Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Dienstag, 5. Mai 2015
BVerwG 11 VR 3.97 vom 21.03.1997, Bundesverwaltungsgericht
BVerwG 11 VR 3.97

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. März 1997
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. D. und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Prof. Dr. B. und Dr. R.

beschlossen:

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen
Anordnung wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die
Antragsteller zu 1 als Gesamtschuldner und
der Antragsteller zu 2 jeweils zur Hälfte.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8 000 DM festgesetzt.- 2 -

G r ü n d e :

I.

Die Antragsteller sind Eigentümer von bebauten Grundstücken
entlang des Bundesschienenweges Uelzen - Stendal, der nach dem
Bundesschienenwegeausbaugesetz als Ausbaustrecke
(Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Schiene Nr. 8) auszubauen
ist. Diese Strecke stellte bis 1945 die kürzeste Verbindung
zwischen dem mitteldeutschen Raum und den Nordseehäfen dar und
wurde zweigleisig betrieben. Im Juli 1945 wurde der
Eisenbahnbetrieb zwischen den Grenzbahnhöfen von Sachsen-
Anhalt und Niedersachsen eingestellt. In den folgenden Jahren
wurden die Gleisanlagen in Grenznähe vollständig abgebaut und
im weiteren Streckenabschnitt zwischen Wieren und Uelzen
eingleisig zurückgebaut.

Zur Realisierung der Ausbaustrecke hat die Deutsche Bahn AG
die auf die Elektrifizierung beschränkte Planfeststellung
beantragt. Für die den Streckenabschnitt Stederdorf - Uelzen
betreffenden Planfeststellungsabschnitte 25 und 26 wird
derzeit das Planfeststellungsverfahren durchgeführt. Im
Planfeststellungsabschnitt 25 hat die Auslegung der
Planfeststellungsunterlagen bereits stattgefunden. Die
Einwendungsfrist ist abgelaufen. Die Antragsteller haben
Einwendungen erhoben. Die den Planfeststellungsabschnitt 26
betreffenden Planfeststellungsunterlagen liegen derzeit
öffentlich aus. Es ist beabsichtigt, die Einwendungen zu
beiden Planfeststellungsabschnitten in einem gemeinsamen
Termin zu erörtern.


Die Antragsteller haben am 11. Februar 1997 um vorläufigen
Rechtsschutz nachgesucht. Sie befürchten, daß ihre Grundstücke
durch den Ausbau erheblich an Wert verlieren, weil trotz der
zu erwartenden Lärmbelästigung keine Lärmschutzmaßnahmen

- 3 -

vorgesehen seien. Sie vertreten die Auffassung, daß es sich
bei der Ausbaumaßnahme um eine wesentliche Änderung eines
Schienenweges handele, weil die Bahnstrecke in den Jahren
1984/1985 in eine eingleisige Strecke zurückgestuft worden
sei. Deswegen sei die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte im
Sinne der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung durch
Lärmschutzmaßnahmen sicherzustellen. Darüber hinaus seien
Kreuzungsbauten im Sinne des Eisenbahnkreuzungsgesetzes
vorzusehen. Die Deutsche Bahn AG wolle sich diesen
Konsequenzen aber entziehen, indem sie - ebenso wie die
Antragsgegnerin - die Rückstufung der Strecke bestreite, die
Einsicht in die entsprechenden Unterlagen verweigere, diese
Unterlagen trotz zeitweiligen Vorlageverlangens der
Anhörungsbehörde zurückhalte und nicht den ausgelegten
Planunterlagen beifüge. Ohne Offenlegung dieser Akten dürfe
das Planfeststellungsverfahren nicht weiterbetrieben werden.
Andernfalls würden die Rechte der Antragsteller verletzt,
insbesondere ihr Recht auf Eigentum und Gesundheit. Das
Akteneinsichtsrecht der Antragsteller ergebe sich aus § 29
VwVfG, aus §§ 4 und 5 UIG sowie unmittelbar aus Art. 103 Abs.
1 GG. Dieses Recht müsse im Wege der beantragten einstweiligen
Anordnung bereits jetzt gewährt werden. Andernfalls sei eine
ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer Rechte im
Planfeststellungsverfahren nicht möglich. Darüber hinaus
liefen sie Gefahr, im späteren gerichtlichen Verfahren mit
ihren Einwendungen präkludiert zu sein. Effektiver
Rechtsschutz sei nicht gewährleistet, da möglichen
Planungsalternativen, die sich aus der vollständigen Kenntnis
aller Planungsunterlagen ergeben könnten, im Rahmen einer bloß
nachträglichen Rechtskontrolle kein maßgebliches Gewicht mehr
zukomme. § 44 a VwGO stehe dem Antrag nicht entgegen.


Die Antragsteller beantragen,

der Antragsgegnerin aufzugeben, den Antragstellern
Akteneinsicht in die eigenen Rückstufungsakten für die
Bahnlinie Wieren-Uelzen von zweigleisigem Verkehr auf
dauernd eingleisigen Verkehr gemäß Erlaß vom 22. Februar
1984 zu Aktenzeichen E 15/32.38.02/428 Bb 83 zu
gewähren,

hilfsweise,

- 4 -

der Antragsgegnerin aufzugeben, die Rückstufungsakten für die
Bahnlinie Wieren-Uelzen von zweigleisigem Verkehr auf dauernd
eingleisigen Verkehr gemäß Erlaß vom 22. Februar 1984 zu
Aktenzeichen E 15/32.38.02/428 Bb 83 der Bezirksregierung
Lüneburg im Anhörungsverfahren zur Planfeststellung betreffend
VDE Nr. 3, Bahnlinie Uelzen-Stendal vorzulegen.

Die Antragsgegnerin beantragt,


den Antrag abzulehnen.

Sie hält den Antrag wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses für
unzulässig, weil den Antragstellern der Inhalt der Akten, in
die Einsicht begehrt werde, bereits bekannt sei. Wenn seitens
der Antragsgegnerin davon die Rede gewesen sei, die fragliche
Strecke sei entwidmet worden, so habe es sich um eine
unverbindliche Einschätzung der Rechtslage gehandelt, die
später im Blick auf die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts wieder revidiert worden sei.
Jedenfalls sei der Antrag unbegründet. Ein Anspruch auf
Einsicht in die Akten der Antragsgegnerin bzw. auf Vorlage der
Akten an die Anhörungsbehörde stehe der Antragsgegnerin -
insbesondere nach § 29 VwVfG - nicht zu.

- 5 -


II.

1. Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 5 Abs. 1 VerkPBG
berufen, über den Antrag der Antragsteller auf Erlaß einer
einstweiligen Anordnung zu entscheiden. Der Gesetzeszweck
dieser Vorschrift verlangt ihre weite Auslegung dahin, daß sie
alle Verwaltungsstreitverfahren erfaßt, die einen
unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungsverfahren
oder Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 1 VerkPBG
haben (BVerwG, Beschluß vom 22. November 1995 - BVerwG 11 VR
42.95 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 5). Ein solcher
unmittelbarer Bezug zu den Planfeststellungsverfahren in den
Planfeststellungsabschnitten 25 und 26 der Ausbaustrecke
Uelzen - Stendal (Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Schiene Nr.
8) ist noch zu bejahen. Er ergibt sich daraus, daß die
streitbefangenen Akten diesen Streckenabschnitt betreffen und
die Antragsteller - wie vor allem aus ihrem Hilfsantrag
hervorgeht - den Akteninhalt zum Gegenstand des
Planfeststellungsverfahrens machen wollen. Auch die
Anhörungsbehörde des Planfeststellungsverfahrens hat zeitweise
die Beiziehung der Akten für erforderlich gehalten.


2. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung bleibt
ohne Erfolg. Die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 VwGO liegen
nicht vor. Die Antragsteller haben einen Anordnungsgrund nicht
glaubhaft gemacht.


Mit ihrem Antrag auf Akteneinsicht begehren die Antragsteller
keine vorläufige Maßnahme, sondern die Vorwegnahme der
Hauptsache. Ein solches Rechtsschutzziel widerspricht
grundsätzlich der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes
(BVerwG, Beschluß vom 14. Dezember 1989 - BVerwG 2 ER 301.89 -
Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 15). Etwas anderes muß im Hinblick
auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG)
allerdings gelten, wenn ohne vorläufigen Rechtsschutz schwere
und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden,
zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der- 6 -
Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfGE 46, 166 <179>;
79, 69 <74>).


