen,
sage über den Grad seiner erwiesenen Alkoholisierung nichts
aus; ein sogenanntes Alkoholdelirium, das während des Kran-
kenhausaufenthaltes aufgetreten sein soll, sei ebenfalls oh-
ne Aussagewert für die Alkoholisierung des Klägers bei
Fahrtantritt am Himmelsfahrttag, weil damit Entzugserschei—
nungen während des stationären Aufenthaltes angesprochen
seien, deren Auftreten gerade die Behauptung des Klägers un-
termauerten, er sei besonders alkoholgewohnt; der Anwalt bot

- 10 -

- zumindest in Verbindung mit der Berufungsbegründung – Be-
weis durch den Arzt an, der dem Kläger das Blut entnommen
hatte, daß der Kläger bei der Blutentnahme eine deutliche
Sprechweise, ein beherrschtes Verhalten, eine unauffällige
Stimmung mit klarer Bewußtseinslage und geordneten Denkab-
läufen gezeigt habe. Unter diesen Umständen wich sein wer-
tungsergebnis, er messe einer hierauf gestützten Berufung
hinreichende Erfolgsaussicht bei, nicht offenbar erheblich
von der wirklichen Rechtslage ab. Die Feststellung alkohol-
bedingter Bewußtseinsstörung verlangt, wo es nicht nur um
Fahruntüchtigkeit geht, ausnahmslos eine am Einzelfall ori-
entierte, alle in Betracht kommenden Indizien einschließende
Beweiswürdigung. Es ging bei der Feststellung einer alkohol-
bedingten Bewußtseinsstörung des Klägers auch nicht um einen
Anscheins-, sondern um Vollbeweis.

c) Die Bejahung hinreichender Erfolgsaussicht der Beru-
fung weicht auch nicht offenbar erheblich von der wirklichen
Rechtslage ab, soweit sie zusätzlich daraus hergeleitet wur-
de, daß der Kläger in der Berufungsbegründung auch Beweis
gegen die im ersten Urteil bejahte Kausalität seiner Alkoho-
lisierung für den Unfall angetreten hatte. Es war Sache des
Unfallversicherers zu beweisen, daß der Kläger ohne seine
alkoholische Beeinflussung mit Rücksicht auf die ihm dann
erkennbar gewordene oder sich ihm dann zumindest aufdrängen-
de Fahruntüchtigkeit des Motorradfahrers, dem äußerlich bei
Fahrtantritt eine Alkoholisierung nicht anzumerken war, Ab-
stand genommen hätte von einem Mitfahren. Alles, was der
Kläger gegen die Berechtigung einer solchen Annahme anführen
und unter Beweis stellen konnte, war grundsätzlich geeignet,
seinen Anspruch zu stützen. Die Berücksichtigung dieses Vor-

- 11 -

bringens in dem Stichentscheid bei der Bejahung hinreichen-
der Erfolgsaussicht konnte demnach ebenfalls nicht dazu füh-
ren, daß dieser erheblich und offenbar von der wirklichen
Rechtslage abwich.

Das Feststellungsbegehren des Klägers ist begründet.

B. D. Dr. S.

Dr. Z. Dr. R.

Nachschlagewerk: ja

BGHZ: nein

BGHR: ja

AVB f. Rechtsschutzvers. (ARB) § 17 Abs. 2

Zu den Anforderungen an eine Stellungnahme gemäß § 17 Abs. 2

ARB (Stichentscheid).

BGH, Urteil vom 17. Januar 1990 — IV ZR 214/88 — OLG Celle

LG Hannover

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BSG, IV ZB 5/90 vom 04.10.1990, Bundesgerichtshof
BUNDESGERICHTSHOF

IV ZB 5/90

Beschluss in dem Rechtsstreit

- 2 -

Der IV Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch
den vorsitzenden Richter B. und die Richter R.
, Dr. S. , Dr. Z. und R.

am 4. Oktober 1990

beschlossen:

Auf die sofertige Beschwerde des Beklagten wird
der Beschluß des 7. Zivilsenats des Ober1andes-
gerichts Stuttgart vom 21. Juni 1990 zu Nr. 2 und
3 aufgehoben.

Dem Beklagten wird wegen Versäumung der Berungs-
frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ge-
währt.

Die Kosten der Wiedereinsetzung einschließlich
der Kosten des Beschwerdevertfahrens nach einem
Beschwerdewert von 40.304,15 DM trägt der Be-
klagte.

Gründe

Das dem Rückzahlungsantrag des Klägers stattgebende Ur-
teil des Landgerichts ist dem Anwa1t des Beklagten am
5. März 1990 zugestellt werden. Mit Schriftsatz vom·30. März
1990, der beim Berufungsgericht am 2. April 1990 eingegangen
ist, beantragte der Beklagte für die Berufung gegen dieses

- 3 -

Urteil Prozeßkostenhilfe unter Vorlage der erforderlichen
Belege und Darlegung der beabsichtigten Berufungsbegründung.
Seine Rechtsschutzversicherung, die lediglich für die erste
Instanz Deckung zugesagt hatte, unterrichtete er am gleichen
Tage in gleicher Weise. Diese antwortete ihm, daß sie vor
Ablauf der Berufungsfrist die Frage der Deckungszusage für
die Berufungsinstanz nicht entscheiden werde. Mit Schreiben
vom 12., dem Anwalt des Klägers zugegangen am 19. April 1990
gewährte sie dann Deckungsschutz. Daraufhin legte der Be-
klagte am 23. April 1990 Berufung ein, begründete diese
gleichzeitig und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand.

Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Be-
schluß

1. den Antrag auf Prozeßkostenhilfe zurückgewiesen,

2. den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und

3. die Berufung verworfen.

Gegen die Nr. 2 und 3 dieses Beschlusses wendet sich der Be-
klagte mit seiner fristgerecht eingelegten sofortigen Be-
schwerde. Diese hat Erfolg.

Das Berufungsgericht meint, der Beklagte habe bei
Durchführung der ihm und seinem Prozeßbevollmächtigten zu-
mutbaren Maßnahmen die Deckungszusage so rechtzeitig erhal-
ten können, daß er fristgerecht Berufung habe einlegen kön-
nen. Diese Begründung ist rechtsfehlerhaft.

- 3 -

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtsho-
fes ist ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmit-
tel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist die Bewilligung von
Prozeßkestenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über
den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der Einle-
gung oder Begründung des Rechtsmittels verhindert anzusehen,
als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht
mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftig-
keit rechnen muß (BGHZ 26, 99, 101; Beschlüsse vom 14.3.1984;
und 29.1.1985 - IVb ZB 114/83 und VI ZB 20/84 - FamRZ 1984,
677 unter II 1a und VersR 1985, 395 unter 1). Erst dann,
wenn das Hindernis der Bedürftigkeit entfallen ist, wenn
z.B. die anfängliche Armut des Rechtsmittelführers, durch nun
erlangtes Arbeitseinkommen wegfällt, muß er mit der Ableh-
dnung seines Antrages auf Prozeßkostenhilfe rechnen (BGH, Be-
schluß vom - 13.7.1988 - IVb ZR 19/88 - BGHR ZPO § 234 Abs. 2
Prozeßkestenhi1fe 2 = FamRZ 1988, 1153). Erst dann ist ihm
zuzumuten, die Berufung einzulegen, wofür ihm gegebenenfalls
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. So
liegt es hier. Erst mit dér Deckungssusage des Re¢htsschutz-
versicherers entfiel das Hindernis der Bedürftigkeit, dessen
Vorliegen der Beklagte mit seinem Antrag auf Prozeßkosten-
hilfe und den dazu eingereichten Unterlagen ordnungsgemäß
dargetan hatte.

Allerdings hat der Senat entschieden, daß Prozeßkosten-
hilfe nicht gewährt werden kann, wenn der Rechtsscbutzversi-
cherer die Deckung wegen fehlender Erfolgsaussicht des
Rechtsmittels verweigert (Beschluß vom 3.6.1987 - IVa ZR
318/86 - BGHR ZPO § 114 Abs. 1. Rechtschutzversicherung 1 =
VersR 1987, 978). Bei zutreffender Beurteilung der mangeln

- 5 -

den) Erfolgsaussicht durch den Rechtsschutzversicherer ist
ohnehin nach S 114 Satz 1 ZPO die Bewilligung von Prozeßko-
stenhilfe ausgeschlossen (vgl. Senatsurteil vom 16.9.1987
- IVa ZR 76/86 - BGHR ZPO § 114 Abs. 1 Satz 1 Erfolgsaus-
sicht 1 = VersR 1987, 1186, dazu Bauer, VersR 1988, 174).
Einer unrichtigen Beurteilung der Erfolgsaussicht kann der
Rechtsmittelführer durch den Stichentscheid gemäß S 17
Abs. 2 der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzver—
sicherung (ARB) entgegentreten.

Das besagt jedoch nichts zur Frage der Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand. Derjenige, der die Kosten seines
Rechtsmittels nicht aufbringen kann, darf wie ein anderer
die Frist für die Einlegung oder Begründung des Rechtsmit-
tels bis zum letzten Tag ausnutzen; er darf also noch am
letzten Tag der Frist die Entscheidung treffen, ob er das
Rechtsmittel einlegen will, und braucht erst dann den aller-
dings vollständigen Antrag auf Prozeßkostenhilfe einzurei-
chen (BGHZ 16, 1 und 38, 376). Daran kann sich nichts da-
durch ändern, daß er rechtsschutzversichert und auf das Ver-
fahren gemäß § 17 ARB angewiesen ist. Der Stichentscheid ge-
mäß § 17 Abs. 2 ARB setzt die vorausgegangene Verneinung der
Leistungspflicht seitens des Rechtsschutzversicherers vor-
aus. Solange dieser sich nicht entschieden hat, ist für ei-
nen Stichentscheid kein Raum. Es liegt auf der Hand, daß
dieses Verfahren - zunächst die Entscheidung des Rechts-
schutzversicherers über die Erfolgsaussicht, dann gegebenen-
falls der Stichentscheid - eine gewisse Zeit erfordert. Die-
ser Zeitraum muß dem Rechtsmittelführer, der rechtsschutz-
versichert ist, ohne Rechtsnachteil zur Verfügung stehen. Er
darf, wenn er im übrigen die wirtschaftlichen Voraussetzun-

- 6 -

gen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe erfüllt nicht
wegen der Rechtsschutzversicherung schlechtergestellt werden
den als die übrigen Rechtsmittelführer.

Danach ist dem Beklagten mit der Kostenfolge § 238
Abs. 4 ZPO Wiedereinsetzung zu gewähren.

B. Dr. Z.

Nechschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

Für einen rechtsschutzversicherten Rechtsmittelführer, der die
die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von
Prozeßkostehhilfe im übrigen erfüllt, entfällt das Hindernis
der Bedürftigkeit erst mit der Deckunugszusage seines Rechts-
schutzversicherers.

BGH, Beschl. v. 4. Oktober 1990 - IV ZB 5/90 - OLG Stuttgart
LG Rottweil


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BSG, 3 RK 3/82 vom 23.03.1983, Bundessozialgericht
BSGE 55, 37, 38 ff [BSG 23.03.1983 - 3 RK 3/82] = SozR 2200 § 194 Nr 10



Bundessozialgericht



3 RK 3/82



Verkündet am

23. März 1983



Im Namen des Volkes



Urteil



in dem Rechtsstreit



Klägerin und Revisionsklägerin,

Prozeßbevollmächtigte:



gegen



Beklagte und Revisionsbeklagte,

Prozeßbevollmächtigter:



Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche

Verhandlung vom 23. März 1983



für Recht erkannt:



Auf die Sprungrevision der Klägerin wird das Urteil des

Sozialgerichts Dortmund vom 28. September 1981 aufgehoben.



Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das

Sozialgericht zurückverwiesen.



- 2 -



Gründe:



I



Die Klägerin begehrt die Erstattung von Krankentransportkosten.



Die Klägerin wohnt in D. und ist Mitglied der Beklagten. Am

27. April 1980 erlitt sie während ihres Urlaubs im Sauerland

einen Unterschenkelbruch rechts. Sie wurde zum nächstgelegenen

Krankenhaus, dem M. -H. -Krankenhaus in W. gefahren.

Dort wurde vom Chefarzt Dr. K. (K.) die Reposition

durchgeführt und ein Transportgips angelegt. Die Klägerin wurde

am selben Tag noch liegend ins Knappschaftskrankenhaus D.

transportiert. Für diese Fahrt stellte der Kreis S. 468,-- DM

in Rechnung, die die Klägerin beglich.



Die Übernahme der Kosten für die Fahrt von W. nach D.

lehnte die Beklagte am 7. Oktober 1980 ab. Mit ihrem Widerspruch

machte die Klägerin geltend, sie sei Mutter eines vierjährigen

Kindes. Ihm wäre es wegen der Dauer einer Reise von D. nach

W. (über BO km) praktisch nicht möglich gewesen, die Klä-

gerin regelmäßig zu sehen. Eine Trennung von Mutter und Kind

wirke sich unter Berücksichtigung der psychosomatischen Zusam-

menhänge auch für den Genesungsprozeß der Mutter äußerst nach-

teilig aus.



Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Sozialgericht



- 3 -



(SG) hat ausgeführt, der Transport der Klägerin von W. nach

D. sei nicht durch die Art und Weise der erforderlichen

Krankheitsbehandlung bedingt gewesen. Die erforderliche, medizi-

nisch ausreichende und zweckmäßige Krankenhauspflege wäre im

M. -H. -Krankenhaus gesichert gewesen. Medizinisch erforder-

lich sei die Verlegung nach D. auch nicht deshalb gewesen,

weil das Verbleiben der Klägerin in W. zu psychischen

Störungen mit Krankheitswert bei dem Kind hätte führen können.

Die Möglichkeit des Eintritts einer Krankheit bei einem anderen

könne die medizinische Notwendigkeit im Hinblick auf die zu

behandelnde Krankheit des Versicherten nicht beeinflussen. Am

27. April 1980 hätten auch konkrete Hinweise darauf gefehlt, daß

die sofortige Verlegung nach D. die medizinisch einzig

geeignete Maßnahme zur Sicherstellung des Genesungsprozesses der

Klägerin gewesen wäre. Vielmehr habe der verantwortliche Chefarzt

mitgeteilt, daß eine medizinische Notwendigkeit zur Verlegung

nicht bestanden habe. Diese Notwendigkeit werde auch nicht durch

das kassenarztrechtlich vorgesehene Formular der Anordnung des

Krankentransports bestätigt, denn darin gehe es nicht um die

Frage, ob die Verlegung erforderlich sei, sondern um deren Art

und Weise. Zwar behaupte die Klägerin, das Krankenhaus habe die

Verlegung veranlaßt. Es sei aber jedenfalls nicht Aufgabe der

Krankenkasse, Kosten einer nicht medizinisch bedingten Verlegung

zu tragen. Medizinische Gründe für die Verlegung habe Dr. K.

ausdrücklich verneint.



Die Klägerin hat Sprungrevision eingelegt und macht geltend, das

kassenarztrechtlich vorgesehene Formular bestätige die Notwen-



- 4 -



digkeit der Verlegung. Auch sei der Transport der Klägerin not-

wendig gewesen wegen der gesundheitlichen Gefährdung von Mutter

und und und der Beeinträchtigung des Genesungsprozesses durch

die Trennung zwischen beiden.



Die Klägerin beantragt sinngemäß,



die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des

Sozialgerichts Dortmund vom 28. September 1981

und der Bescheide vom 7. Oktober 1980 und

3. Februar 1981 zu verurteilen, an sie 468,-- DM

nebst 4 % Zinsen ab 1. März 1981 zu zahlen.



Die Beklagte beantragt,



die Revision zurückzuweisen.



II



Die Revision ist im Sinn der Zurückverweisung der Sache an das

SG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet. Anhand der

im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen des SG kann

der Senat nicht abschließend entscheiden, ob die angefochtenen

Bescheide rechtmäßig sind, und cb der Anspruch der Klägerin be-

steht.



Nach § 194 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) übernimmt die

Beklagte die im Zusammenhang mit der Gewährung einer Leistung

der Krankenkasse erforderlichen Fahrkosten für den Versicherten.



- 5 -



Der Anspruch aus § 19A Abs 1 RV0 setzt voraus, daß die Kassen-

leistung dem Versicherten an einem bestimmten Ort zu gewähren

ist und der Transport lediglich dazu dient, ihn zu diesem Ort zu

befördern (Urteil des Senats vom 28. März 1979 in BSGE NB, 139 =

SozR 2200 § 194 RVO Nr U). Aus den Feststellungen des SG ergibt

sich nicht, ob die Beklagte der Klägerin die Krankenhausbehand-

lung in diesem Sinn gerade im Knappschaftskrankenhaus in D.

zu gewähren hatte.



Die Gewährung der stationären Behandlung im Knappschaftskranken-

haus und die dafür erforderliche Fahrt nach D. sind nicht

von Dr. K. in einer für die Beklagten verbindlichen Weise

angeordnet worden. Mit Recht hat das SG die Frage offengelassen,

ob die Fahrt von W. nach D. Q von der Klägerin oder von

Dr. K. veranlaßt worden ist. Das SG hat bindend festgestellt,

Dr. K. habe die Verlegung jedenfalls nicht aus medizinischen

Gründen veranlaßt. Wenn der Arzt die Verlegung des Versicherten

von einem Krankenhaus in ein anderes aus medizinischen Gründen

veranlaßt, mag dies die Pflicht der Krankenkasse zur Übernahme

der Transportkosten auch dann nach sich ziehen, wenn die Gründe

objektiv nicht gegeben waren. Eine derartige Verpflichtung der

Krankenkasse ist zwar nicht ausdrücklich geregelt. Es liegt aber

nahe, sie dem Grundgedanken von Vorschriften wie § 20 Abs 5 des

Bundesmantelvertrages Ärzte (BMVÄ) vom 28. August 1978 zu ent-

nehmen. Nach § 20 Abs 5 BMVÄ bleibt bei der Verordnung von Kran-

kenhauspflege die Kostenverpflichtungserklärung gegenüber dem

Krankenhaus der Krankenkasse vorbehalten. Veranlaßt der Arzt in

Notfällen ausnahmsweise von sich aus die Aufnahme in ein



- 6 -



Krankenhaus, so hat er dieses in der Verordnung besonders zu be-

gründen. Aus der Vorschrift ergibt sich aber keinerlei Anhalts-

punkt dafür, daß ein Arzt durch seine Verordnung die Kasse zu

Leistungen verpflichten könnte, die er nicht im einzelnen für

medizinisch begründet hält.



Die Kosten des Transports von W. nach D. sind von der

Beklagten auch nicht schon deshalb zu tragen, weil Dr. K. die

ärztliche Notwendigkeit der Krankenfahrt festgestellt hat. Das SG

hat festgestellt, der Arzt treffe mit dem Formular keine

Anordnung hinsichtlich des "Ob" des Transports. Damit hat das SG

eine tatsächliche Feststellung getroffen, die mit der

Sprungrevision nicht angegriffen werden kann (§ 161 Abs 4

Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Klägerin bezieht sich in ihrer

Revisionsbegründung insoweit auf das Urteil des

Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 24. Januar 1980

- L 5 K 46/79 -. Darin wird ausgeführt, Chefarzt Dr. M. habe den

Transport auf einem dafür vorgesehenen Formblatt angeordnet, und

die Anordnung beziehe sich nicht lediglich auf die Art des

Transports, sondern auch auf die Durchführung selbst; das

Formblatt sei nämlich als Nachweis der ärztlichen Anordnung für

die Krankenkasse bestimmt. Das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz

enthält insoweit tatsächliche Feststellungen, wobei es noch nicht

einmal vom gleichen Formblatt ausgeht wie im Fall der Klägerin.

Für den Rechtsstreit der Klägerin gegen die Beklagte sind die

Feststellungen des LSG Rheinland-Pfalz nicht verbindlich. Die

Auslegung der formularmäßigen Erklärung durch das SG läßt auch

keinen rechtlichen Fehler erkennen. Allerdings dient das



- 7 -



Formblatt dem Nachweis für die Krankenkasse. Das SG war aber

nicht an der Auslegung gehindert, daß es nur um den Nachweis der

angeordneten Art des Transports geht. Insoweit wird die Auslegung

durch die neuen Richtlinien über die Verordnung von

Krankenfahrten, Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen

vom 26. Februar 1982 (BAnz Beilage 32 Seite 9) bestätigt. Darin

ist die Auswahl des Beförderungsmittels eingehend geregelt. Es

wird zwar auch bestimmt, daß Ausgangs- und Zielort der Fahrt

anzugeben sind. Die Richtlinien sehen aber keine Aussage des

Arztes über den Zweck und die Notwendigkeit der Fahrt vor.



Ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Fahrkosten kann sich

aber aus einem anderen Rechtsgrund ergeben. Unter den

Krankenhäusern, mit denen Verträge über die Erbringung von

Krankenhauspflege bestehen, kann der Versicherte nach § 184 Abs 2

RVO wählen. Der Versicherte bestimmt mit dieser Wahl des Kran-

kenhauses allerdings nicht den Ort der Leistung in der Weise, daß

die Bestimmung die Pflicht der Krankenkasse zur Übernahme der

Kosten für die Fahrt dorthin nach sich zieht. Vielmehr hat er

selbst die Mehrkosten zu tragen, wenn er ohne zwingenden Grund

ein anderes ale eines der nächsterreichbaren Vertragskranken-

häuser in Anspruch nimmt (§ 184 Abs 2 Satz 2 RVO). Die Vorschrift

des § 184 Abs 2 Satz 2 RVO ist im vorliegenden Fall anwendbar.

Zu dem dieser Vorschrift im ambulanten Bereich entsprechenden

§ 368d Abs 2 RVO hat der Senat bereits entschieden, daß auch die

Kosten der Fahrt zum gewählten Arzt Mehrkosten in diesem Sinn

sind, soweit sie die Kosten der Fahrt zum nächsterreichbaren Arzt

überschreiten (BSG SozR 2200 § 368d RVO Nr N). Anderes



- 8 -



Krankenhaus iS des § 184 Abs 2 Satz 2 RVO ist allerdings in der

Regel das im Krankheitsfall zuerst aufgesuchte Krankenhaus.

Indessen ist kein durchschlagender Grund erkennbar, warum die

Vorschrift nicht auch im Fall des Krankenhauswechsels, der

Verlegung von einem Krankenhaus in ein anderes angewendet werden

soll. Die Klägerin hätte je nach Art des Unfalls genausogut

unmittelbar vom Unfallort nach D. gebracht werden können.

Nach der Interessenlage kann die - offenbar nur ambulante -

Erstversorgung in W. die Erstattung der Fahrkosten nach

D. nicht ausschließen.



Die Klägerin hat das Knappschaftskrankenhaus in D. "in

Anspruch genommen", selbst wenn die Verlegung dorthin allein von

Dr. K. oder durch andere Angestellte des W. Krankenhauses

veranlaßt werden sein sollte. Inanspruchnahme bedeutet keine

bewußt ausgeübte Wahl. Der Versicherte nimmt grundsätzlich das

Krankenhaus in Anspruch, in dem er sich behandeln läßt.



Die Feststellungen des SG reichen nicht aus für eine Entscheidung

darüber, ob für die Verlegung der Klägerin von W. nach

D. ein zwingender Grund gegeben war.



Zur Übernahme der Kosten für einen solchen Weitertransport ist

die Kasse nur verpflichtet, wenn Gründe dafür in der Art und

Weise der Krankheitsbehandlung liegen (BSG SozR 2200 § 194 RVO

Nr 4). Die erforderliche, medizinisch ausreichende und zweck-

mäßige Krankenhauspflege wäre nach den bindenden Feststellungen

des SG im M. -H. -Krankenhaus in W. gesichert gewesen.



- 9 -



Mit Recht hat das SG auch dargelegt, die Gefahr von psychischen

Störungen bei dem Kind der Klägerin sei kein in der Art und

weise der Krankheitsbehandlung liegender Grund. Krankheitsbe-

handlung in diesem Sinn ist nur die Behandlung der Klägerin

selbst. Zu den gesetzlichen Aufgaben der gesetzlichen Kranken-

versicherung gehört es nicht, gesundheitliche Gefahren für

Familienangehörige des Kranken abzuwehren, auch wenn die Angehö-

rigen selbst Krankenversicherungsschutz genießen.



Zu Unrecht hat das SG keine Feststellungen darüber getroffen, ob

und in welcher Weise die Trennung von Mutter und Kind den Gene-

sungsprozeß der Mutter beeinträchtigt hätte. Das SG hat die

Sachaufklärung dazu unterlassen, weil am 27. April 1980 offen-

kundig alle konkreten Hinweise für die Notwendigkeit der Verle-

gung aus diesem Grund gefehlt haben. Darauf kommt es indessen

nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob die Notwendigkeit objek-

tiv vorgelegen hat. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom

28. März 1979 angedeutet, daß die Gefahr einer psychischen

Erkrankung des Versicherten beim Verbleib in dem Krankenhaus

außerhalb seines Wohnorts für die Entscheidung erheblich sein

könnte. Im Verhältnis einer Mutter zu ihrem vierjährigen Kind

liegt die Beeinträchtigung des Genesungsprozesses der Mutter

durch eine Trennung nicht so fern, daß das SG von einer weiteren

Sachaufklärung ohne weiteres entbunden wäre. wenn die Gefahr

ernsthaft bestanden hat, wird das SG eine etwa zu befürchtende

Verzögerung der Genesung gegen die Transportkosten abzuwägen und

auch etwaige andere Möglichkeiten der Kontaktsicherung zu

berücksichtigen haben.



- 10 -



Die Kostenentscheidung bleibt dem Urteil des SG vorbehalten.

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BVerwG, 3 B 62.88 vom 21.02.1989, Bundesverwaltungsgericht
Sachgebiet: BVerwGE: nein

Lebensmittelrecht Fachpresse: nein

Weinrecht

Rechtsquellen:

VO (EWG) Nr. 2179/83 Art. 4 Abs. 2.· Art. 5 Abs. 1

VwVfG

§§ 38 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 2. 44

VwGO § 132 Abs . 2 Nr . 1 u . Nr . 2

Stichworte:

Behördliche Genehmigung eines Vertrags zur Destillation von
Wein. allgemeine Hinweise im Genehmigungsbescheid. Auslegung
eines Hinweises als bedingte Zusicherung der Gewährung einer
Beihilfe; keine Grundsatzfrage (unbegründete Nichtzulassungs-
beschwerde)

Beschluß des 3. Senats vom 21. Februar 1989- BVerwG 3 B 62.88
I. VG Frankfurt am Main vom 13.06.1986 - Az.: I/3 E 2021/84 -
II. VGH Kassel vom 19.05.1988 - Az.: 8 UE 2017/86

- 1-

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BVerwG 3 B 62.88

VGH 8 UE 2017/86

BESCHLUSS

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Februar 1989
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. D. sowie die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht S. Und W.-E. S.
beschlossen:

- 2 -

Die Beschwerde der Beklagten gegen die
Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom
19. Mai 1988 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen
der Beklagten zur Last.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren
wird auf 28 374.79 DM festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision im angefochtenen Urteil des Berufungsgerichts erweist
sich als unbegründet. Keiner der in der Beschwerdebegründung
dargelegten rechtlichen Gesichtspunkte vermag die Zulassung der
Revision zu rechtfertigen.

Die von der Beklagten als klärungsbedürftig dargelegte Frage.
ob Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 und Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1
der Verordnung (EWG) Nr. 2179/83 des Rates vom 25. Juli 1983
dahin auszulegen sind. daß ein Verwaltungsakt. der eine dort
vorgesehene Genehmigung eines Vertrags zur Destillation von
Wein zum Inhalt hat. gleichzeitig die Zusicherung enthält. eine
für die Destillation beantragte Beihilfe zu gewähren, hat keine
grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
weil sie in dieser Allgemeinheit nicht klärungsfähig ist. Im
Grundsatz wäre diese Frage sicherlich zu verneinen, weil es sich
von selbst versteht. daß ein Verwaltungsakt, der lediglich die
Genehmigung eines Vertrags zum Inhalt hat, nicht zugleich auch
die Zusicherung einer Leistung enthält. Allerdings kann sich

- 3 -

aus der Begründung einer Genehmigung ergeben, daß über die Ge-
nehmigung hinaus zugleich eine Zusicherung erteilt worden ist.
Dies hängt also von den jeweiligen besonderen Umständen des kon-
kreten Einzelfalls ab.

Die weiterhin von der Beklagten dargelegte Frage, ob ein Ver-
waltungsakt, der die Genehmigung eines Vertrags zur Destillation
von Wein betrifft, durch Interpretation eines allgemeinen Hin-
weises zu der Genehmigung dahin ausgelegt werden kann, daß er
zugleich die Zusicherung enthält, eine für die Destillation be-
antragte Beihilfe werde gewährt, ist nicht klärungsbedürftig,
weil sie zweifelsfrei zu bejahen ist. Denn es ist unter den
Umständen des konkreten Einzelfalls durchaus möglich, daß ein
zur Begründung der Genehmigung gegebener Hinweis als eine Zu-
sicherung zu verstehen ist. Ob dies im Einzelfall zutrifft. ist
wiederum keine Grundsatzfrage. sondern eine Frage der Auslegung
des konkreten Verwaltungsakts. Im übrigen ist die Frage. ob im
vorliegenden Falle die Umstände nicht eher gegen die Feststel-
lung des Berufungsgerichts sprechen. die Behörde habe eine Zu-
sicherung gegeben. vom Bundesverwaltungsgericht nicht zu ent-
scheiden.

Die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung wegen Abweichung
nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen ebenfalls nicht vor. Eine
Zulassung aus diesem Grunde kommt nur in Betracht. wenn die
Meinungsverschiedenheit die Frage der Geltung eines bestimmten
abstrakten Rechtssatzes betrifft.

- 4 -

Was die angebliche Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts vom 17. Oktober 1975- BVerwG 4 C 66.72- (NJW 1976.
303 = BVerwGE 49. 244) anbetrifft, so wird in der Beschwerde
lediglich behauptet, das Berufungsgericht habe nicht die Anfor-
derungen beachtet, die das Bundesverwaltungsgericht an eine
behördliche Zusage stelle, nicht aber, daß das Berufungsgericht
die Richtigkeit dieser Anforderungen in Zweifel gezogen habe.

Ein etwaiger Fehler bei der Anwendung des zwischen Tatsachenge-
richt und Bundesverwaltungsgericht unumstrittenen Rechtssatzes
rechtfertigt keine Zulassung wegen Abweichung.

Zu Unrecht gerügt wird auch die Abweichung vom Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 7. Juli 1966 - BVerwG 3 C 219.64-
(BVerwGE 24. 294) und von dem Beschluß vom 20. März 1973
- BVerwG 1 WB 217.72- (BVerwGE 46. 89); denn die diesbezügli-
chen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts enthalten
keine rechtliche Aussage zu den Voraussetzungen einer wirksamen
behördlichen Zusicherung. und auf den in diesen Entscheidungen
behandelten Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hat das Be-
rufungsgericht nicht abgehoben. so daß es naturgemäß auch die
Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts für einen wirksamen Ver-
trauensschutz nicht in Frage gestellt hat. Im übrigen wird in
dem einschlägigen Beschwerdevorbringen übersehen, daß sich das
vom Berufungsgericht erwähnte Vertrauen auf das behördliche
Einverständnis mit der Destillation bezieht. die zeitlich nach
dem Zugang der Genehmigung erfolgte.

Im übrigen sei nur noch bemerkt. daß § 38 Abs. 2 VwVfG die Un-

- 5 -

wirksamkeit einer Zusicherung unbeschadet des § 38 Abs. 1
Satz 1 VwVfG nur unter den Voraussetzungen des § 44 VwVfG an-
nimmt.

Zusammenfassend ergibt sich. daß die Nichtzulassungsbeschwerde
unter keinem dargelegten rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben
kann. so daß sie mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO
zurückzuweisen ist. Die Streitwertfestsetzung beruht auf§ 13
Abs. 1 Satz 1 GKG.

Dr. D. S. S.

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Freitag, 8. Mai 2015
BGH, II ZR 124/76 vom 19.01.1978, Bundesgerichtshof
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20, BGB § 203
Die Verjährung wird gehemmt, auch wenn die arme Partei
das Gesuch um Bewilligung des Armenrechts für die Er-
hebung der Klage zwar noch innerhalb der Verjährungs-
frist, aber so spät - auch noch am letzten Tage - bei
Gericht einreicht, daß darüber nicht mehr vor Frist-
ablauf entschieden werden kann (Abweichung von BGHZ 17,
199 und 37, 113).
BUNDESGERICHSTHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 124/76
verkündet am 19. Januar 1978
Justizobersekretär
Als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit des Fischermeisters … K …
Klägers und Revisionsklägers,
- Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt … -
gegen
die Gesellschaft für K … und K … mbG,
gesetzliche vertreten durch den Geschäftsführer Manfred P …
Beklagte und Revisionsbeklagte,
- Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt … -
Tatbestand:
Der Fischkutter "Anneliese" des Klägers, eines
selbständigen Fischermeisters, ist am 4. März 1973
nach einer Kollosion mit MS "Hanseat III" der Beklagten
in der Lübecker Bucht gesunken. Der Kläger verlangt
Ersat eines Teils seines nicht durch Versicherung
gedeckten Schadens. Er ist der Auffassung, die Schiffs-
führung von MS "Hanseat III" habe durch ihr Verschulden
den Schiffszusammenstoß überwiegend verursacht Die
Parteien haben bis August 1974 außergerichtlich über
eine vergleichsweise Regelung verhandelt konnten sich
aber nicht über die Schadensquote einigen. Am
- 3 -
23. Oktober 1974 beantragten die vom Kläger bevoll-
mächtigten Rechtsanwälte beim Landgericht Lübeck das
Armenrechts für eine Klage über 37 061,22 DM nebst Zinsen.
Mit Schriftsatz vom 26. November 1974, der einen Tag
später bei Gericht einging, rügte die Beklagte unter
anderem die Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts,
mit dem Hinweis, daß sie ihren Sitz in Hamburg habe.
Die Anwälte des Klägers erwiderten mit Schriftsatz vom
10. Februar 1975, der am 19. Februar beim Landgericht
Lübeck eingegangen ist. Sie beantragten unter Erweiterung
des Gesuchs auf ca. 49 704,53 DM das Armenrechtsverfahren
an das Landgericht Hamburg abzugeben. Diesem Antrag hat
das Landgericht Lübeck entsprochen. Die Akten trafen am
3. März 1975 beim Landgericht Hamburg ein. Die zunächst
der Zivilkammern 10 zugeleitete Sache wurde an die Zivil-
kammer 6 abgegeben und anschließend, auf Antrag der Be-
klagten, an die Kammer für Handelssachen verwiesen. Nach-
dem die Beklagte sich auf Verjährung berufen hatte, hat
das Landgerichts durch Beschluß vom 4. Juni 1975 dem Kläger
das Armenrecht versagt. Seine Beschwerde wurde durch Be-
schluß des Oberlandesgerichts vom 18. August 1975 zurück-
gewiesen. Am 2. September 1975, der Beklagten zugestellt
am 4. September 1975, erhob der Kläger Klage mit dem Antrag,
die Beklagte zu verurteilen, 39.763,63, DM nebst 4 %
Zinsen seit dem 21. Oktober 1973 zu bezahlen.
Die Beklagte hat erneut die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben die
Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt
der Kläger seinen Klageanspruch weiter.
- 4 -
Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht hat den auf § 736 Abs. 1 HGB
gestützten Schadensersatzanspruch für verjährt und die
Klage schon aus diesem Grunde für abweisungsreif ge-
halten. Dem ist jedoch, wie die Revision zu Recht geltend
macht, nicht zu folgen.
Ansprüche dieser Art verjähren gemäß § 901 Satz 2
Nr. 2 HGB a.F. und § 902 Nr. 2 HGB i.d.F. d. Seerechts-
änderungsgesetzes vom 21. Juni 1972, BGBl I 1513 (= n. F.)
in zwei Jahren vom Ablauf des Kollosionstags
an gerechnet (§ 903 HGB). Diese Frist war am 4. März 1975,
also bevor der Kläger am 4. September 1975 Klage erhob,
abgelaufen. Die Einreichung des Armenrechtsgesuchs hat
die Verjährung nicht unterbrochen; eine dahingehende
gesetzliche Regelung besteht nicht (§ 209 BGB). Die Ver-
jährung war jedoch gehemmt (§ 203 BGB), weil der Kläger
wegen des Unvermögens, die Prozeßkosten zu tragen, während
der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist durch - im
Sinne jener Vorschrift - „höhere Gewalt" an der Rechts-
verfolgung gehindert war.
Das entspricht allerdings bei dem vorliegenden Sach-
verhalt nicht der bisherigen Rechtsprechung des Bundes-
gerichtshofes, der sich das Berufungsgericht angeschlossen
hat (BGHZ 17, 199; BGH, Urt. v. B. 5. 56 - VI ZR 58/55,
LM BGB § 254 [E] Nr. 2; v. 28. 9. 59 - III ZR 75/58,
VersR 1960, 60; v. 20. 6. 60 - III ZR 127/59, VersR 1960,
951; BGHZ 37, 113; v. 30. 9. 69 - VI ZR 54/68, DAVorm. 70,
10; v. 8. 3. 77 - VI ZR 142/75, VersR 1977, 622). Danach
soll der Umstand, daß das Gericht erst nach Fristablauf
- 5 -
entscheidet, nur dann einen Fall höherer Gewalt dar-
stellen, wenn der Berechtigte alles in seinen Kräften
Stehende getan hat, um eine rechtzeitige Bewilligung
des Armenrechts zu erreichen und damit eine Klage-
erhebung noch vor Ablauf der Verjährung zu ermöglichen.
Diese Voraussetzungen waren hier nicht erfüllt. Denn
die Beklagte, die ihren Sitz in Hamburg hat, hatte
schon mit Schriftsatz vom 26. November 1974 die örtliche
Zuständigkeit des vom Kläger zum Zwecke der Armenrechts-
bewilligung angerufenen Landgerichts Lübeck gerügt.
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers stellte jedoch
erst am 19. Februar 1975, also mehr als zwei Monate
später, beim Landgericht Lübeck den Antrag, das Armen-
rechtsverfahren an das Landgericht Hamburg abzugeben.
Nach dieser vom Kläger oder seinen Anwälten zu vertretenden
Verzögerung konnte mit einer Entscheidung des Landgerichts
Hamburg bis zum 4. März 1975 nicht mehr gerechnet werden.
An der Auffassung, die Verjährung werde nur gehemmt,
wenn die unbemittelte Partei so frühzeitig das Armenrecht
beantrage, daß darüber bei gewöhnlichem Geschäftsgang
des Gerichts noch innerhalb der Verjährungsfrist ent-
schieden und Klage erhoben werden können, kann jedoch nicht
festgehalten werden.
Im Bereich des Rechtsschutzes gebietet es der allge-
meine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in Verbindung
mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), die
prozessuale Stellung von Bemittelten und Unbemittelten
weitgehend anzugleichen (BVerfGE 9, 124, 131; 10, 264,
270). Der unbemittelten Partei darf daher die Rechtsver-
folgung und -verteidigung im Vergleich zur bemittelten
- 6 -
nicht unverhältnismäßig erschwert werden (BVerfGE 2, 336,
340; 9, 124, 130, 131). Daraus hat das Bundesverfassungs-
gericht unter anderem hergeleitet, daß es gegen Art. 3
Abs. 1, 20 Abs. 1 GG verstoße, im Zivilprozeß einem unbe-
mittelten Rechtsmittelkläger, der nach Bewilligung des
Armenrechts die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag
(§ 234 Abs. 1 ZPO) versäumt hat, keine Wiedereinsetzung
zu gewähren (BVerfGE 22, 83).
Nach Ansicht des Senats sind diese Grundsätze auch
im vorliegenden Falle anzuwenden; sie erfordern es, die
Hemmung der Verjährung auch dann eintreten zu lassen, wenn
ein ordnungsgemäß begründetes und vollständiges Armen-
rechtsgesuch zwar noch innerhalb der Verjährungsfrist, aber
so spät - unter Umständen noch am letzten Tag - eingereicht
wird, daß darüber vor Fristablauf nicht mehr entschieden
werden kann.
Die gegenwärtige Rechtspraxis benachteiligt die unbe-
mittelte Partei und führt außerdem zur Rechtsunsicherheit
im Einzelfall: Einer bemittelten Partei steht der volle
Zeitraum, in dem die Verjährung läuft, für außergericht-
liche Verhandlungen und zur Vorbereitung der Klage zur
Verfügung, da sie noch am letzten Tage der Frist die Ver-
jährung durch Klageerhebung oder eine gleichstehende Maß-
nahme (§§ 209 BGB, 270 Abs. 3 n.F. ZPO) unterbrechen kann.
Für die unbemittelte Partei führt dagegen die Verpflichtung,
im Armenrechtsgesuch eine vollständige Sachdarstellung zu
geben (BGH, Urt. v. 27. 11. 1959 - VI ZR 112/59, LM BGB § 203
Nr. 6) und das Armenrecht so rechtzeitig zu beantragen,
daß darüber innerhalb der Verjährungsfrist entschieden
werden kann, zu einer Verkürzung dieser Frist. Ebenso
schwerwiegend wie dieser Nachteil ist die Unsicherheit,
mit der die arme Partei belastet wird. Dies gilt zu-
nächst für die Pflicht, das Armenrecht so rechtzeitig
zu beantragen, daß wirklich vor Ablauf der Verjährung
darüber entschieden werden kann (BGHZ 17, 199, 202).
Damit wird von der armen Partei eine Prognose verlangt,
die sie nicht zuverlässig stellen kann, weil sie nicht
alle Umstände kennt, die den Gang des Verfahrens beein-
flussen werden. Die unbemittelte Partei ist daher dem
Risiko ausgesetzt, nachträglich gesagt zu bekommen, sie
habe das Armenrechtsgesuch nicht „rechtzeitig" eingereicht.
Von Unsicherheit geprägt ist auch die Bestimmung des Zeit-
punkts für den Beginn der Hemmung. Nach der hierfür ver-
wendeten Formel tritt die Hemmung der Verjährung in dem
Augenblick ein, in dem der Kläger bei sachgemäßer Be-
handlung eine Entscheidung über sein Armenrechtsgesuch
erwarten konnte (BGHZ 17, 202; 37, 113, 122). Der Beginn
der Verjährungshemmung und damit auch ihre Dauer hängen
danach von dem unbestimmten, verschiedener Deutung zugäng-
lichen Begriff der "sachgemäßen" Behandlung des Armenrechts-
verfahrens ab. Da0 darin für die arme Partei eine Risiko
liegt, sich hinsichtlich der Dauer der Hemmung der Ver-
jährung zu "verrechnen", liegt auf der Hand. Die darge-
legten Umstände bedeuten für die arme Partei eine unver-
hältnismäßige Erschwerung der Rechtsverfolgung im Vergleich
zu der bemittelten. Darauf, daß die Belange der um das
Armenrecht nachsuchenden Partei durch die Zustellung eines
Mahnbescheids oder die Anbringung eines Gütevertrags nicht
hinreichend gewahrt sind, hat bereits das Reichsgericht
(RGZ 163, 9) hingewiesen. Bei einer am Gerechtigkeits-
gedanken orientierten Betrachtungsweise erscheint die
weitgehende Angleichung der Stellung der armen an die
der vermögenden Partei nur durch eine Regelung gewähr-
leistet, die es ersterer erlaubt, die Verjährungsfrist
in vollem Umfange zu nutzen (vgl.. auch BGHm Urt v.
4. 3. 77 -V ZR 236/75, VersR 1977, 665 u. Kollhoser,
VersR 1974, 829 zu der ähnlichen Problematik bei § 12
Abs. 3 VVG). Deshalb ist nach Auffassung des Senats
bei verfassungskonformer Anwendung des § 203 Abs. 2 BGB
eine Partei durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung
verhindert, wenn sie am Tage des Ablaufs der Verjährungs-
frist infolge Armut keine Klage erheben kann, aber spätestens
in diesem Zeitpunkt das zur Behebung des Hindernisses not-
wendige Armenrechtsverfahren durch ein ordnungsgemäß be-
gründetes und vollständiges Armenrechtsgesuch eingeleitet
hat. Ist diese Voraussetzung erfüllt, dann tritt die Hemmung
der Verjährung ein, und sie dauert grundsätzlich fort, bis
die arme Partei nach der Entscheidung über das Armenrechts-
gesuch bei angemessener Sachbehandlung in der Lage ist,
ordnungsgemäß Klage zu erheben. Eine solche Regelung wider-
spricht weder dem Wortlaut noch dem Sinn des Gesetzes.
Sie belastet auch nicht den Schuldner der unbemittelten
Partei in unangemessener Weise. Die dadurch in der Regel
eintretende Verlängerung der Verjährungsfrist hält sich
in vertretbarem Rahmen, und der Schuldner erfährt zur
gleichen Zeit wie bei Klageerhebung von der beabsichtigten
Rechtsverfolgung und kann sich darauf einstellen.
Für den vorliegenden Fall folgt daraus, daß die mit
der Klage geltend gemachte Schadensersatzforderung nicht
verjährt ist. Das Armenrechtsgesuch ist, da es am letzten
Tage der Verjährungsfrist dem Gericht vorlag, rechtzeitig
gestellt. Dem Kläger - der seine Armut glaubhaft gemacht
hatte - sind auch im weiteren Verlauf des Armenrechtsver-
fahrens keine Umstände, die eine Verzögerung der Armen-
rechtsentscheidung nach sich gezogen haben, als Verschulden
- 9 -
mit der Folge anzurechnen, daß von höherer Gewalt im
Sinne von § 203 Abs. 2 BGB nicht mehr gesprochen werden
könnte. Der Kläger wurde durch Verfügung des Vorsitzenden
der Zivilkammer 6 des Landgerichts Hamburg, die am
7. April 1975 an die Rechtsanwälte abgesandt worden ist,
aufgefordert, ein Armen-Attest neueren Datums vorzulegen.
Dem ist er nachgekommen, indem er am 5. Mai 1975 ein
weiteres Zeugnis zur Erlangungen einstweiliger Kosten-
befreiung eingereicht hat. Darauf, ob dieser Erledigungs-
zeitraum angemessen war, kommt es nicht an. Die Verzögerung
der Entscheidung über das Armenrechtsgesuch hätte selbst
dann nicht auf diesem Vorgang beruht, wenn das Armuts-
zeugnis etwas früher hätte vorgelegt werden können. Das
Landgericht hatte nämlich in der gleichen Verfügung die
Beklagte aufgefordert zu erklären, ob sie Verweisung an
die Kammer für Handelssachen beantragen wolle. Der Ent-
sprechende Antrag ist am 29. April 1975 beim Landgericht
eingegangen. Die Zivilkammer hat daraufhin durch Beschluß
vom 23. Mai 1975 das Verfahren an die Kammer für Handels-
sachen abgegeben. Zu dieser Zeit aber hat das neue Armuts-
zeugnis des Klägers vorgelegen. Der Umstand, daß der Kläger
nicht sogleich beim Landgericht Lübeck beantragt hat, das
Verfahren an die Kammer für Handelssachen des Landgerichts
Hamburg abzugeben, kann ihm nicht zum Nachteil gereichen.
Nach § 96 Abs. 1 GVG ist der Kläger nicht verpflichtet
zu beantragen, daß der Rechtsstreit vor der Kammer für
Handelssachen verhandelt werden solle.
Schließlich ist die Klage auch rechtzeitig nach Ab-
schluß des Armenrechtsverfahrens erhoben worden. Das Armen-
recht wurde dem Kläger durch Beschluß des Berufungsgerichts
vom 18. August 1975 endgültig versagt. Eine Ausfertigung
dieses Beschlusses ging am 21. August 1975 an die
Anwälte des Klägers ab. Mit Schriftsatz vom 1. Septem-
ber 1975, der bei Gericht am 2. September eingegangen
ist, hat der Kläger Klage erhoben. Diese ist am
4. September 1975 zugestellt worden. Der Kläger hat
also spätestens zwei Wochen, nachdem er von dem nega-
tiven Ausgang des Armenrechtsverfahrens Kenntnis erlangt
hatte, die Klage eingereicht. In Anwendung des Rechts-
gedankens von § 234 Abs. 1 ZPO ist der Partei nach
Kenntnis vom Abschluß des Armenrechtsverfahrens eben-
falls eine zumindest zweiwöchige Frist zur Vorbereitung
der Klage zuzubilligen. Ob diese im Einzelfall über-
schritten werden darf, braucht hier nicht entschieden
zu werden.
Aus all dem folgt, daß die Verjährung des Schadens-
ersatzanspruchs des Klägers bis zur Erhebung der Klage
gehemmt war. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
Ein Grund zur Vorlage dieser Sache an den Großen
Senat für Zivilsachen bestand nicht. Der III. und der
Vl. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes haben auf Anfrage
erklärt, daß sie an ihrer entgegenstehenden Rechtsprechung
nicht mehr festhalten.
S. Dr. S. F. Dr. B. B.

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BSG, 2 RU 61/60 vom 29.09.1965, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht

Az.: 2 RU 61/60

Im Namen des Volkes

29. September 1965

In dem Rechtsstreit

Verkündet am

Beklagte und Revisionsklägerin,

1. ,
2. ,

Kläger und Revisionsbeklagte,

hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 29. September 1965 durch

Senatspräsident B.
- Vorsitzender -
Bundesrichter D. und
Bundesrichter H. ,
Bundessozialrichter Dr. S. und
Bundessozialrichter H.

für Recht erkannt:

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-
Westfalen vom 24. November 1959 wird mit den ihm
zugrunde liegenden Feststellungen aufgehohen.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Ent-
scheidung an das Landessozialgericht zurückver-
wiesen.

- 2 -

Gründe:

I

Die Klägerin zu 1) ist die Witwe, der Kläger zu 2) der Sohn
des Franz D. (D.). Die Kläger beanspruchen Hinterblie-
nenenentschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung
(UV). Sie sind der Auffassung, den der Tod des D. am
22. Juni 1954 die Folge eines Arbeitsunfalls vom 19. Juni 1954
sei.

Ans dem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) ergeben sich ua
folgende tatsächlichen Feststellungen:

Der am 3O. März 1907 geborene D. war von Beruf gelernter
Schreiner und in einem Unternehmen beschäftigt, das der be-
klagten Berufsgenossenschaft (EG) als Mitglied angehört. Er
hatte an den Tagen vor dem 19. Juni 1954 bei dem Hausbau sei-
nes Schwagers P. laufend mitgearbeitet und am 18. Juni
1954 den Polizeimeister Schl. bei schweren Arbeiten gehol-
fen und ihm zugesagt, am nächsten und übernächsten Tag wie-
der mitzuhelfen. Weder seinem Schwager noch dem Polizeimei—
ster Sch. hatte D. Angaben über körperliche Beschwerden
gerecht. An Morgen des 19. Juni 1954 ging er wie üblich zu
seiner Arbeitsstätte, ohne über irgendwelche körperlichen
Beschwerden zu klagen. Um die Mittagszeit traf der Polizei-
meister Sch. ihn auf dem Weg von der Arbeitsstätte nach
hause. Auf die Frage, ob er am Nachmittag beim Bau wieder
helfen würde, erwiderte D., er könne leider nicht, er habe
bei der Arbeit ein Brett vor sein Geschlechtsteil bekommen
und große Schmerzen. Nachdem er zur üblichen Zeit nach Hause
gakommen war, setzte er sich an den Mittagstisch und ließ
das Essen unberührt. Seiner Ehefrau sagte er nur, er habe
einen anstrengenden Tag gehabt. Er begab sich zu Bett,
stand später wieder auf, brach aber nach zwei Minuten zusam-
men und mußte ins Bett gebracht werden. Während der Nacht

- 3 -

klagte er über große Schmerzen. Am Sonntag (20. Juni 1954)
verschlimmerte sich der Zustand derart, daß der praktische
Arzt Dr. Z. gerufen werden mußte. Diesem gab D. an,
ihm sei während der Arbeit ein Brett zwischen die Beine
gefallen und gegen das Geschlechtsteil geschlagen. Der Arzt
stellte hohes Fieber fest und veranlaßte die Einweisung in
das Dreifaltigkeitshospital in Lippstadt. Dort gab D. an,
er habe am 19. Juni 1954 gegen 11 Uhr vom Holzlager ein
Brett holen wollen. Die Bretter seien nachgerutscht und
dabei habe sich der Penis eingeklemmt. Dem Elektromeister
W., der mit D. auf einem Zimmer lag, erzählte D., er
habe am Samstag morgen gegen 11 Uhr einen Unfall gehabt.
Er habe von einem Stapel Bohlen eine 30 mm dicke Bohle her-
ausgezogen. Der Stapel sei ihm bis in Bauchhöhe gegangen.
Beim Fallenlassen der Bohle hätte diese mit dem Ende das
Geschlechtsteil eingeklemmt. Von Montagnachmittag an ver-
schlimmerte sich der Zustand des D. Es trat hohes Fieber
und ein Brand des Penis ein. Am Dienstag, dem 22. Juni 1954
um 9.50 Uhr ist D. gestorben.

Der Chefarzt des Dreifaltigkeitshospitals, Dr. Sch.,
teilte der Beklagten noch am 22. Juni 1954 fernmündlich
mit, daß es sehr zweifelhaft sei, ob die Penisinfektion,
die zum Tode geführt habe, auf den geschilderten Unfall-
hergang am 19. Juni 1954 zurückzuführen sei. Eine Obduktion
der Leiche sei zur Aufklärung erforderlich. Am 24. Juni 1954
teilte der gleichfalls im Dreifaltigkeitshospital tätige
Arzt Dr. B. der Beklagten fernmündlich mit, daß der
Schwager des Verstorbenen vorgesprochen und mitgeteilt habe,
die Witwe werde wegen des Arbeitsunfalls Ansprüche geltend
machen.

Die Beklagte zog die Akten der Staatsanwaltschaft bei,
Landgericht Paderborn bei, die am 17. August 1954 bei ihr
eingingen. In diesen Akten befindet sich ua ein Bericht
der Kriminalpolizei in Lippstadt vom 24. Juni 1954, in dem

- 4 -

hervorgehoben wird, daß der Witwe von der BG vermutlich
Schwierigkeiten bereitet werden würden, weil die Todes-
ursache und der Betriebsunfall ziemlich unklar seien. Aus
den Akten ergibt sich weiterhin, daß das Amtsgericht in
Lippstadt der Auffassung war, der Sachverhalt und das
Ermittlungsergebnis sprachen eindeutig für einen Betriebs-
unfall, die Schuld eines anderen sei nicht ersichtlich,
und daß die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Ermitt-
lungsverfahrens verfügt hat, weil kein Verdacht einer
strafbaren Handlung vorliege.

Die Beklagte stellte noch Ermittlungen in dem Unternehmen
an, in dem D. beschäftigt gewesen war. Diese ergaben, daß
weder den Arbeitskameraden noch den Vorgesetzten von einem
Unfall etwas bekannt war und D. auch weder den Werkssani—
täter noch den Durchgangsarzt aufgesucht hatte. Aus einer
Auskunft der Betriebskrankenkasse ergibt sich, daß D. vor
dem Unfall nicht an einem Leiden erkrankt gewesen ist,
das mit einer Penisinfektion in Zusammenhang stehen könnte.

In dem Durchgangsarztbericnt des Dr. Sch. .vom 22. Juni
1954 ist als Diagnose angegeben: "Infizierte Penisverlet-
zung mit septischer Aussaat", und ausgeführt, es werde ein
Arbeitsunfall bezweifelt, da eine Infektion nach einem
Tage nicht solche Ausmaße annehmen könne; D. habe sich
die Verletzung anderswo zugezogen; eine Überprüfung werde
für unbedingt erforderlich gehalten. In einem weiteren
Gutachten vom 20. Oktober 1954 führte Dr. Sch. ua aus,
die Angaben des Patienten seien sofort unglaubwürdig gewe-
sen: es sei schlecht vorstellbar, daß beim Herabfallen
von Brettern eine isolierte Penisverletzung auftrete; man
hätte wenigstens einige Schrammen an den Oberschenkeln
erkennen müssen; auch trete bei einer Penisverletzung
erfahrungsgemäß nicht innerhalb von Stunden eine Nekrose
auf; leider sei eine Sektion unterlassen worden.

- 5 -

Durch Bescheid vom 26. November 1954 lehnte die Beklagte den
Anspruch der Witwe und des Sohnes Franz H. auf Hinter-
bliebenenentschädigung ab. Sie begründete das unter ausführ-
licher Wiedergabe des Ermittlungsergebnisses damit, daß
sowohl das Vorliegen eines Unfallereignisses als auch der
ursächliche Zusammenhang des Todes mit einem Unfallereignis
nicht hinreichend wahrscheinlich seien.

Gegen diesen Bescheid haben die Kläger Klage beim Sozial-
gericht (SG) Dortmund erhoben. Dieses hat ein Gutachten von
Prof. Dr. B. (Knappschaftskrankenhaus Bottrop) vom
1O. Dezember 1955 beigezogen. Das Gutachten kommt zu dem
Ergebnis, es lasse sich keine Erklärung für die Vorfälle
finden, welche auch nur mit einer gewissen Wahrscheinlich-
keit erlauben, den Unfall — bei seiner Unterstellung als
gegeben — als Ursache für die Entzündung des Penis und den
weiteren Verlauf anzuerkennen. Der Unfall sei in der durch
den Elektromeister W. wiedergegebenen Form ungeeignet,
eine Einklemmung des Penis zu verursachen, und weder das
Krankheitsbild noch der Verlauf seien in eine Kausalverbin-
dung mit dem Unfall zu dringen. Außerdem hat das SG
Dr. Sch. als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat
ua ausgeführt: Es seien zwar äußere Anzeichen einer trauma-
tischen Beeinflussung vorhanden gewesen, doch habe die Krank-
heit innerhalb von 24 Stunden einen derart schnellen Ver-
lauf genommen, daß sie nicht auf einen Unfall vom Vortage
zurückgeführt werden könne. Es sei anzunehmen, daß schon
vorher eine Infektion bestanden habe. Wenn man die Richtig-
keit der schwersten Darstellung des Unfalles unterstelle,
sei dieser geeignet, bei bereits vorhandener Infektion eine
erhebliche Steigerung des Krankheitsverlaufs zu bewirken.
Ohne eine solche traumatische Beeinflussung wäre D. an der
Infektion voraussichtlich nicht gestorben.

Das SG hat durch Urteil vom 2. Oktober 1956 wie folgt ent-
schieden:

- 6 -
·
Der Bescheid vom 26. November 195A wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, daß es sich bei dem Ereignis
vom 19. Juni 1954 um einen Arbeitsunfall des Ehe-
mannes der Klägerin im Sinne des § 542 der Reichs-
versicherungserdnungordnung (RVO) handelt.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin einen
entsprechenden Bescheid zu erteilen und die Kosten
des Verfahrens zu tragen.
·
Das SG hat als erwiesen angesehen, daß D. von einem unbeo-
bachteten Lagerplatz eine schwere Bohle abholen wollte und
daß das Abheben oder Herausstemmen aus dem Stapel und das
Herunterfallen zu einem Schlag gegen die Geschlechtsteile
bzw. einem Einklemmen des Penis geführt hat. Im Übrigen hat
es als erwiesen angesehen, daß eine bereits vor dem 19. Juni
1954 vorhandene Pensisinfektien, die normalerweise geheilt
werden wäre, durch ein in seiner Stärke nicht erwiesenes,
aber doch recht schweres Trauma eine solche Verschlimme-
rung bewirkt habe, daß in kurzer Zeit der Tod eingetreten
sei.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung beim Landes-
sozialgericht Nordrhein—Westfalen eingelegt. Das LSG
hat ein Gutachten des Dr. Sch. vom 22. November 1954
beigezogen, in dem ua ausgeführt wird, bei der Aufnahme
seien keine sicheren Anzeichen einer Verletzung im Sinne
einer Quetschung, Prellung oder Schnittverletzung festzu-
stellen gewesen; aus dem Befund sei aber der Rückschluß zu
ziehen, daß zwar eine Verletzung stattgefunden, der Zeit-
punkt aber mindestens mehrere Tage zurückgelegen haben
müsse.

In Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. November 1959
hat das LSG den Polizeimeister Sch. den Elektromeister
W. als Zeugen und die Ärzte Dr. Z. und Dr. Sch.
als sachverständige Zeugen vernommen. Außerdem hat es den
Oberarzt Dr. K. als Sachverständigen gehört. Dieser hat ua

- 7 -

ausgeführt, auch ohne Trauma könne es jederzeit zu einer
Infektion derart, wie sie bei D. vorgelegen haben müsse,
kommen, weil praktisch immer kleine Schleimhautdefekte am
Vorhautblatt vorhanden seien. Andererseits bestehe aber
die Möglichkeit, daß durch den Unfall mikroskopische Ver-
letzungen gesetzt worden seien, die Eintrittspforten für
die Erreger gebildet hätten. Ob das der Fall sei, könne
nachträglich nicht mehr gesagt werden und wäre nur durch
eine Obduktion mit mikroskopischer Untersuchung und bak-
teriologischem Nachweis der Erreger zu klären gewesen. Ob
der Unfall die Infektion wesentlich verschlimmert habe,
hätte gleichfalls nur durch Obduktion geklärt werden kön-
nen. Hierfür wären stärkere Gefäßquetschungen und Zer-
reißungen Voraussetzung gewesen. Der Unfall könne nicht
schwer gewesen sein. Damit sei aber nicht ausgeschlossen,
daß doch oberflächliche Verletzungen gesetzt werden seien.

Durch Urteil vom 24. November 1959 hat das LSG die Beru-
fung der Beklagten gegen das Urteil des SG Dortmund zurück-
gewiesen und die Revision zugelassen.

Das LSG hat als erwiesen angesehen, daß sich am 19. Juni 1954
gegen 11 Uhr an der Arbeitsstelle ein Arbeitsunfall ereignet
hat, indem D. beim Herausziehen einer Bohle aus einem Bret-
terstapel auf dem Holzplatz vor der Schreinerei ein Brett
gegen das Geschlechtsteil geschlagen ist. Zur Begründung
hat das LSG unter eingehender Würdigung der Beweisergebnisse
ausgeführt, bei vernünftiger Abwägung aller Umstände, die
für und gegen das von D. selbst angegebene Unfallgeschehen
sprächen, überwögen die dafür sprechenden Erwägungen in
einer solchen Weise, daß das Unfallereignis als wahrschein-
lich geschehen angenommen werden müßte.

Im übrigen hat das LSG ausgeführt: Zu welcher Gesundheits-
schädigung der Arbeitsunfall geführt habe (schwere Penis-
infektion oder Verschlimmerung), habe sich nicht mit Wahr-
scheinlichkeit feststellen lassen. Die Infektion könne ihre

- 8 -

Entstehung und ihren Verlauf unabhängig von dem Arbeits-
unfall genommen haben; bei Mitwirkung ungewöhnlich viru-
lenter Bakterien könne sie auch auf einer durch Unfall
hervorgerufenen Verletzung beruhen, und schließlich könne
eine bereits vorhanden gewesene Infektion durch das Unfall-
ereignis derart verschlimmert werden sein, daß der rasche
weitere Verlauf und der Tod eingetreten seien. Eine Wahr-
scheinlichkeit für die eine oder andere Möglichkeit lasse
sich nicht begründen. Die Unterlagen reichten für eine
Beurteilung nicht aus, welche Krankheitserreger für den
Verlauf und den Tod verantwortlich seien und ob der Unfall
im Bereich des Penisschafts kleinste oder schwere Verlet-
zungen gesetzt habe. Obgleich danach der ursächliche Zusam-
menhang des Todes mit dem Arbeitsunfall nicht bewiesen sei,
müsse sich die Beklagte doch so behandeln lassen, als ob
dieser Beweis erbracht sei; denn die Beklagte habe schuld-
haft verursacht, daß zur Beweisführung entscheidende und
geeignete Beweismittel, nämlich die Obduktion mit Sektions—
befund, nicht zur Verfügung stehen. Die Beklagte sei von
Amts wegen zur Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet
(§§ 1545 bis 1571 RVO). Sie habe auch eine notwendige
Obduktion von Amts wegen durchzuführen. Unterlasse sie
das, so vereitle sie die Benutzung eines wesentlichen
Beweismittels und bewirke dadurch schuldhaft die Unauf-
klärbarkeit des Sachverhalts (§§ 286, 444 der Zivilprozeß-
ordnung -ZPO~; §§ 128, 202 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG—).
Für die Beweiswürdigung könnten in einem solchen Fall Folge-
rungen zu ihren Ungunsten gezogen werden. Der Beklagten sei
durch die Anrufe der Ärzte Dr. Sch. und Dr. B. be-
kannt gewesen, daß die Hinterbliebenen einen ursächlichen
Zusammenhang zwischen Tod und Arbeitsunfall behaupten und
Hinterbliebenenansprüche geltend machen würden, und es sei
ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß dieser ursäch-
liche Zusammenhang zweifelhaft sei und nur durch eine
Obduktion geklärt werden könne. Dadurch daß sie bei dieser

-·9·-

Sachlage die Obduktion nicht habe durchführen lassen, obwohl
die Leiche für diesen Zweck bereits polizeilich beschlag-
nahmt gewesen sei, habe sie gegen ihre Aufklärungspflicht
verstoßen und ein wesentliches Beweismittel vereitelt. Sie
habe also die Unaufklärbarkeit des ursächlichen Zusammen-
hangs zwischen Tod und Arbeitsunfall schuldhaft veranlaßt.
Ob die Sektion zu einem für die Klägerin günstigen Beweis-
ergebnis geführt hätte, sei in diesem Zusammenhang nicht
von Bedeutung. Der bereits angeführte Grundsatz rechtfer-
tige es, im Wege der freien Beweiswürdigung den Beweis des
ursächlichen Zusammenhangs des Todes mit dem Arbeitsunfall
als gegeben anzusehen, so daß die Hinterbliebenenansprüche
begründet seien. Die Revision sei zugelassen werden, weil
die Frage grundsätzliche Bedeutung habe, welche Rechtsfol-
gen aus der unterlassenen Obduktion zu ziehen seien.

Die Beklagte, der das Urteil des LSG am 21. März 1960 zuge-
stellt worden ist, hat dagegen am 7. April 196O Revision
eingelegt. Sie beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG und des
Urteils des SG die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Sache zur erneuten Verhandlung und Entschei-
dung an das LSG zurückzuverweisen.

Zur Begründung führt die Beklagte aus, nach dem Akteninhalt
erscheine es schon zweifelhaft, ob der Vorderrichter über-
haupt zu seiner Feststellung hinsichtlich des Unfallereig-
nisses habe kommen können. Das LSG hätte auch die von ihm
erörterten Möglichkeiten nicht als gleichwertig behandeln
dürfen. Vielmehr hätte die zweite und dritte Möglichkeit
völlig zurücktreten müssen. Vor allem aber bestehe ein
Beweiswürdigungsgrundsatz, wie in das LSG annehme, im
sozialgerichtliehen Verfahren nicht, das vom Prinzip der
objektiven Beweislast beherrscht werde. Auch im Zivilprozeß

- 10 -

bestehe ein solcher uneingeschränkter Grundsatz nicht.
§ 444 ZPO setze die Absicht voraus, das Beweismittel der
Gegenseite zu entziehen. Es komme also in der Regel auf
das arglistige Verhalten einer Partei an. Außerdem habe
der Beklagten keine Unfallanzeige vorgelegen, und der
Arbeitgeberin sei von einem Betriebsunfall nichts bekannt
gewesen. Deshalb sei vom Standpunkt der Beklagten aus
nichts zu veranlassen gewesen. Man kenne den an sich schon
so belasteten Verwaltungen der Versicherungsträger nicht
zumuten, nur auf telefonische oder schriftliche Angaben
Dritter gewissermaßen ins Blaue hinein Unfallermittlungen
vorzunehmen und dabei gar eine so einschneidende Maßnahme
wie die einer Leichenöffnung zu verlangen. Die Leiche habe
sich zudem gar nicht im Gewahrsam der Beklagten befunden,
sondern der Kreispolizeibehörde. Diejenigen, die in erster
Linie an eine Obduktion hätten denken müssen, seien die
Kläger. Sie hätten sie mindestens anregen können und sollen.

Die Kläger beantragen,

die Revision als unegründet zurückzuweisen.

Sie weisen auf EuM 22. 216 und 217 hin.

II

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und
fristgerecht eingelegt und begründet werden und somit
zulässig. Sie hatte auch insofern Erfolg, als das Urteil
des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an das LSG
zurückverwiesen worden ist.

Das LSG hat als erwiesen angesehen, daß dem Ehemann der
Klägerin am 19. Juni 1954 gegen 11 Uhr ein Arbeitsunfall
zugestoßen ist, indem ihm ein Brett beim Herausziehen aus
einem Bretterstapel gegen die Geschlechtsteile schlug.

- 11 -

Die Rügen, mit denen die Revision diese tatsächlichen Fest-
stellungen angreift, sind allenfalls dazu geeignet, darzutun,
daß die Würdigung der Beweise in dieser Beziehung auch zu
einem negativen Ergebnis hätte führen können; dagegen rei-
chen sie nicht aus, um schlüssig darzutun, daß das LSG bei
der Würdigung der Beweise die Grenzen seines Rechts der
freien richterlichen Überzeugungsbildung überschritten hat
(§ 128 SGG). Diese Feststellung ist deshalb für das Revi-
sionsgericht bindend (§ i63 SGG).

Das LSG hat mit ausführlicher Begründung dargelegt, daß
die Beklagte verpflichtet gewesen sei, zur Aufklärung des
Sachverhalts eine Leichenöffnung zu veranlassen. Die Aus-
führungen, mit denen die Revision diese Auffassung angreift,
enthalten keine Rügen gegen die tatsächlichen Feststellun-
gen, auf denen diese Schlußfolgerung des LSG beruht, son-
dern wenden sich gegen die Rechtsauffassung des LSG, daß
das Unterbleiben der Leichenöffnung auf eine schuldhafte
Vernachlässigung der Ermittlungspflicht der Beklagten (vgl.
§§ 1571, 1572 RVO) zurückzuführen sei. Diese Rüge der
Revision ist unbegründet. Die Beklagte wußte aus den
Telefongesprächen mit den beiden Ärzten des Dreifaltigkeits-
hospitals, daß der Zusammenhang zwischen den vom Verletzten
selbst behaupteten Unfallereignis und dem Tode außerordent-
lich zweifelhaft sei und daß die Hinterbliebenen Entschä-
digungsansprüehe geltend machen wollten. Unter diesen Um-
stünden hätte die Beklagte sofort alles tun müssen, um für
eine Aufklärung des Sachverhalts zu sorgen. Daß ihr noch
keine förmliche Unfallanzeige des Unternehmers vorlag und
der Unternehmer, wie sich später ergab, von dem Unfall
nichts wußte, enthob sie dieser Verpflichtung zur Sachauf-
klärung nicht. Sie konnte sich auch insbesondere nicht etwa
darauf verlassen, daß eine Leichenöffnung von der Kriminal-
polizei, dem Amtsgericht oder der Staatsanwaltschaft veran-
laßt würde; denn für diese Stellen war nur die Frage von

- 12 -

Bedeutung, ob Anhaltspunkte für strafbare Handlungen ande-
rer Personen gegeben seien. Das LSG ist ohne Rechtsirrtum
davon ausgegangen, daß die Beklagte verpflichtet gewesen
wäre, eine Leichenöffnung zu veranlassen.

Dagegen sind nach der Auffassung des erkennenden Senats
die Rügen berechtigt, mit denen sich die Revision gegen
die rechtlichen Schlußfolgerungen wendet, die das LSG aus
diesem Umstand gezogen hat.

Hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem
Unfallereignis vom 19. Juni 1954 und der zum Tode führen-
den Sepsis hat das LSG das Ergebnis der Beweiswürdigung
wie folgt zusammengefaßt:

(a) die Infektion könne unabhängig von dem Unfall ent-
standen und ihren Verlauf auch unabhängig von ihm
genommen haben;

(b) bei Mitwirkung von ungewöhnlich virulenten Bakterien
könne die Infektion aber auch auf einer durch den
Unfall hervorgerufenen Verletzung beruhen;

(c) eine zur Zeit des Unfalls bereits vorhandene Infek-
tion könne durch den Unfall derart verstärkt und
verschlimmert werden sein, daß der weitere rasche
Verlauf und der Tod eingetreten seien.

Die ernsthaften Möglichkeiten (b) und (c) müßten ebenso in
Erwägung gezogen werden wie die Möglichkeit (a). Eine Wahr-
scheinlichkeit für die eine oder andere Möglichkeit lasse
sich nicht begründen. Die medizinischen Unterlagen reich-
ten nicht aus, um beurteilen zu können, welche Krankheits-
erreger den ungewöhnlichen Verlauf und raschen Eintritt des
Todes verursacht hätten und ob der Unfall kleinere oder
schwere Verletzungen gesetzt habe. Diese Feststellungen
hätten sich aber mit Sicherheit durch eine Obduktion mit
mikroskopischer Untersuchung von Gewebeschnitten und
bakteriologischem Nachweis der Erreger treffen lassen.
Anschließend hat das LSG ausdrücklich ausgeführt, auf Grund
der vorliegenden und jetzt noch möglichen Beweismittel sei

- 13 -

der ursächliche Zusammenhang des Todes mit dem Arbeitsunfall
nicht bewiesen.

Das LSG ist jedoch der Auffassung, die Beklagte müsse sich
"so behandeln lassen, als ob der Beweis des ursächlichen
Zusammenhangs zwischen Unfall und Tod erbracht" sei. Da
das LSG selbst hinsichtlich dieses ursächlichen Zusammen-
hangs keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, sich
insbesondere für keine der von ihm erörterten Möglichkei-
ten entschieden hat, sind nach der Auffassung des erkennen-
den Senats die Rechtsausführungen des LSG dahin zu verste-
hen, daß das - von der Beklagten verschuldete - Fehlen des
für die Sachaufklärung entscheidenden Beweismittels der
Leichenöffnung, eine "Umkehrung" der Beweislast zur Folge
hahe und daß infolgedessen zu Lasten der Beklagten ein
ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und
dem Tod unterstellt werden müsse, weil das Gegenteil nicht
erweislich sei. Das trifft nach der Auffassung des erken-
nenden Senats nicht zu.

Mit der Frage, welche Bedeutung es hat, wenn der zur Sach-
aufklärung verpflichtete Versicherungsträger es unterläßt,
eine Leichenöffnung zu veranlassen, und deshalb der tat-
sächliche Sachverhalt in medizinischer Hinsicht nicht oder
nur unvollständig aufklärbar ist, hat sich bereits der
8. Senat im Urteil vom 26. Juli 1961 (SozR SGG § 128 Nr.60)
befaßt. Er hat ausgeführt, daß ein solches Verschulden
nichts an der Verteilung der objektiven Beweislast (Fest-
stellungslast) ändert, sondern nur von den Tatsachen-
Instanzen im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt
werden kann. Dieses Urteil ist von Glücklich in einer aus-
führlichen Anmerkung (Sgb 1963 S. 19) kritisch besprochen
worden. Glücklich vertritt die Meinung, daß eine vorsätz-
liche oder fahrlässige Beweisvereitelung die Beweislast
dergestalt umkehre, daß nunmehr der Gegner der zunächst
beweisbelasteten Partei die Beweislast trage.

- 14 -

Es kann dahingestellt bleiben, ob eine solche Beweislast-
Regel, wenn sie, wie Glücklich wohl annimmt, für den
Zivilprozeß allgemein anerkannt wäre, auf das Verfahren
der Sozialgerichtsbarkeit übertragen werden könnte, obwohl
dieses Verfahren vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrscht
ist und entgegen Glücklich (aaO) nach fast allgemeiner
Ansicht keine Beweisführungslast und nur in sehr beschränk-
tem Umfang eine Behauptungslast kennt (vgl. Brackmann,
Handbuch der Sozialversicherung, 6. Aufl., Stand Juni 1965,
S. 244 m I, mit weiteren Nachweisen auch für das Verfahren
vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten). Denn auch für
den Zivilprozeß ist die Lehre von der Umkehrung der Beweis-
last im Falle der schuldhaften Beweisvereitelung keines-
wegs allgemein anerkannt. Blomeyer (Zivilprozeßrecht, 1963
S. 369 § 73 II) nimmt zwar im Falle der schuldhaften Beweis-
vereitelung eine "Umkehr der Beweis1ast" an, auch Nikisch
(Zivilprozeßrecht, 2. Aufl., S. 324 § 82 VI) vertritt diese
Auffassung. Dagegen führt Schönke (Zivilprozeßrecht), auf
dessen 2. Auflage sich Glücklich beruft, in der 7. Auflage
(S. 232 § 58 am Ende) zur Frage der schuldhaften Beweis-
vereitelung ausdrücklich aus: wenn in derartigen Fällen
von einer Umkehrung der Beweislast gesprochen werde (so RGZ
60, 152), so verdecke das den wahren Sachverhalt, daß Kraft
freier Beweiswürdigung und folglich ohne jeden Zwang der
Beweis vorbehaltlich des Gegenbeweises erbracht sei (ebenso
auch Schönke/Schroeder/Niese in der 8. Aufl. S. 264 § 58 am
Ende). Völlig eindeutig sind die Ausführungen von Rosenberg
(Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 3. Aufl., S. 559 § 114
III 3 d, S. 570 § 117 II 2; Die Beweislast, 4. Aufl., S. 153
§ 12, S. 191 § 14), aus denen sich ergibt, daß seiner Auf-
fassung nach die Beweisvereitelung keinen Einfluß auf die
Verteilung der Beweislast hat. Ebenso unmißverständlich
sind zB die Ausführungen in RGZ 128, 121, 125, während
andere Entscheidungen (zB BGHZ 6, 227; RGZ 60, 152), wie
der erkennende Senat nicht verkennt, auch die Deutung

- 15 -

zulassen, das Revisionsgerieht habe der schuldhaften Beweis-
vereitelung die Wirkung einer für das Tatsachengericht ver-
bindlichen "Umkehrung der Beweislast" zumessen wollen.

Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß die Lehre von
der Umkehrung der Beweislast im Falle der schuldhaften Be-
weisvereitlung in den Vorschriften des SGG und der ZPO keine
ausreichende Stütze findet; insbesondere läßt sie sich nach
der Auffassung des erkennenden Senats nicht aus den §§ 427,
444, 446 ZPO herleiten, die nur Vorschriften für die Beweis-
würdigung enthalten (vgl. zB auch die Anmerkungen zu diesen
Paragraphen in Stein/Jonas/Schönke/Pohle, Kommentar zur ZPO,
18. Aufl.) und die Verteilung der Beweislast ebenso unver-
ändert lassen, wie das der Fall ist, wenn das Gericht sich
bei der Beweiswürdigung der Regeln des Beweises des ersten
Anscheines (Prima—facie—Beweis, vgl. zB BSG 8, 245; 1O, 46;
l2, 242, 246; 19, 52, 54) bedient. Der erkennende Senat
stimmt mit dieser Auffassung nicht nur mit dem 8. Senat
überein, sondern auch mit dem Bundesverwaltungsgericht,
das es bereits mehrfach angelehnt hat, die Lehre von der
Umkehrung der Beweislast im Falle der Beweisvereitelung
anzuerkennen (BVerwG 1O, 27O; DVBl 1964, 759 mit weiteren
Nachweisen für das Verfahren vor den allgemeinen Verwaltungs-
gerichten).

Die rechtlichen Schlußfolgerungen daraus, daß die Unmöglich-
keit, das Ergebnis einer Leichenöffnung als Beweismittel zu
benützen, auf einem Verschulden der Beklagten beruht, sind
demnach unzutreffend und nicht geeignet, das angefochtene
Urteil zu rechtfertigen. Die Rügen der Revision hiergegen
sind begründet.