Solche Nachteile drohen den Antragstellern nicht. Sie machen
geltend, ohne Kenntnis des Akteninhalts an der ordnungsgemäßen
Wahrnehmung ihrer Rechte im Planfeststellungsverfahren
gehindert zu werden, weil sie mit späteren Einwendungen
ausgeschlossen werden könnten und eine Alternativplanung nicht
rechtzeitig erarbeitet werden könnte; ein einmal ergangener
Planfeststellungsbeschluß schaffe vollendete Tatsachen, die
durch nachträglichen Rechtsschutz erfahrungsgemäß nicht mehr
beseitigt würden. Das trifft jedoch nicht zu. Die
Antragsteller sind auch ohne Zuerkennung des beantragten
vorläufigen Rechtsschutzes nicht gehindert, ihre Einwendungen
in den die Planfeststellungsabschnitte 25 und 26 betreffenden
Planfestellungsverfahren in einer den Anforderungen des § 20
AEG entsprechenden Weise vorzubringen. Das belegen bereits
ihre Ausführungen in der Antragsschrift im vorliegenden
Verfahren. Die Planfeststellungsbehörde kann hieraus ohne
weiteres entnehmen, daß sie Lärmschutzmaßnahmen zur Sicherung
des Immissionsgrenzwertes des § 2 der 16. BImSchV für
erforderlich halten, weil nach ihrer Ansicht die
planfestzustellende Maßnahme die Voraussetzungen einer
wesentlichen Änderung von Schienenwegen im Sinne des § 1 Abs.
1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der 16. BImSchV erfüllt. Die damit von
den Antragstellern aufgeworfene Rechtsfrage könnte weder im
vorliegenden Eilverfahren noch durch die begehrte
Akteneinsicht verbindlich entschieden werden. Dies könnte
erforderlichenfalls erst in einem gegen den
Planfeststellungsbeschluß gerichteten verwaltungsgerichtlichen
Verfahren geschehen. Es ist nicht erkennbar, daß diese
Rechtsschutzmöglichkeit im Hinblick auf das im
Planfeststellungsverfahren verfolgte Begehren der
Antragsteller nicht mehr zeitgerecht oder inhaltlich,
insbesondere im Hinblick auf die Kontrolle von
Verfahrensfehlern, Planrechtfertigung oder Abwägungsmängeln,
unzureichend wäre. Soweit die Antragsteller faktische
Nachteile durch einen auf die nachträgliche Kontrolle der
Sachentscheidung beschränkten Rechtsschutz rügen, wenden sie

- 7 -

sich in Wahrheit gegen die Entscheidungen des Gesetzgebers zu
Art und Umfang des gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber
Planfeststellungsverfahren im allgemeinen und gegenüber
solchen auf der Grundlage des
Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes im besonderen,
deren Verfassungsmäßigkeit sie allerdings selbst nicht in
Frage stellen. Es kann aber nicht Aufgabe des vorliegenden
Eilverfahrens sein, diese gesetzgeberischen Entscheidungen der
Sache nach wieder aufzuheben oder zu umgehen. Art. 19 Abs. 4
GG gebietet dies jedenfalls nicht. Die Antragsteller haben
auch keinen weitergehenden Anspruch darauf, ihre
Rechtsposition noch vor Erlaß des Planfeststellungsbeschlusses
gerichtlich bestätigt zu erhalten oder die
Planfeststellungsbehörde noch während des laufenden
Planfeststellungsverfahrens zur Übernahme der Rechtsauffassung
der Antragsteller gerichtlich zu zwingen. Schon von daher sind
im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG bedeutsame rechtliche oder
tatsächliche Nachteile der Antragsteller in dem
Planfeststellungsverfahren durch die Ablehnung des beantragten
Erlasses einer einstweiligen Anordnung nicht erkennbar. Das
gilt nicht zuletzt deshalb, weil die Antragsteller davon
ausgehen, daß bereits durch die unstreitig gegebene dauernde
Betriebseinstellung eine "Entwidmung" des zweiten Gleises
stattgefunden habe, so daß dessen Wiederinbetriebnahme
Lärmschutzmaßnahmen im Sinne der 16. BImSchV erforderlich
mache. Mithin kommt es nach der Rechtsauffassung der
Antragsteller für die Frage, ob sie Einwendungen gegen
das Vorhaben bzw. gegebenenfalls Klage gegen den
Planfeststellungsbeschluß erheben werden, auf das
Vorhandensein und den Inhalt der begehrten Unterlagen nicht
an.

- 8 -

3. Auch hinsichtlich des Hilfsantrages haben die Antragsteller
einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Das ergibt sich
aus den unter 2 wiedergegebenen Erwägungen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 159
VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des
Streitwerts auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 20 Abs. 3 GKG in
Verbindung mit § 5 ZPO.

Dr. D. Prof. Dr. B. Dr. R.

Faksimile  1   2   3   4   5   6   7   8  

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG 11 RAr 89/94 vom 30.11.1994, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT


Beschluß

in dem Rechtsstreit

Az: 11 RAr 89/94

Kläger, Antragsteller
und Revisionsführer,
Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit,
Nürnberg, Regensburger Straße 104
Beklagte, Antragsgegnerin
und Revisionsbeklagte.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat am 30. November 1994 durch den
Vorsitzenden Richter S. , die Richterin Dr. W. - S. und
den Richter Lüdtke
beschlossen:

Der Antrag des Klägers, ihm für die Revision gegen das Urteil des Hessischen Landes-
sozialgerichts vom 17. Dezember 1993 Prozeßkostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwalt
Dr. B. beizuordnen, wird abgelehnt.

- 2 -


Gründe:


Die Revision betrifft einen Anspruch auf Überlassung von Ablichtungen aus den den
Kläger betreffenden Verwaltungsakten der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA).
Der Kläger war bis 1980 als Diplom-Ingenieur und Filialleiter beschäftigt. Seit Mai 1980
begehrt er von der BA die Vermittlung in eine Stellung als Generalmanager. Seither ist es
zu einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten zwischen den Beteiligten gekommen. Der
Kläger argwöhnt, zu einer entsprechenden Vermittlung sei es wegen der fachlich unzu-
reichenden und gegen ihn persönlich voreingenommenen Vermittlungstätigkeit des
Bediensteten Gerd L beim Büro für Führungskräfte der Wirtschaft der BA nicht ge-
kommen. Den auch mit der Revision verfolgten Antrag, "dem Kläger Ablichtungen sämt-
licher Bewertungen, Beschreibungen, Charakterisierungen und ähnlicher Aktenvermerke
zu überlassen, die Herr L in dem Zeitraum von Dezember 1980 bis Dezember
1991 über ihn abgegeben bzw gefertigt hat", hat die BA abgelehnt (Bescheid vom
19. März 1987; Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 1988). Die dagegen gerichtete Klage
hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 3. Dezember 1991 abgewiesen. Zur
Begründung ist ausgeführt, die BA habe den Kläger auf die Akteneinsicht verweisen
dürfen. Nach § 25 Abs 5 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) sei die BA
lediglich verpflichtet, dem Kläger im Rahmen der Akteneinsicht Ablichtungen von durch
ihn genau (mit Blattzahl oder Datum) bezeichneten Aktenteilen zu erteilen. Die gegen
dieses Urteil gerichtete Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) als unzulässig
verworfen.


Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter.

II

Die zur Durchführung der Revision nachgesuchte Prozeßkostenhilfe und Beiordnung
seines Prozeßbevollmächtigten steht dem Kläger nicht zu, denn seine Rechtsverfolgung
hat nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ;
§ 114 Satz 1 Zivilprozeßordnung .


1. Entscheidend für die Beurteilung der Erfolgsaussicht ist nicht das voraussichtliche
Ergebnis des Revisionsverfahrens, sondern eine Aussicht auf Erfolg in der Sache selbst.
Dies ergibt sich aus Wortlaut und Zweck der §§ 114 Satz 1, 119 Satz 2 ZPO, auf die
§ 73a Abs 1 SGG Bezug nimmt. Die Prozeßkostenhilfe soll wirtschaftlich unbemittelten
Prozeßbeteiligten annähernd gleichen Zugang zu den Gerichten gewähren wie denjeni-


- 3 -

gen, die die dafür erforderlichen Kosten selbst aufbringen können. Die Gleichstellung ist
nur soweit geboten, als ein wirtschaftlich denkender, die Prozeßaussichten vernünftig ab-
wägender Prozeßbeteiligter das verfahrensrechtliche Kostenrisiko in Kauf nehmen würde
(BVerfGE 81, 347, 356 ff = NJW 1991,413 f; BGH NJW 1994,1160 f mwN). Aus alledem
folgt für den hier zu beurteilenden Sachverhalt, daß die Zulassung der Revision durch den
Senat noch nicht die hinreichende Aussicht auf Erfolg für den vom Kläger geltend ge-
machten Anspruch begründet. Der Senat hat die Revision allein deswegen zugelassen,
weil der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde eine Abweichung des LSG von
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in einer den Zugang zum Berufungs-
rechtszug betreffenden Frage bezeichnet hat. Bei dieser Verfahrenslage besteht aber die
Möglichkeit, daß der Kläger mit der Klage keinen Erfolg haben wird, weil der Senat auf-
grund des festgestellten Sachverhalts eine abschließende Entscheidung zum Nachteil des
Klägers fällt oder das LSG im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache im
Ergebnis gleichsinnig entscheiden wird. Ein solches Ergebnis ist im vorliegenden Falle
absehbar, weil sich für den geltend gemachten Anspruch eine rechtliche Grundlage nicht
wird feststellen lassen.


2. Das Begehren des Klägers, ihm Ablichtungen aus den Verwaltungsakten zu über-
lassen, die die BA nach abstrakten Vorgaben des Klägers konkretisiert, unterliegt durch-
greifenden materiell-rechtlichen Bedenken. Der Kläger wird voraussichtlich keinen Erfolg
haben, weil für sein Anliegen, ihm nach abstrakten Merkmalen abzugrenzende Aktenteile
abgelichtet zur Verfügung zu stellen, eine gesetzliche Grundlage nicht ersichtlich ist.