Andererseits zwingt aber der Umstand, daß das LSG ausgeführt
hat, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereig-
nis und dem Tod sei nicht erwiesen, nicht zur Klageabweisung.
Denn die Entscheidung des LSG beruht nicht auf diesem Ergeb-

- 16 -

nis der Beweiswürdigung, sondern, wie dargelegt, auf der rechts-
irrtümlichen Auffassung hinsichtlich der Verteilung der Beweis-
last und somit in tatsächlicher Beziehung auf der Feststellung,
daß das Nichtbestehen eines Zusammenhangs zwischen Tod und
Unfall gleichfalls nicht bewiesen sei. Das LSG hat auf Grund
seiner Rechtsauffassung insofern von einer vollständigen und
abschließenden Beweiswürdigung abgesehen, als es den durch das
Unterbleiben der Leichenoffnung verursachten Beweisnotstand
unberücksichtigt gelassen hat.

Der erkennende Senat stimmt mit den 8. Senat darin überein, daß
dieser von der Beklagten verschuldete Beweisnotstand vom Tat-
sachenrichter im Rahmen seines Rechts der freien richterlichen
Überzeugungsbildung (§ 128 SGG) zu berücksichtigen ist. Insbeson-
dere darf der Tatsachenrichter diesem Beweisnotstand, wie der
Senat in dem einen anders gelagerten Fall betreffenden Urteil in
BSG 19, 52, 56 ausgeführt hat (vgl. auch Brackmann aaO S. 244 )
dadurch Rechnung tragen, daß er an den Beweis der Tatsachen, auf
die sich der Beweisnotstand bezieht, weniger hohe Anforderungen
stellt.

Da dem Revisionsgericht eine solche ergänzende Würdigung der erho-
benen Beweise verwehrt ist, mußte das angefochtene Urteil mit den
ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückver-
wiesen werden.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisions-
verfahrens bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung
vorbehalten.

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BSG, 2 RU 38/96 vom 27.05.1997, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT



Im Namen des Volkes



Verkündet am
27. Mai 1997



Urteil



in dem Rechtsstreit



Az: 2 RU 38/96



Klägerin und Revisionsbeklagte,
Prozeßbevollmächtigte:



gegen
Bau-Berufsgenossenschaft Hamburg,
Holstenwall 8-9, 20355 Hamburg,
Beklagte und Revisionsklägerin,
Prozeßbevollmächtigter:



Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. Mai 1997 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. K. , die
Richter Dr. B. und K. sowie die ehrenamtlichen
Richter B. und L.



für Recht erkannt:



Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landes-
sozialgerichts vom 7. August 1996 aufgehoben.



Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurück-
verwiesen.

-2-



Gründe:



I



In dem Rechtsstreit um Gewährung von Witwenrente streiten die Beteiligten, ob der Tod
des Ehemannes der Klägerin Folge einer Berufskrankheit (BK) der Nr 4104 der Anlage 1
zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) ist.



Der im Jahre 1944 geborene Ehemann der Klägerin (Versicherter) war nach seiner Aus-
bildung in der Zeit von September 1959 bis Oktober 1963 zum Klempner und Installateur
bis März 1971 in diesem Beruf als Geselle tätig. Nach einer Fortbildung zum Bautechniker
in der Zeit von April 1971 bis September 1972 war er im Bedachungs- und Fassadenbau
bis Juli 1976 als Bauleiter, anschließend bis Juli 1984 als Bauleiter und Abteilungsleiter,
von August 1984 bis Juni 1986 als Niederlassungsleiter, von August 1986 bis August
1987 als Vertriebsleiter sowie ab September 1987 als Oberbau- und Außendienstleiter be-
schäftigt. Während seiner Tätigkeit als Klempner hatte er asbesthaltige Materialien zu be-
arbeiten. Im Bedachungs- und Fassadenbau wurden vorwiegend Bitumen, Asbestzement-
und Betonsteinprodukte verarbeitet.



Im März 1988 trat beim Versicherten ein Doppelbildersehen mit Kopfschmerzen auf. Des-
wegen wurde er im Allgemeinen Krankenhaus B. stationär behandelt. Dabei wurde
ein fortgeschrittenes metastasiertes Bronchialkarzinom diagnostiziert.


Am 4. Mai 1988 zeigte das Krankenhaus der Beklagten an, daß beim Versicherten der
Verdacht auf das Vorliegen einer BK der Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO bestehe. Das
daraufhin mit Schreiben vom 26. Mai 1988 an den Chefarzt der neurologischen Abteilung
des Krankenhauses gerichtete Ersuchen, im Falle des Ablebens des Versicherten vor-
sorglich eine Sektion durchzuführen, wurde mit dem Hinweis zurückgewiesen, derartige
Mitteilungen in Zukunft zu unterlassen.



Die Beklagte zog die medizinischen Unterlagen der Landesversicherungsanstalt (LVA)
der Freien und Hansestadt Hamburg bei und ermittelte im Anschluß an eine schriftliche
Auskunft des Versicherten bei seinen früheren Arbeitgebern über Art und Dauer seiner
Beschäftigungen sowie welchen Einwirkungen er dabei ausgesetzt war. Aus den Berich-
ten des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom 20. Oktober und
21. Dezember 1988 ergab sich ua, daß der Versicherte im September 1988 verstorben
war. Die Beklagte zog die Krankenblätter des Allgemeinen Krankenhauses B.
und der Reha-Klinik D. über die Behandlungen des Versicherten bei.


Am 30. Januar 1989 unterrichtete die Klägerin die Beklagte telefonisch, daß ihr Ehemann
am 17. September 1988 verstorben sei. Es habe eine Erdbestattung stattgefunden. Mit

- 3 -



Schreiben vom 19. Juli 1989 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß zur Feststellung ei-
ner BK eine Obduktion erforderlich sei und fragte zugleich an, ob - sofern eine solche
nicht bereits durchgeführt worden sei - die Klägerin einer Exhumierung und Untersuchung
des Leichnams ihres Ehemannes zustimme. Diese teilte mit, daß eine Obduktion nicht
vorgenommen worden sei; sie sei nicht sicher, ob sie einer Exhumierung zustimmen
solle, da ihr Ehemann bereits vor zehn Monaten verstorben sei. Nach Ablauf einer
eingeräumten Bedenkzeit erklärte die Klägerin mit ihrer am 11. August 1989 bei der
Beklagten eingegangenen Erklärung ihr Einverständnis mit einer Exhumierung und
Untersuchung des Leichnams ihres Ehemannes.


Der Arzt für innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. S. teilte auf Anfrage
der Beklagten mit, daß eine Exhumierung sinnlos sei, weil seit dem Ableben des Versi-
cherten mehr als sechs Monate vergangen seien. Nach Einholung eines Gutachtens von
Dr. S. vom 18. April 1990 sowie einer Stellungnahme des Staatlichen Gewerbearz-
tes der Freien und Hansestadt Hamburg vom 1. Juli 1990 lehnte es die Beklagte ab, der
Klägerin Hinterbliebenenleistungen aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes zu gewähren.
Nach den ärztlichen Feststellungen könne das Vorliegen einer Asbestose nicht wahr-
scheinlich gemacht werden. Es bestehe nach dem ermittelten Sachverhalt allenfalls die
Möglichkeit einer beruflichen Krebsentstehung. Die anspruchsbegründenden Tatsachen
seien trotz umfangreicher Ermittlungen nicht bewiesen (Bescheid vom 21. August 1990
idF des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 1991).


Das Sozialgericht (SG) hat nach Einholung eines Gutachtens mit ergänzender Stellung-
nahme von dem Arzt für innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. L. vom
18. Februar 1993/12. Oktober 1993 die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Dezember
1993).


Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Einholung eines Gutachtens des Arztes für in-
nere Medizin und Sozialmedizin Prof. Dr. W. vom 1. April 1996 das Urteil des SG
aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren
(Urteil vom 7. August 1996). Der Tod des Versicherten sei auf eine BK der Nr 4104 der
Anlage 1 der BKVO zurückzuführen. Zwar stehe nicht fest, daß der Versicherte während
seiner beruflichen Tätigkeit den Einwirkungen von Asbestfaserstaub in einem Umfang von
25 Faserjahren ausgesetzt gewesen sei. Auch die weiteren Tatbestandsalternativen einer
BK nach der Nr 4104 stünden wegen fehlender Röntgen-, computertomographischer und
feingeweblicher Untersuchungsbefunde nicht fest. Schließlich sei auch nachträglich keine
Obduktion durchgeführt worden. Der medizinische Sachverhalt könne insoweit im Nach-
hinein nicht mehr aufgeklärt werden. Nach allem steht zwar fest, daß der Versicherte an
einem Lungenkrebs verstorben sei, nicht aber, daß bei dem Versicherten eine Asbest-
staublungenerkrankung oder eine durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura
vorgelegen habe. Dies schließe jedoch nicht die Feststellung aus, daß der Versicherte in-

- 4 -



folge einer BK nach der Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO verstorben sei. Wegen der be-
sonderen Umstände des Falles reiche es zur Anspruchsbegründung aus, daß bei dem
Versicherten möglicherweise eine Asbestose vorgelegen habe. Denn die Beweislage sei
auf das Verhalten der Beklagten zurückzuführen. Sie habe schuldhaft versäumt, den me-
dizinischen Sachverhalt aufzuklären. Durch das Verhalten der Beklagten sei die Klägerin
in einen Beweisnotstand geraten. Diesen Umständen sei bei den Anforderungen an den
Nachweis der anspruchsbegündenden Tatsachen Rechnung zu tragen. Es sei zwar keine
Umkehr der Beweislast anzunehmen. Wenn der beweisbelastete Beteiligte durch das
schuldhafte Verhalten des Gegners in einen Beweisnotstand gerate, könne das Gericht
aber dem dadurch Rechnung tragen, daß es an den Nachweis der Tatsachen, auf die
sich der Beweisbelastete beziehe, weniger hohe Anforderungen stelle. Im vorliegenden
Falle reiche deshalb lediglich die Möglichkeit des Vorhandenseins einer Asbestose aus.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens gehe das LSG davon aus, daß der Versi-
cherte möglicherweise an einer Minimalasbestose erkrankt gewesen sei. Der Versicherte
sei über eine Reihe von Jahren mit der Verarbeitung von Asbest befaßt gewesen. Das sei
die wesentliche Voraussetzung für das Entstehen einer Asbestose. Damit seien die Vor-
aussetzungen für die Bejahung einer BK iS der Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO erfüllt.
Dem stehe auch nicht die Annahme entgegen, daß der Versicherte nach Aktenlage Rau-
cher gewesen sei.



Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte, daß das LSG zu Unrecht
die fehlenden bzw nicht festgestellten Tatbestände der BK der Nr 4104 der Anlage 1 zur
BKVO meine dadurch ersetzen zu können, daß es der Beklagten eine schuldhafte Be-
weisverhinderung anlaste. Die Begründung des LSG laufe im Ergebnis darauf hinaus, daß
es zu Lasten der Beklagten eine Umkehr der Beweislast vorgenommen habe. Diese Fol-
gerung sei aber mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unvereinbar. Im
vorliegenden Fall habe entgegen der Auffassung des LSG eine schuldhafte Beweisverei-
telung durch die Beklagte nicht vorgelegen. Selbst wenn die Beklagte sofort tätig gewor-
den wäre und die erforderlichen Genehmigungen eingeholt hätte, hätte die Obduktion erst
nach einem Zeitraum von fünf bis sechs Monaten nach dem Ableben des Versicherten
durchgeführt werden können. Das LSG gehe aber selbst davon aus, daß eine Obduktion
spätestens "bis zu sechs Monaten" nach dem Tode hätte durchgeführt werden müssen,
um eine Asbestose oder eine asbestbedingte Veränderung der Pleura nachweisen zu
können. Unabhängig davon begegne die Beweisführung des LSG durchgreifenden Be-
denken. Es unterstelle, daß bei dem Versicherten möglicherweise eine Asbestose vorge-
legen habe. Alsdann gewähre das LSG der Klägerin eine weitere Beweiserleichterung
aufgrund des Beweisnotstandes und sehe die Möglichkeit des Vorhandenseins einer As-
bestose, die es mangels konkreter Nachweise und Anhaltspunkte selbst unterstellt habe,
als ausreichend an. Das LSG komme also im Ergebnis entgegen der Rechtsprechung
des BSG zu einer Umkehr der Beweislast. Das LSG habe daher nicht nur die
Rechtsprechung des BSG, sondern auch die nicht vorhandenen Tatsachen verfälscht, um

- 5 -



zu dem von ihm gewünschten Ergebnis zu kommen. Das LSG hätte auch berücksichtigen
müssen, daß der Versicherte ein starker Raucher gewesen sei und nach seinen eigenen
Angaben 20 Zigarillos pro Tag geraucht habe.



Die Beklagte beantragt,



das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 7. August 1996
aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Itzehoe vom 16. Dezember 1993 zurückzuweisen.



Die Klägerin beantragt,



die Revision zurückzuweisen.



Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe
das LSG keineswegs eine Umkehr der Beweislast vorgenommen. Unverständlich sei
auch der Vortrag der Beklagten darüber, daß eine schuldhafte Beweisvereitelung durch
sie nicht vorgelegen habe.



II



Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuhe-
ben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzu-
verweisen ist. Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend über den
Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung
zu entscheiden.



Der Anspruch der Klägerin richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversiche-
rungsordnung (RVO), da die von ihr geltend gemachte BK ihres Ehemannes vor dem In-
krafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 1. Januar 1997
eingetreten ist (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes , § 212
SGB VII).



Der Anspruch auf Witwenrente besteht gemäß § 589 Abs 1 RVO "bei" Tod durch Arbeits-
unfall. Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist ein Unfall, den ein Versicherter bei
einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Als Ar-
beitsunfall gilt nach § 551 Abs 1 Satz 1 RVO auch eine BK. BKen sind die Krankheiten,
welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung bezeichnet und die sich ein Versi-
cherter bei einer versicherten Tätigkeit zugezogen hat.



Das LSG hat die Voraussetzungen für den Anspruch auf Hinterbliebenenrente im vorlie-
genden Rechtsstreit als erfüllt angesehen, weil der Tod des Versicherten auf eine BK der

- 6 -



Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO zurückzuführen sei. Das LSG hat dabei auf die BK der
Nr 4104 idF der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKVO vom 18. Dezember 1992
(BGBl I, S 2343) abgestellt, die nach Art 2 Abs 1 dieser Verordnung am 1. Januar 1993 in
Kraft getreten ist. Nach der Rückwirkungsklausel des Art 2 Abs 2 dieser Verordnung
könnte sie jedoch nur angewandt werden, wenn der Versicherungsfall erst nach dem
31. März 1988 eingetreten ist. Dies war vorliegend aber nicht der Fall, weil sich der Versi-
cherte bereits ab dem 22. März 1988 wegen des Bronchialkarzinoms in stationärer Be-
handlung befand. Es kann daher hier ungeprüft bleiben, ob die Einwirkung einer kumulati-
ven Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren nachgewie-
sen ist. Somit ist die frühere Fassung der Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO maßgebend.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO vom 22. März 1988
(BGBl I, S 400) oder deren Vorgängerin, die BKVO idF der Änderungsverordnung vom
8. Dezember 1976 (BGBl I, S 3329), anzuwenden ist, da der hier einschlägige Tatbe-
stand, Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) in Verbindung mit Lungenkrebs, der
BK der Nr 4104 im Wortlaut zwar verändert wurde, inhaltlich aber keine Änderungen
erfahren hat. Nach der Fassung der BK der Nr 4104 der Anlage 1 der BKVO vom
22. März 1988 zählt als BK "Lungenkrebs in Verbindung mit
Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder mit durch Asbeststaub verursachter
Erkrankung der Pleura".


Die Voraussetzungen der Nr 4104 in der hier maßgebenden Fassung stehen nach An-
sicht des LSG nicht fest, weil wegen fehlender Röntgen-, computertomographischer oder
feingeweblicher Befunde nicht festgestellt werden kann, daß bei dem Versicherten eine
Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder eine durch Asbeststaub verursachte Er-
krankung der Pleura vorlag. Auch eine Obduktion oder rechtzeitig durchgeführte Exhu-
mierung und Untersuchung des Leichnams, wodurch eine Klärung, ob eine Asbeststaub-
erkrankung vorgelegen hat, möglich gewesen wäre, sei nicht durchgeführt worden. We-
gen der besonderen Umstände des Falles reiche es zur Anspruchsbegründung aus, daß
bei dem Versicherten möglicherweise eine Asbestose vorgelegen habe. Denn die Beweis-
lage sei auf das Verhalten der Beklagten zurückzuführen, die es schuldhaft versäumt ha-
be, den medizinischen Sachverhalt aufzuklären.


Die Ausführungen, mit denen die Beklagte sich gegen die Auffassung des LSG wendet,
das Unterbleiben der Obduktion bzw der rechtzeitigen Exhumierung und Untersuchung
des Leichnams des Versicherten sei auf eine schuldhafte Vernachlässigung ihrer Ermitt-
lungspflicht (§ 20 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuches ) zurückzuführen, sind
unbegründet. Sie hat nach den Feststellungen des LSG bereits im Oktober 1988 und spä-
ter noch einmal im Dezember 1988 erfahren, daß der Versicherte im September 1988
verstorben war, ohne unverzüglich Ermittlungen hinsichtlich des medizinischen Sachver-
halts anzustellen. Der Beklagten oblag es im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht auch
festzustellen, ob Rechtsnachfolger iS des § 56 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) und

- 7 -



Hinterbliebene iS des § 589 RVO vorhanden waren. Schon deshalb ist der Hinweis der
Revision unbeachtlich, der Beklagten seien Angehörige des Versicherten nicht bekannt
gewesen.


Vor allem übersieht die Beklagte, daß der Vorwurf des LSG, ihre Pflicht zur Amtsermitt-
lung dahingehend, ob beim Versicherten eine Asbeststaublungenerkrankung bzw eine
durch Asbeststaub verursachte Erkrankung des Zwerchfelles vorlag, verletzt zu haben,
sich auch auf den Zeitraum vor dem Tode des Versicherten bezieht. Nach den Feststel-
lungen des LSG war der Beklagten bereits seit dem 4. Mai 1988 durch die Anzeige des
Allgemeinen Krankenhauses B. bekannt, daß beim Versicherten der Verdacht des
Vorliegens einer BK der Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO bestand, ohne daß von ihr - vor
allem in Hinblick auf den ihr bekannten Gesundheitszustand des Versicherten - unver-
züglich die erforderlichen medizinischen Untersuchungen und Begutachtungen veranlaßt
wurden. Hinzu kommt, daß im Falle rechtzeitiger Ermittlungen der Klägerin ggf für das
Feststellungsverfahren über ihre Hinterbliebenenansprüche die Rechtsvermutung des
§ 589 Abs 2 Satz 2 RVO zugute gekommen wäre. Auch diese mögliche Rechtsvermutung
der Klägerin wurde durch das Verhalten der Beklagten vereitelt.


Dagegen sind nach der Auffassung des erkennenden Senats die Rügen der Revision be-
rechtigt, mit denen sie sich gegen die Schlußfolgerungen wendet, die das LSG aus dem
von der Beklagten verschuldeten Beweisnotstand der Klägerin gezogen hat. Das LSG
geht entsprechend der Rechtsprechung des BSG (BSGE 24, 25; 41, 297, 300; BSG SozR
Nr 60 zu § 128 SGG) und der Literatur (Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 103 RdNrn 18,
19; § 128 RdNr 18; Bley in Gesamt-Komm, § 128 SGG Anm 4a ff; Krasney/Udsching,
Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, III, RdNrn 29, 159) von dem Grund-
satz aus, daß bei einem Beweisnotstand, auch wenn er auf einer fehlerhaften Beweiser-
hebung oder sogar auf einer Beweisvereitelung durch denjenigen beruht, dem die Uner-
weislichkeit der Tatsachen zum prozessualen Vorteil gereicht, keine Umkehr der Beweis-
last eintritt. Vielmehr sind die Tatsachengerichte in einem derartigen Fall berechtigt, im
Rahmen der vielfältigen Möglichkeiten der Beweiswürdigung (s ua Baumgärtel, Beweis-
lastpraxis im Privatrecht, 1996, S 152 ff) an den Beweis der Tatsachen, auf die sich der
Beweisnotstand bezieht, weniger hohe Anforderungen zu stellen (BSGE 24, 25). An die-
ser, auch vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) geteilten Rechtsauffassung
(BVerwGE 10, 270) hält der Senat trotz der beachtlichen abweichenden Ausführungen
von Keller (SGb 1995, 474) fest. Auch Keller geht zutreffend und in Übereinstimmung mit
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) davon aus, einem Beweisnotstand
jedenfalls zunächst einmal im Rahmen der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen. Die
Fälle, in denen nach der Rechtsprechung des BGH eine Beweislastumkehr zu prüfen ist
(vgl Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, Band 1, 2. Aufl 1991, § 823 II RdNr 51, § 823
Anhang C II RdNrn 33, 64 und Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht aaO S 267 ff,
297), unterscheiden sich wesentlich von denen, die dem vorliegenden Fall entsprechen (s

- 8 -



auch Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht aaO S 266, RdNr 453). Insbesondere
kommt es weder im Rahmen der Amtsermittlungspflicht der Sozialleistungsträger (s
BVerwGE 10, 270, 272) noch grundsätzlich für die geltend gemachten materiell-
rechtlichen Ansprüche der Versicherten darauf an, ob einem der Beteiligten - oder in der
gesetzlichen Unfallversicherung dem Arbeitgeber - ein Verschulden trifft (vgl Baumgärtel
aaO § 823 Anhang C II RdNr 33; s auch BGH NJW 1985, 1774, 1775 und 1992, 754,
755). Eine gegenüber der Berücksichtigung des Beweisnotstandes im Rahmen der Be-
weiswürdigung sichere Handhabung bietet auch eine Beweislastumkehr nicht, deren Ein-
tritt ebenfalls nicht generell bei fehlerhafter Beweiserhebung oder Beweisvereitelung, son-
dern in diesen Fällen je nach den Umständen des Einzelfalls flexibel gestaltet sein
(Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht aaO S 266 RdNr 453) und als letzte der sich
an die Beweiswürdigung anschließenden Maßnahmen eintreten soll (s auch BGHZ 72,
132, 139; Baumgärtel Handbuch aaO § 823 II RdNr 51, § 823 Anhang C II RdNr 64 und
Beweislastpraxis im Privatrecht aaO S 297 RdNr 508).


Die ständige Rechtsprechung des BSG, die sich im Ergebnis nicht zwangsläufig von de-
nen der Gegenmeinung und der Rechtsprechung des BGH unterscheiden muß, vermag
auch bei Beweisnotstand den in diesem Zusammenhang vom Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) betonten Grundsätzen - insbesondere des fairen Verfahrens und der Waffen-
gleichheit - wirksam zu beachten (s BVerfGE 52, 131, 153, 158; 54, 148, 157; s auch
BGHZ aaO; BVerfG DVBl 1991, 154; Reinhardt NJW 1994, 93). Es bleibt dem Tatsa-
chengericht im Rahmen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung überlassen, je nach
den Besonderheiten des maßgebenden Einzelfalls schon einzelne Beweisanzeichen, im
Extremfall ein Indiz ausreichen zu lassen für die Feststellung einer Tatsache oder der dar-
aus abgeleiteten Bejahung der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Hätte das LSG im Hinblick auf den Beweisnotstand der Klägerin aufgrund der gesamten
Umstände des vorliegenden Falles die Voraussetzungen der BK Nr 4104 und die Wahr-
scheinlichkeit des Kausalzusammenhangs zwischen dieser BK und dem Tod des Versi-
cherten bejaht, so wäre dies revisionsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden gewe-
sen.



Die demgegenüber vom LSG aus den angeführten Grundsätzen gezogene rechtliche
Schlußfolgerung, daß schon die Möglichkeit des Vorhandenseins einer Asbestose beim
Versicherten ausreiche, ist unzutreffend (s auch BGH NJW 1990, 1721). Denn die Be-
fugnis der Tatsachengerichte, im Falle eines unverschuldeten Beweisnotstands ange-
sichts der konkreten Umstände des Einzelfalles an den Beweis weniger hohe Anforde-
rungen zu stellen, basiert auf dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung
(§ 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ). Dieser Grundsatz bezieht sich nur auf
die zu würdigenden Tatsachen; er schließt nicht die Befugnis ein, das Beweismaß zu ver-
ringern oder frei darüber zu entscheiden, ob die Gewißheit erforderlich oder die Wahr-
scheinlichkeit ausreicht oder sogar die Möglichkeit genügt, damit eine Tatsache als fest-

- 9 -



gestellt oder der Kausalzusammenhang als gegeben angesehen werden kann. Die zu-
grunde zu legenden Beweismaßstäbe sind anders als die Beweiswürdigung im engeren
Sinn revisionsgerichtlich nachprüfbar (vgl Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl
1994, § 108 VwGO RdNr 5).


Das LSG ist aufgrund seiner Rechtsauffassung von einem anderen Beweismaßstab bei
der Beurteilung des Kausalzusammenhangs ausgegangen und hat darauf seine Beweis-
würdigung ausgerichtet. Dem Revisionsgericht ist eine eigene Würdigung der Beweise
verwehrt. Deshalb mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneu-
ten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

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BSG, 2 RU 18/85 vom 10.04.1986, Bundessozialgericht
SG Bremen S 11 J 117/82 vom 11.04.1984
LSG Bremen L 1 J 15/84 vom 13.12.1984
BSG 2 RU 15/85 vom 30.04.1986, BSGE 60, 87 - 96

Bundessozialgericht

2 RU 15/85

Im Namen des Volkes

Verkündet am

30. April 1986

in dem Rechtsstreit

Klägerin und Revisionsbeklagte,

Prozeßbevollmächtigter

gegen

1.

Beklagte,

2.

Beklagter und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

beigeladen:

l.

Prozeßbevollmächtigter:

2.

- 2 -

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche
Verhandlung am 30. April 1986

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten zu 2) wird das Teilurteil
des Landessozialgerichts Bremen vom 13. Dezember 1984
geändert, soweit der Beklagte zu 2) zur Zahlung eines Be-
trages in Höhe von 297,10 DM für den Monat Juni 1981 an die
Klägerin verurteilt worden ist.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialge-
richts Bremen vom 11. April 1984 wird auch insoweit zu-
rückgewiesen, als sie die Klage gegen den Beigeladenen zu 2)
für den Monat Juni 1981 betrifft.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist, ob die Beklagten von den der Beigeladenen zu 1)
zustehenden Renten Teilbeträge auf Grund eines Pfändungs- und

- 3 -

Uberweisungsbeschlusses an die klagende Bank abzuführen haben,
obwohl die Beigeladene zu 1) zuvor zwei Abtretungserklärungen
hinsichtlich des pfändbaren Teils der ihr zustehenden Rentenan-
sprüche unterschrieben hatte.

Die Beigeladene zu 1) bezieht als Witwe des durch einen Arbeits-
unfall am 25. Mai 1971 verstorbenen Versicherten H.
G. sowohl eine Witwenrente von der Beklagten zu 1) (: LVA
für das Saarland) als auch von dem Beklagten zu 2) (: GUV für das
Saarland); die Höhe der von der Beklagten zu 1) bezogenen Wit-
wenrente betrug - nach dem Stand vom 1. Januar 1981 - 237,10 DM
monatlich, die Höhe der von dem Beklagten zu 2) bezogenen Wit-
wenrente - ebenfalls nach dem Stand vom 1. Januar 1981 -
1.104,80 DM monatlich. Die Kinder der Beigeladenen zu 1) M.
geb. am 5. Juni 1966, und C. , geb. am 9. Dezember 1970,
bezogen Waisenrenten, und zwar von der Beklagten zu 1) in der
Gesamthöhe von 305,80 DM monatlich sowie von dem Beklagten zu 2)
in der Gesamthöhe von 1.104,80 DM monatlich (Stand: 1. Januar
1981).

Unter dem Datum vom 28. Mai 1979 unterzeichnete die Beigeladene
zu 1) eine formularmäßige Abtretungserklärung, mit der sie zur
Sicherung eines ihr von der Beigeladenen zu 2) gewährten Kredits
den pfändbaren Teil ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche
gegen den Beklagten zu 2) auf Zahlung der ihr zustehenden Rente
bzw Pension gemäß § 53 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner
Teil - (SGB I) unwiderruflich an die Beigeladene zu 2) abtrat.
Hiervon unterrichtete die Beigeladene zu 2) den Beklagten zu 2)

- 4 -

mit Schreiben vom 13. Juli 1979. Außer dieser Erklärung befindet
sich in den Akten des Beklagten zu 2) eine weitere von der Bei-
geladenen zu 1) unterzeichnete, wörtlich gleichlautende formu-
larmäßige Abtretungserklärung - ebenfalls vom 28. Mai 1979 -, in
der ein Schuldner jedoch nicht bezeichnet ist.

Mit Pfändungs- und Uberweisungsbeschluß des Amtsgerichts Saar-
brücken vom 18. Februar 1981, der der Beklagten zu 1) am
25. Februar 1981 und dem Beklagten zu 2) am M. März 1981 zuge-
stellt wurde, pfändete die Klägerin wegen einer Forderung in Höhe
von 21.778,37 DM zuzüglich Zinsen und Kosten die gegenüber den
Beklagten bestehenden Rentenansprüche der Beigeladenen zu 1). In
dem Pfändungs- und Uberweisungsbeschluß ordnete das Amtsgericht
gemäß § 850c Abs 4 der Zivilprozeßordnung (ZPO) an, daß die Kin-
der der Beigeladenen zu 1), M. und C. , bei der Berech-
nung des pfändbaren Teils des Einkommens nicht zu berücksichtigen
seien; außerdem verfügte es zugleich die Zusammenrechnung der
gepfändeten Renten gemäß § 850e Nr 2 und 2a ZPO. Die Beklagten
verständigten sich daraufhin am 5. März 1981 dahingehend, daß
die Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung weiterhin
in voller Höhe an die Beigeladene zu 1) auszuzahlen und der
gesamte pfändbare Teil aus der Witwenrente der Unfallversicherung
zu entnehmen sei. Durch einen weiteren Beschluß vom 3. Juni
1981, welcher der Beklagten zu 1) am 15. Juni 1981 und dem Be-
klagten zu 2) am 12. Juni 1981 zugestellt wurde, änderte das
Amtsgericht den Pfändungs- und Uberweisungsbeschluß dahingehend
ab, daß der Beigeladenen zu 1) von den zusammengerechneten Renten
in Anlehnung an die Sozialhilferichtlinien gemäß § 54 Abs 3 SGB I

- 5 -

ein unpfändbarer Betrag in Höhe von 1.000,-- DM monatlich ver-
bleiben sollte.

Der Beklagte zu 2) zahlte daraufhin auf Grund der ihm vorliegen-
den Abtretungserklärungen vom 28. Mai 1979 ab Juni 1981 an die
Beigeladene zu 2) einen Betrag in Höhe von 3A1,90 DM monatlich
aus, und zwar unter Berücksichtigung der Anordnungen des Pfän-
dungs- und Uberweisungsbeschlusses sowie des Beschlusses vom
3. Juni 1981. Der Beigeladenen zu 1) verblieben danach von den
zusammengerechneten Renten in der Gesamthöhe von 1.341,90 DM ab
Juni 1981 ihre gesamte Witwenrente aus der Rentenversicherung in
Höhe von 237,10 DM monatlich sowie ein Teil ihrer Witwenrente aus
der Unfallversicherung in Höhe von 762,90 DM monatlich, insgesamt
der vom Amtsgericht Saarbrücken festgesetzte unpfändbare Betrag
in Höhe von 1.000,-- DM monatlich. Zahlungen auf Grund des
Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an die Klägerin lehnte der
Beklagte zu 2) durch seine Schreiben vom 27. Mai, 14. Juli und
27. November 1981 ab.

Das Sozialgericht (SG) Bremen hat die hiergegen gerichtete Klage
auf Auszahlung der auf Grund des Pfändungs- und Uberweisungsbe—
schlusses pfändbaren Rentenbeträge abgewiesen (Urteil vom
11. April 198U). Durch Teilurteil hat das Landessozialgericht
(LSG) Bremen auf die Berufung der Klägerin das erstinstanzliche
Urteil abgeändert und den Beklagten zu 2) verurteilt, an die
Klägerin für den Monat Juni 1981 297,10 DM als pfändbaren Betrag
zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage gegen den Beklagten zu 2)
bezüglich des Monats Juni 1981 und die Klage gegen die Beklagte

- 6 -

zu 1) in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 13. Dezember
1984). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Von den
Renten des Monats Juni 1981 seien nach dem Pfändungs- und Über-
weisungsbeschluß (vom 18. Februar 1981) sowie dem Beschluß vom
3. Juni 1981 der über 1.000,-- DM hinausgehende Teil, insgesamt
341,90 DM, pfändbar. Die zeitlich früher vorgenommene Abtretung
genieße gegenüber der späteren Pfändung zwar Vorrang, dieser
Vorrang setze sich aber nur in Höhe von 44,80 DM zugunsten der
Beigeladenen zu 2) durch. Rechtsgrundlage der Abtretung sei § 53
Abs 3 SGB I. § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I sei schon deshalb nicht anzu-
wenden, weil es an ausdrücklichen Feststellungen der Beklagten
fehle, daß die Übertragung der Rentenanteile im wohlverstandenen
Interesse der Beigeladenen zu 1) liege. wirksam abgetreten sei
nur der gegenüber dem Beklagten zu 2) bestehende Rentenanspruch,
der gemäß § 53 Abs 3 SGB I iVm § 8500 ZPO in der ab 1. Januar
1981 geltenden Fassung sowie der dazugehörigen Tabelle des § 850c
Abs 3 ZPO unter Berücksichtigung der Unterhaltsgewährung der
Beigeladenen zu 1) für ihre beiden Kinder in Höhe von 44,80 DM
pfändbar und somit abtretbar gewesen sei. Der Beklagte zu 2)
müsse an die Klägerin den Differenzbetrag von 297,10 DM zwischen
dem gepfändeten (= 341,90 DM) und dem abgetretenen Betrag (:
44,80 DM) abführen. Nicht wirksam abgetreten sei dagegen der
Rentenanspruch der Beigeladenen zu 1) gegenüber der Beklagten
zu 1). Die von der Beigeladenen zu 1) unterzeichnete Abtretungs-
erklärung, in der ein Drittschuldner nicht benannt sei, verstoße
gegen das Bestimmtheitsgebot, zumal die Forderung gegen die Be-
klagte zu 1) bereits bestanden habe und insoweit individuali-
sierbar gewesen sei. Der Rentenanspruch gegenüber der Beklagten

- 7 -

zu 1) sei im übrigen ohnehin in vollem Umfang unpfändbar und so-
mit unabtretbar gewesen, weil dieser unter dem damals unpfändba-
ren Grundbetrag in Höhe von 559,-- DM monatlich gelegen habe. Die
Zusammenrechnung der beiden Renten wie auch die Nichtberücksich-
tigung der beiden Kinder der Beigeladenen zu 1) für die Berech-
nung des unpfändbaren Teils des Einkommens wirke nur zugunsten
der Klägerin, nicht der Beigeladenen zu 2). Es fehle insbesondere
eine Verweisungsvorschrift, nach der eine solche Zusammenrechnung
verschiedener Einkünfte bzw die Nichtberücksichtigung unter-
haltsberechtigter Personen auch etwa vorhandenen Abtretungsgläu-
bigern zugute komme. Selbst wenn ein Abtretungsgläubiger ein den
§§ 8500 Abs U und 850e Nrn 2 und 2a ZPO entsprechendes Antrags-
recht haben sollte, fehle es an einem entsprechenden Antrag der
Beigeladenen zu 2). Zudem beeinträchtige die Erhöhung des pfänd-
baren Betrages zugunsten der vorrangigen Abtretungsgläubiger den
Schutz des Schuldners, den die §§ 53 ff SGB I im Auge hätten.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte zu 2) hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Er rügt die
Verletzung von Bundesrecht und begründet dies zunächst damit, daß
die Klage wegen Verstoßes gegen § 54 des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG) unzulässig sei. Die Klägerin sei in der Lage gewesen, im
einzelnen das pfändbare Renteneinkommen ziffernmäßig anzugeben.

Auch komme vorliegend nicht eine Leistungsklage, sondern eine
Anfechtungsklage in Betracht, da es sich bei seinen Schreiben vom
27. Mai und 14. Juli 1981 um Verwaltungsakte gehandelt habe.

Die Pfändung der Klägerin auf Grund des Pfändungs- und Überwei-
sungsbeschlusses sei im übrigen ins Leere gegangen. Nach dem

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Prioritätsprinzip gehe eine zeitlich frühere Abtretung einer
späteren Pfändung vor. Im Gegensatz zur Auffassung des LSG liege
eine wirksame Abtretung auch der gegenüber der Beklagten zu 1)
bestehenden Rentenansprüche der Beigeladenen zu 1) vor. Maßgeb-
lich hierfür sei allein der Wille der Parteien des Abtretungs-
Vertrages. Da die Abtretung gemäß § 398 des Bürgerlichen Gesetz-
buches (BGB) nicht an eine bestimmte Form gebunden sei, sei
hierfür auf alle Umstände abzustellen. Die Tatsache, daß die
Beigeladene zu 1) neben der Abtretungserklärung bezüglich der
Rentenansprüche gegenüber dem Beklagten zu 2) eine weitere Ab-
tretungserklärung unterzeichnet habe, habe nur den Sinn, weitere
Rentenleistungen an die Beigeladene zu 2) abzutreten. Hierfür
komme es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)
allein darauf an, ob die abgetretene Forderung genügend indi-
vidualisierbar sei, wofür die Bezeichnung des Drittschuldners in
der schriftlichen Urkunde nicht erforderlich sei. Die Wirksamkeit
der Abtretung sei nach § 53 Abs 3 SGB I zu beurteilen. Diese Re-
gelung bezwecke ebenso wie die des § 54 SGB I vor allem den
Schutz des Leistungsempfängers davor, durch die Abtretung oder
Pfändung sozialhilfebedürftig zu werden. Die Frage der Sozial-
hilfebedürftigkeit werde aber auch bei einer Abtretung nicht wie
jede einzelne Sozialleistung gesondert ermittelt, sondern richte
sich danach, ob dem Sozialleistungsempfänger insgesamt genug zum
Leben bleibe. Unabhängig von einem konkreten Antrag der Beige-
ladenen zu 2) habe der Beklagte zu 2) daher die Arbeitseinkommen
und Sozialleistungen zusammenzurechnen. Die Wirkung der Zusam-
menrechnung gemäß § 850e Nr 2a ZPO trete also unabhängig davon
ein, ob ein späterer Pfandgläubiger im Verfahren vor dem Voll-

- 9 -

streckungsgericht einen entsprechenden Antrag stelle oder nicht.

Dies gelte ebenso für die Nichtberücksichtigung der unterhalts-
berechtigten Kinder gemäß § 8500 Abs 4 ZPO. Der Beklagte zu 2)
habe sich im Rahmen seiner Prüfung nach § 53 Abs 3 SGB I insofern
an die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts halten können,
weil hierdurch die tatsächlichen Umstände iS des § 850c Abs 4 ZPO
zutreffend berücksichtigt worden seien.

Der Beklagte zu 2) beantragt,

das Urteil des LSG Bremen vom 13. Dezember
198M aufzuheben und die Berufung der Klägerin
zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision des Beklagten zu 2) zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, daß die Schreiben des Beklagten zu
2) vom 27. Mai und 1A. Juli 1981 keine Verwaltungsakte, sondern
lediglich Anfragen an die Klägerin seien. Die somit allein in
Betracht kommende Leistungsklage, zu deren Stellung das SG an-
stelle einer Feststellungsklage zudem ausdrücklich aufgefordert
habe, sei trotz fehlender genauer Bezifferung des geforderten
Geldbetrages hinreichend konkretisiert und damit zulässig. Zudem
sei nicht nachgewiesen, daß die Abtretung der Rentenansprüche der
Beigeladenen zu 1) zugunsten der Beigeladenen zu 2) bereits am
26. Mai 1979 wirksam geworden sei. Die von der Beigeladenen zu
1) unterzeichneten Abtretungserklärungen tragen zwar das Datum
vom 28. Mai 1979, es sei aber nicht erkennbar, ob und wann dié

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Beigeladene zu 2) diese Abtretungserklärungen angenommen habe. Da
die Beigeladene zu 2) ihren Sitz in Koblenz habe, die Abtre-
tungserklärungen jedoch in Saarbrücken unterschrieben worden
seien, hätten diese als einseitiges Angebot zu wertenden Erklä-
rungen nach § 147 Abs 2 BGB nur innerhalb einer Zeitspanne von
einer Woche oder mehr angenommen werden können. Ein nicht recht-
zeitig angenommenes Angebot stelle rechtlich ein nullum dar.

Diese zeitlich unklaren Verhältnisse seien insbesondere deshalb
von Bedeutung, weil die Beigeladene zu 1) auch ihr (der Klägerin)
gegenüber die Rentenansprüche abgetreten habe. Diese Abtretungs-
erklärung, die sich auf dem von der Beigeladenen zu 1) am
1. Juni 1979 unterzeichneten Kreditantrag befinde, sei von ihr
am 15. Juni 1979 angenommen worden. Die ihr (der Klägerin) ge-
genüber vorgenommene Abtretung sei somit am 15. Juni 1979 und
damit zu einem Zeitpunkt wirksam geworden, als die Abtretungen
zugunsten der Beigeladenen zu 2) noch nicht wirksam gewesen
seien.

Der Beklagte zu 2) hat zur Frage der Wirksamkeit des zwischen den
Beigeladenen zu 1) und 2) geschlossenen Abtretungsvertrages mit
Schriftsatz vom 24. Juni 1985 Stellung genommen. Dieser Ab-
tretungsvertrag sei am 28. Mai 1979, dem Tage der Unterzeichnung
zustande gekommen. Für die Beigeladene zu 2) sei in Saarbrücken
ein Vertreter tätig gewesen, so daß es nicht auf deren Ge-
schäftssitz in Koblenz ankomme. Dieser Vertreter habe der Beige-
ladenen zu 1) sowohl ein Darlehen gewähren als auch mit dieser
Verträge über die Abtretung von Rentenansprüchen schließen kön-
nen.

- 11 -

Die Beklagte zu 1) beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) stellen keinen Antrag.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die
Schriftsätze vom 23. April 1985, 8. Mai 1985, 12. Juni 1985,
22. Juni 1985 und 5. Juli 1985 Bezug genommen.

II

Die zulässige Revision des Beklagten zu 2) ist begründet.
Die Klägerin begehrt mit der von ihr erhobenen Klage von den Be-
klagten zu 1) und 2) in Ausführung des Pfändungs- und Überwei-
sungsbeschlusses vom 18. Februar 1981 sowie des Beschlusses vom
3. Juni 1981 Zahlung des pfändbaren Teils der Renteneinkommen
ier Beigeladenen zu 1).

Da nur der Beklagte zu 2) Revision eingelegt hat, hat der Senat
auch nur über das Urteil des LSG zu entscheiden, soweit es die
gegen den Beklagten zu 2) gerichtete Klage betrifft. Das LSG hat
hierüber gemäß § 202 SGG iVm § 301 ZPO durch Teilurteil ent-
schieden, indem es über einen Teil des geltend gemachten An-
spruchs, nämlich nur für den Monat Juni 1981 entschieden und die
Entscheidung für den übrigen Zeitraum dem Schlußurteil vorbehal-
ten hat. Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist daher

- 12 -

nur der Klageanspruch gegen den Beklagten zu 2) für den Monat
Juni 1981. Der von der Klägerin gegenüber dem Beklagten zu 2)
geltend gemachte weitergehende Anspruch für den übrigen Zeitraum
ist noch in der Berufungsinstanz anhängig und damit der Prüfung
durch den erkennenden Senat entzogen.

Das LSG hat zutreffend den Rechtsweg zu den Gerichten der So-
zialgerichtsbarkeit bejaht. Die Klägerin macht die Ansprüche der
Beigeladenen zu 1) auf die Hinterbliebenenrenten aus der ge-
setzlichen Renten- und Unfallversicherung im eigenen Namen gel-
tend, soweit sie ihr aufgrund der Pfändung zur Einziehung über-
wiesen sind. Da die Rechtsnatur eines Anspruchs durch seine
Pfändung und Überweisung nicht geändert wird und der Streit um
Rente aus der gesetzlichen Unfall- oder Rentenversicherung eine
öffentlich-rechtliche Streitigkeit in einer Angelegenheit der
Sozialversicherung iS des § 51 Abs 1 SGG ist, ist der Sozial-
rechtsweg gegeben (vgl ua BSGE 18, 76, 78; 53, 182, 183; SozR
1200 § 5A Nr 6; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung,
10. Auflg, S 187u).

Die von der Klägerin erhobene echte Leistungsklage ist gemäß § 54
Abs 5 SGG zulässig. Hiernach kann die Verurteilung zu einer Lei-
stung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt
werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Ein sol-
cher Fall liegt jedenfalls dann vor, wenn - wie hier - zwischen
den Beteiligten nicht streitig ist, ob und in welcher Höhe der
Schuldnerin (: Beigeladene zu 1) Rentenleistungen aus der ge-
setzlichen Renten- und Unfallversicherung zustehen, sondern le-

- 13 -

diglich die Frage umstritten ist, ob und ggf welcher Teil der
Sozialleistungen aufgrund der Pfandung an die Pfändungsgläubige-
rin auszuzahlen ist. Bei dieser Sachlage bedurfte es keiner er-
neuten Regelung durch einen Verwaltungsakt, so daß vor Erhebung
der echten Leistungsklage auf Zahlung des pfändbaren Betrages der
Witwenrenten die Durchführung eines Vorverfahrens nicht erfor-
derlich wer (BSG 30zR 1200 § 5M Nr 5 S b, 7; BSGE 18, 76, 77 f).

Hieran ändern auch die beiden Schreiben des Beklagten zu 2) vom
27. Mai und 14. Juli 1482 nichts. Zwar ist es für die Wertung
einer Verwaltungshandlung als Verwaltungsakt unerheblich, ob die
Behörde zu seinem Erlaß befugt gewesen ist oder ob sie im kon-
kreten Fall überhaupt hoheitlich tätig werden durfte. Für das
Vorliegen eines Verwaltungsakts reicht es aus, daß der äußeren
Erscheinungsform nach eine hoheitliche Maßnahme zur Regelung ei-
nes Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts vorliegt.

Entscheidend hierfür ist, daß das Verwaltungshandeln seinem ln-
halt nach die Merkmale des § 31 SGB X erfüllt und erkennbar den
Willen der Benörde ausdrückt, auf dem Gebiet des öffentlichen
Rechts einen Einzelfall verbindlich zu regeln (vgl ua BSGE 15,
7b, 78 mwN; 19, 123, 124; Schneider-Danwitz in RVO/SGB-Gesamt-
Kommentar, Stand Dezember 1981, § 31 SGB X Anm 7 mwN;
Schröder-Printzen/Engelmann, SGB X, 1981, § 31 Anm 1,2). In
diesem Sinne ist der Beklagte zu 2) gegenüber der Klägerin jedoch
nicht tätig geworden. Die beiden Schreiben vom 27. Mai und
14. Juli 1981 sind - im Gegensatz zur Auffassung der Revision -
nicht als Verwaltungsakte zu werten, de sie ihrem Inhalt nach
nicht die Voraussetzungen des § 31 BGB X erfüllen. Das Schreiben
vom 27. Mai 1981 beinhaltet lediglich eine Darstellung des

- 14 -

Rechtsstandpunktes des Beklagten zu 2), mit dem das Zahlungsbe-
gehren der Klägerin abgelehnt wurde. Mit dem weiteren Schreiben
vom 14. Juli 1981 wiederholt der Beklagte zu 2) unter Bezugnahme
auf sein vorhergehendes Schreiben vom 27. Mai 1981 lediglich
diesen ablehnenden Rechtsstandpunkt. Da somit ein Verwaltungsakt
des Beklagten zu 2) nicht erforderlich war und auch nicht vor-
liegt, war die Durchführung eines Vorverfahrens und mithin die
Erhebung einer Anfechtungsklage nicht notwendig; die Klägerin hat
daher hier zutreffend eine Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG
erhoben.

Entgegen der Auffassung des Beklagten zu 2) ist diese Leistungs-
klage zulässig, obwohl die Klägerin ihren Antrag nicht im ein-
zelnen beziffert hat. Zwar gilt auch im sozialgerichtlichen Ver-
fahren als Zulässigkeitsvoraussetzung das Erfordernis eines be-
stimmten Klageantrages (Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl 1981, § 92
Anm 5); hieraus folgt jedoch nicht, daß bei einer auf eine Geld-
leistung gerichteten Klage der geforderte Geldbetrag genau be-
ziffert werden müßte (Meyer-Ladewig, aaO, § 92 Anm 5; anderer
Ansicht wohl Bley in RVO/SGB-Gesamtkomm, Stand Juli 1983, § 54
SGG Anm 11c). Dieser in anderen Rechtsgebieten anerkannte Grund-
satz (vgl für die Zivilgerichtsbarkeit ua BGH NJW 1982, 340f mwN;
für die Verwaltungsgerichtsbarkeit BVerwGE 12, 189 und Hess VGH
Hess VGRspr 1977, 62, 63; Eyermann/Fröhler, VwGO, 8. Aufl 1980,
§ 82 Rdn 4; Kopp, VwG0, 7. Auflage 1986, § 82 Rdn 10), nach dem
dem Bestimmtheitsgebot jedenfalls dann genügt ist, wenn neben
einer hinreichend genauen Darlegung des anspruchsbegründenden
Sachverhalts wenigstens die ungefähre Höhe des verlangten Be-

- 15 -

trages angegeben wird, gilt auch im sozialgerichtlichen Verfah-
ren, zumal § 130 SGG bei einer auf eine Geldleistung gerichteten
echten Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs 5 SGG die Verurtei-
lung dem Grunde nach erlaubt, und zwar ohne daß - wie nach § 111
VwGO und auch § 304 ZPO erforderlich - der Anspruch dem Grunde
und der Höhe nach streitig ist. Aus der Befugnis zum Erlaß eines
Grundurteils nach § 130 SGG ergibt sich konsequenterweise, daß
ein entsprechender, hierauf gerichteter, nicht bezifferter Kla-
geantrag zulässig ist.

Die danach zulässige Leistungsklage ist hinsichtlich des gegen-
über dem Beklagten zu 2) geltend gemachten Klageanspruchs für den
Monat Juni 1981 jedoch unbegründet. Das LSG hat den Beklagten
zu 2) zu Unrecht zur Zahlung von 297,10 DM für den Monat Juni
1981 verurteilt.

Dies ergibt sich aus den Wirkungen der hier vorliegenden nach-
einander erfolgten Abtretung und Pfändung der Rentenansprüche der
Beigeladenen zu 1). Hat ein Leistungsberechtigter seine Sozial-
leistungsansprüche an einen Dritten abgetreten, so gilt im Falle
des Zusammentreffens dieser Abtretung mit einer zeitlich nach-
folgenden Pfändung das Prioritätsprinzip, soweit es sich bei dem
Abtretungsgläubiger und dem Pfändungsgläubiger - wie hier bei der
Beigeladenen zu 2) und der Klägerin - nicht um bevorrechtigte
Unterhaltsberechtigte handelt (vgl Brackmann aaO S 738 m; von
Maydell in GK-SGB I, 2. Aufl 1981, § 53 Rz 41; Heinze in
Bochumer Kommentar, SGB AT, 5 53 Rz 40; SGB I, Allgemeiner Teil,
BfA/VDR, 6. Aufl 1983, § 53 Anm 8.3). Ist also ein Anspruch auf

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Sozialleistungen nach dem SGB zunächst in den Grenzen des § 860c
ZPO abgetreten, so kommt bei einer nachfolgenden Pfändung der
Pfändungsgläubiger nur insoweit zum Zuge, als die Sozialleistung
von der vorausgegangenen Abtretung nicht erfaßt war. Gemäß § 398
Satz 2 BGB wird nämlich der Zessionar mit der Abtretung einer
Forderung eines Schuldners neuer Gläubiger des Drittschuldners,
so daß die Forderung nicht mehr zum Vermögen des Schuldners
gehört (Stöber, Forderungspfändung, 7. Auflage 1984, Rdnr 764,
1248; BAGE 41, 297, 300; OLG Hamm Rechtspfleger 1978, 186), dh,
die Klägerin als nachrangige Pfändungsgläubigerin kann mit ihrer
Pfändung nur insoweit Erfolg haben, als die Witwenrentenansprüche
der Beigeladenen zu 1) nicht wirksam an die Beigeladene zu 2)
abgetreten sind. Die Beigeladene zu 1) hat aber von der ihr für
den Monat Juni 1981 zustehenden Witwenrente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung einen Betrag - wie unten noch näher darzulegen
ist - in Höhe von 378,70 DM wirksam an die Beigeladene zu 2) ab-
getreten.

Zutreffend hat das LSG die Wirksamkeit der Abtretung der Witwen-
rentenansprüche nicht nach Maßgabe des § 53 Abs 2 Nr 2 SGB I,
sondern nach § 53 Abs 3 SGB I beurteilt. Danach können Ansprüche
auf laufende Geldleistungen, die - wie die Witwenrenten der Bei-
geladenen zu 1) - der Sicherung des Lebensunterhalts dienen, in
anderen Fällen übertragen und verpfändet werden, soweit sie den
für Arbeitseinkommen geltenden unpfändbaren Betrag übersteigen.

§ 53 Abs 2 Nr 2 SGB I, wonach Ansprüche auf Geldleistungen über-
tragen und verpfändet werden können, wenn der zuständige Lei-
stungsträger feststellt, daß die Übertragung und Verpfändung im

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wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt, ist hier schon
deshalb nicht einschlägig, weil es an einer entsprechenden Fest-
stellung des wohlverstandenen Interesses durch die Beklagte zu 1)
und den Beklagten zu 2) fehlt, die zudem durch Verwaltungsakt zu
erfolgen hat (allg Ansicht vgl ua BSG SozR 1200 § 53 Nr 2 S 0;
Hauck/Haines, SGB I, K § 53 Rz 8 aE., Heinze in Bochumer Kom-
mentar, SGB AT, § 53 Rz 21). Die Beigeladene zu 1) konnte somit
ihre gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) bestehenden Witwen-
rentenansprüche an die Beigeladene zu 2) gemäß § 53 Abs 3 SGB I
wirksam nur innerhalb der für Arbeitseinkommen geltenden Pfän-
dungsgrenzen abtreten. Die Pfändbarkeit von Arbeitseinkommen er-
gibt sich aus § 850c Abs 1 ZPO in der hier anzuwendenden Fassung
des Artikels 1 Nr 6 des M. Gesetzes zur Änderung der Pfändungs-
freigrenzen vom 28. Februar 1978 (BGBl I S 333) sowie der maß-
gebenden Tabelle zu § 8500 Abs 3 ZPO (: Anlage zu § 850c ZPO idF
des Art 1 Nr 9 des M. Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfrei-
grenzen, Umbenennung mit Wirkung vom 1. Januar 1981 in Anlage 2
durch Art 1 Nr 13 des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe vom
13 Tuni 1980 — BGBl I S 677). Der pfändungsfreie Betrag ist
dabei, sofern — wie hier - verschiedene Ansprüche gegen ver-
schiedene Schuldner abgetreten werden, für jeden Anspruch geson-
dert nach § 850c ZPO zu ermitteln (Stein/Jonas/Münzberg, ZPO,
20. Aufl aaO, § 850e Rdnr 19, 32; s. auch Grunsky in ZIP 1983,
908, 909).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hat die Beigeladene
zu 1) am 28. Mai 1979 hinsichtlich ihres gegenüber dem Beklagten
zu 2) bestehenden Witwenrentenanspruches eine formularmäßige Ab-

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tretungserklärung zu Gunsten der Beigeladenen zu 2) unterzeich-
net. Hiervon hat die Beigeladene zu 2) den Beklagten zu 2) mit
Schreiben vom 13. Juli 1979 in Kenntnis gesetzt, so daß davon
auszugehen ist, daß die Abtretungserklärung der Beigeladenen zu
1) spätestens zu diesem Zeitpunkt von der Beigeladenen zu 2) an-
genommen (vgl §§ 147 bis 152 BGB) und somit der zwischen den
Beigeladenen zu 1) und 2) geschlossene Abtretungsvertrag eben-
falls spätestens zu diesem Zeitpunkt wirksam geworden ist. Dies
hat zur Folge, daß die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfall-
versicherung von der Beigeladenen zu 1) an die Beigeladene zu 2)
vorrangig vor der im Jahre 1981 und damit zeitlich späteren
Pfändung durch die Klägerin abgetreten worden ist. Hiervon ist
das LSG im angefochtenen Urteil auch zu Recht ausgegangen. Die
diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen des LSG sind mit
zulässigen und begründeten Revisionsrügen nicht angegriffen wor-
den und damit für den Senat bindend (§ 163 SGG).

Der Wirksamkeit steht auch nicht entgegen, daß auf der in den
Akten des Beklagten zu 2) befindlichen Abtretungserklärung die
Unterschrift der Beigeladenen zu 1) — worauf die Klägerin im Re-
visionsverfahren hinweist — nicht beglaubigt ist. Die Beglau-
bigung der Unterschrift ist nur eine auf dem Abtretungsformular
vorgesehene Möglichkeit der Absicherung der Unterschriftslei-
stung. Dem Abtretungsvertrag sind keine Anhaltspunkte zu ent-
nehmen, daß seine Wirksamkeit von diesem gesetzlich nicht vor-
geschriebenen Formerfordernis abhängig sein soll.

Die Klägerin hält zwar die Vorrangigkeit der Abtretung zu Gunsten

- 19 -

der Beigeladenen zu 2) für zweifelhaft und führt hierzu in ihrer
Revisionserwiderung aus, daß die Beigeladene zu 1) am 1. Juni
1979 ihr gegenüber die Rentenansprüche ebenfalls abgetreten habe
und diese Abtretung aufgrund ihrer Annahmeerklärung vom 15. Juni
1979 zu einem Zeitpunkt wirksam geworden sei, als die Abtretung
vom 28. Mai 1979 zu Gunsten der Beigeladenen zu 2) mangels Vor-
liegen einer entsprechenden Annahmeerklärung noch nicht wirksam
gewesen sei. Hierin könnte die Rüge mangelnder Sachaufklärung
(§ 103 SGG) zu sehen sein. Derartige Verfahrensrügen können zwar
auch vom Revisionsbeklagten im Wege der sogenannten Gegenrüge bis
zum Schluß der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden (BSG
SozR 1500 § 16A Nr 2H mwN; Meyer-Ladewig, aaO, § 170 RdNr A mwN),
jedoch entsprechen die Ausführungen der Klägerin nicht den Er-
fordernissen des § 166 Abs 2 Satz 3 SGG. Hierfür hätte die Klä-
gerin die den Verfahrensmangel vermeintlich begründenden Tat-
sachen substantiiert darlegen müssen, wozu insbesondere dieje-
nigen Gründe gehören, aufgrund derer sich das LSG von seinem
sachlich—rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt sehen müssen,
weitere Ermittlungen zur Sachverhaltsaufklärung anzustellen und
in welcher Hinsicht derartige Ermittlungen unterlassen worden
sind (vgl BSG SozR 2200 § 160a Nr 3M mwN; SozR Nr ÖH zu § 102
SGG; SozR Nr 1A zu § 103 SGG). Da das Rangverhältnis zwischen der
Abtretung zu Gunsten der Beigeladenen zu 2) und dem von der Klä-
gerin erwirkten Pfändungs— und Uberweisungsbeschluß und somit der
zeitliche Vorrang der Abtretung vor der Pfändung nicht umstritten
war, hätte die Klägerin diesbezüglich näher darlegen müssen,
welche Umstände das LSG hätten veranlassen müssen, den genauen
Zeitpunkt der Annahme der Abtretungserklärung der Beigeladenen zu

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1) durch die Beigeladene zu 2) zu ermitteln und ob die Beige-
ladene zu 1) noch eine weitere Abtretungserklärung, und zwar zu
Gunsten der Klägerin unterschrieben hätte. Die Tatsache des Vor-
handenseins einer weiteren Abtretungserklärung der Beigeladenen
zu 1) vom 1. Juni 1979 zu Gunsten der Klägerin, die aufgrund der
zeitlichen Nähe zu der Abtretung vom 28. Mai 1979 für die zeit-
liche Rangfolge der verschiedenen Abtretungen und der Pfändung
von Bedeutung sein könnte, hat die Klägerin erst im Revisions-
verfahren vorgebracht, obwohl ihr diese Tatsache als weitere Ab-
tretungsgläubigerin von Anfang an bekannt gewesen ist, so daß sie
diese spätestens im Berufungsverfahren hätte vorbringen können.

Im Revisionsverfahren ist derartiges neues Tatsachenvorbringen
nur unter den Voraussetzungen des § 163 SGG zu berücksichtigen,
die hier aber nicht gegeben sind.

Ausgehend von diesem vom LSG festgestellten und für den Senat
somit maßgebenden Sachverhalt hat das LSG zu Unrecht die für den
Monat Juni 1981 von dem Beklagten zu 2) zu gewährende Witwenrente
von 1.104,80 DM lediglich in Höhe eines Betrages von 44,80 DM
als pfändbar und damit abtretbar angesehen. Das LSG ist bei der
Bemessung des unpfändbaren Betrages von einer Unterhaltsgewährung
der Beigeladenen zu 1) an ihre beiden Kinder im Sinne des § 850c
Abs 1 Unterabs 2 ZPO ausgegangen; es hat hierbei jedoch nicht
dargelegt, woraus sich ein Unterhaltsanspruch der beiden Kinder
M. und C. gegenüber ihrer Mutter, der Beigeladenen zu
1), ergibt, denn nur aufgrund eines Unterhaltsanspruchs gelei-
stete Zahlungen sind im Rahmen dieser Vorschrift beachtlich.

- 21 -

§ 850c Abs 1 ZPO stellt hinsichtlich der Bemessung des unpfänd-
baren Teils des Einkommens auf den gesetzlichen Unterhalt ab.

Ausgehend von einem unpfändbaren Grundbetrag von seinerzeit
559,00 DM (§ 850c Abs 1 Unterabs 1 ZPO in der oa anzuwendenden
Fassung) richtet sich die Höhe des unpfändbaren Teils des Ein-
kommens des weiteren danach, ob der Schuldner, dh hier die Bei-
geladene zu 1), eine Unterhaltsverpflichtung hat. Der pfändungs-
freie Teil des Einkommens erhöht sich dabei nach § 850c Abs 1
Unterabs 2 ZPO, wenn der Schuldner ua einem Verwandten, wozu
eheliche oder nichteheliche (§§ 1615a ff BGB) Kinder etc gehören,
kraft Gesetzes unternaltspflichtig ist und tatsächlich Unterhalt
gewährt (vgl ua BAG AP Nr 2 mwN und AP Nr 3 zu § 850c ZPO). Lei-
stungen an Verwandte, die sich selbst unterhalten können, sind
daher gemäß § 1602 Abs 1 BGB nicht zu berücksichtigen (Stein/
Jonas/Münzberg, aa0, § 850c RdNr 15; Baumbach/Lauterbach/
Albers/Hartmann, ZPO, 44. Aufl, § 850c Anm 2 A).

Die Unterhaltspflichten zwischen Eltern und ihren Kindern ergeben
sich aus § 1601 BGB. Danach sind Verwandte in gerader Linie ver-
pflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Eine "abstrakte" Un-
terhaltsverpflicntung allein aufgrund einer bestimmten familien-
rechtlichen Beziehung reicht aber hierfür nicht aus. Die Pflicht
zur Gewährung von Unterhalt ergibt sich erst aus den konkreten
Lebens- und Einkommensverhältnissen des zum Unterhalt Berechtig-
ten und des hierzu Verpflichteten. Auf den vorliegenden Fall be-
zogen bedeutet dies, daß die Kinder der Beigeladenen zu 1) un-
terhaltsbedürftig (§ 1602 Abs 1 BGB) und die Beigeladene zu 1)
zur Gewährung des Unterhalts leistungsfähig (S 1603 BGB) gewesen

- 22 -

sein müssen. Nach § 1602 Abs 1 BGB ist unterhaltsberechtigt, wer
außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Bei Verwandten in
gerader Linie ist diese Voraussetzung gegeben, wenn ein der Le-
bensstellung der Bedürftigen entsprechender Unterhalt nicht ge-
sichert ist, wenn sie also nicht in der Lage sind, ihren ange-
messenen Unterhalt selbst zu bestreiten (§ 1610 Abs 1 BGB).

Die Beigeladene zu 1) bezog nach den bindenden Feststellungen des
LSG (§ 163 SGG) im Juni 1981 Witwenrenten von der Beklagten zu 1)
und dem Beklagten zu 2) in einer Gesamthöhe von 1.341,90 DM.

Ihre beiden 10 und 15-jährigen Kinder C. und M. erhiel-
ten zur selben Zeit von der Beklagten zu 1) und dem Beklagten zu
2) zusammen Halbwaisenrenten in der Gesamthöhe von 1.410,60 DM,
so daß auf jedes einzelne Kind hiervon die Hälfte, dh ein Betrag
von 705,30 DM entfiel. Angesichts dieser den beiden Kindern zur
Verfügung stehenden monatlichen Einkünfte waren sie nicht unter-
haltsbedürftig im Sinne des § 1602 Abs 1 BGB.

Der Betrag des angemessenen Unterhalts bestimmt sich nach den
Umständen des Einzelfalles (BSG SozR 2200 § 596 Nr 10). Da deren
Feststellung häufig recht schwierig ist, hat die Praxis der Zi-
vilgerichte eine Anzahl von Tabellen und Leitlinien entwickelt,
um die unbestimmten Rechtsbegriffe der "Lebensstellung" und des
"angemessenen" Unterhalts praktikabel zu machen. Für eine solche
Pauschalierung treten die meisten Oberlandesgerichte ein. Eine
besonders weite Verbreitung bei den Familiengerichten haben
hierbei die in der sogenannten Düsseldorfer Tabelle festgelegten
Unterhaltsrichtlinien gefunden (vgl hierzu Gesamtüberblick bei

- 23 -

Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts,
3. Aufl 1985, S 3 ff), die auch in die sozialrechtliche Praxis
Eingang gefunden haben (vgl ua zuletzt Urteil des 7. Senats des
BSG vom 23. Oktober 1985 - 7 RAr 32/8M -; BSG SozR 2200 5 596
Nr 10; BSGE 57, 59, 70; 57, 77, 81, s. aber auch Gernhuber
SGb 1985, 523). Auch der Bundesgerichtshof geht in seiner Rech-
sprechung davon aus, daß bei der Bemessung des angemessenen
Unterhalts Richtsätze und Leitlinien zugrunde gelegt werden kön-
nen, die auf die gegebenen Verhältnisse abgestimmt sind und der
Lebenserfahrung entsprechen, soweit nicht im Einzelfall besondere
Umstände eine Abweichung bedingen; er hat hierbei bislang die in
der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen unterhaltsrechtlichen
Grundsätze nicht beanstandet (vgl zB BGHZ 70, 151, 155; FamRZ
1979, 692, 693; 1982, 365, 366).

Da gemäß § 1606 Abs 3 Satz 1 BGB beide Elternteile ihren Kindern
anteilig nach ihren Erwerbs- und Vvermögensverhältnissen haften
und nach der Wertentscheidung des Gesetzes in § 1606 Abs 3 Satz 2
BGB jedenfalls während der Minderjährigkeit der Kinder davon
auszugehen ist, daß die finanziellen Leistungen des Vaters und
die Betreuung der Kinder durch die Mutter im allgemeinen als
gleichwertig anzusehen sind (BGH NJW 1981, 168, 170; BGHZ 70,
151, 159f), geben die Tabellenwerte auch nur den nälftigen Le-
bensbedarf wieder (Kalthoener/Büttner, aaO, RdNr 286). Nach dem
Tode eines Elternteils, entweder des barleistungspflichtigen oder
des die Kinder betreuenden, richtet sich daher der Unterhalts-
anspruch der Kinder in Höhe des vollen Bedarfs C: doppelter Ta-
bellensatz: Bar- und Betreuungsunterhalt) gegen den überlebenden

- 24 -

Elternteil (BGH NJW 1981, 168, 170; Kalthoener/Büttner, aaO,
RdNr 287).

Auf den derart ermittelten Unterhaltsanspruch eines Berechtigten
sind dessen eigene Einkünfte anzurechnen. Zwar müssen minder-
jährige unverheiratete Kinder nach § 1602 Abs 2 BGB den Stamm
ihres Vermögens nicht zum eigenen Unterhalt verwenden, dies gilt
jedoch nicht für Einkünfte jeder Art einschließlich von ihnen
bezogener Sozialleistungen. Eine einem ehelichen Kind nach dem
Tode eines Elternteils gewährte Waisenrente aus der gesetzlichen
Renten- oder Unfallversicherung mindert oder beseitigt somit
dessen Unterhaltsbedürftigkeit und dementsprechend auch dessen
Unterhaltsanspruch (BGH NJW 1981, 168, 169 mwN; Kalthoener/Bütt-
ner, aaO, RdNr 286; Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts,
6. Aufl, RdNr 67; Sorgel/Lange, Kommentar zum BGB, 11. Aufl,
§ 1602 RdNr 6; Köhler in Münchener Kommentar zum BGB, 1978,
§ 1602 RdNr 17). Da - wie bereits ausgeführt - sich nach dem Tode
eines Elternteils der Unterhaltsanspruch in Höhe des vollen Be-
darfs gegen den überlebenden Elternteil richtet, kommt diesem
auch die Minderung der Unterhaltsbedürftigkeit durch die Waisen-
rente in voller Höhe zugute (BGH NJW 1981, 168, 170). Unter Zu-
grundlegung der Düsseldorfer Tabelle nach dem hier maßgebenden

Stand vom 1. Januar 1980 (vgl NJW 1980, 107; 1981, 963) ergeben
sich aufgrund des Renteneinkommens der Beigeladenen zu 1) in Höhe
von insgesamt 1.341,90 DM für den Monat Juni 1981 Unterhalts-
bedarfsbeträge von 456,00 DM für das Kind C. (: doppelter
Satz der Tabelle A "Kindesunterhalt" entsprechend der zum dama-
ligen Zeitpunkt - Juni 1981 - maßgebenden Altersstufe vom 7. bis

- 25 -

zur Vollendung des 12. Lebensjahres sowie der Einkommensgruppe
1) sowie 540,00 DM für das Kind M. (= doppelter Satz der Ta-
belle A "Kindesunterhalt" entsprechend der zum damaligen Zeit-
punkt - Juni 1981 - maßgebenden Altersstufe vom 13. bis zur
Vollendung des 18. Lebensjahres sowie der Einkommensgruppe 1).

Auf diese Unterhaltsbedarfsbeträge sind die den beiden Kindern
der Beigeladenen zu 1) gewährten Waisenrenten in Höhe des jeweils
auf das einzelne Kind entfallenen Anteils von 705,30 DM voll an-
zurechnen. Da diese Einkünfte die Unterhaltsbedarfsbeträge über-
steigen, fehlt es insoweit an der Unterhaltsbedürftigkeit der
beiden Kinder der Beigeladenen zu 1).

Da somit eine Unterhaltsverpflichtung der Beigeladenen zu 1)
mangels Unterhaltsbedürftigkeit ihrer Kinder nicht bestand, war
die von dem Beklagten zu 2) zu gewährende Witwenrente des Monats
Juni 1981 nach § 8500 Abs 1 iVm der Tabelle zu § 850c Abs 3 ZP0
(= pfändbarer Betrag bei Unterhaltspflicht für null Personen -,
jeweils in der oa anzuwendenden Fassung) in Höhe eines Betrages
von 378,70 DM pfändbar und damit abtretbar. Die Beigeladene zu 1)
hat daher ihre gegen den Beklagten zu 2) bestehenden Rentenan-
sprüche wirksam und - wie ausgeführt — auch vorrangig von der
zeitlich späteren Pfändung durch die Klägerin in Höhe eines Be-
trages von 378,70 DM abgetreten. Daß in dem Beschluß des Amts-
gerichts vom 3. Juni 1981 ein höherer unpfändbarer Betrag fest-
gestellt ist, berührt die für die Abtretung maßgebende Berechnung
des pfändbaren Betrages nicht, da der Beschluß nur die Pfändung
betrifft.

- 25 -

Aufgrund der wirksamen und vorrangigen Abtretung des gegenüber
dem Beklagten zu 2) bestehenden Witwenrentenanspruches in Höhe
eines Betrages von 378,70 DM war - wie bereits dargelegt - dies-
bezüglich nicht mehr die Beigeladene zu 1), sondern die Beige-
ladene zu 2) Gläubigerin des Beklagten zu 2), so daß die Pfändung
der Klägerin aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses
vom 18. Februar 1981 ins Leere ging, da hiernach sowie dem er-
gänzenden Beschluß vom 3. Juni 1981 lediglich ein Betrag von
insgesamt 341,90 DM und damit weniger als der abgetretene Betrag
von 378,70 DM pfändbar war.

Es kann daher hier dahingestellt bleiben, welche Wirkungen die
mit dem Pfändungs- und Uberweisungsbeschluß des Amtsgerichts
Saarbrücken vom 18. Februar 1981 gleichzeitig erlassenen Be-
schlüsse nach den §§ 850c und 850 e Nrn 2 und 2a ZPO sowie der
Beschluß vom 3. Juni 1981 in bezug auf die Abtretungsgläubige-
rin, dh die Beigeladene zu 2), entfalten, da dies jedenfalls
hinsichtlich des hier allein streitigen Anspruchs der Klägerin
gegen den Beklagten zu 2) für den Monat Juni 1981 nicht ent-
scheidungserheblich ist. Ein höherer Betrag als der bereits vor-
rangig von der Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversiche-
rung abgetretene Betrag in Höhe von 378,70 DM ist nämlich nach
den genannten Beschlüssen - wie ausgeführt - für den Monat Juni
1981 nicht pfändbar.

Es kann daher darüber hinaus auch dahingestellt bleiben, ob trotz
fehlender Schuldnerbenennung in der weiteren Abtretungserklärung
vom 28. Mai 1979 auch die von der Beklagten zu 1) zu zahlende

- 27 -

Witwenrente wirksam an die Beigeladene zu 2) abgetreten ist oder
ob entsprechend der Auffassung des LSG mangels Bestimmtheit des
Abtretungsvertrages eine wirksame Abtretung der Witwenrente aus
der gesetzlichen Rentenversicherung nicht vorliegt, da selbst bei
einer Unwirksamkeit der Abtretung der Witwenrente aus der ge-
setzlichen Rentenversicherung - wie ausgeführt - der Klägerin
jedenfalls von der Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallver-
sicherung kein pfändbarer Betrag mehr zur Verfügung stehen würde.

Nach den Beschlüssen des Vollstreckungsgerichts käme allenfalls
die Pfändbarkeit der von der Beklagten zu 1) zu gewährenden Wit-
wenrente in Betracht. Hierüber hat der Senat jedoch nicht zu
entscheiden. Das Urteil des LSG, mit dem der Beklagte zu 2) zur
Zahlung von 297,10 DM verurteilt, die Klage gegen die Beklagte zu
1) jedoch in vollem Umfang abgewiesen worden ist, ist nämlich nur
von dem Beklagten zu 2) mit der Revision angefochten worden. Die
Klägerin dagegen hat keine Revision eingelegt. Das angefochtene
Urteil ist daher einer Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur
insoweit zugänglich, als es sich um die von dem Revisionskläger
(= Beklagter zu 2) angegriffene Verurteilung zur Zahlung von
297,10 DM als pfändbaren Betrag handelt. Hinsichtlich der Klage-
abweisung gegenüber der Beklagten zu 1) ist das Urteil des LSG
zwischen den Beteiligten bindend geworden, da es diesbezüglich
weder von der Klägerin noch der Beklagten zu 1) bzw den Beigela-
denen angegriffen und auch eine Anschlußrevision innerhalb eines
Monats nach Zustellung der Revisionsbegründungsschrift nicht
eingelegt worden ist (BSGE 44, 184).

Da das SG somit im Ergebnis zutreffend die Klage gegen den Be-

- 28 -

klagten zu 2) betreffend den Monat Juni 1981 abgewiesen hat, war
das angefochtene Urteil insoweit zu ändern und die Berufung gegen
das Urteil des SG betreffend den Zeitraum Juni 1981 zurückzuwei-
sen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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BSG, 2 BU 15/91 vom 09.08.1991, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT
2 BU 15/91

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

Kläger, Antragsteller
und Beschwerdeführer,
gesetzlich vertreten durch seinen Pfleger ... ,
Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt ...,

gegen

Bayerischer Gemeindeunfallversicherungsverband,
München 40, Ungererstraße 71,
Beklagter, Antragsgegner
und Beschwerdegegner.

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat am 9. August 1991
durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. K. sowie
Richter W. und Dr. B.
beschlossen:

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Nichtzu-
lassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht Prozeßkosten-
hilfe zu bewilligen und ihm Rechtsanwalt M..... beizuordnen,
wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision
im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Oktober
1990 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe :

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Pflege oder Pfle-
gegeld wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 23. März 1979.
Den Antrag des Klägers, ihm Pflegegeld zu gewähren, lehnte der
Beklagte ab, weil der Kläger nicht infolge des Arbeitsunfalls,
sondern durch seine paranoide Schizophrenie hilflos sei
(formloses Schreiben vom 4. Februar 1986, Widerspruchsbescheid
vom 10. Februar 1987). Vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg und
dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG) hat der Kläger eben-
falls keinen Erfolg gehabt (Urteile vom 19. Juli 1988, berich-
tigt am 6. Oktober 1988 - S 2 U 57/87 - und vom 24. Oktober 1990
- L 2 U 204/88 -) .

Sein Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Ver-
fahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht
(BSG) war abzulehnen; die nicht in zulässiger Form begründete
Beschwerde war zu verwerfen.

Prozeßkostenhilfe kann dem Kläger allein deshalb nicht gewährt
werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinrei-
chende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Sozialgerichtsgesetz -
SGG- iVm § 114 Abs 1 Satz 1 Zivilprozeßordnung idF des Gesetzes
über die Prozeßkostenhilfe vom 13. Juni 1980 - BGBl I 677 -).
Zulassungsgründe iS des § 160 Abs 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das
LSG ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht

- 3 -

nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG festgelegten
gesetzlichen Form. Nach der ständigen Rechtsprechung erfordert
§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG, daß die Zulassungsgründe schlüssig
dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47, 54, 58). Daran
fehlt es der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat keinen der in
§ 160 Abs 2 SGG genannten Zulassungsgründe formgerecht bezeichnet
oder dargelegt. In seiner Beschwerdebegründung erwähnt er noch
nicht einmal eine einzige Vorschrift des SGG für das Verfahren
der Nichtzulassungsbeschwerde.

Zur Begründung der Grundsätzlichkeit einer Rechtssache iS des
§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG muß erläutert werden, daß und warum in dem
angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein
würde, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat
(BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Der Beschwerdebegründung fehlt es
sowohl an der konkreten Formulierung einer Rechtsfrage als auch an
der schlüssigen Darlegung, warum das angedeutete Rechtsproblem
klärungsbedürftig ist.

Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG hat der Beschwerde-
führer nicht schlüssig bezeichnet, weil er die Entscheidung des
BSG, von der die Entscheidung des LSG abweichen soll, nicht mit
Datum und Aktenzeichen genau bezeichnet hat und auch die Angabe
fehlt, mit welchem tragenden Rechtssatz der angefochtenen
Entscheidung das LSG von welcher genau bezeichneten tragenden
rechtlichen Aussage eine Entscheidung des BSG abgewichen sein
soll (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14).

- 4 -

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefoch-
tene Entscheidung beruhen kann. Auch daran fehlt es der Be-
schwerdebegründung.

Zweck des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde ist es nicht,
das Urteil eines LSG daraufhin zu überprüfen, ob das materielle
Recht zutreffend angewandt worden ist. Deshalb kann der Kläger
in diesem Verfahren nicht mit dem Argument gehört werden, das
LSG habe den Grundsatz der Subsidiarität sozialhilferechtlicher
Leistungen grundlegend verkannt.