In Betracht zu ziehen ist hierfür allein § 25 Abs 5 SGB X. Nach dieser Vorschrift können
die Beteiligten Auszüge oder Abschriften selbst fertigen oder sich Ablichtungen durch die
Behörde erteilen lassen, soweit die Akteneinsicht zu gestatten ist. Wortlaut, systemati-
scher Zusammenhang und Zweck der Vorschrift stützen den geltend gemachten An-
spruch nicht. Sie begründet zwar einen Anspruch auf die Erteilung von Ablichtungen, die
die Behörde herstellt, soweit der Anspruch auf Akteneinsicht reicht. In diesen Grenzen
besteht der Anspruch auf Erteilung von Ablichtungen alternativ zu der eigenen Anfertigung
von Aktenauszügen oder Abschriften. Er ergänzt den Anspruch auf Akteneinsicht, indem
er dem Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit einräumt, das Ergebnis der Akteneinsicht
zur weiteren Verwendung zu fixieren. Ist der Anspruch auf Erteilung von Abschriften aber
darauf gerichtet, das Ergebnis eigener Akteneinsicht durch den Verfahrensbeteiligten
festzuhalten, setzt er die Akteneinsicht, die die BA dem Kläger angeboten hat, und die
genaue Bezeichnung der Aktenteile durch den Verfahrensbeteiligten voraus, die abge-
lichtet werden sollen. In ihrem Schriftsatz an das SG vom 31. August 1988 hat die BA er-
klärt, daß sie auch bereit sei, einem in solcher Weise bezeichneten Antrag gegen
Kostenerstattung zu entsprechen. Den erörterten Anforderungen genügt der Antrag des
Klägers nicht, denn er gibt der BA nur abstrakt generelle Merkmale für Aktenteile vor, von
denen er Ablichtungen beansprucht. Dies führt dazu, daß die Akteneinsicht nicht vom


- 4 -

Kläger vorgenommen wird, sondern der BA die Aktendurchsicht und die Prüfung des
Akteninhalts nach den vom Kläger vorgegebenen Merkmalen zugemutet wird. Einen An-
spruch auf eine derartige Leistung der BA begründet aber § 25 Abs 5 SGB X nicht. Zwar
ist die Akteneinsicht im Verfahren der Sozialleistungsträger nicht begrenzt, "soweit durch
sie die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Behörde beeinträchtigt würde" (vgl
§ 29 Abs 2 Verwaltungsverfahrensgesetz . Eine entsprechende Regelung des
Regierungsentwurfs zum SGB X wurde gestrichen, um "eine notwendige Anpassung an
die speziellen Bedürfnisse der Sozialleistungsverwaltung" vorzunehmen (Hauck/Haines,
Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren und Schutz der Sozialdaten -
Kommentar, § 25 RdNr 4). Daraus läßt sich aber eine Auslegung des § 25 Abs 5 SGB X
im Sinne der Revision nicht herleiten. Abgesehen von den erörterten Grenzen des An-
spruchs auf Erteilung von Ablichtungen enthielte ein dem Antrag des Klägers entspre-
chendes Vorgehen die Gefahr weiterer Streitigkeiten zwischen den Beteiligten. Dies gilt
um so mehr, als der Kläger ohnehin argwöhnt, ihm würden von der BA Aktenteile vorent-
halten. Im übrigen gibt der Rechtsstreit Anlaß zu dem Hinweis, daß auch das Recht, Ab-
lichtungen von Aktenbestandteilen zu verlangen, seinem Umfang nach durch die allge-
meinen Grundsätze zulässiger Rechtsausübung (§§ 226, 242 BGB) begrenzt wird.


3. Da dem Kläger ein Anspruch auf Ablichtungen in der beantragten Form nicht zusteht
und die Beklagte ihm Akteneinsicht einräumt, kommt es für die Entscheidung nicht darauf
an, ob der Kläger ein Recht auf Akteneinsicht nach § 25 Abs 1 SGB X hat, das Voraus-
setzung für den Anspruch auf Erteilung von Ablichtungen nach § 25 Abs 5 SGB X ist.
Auch gegenüber einem Anspruch des Klägers auf Akteneinsicht bestehen hier allerdings
Bedenken.


Der Gesetzgeber hat den Grundsatz der Aktenöffentlichkeit für Verfahrensbeteiligte nicht
unumschränkt eingeführt. Grundsätzlich besteht ein Recht auf Akteneinsicht für Verfah-
rensbeteiligte - unter weiteren noch zu erörternden Voraussetzungen und Einschränkun-
gen - nur für Beteiligte während eines Verwaltungsverfahrens. Begriff und Dauer des
Verwaltungsverfahrens sind dabei nach überwiegender Ansicht §§ 8, 18 SGB X zu ent-
nehmen. Unter Verwaltungsverfahren ist nach § 8 SGB X nur eine Behördentätigkeit zu
verstehen, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlaß
eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages
gerichtet ist. Aus dieser Begrenzung ist der Schluß gezogen worden, die Vorschriften des
2. Abschnittes (§§ 8 bis 30 SGB X) seien nicht auf eine Verwaltungstätigkeit zu beziehen,
die - hier nicht einschlägig - auf den Erlaß von autonomen Rechtssätzen oder allgemeinen
Verwaltungsvorschriften oder - wie hier - das schlichte Verwaltungshandeln gerichtet ist
(Hauck/Haines aaO § 8 RdNr 11; Kommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenver-
sicherung - Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren , § 8 SGB X RdNr 5 - Stand Juli 1989 -; Krause/von Mutius/Schnapp/Siewert,
Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren, 1991, § 8


- 5 -

RdNr 10). Die auf die Arbeitsvermittlung des Klägers gerichtete Tätigkeit der BA ist aber
nicht auf Erlaß eines Verwaltungsaktes oder Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertra-
ges gerichtet, sondern schlichtes Verwaltungshandeln (Gagei, AFG, § 13 RdNr 20), so
daß für diesen Tätigkeitsbereich ein Recht des Klägers auf Akteneinsicht nach § 25 Abs 1
8GB X nicht begründet ist. Diesen Rechtszustand hat allerdings schon die Begründung
des Regierungsentwurfs zu dem insoweit übereinstimmenden § 29 Abs 1 VwVfG (= § 25
des Entwurfs) für unbefriedigend gehalten (BT-Drucks 7/910 S 52). Ob gegenüber der
Absicht des Gesetzgebers, die Akteneinsicht zu begrenzen, eine erweiternde Auslegung
in Betracht kommt, ist hier nicht zu entscheiden. Die Begrenzung des Anspruchs auf
Akteneinsicht kann einer "Justifizierung" des schlichten Verwaltungshandelns im Bereich
der 8ach- und Dienstleistungen entgegenwirken und damit der Effizienz der Verwaltung
dienen (so Hauck/Haines aaO § 8 RdNr 11). Die praktischen Folgen der gesetzlichen
Regelung lassen sich aber dadurch mildern, daß sie nicht als abschließende Regelung
verstanden wird, so daß es im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltung steht, darüber
zu befinden, ob sie auch im Bereich des schlichten Verwaltungshandelns Akteneinsicht
gewährt (BT-Drucks aaO; BVerwGE 61, 15, 22). Dem hat die BA entsprochen, indem sie
dem Kläger die Möglichkeit eröffnet hat, Akteneinsicht zu nehmen. Der Kläger hat jedoch
von der ihm gebotenen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, so daß er nicht in der
Lage war, die für Ablichtungen in Betracht kommenden Aktenteile zu bezeichnen.


Problematisch ist im zu beurteilenden Falle auch, ob die Akteneinsicht dem Kläger Kennt-
nis zur Geltendmachung oder Verteidigung seiner rechtlichen Interessen verschaffen soll,
wie es § 25 Abs 18GB X für das Recht auf Akteneinsicht erforderlich macht. Die
behaupteten Zweifel an der Qualifikation und Neutralität eines Bediensteten der BA dürf-
ten allein nicht ausreichen, um ein rechtliches Interesse iS des § 25 Abs 18GB X zu
begründen. Der Begriff des rechtlichen Interesses ist enger als derjenige des berechtigten
Interesses. Ein rechtliches Interesse ist nur gegeben, wenn die Akteneinsicht darauf ge-
richtet ist, tatsächliche Unsicherheiten über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich
relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu regeln oder eine ge-
sicherte Grundlage für die Verfolgung eines Anspruchs zu erhalten (vgl BT-Drucks 7/910
8 53). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Kenntnis von früheren Äußerungen eines
Bediensteten der BA für das rechtliche Interesse des Klägers an einer Arbeitsvermittlung
von Bedeutung sein soll. Denkbar wäre allerdings, daß die Akteneinsicht tatsächliche
Grundlagen für vermeintliche Schadensersatzansprüche gegen die BA oder einen ihrer
Bediensteten zutage fördern soll. Die BA hat dem Kläger Akteneinsicht und damit die
Möglichkeit eröffnet, seine Interessen wahrzunehmen. Damit ist auch dem Gedanken des
rechtlichen Gehörs Rechnung getragen (Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/
Wiesner/von Wulffen, SGB X, 2. Aufl 1990, § 25 Anm 2).


Zweifelhaft ist schließlich, ob sich ein Recht auf Akteneinsicht nach § 25 Abs 18GB X auf
sämtliche vom Kläger allgemein umschriebenen Aktenbestandteile erstrecken könnte.


- 6 -


Nach Satz 2 der Vorschrift erstreckt sich die Akteneinsicht nicht auf Arbeiten zur unmittel-
baren Vorbereitung einer Entscheidung. Darunter dürfte wegen des sachlichen Zusam-
menhangs der Regelung nur ein Verwaltungsakt oder eine Erklärung zu einem öffentlich-
rechtlichen Vertrag zu verstehen sein. Darum geht es bei der Arbeitsvermittlung - wie
ausgeführt - nicht. Im Rahmen einer Ermessensentscheidung der BA über die Bewilligung
von Akteneinsicht wäre aber der Rechtsgedanke des § 25 Abs 1 Satz 2 SGB X als eine
dem Zweck der Ermächtigung entsprechende Ermessenserwägung (§ 39 Abs 1 SGB I)
geeignet, die Akteneinsicht sinnvoll zu begrenzen. Die Beschränkung der Akteneinsicht
nach § 25 Abs 1 Satz 2 SGB X soll nämlich dazu dienen, nicht abschließend durchge-
arbeitete Entwürfe als Interna zu behandeln. Damit sollen letztlich unergiebige
Streitigkeiten vermieden werden. Bereits im Regierungsentwurf zum VwVfG wird auf die
"totale Aktentransparenz" als Gefahr für die Qualität des Verwaltungshandelns
hingewiesen (vgl BT-Drucks 7/910 S 53).