Aus den oben angeführten prozeßrechtlichen Gründen ist es dem
Senat verwehrt, zu dieser materiell-rechtlichen Frage Stellung
zu nehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung
des § 193 SGG.

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BSG, 1 RK 23/96 vom 18.02.1997, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: 1 RK 23/96

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Schwäbisch Gmünder Ersatzkasse,
73529 Schwäbisch Gmünd, Gottlieb-Daimler-Straße 19,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung
am 18. Februar 1997 durch den Präsidenten von W. ,
die Richter S. und Dr. D. sowie die ehrenamtliche
Richterin D. und den ehrenamtlichen Richter H.
für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom
26. September 1996 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

Der 1938 geborene Kläger leidet an einer Niereninsuffizienz, derentwegen er sich seit
Dezember 1993 zwei- bis dreimal wöchentlich einer Dialysebehandlung unterziehen muß.

Für die Fahrten zwischen seiner Wohnung in Wilhelmshaven und dem Dialysezentrum in
Jever benötigt er ein Taxi. Die beklagte Ersatzkasse übernahm aufgrund der Härtefallre-
gelung des § 62 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für 1994 den die Bela-
stungsgrenze übersteigenden Teil der notwendigen Fahrkosten. Eine darüber hinausge-
hende, generelle Kostenübernahme nach Maßgabe des § 60 Abs 2 Satz 1 SGB V lehnte
sie ab, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt seien (Bescheid vom
9. März 1994; Widerspruchsbescheid vom 9. September 1994).

Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht
(LSG) hat im Urteil vom 26. September 1996 ausgeführt, auf § 60 Abs 2 Satz 1 Nr 4
SGB V lasse sich der geltend gemachte Anspruch nicht stützen. Diese Bestimmung sehe
bei Fahrten zu einer ambulanten Krankenbehandlung eine Kostenübernahme nur für den
Fall vor, daß dadurch eine an sich gebotene vollstationäre oder teilstationäre Kranken-
hausbehandlung vermieden werde. Dialysebehandlungen würden aber regelmäßig ambu-
lant durchgeführt, so daß der angesprochene Gesichtspunkt bei ihnen nicht zum Tragen
komme. Da die Regelung in § 60 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB V vom Gesetzgeber bewußt eng
gefaßt worden sei, scheide auch eine analoge Anwendung der Bestimmung auf andere,
vom Wortlaut nicht erfaßte Tatbestände aus. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 3
Abs 1 Grundgesetz (GG) werde durch die Nichteinbeziehung der Dialysebehandlungen in
die gesetzliche Regelung nicht verletzt.

Mit der Revision macht der Kläger geltend, die Dialyse müsse im Hinblick auf den damit
verbundenen zeitlichen, personellen und medizinisch-technischen Aufwand einer teilsta-
tionären Behandlung gleichgesetzt werden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebiete,
daß bei Dialysepatienten ebenso wie bei anderen Schwerkranken die mit der medizini-
schen Versorgung in Zusammenhang stehenden Fahrkosten von der Krankenkasse ge-
tragen werden.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. September 1996 und

des Sozialgerichts Oldenburg vom 25. Oktober 1995 aufzuheben und die Beklagte

unter Abänderung des Bescheides vom 9. Mai 1994 in der Gestalt des Wider-

- 3 -

spruchsbescheides vom 9. September 1994 zu verurteilen, ihm den Eigenanteil an
den Fahrkosten zu Dialysebehandlungen ab April 1994 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Zwischen den Beteiligten besteht Übereinstimmung, daß die Beklagte die Kosten des
Klägers für Fahrten zur Dialysebehandlung nach der Härtefallregelung des § 62 Abs 1
SGB V insoweit zu tragen hat, als sie die dort festgelegte individuelle Belastungsgrenze
übersteigen. Eine darüber hinausgehende, generelle Übernahme dieser Kosten, wie sie
der Kläger begehrt, läßt das geltende Recht nicht zu. Die klageabweisenden Urteile der
Vorinstanzen sind deshalb zu bestätigen.

Zu der Frage, ob und inwieweit die durch eine Krankenbehandlung verursachten Fahrko-
sten zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, trifft das Ge-
setz eine differenzierende Regelung: Nach der Grundnorm des § 60 Abs 2 Satz 1 SGB V
sind diese Kosten von der Krankenkasse nur bei bestimmten, in der Vorschrift genannten
Sachverhalten zu tragen, während sie im übrigen dem Verantwortungsbereich des Versi-
cherten zugerechnet werden. Demgegenüber hat die Kasse nach § 60 Abs 2 Satz 2
SGB V unabhängig von der Art der Leistung einzutreten, wenn die Kosten den Versicher-
ten unzumutbar belasten würden, sei es, daß er wegen seines geringen Einkommens
überhaupt keine Eigenleistungen erbringen kann (§ 61 SGB V) oder daß die entstehen-
den Aufwendungen eine von der Einkommenshöhe abhängige Grenze der zumutbaren
Eigenbelastung überschreiten (§ 62 SGB V). Gemäß § 60 Abs 2 Satz 1 SGB V übernimmt
die Krankenkasse die einen Betrag von 20,00 DM je Fahrt übersteigenden Fahrkosten bei
Fahrten zu einer stationären Behandlung (Nr 1), bei Rettungsfahrten (Nr 2), bei Kranken-
transporten (Nr 3) sowie bei Fahrten zu einer ambulanten Krankenbehandlung einschließ-
lich einer Behandlung nach § 115a oder § 115b SGB V, wenn dadurch eine an sich ge-
botene vollstationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt
wird oder diese nicht ausführbar ist (Nr 4).

Da die Dialysebehandlungen des Klägers ambulant durchgeführt werden und keinen
qualifizierten Krankentransport iS der Nr 3 erfordern, kommt als Grundlage des geltend
gemachten Anspruchs allein § 60 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB V in Betracht. Wie das LSG
zutreffend ausgeführt hat, sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift jedoch nicht erfüllt;

- 4 -

denn die Dialyse gehört nicht zu den Leistungen, durch die eine "an sich gebotene"
stationäre Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt wird. Der Senat braucht
nicht zu entscheiden, ob mit dieser Wendung nur Ausnahmefälle erfaßt werden sollen, in
denen eine aus medizinischer Sicht eigentlich notwendige stationäre Behandlung aus be-
sonderen Gründen ambulant vorgenommen wird (so wohl Krauskopf, Soziale Krankenver-
sicherung und Pflegeversicherung, Stand Juni 1996, § 60 SGB V RdNr 16), oder ob dar-
unter, wofür die Einbeziehung der Leistungen nach § 115b SGB V spricht, auch solche
Behandlungen fallen, die zwar bisher (noch) überwiegend stationär erbracht werden,
grundsätzlich aber auch ambulant durchführbar sind und durchgeführt werden. Nachdem
Dialysebehandlungen regelmäßig ambulant erbracht werden und allenfalls beim Auftreten
von Komplikationen eine stationäre Aufnahme nach sich ziehen, werden sie vom Rege-
lungsgehalt des § 60 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB V in keinem Fall erfaßt.

Mit Recht hat es das LSG auch abgelehnt, § 60 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB V auf Fahrten zur
Dialysebehandlung analog anzuwenden. Eine Erstreckung des Anwendungsbereichs der
Vorschrift auf weitere, nicht ausdrücklich genannte Fälle einer ambulanten Behandlung
käme nur in Betracht, wenn die getroffene Regelung gemessen an den mit ihr verfolgten
Zielen unvollständig wäre und durch die Einbeziehung ähnlicher, vom Gesetzeszweck
ebenfalls erfaßter Sachverhalte ergänzt werden müßte. Für die Annahme einer solchen
planwidrigen Gesetzeslücke ist indessen nach dem Inhalt der Vorschrift und der ihr
zugrundeliegenden Regelungsabsicht kein Raum.

Bereits die Tatsache, daß das Gesetz die Übernahme der durch eine medizinische
Behandlung verursachten Fahrkosten durch die Krankenkasse auf bestimmte, genau
umschriebene Sachverhalte beschränkt und den Versicherten im übrigen in § 60 Abs 2
Satz 2 SGB V auf die Härteklauseln der §§ 61 und 62 SGB V verweist, macht deutlich,
daß die Regelung Ausnahmecharakter hat und die privilegierten Tatbestände abschlie-
ßend erfassen will. Dies wird durch die Rechtsentwicklung bestätigt. Während der
frühere, am 31. Dezember 1988 außer Kraft getretene § 194 Abs 1 Reichsversicherungs-
ordnung (RVO) noch generell die Erstattung der im Zusammenhang mit einer Leistung
der Krankenkasse erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten ein-
schließlich eines notwendigen Gepäcktransports vorgesehen hatte, hat das Gesundheits-
Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) die Ansprüche auf Reise-
kostenerstattung drastisch eingeschränkt. Seither werden nur noch Fahrkosten und auch
diese nur in besonderen Fällen übernommen. Die Fahrkosten zu einer ambulanten
Behandlung hat der Versicherte grundsätzlich selbst zu tragen. Ausgenommen hiervon
waren nach der ursprünglichen, auf dem GRG beruhenden Fassung des § 60 Abs 2
Satz 1 SGB V nur Rettungsfahrten zum Krankenhaus und Krankentransporte in einem
speziellen Krankentransportfahrzeug. Der Gesetzgeber war der Auffassung, daß
einerseits die starke, durch eine weitgehend unkritische Verordnung von Krankenfahrten
seitens der Ärzte und Krankenhäuser mitverursachte Kostenbelastung der Kranken-

- 5 -

kassen finanziell nicht länger vertretbar, andererseits angesichts des hohen Grades der
Motorisierung und des zumindest im städtischen Bereich dichten Netzes öffentlicher Ver-
kehrsmittel eine umfassende Kostenübernahme auch nicht zwingend geboten sei
(Regierungsentwurf zum GRG, BR-Drucks 200/88 S 186 Begr zu § 68). Das
Gesundheits-Strukturgesetz (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266) hat den
Katalog der zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung zählenden
Fahrkosten um den Tatbestand des jetzigen § 60 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB V erweitert,
ohne das der Vorschrift zugrundeliegende Regel-Ausnahmeprinzip aufzugeben. Ange-
sichts dessen ist nicht zweifelhaft, daß die Aufzählung der für eine Kostenerstattung in
Frage kommenden Fälle abschließend sein soll.

Der Annahme einer unbeabsichtigten Regelungslücke als Voraussetzung für eine analoge
Anwendung des § 60 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB V auf Fahrten zu Dialysebehandlungen steht
aber vor allem der aus der Entstehungsgeschichte ersichtliche Zweck dieser Vorschrift
entgegen. Im Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. vom 5. No-
vember 1992 (BT-Drucks 12/3608 S 82) ist ihre Einführung damit begründet worden, daß
dadurch Anreize zur Vermeidung oder Verkürzung einer stationären Behandlung geschaf-
fen werden sollten. Im Unterschied zu den in § 60 Abs 2 Satz 1 Nrn 1 bis 3 SGB V ge-
nannten Sachverhalten, bei denen die überdurchschnittliche Höhe der zu erwartenden Ko-
sten den Grund für die Ausnahmeregelung abgibt, ging es bei den Behandlungsfällen
nach Nr 4 darum, das Ziel einer Verlagerung von Leistungen aus dem stationären in den
ambulanten Bereich nicht durch eine Schlechterstellung der ambulanten Behandlungsal-
ternativen bei der Fahrkostenerstattung zu gefährden. Mit Blick auf diese gesetzgeberi-
sche Absicht sind Dialysebehandlungen den in § 60 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB V aufgeführ-
ten Behandlungen von vornherein nicht vergleichbar, so daß es insoweit an einem analo-
giefähigen Tatbestand fehlt. Diese Konsequenz ist im Gesetzgebungsverfahren aus-
drücklich gesehen und gebilligt worden. Der Ausschuß für Gesundheit des Deutschen
Bundestages, auf dessen Beschlußempfehlung vom 7. Dezember 1992 (BT-Drucks
12/3930 S 17) der endgültige Text der Vorschrift zurückgeht, hat in seinem Bericht vom
8. Dezember 1992 (BT-Drucks 12/3937 S 12) wörtlich ausgeführt: "Für Leistungen, die
grundsätzlich ambulant erbracht werden (zB Dialysebehandlungen) bringt die Neurege-
lung keine Änderung gegenüber dem bisherigen Recht, da bei solchen Behandlungen
stationäre oder teilstationäre Krankenhauspflege nicht erforderlich ist und damit auch
nicht vermieden werden kann." Das Problem der Fahrkosten bei Dialysebehandlungen
und allgemein bei ambulanten Dauer- oder Serienbehandlungen war dem Gesetzgeber
demnach bekannt und sollte bewußt nicht in dem von der Revision befürworteten Sinne
einer Einbeziehung dieser Leistungen in die Kostenerstattungsregelung gelöst werden.

Zu Unrecht beruft sich der Kläger für seinen Rechtsstandpunkt auf den Gleichbehand-lungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG. Abgesehen davon, daß die gesetzliche Regelung
gegen den erklärten Willen des Gesetzgebers auch im Wege einer ver-

- 6 -

fassungskonformen Auslegung nicht auf Fahrten zu Dialysebehandlungen erstreckt
werden könnte (vgl dazu BVerfGE 8, 28, 34; 70, 35, 63 f mwN; Hesse, Grundzüge des
Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 19. Aufl, RdNr 80), gibt es für die
Privilegierung der in § 60 Abs 2 Satz 1 SGB V genannten Tatbestände hinreichende
sachliche Gründe. Daß Dialysebehandlungen auf der einen und die in § 60 Abs 2 Satz 1
Nr 4 SGB V aufgeführten ambulanten Leistungen auf der anderen Seite in bezug auf die
Erstattung von Fahrkosten unterschiedlich behandelt werden, ist angesichts des mit der
genannten Vorschrift verfolgten Zwecks sachgerecht. Der Umstand, daß die Dialyse
wegen der Häufigkeit und der Zeitdauer der Behandlung sowie des erforderlichen perso-
nellen und medizinisch-technischen Aufwands einer teilstationären Behandlung vergleich-
bar sein mag, zwingt auch nicht dazu, sie hinsichtlich der Übernahme von Fahrtkosten
einer stationären Therapie iS des § 60 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V gleichzusetzen. Anders
als in den Fällen des § 60 Abs 2 Satz 1 Nrn 1 bis 3 SGB V, in denen es darum geht, den
Versicherten von dem Risiko einer einmaligen hohen Kostenbelastung freizustellen,
verteilen sich die - in der Summe unter Umständen ebenfalls hohen - Fahrkosten bei
Dialysebehandlungen regelmäßig über einen längeren Zeitraum. Insoweit wird jedoch
durch die Regelung in § 62 Abs 1 SGB V sichergestellt, daß die finanzielle Ge-
samtbelastung des Versicherten durch Fahrkosten sowie Zuzahlungen zu Arznei-,
Verband- und Heilmitteln längerfristig nicht über einen zumutbaren Eigenanteil hinaus an-
wächst. Im Hinblick auf diese Unterschiede und bei Berücksichtigung der
Härtefallregelung ist die Differenzierung zwischen Fahrten zur stationären Behandlung auf
der einen und den auf lange Sicht vergleichbar kostenaufwendigen Fahrten zu einer
ambulanten Langzeitbehandlung auf der anderen Seite verfassungsrechtlich nicht zu be-
anstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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BSG, 1 RK 23/95 vom 09.12.1997, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: 1 RK 23/95

Kläger und Revisionsbeklagter,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Barmer Ersatzkasse,

Untere Lichtenplatzer Str. 100-102, 42289 Wuppertal,

Beklagte und Revisionsklägerin.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom
9. Dezember 1997 durch die Richter S. - Vorsitzender - , Dr. D.
und Dr. S. sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. B.
und B.

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-
Westfalen vom 27. Juli 1995 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 9. September
1994 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

Der 1987 geborene Kläger leidet an einer Phenylketonurie, einer angeborenen Störung
des Eiweißstoffwechsels, bei der die Aminosäure Phenylalanin vom Körper nicht abge-
baut werden kann. Die Krankheit erfordert eine Diät, deren Grundlage phenylalaninfreie
Eiweißersatzpräparate bilden. Daneben müssen haushaltsübliche Getreideprodukte wie
Mehl, Brot, Backwaren, Teigwaren, Gebäck und Pasteten durch eiweißarme Spezialnah-
rungsmittel aus dem Reformhaus ersetzt werden.

Die beklagte Ersatzkasse, bei welcher der Kläger über seine Mutter krankenversichert ist,
trägt die Kosten für die als Arzneimittel eingestuften Eiweißersatzpräparate. Die Über-
nahme der Kosten für die eiweißarmen Nahrungsmittel lehnte sie dagegen mit Bescheid
vom 28. März 1989 (Widerspruchsbescheid vom 21. August 1989) ab, weil die Kranken-
versicherung für die Beschaffung von Lebensmitteln des täglichen Bedarfs auch dann
nicht aufzukommen habe, wenn aus Krankheitsgründen eine besondere, kostenaufwen-
digere Ernährung vonnöten sei.

Während das Sozialgericht (SG) die dagegen gerichtete Klage abgewiesen hat, hat das
Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verurteilt, dem Kläger die durch die notwendige
eiweißarme Ernährung entstandenen Mehrkosten im Verhältnis zu den Kosten der Ernäh-
rung eines gesunden gleichaltrigen Versicherten zu erstatten (Urteil vom 27. Juli 1995).

Es hat ausgeführt: Lebensmittel seien zwar im Regelfall auch dann keine Arznei- oder
Heilmittel, wenn ihnen über den allgemeinen Ernährungszweck hinaus eine spezifische
Heilwirkung zukomme, wie dies bei den eiweißarmen Getreideprodukten der Fall sei. Et-
was anderes müsse jedoch ausnahmsweise gelten, wenn der Versicherte auf die beson-
dere Ernährung angewiesen und ihm die Beschaffung der teureren Spezialnahrungsmittel
unter Abwägung mit den Interessen der Solidargemeinschaft wirtschaftlich nicht zumutbar
sei. Letzteres sei hier der Fall gewesen, denn die Mutter des Klägers habe zeitweise von
Sozialhilfe gelebt und die zusätzlichen Mittel für die Krankenkost in Höhe von mindestens
100,-- DM pro Monat nicht aufbringen können.

Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Der Krankenbe-
handlungsanspruch umfasse nach § 27 Abs 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB V) die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, nicht aber die Be-
reitstellung von Mitteln des allgemeinen Lebensbedarfs. Für Mehraufwendungen, welche
durch eine besondere krankheitsbedingte Lebensführung entstünden, habe die Kranken-
versicherung grundsätzlich keinen Ersatz zu leisten, es sei denn, daß ausdrücklich etwas
anderes geregelt sei. Hiervon könne nicht je nach den Umständen des Einzelfalles abge-
wichen werden. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten sei schon vom

- 3 -

Ansatz her kein geeigneter Gradmesser für die Leistungsverpflichtung eines Trägers der
gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 1995 aufzu-
heben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold
vom 9. September 1994 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Mehraufwendungen für besondere
krankheitsverträgliche Nahrungsmittel seien typische Folgekosten der Krankheit und mit-
hin dem Risikobereich der Krankenversicherung zuzurechnen. Dies rechtfertige es, sie
jedenfalls dann der Krankenkasse aufzubürden, wenn der Versicherte mit der Aufbrin-
gung der zusätzlichen Mittel wirtschaftlich überfordert sei.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung der klageabwei-
senden Entscheidung erster Instanz.

Nach dem Tenor des angefochtenen Urteils hat das Berufungsgericht nur über die Er-
stattung der bei Erlaß des Urteils bereits entstandenen Kosten entschieden. Es hat damit
das Klagebegehren, das auf Übernahme der durch die eiweißarme Ernährung bedingten
Mehraufwendungen ohne zeitliche Begrenzung gerichtet war, nicht ausgeschöpft. Da nur
die Beklagte Revision eingelegt hat, ergeben sich daraus jedoch keine prozessualen Fol-
gerungen. In der Sache selbst kann der Auffassung des LSG nicht gefolgt werden. Der
Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der durch den Verzehr eiweißarmer Spezial-
nahrungsmittel entstandenen krankheitsbedingten Mehrkosten.

Als Rechtsgrundlage des vom LSG angenommenen Erstattungsanspruchs kommt nur
§ 13 Abs 3 (früher Abs 2) SGB V in Betracht. Danach hat die Krankenkasse, wenn sie
eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt hat, dem Versicherten die für die Beschaffung der Leistung aufgewen-
deten Kosten zu erstatten. Da der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle eines an sich
gegebenen Sachleistungsanspruchs tritt, kann er nur bestehen, soweit die selbstbe-
schaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, welche die gesetzlichen Kran-
kenkassen als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Das ist bei den im Streit
befindlichen Diätnahrungsmitteln nicht der Fall.

- 4 -

Die von der Krankenkasse zu gewährende Krankenbehandlung umfaßt neben der ärztli-
chen Behandlung ua nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V die Versorgung mit Arznei-,
Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Diätnahrungsmittel sind keine Heilmittel iS der genannten
Vorschrift, weil sie zum Verzehr und nicht zur äußeren Einwirkung auf den Körper be-
stimmt sind (zum Begriff des Heilmittels vgl BSGE 28, 158, 159 f = SozR Nr 30 zu § 182
RVO Bl Aa 28; BSGE 46, 179, 182 = SozR 2200 § 182 Nr 32 S 62; BSG SozR 3-2200
§ 182 Nr 11 S 47 f). Als Arzneimittel dürfen sie nach den Arzneimittelrichtlinien des Bun-
desausschusses der Ärzte und Krankenkassen (AMRL) von den an der vertragsärztlichen
Versorgung teilnehmenden Ärzten nicht verordnet werden (vgl Nr 17.1 Buchst i AMRL
vom 31. August 1993 - BAnz 1993 Nr 246; ebenso früher: Nr 21 Buchst i AMRL vom
19. Juni 1978 - Beilage zum BAnz 1978 Nr 235). Sie sind damit von der Anwendung zu
Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Die auf der Grundlage
des § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V erlassenen AMRL regeln als untergesetzliche Rechts-
normen den Umfang und die Modalitäten der Arzneimittelversorgung mit verbindlicher
Wirkung sowohl für die Vertragsärzte und die Krankenkassen als auch für die Versicher-
ten (allgemein zur Rechtsqualität und Tragweite der Richtlinien der Bundesausschüsse
der (Zahn)Ärzte und Krankenkassen: Senatsurteil vom 16. September 1997 - 1 RK 32/95,
zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Das Verordnungsverbot für Diätle-
bensmittel und Krankenkost hält sich im Rahmen der dem Bundesausschuß der Ärzte
und Krankenkassen erteilten Rechtsetzungsermächtigung. Zwar bezieht sich diese Er-
mächtigung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur auf den Erlaß
von Vorschriften zur Sicherung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen
Arzneimittelversorgung und gibt dem Bundesausschuß nicht die Befugnis, selbst Inhalt
und Grenzen des Arzneimittelbegriffs festzulegen (BSGE 66, 163, 164 = SozR 3-2200
§ 182 Nr 1 S 2; BSGE 67, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 2 S 4; BSGE 72, 252, 255
= SozR 3-2200 § 182 Nr 17 S 81 f). Der Regelung in Nr 17.1 Buchst i AMRL liegt indes-
sen kein vom Gesetz abweichender Arzneimittelbegriff zugrunde. Sie zieht mit dem Aus-
schluß von Diätnahrungsmitteln aus der vertragsärztlichen Versorgung lediglich die recht-
liche Konsequenz daraus, daß derartige Produkte keine Arzneimittel im krankenversiche-
rungsrechtlichen Sinne sind.

Der Begriff des Arzneimittels wird im SGB V selbst nicht erläutert. Nach der Definition des
Arzneimittelgesetzes (AMG), die im wesentlichen mit dem allgemeinen Sprachgebrauch
übereinstimmt, sind darunter Substanzen zu verstehen, deren bestimmungsgemäße Wir-
kung darin liegt, Krankheitszustände zu erkennen, zu heilen, zu bessern, zu lindern oder
zu verhüten (vgl § 2 Abs 1 AMG idF der Bekanntmachung vom 19. Oktober 1994 - BGBl I
3018). Die in Rede stehenden eiweißarmen Getreideprodukte dienen demgegenüber in
erster Linie der Ernährung. Sie treten an die Stelle haushaltsüblicher Back- und Teigwa-
ren, deren Verzehr dem Kläger wegen ihrer krankheitsverschlimmernden Wirkung versagt
ist. Ihre durch den vorrangigen Verwendungszweck begründete Eigenschaft als Nah-

- 5 -

rungs- bzw Lebensmittel (vgl § 1 Abs 1 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz idF
der Bekanntmachung vom 9. September 1997 - BGBl I 2390) verlieren sie nicht dadurch,
daß sie speziell zu dem Zweck hergestellt werden, eine auf die Krankheit abgestimmte
Ernährungsweise zu ermöglichen. Als Lebensmittel sind sie, wie § 2 Abs 3 Nr 1 AMG
ausdrücklich klarstellt, keine Arzneimittel. Sie gehören damit auch nicht zur Arzneimittel-
versorgung als Teil der Krankenbehandlung. Dabei kann offenbleiben, ob der Arzneimit-
telbegriff des SGB V in jeder Hinsicht mit demjenigen des AMG übereinstimmt
(verneinend: BSGE 67, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 2 S 4; BSG SozR 3-2200 § 182
Nr 11 S 46; bejahend: Schlenker, DOK 1987, 236 ff; ders, SGb 1988, 473 ff). Darauf
kommt es nicht an, weil jedenfalls in dem hier interessierenden Punkt der Unterscheidung
und Abgrenzung zwischen Arzneimitteln auf der einen und Nahrungsmitteln auf der ande-
ren Seite keine Abweichung besteht.

Eine Ausweitung des Arzneimittelbegriffs durch Einbeziehung von Diät- oder Krankenkost
widerspräche der begrenzten Aufgabenstellung der gesetzlichen Krankenversicherung.

Diese verfolgt nicht das Ziel, den Versicherten vor krankheitsbedingten Nachteilen umfas-
send zu schützen. Bei der Vielzahl von Auswirkungen, die eine Krankheit auf die Le-
bensführung des Betroffenen haben kann, wäre das Krankenversicherungsrisiko nicht
sachgerecht begrenzbar, wenn es sich auf alle durch die Krankheit veranlaßten Aufwen-
dungen erstrecken würde. Die Leistungspflicht der Krankenkassen ist deshalb, soweit das
Gesetz nichts anderes vorschreibt, auf Maßnahmen beschränkt, die gezielt der Krank-
heitsbekämpfung dienen. Mehrkosten und andere Nachteile und Lasten, die der Versi-
cherte im täglichen Leben wegen der Krankheit hat, sind der allgemeinen Lebenshaltung
zuzurechnen und nicht von der Krankenkasse zu tragen (vgl BSGE 42, 16, 18 f = SozR
2200 § 182 Nr 14 S 30 f; BSGE 42, 229, 231 = SozR 2200 § 182b Nr 2 S 3; BSGE 53,
273, 275 = SozR 2200 § 182 Nr 82 S 161 f). Das gilt grundsätzlich auch für Mehraufwen-
dungen, die durch eine besondere, krankheitsangepaßte Ernährungsweise entstehen
(BSG SozR 2200 § 182 Nr 88 S 183; BSGE 63, 99, 100 = SozR 2200 § 182 Nr 109 S 234;
vgl zur identischen Risikoabgrenzung im Beihilferecht des öffentlichen Dienstes: OVG
Rheinland-Pfalz, Der öffentliche Dienst 1995, 291; VGH Baden-Württemberg, Zeitschrift
für Beamtenrecht 1985, 255; im sozialen Entschädigungsrecht: BSGE 64, 1 = SozR 3100
§ 11 Nr 17; im Sozialhilferecht: BverwG Buchholz 427.3 § 276 LAG Nr 15).

Dementsprechend hat der 3. Senat des BSG schon zum früheren Recht der Reichsversi-
cherungsordnung (RVO) entschieden, daß Lebensmittel, auch soweit ihnen über ihren
generellen Ernährungszweck hinaus eine spezifische krankheitsheilende, krankheitslin-
dernde oder verschlimmerungshemmende Wirkung zukommt, keine Arzneimittel im Sinne
des Leistungsrechts der Krankenversicherung sind (Urteil des 3. Senats vom 18. Mai
1978 - BSGE 46, 179, 182 = SozR 2200 § 182 Nr 32 S 82).

Dieser Rechtsstandpunkt ist entgegen der Ansicht des LSG nicht dadurch relativiert wor-
den, daß derselbe Senat in späteren Entscheidungen zu § 182 Abs 1 RVO die Auffassung

- 6 -

vertreten hat, eine Krankenkost könne von der Krankenkasse ausnahmsweise gewährt
werden, wenn zu der Heilwirkung der Kost für den einzelnen Versicherten noch beson-
ders gravierende Umstände, insbesondere eine unzumutbar hohe finanzielle Belastung
durch die im Vergleich zu üblichen Lebensmitteln teureren Diätpräparate, hinzuträten
(Urteile vom 23. März 1983 - SozR 2200 § 182 Nr 88 S 183 und vom 23. März 1988 -
BSGE 63, 99, 100 = SozR 2200 § 182 Nr 109 S 234; ähnlich für andere Gegenstände des
allgemeinen Lebensbedarfs: BSGE 65, 154, 157 = SozR 2200 § 368e Nr 13 S 35; BSGE
67, 36, 37 = SozR 3-2500 § 27 Nr 2 S 3). Damit ist nicht zum Ausdruck gebracht worden,
daß beim Vorliegen derartiger Umstände die Krankenkost zum Arzneimittel wird. Die Re-
vision weist mit Recht darauf hin, daß die Arzneimitteleigenschaft einer Substanz durch
den Verwendungszweck bestimmt wird und nichts mit der wirtschaftlichen Leistungsfähig-
keit des Versicherten zu tun hat. Andernfalls könnte ein und dasselbe Produkt je nach der
Situation des Erkrankten einmal Arzneimittel sein und ein anderes Mal nicht. Die ange-
führten Entscheidungen haben nicht den Arzneimittelbegriff modifiziert, sondern vielmehr
das Spektrum der im Gesetz vorgesehenen Leistungen erweitert. Das war nach früherem
Recht nicht ausgeschlossen; denn § 182 Abs 1 Nr 1 RVO enthielt, wie das Wort
"insbesondere" im Einleitungssatz der Vorschrift verdeutlicht, keine abschließende Auf-
zählung der als Krankenpflege zu gewährenden Leistungen und ließ damit Raum für eine
Ausweitung des Leistungskatalogs. Insofern konnte die Gewährung der Krankenkost in
den genannten Ausnahmefällen als eine besondere Leistung der Krankenpflege neben
den in § 182 Abs 1 Nr 1 RVO ausdrücklich genannten Leistungsarten angesehen werden.

Diese Möglichkeit ist mit dem Inkrafttreten des SGB V am 1. Januar 1989 entfallen. Der
jetzige § 27 Abs 1 Satz 2 SGB V regelt den Umfang der Krankenbehandlung bewußt ab-
schließend (Begründung zum Entwurf des Gesundheitsreformgesetzes, BT-Drucks
11/2237 S 170). Die Krankenkassen sind damit grundsätzlich auf die in der Vorschrift ge-
nannten Leistungen beschränkt; außerhalb etwaiger Modellvorhaben nach § 63 Abs 2
SGB V können neue Leistungsarten nur vom Gesetzgeber eingeführt werden (Höfler in
Kasseler Kommentar, § 27 SGB V RdNr 58; von Maydell in Gemeinschaftskommentar
zum SGB V § 27 RdNr 77). Die bisherige Rechtsprechung, auf die das LSG seine Ent-
scheidung gestützt hat, kann deshalb für das geltende Recht nicht aufrechterhalten wer-
den.

Mit der Aussage, daß Lebensmittel, auch wenn es sich um Diät- oder Krankenkost han-
delt, keine Leistungen der Krankenversicherung sind, weicht der Senat von der Rechts-
auffassung ab, die dem Urteil des für die knappschaftliche Krankenversicherung zustän-
digen 8. Senats des BSG vom 27. September 1994 - 8 RKn 9/92 (USK 94110) zugrunde
liegt. Der 8. Senat hat dort auch für das neue Recht daran festgehalten, daß ein Lebens-
mittel (im konkreten Fall ein handelsübliches Heilwasser) ausnahmsweise zum Arznei-
mittel werden könne, wenn zu der Heilwirkung besonders gravierende Umstände, etwa
eine unzumutbare finanzielle Belastung des Versicherten, hinzukämen. Einer Anfrage
gemäß § 41 Abs 3 SGG wegen der insoweit bestehenden Divergenz bedarf es gleichwohl

- 7 -

nicht, weil vorliegend ein Anspruch des Klägers auch bei Zugrundelegung der Rechtsauf-
fassung des 8. Senats zu verneinen wäre. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil
vom 10. Mai 1995 (SozR 3-2500 § 33 Nr 15) entschieden, daß krankheitsbedingte Mehr-
kosten beim Kauf von Gegenständen des allgemeinen Lebensbedarfs nur dann als
"besonders gravierender Umstand" gewertet werden können, wenn bei den betreffenden
Gütern der Teil der Herstellungskosten überwiegt, der allein auf die therapeutische Wir-
kung des Mittels zurückzuführen ist. Nur dann trete die Bedeutung als Gebrauchsgegen-
stand für den Versicherten in den Hintergrund, so daß eine Beteiligung der Krankenkasse
an den Aufwendungen zu rechtfertigen sei. Ausgehend hiervon würde eine Leistungs-
pflicht der Beklagten auch auf dem Boden der früheren Rechtsprechung ausscheiden,
weil die vom Kläger benötigten Back- und Teigwaren, wie sich aus den von ihm vorge-
legten und bei den Akten befindlichen Preislisten ersehen läßt, durchweg weniger als
doppelt so teuer sind wie gleichartige haushaltsübliche Produkte.

Nach alledem konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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BSG, 1 RA 63/70 vom 11.11.1971, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht

Az. 1 RA 63/70

Verkündet
am 11 November
1971,
Amtsinspektor
als Urk. Beamter
d. Gesch.Stelle

Im Namen des Volkes

Urteil
in dem Rechtsstreit
Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte;

gegen

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Berlin 54,

Ruhrstraße 2,

Beklagte und Revisionsbeklagteo

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die
mündliche Verhandlung vom 11 November 1971 durch

Präsident Prof. Dr. W.
- Vorsitzender -,
Bundesrichter Dr. S. ,
Bundesrichter S. ,
Bundessozialrichter M. und
Bundessozialrichter B.

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des
Landessozialgerichts Niedersachsen vom 42 Dezember
1969 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung
an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

- 2 -

Gründe

I

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der
Angestelltenversicherung. Die Beklagte lehnte seine "form-
losen Anträge" vom 15. November und 17. November 1965 durch
Bescheid vom 18. April 4967 ab, weil der Kläger es trotz
mehrfacher Aufforderung unterlassen habe, die für die
Rentengewährung erforderlichen Antragsvordrucke auszu-
füllen und einzureicheno Das Sozialgericht (SG) Braun-
schweig hat durch Urteil vom 15. Januar 1968 die gegen den
Bescheid gerichtete Klage abgewiesen.

Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger unter Ver-
wendung eines Antragsvordrucks der Bundesversicherungsan-
stalt für Angestellte (BfA) am 48. Oktober 1968 Rente be-
antragte Die Beklagte hat auch diesen Antrag durch Bescheid
vom 1. Oktober 1969 angelehnt, weil die für die Rentenge-
währung erforderlichen Voraussetzungen nicht hätten geklärt
werden können.

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat durch Ur-
teil vom 12. Dezember 1969 die Berufung des Klägers zurück-
gewiesen und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten
vom 1. Oktober 1969 abgewiesen. Es hat die Revision nicht
zugelassen.

Der Kläger hat gleichwohl dieses Rechtsmittel eingelegte
Er rügt vor allem Verletzung des § 103 des Sozialgerichts-
gesetzes (SGG) im Verfahren des LSG. Er beantragt, ihm
die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Ver-
säumung der Revisionsfrist und Revisionsbegründungsfrist
zu gewähren, das angefochtene Urteil sowie das Urteil des
SG Braunschweig vom 15. Januar 1968 und die Bescheide der

- 3 -

Beklagten vom 18. April 1967 und vom 10. Oktober
1969 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen, hilfsweise, das ange-
fochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu ver-
werfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.

II

Die Revision des Klägers ist zulässig und insofern begründet,
als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das
LSG zurückzuverweisen is.

Dem Kläger ist auf seinen Antrag gemäß § 67 iVm §§ 165, 153
SGG gegen die Versäumung der Revisionseinlegungs- und Revisione-
begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu ge-
währen, nachdem er innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses über die Bewilligung des Armenrechts die Revision
eingelegt und begründet hat.

Obgleich das LSG die Revision nicht gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1
SGG zugelassen hat, ist Sie nach § 162 Abs. 4 Nr. 2 SGG statt-
haft, weil die Revision ordnungsgemäß als wesentlichen Mangel
im Verfahren des Berufungsgerichts Verletzung des § 103 SGG
rügt, der auch vorliegt (BSG 1, 150).

In den Gründen seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht
ausgeführt, nach § 204 des Angestelltenversicherungsgesetzes
(AVG) iVm § 1613 Abs. 5 Satz 1 der Reichsversicherungs-
ordnung (RVO) habe die Beklagte den Sachverhalt aufzuklären.
Das bedinge aber eine Mitwirkung des Antragstellers, wie sich
aus § 1613 Abs. 1 Satz 2 RVO ergebe, Da der Kläger sich

- 4 -

beharrlich weigere, an dieser notwendigen Aufklärung des Sache
verhalts mitzuwirken, indem er zunächst kein Antragsformular
eingesandt und später eine Untersuchung verweigert habe, habe
die Beklagte mit Recht den Rentenantrag abgelehnt, weil sie
nicht in der Lage gewesen sei, den Sachverhalt aufzuklären.
Zur Beurteilung der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit des Klägers
sei die Einholung eines ärztlichen Gutachtens über seinen
Gesundheitszustand unerläßlich gewesene Die im Versorgungs-
verfahren vorgenommenen Untersuchungen seien für die Frage der
Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit im Rentenverfahren nicht
zugrunde zu legen, da hier andere Gesichtspunkte Geltung
hätten. Alle von dem Kläger im Laufe des Verfahrens gemachten
Ausführungen lägen neben der Sache und hätten mit der recht-
lichen Beurteilung des hier zu entscheidenden Falles, nämlich
ob die Beklagte mit Recht den Antrag auf Rente abgelehnt habe
oder nicht, nichts zu tun.

Das LSG hat damit seiner Pflicht nicht genügt, gemäß § 105 SGG
den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen.

Dem LSG lagen die Versicherunkarten des Klägers vor, Sie
reichten - wie der Tatbestand des angefochtenen Urteils auch
zeigt - aus, das Versicherungsleben des Klägers und die Tätig-
keiten festzustellen und zu beurteilen, in denen er versiche-
rungspflichtig beschäftigt gewesen ist,

ln der Regel ist der Versicherte verpflichtet, bei der Beweis-
erhebung über seine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit sich von
dem ihm bezeichneten Arzt untersuchen zu lassen, soweit die
vorgesehenen Untersuchungen zumutbar sind, Er braucht sich
schon einer solchen Untersuchung nicht zu unterziehen, wenn
er sich für seine Weigerung auf einen triftigen Grund berufen
kann (vgl. hierzu BSG 20, 166, 168). Hierzu sind in dem an-
gefochtenen Urteil keine Feststellungen getroffen.


- 5 -

Verweigert der Versicherte die ärztliche Untersuchung ohne be-
rechtigten Grund, so darf ohne die für erforderlich gehaltene
Untersuchung nach Lage der im übrigen ausreichend geklärten
Akten nur entschieden werden, wenn er nachweislich die Auf-
forderung zur Untersuchung erhalten hat und ihm die Folgen
einer unbegründeten Weigerung angedroht sind. Es ist jedoch
nicht zulässig, allein wegen der Weigerung des Versicherten,
sich untersuchen zu lassen, in jedem Falle von vornherein auf
jede Beweiserhebung zu verzichten und auch den Versuch zu unter-
lassen, ein Gutachten nach Lage der bereits vorhandenen ärzt-
lichen Untersuchungsbefunde und Gutachten zu erstellen, deren
Beiziehung möglich gewesen wäre, oder ohne die behandelnden
Ärzte des Versicherten bzw. die von ihm selbst angegebenen
Ärzte anzuhören (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversiche-
rung, Bde III so 672 sowie Bd; II so 244 k VII). Das Bundes-
sozialgericht (BSG) hat bereits ausgesprochen, daß das Gericht
seine Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) verletzt, wenn es, ohne
festzustellen, ob es für die Erstattung eines weiteren Gut-
achtens einer erneuten Untersuchung des Beschädigten bedarf,
allein wegen der Weigerung des Beschädigten, sich erneut unter-
suchen zu lassen, von der Einholung eines Gutachtens über medi-
zinische Fragen absieht (BSG in SozR Nr. 43 zu § 103 SGG).'

In dem vorliegenden Fall hat der Kläger seinem Schreiben vom
29. Dezember 1966 an die BfA eine auszugsweise Abschrift des
Bescheides des Versorgungsamts (VersorgA) Braunschweig vom
13. Dezember 1966 über die von diesem anerkannten Schädi-
gungsfolgen beigefügte Das LSG hätte ohne Beiziehung der
Akten des VersorgA die Sachaufklärung nicht als erschöpft an-
sehen dürfen. Das LSG hätte prüfen müssen, ob sich die Er-
werbsunfähigkeit des Klägers aus den ärztlichen Befunden und
Beurteilungen ergeben konnte, die sich in den Strafakten und
in den Akten des VersorgA befinden, worauf der Kläger sich
berufen hat (Bl 2 und 8 LSG-Akten).

- 6 -

Schließlich hat sich der Kläger zum Beweis für seine Erwerbs-
unfähigkeit — so müssen seine Ausführungen in seiner Klage-
schrift (Bl 5 und 8 LSG-Akten) aufgefaßt werden — auf die
Stellungsnahmen der Ärzte Dr. K und Dr. G II,
beide in Goslar, bezogene Er hat sich bereit erklärt,
Dr. G II von der ärztlichen Schweigepflicht zu ent-
binden. Er hat des weiteren ärztliche Bescheinigungen des
Dr. Guischard (Lungenfacharzt) vom 24. Januar 1967 und des
Dr. K (praktischer Arzt) vom 21. Januar 1967 in Abschrift
vorgelegt (Bl 22 LSG-Akten). In seinem Schriftsatz vom
4. Januar 1968 hat er nochmals erklärt, daß das LSG von

Dr. G II ein Gutachten erhalten könne, wenn ein ent-
sprechender Auftrag erteilt werde (Bl 54 LSG-Akten).

Es ist nicht auszuschließen, daß anhand der in den Akten des
VersorgA und in den Strafakten vorhandenen ärztlichen Befunde
und Gutachten Rückschlüsse zur Feststellung der Erwerbsun-
fähigkeit des Klägers gezogen werden können. Es ist des
weiteren möglich, daß die vom Kläger angegebenen Ärzte für die
Beurteilung seiner Erwerbsfähigkeit ausreichende Beweise hätten
vorbringen können. Das LSG hätte im Rahmen seiner Pflicht,
den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, diese möglichen
Beweise erheben müssen. Der gerügte Mangel einer Verletzung
des § 103 SGG liegt mithin im Verfahren des LSG vor.

Da die Revision schon aus diesem Grunde gemäß § 162 Abs. 1
Nr. 2 SGG statthaft ist, bedarf es keiner weiteren Prüfung,
ob auch die weiteren, von der Revision vorgebrachten Ver-
fahrensrügen durchgreifen.

Die hiernach zulässige Revision ist auch begründet, da nicht
auszuschließen ist, daß das LSG zu einem anderen Ergebnis ge-
langt wäre, wenn es gesetzmäßig verfahren wären Das ange-
fochtene Urteil ist deshalb aufzuheben. Dem Berufungsgericht
muß zunächst Gelegenheit gegeben werden, die erforderlichen Er-

- 7 -

mittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts durchzuführen.
Hierfür muß die Sache gemäß § 170 Abs. 2 SGG an das LSG zu-
rückverwiesen werden.

Bei seiner das Verfahren abschließenden Entscheidung wird des
LSG auch über die Erstattung von außergerichtlichen Kosten
des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

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BVerfG, 1 BvR 535/07 vom 30.03.2007, Bundesverfassungsgericht
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BVR 535/07 -

In dem Verfahren
über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn B...

— Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Matthias Altfeld,
Konstanzer Straße 62, 10707 Berlin —

gegen a) den Beschluss des Landessozialgerichts
Berlin—Brandenburg
vom 22. Januar 2007 — L 18 B 1194/06 AS ER —,

b) den Beschluss des Sozialgerichts Berlin
vom 25. Oktober 2006 — S 101 AS 8862/06 ER —

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungs-
gerichts durch den Präsidenten P.
und die Richter S.‚
G.

gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung
der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl 1 S. 1473)
am 30. März 2007 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht
zur Entscheidung angenommen.

- 2 -

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung an-
genommen, weil die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 des Bun-
desverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) nicht vorliegen. Die
Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

Der Beschwerdeführer hat die Verfassungsbeschwerde nicht
den gesetzlichen Anforderungen entsprechend (§ 23 Abs. 1
Satz 2, § 92 BVerfGG) begründet. Eine Verletzung von Art. 19
Abs. 4 GG ist nicht hinreichend dargetan. Insbesondere ist
nicht ersichtlich, dass mit dem Abwarten der Hauptsacheent-
ischeidung nicht mehr rückgängig zu machende Nachteile verbun-
den sind. § 22 Abs. 5 Satz 1 und 2 und Abs. 6 Zweites Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) enthält eine Regelung zur Sicherung
der Unterkunft gerade im Fall einer Räumungsklage. Der vor-
rangige Einsatz von geschütztem Vermögen oder nicht anrechen-
barem Einkommen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit kann
nach einer zusprechenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren
ausgeglichen werden.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1
Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

P. S. G.

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BVerfG, 1 BVR 3250/13 und 1 BVR 3251/13 vom 05.12.2013, Bundesverfassungsgericht
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

-1 BVR 3250/13 -

-1 BVR 3251/13 -

In den Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerden

des Herrn W...,

1. gegen a) den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg
vom 25. Oktober 2013 - S 19 AS 3294/13 RG —,

b) den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg
vom 16. September 2013 - S 19 AS 2594/13 ER -

u n d Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

u n d Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

- 1 BVR 3250/13 -,

2. gegen a) den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg
vom 25. Oktober 2013 - S 19 AS 3265/13 RG -‚

b) den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg
vom 20. September 2013 - S 19 AS 2665/13 ER —

u n d Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

u n d Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten K.,
den Richter M.
und die Richterin Baer

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekannt-
machung vom 11. August 1993 (BGBI I S. 1473)
am 5. Dezember 2013 einstimmig beschlossen:

Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wer-
den abgelehnt, weil die Verfassungsbeschwerden keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg bieten.

Die rechtzeitig eingelegten Verfassungsbeschwerden
werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie
mangels hinreichender Begründung gemäß § 23 Abs. 1
Satz 2, § 92 BVerfGG unzulässig sind; von einer weiteren
Begründung wird insoweit nach § 93d Abs. 1. Satz 3
BVerfGG abgesehen.

Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
sind gegenstandslos.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

K. M. B.

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BVerfG, 1 BvR 2471/12 vom 27.12.2012
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

-1 BvR 2471/12 -

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde

der Frau H ...,
gegen das Urteil des Bundessozialgerichts
vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 189/11 R -
und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines
Rechtsanwalts

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten K.,
den Richter S.
und die Richterin B.
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekannt-
machung vom 11. August 1993 (BGB! I S. 1473)
am 27. Dezember 2012 einstimmig beschlossen:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und
Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, da die
beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne Aussicht auf Erfolg
ist.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung
angenommen, da sie mangels Rechtswegerschöpfung
(§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) unzulässig ist.

- 2-

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BverfGG
abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

K. S. B.

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BVerfG, 1 BvR 2203/12, 1 BvR 2233/12 und 1 BvR 2234/12 vom 12.07.2012, Bundesverfassungsgericht
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2203/12 -

- 1 BvR 2233/12 -

- 1 BvR 2234/12 -

In den Verfahren
über die Verfassungsbeschwerden
der Frau H...,

I.

1. unmittelbar gegen das Urteil des Bundessozialgerichts

vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 153/11 R -,

2. mittelbar gegen
a) § 20 SGB II n. F.,
b) die neue Regelbedarfsverordnung
und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

und Beiordnung eines Rechtsanwalts

- 1 BvR 2203/12 -,

II.
1. unmittelbar gegen
den Beschluss des Bundessozialgerichts

vom 13. September 2012 - B 14 AS 78/12 B -,

2. mittelbar gegen
a) § 20 SGB II,
b) die neue Regelbedarfsverordnung
und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

und Beiordnung eines Rechtsanwalts

- 1 BvR 2233/12 -,

- 2 -

III.
gegen
den Beschluss des Bundessozialgerichts

vom 13. September 2012 - B 14 AS 79/12 B -,
und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

und Beiordnung eines Rechtsanwalts

- 1 BvR 2234/12 –

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

den Vizepräsidenten K.,
den Richter S.
und die Richterin B.

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekannt-
machung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 20. November 2012
einstimmig beschlossen:

Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und
Beiordnung eines Rechtsanwalts werden abgelehnt, da
die beabsichtigten Rechtsverfolgungen ohne Aussicht auf
Erfolg sind.

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entschei-
dung angenommen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG
abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

K. S. B.

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BVerfG, 1 BVR 1686/93 vom 20.10.1993, Bundesverfassungsgericht
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

— 1 BVR 1686/93 —

In dem Verfahren
über

den Antrag

des Herrn

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Ulrich Zimmer,
Südwall 3, Celle -

auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zur Erhebung einer
Verfassungsbeschwerde

gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 16. Juli 1993 - III ZR 60/92 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungs—
gerichts durch die Richter Henschel,
Seidl‚
Grimm

am 20. Oktober 1993 einstimmig beschlossen:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe
wird abgelehnt.

G r ü n d e :

Dem Antragsteller kann keine Prozeßkostenhilfe gewährt wer-
den, weil die beabsichtigte Verfassungsbeschwerde keine hin-
reichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand wegen Versäumung der Monatsfrist gemäß § 93
Abs. 2 Satz 1 BVerfGG kommt nicht in Betracht. Im Falle der
Mittellosigkeit kann Wiedereinsetzung nach Gewährung von Pro-
zeßkostenhilfe nur dann gewährt werden, wenn die mittellose
Partei alles Zumutbare getan hat, um das bestehende Hindernis
alsbald zu beheben. Die Fristversäumung ist daher grundsätz-
lich nur dann unverschuldet‚ wenn der Antragsteller innerhalb
der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG alle für die Ent-
scheidung über das Prozeßkostenhilfegesuch wesentlichen Anga-
ben und Unterlagen verlegt. Dazu gehört auch, daß er ent—
sprechend § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO wenigstens im Kern deutlich
macht‚ welche verfassungsrechtliche Beanstandung er gegen das
angegriffene Urteil erheben will. Dieser Darlegungspflicht ist
der Antragsteller nicht in zumutbarer Weise nachgekommen. Er
hat sich vielmehr auf die formelhafte Angabe beschränkt, daß
die Verletzung von Grundrechten und sonstigen verfassungs-
rechtlichen Rechten gerügt werden solle‚ und ausdrücklich
erklärt, daß eine weitergehende Begründung des Prozeßkosten-
hilfeantrags nicht beabsichtigt sei.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Henschel Seidl Grimm

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BVerfG, 1 BvR 1601/08 vom 04.02.2009, Bundesverfassungsgericht

Instanz 1: S 14 KR 69/08 ER

Instanz 2: L 5 B 314/08 KR ER

Bundesverfassungsgericht

1 BvR 1601/08

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des

gegen den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts

vom 3. Juni 2008 – L 5 B 314/08 KR ER -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

die Richterin H.-D.
und die Richter G.
K.

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11.August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 4. Februar 2009 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

- 2 -

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahme-
gründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbe-
schwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, denn sie ist unzulässig.

Die Verfasssungsbeschwerde genügt den Begründungsanforderungen des § 23
Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht.

Der Beschwerdeführer rügt, ihm würden durch die Entscheidung des Landesso-
zialgerichts lebensnotwendige Leistungen vorenthalten bzw. die Nichterstattung
von Fahrkosten führe zu einem Unterschreiten des Existenzminimums. Seinen Ausfüh-
rungen ist jedoch schon nicht zu entnehmen, wie oft er neben der Dialyse-Behandlung zusätzliche
ambulante Behandlungen benötigt, wo diese im Einzelnen stattfinden und
welche Kosten hierdurch entstehen. Ebenso wenig legt der Beschwerdeführer dar,
dass die Nichterstattung dieser Kosten dazu führt, dass das Existenzminimum nicht
mehr gewährleistet ist. Angaben zu seiner konkreten Einkommens- und Vermögens-
situation als auch zu den persönlichen Lebensumständen fehlen ebenso wie Darle-
gungen zu den tatsächlichen finanziellen Belastungen, die durch Fahrten zu am-
bulanten ärztlichen Behandlungen entstehen. Der Beschwerdeführer legt auch nicht
dar, dass er sich wegen der Übernahme von Fahrtkosten an das Sozialamt gewandt
hätte. Zwar wird nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB XII der Bedarf des notwendigen Le-
bensunterhalts mit Ausnahme der Leistungen für Unterkunft und Heizung und der
Sonderbedarfe nach Regelsätzen erbracht, jedoch werden die Bedarfe abweichend
festgelegt, wenn im Einzelfall ein Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich
vom einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII), diese
Öffnungsklausel erlaubt auch die Übernahme erhöhter Fahrkosten, die über das hin-
ausgehen, was an Fahrtkosten durch die Regelsätze abgegolten sind (vgl.
Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 28 Rn. 13)

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BverfGG
abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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später Instanz 2: L 5 B 748/08 KR ER C

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BVerfg, 1 BvR 1411/91 vom 09.08.1991, Bundesverfassungsgericht
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1411/91 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn

- Bevollmächtigter Rechtsanwalt M.,

gegen den Beschluß des Bundessozialgerichts
vom 9 August 1991 - 2 BU 15/9 -
und Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungs-
gerichts durch den Präsidenten H.
und die Richter G.,
S.

am 18 Dezember 1991 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht
zur Entscheidung angenommen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozeß-
kostenhilfe wird abgelehnt.

- 2 -

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sich der
Beschwerdeführer gegen die Ablehnung der Bewilligung von
Prozeßkostenhilfe wendet und soweit er hinsichtlich der Ver-
werfung der Nichtzulassungsbeschwerde die Verletzung des
Art. 11 GG rügt. Im übrigen bietet die Verfassungsbeschwerde
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 93b Abs. 1 Satz 1
r. 2 BVerfGG ).

1. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde verlangt
nach § 92 BVerfGG, daß der Beschwerdeführer innerhalb der
Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG die Möglichkeit einer Grund-
rechtsverletzung hinreichend deutlich darlegt (vgl. BVerfGE
81, 347 [355]). Dies ist hier hinsichtlich der Ablehnung der
Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nicht der Fall. Es ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Gewährung
von Prozeßkostenhilfe davon abhängig gemacht wird, daß die
beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf
Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (vgl. BVerfGE 81,
347 [357]). Es ist aufgrund des Vorbringens des Beschwerde-
führers nicht erkennbar, daß das Bundessozialgericht bei der
ihm obliegenden Auslegung und Anwendung des § 114 Satz 1 ZPO
die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten
Rechtsverfolgung und damit den Zweck der Prozeßkostenhilfe,
dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht
zu ermöglichen, deutlich verfehlt haben könnte (vgl. BVerfGE
81, 347 [359]). Es ist dem Beschwerdeführer durch die Ableh-
nung der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe auch nicht der
Zugang zu den Gerichten verwehrt worden, denn er hatte mit
dem Prozeßkostenhilfeantrag seine Nichtzulassungsbeschwerde
bereits eingelegt und begründet. Auch soweit der Beschwerde-
führer einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG hinsichtlich
der Ablehnung der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe rügt,
fehlt es an einer ausreichenden Begründung der Verfassungsbe-
schwerde.

- 3 -

2. a) Soweit der Beschwerdeführer hinsichtlich der Verwer-
fung der Nichtzulassungsbeschwerde wegen der Nichtgewährung
der nach seiner Ansicht vorrangigen Sozialversicherungslei-
stungen vor den nur subsidiären Sozialhilfeleistungen eine
Verletzung des Art. 11 GG rügt, fehlt es ebenfalls an einer
hinreichenden Darlegung der Möglichkeit einer solchen Grund-
rechtsverletzung. Das Bundessozialgericht hat über den An-
spruch auf Pflegegeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung
in der Sache nicht entschieden. Es hat vielmehr festgestellt,
daß der Beschwerdeführer die formalen Voraussetzungen der
§§ 160, 160 a SGG für eine zulässige Nichtzulassungsbeschwer-
de nicht erfüllt hat.

b) Soweit der Beschwerdeführer in der Verwerfung seiner
Nichtzulassungsbeschwerde eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1
GG sowie des "Grundsatzes des sozialen Rechtsstaates (Art. 20
GG )" erblickt, bietet die Verfassungsbeschwerde keine hinrei-
chende Aussicht auf Erfolg.

aa) Gegen den Vertretungszwang nach § 166 SGG bestehen
keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Bundesverfassungs-
gericht hat wiederholt ausgesprochen, daß die Anrufung der
Gerichte von der Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzun-
gen abhängig gemacht werden darf, zu denen auch die ordnungs-
gemäße Vertretung durch einen zugelassenen Prozeßbevollmäch-
tigten gehören kann (vgl. BVerfGE 9, 194 [199 f.]; 10, 264
[267 f.]). Auch folgt aus dem Sozialstaatsprinzip bei dem
durch einen Rechtsanwalt vertretenen Beschwerdeführer hin-
sichtlich der Anwendung des § 166 SGG keine gesteigerte Für-
sorgepflicht. Es war von Verfassungs wegen nicht geboten, den
Beschwerdeführer auf die fehlende Erfüllung der formalen
Voraussetzungen für eine zulässige Nichtzulassungsbeschwerde
hinzuweisen, zumal aus Art. 103 Abs. 1 GG keine allgemeine
Frage- und Aufklärungspflicht in bezug auf die Rechtsansicht
des Gerichts folgt (vgl. BVerfGE 74, 1 [5]).

- 4 -

bb) Im übrigen kann das Bundesverfassungsgericht, da das
Bundessozialgericht lediglich anhand der §§ 160, 160 a SGG
über die Nichtzulassung der Revision wegen formaler Begrün-
dungsmängel entschieden hat, den Beschluß des Bundessozialge-
richts nur daraufhin überprüfen, ob das Revisionsgericht bei
der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Zulas-
sung der Revision, die den Fachgerichten obliegt, Verfas-
sungsrecht verletzt hat. Verfassungsrecht ist aber nicht
schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen
Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muß gera-
de in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen. Verfas-
sungsrecht ist nur dann verletzt, wenn Auslegungsfehler
sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen
Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere
vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer
materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von eini-
gem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]). Derartige
Fehler im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer als verletzt
gerügten Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte enthält
der angegriffene Beschluß nicht.

Mit Art. 19 Abs. 4 GG ist es vereinbar, wenn das Bundesso-
zialgericht seine wesentliche Aufgabe in der Wahrung und
Fortentwicklung des Rechts sieht und daher die Zulassung der
Revision aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde von be-
stimmten formalen Voraussetzungen abhängig macht, wie von
Begründungs-, Darlegungs- und Bezeichnungserfordernissen
innerhalb der Begründungsfrist von zwei Monaten nach Zustel-
lung des Urteils gemäß § 160 a Abs 2 Satz 1 und 3 SGG . Da-
nach ist es nicht zu beanstanden, wenn das Bundessozialge-
richt feststellt, eine Abweichung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 2
SGG habe der Beschwerdeführer nicht schlüssig bezeich-
net, weil er die Entscheidung des Bundessozialgerichts, von
der das Urteil des Berufungsgerichts abgewichen sein solle,
nicht mit Datum und Aktenzeichen genau bezeichnet habe und
auch die Angabe fehle, mit welchem tragenden Rechtssatz der
angefochtenen Entscheidung das Landessozialgericht von wel-

- 5 -

cher genau bezeichneten tragenden rechtlichen Aussage einer
Entscheidung des Bundessozialgerichts abgewichen sein solle.

Es ist nachvollziehbar, daß es das Bundessozialgericht
nicht genügen läßt, wenn der Gegner des Beschwerdeführers im
Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren oder der Beschwerdeführer
selbst erst nach Ablauf der Begründungsfrist dasjenige Ur-
teil, von dem das Berufungsgericht abgewichen sein soll, mit
Datum und Aktenzeichen bezeichnet hat. Weiter ist es nach-
vollziehbar, wenn das Bundessozialgericht den Darlegungen des
Beschwerdeführers in seiner Nichtzulassungsbeschwerdeschrift
nicht die Angabe zu entnehmen vermochte, mit welchem tragen-
den Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung des Berufungs-
gerichts von welcher genau bezeichneten tragenden rechtlichen
Aussage einer Entscheidung des Bundessozialgerichts abgewi-
chen sein soll.

Von Verfassungs wegen ist es ferner nicht zu beanstanden,
wenn das Bundessozialgericht im Hinblick auf die Begründung
der Grundsätzlichkeit der Rechtssache im Sinne des § 160
Abs. 2 Nr. 1 SGG die Erläuterung verlangt, daß und warum in
dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtssache erheb-
lich sein würde, die über den Einzelfall hinaus allgemein
Bedeutung habe, und wenn es vorliegend in der Begründung der
Nichtzulassungsbeschwerde sowohl die konkrete Formulierung
einer Rechtsfrage als auch die schlüssige Darlegung, warum
das angedeutete Rechtsproblem klärungsbedürftig sei, vermißt.

Schließlich ist es nachvollziehbar, daß das Bundessozialge-
richt davon ausgeht, der Beschwerdeführer habe in seiner Be-
gründung keinen Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem die
angefochtene Entscheidung beruhen könne. Wenn das Bundessozi-
algericht den "Grundsatz der Subsidiarität sozialhilferecht-
licher Leistungen" in durchaus naheliegender Weise als ein
materiell-rechtliches, nicht aber als ein verfahrensrechtli-
ches Problem wertet, so liegt darin auch keine Verletzung des
Art. 103 Abs. 1 GG , denn diese Norm verpflichtet das Gericht
nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (vgl. BVerfGE
64, 1 [12]).

- 6 -

Da das Bundessozialgericht danach in verfassungsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise zur Annahme der Unzulässigkeit
der Nichtzulassungsbeschwerde gelangt ist, hat es auch nicht
dadurch gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, daß es aus Grün-
den des formellen Rechts auf weiteres Vorbringen des Be-
schwerdeführers, insbesondere dazu, daß das Berufungsgericht
grundlegend fehlerhaft entschieden habe, nicht eingegangen
ist.

3. Da die Verfassungsbeschwerde teilweise unzulässig ist
und im übrigen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat,
ist der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe abzuleh-
nen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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BVerfG, 1 BvR 1301/86 vom 15.06.1988, Bundesverfassungsgericht
- 1 BvR 1301/86 -

Beschluß des Ersten Senats vom 15. Juni 1988
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau Z. - Bevoll-
mächtigter: Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Philipp, Viktoriastraße 12, Mann-
heim - gegen das Urteil des Bundessozialgerichts vorn 24. September 1986

- 8 RK 8/85 -

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

GRÜNDE:

A.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Entscheidung
des Bundessozialgerichts, mit der die Revision der Beschwerdefüh-
rerin gegen das Urteil eines Sozialgerichts zurückgewiesen wurde.

Dieses hat die Klage der Beschwerdeführerin gegen ihre gesetzliche
Krankenversicherung auf Unterlassung der Finanzierung von
„rechtswidrigen“ Abtreibungen als unzulässige Popularklage abge-
wiesen.

I.

Das nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Fe-
bruar 1975 (BVerfGE 39, 1 - Fristenregelung) verkündete Fünf-
zehnte Strafrechtsänderungsgesetz vom 18. Mai 1976 (BGBl. I
S. 1213) hat §218a StGB neu gefaßt. Danach ist ein mit Einwilli-
gung der Schwangeren durch einen Arzt vorgenornmener Abbruch
der Schwangerschaft nicht nach §218 StGB strafbar, wenn nach
ärztlichen Erkenntnissen eine medizinische, eine eugenische, eine
ethische oder eine soziale Indikation vorliegt.

Durch § 1 Nr. 2 des Gesetzes über ergänzende Maßnahmen zum
fünften Strafrechtsrefonngesetz (Strafrechtsreform-Ergänzungsge-
setz - StREG) vom 28. August 1975 (BGB1. I S. 2289) wurde in den
zweiten Abschnitt des Zweiten Buches der Reichsversicherungs-
ordnung ein neuer Unterabschnitt ,,IIIa. Sonstige Hilfen" einge-
fügt. Danach haben Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse
oder einer ihnen nach § 507 Abs. 4 RVO gleichgestellten Ersatzkas-
se bei einem nicht rechtswidrigen Abbruch der Schwangerschaft
Anspruch auf Krankenkassenleistungen. Für die Leistungsgewäh-
rung gelten grundsätzlich die für die Krankenhilfe maßgeblichen
Vorschriften. Im einzelnen lauten die Bestimmungen:

§ 200f RVO

Versicherte haben Anspruch auf Leistungen bei einer nicht rechtswid-
rigen Sterilisation und bei einem nicht rechtswidrigen Abbruch der
Schwangerschaft durch einen Arzt. Es werden ärztliche Beratung über
die Erhaltung und den Abbruch der Schwangerschaft, ärztliche Untersu-
chung und Begutachtung zur Feststellung der Voraussetzungen für eine
nicht rechtswidrige Sterilisation oder für einen nicht rechtswidrigen
Schwangerschaftsabbruch, ärztliche Behandlung, Versorgung mit Arz-
nei-, Verband- und Heilmitteln sowie Krankenhauspflege gewährt. An-
spruch auf Krankengeld besteht, wenn Versicherte wegen einer nicht
rechtswidrigen Sterilisation oder wegen eines nicht rechtswidrigen Ab-
bruchs der Schwangerschaft durch einen Arzt arbeitsunfähig werden, es
sei denn, es besteht Anspruch nach § 182 Abs. 1 Nr. 2.
§ 200 g RVO

Die für die Krankenhilfe geltenden Vorschriften gelten für die Lei-
stungsgewährung nach den §§200e und 200f entsprechend, soweit
nichts Abweichendes bestimmt ist. …

Der in §200f Satz 1 RVO verwendete Begriff des „nicht rechts-
widrigen“ Abbruchs der Schwangerschaft wird von der im sozial-
rechtlichen Schrifttum herrschenden Auffassung mit der in §218a
Abs. 1 Satz 1 StGB gebrauchten Formulierung „nicht strafbar“
gleichgesetzt (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung,
Bd. I/2, S. 284 k, 285, 286; Peters, Handbuch der Krankenversiche-
rung, Teil II, Band 2, Anm. 4 zu §200f RVO; Schroeder-Printzen
in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Kommentar, 2. Aufl.,
Anm. 3 zu §200f RVO; Aye/Göbelsmann/Müller/Schieckel/
Schroeter, RVO-Gesamtkommentar, Anm. 5 zu §200 f, S. 248).

Dem folgend gewähren die gesetzlichen Krankenkassen ihren Mit-
gliedern bei nach § 218 a StGB nicht strafbaren Schwangerschafts-
abbrüchen die nach den Vorschriften über die Krankenhilfe vorge-
sehenen Leistungen.

II.

1. Nach §54 Abs. 5 SGG kann mit der Klage vor den Sozialge-
richten die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsan-
spruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungs-
akt nicht zu ergehen hatte.

Die Beschwerdeführerin erhob unter Berufung auf diese Vor-
chrift Klage beim Sozialgericht und beantragte:

1. die Beklagte zu verurteilen, solange sie Mitglied der Beklag-
ten ist, Leistungen nach §§ 200 f und 200 g RVO, § 17a Abs. 2
bis 4 der Versicherungsbedingungen der Beklagten an Versi-
cherte oder mitgeschützte Personen ausschließlich für solche
Schwangerschaftsabbrüche zu erbringen, die wegen nach-
weislichen Vorliegens der Indikation nach § 218 a Abs. 1 StGB
nicht rechtswidrig sind, und für jeden Fall der Zuwiderhand-
lung ein Ordnungsgeld anzudrohen, dessen Höhe in das Er-
messen des Gerichts gestellt wird,

2. hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen,
solange die Klägerin Mitglied der Beklagten ist, für Schwan-
gerschaftsabbrüche Leistungen nach §§ 200f und 200g RVO, 4
§ 17 a Abs. 2 bis 4 der Versicherungsbedingungen der Beklag-
ten an Versicherte oder mitgeschützte Personen zu erbringen,
ohne daß sie

a) die Nichtrechtswidrigkeit,

b) hilfsweise die Nichtstrafbarkeit des Schwangerschaftsab-
bruches in angemessener Weise selbst überprüft hat, sowie für
jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld anzudro-
hen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Das Sozialgericht war anfänglich der Auffassung, die Klage sei
nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig. Das Begehren der Beschwerdefüh-
rerin sei nicht auf die abstrakte Feststellung der Ungültigkeit einer
Norm, sondern darauf gerichtet, die beklagte Krankenkasse zu
verpflichten, konkretes Verwaltungshandeln einzustellen.

Das Gericht setzte das Verfahren aus und legte dem Bundesver-
fassungsgericht die Frage vor, ob die §§ 200 f, 200g RVO insoweit
mit Art. 2 Abs. 1, ferner mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3
Abs. 1 sowie mit Art.4 Abs. 1 GG vereinbar seien, als in diesen
Vorschriften Kassenleistungen für solche Schwangerschaftsabbrü-
che vorgeschrieben seien, die aus anderen Gründen als dem Vorlie-
gen einer lndikation nach § 218 a Abs. 1 StGB rechtmäßig seien.

Das Bundesverfassungsgericht sah die Vorlage als unzulässig an.

Grundsätzlich sei eine auf § 54 Abs. 5 SGG gestützte vorbeugende
Unterlassungsklage eines Mitglieds gegen seine gesetzliche Kran-
kenkasse statthaft. Die von der Beschwerdeführerin erhobene Kla-
ge sei jedoch als Popularklage unzulässig. §54 Abs. 5 SGG eröffne
nicht die Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle. Hinsicht-
lich der Begründung der Entscheidung im einzelnen wird auf den
Beschluß des Ersten Senats vom 18.April 1984 - 1BvL 43/81 -
(BVerfGE 67, 26) verwiesen.

2. Auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
verfolgte die Beschwerdeführerin ihr Klagebegehren weiter.

Das Sozialgericht wies die Klage ab. Sie sei unzulässig, weil es der
Beschwerdeführerin an der erforderlichen Klagebefugnis fehle.

Diese könne nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-
gerichts zur Klagebefugnis von Zwangsmitgliedern öffentlich-
rechtlicher Verbände begründet werden; denn diese Rechtspre-
chung lasse sich nicht auf Zwangsmitgliedschaften im Bereich des
Sozialversicherungsrechts übertragen. Bei der Erfüllung staatlicher
Aufgaben durch die Träger der Sozialversicherung gehe es nicht um
die Interessenvertretung bestimmter Bevölkerungsgruppen, son-
dern um die Wahrnehmung von Gemeinwohlinteressen. Mitglieder
des Zwangsverbandes hätten keinen Anspruch auf Leistungen an
einen Dritten. Entsprechend gebe es keinen Rechtsanspruch eines
Mitglieds darauf, daß die Leistung gegenüber einem Dritten einge-
stellt werde. Die Kontrolle über die Mittelverwendung obliege den
Selbstverwaltungsorganen und den Aufsichtsbehörden.

Das Bundessozialgericht hat die Sprungrevision der Beschwerde-
führerin zurückgewiesen. Auch für die reine Leistungsklage nach
§54 Abs.5 SGG sei ein Rechtsschutzbedürfnis erforderlich. Die
Beschwerdeführerin sei durch die beanstandeten Leistungen der
Beklagten nicht in ihren eigenen Rechten verletzt, weil diese sich
nicht unmittelbar gegen ihren Rechtskreis richteten.

Auf Art. 2 Abs. 1 GG könne die Beschwerdeführerin ihr Verlan-
gen auf Einstellung der nach ihrer Ansicht rechtswidrigen Verwal-
tungspraxis der Beklagten nicht stützen. Wollte man jedem Mit-
glied wegen seiner versicherungsrechtlichen Zwangsmitgliedschaft
das Recht zugestehen, von ihm mißbilligte Leistungen an andere
Mitglieder gerichtlich überprüfen zu lassen, so würde dies zu einer
gesetzlich nicht vorgesehenen abstrakten Rechtskontrolle führen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen das Urteil des
Bundessozialgerichts. Die Beschwerdeführerin rügt Verletzung
von Art. 2 Abs. 1, von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1,
von Art.4 Abs. 1 und Art. 19 Abs.4 GG durch die angegriffene
Entscheidung, wobei sie nur Ausführungen zu Art. 2 Abs. 1 und
Art. 19 Abs. 4 GG macht und im übrigen auf den gesamten bisheri-
gen Vortrag, insbesondere auf die Revisionsbegründung nebst
nachfolgenden Schriftsätzen an das Bundessozialgericht verweist.

Sie trägt vor:

Während des ganzen Verfahrens habe sie die Auffassung vertre-
ten, daß §§ 200 f, 200 g RVO mit der Verfassung vereinbar seien, die
Beklagte diese Bestimmungen jedoch durch gesetzesüberschreiten-
des und rechtswidriges Verwaltungshandeln mißachte und sie da-
durch in ihren Rechten als Zwangsmitglied verletze. Nur hilfsweise
habe sie sich auf die Verfassungswidrigkeit der §§ 200 f, 200 g RVO
berufen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
18. April 1984 (BVerfGE 67, 27) beziehe sich daher nicht auf ihren
Antrag, die Beklagte des Ausgangsverfahrens möge sich auf die
Wahrnehmung der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben be-
schränken.

Sie habe ausschließlich vorgetragen und nachgewiesen, daß die
Beklagte das Tatbestandsmerkmal „nicht rechtswidrig“ in zehntau-
senden von Fällen vernachlässigt und auch mit ihren Beiträgen
rechtswidrige Schwangerschaftsabbrüche finanziert habe. Das
Bundessozialgericht habe ihren Anspruch nicht berücksichtigt, daß
die Beklagte nur die ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben erfüllen
dürfe. Dies habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entschei-
dung als selbstverständlich vorausgesetzt. Gegenstand der Verfas-
sungsbeschwerde sei mithin keine Normenkontrolle, sondern die
Frage, ob ihr als Mitglied einer Zwangskörperschaft gegen allgemei-
nes gesetzwidriges Verwaltungshandeln des Vorstands der Rechts-
weg offenstehe, weil sie behaupte, in ihren eigenen Rechten ver-
letzt zu sein. Diese Rechtsfrage sei im übrigen weit über den Bereich
der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus von grundsätzlicher
verfassungsrechtlicher Bedeutung.

Die Krankenkassen seien unter Erweiterung ihres Arbeitsgebiets
zu „Abtreibungskassen“ geworden. Diese Ausdehnung des Aufga-
benbereichs einer Zwangskörperschaft stehe im Verhältnis zu den
Pflichtrnitgliedern einer Neugründung gleich. Für das Bundesver-
fassungsgericht sei nie zweifelhaft gewesen, daß der Bürger unter
Berufung auf Art.2 Abs. 1 GG seine Inpflichtnahrne durch eine
neue oder erweiterte Zwangskörperschaft mit Beitragsverpflich-
tung nachprüfen lassen könne. Aus der bisherigen Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts sei nicht zu schließen, daß der
Bürger sich selbst dann nicht auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen könne,
wenn die Ausweitung der Tätigkeit des Zwangsverbandes nicht
vom Gesetzgeber angeordnet worden sei. Sie habe daher nach
Art. 2 Abs. 1 GG das Recht, eine Nachprüfung des Verwaltungs-
handelns der Beklagten zu verlangen, sonst müßten sich die Mit-
glieder einer Zwangskörperschaft über ihre Beitragsleistungen an
rechtswidrigen oder sogar kriminellen Handlungen beteiligen, oh-
ne daß ihnen ein gerichtliches Verfahren zur Nachprüfung solcher
Übergriffe eröffnet sei. Das beitragszahlende Mitglied einer
Zwangskörperschaft stehe zu dieser in einem wesentlich engeren
Verhältnis als der Steuerzahler zum Staat, da die Zusammenfas-
sung von Bürgern zu einer Zwangskörperschaft nach ständiger
Rechtsprechung jeweils gesonderter und nachprüfbarer Legitima-
tion bedürfe.

Danach sei die Frage, ob sie durch die beanstandeten Leistun-
gen der Beklagten „in ihren eigenen Rechten“ verletzt sei, bei
der Begründetheit der Klage zu überprüfen. Das Bundessozialge-
richt verkenne, wie tief die Beschwerdeführerin sich durch die
Inanspruchnahme ihrer Person für Tötungshandlungen in ihren
Rechten betroffen fühle. Wenn es aus dem Hinweis des Bundes-
verfassungsgerichts, § 54 Abs. 5 SGG eröffne nicht die Möglich-
keit einer abstrakten Normenkontrolle, folgere, das einzelne Mit-
glied habe keine Möglichkeit, die rechtswidrige Ausgabenver-
wendung im Klagewege zu verhindern, stelle es die Fälle einer
zwar gesetzmäßigen, aber verfassungswidrigen Mittelverwen-
dung einerseits und einer schlechthin gesetzwidrigen Mittelver-
wendung durch den eigenmächtig handelnden Vorstand anderer-
seits gleich. Es sei unverständlich, wenn das Bundessozialgericht
feststelle, die Beschwerdeführerin habe nicht berücksichtigt, daß
das Bundesverwaltungsgericht Mitgliedern öffentlich-rechtlicher
Zwangsverbände ein Abwehrrecht nur gegen die Wahrnehmung
,,nicht legitimer Aufgaben" eingeräumt habe; gerade dies habe
sie vorgetragen. Offenbar sei das Bundessozialgericht der Auffas-
sung, die allgemein für Zwangskörperschaften bestehenden
Grundsätze sollten für Krankenkassen nicht gelten; eine solche
Differenzierung zwischen verschiedenen Zwangskörperschaften
sei jedoch sachlich nicht vertretbar.

Es gehe ihr nicht um einzelne Fehlentscheidungen, sondern um
die prinzipielle, eigenmächtige Erweiterung des Tätigkeitsbereichs
der Zwangskörperschaft durch Nichtbeachtung oder Falschausle-
gung von Rechtsvorschriften, welche in die Rechtssphäre der Mit-
glieder eingreife. Die erforderliche Abgrenzung dieser Fallgestal-
tungen habe das Bundessozialgericht nicht vorgenommen und den
klaren Vortrag der Beschwerdeführerin überhaupt nicht gewürdigt.

Der Hinweis des Gerichts, daß die Rechtskontrolle über eine rechts-
widrige Ausgabenverwendung allein den Selbstverwaltungsorga-
nen und Aufsichtsbehörden der Versicherungsträger obliege, sei
eine bloße Leerformel. In Wirklichkeit finde im Bereich des Lebens-
schutzes überhaupt keine Überwachung der Krankenkassen mehr
statt. Dies ergebe sich aus einem Schreiben des Bundesministers für
Arbeit und Sozialordnung, wonach dieser keine Befugnis habe,
Krankenkassen in dem von der Beschwerdeführerin gewünschten
Sinne anzuweisen. Im übrigen lehne die Bundesregierung generell
jede Überprüfung der gegenwärtigen Rechtspraxis der Kran-
kenkassen ab, wie sich aus der Beantwortung einer entsprechenden
parlamentarischen Anfrage ergebe.