4. Da dem Kläger Prozeßkostenhilfe schon deshalb nicht zusteht, weil ein Anspruch auf
Erteilung von Ablichtungen nach § 25 Abs 5 SGB X nur bei genauer Bezeichnung der in
Betracht kommenden Aktenbestandteile in Betracht kommt, hat der Senat nicht zu prüfen,
ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung mutwillig erscheint. Dies ist der Fall, wenn Rechte
von einer wirtschaftlich denkenden Partei nicht in dieser Weise verfolgt würden. Da der
Kläger von dem Angebot der BA, Akteneinsicht zu nehmen und genau bezeichnete Ab-
lichtungen zu verlangen, nicht Gebrauch gemacht hat, kann der Eindruck entstehen, ihm
komme es weniger auf die Kenntnis der Akten als vielmehr darauf an, seinen Willen
gegenüber der BA durchzusetzen. Ein solcher Standpunkt enthielte den die Bewilligung
von Prozeßkostenhilfe ausschließenden Mutwillen iS des § 114 Satz 1 ZPO.

Faksimile  1   2   3   4   5    6 

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG 11 RAr 71/91 vom 10.12.1991, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: 11 RAr 71/91

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit,

Nürnberg, Regensburger Straße 104,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am

10. Dezember 1992 durch die Richterin Dr. W.
- als Vorsitzende -, die Richter L. und Prof. Dr. B. sowie die ehrenamtlichen
Richter H. und E. für Recht erkannt

:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom

19. Juli 1991 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage als unzulässig

abgewiesen wird.

- 2 -

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu
erstatten.

- 3 -

Gründe:

I

Die Revision betrifft die uneingeschränkte Einsicht in die schriftlichen Vermitt-
lungsvorgänge der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) bei der beklagten
Bundesanstalt (BA).

Der seit 1980 arbeitslose Kläger beantragte 1982 die Vermittlung durch das Büro für
Führungskräfte der Wirtschaft (BFW) bei der ZAV. In der Folgezeit kam es zu zahlreichen
Prozessen, wobei der Kläger unzureichende bzw unzulässige Vermittlungsbemühungen
von Beamten der ZAV rügte. Am 27. Mai 1983 erhob er Klage vor dem Sozialgericht (SG)
Frankfurt/Main - S-1/Ar-404/83 - und verlangte von der BA Auskunft darüber, mit welchen
Unternehmen und mit welchem Vermittlungsziel die Beklagte am 24. Juni 1981,
24. Februar 1982, 1. März 1982 und 10. Mai 1982 über ihn gesprochen habe. Dieses
Verfahren endete im September 1992 mit einem angenommenen Anerkenntnis, mit
welchem die BA sich verpflichtete, das Auskunftsverlangen des Klägers im
Widerspruchsverfahren sachlich zu bescheiden.

Während des Verfahrens vor dem SG Frankfurt/Main - S-1/Ar-404/83 - beantragte der
Kläger Einsicht in die ihn ab 1. Juni 1980 betreffenden Vermittlungsakten der BA. Diese
kam dem Anliegen des Klägers weitgehend nach, beschränkte aber die Akteneinsicht,
indem sie dem Kläger auf der Bewerberangebotskarte (B/Ank) Feld J und in Band II auf
Blatt 72 zur Geheimhaltung personenbezogener Daten Dritter die dort enthaltenen
Firmennamen vorenthielt.

Mit der am 4. Oktober 1983 erhobenen Klage machte der Kläger die uneingeschränkte
Akteneinsicht geltend. Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil SG Frankfurt/Main
vom 2. Dezember 1988; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Juli
1991). Das LSG bewertete ein Schreiben der BA an den Kläger vom 23. September 1983
und den Schriftsatz vom 15. März 1984 als uneingeschränkte Akteneinsicht ablehnende

Verwaltungsakte und die Klageerwiderung vom 8. November 1983 als
Widerspruchsbescheid, verneinte jedoch einen Anspruch auf Akteneinsicht.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die bloße Weigerung
von zwei unbekannt gebliebenen Unternehmen, ihre Namen zu verlautbaren, reiche zur
Beschränkung der Akteneinsicht nicht aus. Vielmehr komme es auf deren berechtigte
Interessen an. Die Offenbarung personenbezogener Daten sei zur Erfüllung sozialer
Aufgaben zulässig. Zu diesen gehörten auch die Pflichtaufgaben der BA. Der
Arbeitsuchende müsse die Möglichkeit haben nachzuprüfen, ob die BA den
Vermittlungsaufgaben im gesetzlichen Rahmen nachgekommen sei. Die Beschränkung

- 4 -

der Akteneinsicht dürfe nicht dazu dienen, vom Kläger wiederholt angekündigte
Amtshaftungsansprüche zunichte zu machen. Hinter diesem Interesse des Klägers hätten
die mit nicht näher konkretisierten "grundsätzlichen Erwägungen" begründeten Interessen
der Unternehmen zurückzutreten. Im übrigen seien die Unternehmen notwendig
beizuladen, weil es auf eine Abwägung der Interessen des Klägers und der Unternehmen
ankomme. Ihre Namen würden damit im Verfahren ohnehin offenbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Juli 1991 und das Urteil
des Sozialgerichts Frankfurt vom 2. Dezember 1988 sowie die Bescheide der
Beklagten vom 23. September 1983, 8. November 1983 und 15. März 1984 zu
ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unbeschränkte, vollständige
Akteneinsicht in die über ihn geführten Verwaltungsakten, insbesondere Band II
Blatt 72 und Bewerberkarteifeld J einschließlich der eingetragenen Firmennamen
zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

II

Im Einverständnis mit den Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung durch
Urteil entschieden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ).

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg, denn das Urteil des LSG beruht nicht auf
einer ihn beschwerenden Gesetzesverletzung (§ 170 Abs 1 SGG). Die auf vollständige
Akteneinsicht gerichtete Klage ist unzulässig.

Nach § 44a Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) können Rechtsbehelfe gegen
behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung
zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Der Rechtsgedanke dieser
unmittelbar nur im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten geltenden Norm ist auch im
sozialgerichtlichen Verfahren zu beachten. Es handelt sich nämlich um einen
Rechtsgedanken des allgemeinen Verfahrensrechts, das Verwaltungsverfahren nicht
durch die isolierte Anfechtung von einzelnen Verfahrenshandlungen zu verzögern oder zu
erschweren. Das Bundessozialgericht (BSG) hat deshalb § 44a Satz 1 VwGO wiederholt
herangezogen, zumal in § 172 Abs 2 SGG in vergleichbarem Zusammenhang der gleiche

- 5 -

Rechtsgedanke zum Ausdruck gekommen ist (BSG SozR 1500 § 144 Nr 39; BSG SozR
3-1500 § 144 Nr 3 mwN). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.

Die Entscheidung der BA über die Begrenzung der Akteneinsicht ist eine behördliche
Verfahrenshandlung in dem auf Auskunftserteilung gerichteten Verwaltungsverfahren. Die
BA hat über den geltend gemachten Auskunftsanspruch - wie in dem Verfahren vor dem
SG Frankfurt/Main - S-1/Ar-404/83 - von ihr anerkannt - eine rechtsmittelfähige
Entscheidung zu treffen. Auskunftsanspruch und Akteneinsicht sind auf den gleichen
Gegenstand - die Namen von zwei Unternehmen - gerichtet. Auch wenn es sich um
prozeßrechtlich zu unterscheidende Streitgegenstände handelt, stimmt der Klagegrund
beider Verfahren überein. Unabhängig von der Regelung des § 44a Satz 1 VwGO ist
deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis für eine gesonderte Anfechtbarkeit der Entscheidung
über die Beschränkung der Akteneinsicht nicht ersichtlich.

Eine Verletzung des Rechts des Klägers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art 19 Abs 4
Grundgesetz ) ist bei dieser Sach- und Rechtslage nicht zu befürchten (vgl dazu:
BVerfG SozR 3-1300 § 25 Nr 1 = NJW 1991, 415). Der Rechtsschutz des Klägers wäre
wirkungsvoller durchzuführen gewesen, wenn er nicht durch die Gleichzeitigkeit
verschiedener Verfahren mit dem gleichen Ziel behindert worden wäre (vgl auch: BSG
SozR 15OO § 144 Nr 39).

Die Revision des Klägers kann nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Faksimile   1   2   3   4   5  

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG 11 RAr 61/97 vom 17.12.1997, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Verkündet am

17. Dezember 1997

Urteil
in dem Rechtsstreit

Az: 11 RAr 61/97

Klägerin und Revisionsklägerin,
Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit,
Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Dezember 1997 durch den Vorsitzenden Richter S. , die Richterin
Dr. W. und den Richter L. sowie die ehrenamtlichen
Richter D. und B. für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom
21. März 1997 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entschei-
dung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

- 2 -

Gründe:

I

Der Rechtsstreit betrifft die Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg), welches die beklagte
Bundesanstalt (BA) dem früheren Arbeitnehmer der Klägerin Kurt J. (J) in der Zeit vom
23. September 1994 bis 30. Juni 1995 gezahlt hat.

Die Klägerin schloß im Rahmen eines Sozialplans mit ihrem am 27. April 1935 geborenen
Arbeitnehmer J einen Aufhebungsvertrag vom 30. Dezember 1993, mit welchem das Ar-
beitsverhältnis - nach den Feststellungen des LSG - gegen Zahlung einer Abfindung von
4.000,00 DM zum 30. Juni 1994 beendet wurde. J war seit dem 26. März 1965 - zuletzt
als Meister - bei der Klägerin beschäftigt. Er meldete sich am 7. Juni 1994 arbeitslos und
beantragte Alg. Die BA bewilligte die Leistung von einer Sperrzeit vom 1. Juli bis
22. September 1994 ausgehend ab 23. September 1994 in Höhe von 625,20 DM wö-
chentlich. J hatte die Möglichkeit in Anspruch genommen, das Alg unter erleichterten
Voraussetzungen zu beziehen. Seit dem 1. Juli 1995 erhält er Altersrente wegen Arbeits-
losigkeit.

Mit einem vorgedruckten Schreiben eröffnete die BA der Klägerin im Januar 1995, sie be-
absichtige die Erstattung des an J gezahlten Alg von der Klägerin zu verlangen und er-
läuterte die Befreiungstatbestände des § 128 Abs 1 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz
(AFG). Die Klägerin erhob in einem Schreiben vom 14. Februar 1995 Einwände gegen die
Erstattung, die sich insbesondere auf die Sachaufklärung von anderweitigen sozialrechtli-
chen Ansprüchen des J, die Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung
(Umsatzrückgang) und verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Erstattungsregelung
bezogen.

Mit Bescheid vom 21. Februar 1995 stellte die BA fest, daß die Klägerin verpflichtet sei,
das ihrem früheren Arbeitnehmer J ab 23. September 1994 gezahlte Alg für längstens
624 Tage zu erstatten. Die Klägerin erhob Widerspruch und nahm im gleichen Monat
Einsicht in die Leistungsakten der BA. Am 5. April 1995 errechnete die BA die von der
Klägerin zu erstattenden Leistungen an J für die Zeit vom 23. September 1994 bis
28. Februar 1995 und gab der Klägerin für diesen Zeitraum mit Bescheid vom 6. April
1995 ohne weitere Erläuterung folgende Erstattungsbeträge zur Zahlung auf: Alg
14.046,20 DM (für 136 Leistungstage), Beiträge zur Krankenversicherung 3.522,96 DM,
Beiträge zur Rentenversicherung 3.766,55 DM, gesamter Erstattungsbetrag
21.335,71 DM.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1995 wies die BA den Rechtsbehelf zurück. Zur
Begründung ist ausgeführt, aus den "vorliegenden Unterlagen" und dem Vorbringen der

- 3 -

Widerspruchsführerin ergäben sich keine Anhaltspunkte für Ansprüche auf anderweitige
Sozialleistungen iS der §§ 128 Abs 1 Satz 2 AFG. Zur Befreiung nach § 128 Abs 1 Satz 2
Nr 4 AFG reiche die bloße Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung mit sozialer
Auslauffrist nicht aus. Ein Aufhebungsvertrag sei nicht geeignet, diesen Befrei-
ungstatbestand zu erfüllen. Die von der Klägerin vorgetragenen betriebsbedingten Gründe
reichten für eine Kündigung aus wichtigem Grund bei ordnungsgemäßer Sozialauswahl
nicht aus. Dieses Verständnis des Gesetzes sei verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.

Für den Leistungszeitraum 1. März bis 30. Juni 1995 gab die BA der Klägerin mit Schrei-
ben vom 8. November 1995 Gelegenheit, sich zu einem Erstattungsbetrag von
17.351,57 DM zu äußern, nachdem sie J nochmals zu seinem Gesundheitszustand und
anderweitigen sozialrechtlichen Ansprüchen befragt hatte. Unter dem 6. Dezember 1995
erließ die BA einen weiteren Erstattungsbescheid für die Zeit vom 1. März bis 30. Juni
1995, wobei sie den Erstattungsbetrag von 17.351,57 DM mit 10.748,70 DM Alg für 105
Leistungstage, Beiträge zur Krankenversicherung 2.274,09 DM und Beiträge zur Renten-
versicherung 4.328,78 DM bezifferte. Den der Rechtsbehelfsbelehrung entsprechenden
Widerspruch der Klägerin wies die BA mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1996
zurück, wobei sie sich zur Begründung auf den Bescheid vom 21. Februar 1995 und den
Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1995 berief.

Die gegen die Bescheide vom 21. Februar und 6. April 1995 idF des Widerspruchsbe-
scheids vom 8. Mai 1995 gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil
vom 27. November 1995). Das Landessozialgericht (LSG) hat die hiergegen gerichtete
Berufung zurückgewiesen und die gegen den Bescheid vom 6. Dezember 1995 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 1996 gerichtete Klage abgewiesen.
Das LSG ist davon ausgegangen, der Erstattungsbescheid vom 6. Dezember 1995 idF
des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 sei entsprechend § 96 Sozialge-
richtsgesetz (SGG) kraft Klage Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Sämtli-
che Bescheide seien rechtlich nicht zu beanstanden. Sie beruhten auf § 128 AFG in der
ab 1. Januar 1993 geltenden Fassung, die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht unter-
liege. Die BA sei ohne Verletzung der amtlichen Sachaufklärungspflicht davon ausgegan-
gen, im Leistungszeitraum habe J eine andere Sozialleistung, die den Bezug von Alg aus-
schließe, nicht zugestanden. Für gesundheitliche Einschränkungen des J, die zu Sozial-
leistungen führen könnten, hätten keinerlei Anhaltspunkte bestanden. Befreiungstatbe-
stände, die bei sozial gerechtfertigter Kündigung (§ 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG) oder der
Möglichkeit zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist
oder mit sozialer Auslauffrist (§ 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG) vorlägen, seien nicht gege-
ben. Das Interesse der Klägerin an einer "ausgewogenen Altersstruktur" des Betriebes,
rechtfertige eine entsprechende Anwendung der erwähnten Befreiungstatbestände auch
nicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten. Da J gesundheitlich in der Lage ge-

- 4 -

wesen sei, seine Arbeit fortzusetzen, treffe die Klägerin als Arbeitgeber die die Erstat-
tungspflicht begründende Verantwortung für die Arbeitslosigkeit. Die Klägerin habe auch
nicht nachgewiesen, daß die Erstattung eine unzumutbare Belastung iS des § 128 Abs 2
Nr 2 AFG darstelle, weil sie den Fortbestand des Unternehmens oder die nach dem Per-
sonalabbau verbleibenden Arbeitsplätze gefährde. Immerhin sei sie in der Lage gewesen,
den im Rahmen des Sozialplans ausscheidenden Mitarbeitern Abfindungen zu zahlen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des Art 12
Grundgesetz (GG), des § 128 Abs 1 Satz 2 Nrn 4 und 5 sowie Abs 2 Nr 2 AFG und der
amtlichen Sachaufklärungspflicht. Das Berufungsurteil mit seinem Verständnis des § 128
AFG sei mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit nicht zu vereinbaren. Da das Arbeitsver-
hältnis durch Aufhebungsvertrag geendet habe, hätten beide Arbeitsvertragsparteien von
ihrer Vertragsfreiheit Gebrauch gemacht, so daß die Auflösung des Arbeitsverhältnisses
nicht allein im Verantwortungsbereich der Klägerin liege. Bedenken gegenüber der Er-
stattungspflicht ergäben sich auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit,
denn die gegen Frühverrentungen gerichtete Regelung habe ihren Zweck - wie die Praxis
zeige - nicht erreicht. Trotz langjähriger Beitragsentrichtung seien die Vertragsparteien ei-
nerseits durch die Erstattungspflicht andererseits durch die gleichfalls verfassungswidrige
fiktive Kündigungsfrist des § 117 Abs 2 Satz 4 AFG gehindert, das freiwillig eingegangene
Arbeitsverhältnis zu lösen. Dies führe zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Doppelbe-
lastung. Dieser Gesichtspunkt sei in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) zu § 128 AFG aF unberücksichtigt geblieben. Zu einer verfassungsrechtlich be-
denklichen Risikoverteilung komme es auch durch die Regelung des § 105c AFG. Der mit
der Erstattungspflicht verbundene Eingriff in die Berufsausübung sei nur dann verfas-
sungsgemäß, wenn er in einem vernünftigen Verhältnis zu dem gegebenen Anlaß und
dem ihm verfolgten Zweck stehe. Die Auslegung des § 128 AFG müsse deshalb unbillige
Härten vermeiden. Dem diene eine weite Auslegung der Befreiungstatbestände, insbe-
sondere müßten Aufhebungsverträge Kündigungen iS des § 128 Abs 1 Satz 2 Nrn 4 und
5 AFG gleichgesetzt werden. Da der Arbeitgeber keinerlei Möglichkeiten habe, die Vor-
aussetzungen anderer Sozialleistungen zu prüfen, erstrecke sich die amtliche Sachauf-
klärungspflicht darauf, alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden und rechtlich zulässi-
gen Möglichkeiten der Aufklärung - auch zugunsten des Arbeitgebers - auszuschöpfen.
Deshalb müsse der Arbeitslose mindestens einmal pro Quartal vorgeladen und über an-
dere Sozialleistungen und über seinen Gesundheitszustand befragt werden. Im übrigen
seien Nachfragen beim Krankenversicherungsträger und beim Rentenversicherungsträ-
ger anzustellen, zumal statistisch etwa 30 bis 50 vH der über 55 Jahre alten Arbeitnehmer
in ihrer gesundheitlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt seien, so daß nicht selten eine
verdeckte Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorliege. Gegenüber den Ausführungen des
LSG zur unzumutbaren Belastung iS des § 128 Abs 2 Nr 2 AFG sei darauf hinzuweisen,
daß die Erstattungsforderung der BA die an J gezahlte Abfindung bei weitem übersteige.

- 5 -

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. März 1997 und des Sozi-
algerichts Darmstadt vom 27. November 1995, sowie die Bescheide der Beklagten
vom 21. Februar 1995 und 6. April 1995 idF des Widerspruchsbescheids vom
8. Mai 1995 sowie vom 6. Dezember 1995 idF des Widerspruchsbescheids vom
22. Januar 1996 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend, insbesondere entspreche die Auslegung
des § 128 AFG durch das LSG den Vorgaben des BVerfG.