Durch die Revisionsentscheidung des Bundessozialgerichts wer-
de ihr schließlich der Rechtsweg in verfassungswidriger Weise ab-
geschnitten (Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG).

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit unzulässig, als die Ver-
letzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 und von
Art. 4 Abs. 1 GG gerügt wird. Nimmt die Verfassungsbeschwerde-
schrift auf Ausführungen in der Revisionsbegründung und anderen
Schriftsätzen Bezug, ist den Formerfordernissen des § 92 BverfGG
nur genügt, wenn die Schriftsätze der Verfassungsbeschwerde als
Anlagen beigefügt werden (vgl. BVerfGE 47, 182 [187]). Das ist
hier nicht geschehen.

Im übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.

I.

1. Den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kommt
wie denen anderer Gerichte Rechtskraftwirkung zu. Dabei bezieht
sich die materielle Rechtskraft allein auf die Entscheidungsformel,
nicht aber auf die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Urteils-
elemente, wenngleich die Entscheidungsgründe zur Ermittlung des
Sinnes der Entscheidungsformel herangezogen werden können. Sie
bindet in einem späteren Verfahren das Gericht nur dann, wenn es
sich um denselben Streitgegenstand zwischen denselben Parteien
handelt (vgl. BVerfGE 4, 31 [38f.]).

Danach entfaltet der Beschluß vom 18. April 1984 (BVerfGE 67,
26) keine Rechtskraftwirkung im Hinblick auf die vorliegende Ver-
fassungsbeschwerde; denn der Streitgegenstand des Vorlageverfah-
rens ist nicht identisch mit dem Streitgegenstand der vorliegenden
Verfassungsbeschwerde. Das Vorlageverfahren betraf die Verfas-
sungsmäßigkeit der §§ 200 f, 200 g RVO; Streitgegenstand des Ver-
fassungsbeschwerdeverfahrens ist hingegen die behauptete Grund-
rechtsverletzung der Beschwerdeführerin durch das angegriffene
Urteil des Bundessozialgerichts. Die Beschwerdeführerin war auch
nicht „Beteiligte“ des Vorlageverfahrens. Im Verfahren der konkre-
ten Normenkontrolle haben die Beteiligten des Ausgangsverfahrens
zwar das Recht, sich zu äußern (§ 82 Abs. 3 BVerfGG); sie werden
dadurch aber nicht im engeren Sinne Beteiligte dieses Verfahrens
(vgl. BVerfGE. 42, 90 [91]; Ulsamer in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/
Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 82 Rdnr. 17 m. w. N.),

2. Eine Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG kommt-
abgesehen davon, daß diese nicht für das Bundesverfassungsgericht
selbst besteht (vgl. BVerfGE 4, 31 [38 f.]; 20, 56 [87]) - schon deshalb
nicht in Betracht, weil der die Vorlage verwerfende Beschluß keine
Sach-, sondern lediglich eine Prozeßentscheidung darstellt (vgl.
Maunz in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, a.a.O., §31,
Rdnr. 18). Die Bindungswirkung erstreckt sich nicht auf die zu
lnzidentfragen entwickelten Rechtsansichten, die das Bundesverfas-
sungsgericht zur Abweisung eines Antrages aus prozessualen Grün-
den bestimmt haben.

II.

§ 92 BVerfGG verlangt, daß in der Begründung der Beschwerde
das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlas-
sung des Organs oder der Behörde, durch die die Beschwerdeführe-
rin sich verletzt fühlt, bezeichnet werden. Zur Zulässigkeit einer
Verfassungsbeschwerde ist es danach erforderlich, daß sich aus dem
Vortrag der Beschwerdeführerin mit hinreichender Deutlichkeit
die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ergibt (Vgl. BverfGE
65, 227 [232 f.]).

Die Beschwerdeführerin hat ausgeführt, das Urteil des Bundesso-
zialgerichts, mit dem die Entscheidung des Sozialgerichts über die
Unzulässigkeit ihrer Klage bestätigt wurde, verletze sie in ihren
Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG, weil sie als
Zwangsmitglied der Beklagten einen Anspruch auf gesetzmäßige
Verwendung ihrer Beiträge habe, für den ihr der Klageweg eröffnet
werden müsse. Damit ist den Anforderungen des §92 BverfGG
genügt.

C.

Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Beschwerde-
führerin hat keinen Anspruch aus Art. 2 Abs. 1 oder Art. 19 Abs. 4
GG, daß ihr Klagebegehren durch die Gerichte der Sozialgerichts-
barkeit materiell beschieden wird.

I.

Die Frage der verfassungsrechtlichen Schranken einer Zwangs-
rnitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband hat das Bun-
desverfassungsgericht am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG geprüft
und entschieden, daß eine solche Zwangsmitgliedschaft nur im
Rahmen der verfassungsmäßigen Crdnung möglich ist. Danach darf
der Staat öffentlich-rechtliche Verbände nur schaffen, um legitime
öffentliche Aufgaben wahrnehmen zu lassen (vgl. BVerfGE 10, 89
[102]; 10, 354 [363]; 38, 281 [299]). Diese Rechtsprechung bezieht
sich ausschließlich auf die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen
für die Errichtung von öffentlichen Verbänden mit Zwangsmitglied-
schaft und betrifft nicht die Einwirkungsmöglichkeit des Mitglieds
eines verfassungsmäßig errichteten Zwangsverbandes auf die Si-
cherung der legitimen Aufgabenerfüllung.

Die Beschwerdeführerin macht in diesem Zusammenhang gel-
tend, daß die Krankenkassen nach Einführung der §§200f, 200g
RVO ihr Arbeitsgebiet in einer Weise erweitert hätten, die einer
Neugründung gleichkomme. Mit dieser Argumentation will sie aus
der oben angegebenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts ableiten, daß das Sozialgericht über den gesetzlichen Umfang
der sozialversicherungsrechtlichen Leistungen bei Schwanger-
schaftsabbrüchen zu entscheiden hat. Dem kann nicht gefolgt wer-
den. Durch die Übertragung zusätzlicher Aufgabenbereiche auf
einen Zwangsverband wird die Verfassungsmäßigkeit seiner Er-
richtung und seines Bestandes nicht berührt, wenn es - wie hier -
bei der Erfüllung der ursprünglichen, verfassungsrechtlich unbe-
denklichen Aufgaben verbleibt und die neuen Aufgaben den Cha-
rakter des Zwangsverbands nicht wesentlich verändern.

II.

Allerdings können die Mitglieder öffentlich-rechtlicher Zwangs-
Verbände nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
von dem Verband die Einhaltung derjenigen Grenzen verlangen,
die seiner Tätigkeit durch die gesetzlich festgelegte Aufgabenstel-
lung gezogen sind. Das ergebe sich insbesondere aus Art. 2 Abs. 1
GG, der dem einzelnen Mitglied ein Abwehrrecht gegen solche
Eingriffe des Verbandes einräume, die sich nicht im Wirkungskreis
legitimer öffentlicher Aufgaben hielten oder bei deren Wahrneh-
mung nicht dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen werde
(vgl. BVerwGE 59, 231).

Diese unter anderem für die Tätigkeit der verfaßten Studenten-
schaft entwickelte Rechtsprechung kann aber nicht ohne weiteres
auf alle anderen öffentlich-rechtlichen Zwangsverbände übertra-
gen werden. Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Verbürgung
einer solchen Klagemöglichkeit des Mitglieds gegen den Zwangs
verband läßt sich nicht einheitlich beantworten. Wenn die Tätigkeit
des Verbandes über die Beitragspflicht hinaus in eigene Grundrech-
te des Mitglieds eingreift, liegt es nahe, eine solche Klagemöglich-
keit von Verfassungs wegen anzunehmen (vgl. BVerwG, a.a.O.).

Im vorliegenden Falle wird die Beschwerdeführerin dagegen ver-
fassungsrechtlich nur in ihrem Vermögen als Beitragspflichtige be-
troffen. Aus den Grundrechten folgt kein Anspruch auf generelle
Unterlassung einer bestimmten Verwendung öffentlicher Mittel
(vgl. BVerfGE 67, 26 [37]).

III.

Da sich eine Klagebefugnis der Beschwerdeführerin nicht aus der
Verfassung ergibt, ist hier die Auslegung und Anwendung des § 54
Abs. 5 SGG allein Sache der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und
ist der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen.

(gez.) Herzog Niemeyer Henschel
Seidl Grimm Söllner
Dieterich

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Freitag, 8. Mai 2015
BVerfG, 1 BvR 1411/91 vom 09.08.1991, Bundesverfassungsgericht
382 E 86, 382,1 Nr. 17

Nr. 17

1. Droht einem Beschwerdeführer, der sich unmittelbar gegen ein Ge-
setz wendet, bei der Verweisung auf den Rechtsweg in der Hauptsache ein
schwerer Nachteil, kann er nach dem Grundsatz der Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde gehalten sein, vor der Anrufung des Bundesver-
fassungsgerichts wenigstens den Rechtsweg im Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes zu erschöpfen.

2. Hält ein Gericht eine für seine Entscheidung maßgebliche Gesetzes-
norm für verfassungswidrig, so ist es durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht
gehindert, vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren,
wenn dies im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint
und die Hauptsache dadurch nicht vorweggenommen wird.

Beschluß des Ersten Senats vom 24. Juni 1992 gemäß 524 BVerfGG

- 1 BvR 1028/91 -

in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. des Herrn A... und

weiterer 98 Beschwerdeführer — Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Willi A.

Handorn, Klaus Wagner und Partner, Talstraße 27, Homburg/Saar — gegen

das Gesetz vom 23. September 1990 zu dem Vertrag vom 31. August 1990

zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokrati-
schen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungs-
vertragsgesetz — und der Vereinbarung vom 18. September 1990 (BGBl. II
S. 885), soweit darin den Regelungen des Vertrages, wonach Kiese und
Kiessande im Beitrittsgebiet als bergfreie Bodenschätze im Sinne des 53
Abs. 3 BBergG eingestuft werden, zugestimmt worden ist.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL:

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

GRÜNDE:

A.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Regelung des
Einigungsvertrages, daß Kiese und Kiessande im Beitrittsgebiet als
bergfreie Bodenschätze behandelt werden und damit — im Unter-
schied zu der Rechtslage, die nach dem Bundesberggesetz im alten
Bundesgebiet galt und weiterhin gilt — nicht im Eigentum des
Grundstückseigentümers stehen.

24. 6. 92 383

1. Das Bundesberggesetz — BBergG —— vom 13.August 1980
(BGBl.I S. 1310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.Februar
1990 (BGBl.I S.215), unterscheidet zwischen grundeigenen und
bergfreien Bodenschätzen. Grundeigene Bodenschätze stehen im
Eigentum des Grundeigentümers; auf bergfreie Bodenschätze er-
streckt sich das Eigentum an einem Grundstück nicht (53 Abs.2
BBergG). Sofern Bodenschätze weder bergfrei (5 3 Abs. 3 BBergG)
noch grundeigen (5 3 Abs. 4 BBergG) sind, stehen sie als sonstige
Grundeigentümerbodenschätze ebenfalls im Eigentum des Grund-
eigentümers. Jedoch findet das Bundesberggesetz‚ das auch Vor-
schriften über das Aufsuchen, Gewinnen und Aufbereiten grundei-
gener Bodenschätze enthält, darauf keine Anwendung.

Nach der im alten Bundesgebiet bestehenden Rechtslage gehören
Kiese und Kiessande zu den grundeigenen Bodenschätzen, soweit
sie untertägig aufgesucht oder gewonnen werden (5 3 Abs. 4 Nr. 2
BBergG), und, soweit dies nicht der Fall ist, zu den sonstigen Grund-
eigentümerbodenschätzen.

2. In der Deutschen Demokratischen Republik bestimmte 53
des Berggesetzes vom 12. Mai 1969 (GBl. I S. 29):

Mineralische Rohstoffe, deren Nutzung von volkswirtschaftlicher Be-
deutung ist, sind Bodenschätze und - unabhängig Vorn Grundeigentum -
Volkseigentum.

In der Verordnung über die Verleihung von Bergwerkseigentum
vom 15. August 1990 (GBl. I S. 1071) wurden als Bodenschätze im
Sinne von 5 3 des Berggesetzes die in der Anlage zu dieser Verord-
nung aufgeführten mineralischen Rohstoffe bestimmt. Nach
Nr. 9.23 der Anlage fielen darunter:

Kiese und Kiessande zur Herstellung von Betonzuschlagstoffen (Kies-
anteil größer 2mm: mehr als 10% geologische Vorratsmenge: größer
1,0 Mio t), einschließlich darin enthaltener Quarzkiese zur Herstellung
von Ferro-‚ Chemie- und Filterkies.

Durch 51 Abs. 1 dieser Verordnung wurde der Ministerrat oder
eine von ihm bestimmte Stelle ermächtigt, der Treuhandanstalt auf
Antrag für ein bestimmtes Feld und für bestimmte unter 53 des
384 E 86, 382, I Nr. 17
Berggesetzes fallende Bodenschätze Bergwerkseigentum zu verlei-
hen mit der Befugnis, es gegen Entgelt weiter zu übertragen.

3. Gemäß Art.8 des Einigungsvertrages und dessen Anlage I
Kapitel V Sachgebiet D Abschnitt III Nr. 1 (BGBl.II S. 1004f.) ist
das Bundesberggesetz im Beitrittsgebiet mit folgenden Maßgaben
in Kraft getreten:

a) Mineralische Rohstoffe im Sinne des 53 des Berggesetzes der
Deutschen Demokratischen Republik vom 12.Mai 1969 (GBl.I Nr.5
S. 29) und der zu dessen Durchführung erlassenen Vorschriften sind
bergfreie Bodenschätze im Sinne des 53 Abs. 3.

d) (1) Gewinnungsrechte an mineralischen Rohstoffen im Sinne des
5 3 des Berggesetzes der Deutschen Demokratischen Republik kann der
zur Ausübung Berechtigte innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach
dem Tage des Wirksamwerdens des Beitritts bei der für die Zulassung
von Betriebsplänen zuständigen Behörde zur Bestätigung anmelden. . ..

Die Bestätigung ist unter den in Absatz 2 dieser Regelung ge-
nannten Voraussetzungen zu erteilen. Ein bestätigtes Gewinnungs-
recht gilt, wenn das Gewinnungsrecht dem Antragsteller aufgrund
der Verordnung vom 15.August 1990 als Bergwerkseigentum
übertragen worden war, als Bergwerkseigentum im Sinne von
5151 BBergG (Absatz 4 Nr.2 i.V.m. Absatz 2 Nr. 1.2 der Rege-
lung).

II.

Mit der am 3.Juli 1991 erhobenen Verfassungsbeschwerde, der
sich weitere Beschwerdeführer am 20. August 1991 angeschlossen
haben, wenden sich die Beschwerdeführer gegen die genannte Re-
gelung des Einigungsvertrages‚ soweit danach Kiese und Kiessande
als bergfreie Bodenschätze im Sinne von 53 Abs. 3 BBergG einge-
stuft worden sind. Sie rügen eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1,
Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 2 GG und tragen vor:

Sie seien Eigentümer oder Miteigentümer von Kiesgrundstücken,
die sich innerhalb zweier der insgesamt 1300 auf dem Gebiet der
ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vorhandenen
Kieslagerstätten befänden. Durch die angegriffene Regelung sei
ihnen das Gewinnungsrecht am Kies auf ihren Grundstücken entzo-
gen. Die Treuhandanstalt habe von der Möglichkeit gemäß 51 der
Verordnung vom 15. August 1990 Gebrauch gemacht und sich an
sämtlichen Kies- und Kiessandgrundsstücken in den neuen Bundes-
ländern das Bergwerkseigentum verleihen lassen. Inzwischen habe
die Treuhandanstalt sämtliche Kiesbetriebe nach einzelnen Be-
triebsstätten ausgeschrieben und sei jetzt dabei, die Betriebsstätten
zur Ausbeutung zu vergeben. Einige Vergaben seien bereits erfolgt.

Sie seien durch die gesetzliche Regelung selbst, gegenwärtig und
unmittelbar betroffen. Außer der Verfassungsbeschwerde hätten
sie keine Möglichkeit, sich gegen die Verletzung ihrer Grundrechte
zu wehren. Die vorliegende Verfassungsbeschwerde sei auch von
großer allgemeiner Bedeutung. Die Ungewißheit über die rechtli-
che Zulässigkeit der Vergabe des Bergwerkseigentums durch die
Treuhandanstalt an Dritte stelle ein bedeutsames Hemmnis für den
wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern dar. Insge-
samt seien etwa 65 O00 Grundstückseigentümer betroffen. Im Falle
der Fortgeltung der jetzigen Regelung entstünde ihnen durch die
Vorenthaltung des Eigentums am Kies ein schwerer und unabwend-
barer Nachteil.

Für die ungleiche Behandlung der Grundstückseigentümer im
Osten und im Westen Deutschlands sei ein sachlicher Grund nicht
ersichtlich. Die Gründe, die nach dem Bundesberggesetz für die
Bergfreiheit bestimmter Bodenschätze in Betracht kämen (Siche-
rung der Rohstoffversorgung, Abwehr von Gefahren beim Abbau
der Bodenschätze), träfen auf den Abbau von Kies nicht zu.

Des weiteren sei Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Bei der Ausgestal-
tung des Eigentums sei der Gesetzgeber an die Tradition des Berg-
rechts gebunden. Er dürfe danach nur die volkswirtschaftlich be-
sonders wichtigen Bodenschätze vom Verfügungsrecht des Grund-
eigentümers ausschließen. Die angegriffene Regelung sei grob sach-
widrig und verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

386 E 86, 382,1 Nr. 17

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

I.

Die angegriffene Regelung kann in Verbindung mit dem Eini-
gungsvertragsgesetz Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde
sein (vgl. BVerfGE 84, 90 [113]). Die Beschwerdeführer haben
auch hinreichend dargelegt, daß sie von der Regelung selbst, gegen-
wärtig und unmittelbar betroffen sind. Insbesondere bewirkt die
angegriffene Regelung allein — ohne Hinzutreten eines weiteren
hoheitlichen Aktes (vgl. BVerfGE 79, 174 [187f.]) —, daß sich das
Grundstückseigentum nicht auf den in einem Grundstück liegenden
Kies erstreckt. Ob der Sachvortrag, mit dem die Beschwerdeführer
hre Betroffenheit schlüssig dargelegt haben, tatsächlich zutrifft,
wäre eine Frage der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde
(vgl. BVerfGE 84, 90 [117]).

II. i

Der Zulässigkeit steht jedoch der Grundsatz der Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde entgegen. Die Beschwerdeführer können
zwar vor den Fachgerichten nicht unmittelbar gegen die angegriffe-
ne Regelung Rechtsschutz erlangen. Sie können aber die Fachge-
richte zur Sicherung und Durchsetzung der Rechte in Anspruch
nehmen, die sie aus der Verfassungswidrigkeit der Regelung herlei-
ten. Zur Herbeiführung einer Verklärung der tatsächlichen und ein-
fachrechtlichen Lage sind sie gehalten, zunächst — zumindest vor-
läufigen — Rechtsschutz vor den Fachgerichten zu suchen.

1. Der in 5 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommende
Grundsatz der Subsidiarität gewährleistet unter anderem, daß dem
Bundesverfassungsgericht in der Regel nicht nur die abstrakte
Rechtsfrage und der Sachvortrag des Beschwerdeführers unterbrei-
tet werden, sondern auch die Beurteilung der Sach- und_ Rechtslage
durch ein für diese Materie zuständiges Gericht (vgl. BVerfGE 69,
122 [125]; 74, 69 [74f.]). Der Verklärung durch die Fachgerichte
kommt inbesondere dort Bedeutung zu, wo die Beurteilung der mit
der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen die Prüfung tatsäch-
licher oder einfachrechtlicher Fragen Voraussetzt, für die das Ver-
fahren vor den Fachgerichten besser geeignet ist. Der Subsidiari-
tätsgrundsatz stellt sicher, daß dem Bundesverfassungsgericht in
solchen Fällen infolge der fachgerichtlichen Vorprüfung der Be-
schwerdepunkte ein bereits eingehend geprüftes Tatsachenmaterial
vorliegt und ihm auch die Fallanschauung und die Rechtsauffassung
der Fachgerichte vermittelt werden.

Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der mit der Verfas-
sungsbeschwerde erhobenen Rügen bedarf es hier der Klärung
sowohl tatsächlicher als auch einfachrechtlicher Fragen. So müßte
zunächst das Eigentum der Beschwerdeführer an den betroffenen
Grundstücken festgestellt werden. Des weiteren müßte geklärt
werden, ob das Kiesvorkommen an den Grundstücken, die im
Eigentum der Beschwerdeführer stehen, unter die angegriffene ge-
setzliche Regelung fällt. Schließlich könnte für die verfassungs-
rechtliche Beurteilung auch von Bedeutung sein, wie die Kiesaus-
beutung in der Deutschen Demokratischen Republik praktisch ge-
handhabt wurde, insbesondere auch, ob und in welchem Umfang
die Eigentümer in der Lage waren, in ihren Grundstücken lagern-
den Kies zu verwerten.

Solange die Treuhandanstalt das ihr verliehene — jedenfalls dem
Rechtsschein nach bestehende — Bergwerkseigentum noch nicht auf
Dritte übertragen hat, können die Beschwerdeführer vor den Fach-
gerichten geltend machen, daß die Verleihung des Bergwerkseigen-
tums auf einer verfassungswidrigen Norm beruhe und daß die Treu-
handanstalt deshalb keine Rechte daraus herleiten könne. Sofern
eine Weiterübertragung auf Dritte erfolgt ist, können sich die Be-
schwerdeführer gegen einen Kiesabbau auf ihren Grundstücken im
Zivilrechtsweg zur Wehr setzen. Diese Verfahren ermöglichen eine
Klärung der tatsächlichen und einfachrechtlichen Fragen. Sie bieten
auch nicht von vornherein so wenig Aussicht auf Erfolg, daß sie den
Beschwerdeführern unzumutbar wären. Insbesondere kann nicht
von vornherein davon ausgegangen werden, daß die Fachgerichte
im Falle der Übertragung des Bergwerkseigentums auf private Drit-
te - bei Annahme der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen
Regelung - jedenfalls die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs
des Bergwerkseigentums durch die Vertragspartner der Treuhand-
anstalt bejahen würden.

2. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung vor Erschöpfung
des Rechtswegs nach der - im Rahmen des Subsidiaritätsgrundsat-
zes sinngemäß anwendbaren - Vorschrift des 590 Abs. 2 Satz 2
BVerfGG sind nicht erfüllt.

a) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Verfassungsbeschwerde
allgemeine Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift zukommt. Selbst
wenn diese unterstellt wird, würde sie nicht für sich allein eine
Vorabentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht gebieten.

Sie wäre vielmehr nur ein Moment bei der Abwägung für und wider
eine sofortige Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(vgl. BVerfGE 71, 305 [349] m.w.N.).

Bei dieser Abwägung wäre insbesondere auch zu bedenken, daß
eine Vorabentscheidung in der Regel dann nicht in Betracht kommt,
wenn entscheidungserhebliche Tatsachen noch nicht aufgeklärt
sind (vgl. BVerfGE 8, 222 [227] ; 13, 284 [289]). Gegen eine Vor-
abentscheidung kann ferner sprechen, daß die einfachrechtliche
Lage nicht hinreichend geklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluß vom
25. März 1992 — 1 BvR 1859/91 —, NJW 1992, S. 1676 [1677])1. Das
ergibt sich aus dem Sinn des Subsidiaritätsgrundsatzes. Dieser dient
auch einer sachgerechten Aufgabenverteilung zwischen dem Bun-
desverfassungsgericht und den Fachgerichten (vgl. BVerfGE 55,
244 [247]; 77, 381 [401] m.w.N.). Danach obliegt es vorrangig den
Fachgerichten, einfachrechtliche Vorschriften auszulegen und die
zur Anwendung der Vorschriften erforderlichen Ermittlungen so-
wie die Würdigung des Sachverhalts vorzunehmen. Das Interesse
an der fachgerichtlichen Verklärung wiegt hier so schwer, daß das
allgemeine Interesse an einer sofortigen Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts zurücktreten muß.

b) Eine Vorabentscheidung ist auch nicht wegen eines den Be-
schwerdeführern drohenden schweren und unabwendbaren Nach-
teils geboten.

Die Verweisung auf den Rechtsweg könnte sich insofern für die
1 Nr. 2 S. 15, 22f.

24. 6. 92 389

Beschwerdeführer nachteilig auswirken, als nicht auszuschließen
ist, daß während des fachgerichtlichen Verfahrens, das möglicher-
weise längere Zeit in Anspruch nimmt, das Kiesvorkommen auf
ihren Grundstücken ausgebeutet wird. Es ist nicht sicher abzuse-
hen, daß sie nach der einfachrechtlichen Lage dafür einen Ausgleich
erlangen könnten, wenn die angegriffene Regelung für verfassungs-
widrig erklärt würde. Ebenso ist nicht vorherzusehen, 0b und mit
welchem Inhalt der Gesetzgeber, falls die Regelung für verfassungs-
widrig erklärt wird, nachträglich einen Ausgleich schaffen würde.

Die Beschwerdeführer können jedoch im fachgerichtlichen Ver-
fahren gegen die Inanspruchnahme ihrer Grundstücke für den Kies-
abbau vorläufigen Rechtsschutz beantragen. An der Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes wären die Fachgerichte für den Fall,
daß sie die angegriffene Regelung für verfassungswidrig erachten,
nicht dadurch gehindert, daß sie über die Frage der Verfassungswi-
drigkeit nicht selbst entscheiden könnten, sondern insoweit die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1
GG einholen müßten. Das dem Bundesverfassungsgericht vorbe-
haltene Verwerfungsmonopol hat zwar zur Folge, daß ein Gericht
Folgerungen aus der (von ihm angenommenen) Verfassungswidrig-
keit eines formellen Gesetzes — jedenfalls im Hauptsacheverfah-
ren— erst nach deren Feststellung durch das Bundesverfassungsge-
richt ziehen darf (vgl. BVerfGE 79, 256 [266]). Die Fachgerichte
sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der
im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vor-
läufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umstän-
den des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten
erscheint und die Hautsacheentscheidung dadurch nicht vorwegge—
nommen wird. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes würde
den Eintritt von Nachteilen während der Durchführung des Haupt-
sacheverfahrens verhindern. Selbst wenn den Beschwerdeführern
vorläufiger Rechtsschutz versagt werden sollte, wäre dieses Verfah-
ren jedenfalls bereits zur Verklärung der offenen tatsächlichen und
einfachrechtlichen Fragen geeignet.

Auch insoweit überwiegt bei der zu treffenden Abwägung das

390 E 86, 390, II N11 13

Interesse an der fachgerichtlichen Verklärung das Interesse der
Beschwerdeführer an einer sofortigen Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts jedenfalls so lange, als die Beschwerdeführer
noch nicht einmal vorläufigen Rechtsschutz im fachgerichtlichen
Verfahren begehrt haben. Ob darüber hinaus, wenn das Begehren
auf vorläufigen Rechtsschutz erfolglos bleiben sollte, auch noch der
Rechtsweg in der Hauptsache erschöpft werden muß, hängt von
dem Ergebnis des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes und
der bis dahin im übrigen eingetretenen weiteren Entwicklung ab.

(gez.) Herzog Henschel Seidl
Grimm Söllner Dieterich
Kühling Seibert

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BSG, 1/3 RK 13/90 vom 28.06.1990, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: 1/3 RK 13/90

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Allgemeine Ortskrankenkasse München,

München 2, Maistraße 43 - 47,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 26.
Februar 1992 durch den Präsidenten Prof. Dr. R., die Richterin Dr. W. und
den Richter K. sowie die ehrenamtliche Richterin B. und den
ehrenamtlichen Richter B. für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28.
Juni 1990 wird zurückgewiesen.

- 2 -

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren
nicht zu erstatten.

- 3 -

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung von Krankengeld für die Zeit vom
12. November 1985 bis 20. März 1986.

Der in Jugoslawien geborene Kläger war seit 1968 in der Bundesrepublik als Arbeiter
beschäftigt und bezog zuletzt als Arbeitsloser Leistungen vom Arbeitsamt. Mit dessen
Zustimmung begab er sich für die Zeit vom 20. August 1985 bis 17. September 1985 auf
Heimaturlaub. Dort wurde er am 11. September 1985 wegen zahlreicher Erkrankungen
zunächst drei Wochen arbeitsunfähig krank geschrieben. Der jugoslawische
Versicherungsträger teilte dies der Beklagten, bei der der Kläger aufgrund des
Leistungsbezuges krankenversichert war, auf dem hierfür vorgesehenen Formblatt mit.

Später gingen weitere Meldungen über Arbeitsunfähigkeitszeiten bei der Beklagten ein,
wobei noch zusätzliche Erkrankungen genannt wurden.

Nachdem der Vertrauensärztliche Dienst unter Berücksichtigung der beigezogenen
Unterlagen von einer Arbeitsunfähigkeit von zwei Monaten ausgegangen war, bewilligte
die Beklagte für die Zeit nach Beendigung der Leistungserbringung durch das Arbeitsamt
Krankengeld bis zum 11. November 1985. Gleichzeitig erbat sie bei einem eventuellen
Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit um die Übersendung neuer ärztlicher Befunde. Weil
nach Auffassung des Vertrauensärztlichen Dienstes aus den vom Kläger übersandten
neuen ärztlichen Unterlagen auf eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht geschlossen
werden könne, lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld über den
11. November 1985 hinaus ab (Bescheid vom 18. Februar 1986).

Obwohl der jugoslawische Versicherungsträger inzwischen Arbeitsunfähigkeit bis
einschließlich 20. März 1986 bestätigt und gemeldet hatte, sah die Beklagte den
Widerspruch nicht als begründet an, da die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht
nachgewiesen sei (Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 1986).

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) München abgewiesen,
nachdem es erfolglos versucht hatte, weitere Krankenunterlagen aus Jugoslawien zu
erhalten (Urteil vom 26. Oktober 1988). Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG)
zurückgewiesen (Urteil vom 28. Juni 1990). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Dem
Kläger stehe Krankengeld für den streitigen Zeitraum nicht zu, weil das Bestehen von
Arbeitsunfähigkeit über den 11. November 1985 hinaus nicht nachgewiesen sei. Der
Versicherte sei bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit arbeitsuchend gemeldet und damit
weitgehend auf andere Tätigkeiten verweisbar gewesen. Es fehle jeder Nachweis
darüber, daß die behaupteten Krankheiten sich derart langfristig auf seine Arbeitsfähigkeit

- 4 -

ausgewirkt haben könnten und daß keine ihm zumutbare Arbeit möglich gewesen wäre.

Die Beklagte müsse entgegen der Ansicht des Klägers die Arbeitsunfähigkeitsmeldung
des jugoslawischen Versicherungsträgers nicht ungeprüft übernehmen. Eine solche
Rechtsfolge lasse sich aus dem deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen
nicht entnehmen. Der Kläger könne auch keine Rechte aus den europäischen Verträgen
und den aus ihnen hervorgegangenen EG-Verordnungen Nr 1408/71 und 574/72 sowie
der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des
Bundessozialgerichts (BSG) herleiten. Diese Regelungen seien mit dem
deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen nicht vergleichbar. Der
Grundsatz, daß die Beklagte als leistender Versicherungsträger entsprechend den
Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) über die Krankengeldgewährung zu
entscheiden habe, werde auch nicht durch das dem Kläger ausgehändigte Merkblatt, in
dem Art 4 des Zusatzabkommens zum deutsch-jugoslawischen
Sozialversicherungsabkommen wiedergegeben sei, aufgehoben. Hiermit habe sich die
Beklagte nicht verpflichtet, ihre Entscheidungskompetenz gesetzwidrig auf den jugoslawi-
schen Versicherungsträger zu verlagern. Zwar könne es für den Versicherten
unbefriedigend sein, wenn das Krankengeld wegen unterschiedlicher Auffassungen von
der Arbeitsunfähigkeit zwischen den jugoslawischen Ärzten bzw Krankenver-
sicherungsgemeinschaften einerseits und den deutschen Krankenkassen andererseits
verweigert werde, obwohl er alles getan habe, was ihm das Abkommen vorschreibe und
er wenig Einfluß auf die Aussagekraft der Bescheinigungen und die durchgeführten
Untersuchungen habe. Dies könne aber nicht dazu führen, die Beklagte zu verpflichten,
ungeprüft gesetzlich geforderte Voraussetzungen zu unterstellen, zumal sie selbst
keinerlei Einfluß auf die von ihr nicht zu vertretenden Mängel bei der Anwendung des
Abkommens habe.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 30
Abs 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -(SGB I), 182 Abs 1 Nr 2, Abs 3 und 183 RVO
sowie des Art 29 iVm Art 4 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens.

Das LSG habe übersehen, daß, unabhängig davon, wie nach innerstaatlichem Recht das
Bestehen von Arbeitsunfähigkeit festgestellt werde, Ausnahmen durch das Recht der
europäischen Gemeinschaften oder durch zwischenstaatliche Abkommen bestimmt
werden könnten. Der Entscheidungskompetenz der Beklagten über die Arbeitsunfähigkeit
stünden Art 29 iVm Art 4 des Abkommens und die übrigen Vereinbarungen mit
Jugoslawien entgegen. Hiernach leisteten Träger, Verbände von Trägern, Behörden und
Gerichte der Vertragsstaaten einander bei der Durchführung der in Art 2 Abs 1
bezeichneten Rechtsvorschriften und des Abkommens gegenseitige Hilfe. Die Amtshilfe
erstrecke sich ausdrücklich auch auf ärztliche Kontrolluntersuchungen. Ferner bestimme
Art 3 der Durchführungsvereinbarung zum Abkommen, daß die Pflicht des Versicherten,
dem zuständigen Träger das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, nur gegenüber
dem Träger des Aufenthaltsortes bestehe. Entsprechend werde der Versicherte von

- 5 -

seiner Krankenkasse durch Merkblätter informiert. Das gesamte Regelwerk des
Abkommens mache deutlich, daß die Mitteilung über das Bestehen und die Überwachung
der Arbeitsunfähigkeit ausschließlich bei dem örtlich zuständigen jugoslawischen
Krankenversicherungsträger liege. Da das Abkommen keinen Vorbehalt gegen die
Feststellung der jugoslawischen Kontrollärzte enthalte, stehe den deutschen
Krankenkassen keine eigene Feststellungs- und Kontrollbefugnis hinsichtlich der
Arbeitsunfähigkeit zu. Für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und deren Kontrolle solle
nach dem Abkommen und den Zusatzvereinbarungen das Recht des Aufenthaltsstaates
maßgebend sein. Das sei der eindeutige Wille der vertragschließenden Staaten gewesen.
Falls bei dem deutschen Versicherungsträger berechtigte Zweifel an der Richtigkeit des
Ergebnisses von Kontrolluntersuchungen bestehen sollten, müsse er dieselben über den
zuständigen jugoslawischen Versicherungsträger ausräumen lassen und gegebenenfalls
auf seine Kosten eine stationäre Beobachtung in einem jugoslawischen Krankenhaus
beantragen. Er, der Kläger, habe alle seine Mitwirkungspflichten erfüllt und mit der
Übersendung der Mitteilung über das Bestehen oder Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit
durch den jugoslawischen Träger zugleich den ihm obliegenden Nachweis der Arbeits-
unfähigkeit geführt.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 1990 und des
Sozialgerichts München vom 26. Oktober 1988 aufzuheben und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 18. Februar 1986 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 1986 zu verurteilen, ihm Krankengeld über
den 11. November 1985 hinaus bis einschließlich 20. März 1986 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Krankengeld über den
11. November 1985 hinaus.

Nach § 182 Abs 1 Nr 2 RVO, der mit Wirkung ab 1. Januar 1989 durch Art 5 Nr 2 des
Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I, S 2477)
aufgehoben wurde, hier jedoch noch anwendbar ist, wird Krankengeld gewährt, wenn die
Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht. Das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit
muß gemäß § 182 Abs 3 RVO von einem Arzt festgestellt werden, wobei es unerheblich
ist, aus welchem Anlaß und zu welchem Zweck diese Feststellung getroffen wird
(BSGE 41, 201, 203 = SozR 2200 § 182 Nr 12). Die Feststellung kann auch durch einen

- 6 -

ausländischen Arzt erfolgen. Dem während eines Urlaubsaufenthaltes im Ausland
erkrankten Versicherten steht - sofern ein Sozialversicherungsabkommen
entsprechendes regelt - deshalb auch Krankengeld für die Zeit des Auslandsaufenthaltes
zu, in der er nachweislich arbeitsunfähig ist. Bestand kein Sozialversicherungsabkommen
mit dem Aufenthaltsstaat, war Krankengeld in der Zeit der Geltung des § 182 RVO
trotzdem bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeit zu gewähren (BSGE 31, 100, 101 f = SozR
Nr 39 zu § 182 RVO). Ab 1. Januar 1989 gilt demgegenüber § 16 Abs 1 Nr 1
Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Hiernach ruht der
Anspruch auf Leistungen, solange sich der Versicherte außerhalb des Geltungsbereiches
dieses Gesetzes aufhält, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. Solche Ausnahmen
sind Regelungen im zwischen- bzw überstaatlichen Recht, insbesondere also in
Sozialversicherungsabkommen. Ansonsten kann Krankengeld während eines
Auslandsaufenthaltes nicht mehr gewährt werden (BT-Drucks 11/2237, S 165).

Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Beklagte an die Feststellung der
Arbeitsunfähigkeit durch einen jugoslawischen Arzt oder an die Meldung des
jugoslawischen Versicherungsträgers nicht gebunden. Eine solche Bindung läßt sich
insbesondere nicht aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom
12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, S 1438) idF des Änderungsabkommens vom
30. September 1974 (BGBl II 1975, S 390) - zukünftig Abkommen genannt - und der
Durchführungsvereinbarung zum Abkommen entnehmen.
Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens sieht vor, daß, soweit das Abkommen nichts anderes
bestimmt, die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von
Ansprüchen auf Leistungen oder Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von
Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die Staatsangehörigen
gelten, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten. Diese Regelung enthält
den Grundsatz der uneingeschränkten Leistungsgewährung in dem anderen Vertrags-
staat (Denkschrift der Bundesregierung zum Abkommen, BT-Drucks V/4124).

Krankengeld ist nach dem Abkommen also grundsätzlich auch dann zu zahlen, wenn die
Arbeitsunfähigkeit in Jugoslawien eintritt. Weitere Regelungen, insbesondere hinsichtlich
der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, beinhaltet Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens
nicht. Sozialversicherungsabkommen enthalten - anders als bei den Sachleistungen, die
im allgemeinen nach dem Recht des Aufenthaltsstaates gewährt werden (vgl Art 15 Abs 2
des Abkommens und Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit
ausländischen Staaten, Bd I, Allgemeiner Teil, S 296; Baumeister in Gesamtkommentar
zur Sozialversicherung, Bd X, Stichwort Jugoslawien, Art 15 Anm 2; Neumann-Duesberg,
DOK 1985, S 302, 309) - regelmäßig keinen Eingriff in das innerstaatliche Recht
hinsichtlich der Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankengeld (Begriff der
Arbeitsunfähigkeit) und bezüglich der Höhe der Geldleistungen. Es bleiben vielmehr die

- 7 -

für den zuständigen Träger nach innerstaatlichem Recht geltenden Vorschriften
maßgebend (Plöger/Wortmann, aaO, Bd I, Allgemeiner Teil, S 395). Diese allgemeine
Regelung gilt auch für das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen (vgl
dazu Art 16 des Abkommens). Hiernach werden auf Ersuchen der deutschen
Krankenkassen Geldleistungen vom jugoslawischen Sozialversicherungsträger
ausgezahlt, woraus sich gleichzeitig ergibt, daß die Prüfung der
Anspruchsvoraussetzungen und der Höhe und Dauer der auszuzahlenden Geldleistungen
Aufgabe der deutschen Krankenkassen bleibt (Baumeister, aaO, Bd X, Stichwort Jugosla-
wien, Art 16 Anm 1). Aus Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens läßt sich also eine Bindung
des deutschen Versicherungsträgers an die Feststellung der jugoslawischen Ärzte oder
Krankenversicherungsgemeinschaften nicht entnehmen.