II

Die Revision der Klägerin ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Die
Entscheidung des LSG verletzt § 128 Abs 1 Satz 1 AFG. Für eine abschließende Ent-
scheidung des Bundessozialgerichts (BSG) reichen die tatsächlichen Feststellungen des
LSG nicht aus.

1. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß der Erstattungsbescheid vom 6. April
1995 gemäß § 86 SGG Gegenstand des gegen den "Grundlagenbescheid" vom
21. Februar 1995 eingeleiteten Widerspruchsverfahrens und der Erstattungsbescheid
vom 6. Dezember 1995 idF des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 1996 gemäß
§§ 96 Abs 1, 153 Abs 1 SGG Gegenstand des Gerichtsverfahrens geworden sind (vgl
hierzu BSG SozR 3-4100 § 128a Nrn 3 und 7 mwN). Durch die beiden Erstattungsbe-
scheide ist der "Grundlagenbescheid" überholt. Mit ihnen hat die BA die für Erstattungen
im vorliegenden Fall in Betracht kommenden Leistungszeiträume vom 23. September
1994 bis 30. Juni 1995 erschöpft. Seit dem 1. Juli 1995 bezieht J Altersrente. Dem
Grundlagenbescheid kommt damit eigenständige Bedeutung über die Erstattungsbe-
scheide hinaus nicht zu. Die Frage, ob die Beklagte entsprechend der im DBl-Runderlaß
11/93 vom 3. Februar 1993 Rz 7.4 Abs 3 vorgesehenen Verfahrensweise zu
"Grundentscheidungen" über die Erstattungspflicht berechtigt ist (vgl dazu das zur Veröf-
fentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 17. Dezember 1997 - 11 RAr 103/96 -),
bedarf daher hier keiner Erörterung. Zu entscheiden ist allein, ob die BA die Klägerin zu
Recht gemäß § 128 AFG zur Erstattung der 38.687,28 DM herangezogen hat.
2. Die angefochtene Heranziehung ist nicht wegen Verletzung der gebotenen Anhörung
rechtswidrig. Die BA hat der Klägerin Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Erstat-

- 6 -

tungspflicht erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 24 Abs 1 Sozialgesetzbuch
- Verwaltungsverfahren - ).

Zwar ist der Anhörungspflicht nicht schon mit dem "Anhörungsschreiben" genügt, das
dem Grundlagenbescheid vorausgegangen ist. Die Anhörungspflicht bezieht sich auf
sämtliche für die Erstattung entscheidungserheblichen Tatsachen, auch diejenigen, die
die Erstattungsforderung der Höhe nach betreffen. Aus diesem Grunde hat auch den je-
weiligen Erstattungsbescheiden eine Anhörung vorauszugehen (vgl dazu das schon er-
wähnte Urteil des Senats vom 17. Dezember 1997 - 11 RAr 103/96 -). Vor dem Erstat-
tungsbescheid vom 6. April 1995 hat die BA der Klägerin jedenfalls nicht durch ein Anhö-
rungsschreiben Gelegenheit gegeben, sich zu entscheidungserheblichen Tatsachen zu
äußern. Das Rechenwerk für die mit dem Erstattungsbescheid vom 6. April 1995 geltend
gemachte Erstattungsforderung für die Zeit vom 23. September 1994 bis 28. Februar
1995 hat die BA am 5. April 1995 erstellt. Es kann damit noch nicht in der Verwaltungs-
akte enthalten gewesen sein, als die Klägerin im März 1995 Akteneinsicht genommen hat.
Ob zu diesem Zeitpunkt bereits Zahlungsnachweise der Verwaltungsakte vorgeheftet
waren, aus denen die Klägerin entscheidungserhebliche Tatsachen hätte entnehmen
können, steht nicht fest. Allerdings führt der Erstattungsbescheid selbst das im Leistungs-
zeitraum an 136 Leistungstagen erbrachte Alg, sowie die zur Kranken- und Rentenversi-
cherung aufgewendeten Beiträge auf. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß die An-
hörung im Widerspruchsverfahren auch durch den Inhalt des angefochtenen Bescheids iS
des § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X nachgeholt werden kann. Voraussetzung hierfür ist, daß der
Verwaltungsakt diejenigen Tatsachen enthält, die nach § 24 Abs 1 SGB X Gegenstand
der Anhörung sind (BSG SozR 1300 § 24 Nr 7; BSGE 69, 247, 253 f = SozR 3-1300 X 24
Nr 4 mwN). Der Erstattungsbescheid vom 6. April 1995 enthält zwar nur die
Erstattungsforderung, nicht das Rechenwerk, welches ihr zugrunde liegt. Der Einwand der
Klägerin in ihrem Schreiben vom 28. November 1995, sie könne "mangels Berechnungs-
grundlage die Höhe der Forderung nicht nachvollziehen", liegt daher nahe. Sie begründet
hier jedoch nicht die Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheids. Der Inhalt des Bescheids
vermittelte der Klägerin hinreichende Kenntnisse, um sich zur Ausschöpfung ihres Rechts
auf rechtliches Gehör noch weitere Tatsachenkenntnis zu verschaffen (BSG SozR 1300
§ 24 Nrn 4 und 6 mwN). Die Übersendung des Rechenwerks erscheint hier auch deshalb
nicht geboten, weil die BA bei der Feststellung des Alg sowie der Beiträge zur Kranken-
und Rentenversicherung und damit dem Erstattungsbetrag wesentlich von dem
Arbeitsentgelt des J ausgegangen ist, das gerade auf tatsächlichen Angaben der Klägerin
in der Arbeitsbescheinigung beruht (§ 24 Abs 2 Nr 3 SGB X). Auch wenn das Arbeitsent-
gelt nicht notwendig mit dem Bemessungsentgelt identisch ist, war die Klägerin im Zu-
sammenhang mit dem Anhörungsschreiben sowie der Mitteilung des Erstattungszeit-
raums hinreichend über Tatsachen unterrichtet, die eine Überraschungsentscheidung
ausschlossen und der Klägerin eine Entscheidung darüber ermöglichten, ob sie Anlaß
sah, an die BA heranzutreten, um ihre Erstattungsentscheidung zu beeinflussen. Aus den

- 7 -

gleichen Gründen genügt das dem Erstattungsbescheid vom 6. Dezember 1995 vor-
ausgegangene Anhörungsschreiben vom 8. November 1995 noch den Anforderungen der
Anhörungspflicht.

3. Zutreffend ist das LSG zu dem Ergebnis gekommen, daß die Klägerin der BA das in
der Zeit vom 23. September 1994 bis 30. Juni 1995 gezahlte Alg einschließlich der auf
diese Leistung entfallenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung
(§ 128 Abs 4 AFG) zu erstatten hat.

3.1 Nach § 128 Abs 1 Satz 1 AFG erstattet der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose in-
nerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 104
Abs 2 AFG die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 720 Kalendertage in einer die Bei-
tragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, der BA vierteljährlich das Alg für
die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 624 Tage.
Diese Voraussetzungen sind nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht
mit Revisionsrügen angegriffen und damit für das BSG bindend sind (§ 163 SGG), erfüllt.

Die Klägerin hat J durchgehend seit 1965 und damit innerhalb der letzten vier Jahre vor
Eintritt der Arbeitslosigkeit am 1. Juli 1994 mindestens 720 Kalendertage beitragspflichtig
beschäftigt. Während des Bezuges von Alg ab 23. September 1994 hatte der 1935 ge-
borene J das 58. Lebensjahr und bei Eintritt der Arbeitslosigkeit das 56. Lebensjahr voll-
endet. Der Umstand, daß die BA mit beiden Erstattungsbescheiden jeweils nicht nur die
von ihr für ein Vierteljahr erbrachten Leistungen in Rechnung gestellt hat, läßt die
Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderung unberührt. Die BA hat ausschließlich nach
§ 128 Abs 1 Satz 1 AFG fällige Erstattungsbeträge geltend gemacht. Der Erstattungszeit-
raum von längstens 624 Tagen ist nicht überschritten, selbst wenn die BA noch die Bei-
träge für die gesetzliche Krankenversicherung für die Sperrzeit vor dem 29. September
1994 erstattet verlangen könnte.

3.2 Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß J nicht auch die Voraussetzungen
für eine der in § 118 Abs 1 Satz 1 Nrn 2 bis 4 AFG genannten Sozialleistungen
(Krankengeld, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, Altersrente usw) oder Rente wegen Be-
rufsunfähigkeit erfüllt und ein solcher Tatbestand nach § 128 Abs 1 Satz 2 AFG der Er-
stattungspflicht nicht entgegensteht.

Auf eine Verletzung des Ermittlungsgrundsatzes kann sich die Klägerin insoweit nicht mit
Erfolg berufen. Nach ständiger Rechtsprechung erfordert die amtliche Sachaufklärungs-
pflicht nicht, nach Tatsachen zu forschen, für deren Bestehen die Umstände des Einzel-
falls keine Anhaltspunkte bieten (st Rspr: BSGE 78, 207, 213 = SozR 3-2600 § 43 Nr 13;
BVerwGE 66, 237 f). Eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes im Verwaltungs-
verfahren wäre nur erheblich, wenn sie zu einem anderen Verfahrensergebnis führen
könnte (§ 42 Satz 1 SGB X). Gegebenenfalls hätten die Tatsacheninstanzen nach § 103

- 8 -

SGG für weitere Sachaufklärung zu sorgen. Dazu bestand hier kein Anlaß. Mit dem erör-
terten Maßstab für die amtliche Sachaufklärungspflicht korrespondiert auch die Regelung
der Mitwirkungspflicht von Arbeitslosen nach § 128 Abs 8 AFG. Die Angaben von J über
seinen Gesundheitszustand und über Anträge auf andere Sozialleistungen im Lei-
stungsantrag sowie bei seiner erneuten Befragung vor Erlaß des Erstattungsbescheids
vom 6. Dezember 1995 lassen keinen Anhaltspunkt für weitere Ermittlungen erkennen.
Eine Pflicht zur Einhaltung regelmäßiger formaler Rituale (vierteljährliche Vorladung von
Arbeitslosen, Anfragen bei anderen Sozialleistungsträgern oder gar die körperliche Un-
versehrtheit berührender Begutachtungen) läßt sich aus dem Ermittlungsgrundsatz nicht
herleiten. Den Umfang der Amtsermittlung bestimmt die Behörde bzw das Gericht auf-
grund pflichtgemäßer Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. Sachliche An-
haltspunkte für weitergehende Ermittlungen waren auch dem Sachvortrag der Klägerin
nicht zu entnehmen. Allgemeine statistische Angaben als Erfahrungssätze über Ein-
schränkungen der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit älterer Menschen sind für die
Sachaufklärung im Einzelfall unergiebig (aM Ossenbühl, Der Erstattungsanspruch gemäß
§ 128 AFG und anderweitige Sozialleistungsansprüche, 1991, 12 ff; Kreßel NZS 1993,
292, 295 ff). Sie verfehlen den erörterten Inhalt des Untersuchungsgrundsatzes, wonach
die Notwendigkeit von Ermittlungen durch konkrete Umstände des Einzelfalles, nicht aber
generelle statistische Erhebungen bestimmt wird. Auch der Einwand, zum Gesundheits-
zustand und Leistungsvermögen des früheren Arbeitnehmers könne der Arbeitgeber nach
dem Ausscheiden aus dem Betrieb nicht beitragen, vermag nicht zu überzeugen. Inwie-
weit der Klägerin Kenntnisse über den Gesundheitszustand und anderweitige Ansprüche
auf Sozialleistungen während des Bezugs von Alg zur Verfügung standen, kann auf sich
beruhen. Da die Klägerin die Lohnsteuerkarte von J wegen über die Dauer des Arbeits-
verhältnisses hinausgehender Zahlungen einbehalten hat, liegt die Annahme nahe, daß
sie bei den Abreden über das vorzeitige Ausscheiden Auskunfts- und Mitteilungspflichten
ihres früheren Arbeitnehmers über Gesundheitsstörungen und anderweitige Soziallei-
stungen begründet hat. Abgesehen davon stehen der Klägerin gegebenenfalls aus der
Zeit der Beschäftigung Kenntnisse über Fehlzeiten oder Absinken der gesundheitlichen
Leistungsfähigkeit zur Verfügung, die zwar nicht unmittelbar den hier maßgeblichen Be-
zugszeitraum betreffen, die Klägerin aber zu substantiiertem Sachvortrag befähigen, der
Anlaß zur Ermittlung entscheidungserheblicher Tatsachen nach § 103 SGG, § 20 SGB X
geben könnte (insoweit zutreffend Wissing NZA 1993, 385, 397). Solches Vorbringen hat
die Klägerin sowohl im Verwaltungs- wie im gerichtlichen Verfahren vermissen lassen.
Auch wenn amtliche Sachaufklärung nicht von Beteiligtenvorbringen (Tatsachen-
behauptungen; Beweisanregungen; Beweisanträgen) abhängig ist, begründet der
Ermittlungsgrundsatz keine Pflicht von Behörden und Gerichten, Tatsachen zu ermitteln,
für deren Bestehen weder das Beteiligtenvorbringen noch sonstige konkrete Umstände
des Einzelfalls Anhaltspunkte liefern (aA ohne Auseinandersetzung mit der st Rspr:
Wissing NZA 1993, 385, 397). In diesem Sinne findet die amtliche Sachaufklärungspflicht
ihre Grenze an der Mitwirkungspflicht der Verfahrensbeteiligten (st Rspr: BVerwGE 66,

- 9 -

237 f; Eyermann/Geiger, VwGO, 10. Aufl 1998, § 86 RdNr 10; Meyer-Ladewig, SGG,
5. Aufl 1993, § 103 RdNr 16; noch deutlicher § 76 Abs 1 Finanzgerichtsordnung: "Das
Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Beteiligten sind dabei
heranzuziehen. Sie haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und
der Wahrheit gemäß abzugeben und sich auf Anforderung des Gerichts zu den von den
anderen Beteiligten vorgebrachten Tatsachen zu erklären". Verfassungsrechtliche
Bedenken gegen die sich aus dem erörterten Maßstab des Untersuchungsgrundsatzes
ergebenden Folgen für die Erstattungspflicht beruhen auf nicht hinreichender Klarheit
über den Inhalt der Amtsermittlungspflicht und dem Ziel, über eine nicht praxisgerechte
und nicht zumutbare Steigerung der Amtsermittlungspflicht zu Entscheidungen nach
objektiver Beweislast und damit einer Einschränkung der Erstattungspflicht zu gelangen
(vgl Kreßel NZS 1993, 292, 294 f).

Nach den Umständen des hier zu beurteilenden Falles hat das LSG ohne Verletzung von
Verfahrensvorschriften übereinstimmend mit der BA festgestellt, daß J während des Er-
stattungszeitraums vom 23. September 1994 bis 30. Juni 1995 anderweitige Soziallei-
stungen nicht zustanden.

3.3 Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, daß einer der in § 128 Abs 1 Satz 2 Nrn 1
bis 7 AFG genannten Tatbestände vorliegt, die die Erstattungspflicht nicht entstehen
lassen.

Die Klägerin hat nicht dargelegt und nachgewiesen, daß sie das Arbeitsverhältnis mit J
durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat (§ 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG). Un-
streitig ist das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag beendet worden, der diesen
Befreiungstatbestand gerade nicht erfüllt (Niesel/Brand, AFG, 1995, § 128 RdNr 38). Dem
gegenüber greift der pauschale Hinweis der Revision auf die Austauschbarkeit von sozial
gerechtfertigter Kündigung und Aufhebungsvertrag als Beendigungsgründen von
Arbeitsverhältnissen nicht durch. Der Gesetzgeber hat bei der hier anzuwendenden Fas-
sung des Gesetzes beachtet, daß das BVerfG gerade in der Wahl bestimmter "Formen
der Beendigung von Arbeitsverhältnissen älterer, langjährig beschäftigter Arbeitnehmer"
ein Indiz dafür sieht, daß die Arbeitslosigkeit in den "Verantwortungsbereich des Ar-
beitgebers" fällt (BVerfGE 81, 156, 197 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1). Bei Abschluß eines
Aufhebungsvertrages setzt sich der Arbeitgeber nicht der Prüfung der die Kündigung so-
zial rechtfertigenden Gründe aus. Kann er solche Gründe anführen und damit darlegen
und nachweisen, daß die Verantwortung für die Arbeitslosigkeit seines früheren Arbeit-
nehmers nicht ihn treffe, hat er die Möglichkeit, vom Kündigungsrecht Gebrauch zu ma-
chen. Träfe die Rechtsauffassung der Klägerin zu, könnte § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG
vorliegend übrigens auch keine Anwendung finden; es fehlt substantiierter Sachvortrag,
dem betriebliche Gründe für eine sozial gerechtfertigte Kündigung zu entnehmen wären.

- 10 -

Die Klägerin hat auch nicht dargelegt und nachgewiesen, daß sie bei Beendigung des Ar-
beitsverhältnisses berechtigt war, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Ein-
haltung einer Kündigungsfrist oder mit sozialer Auslauffrist zu kündigen (§ 128 Abs 1
Satz 2 Nr 5 AFG). Ihr Vorbringen zu diesem Tatbestand ist auf abstrakte Rechtsausfüh-
rungen beschränkt. Konkrete Tatsachen, welche die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses belegen könnten, sind ihm nicht zu entnehmen. Insbesondere hat die
Klägerin nichts dafür vorgetragen, daß J seine Arbeitsleistung krankheitsbedingt oder
wegen altersbedingten Leistungsabbaus über länger währende Zeiträume nicht erbracht
hätte. Die Behauptung wirtschaftlicher Gründe für die Beendigung des Arbeitsver-
hältnisses weist keine Substanz auf, die die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Ar-
beitsverhältnisses mit J begründen könnte. In diesem Zusammenhang ist eine Klarstel-
lung dahin geboten, daß dieser Befreiungstatbestand nicht Manipulationen Vorschub lei-
sten soll, welche die Erstattungspflicht von Arbeitgebern nach § 128 AFG entwerten
könnten (BVerfGE 81, 156, 203 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1). Ohne konkreten für die Tat-
sacheninstanzen überprüfbaren Sachvortrag kann sich die Klägerin auf den Befrei-
ungstatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG nicht mit Recht berufen. Unerheblich ist
insoweit, daß auch bei tariflich nicht kündbaren Arbeitnehmern der Tarifvertrag eine
ordentliche Kündigung im Rahmen eines Sozialplans zuläßt. Das Gesetz trägt dabei der
Erfahrung Rechnung, daß bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen älterer Arbeitnehmer
häufig der sonst typische Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
nicht besteht (BVerfGE 81, 156, 203 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1; BSGE 77, 48, 52 = SozR
3-4100 § 119 Nr 9).