Gleiches gilt für Art 15 Abs 2 des Abkommens, denn er enthält lediglich die Regelung,
daß die Sachleistungen - von gewissen Ausnahmen abgesehen - nach den für den Träger
des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften gewährt werden. Für Geldlei-
stungen gilt diese Vorschrift damit nicht.

Gemäß Art 29 Abs 1 Satz 1 des Abkommens leisten die Träger, Verbände von Trägern,
Behörden und Gerichte der Vertragsstaaten einander bei Durchführung der vom
Abkommen umfaßten Rechtsvorschriften und dieses Abkommens gegenseitige Hilfe, als
wendeten sie die für sie geltenden Rechtsvorschriften an. Art 29 Abs 1 Satz 1 gilt, wie
Abs 2 dieser Vorschrift regelt, auch für ärztliche Untersuchungen. Nach der Denkschrift
der Bundesregierung enthalten die Art 29 bis 38 des Abkommens die auch sonst üblichen
Regelungen für das Zusammenwirken der in den beiden Staaten mit der Durchführung
des Abkommens betrauten Stellen. In Art 29 sind also Vorschriften über die Rechts- und
Amtshilfe enthalten. Die deutschen Krankenkassen können sich daher jugoslawischer
Ärzte für Untersuchungen und zu Kontrollzwecken bedienen, indem sie sich im Wege der
Amtshilfe an die zuständige Krankenversicherungsgemeinschaft wenden. Die
Formulierung "als wendeten sie die für sie geltenden Rechtsvorschriften an" umschreibt
lediglich Art und Umfang der Amts- und Rechtshilfe. Deutsche Sozialversicherungsträger
haben bei der Erbringung der Amtshilfe daher die Regelungen der §§ 3 ff
Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X), aber auch § 35 SGB I iVm §§ 67 ff
SGB X über die Offenbarung von Daten, die unter das Sozialgeheimnis fallen, zu
beachten (Baumeister, aaO, Bd X, Stichwort Jugoslawien, Art 29 Anm 1; Koch/Hartmann,
Die Rentenversicherung im Sozialgesetzbuch unter besonderer Berücksichtigung der
Angestelltenversicherung - zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht -Bd I, Allgemei-
ner Teil, Anm 9.3.). Ärztliche Untersuchungen müssen unter Berücksichtigung der §§ 62,
65 SGB I durchgeführt werden. Umgekehrt haben die jugoslawischen
Versicherungsträger bei Untersuchungen in ihrem Staat die für sie geltenden Verfah-
rensvorschriften anzuwenden.

- 8 -

Eine weitere - über den dargestellten Inhalt hinausgehende - Regelung, insbesondere
über die Begründung materiell-rechtlicher Leistungsansprüche oder die Bindung
deutscher Sozialversicherungsträger an die im Rahmen der Amtshilfe getroffenen
Feststellungen, kann aus Art 29 des Abkommens nicht entnommen werden. Der Wortlaut,
dem bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge im allgemeinen eine größere
Bedeutung beizumessen ist als bei der Auslegung innerstaatlicher Gesetze (BSGE 36,
125, 126 = SozR Nr 16 zu § 1303 RVO; BSGE 39, 284, 287 = SozR 2200 § 1303 Nr 3;
BSGE 55, 131, 134 = SozR 6555 Art 26 Nr 1; Gobbers, Gestaltungsgrundsätze des
zwischenstaatlichen und überstaatlichen Sozialversicherungsrechts, 1980, S 10 mwN),
läßt die vom Kläger behauptete Bindung an die in Jugoslawien getroffenen Feststellungen
nicht erkennen. Er ist nicht unklar, mißverständlich oder gar mehrdeutig; die
wortlautmäßige Auslegung führt auch nicht zu unvernünftigen, mit dem Ziel und Zweck
der Bestimmung und des Vertrages unvereinbaren Ergebnissen, so daß eine andere
Auslegung erforderlich wäre. Auch läßt der in der Denkschrift zum Abkommen
manifestierte Wille der Vertragspartner keine andere Auslegung zu.

Nach Art 3 der Durchführungsvereinbarung zum Abkommen, auf den sich der Kläger
weiter beruft, besteht die Pflicht des Versicherten, dem zuständigen Träger das Vorliegen
der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, bei Anwendung des Art 4 Abs 1 des Abkommens nur
gegenüber dem Träger des Aufenthaltsortes. Tritt bei einem bei einer deutschen
Krankenkasse Versicherten in Jugoslawien Arbeitsunfähigkeit ein, so enthebt ihn diese
Bestimmung lediglich der Verpflichtung, das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit dieser
Krankenkasse bzw beim Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 3 Abs 2
Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) dem Arbeitgeber und der Krankenkasse zu melden, um
ein Ruhen des Krankengeldanspruches nach § 216 Abs 3 RVO (ab 1. Januar 1989 § 49
Abs 1 Nr 5 SGB V) oder des Lohnfortzahlungsanspruches nach § 5 Nr 1 LFZG zu
verhindern. Es genügt, wenn er die jugoslawische Krankenversicherungsgemeinschaft
vom Bestehen der Arbeitsunfähigkeit unterrichtet; diese leitet die Mitteilung mittels des
vorgesehenen Vordruckes Ju 4 an die deutsche Krankenkasse weiter, die wiederum
gegebenenfalls den Arbeitgeber informiert. Hierüber werden die Versicherten in dem
Merkblatt Ju 93 unterrichtet. Weitere Regelungen sind in Art 3 der
Durchführungsvereinbarung nicht enthalten, insbesondere läßt sich aus dieser Regelung
keine Bindung an die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch jugoslawische Ärzte oder
jugoslawische Versicherungsträger entnehmen (vgl auch BSG SozR 2200 § 369 b Nr 1
und BSG USK 83 160 zum deutsch-spanischen Sozialversicherungsabkommen).

Schließlich sind die Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 10. September 1987 (BSG
SozR 6055 Art 18 Nr 2) und das ihr zugrundeliegende Urteil des EuGH vom 12. März
1987 (SozR 6055 Art 18 Nr 1) nicht einschlägig. Die dort angenommene Bindung der
deutschen Krankenkassen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des
Wohnortes getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der

- 9 -

Arbeitsunfähfigkeit betrifft nur Staaten der Europäischen Gemeinschaft, zu denen
Jugoslawien nicht gehört. Art 18 der EWG-VO Nr 574/72 hat zudem einen völlig anderen
Wortlaut als die Vorschriften im hier anwendbaren Abkommen und enthält auch inhaltlich
ganz unterschiedliche Regelungen.

Wird somit der Grundsatz, daß krankenversicherungsrechtliche Geldleistungen vom
deutschen Versicherungsträger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zu
gewähren sind, durch das Abkommen nicht berührt, sind das Vorliegen von
Arbeitsunfähigkeit und der Anspruch auf Krankengeld nach § 182 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 3
RVO zu prüfen. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist ein Rechtsbegriff, dessen
Voraussetzungen die Krankenkasse anhand ärztlich erhobener Befunde festzustellen hat.

Das Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hat lediglich die
Bedeutung einer ärztlichen Stellungnahme, die die Grundlage für den über den
Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet (vgl BSGE 54,
62, 65 = SozR 2200 § 182 Nr 84; BSG SozR 2200 § 216 Nr 8; Höfler in Kasseler
Kommentar zur Sozialversicherung, § 46 RdNr 7; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale
Krankenversicherung, § 182 Anm, 4.1; Krauskopf, Soziale
Krankenversicherung - SGB V -, § 44 RdNr 15; Peters, Handbuch der
Krankenversicherung, § 182 Anm 13b). Aus den Bestimmungen der §§ 182 Abs 3 und
369b RVO (nun § 46 Satz 1 Nr 2 und § 275 SGB V) folgt, daß die Krankenkasse die
ärztliche Feststellung über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nur überprüft (BSG SozR
2200 § 216 Nr 8), während sie die sonstigen Leistungsvoraussetzungen (zB
Mitgliedschaft mit Krankengeldanspruch, Erschöpfung des Leistungsanspruches
innerhalb der Blockfrist) selbständig ermittelt und dann über die Krankengeldgewährung
entscheidet. Den Bescheinigungen ausländischer Ärzte kommt dabei nicht von vornherein
ein geringerer Beweiswert zu als denen deutscher Ärzte (BSGE 31, 100, 102 = SozR
Nr 39 zu § 182 RVO; BAGE 48, 115, 119; BAG EzA § 3 LFZG Nr 11; LSG
Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1984, 361, 362). Da der Begriff der Arbeitsunfähigkeit den
deutschen Ärzten vertraut ist (vgl jetzt die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien vom
3. September 1991, BKK 1991, S 707 = WzS 1991, S 326), genügt es in der Praxis
regelmäßig,
wenn sie Arbeitsunfähigkeit bescheinigen (BSGE 41, 201, 203 = SozR 2200 § 182 Nr 12).
Kenntnisse über den Begriff der Arbeitsunfähigkeit iS der deutschen Krankenversicherung
und die versicherungsrechtliche Bedeutung dieser Feststellung sind ausländischen Ärzten
dagegen normalerweise fremd (BSGE 31, 100, 102 = SozR Nr 39 zu § 182 RVO). Zur
Kontrolle kann die Krankenkasse daher bei Zweifeln über das Vorliegen von
Arbeitsunfähigkeit, insbesondere wenn die aus dem Ausland mitgeteilten Diagnosen und
Befunde nicht jede Erwerbstätigkeit ausschließen und - wie hier - für arbeitslose Arbeiter
eine weite Verweisbarkeit in Betracht kommt (BSG SozR 4100 § 105b Nr 4), oder wenn
die genannten Diagnosen Zweifel an der Dauer der Arbeitsunfähigkeit weken, den
Medizinischen Dienst heranziehen. Eine Überprüfung durch den Vertrauensärztlichen bzw

- 10 -

Medizinischen Dienst ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein ausländischer Arzt
die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat. § 369b RVO enthält, ebenso wie § 275 SGB V,
keine Einschränkung dahingehend, daß nur die Feststellungen inländischer Ärzte
überprüft werden könnten. Einen Ermessensfehler bei der Entscheidung über die
Erforderlichkeit der Untersuchung (BSG SozR 2200 § 369b Nr 1) hat das
Berufungsgericht nicht festgestellt.

Schließlich hat das LSG nicht den Grundsatz der objektiven Beweislast verletzt. Er regelt,
wen die Folgen treffen, wenn das Gericht bestimmte Tatsachen nicht feststellen kann. Es
gilt der Grundsatz, daß die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder des
Nichtfestgestelltseins einer Tatsache von dem Beteiligten zu tragen ist, der aus dieser
Tatsache ein Recht herleiten will (BSGE 30, 121, 123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG;
Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl, 1991, § 103 RdNr 19 mwN). Die Regeln über
die objektive Beweislast können nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erst
angewendet werden, wenn alle verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind (BSG
SozR 2200 § 317 Nr 2; BSG SozR 1500 § 128 Nr 18). Sie entheben den Tatrichter nicht
seiner insbesondere durch § 103 und § 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen
Würdigung der erhobenen Beweise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände
des Einzelfalles. Die Frage der Beweislastverteilung stellt sich erst dann, wenn es nach
Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhaltes nicht gelungen ist,
die bestehende Ungewißheit über eine ungeklärte Tatsache zu beseitigen (BSGE 30, 121,
123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG; BSG SozR 1500 § 128 Nr 18). Trotz seines engen
Zusammenhangs mit dem Verfahrensrecht gehört der Grundsatz der objektiven
Beweislast zum materiellen Recht (BSG SozR 1500 § 161 Nr 26; Meyer-Ladewig, aaO,
§ 103 RdNr 19; BVerwGE 45, 131, 132; BGH NJW 1983, 2032, 2033; NJW 1985, 1774,
1775; Kopp, Komm zum VWGO, 8. Aufl 1989, § 108 RdNr 12; aA Peters/Sauters/Wolff,
Komm zum SGG, § 103 Anm 4 S II/74 - 14 -; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl 1987,
S 274). Seine richtige Anwendung ist deshalb vom Senat auch grundsätzlich ohne
entsprechende Rüge durch den Kläger zu prüfen.

Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die medizinischen Grundlagen für die
Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit über den 11. November 1985 hinaus nicht mehr
aufklärbar sind. Hierbei handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, an die das Revi-
sionsgericht nach § 163 SGG gebunden ist, wenn die Beteiligten - wie im vorliegenden
Falle - dagegen keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben haben. Daß
die Vorinstanz nach Auffassung des erkennenden Senats nicht alle Möglichkeiten der
Aufklärung genutzt hat, läßt die Bindung nicht entfallen. Das Revisionsgericht wäre nur
dann nicht nach § 163 SGG gebunden, wenn die tatrichterliche Feststellung der nicht
weiteren Aufklärbarkeit mit anderen Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil im
Widerspruch stünde (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 139). Das ist hier aber nicht der

- 11 -

Fall. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, daß das LSG den Grundsatz der objektiven
Beweislast angewendet hat und davon ausgegangen ist, daß der Kläger die Folgen der
Nichtfeststellbarkeit der von ihm behaupteten Arbeitsunfähigkeit zu tragen hat.

Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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BSG, 13 BJ 271/96 vom 13.05.1997, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Az: 13 BJ 271/96

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Bahnversicherungsanstalt, Bezirksleitung Rosenheim,
Klepperstraße 1a, 83026 Rosenheim,

Beklagte und Beschwerdegegnerin,

beigeladen:

Freistaat Bayern,

vertreten durch die Bezirksfinanzdirektion Regensburg,
Bahnhofstraße 7, 93047 Regensburg.

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat am 13. Mai 1997 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. G. sowie die Richter Dr. L.
und M.

beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayeri-
schen Landessozialgerichts vom 21. Mai 1996 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für das Beschwerdeverfahren
nicht zu erstatten.

Gründe:

- 2 -

Im Ausgangsverfahren ist die Rückgängigmachung einer Beitragserstattung, hilfsweise
die Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen, ggf im Wege einer Nachversi-
cherung, streitig.

Der am 20. März 1940 geborene Kläger war bei der Deutschen Bundesbahn zunächst
vom 1. September 1954 bis 20. November 1957 als versicherungspflichtiger Jungwerker
und anschließend bis zum 31. Juli 1961 als versicherungsfreier Betriebsaufseher-Anwär-
ter tätig. Auf seinen Antrag wurden ihm mit Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember
1959 die in der Zeit vom 1. September 1954 bis 20. November 1957 entrichteten Arbeit-
nehmeranteile der Beiträge zur Rentenversicherung erstattet. Zum 1. August 1961 wech-
selte der Kläger in eine versicherungsfreie Tätigkeit bei der Finanzverwaltung über, wo er
1991 als Steuerhauptsekretär in den Ruhestand versetzt wurde. Da seine Zeit bei der
Deutschen Bundesbahn nicht als ruhegehaltsfähige Dienstzeit angerechnet wurde, er-
folgte für die Zeit vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli 1961 eine Nachversicherung. Mit
Bescheid vom 23. November 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1993
lehnte die Beklagte sowohl eine Rückgängigmachung der 1959 erfolgten Beitragserstat-
tung als auch eine Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit von Septem-
ber 1954 bis November 1957 ab. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteile des
Sozialgerichts Regensburg vom 11. Oktober 1994 und des Bayerischen Landes-
sozialgerichts vom 21. Mai 1996).

Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Eine Verpflichtung der Beklagten zur Rückgängigmachung der Beitragserstattung vom
22. Dezember 1959 bestehe nicht. Der Erstattungsbescheid sei wirksam und bestands-
kräftig geworden. Zwar habe der Kläger als nach damaligem Recht Minderjähriger einen
Antrag auf Beitragserstattung nicht wirksam stellen können, auch habe das Fehlen eines
wirksamen Antrages auf Beitragserstattung die Nichtigkeit des Erstattungsbescheides zur
Folge, hier sei jedoch § 108 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entsprechend anzu-
wenden. Das bedeute, daß ein Zustand schwebender Unwirksamkeit bestanden habe.

Nach Eintritt der Volljährigkeit des Klägers, nach damaligem Recht am 20. März 1961, sei
seine Genehmigung an die Stelle der fehlenden Genehmigung seines gesetzlichen Ver-
treters getreten (vgl § 108 Abs 3 BGB). Eine solche Genehmigung könne auch konkludent
anzunehmen sein, wenn der volljährig Gewordene den Vertrag fortsetze bzw - wie hier -
die Beitragserstattung nicht beanstande. Dies habe von seiten der Beklagten als Geneh-
migung aufgefaßt werden müssen. Der Beitragserstattungsbescheid vom 22. Dezember
1959 sei also spätestens mit Volljährigkeit des Klägers im März 1961 wirksam geworden.

Der Bescheid sei auch nicht rechtswidrig gewesen. Mit der Aufnahme des Klägers in die
Bundesbahn-Anwärterliste ab 1. Dezember 1957 sei die Versicherungspflicht zur gesetz-
lichen Rentenversicherung entfallen, ohne daß der Kläger ein Recht zur freiwilligen Wei-

- 3 -

terversicherung gehabt habe. Im übrigen ließe sich die seinerzeitige Beitragserstattung
auch dann nicht rückgängig machen, wenn deren gesetzliche Voraussetzungen nicht vor-
gelegen hätten.

Konzediere man trotz der hoheitlichen Abwicklung einer Beitragserstattung eine gewisse
Ähnlichkeit mit öffentlich-rechtlichen Verträgen, so habe hier ein Irrtum über die Ge-
schäftsgrundlage in Gestalt der außerhalb der Beitragserstattung liegenden rechtlichen
Gegebenheiten seitens der Beteiligten nicht vorgelegen. Vielmehr habe der Kläger damit
rechnen können, bei Fortführung seines Anwärterverhältnisses Versorgung von der Deut-
schen Bundesbahn unter Einbeziehung auch der Zeit seit dem 1. Dezember 1957 zu er-
halten. Die Erwartung des Fortbestehens dieser Perspektive könne aber nicht als Ge-
schäftsgrundlage einer Beitragserstattung angesehen werden, deren Fortfall einen An-
spruch auf Rückgängigmachung begründe.

Es finde sich auch keine Rechtsgrundlage für eine Nachversicherung. § 8 des Sechsten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar,
da der Kläger von September 1954 bis November 1957 versicherungspflichtig beschäftigt
gewesen sei.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht
der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Dazu trägt er ua vor:

Zwar werde vom LSG anerkannt, daß er als damaliger Minderjähriger keinen wirksamen
Antrag auf Beitragserstattung habe stellen können, jedoch werde in rechtsfehlerhafter
Weise § 108 BGB entsprechend angewendet. Er habe nachträglich als Volljähriger die
Tragweite seines Beitragserstattungsantrages nicht erkennen und damit diesen auch
nicht konkludent iS von § 108 Abs 3 BGB genehmigen können, da er damals die Konse-
quenzen nicht habe übersehen können. Die Annahme einer Genehmigung der Beitrags-
rückerstattung nach § 108 Abs 3 BGB würde den Minderjährigenschutz ins Gegenteil ver-
kehren. Wegen der besonderen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache schon in
diesem Punkt sei die Revision zuzulassen.

Ferner liege die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auch darin, wie seine
"Zwitterstellung" im damaligen Beschäftigungszeitraum vom 1. Dezember 1957 bis
31. Juli 1961 rechtlich zu bewerten sei. Eine einwandfreie Versicherungsfreiheit ab
1. Dezember 1957 sei nicht ohne weiteres gegeben, zumal er zum Ablauf des 31. Juli
1961 ohne Anwartschaft auf Versorgung aus dieser Beschäftigung ausgeschieden sein.

Im übrigen sei die vom LSG zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom
9. Dezember 1981 für diesen konkreten Sonderfall nicht einschlägig. Die klärungsbedürf-
tige Rechtsfrage sei auch nicht in dem weiter angeführten Urteil des BSG vom 11. Juli
1972 entschieden worden. Diese beziehe sich nicht auf den hier streitbefangenen Fall,
dessen Brisanz und Entscheidungswichtigkeit sich erst im Rahmen seiner Versetzung in

- 4 -

den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit zum 1. Oktober 1991 herauskristallisiert und ma-
nifestiert habe. Zwar sei nun die Zeit vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli 1961 nachversi-
chert worden, nicht jedoch der davorliegende Zeitraum vom 1. September 1954 bis zum
30. November 1957. Daraus ergebe sich die besondere Rechtsproblematik für ihn und
damit die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

Aufgrund dieser Konstellation sei seiner Auffassung nach § 8 Abs 2 SGB VI analog anzu-
wenden. Grundlage für den damaligen Antrag auf Beitragsrückerstattung sei zunächst die
falsche Beratung durch die damaligen Dienstvorgesetzten, ferner seine Unmündigkeit und
die Ungeklärtheit seiner Stellung für den Zeitraum vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli
1961 gewesen. Aufgrund dieser ungeklärten Situation hätte eine Beitragsrückerstattung
auch nicht vorgenommen werden dürfen. Zumindest habe ein Irrtum über die Geschäfts-
grundlage der Beitragsrückerstattung zum damaligen Zeitpunkt vorgelegen, der nicht zu
seinen Lasten gehen dürfe.

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den sich aus
§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergebenden

Anforderungen.

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen - grundsätzliche
Bedeutung, Abweichung, Verfahrensmangel - zugelassen werden. In der Beschwerdebe-
gründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt und die Ent-
scheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet
werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Daran fehlt es hier.

Um die vom Kläger allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache
(vgl § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) darzulegen, ist es zunächst erforderlich, die nach Ansicht des
Beschwerdeführers grundsätzliche Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, daß
sie allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitze (vgl BSG SozR
1500 § 160a Nrn 11, 39). Ferner ist darzutun, daß die Rechtsfrage klärungsbedürftig sei.

Das ist zum einen nicht der Fall, wenn die Antwort von vornherein praktisch außer Zweifel
steht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 4, 11). Zum anderen ist auch eine Rechtsfrage, die
das BSG bereits entschieden hat, nicht mehr klärungsbedürftig und kann somit keine
grundsätzliche Bedeutung mehr haben, es sei denn, die Beantwortung der Frage ist aus
besonderen Gründen klärungsbedürftig geblieben oder erneut geworden; das muß sub-
stantiiert vorgetragen werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 13, 65). Schließlich ist
darzulegen, daß die Rechtsfrage in dem einer Zulassung folgenden Revisionsverfahren
entscheidungserheblich und damit auch klärungsfähig sei (vgl BSG SozR 1500 § 160a
Nr 54).

- 5 -

Diesen Begründungserfordernissen hat der Kläger nicht in vollem Umfang Genüge getan.

Es ist bereits zweifelhaft, ob er eine von ihm als grundsätzlich erachtete Rechtsfrage
deutlich genug gestellt hat, jedenfalls fehlt es an hinreichenden Ausführungen zur Klä-
rungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der von ihm angesprochenen Punkte.

Soweit es die Anwendung des § 108 Abs 3 BGB betrifft, hat es der Kläger zur Darlegung
eines höchstrichterlichen Klärungsbedarfes gänzlich unterlassen, sich mit der dazu ergan-
genen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes auseinanderzusetzen. Als
höchstrichterlich geklärt muß nämlich eine Rechtsfrage auch dann angesehen werden,
wenn sie zwar vom BSG noch nicht ausdrücklich entschieden worden ist, zur Auslegung
der anzuwendenden Vorschrift aber schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen
sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung dieser Frage geben (vgl BSG SozR
3-1500 § 160 Nr 8; ebenso Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, Rz 117
mwN). Dementsprechend hätte der Kläger in seiner Beschwerdebegründung auf die
Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte zu § 108 Abs 3 BGB eingehen müssen.

Dabei hätte sich folgende Rechtslage ergeben: Zunächst hat das BSG die § 106 ff BGB
bereits im Zusammenhang mit dem Antrag eines nicht voll geschäftsfähigen Versicherten
auf Beitragserstattung nach § 1303 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entspre-
chend angewandt (vgl BSG SozR Nr 3 zu § 1613 RVO). Ferner ist eine Genehmigung
nach § 108 Abs 3 BGB - wie insbesondere der Bundesgerichtshof (BGH) bereits ent-
schieden hat - zwar auch durch schlüssiges Verhalten möglich, sie setzt dann jedoch vor-
aus, daß sich der volljährig Gewordene der schwebenden Unwirksamkeit des Rechtsge-
schäfts bewußt gewesen ist oder mindestens mit ihr gerechnet hat (vgl BGHZ 53, 174,
178; BGH LN Nr 4 zu § 108 BGB; ebenso Bundesarbeitsgericht, NJW 1964, 1641, 1643).

Unter diesen Umständen hätte der Kläger möglicherweise eine Abweichung des LSG von
der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung geltend machen können (vgl § 160
Abs 2 Nr 2 SGG), eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache lag hingegen fern.

Soweit der Kläger die Frage seiner Versicherungsfreiheit als Anwärter bei der Deutschen
Bundesbahn für grundsätzlich bedeutsam hält, kann dahingestellt bleiben, ob er ihre Klä-
rungsbedürftigkeit hinreichend dargetan hat, jedenfalls wäre diese Frage nur entschei-
dungserheblich und damit klärungsfähig, wenn der Beitragserstattungsbescheid bei Ver-
neinung einer Versicherungsfreiheit des Klägers in der Zeit ab Dezember 1957 und damit
bei Fehlen der Voraussetzungen des § 1303 RVO, von der Beklagten zurückgenommen
werden müßte. Da das LSG eine Rückgängigmachung der Beitragserstattung auch für
diesen Fall unter Bezugnahme auf Entscheidungen des BSG abgelehnt hat, hätte der
Kläger für diese tragende Begründung ebenfalls einen Zulassungsgrund iS von § 160
Abs 2 SGG ordnungsgemäß geltend machen müssen. Auch insoweit läßt die Beschwer-
debegründung jedoch die gebotene Auseinandersetzung mit der einschlägigen Recht-
sprechung des BSG vermissen. Die bloße Behauptung, die Entscheidungen des BSG

- 6 -

vom 11. Juli 1972 (BSG SozR Nr 16 zu § 1232 RVO) und 9. Dezember 1981 (BSG SozR
2200 § 1303 Nr 23) seien im konkreten Fall nicht einschlägig, reicht insoweit nicht aus,
um einen weiterhin bestehenden Klärungsbedarf zu begründen, zumal das BSG-Urteil
vom 9. Dezember 1981 durch spätere Entscheidungen bestätigt worden ist (vgl BSG
SozR 2200 § 1744 Nr 17; SozR 2200 § 1303 Nr 26; SozR 1300 § 45 Nr 7). Auch hinsicht-
lich der anderen in diesem Zusammenhang vom Kläger hervorgehobenen
Gesichtspunkte wird nicht deutlich, warum sie einer Heranziehung
dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegenstehen sollen.

Schließlich stellen auch die Ausführungen des Klägers zur analogen Anwendung des § 8
Abs 2 SGB VI und zum "Irrtum über die Geschäftsgrundlage" keine hinreichende Be-
schwerdebegründung dar; sie entbehren insbesondere einer näheren Darlegung der Klä-
rungsbedürftigkeit damit zusammenhängender Rechtsfragen.

Da somit Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt worden sind, ist die Beschwerde
als unzulässig zu verwerfen. Dem Kläger bleibt die Möglichkeit, das von ihm bean-
spruchte Recht auf Rückabwicklung der im Jahre 1959 erfolgten Beitragserstattung in ei-
nem Verfahren nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) erneut geltend
zu machen.

Die Verwerfung der Beschwerde des Klägers kann in entsprechender Anwendung des
§ 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen (vgl BSG SozR
1500 § 160a Nrn 1, 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, 13 BJ 207/92 vom 21.01.1993, Bundessozialgericht
BSG SozR 3-1500 § 160 Nr. 8

BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Az.: 13 BJ 207/92

Klägerin und Beschwerdegegnerin,

Prozeßbevollmächtigte

gegen

Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken,
Bayreuth 2, Wittelsbacherring 11,

Beklagte und Beschwerdeführerin.

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21. Januar 1993 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. G. und die Richter Dr. W.
und Dr. L. sowie den ehrenamtlichen Richter
Freiherr von B. und die ehrenamtliche Richterin
G.

beschlossen:

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil
des Bayerischen Landessozialgerichts vom 2. Juni 1992 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Beschwerde-
verfahren zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

lm Ausgangsverfahren ist die Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs auf
die wiederaufgelebte Witwenrente der Klägerin streitig.

Die 1940 geborene Klägerin bezog nach dem Tode ihres ersten Ehemannes bis zu
ihrer Wiederheirat Witwenrente von der Beklagten. Die zweite Ehe wurde geschie-
den, nachdem sich die Klägerin einem anderen Mann zugewandt hatte und aus
der ehelichen Wohnung ausgezogen war. Im Scheidungsverfahren verzichteten die
Klägerin und ihr zweiter Ehemann wechselseitig auf nachehelichen Unterhalt.

Auf die der Klägerin gewährte, wiederaufgelebte Witwenrente rechnete die Be-
klagte mit Bescheid vom 7. August 1989 einen Unterhaltsanspruch der Klägerin
gegen den zweiten Ehemann an. Der nach erfolglosem Widerspruch (Wider-
spruchsbescheid der Beklagten vom 21. Februar 1990) erhobenen Klage gab das
Sozialgericht (SG) Nürnberg statt. Durch Urteil vom 30. April 1991 verpflichtete
es die Beklagte, die Witwenrente ohne Anrechnung von Unterhaltsansprüchen zu
gewähren. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Nach dem Urteil des
Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 2. Juni 1992 läßt sich ein anrechen-
barer Unterhaltsanspruch der Klägerin, der hier nach § 1579 Nr 6 des Bürgerli-
chen Gesetzbuches (BGB) wegen ihres ehewidrigen Verhaltens ausgeschlossen
sei, auch nicht im Hinblick darauf unterstellen, daß die Klägerin ihn durch eigenes
Verschulden verwirkt habe. Es gebe nach Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes
1972 (RRG 1972) im Gesetz keinen Anknüpfungspunkt mehr für die Herstellung
eines Zusammenhanges zwischen ehelichem oder nachehelichem Fehlverhalten in
der zweiten Ehe und dem Anspruch auf wiederaufgelebte Witwenrente.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Beklagte im wesentlichen eine
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Die entscheidungserhebliche
Frage, ob ein wegen groben ehelichen Fehlverhaltens vor der Scheidung verwirk-
ter Unterhaltsanspruch gegen den zweiten Ehemann auf die wiederaufgelebte Wit-
wenrente nach dem ersten Ehemann angerechnet werden kann, sei klärungsbe-
dürftig.

- 3 -

II

Die Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet.

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Abweichung, Verfahrensman-
gel - zugelassen werden. Die Beklagte beruft sich sowohl auf eine grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache als auch auf eine Abweichung von einer Entscheidung
des Bundessozialgerichts (BSG). Damit kann sie keinen Erfolg haben.

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist eine Rechtssa-
che, wenn sie eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art aufwirft, die klärungsbedürftigist. Die Frage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz be-
antworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ent-
schieden sein (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 4). Diese Voraussetzung erfüllt die
von der Beklagten herausgestellte Frage nicht. Das BSG hat diese Frage zwar
noch nicht ausdrücklich entschieden, es sind jedoch zur Auslegung vergleichbarer
Regelungen schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen, die ausreichende
Anhaltspunkte zu ihrer Beantwortung geben (vgl allgemein Kummer, Die Nichtzu-
Iassungsbeschwerde, 1990, RdNr 117). Dabei ist mit dem Bundesverfassungs-
ericht (BVerfG) davon auszugehen, daß die Wiederauflebensregelung im Sozial-
versicherungsrecht mit den entsprechenden Bestimmungen im Beamten- und
Kriegsopferversorgungsrecht vergleichbar ist, weil hier das gleiche familienpoliti-
sche Problem vom Gesetzgeber übereinstimmend gelöst worden ist (vgl
BVerfGE 38, 187, 203 ff, 205). Mithin kann die zu den anderen Rechtsgebieten
vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung auch für die Beurteilung der An-
rechnung von (fiktiven) Unterhaltsansprüchen im Rahmen des § 1291 Abs 2
Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) herangezogen werden. Insofern ist
zu beachten, daß nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
(BVerwG) vom 25. Januar 1961 (BVerwGE 11, 350) das Witwengeld der wieder-
verheirateten Beamtenwitwe nach der Scheidung der zweiten Ehe auch dann wie-
derauflebt, wenn die Ehegatten eigens zu diesem Zweck die Scheidung betrieben
haben. In solch einem Fall dürfen selbst tatsächliche Zuwendungen des geschiede-
nen zweiten Ehemannes, auf die kein Anspruch besteht, nicht den in der Wieder-
auflebensregelung behandelten Unterhaltsansprüchen gleichgestellt und wie diese
auf das Witwengeld angerechnet werden (vgl BVerwGE 11, 350, 354). Dieser

- 4 -

Rechtsprechung hat sich das BSG bereits für den Bereich der Kriegsopferversor-
gung angeschlossen. In seinem Urteil vom 2. Oktober 1975 hat es ausgeführt,
daß der Anspruch auf Witwenversorgung seit Inkrafttreten des RRG 1972 umso
sicherer, ungefährdeter und vollständiger - nämlich ohne Anrechnung etwaiger
Unterhaltsansprüche - wiederauflebt, wenn die Ehe aus dem Alleinverschulden der
Frau geschieden worden ist (vgl BSGE 40, 260, 262 = SozR 3100 § 44 Nr 5
Seite 14). Da keine Gesichtspunkte ersichtlich sind, warum diese Beurteilung nicht
auch in der gesetzlichen Rentenversicherung Geltung beanspruchen kann, ist
insofern keine weitere höchstrichterliche Klärung erforderlich.

Auch die gerügte Abweichung des LSG von dem Urteil des BSG vom 25. Mai
1971 (BSG SozR Nr 31 zu § 1291 RVO) liegt nicht vor (vgl § 160 Abs 2 Nr 2
SGG). Denn die letztgenannte Entscheidung ist zu der alten, durch das RRG 1972
geänderten Fassung des § 1291 RVO ergangen. Zwar ist der Wortlaut der An-
rechnungsbestimmung selbst gleichgeblieben, jedoch wird deren Auslegung durch
den Wegfall der Verschuldensklausel in der Wiederauflebensregelung entscheidend
beeinflußt (vgl BSGE 40, 260, 264 = SozR 3100 § 44 Nr 5 Seite 16).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193
SGG.

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BSG, 12/11 BA 116/75 vom 02.03.1976, Bundessozialgericht
SozR 1500 § 160 Nr 17

Bundessozialgericht

12/11 BA 116/75

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Kläger und Beschwerdeführer

gegen

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte,

Berlin 57, Ruhrstreße 2,

Beklagte und Beschwerdegegnerin„

Der 12. Senat des Bundessczielgerichts hat am 2. März
1976 durch den Vorsitzenden Richter Dr. H.
und die Richter Dr. F. und
O. beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin
vom 16 Juli 1975 wird als unzulässig verworfen.

Anßergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens
haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers_ist als unzu-
lässig zu verwerfen (§ 169 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Da der Kläger seine Nichtzulassungsbeschwerde allein auf
den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 160 Abs.2 Nr. 1 SGG) stützt, hätte er in
der Beschwerdebegründung hinreichend die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache darlegen müssen (§ 160 a Abs. 2
Satz 3 SGG. Das ist nicht geschehen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat es, wie bereits die
Beklagte und das Sozialgericht (SG), abgelehnt, dem Kläger
auf dessen Antrag gemäß Art. 2 § 49 a Abs. 2 des Ange
stelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes zu gestatten,
freiwillige Beiträge (§ 40 des Angestelltenversicherungs-
gesetzes -AVG-) für die Zeiten vom 1. Januar 1956 an bis
31. Dezember 1973 nachzuentrichten. Die Voraussetzungen
der Nachentrichtung hat das LSG damit verneint, der
Kläger habe weder seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik
Deutschland, da er seit Jahrzehnten in den Vereinigten
Staaten von Amerika lebe, noch sei er Deutscher i.S. des
Art. 116 Abs. 4 des Grundgesetzes, da er seit 1944 ameri-
kanischer Staatsbürger sei. Die Nachentrichtung sei auch
nicht auf Grund der in Art. IV Abs. 2 des Freundschafts-,
Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der Bundes-
republik Deutschland und den Vereinigten Staaten von
Amerika vom 29. Oktober 4954 verfügten Inländerbehand-
lung gerechtfertigt„ Nach dem eindeutigen Wortlaut und
dem Sinn dieser Vorschrift erstrecke sich diese Inländer-
behandlung nur auf Leistungen. Die in Abs. 4 des Art. IV
genannten "anderen Vorteile" seien in Abs. 2 ausdrücklich

- 3 -

nicht erwähnt. Der Bundesminister für Arbeit (BMA) habe in
seinem Erlaß vom 10 Oktober 1956 (abgedruckt in: Deutsche
Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten, XVI
USA, Art. IV des Freundschaftsvertrags, An. 1) in diesem
Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Vorschriften über
die freiwillige Versicherung (§ 21 AVG damaliger Fassung)‘
durch den Vertrag nicht berührt würden, weil Art, IV die
Gleichbehandlung nur in bezug auf die innerstaatlichen Vor-
schriften vorschreibe, die Leistungen aus der Sozialversi-
cherung oder der Arbeitslosenversicherung vorsehen. Das
Recht auf Selbstversicherung stelle jedoch keine Leistung·
dar.

Der Kläger möchte der Sache deshalb grundsätzliche Bedeutung
beimessen, weil das Bundessozialgericht bisher über die
Auslegung des Art. IV Ab. 2 des Freundschaftsvertrages im
Hinblick auf das Recht der Selbstversicherung noch nicht
entschieden habe, eine solche Entscheidung aber für eine
Unzahl gleichgelagerter Fälle bedeutsam sei. Der Vertrags-
text des Art. IV Abs. 2 des Vertrages sei nicht so eindeu-
tig, daß sich bereits von vornherein die Rechtsfrage nicht
stelle. Wie er näher ausführt, hält er die Inländerbehand-
lung auch bei der Anwendung des Rechts zur Selbstversiche-
rung für zulässig.

Diese Ausführungen des Klägers entsprechen nicht den Anfor-
derungen an die dem Beschwerdeführer obliegende Pflicht,
die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen
(§ 460 a Abs. 2 Satz 5 SGG). Eine Rechtsfrage hat u.a. nur
dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie klärungsbedürftig
ist. Dies ist aber regelmäßig dann zu verneinen, wenn
- wie hier - die Beantwortung der Rechtsfrage so gut wie
unbestritten ist (Weyreuther, Revisionszulassung und Nicht-
zulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten
Bundesgerichte, NJW-Schriften 14, RdNr. 65 mit weiteren Hin-

- 4 -

weisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung). Der Kläger
hätte daher, um die Ausnahme darzutun, im einzelnen darlegen
müssen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen
Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten und inwie-
fern sie im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist. Zu
einer solchen Darlegung mußte sich der Kläger im vorliegenden
Fall schon deshalb gedrängt fühlen, weil sich das LSG in seiner -
Begründung noch ausdrücklich auf den gegen die Auffassung des ·
Klägers sprechenden, den Inhalt des Vertrages klarstellenden
Erlaß des BMA vom 10. Oktober 1956 gestützt hat. Auf den Er-
laß ist der Kläger aber überhaupt nicht eingegangen. Das·wäre
jedoch erforderlich gewesen. Bei der Auslegung von Sozial-
versicherungsabkommen - hier des Freundschaftsvertrages - ist
nämlich die Auffassung des beim Zustandekommen eines solchen
Abkommens beteiligten Fachministers wegen dessen Kenntnis der
Zusammenhänge und der mit dem Abkommen verbundenen Verstellun-
gen beider Vertragsteile von nicht geringer Bedeutung.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des
§ 195 SGG.

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