3.4 Substantiierter Sachvortrag fehlt schließlich insoweit, als die Klägerin sich auf einen
Wegfall der Erstattungspflicht nach § 128 Abs 2 Nr 2 AFG beruft. Nach dieser Vorschrift
entfällt die Erstattungspflicht nur, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, daß die
Erstattung für ihn eine unzumutbare Belastung bedeutete, weil durch sie der Fortbestand
des Unternehmens oder die nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Ar-
beitsplätze gefährdet wären. Der Anwendung dieser Vorschrift steht zwar nicht entgegen,
daß die Klägerin ausscheidenden Arbeitnehmern im Rahmen eines Sozialplans eine Ab-
findung von 4.000,00 DM gezahlt hat. Insoweit unterliegt der rechtliche Ausgangspunkt
des LSG Bedenken. Unabhängig davon, welche Anforderungen an eine unzumutbare
Belastung unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Gesichtspunkte zu stellen sind
(vgl dazu BVerfGE 81, 156, 203 ff = SozR 3-4100 § 128 Nr 1; Niesel/Brand § 128
RdNr 83), ist der Darlegungs- und Beweislast der Klägerin jedenfalls nicht mit dem pau-
schalen Hinweis auf "Umsatzrückgang" genügt. Insoweit hätte die Klägerin konkrete Da-
ten vortragen und unter Beweis stellen müssen, die Aufschluß über den wirtschaftlichen
Zustand ihres Unternehmens geben. Daran fehlt es ebenso wie an der Stellungnahme
einer fachkundigen Stelle, die Satz 2 der Vorschrift zum Nachweis einer unzumutbaren
Belastung fordert. Unter diesen Umständen besteht kein Anlaß, näher darauf einzugehen,
unter welchen Voraussetzungen eine "unzumutbare Belastung" iS des § 128 Abs 2 Nr 2

- 11 -

AFG unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeits-
grundsatzes gegeben sein könnte.

4. Entgegen der Annahme der Revision unterliegt § 128 AFG nicht grundsätzlichen ver-
fassungsrechtlichen Bedenken. Dazu ist klarzustellen, daß es sich um eine Regelung der
Berufsausübung (nicht der Berufswahl) handelt, die nach ständiger Rechtsprechung des
BVerfG mit Art 12 Abs 1 Satz 2 GG vereinbar ist, wenn die gewählten Mittel zum Errei-
chen des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und wenn bei einer Ge-
samtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtferti-
genden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Dabei hat der Gesetzgeber
für seine arbeits- oder sozialpolitischen sowie wirtschaftspolitischen Ziele einen weiten
Gestaltungsspielraum. Er kann Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit in den Vordergrund
stellen. Seine Gestaltungsfreiheit ist noch größer, wenn die Regelung - wie hier - nicht
unmittelbar berufsregelnden Charakter hat (BVerfGE 81, 156, 188 f = SozR 3-4100 § 128
Nr 1). Zu § 128 AFG aF hat das BVerfG aaO im einzelnen ausgeführt, daß die arbeits-
und sozialpolitische Zielsetzung, "Frühverrentungen", mit denen Personalkosten nament-
lich von Großunternehmen auf die Solidargemeinschaft abgewälzt werden, entgegenzu-
treten (Entlastungsfunktion), durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist. Zur Eig-
nung und Erforderlichkeit des eingesetzten Mittels der Erstattungspflicht hat das BVerfG
hervorgehoben, die Eignung der Erstattungspflicht sei bereits dann anzunehmen, wenn
durch sie der gewünschte Erfolg gefördert werde. Eine verfassungsrechtliche Beanstan-
dung sei nur möglich, wenn das eingesetzte Mittel "objektiv ungeeignet" oder "schlechthin
ungeeignet" sei (BVerfGE 81, 156, 192 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1). Dieses Merkmal hat
das BVerfG für die im wesentlichen gleichlautende frühere Regelung verneint. Für das
geltende Recht kann nichts anderes gelten. Die Revision geht daher bei ihren Einwänden
gegen die gesetzliche Regelung von verfassungsrechtlich nicht zutreffenden Vorausset-
zungen aus. Sie nimmt die verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG auch insoweit
nicht zur Kenntnis, als sie meint, die Klägerin treffe für die Arbeitslosigkeit nicht
besondere Verantwortung. Diese hat der Gesetzgeber durch die typisierend
differenzierende Regelung des § 128 AFG konkretisiert. Arbeitgebern ist durch die Befrei-
ungstatbestände des § 128 Abs 1 Satz 2 AFG und die Auffangklausel des § 128 Abs 2
Nr 2 AFG insbesondere die Möglichkeit eingeräumt worden, betriebliche Belange
vorzutragen und unter Beweis zu stellen, um die Erstattungspflicht - von der zeitlichen
Begrenzung abgesehen - in den Grenzen zumutbarer Belastung der Verhältnismäßigkeit
zu halten (BVerfGE 81, 156, 194 ff = SozR 3-4100 § 128 Nr 1). Damit ist die
Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Regelung gewahrt. Die verfassungsrechtlichen
Ausführungen der Klägerin reißen einzelne Begriffe aus dem Zusammenhang der
Ausführungen des BVerfG und werden damit der Verfassungsrechtslage nach Art 12
Abs 1 Satz 2 GG nicht gerecht.

- 12 -

Die Erstattungspflicht der Arbeitgeber ist auch insoweit verfassungsgemäß, als Arbeits-
lose - wie hier J - von der Möglichkeit Gebrauch machen, Alg unter den erleichterten Vor-
aussetzungen des § 105c AFG in Anspruch zu nehmen. Auch wenn Arbeitslose danach
nicht mehr jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen bereit sein müssen, steht ihnen
Alg nur zu, wenn sie die objektiven und subjektiven Anspruchsvoraussetzungen im übri-
gen erfüllen. Die Rechtsansicht, eingeschränkte Arbeitsbereitschaft älterer Arbeitnehmer
und eingeschränkte Vermittlungsbemühungen der BA führten zu einer nicht verhältnis-
mäßigen Risikoverteilung zum Nachteil von Arbeitgebern (Kreßel NZA 1993, 292, 294),
verkennt die tatsächlichen Verhältnisse des Arbeitslebens. Die Regelung des § 105c AFG
berücksichtigt ua, daß Arbeitslosen nach Vollendung des 58. Lebensjahres "im allgemei-
nen kein Arbeitsplatz mehr vermittelt werden kann, der ihrer bisherigen - in der Regel
durch langjährige Betriebszugehörigkeit geprägten - Tätigkeit annähernd gleichwertig ist"
(Begründung des Entwurfs zum 7. AFG-Änderungsgesetz, BT-Drucks 10/3923 S 21). Be-
stehen aber für ältere Arbeitnehmer ohnehin kaum Vermittlungsmöglichkeiten, wird deut-
lich, daß der Aufhebungsvertrag gerade nach langer Betriebszugehörigkeit wesentlich
mitwirkende Ursache für die Arbeitslosigkeit ist. Die Frühverrentungspläne der Unter-
nehmen kalkulieren dies ein und gehen davon aus, daß entlassene Arbeitnehmer nach
einjähriger Arbeitslosigkeit mit 60 Jahren Altersrente beziehen können. Die Ansicht, bei
Inanspruchnahme des § 105c AFG seien mangelnde Arbeitsbereitschaft des Arbeitslosen
und eingeschränkte Vermittlungsbemühungen der BA Grund der Arbeitslosigkeit, wird der
Bedeutung, die der Lösung des Arbeitsverhältnisses für die Arbeitslosigkeit zukommt,
nicht gerecht. Sie verwechselt insofern Ursache und Wirkung und ist nicht geeignet,
Arbeitgeber von ihrer Verantwortung für die Arbeitslosigkeit langjähriger älterer Ar-
beitnehmer zu entlasten.

5. Eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 AFG enthält das angefochtene Urteil jedoch,
als ihm tatsächliche Feststellungen nicht zu entnehmen sind, nach denen sich die Erstat-
tungsforderung der BA gegenüber der Klägerin errechnen läßt. An tatsächlichen Fest-
stellungen ist dem Urteil insoweit nur zu entnehmen, daß der Kläger ab 23. September
1994 Alg in Höhe von 625,20 DM wöchentlich bezogen und anläßlich der Aufhebung sei-
nes Arbeitsvertrages eine Abfindung von 4.000,00 DM erhalten haben soll. Diese Fest-
stellungen reichen für eine rechtliche Überprüfung nicht aus, denn diese bezieht sich nicht
nur auf die dem Arbeitslosen tatsächlich erbrachte, sondern die ihm rechtlich zustehende
Leistung (BSG Urteil vom 18. September 1997 - 11 RAr 55/96 - mit Hinweis auf BSG
SozR 3-4100 § 128a Nr 7 mwN). Dem Urteil des LSG fehlen deshalb Feststellungen, die
die Prüfung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen und der rechnerischen Richtigkeit des
gezahlten Alg und der darauf beruhenden Erstattungsforderung erlauben. Das Urteil läßt
nicht erkennen, daß das LSG die Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderung der Höhe
nach geprüft hat.

- 13 -

Da die tatsächlichen Feststellungen des LSG für eine abschließende Entscheidung des
BSG nicht ausreichen, ist das angefochtene Urteil mit den ihm zugrundeliegenden Fest-
stellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen. Für die
erneute Entscheidung wird darauf hingewiesen, daß die Feststellungen des LSG die J
nach der Betriebsvereinbarung zustehenden Leistungen nicht voll erfassen dürften.

Faksimile 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG 11 BAr 47/92 vom 30.09.1992, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Az: 11 BAr 47/92

Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit,
Nürnberg, Regensburger Straße 104,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat am 30. September 1992 in Berlin durch den
Vorsitzenden Richter Dr. V.
die Richterin Dr. W. , den Richter Prof. Dr. B. sowie die
ehrenamtlichen Richter H. und G. beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Hessischen Landessozialgerichts vom 18. Dezember 1991 wird bezüglich der erhobenen
Verfahrensrüge als unzulässig verworfen, im übrigen als unbegründet zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

[Abs. 1] Das Landessozialgericht (LSG) hat wie das Sozialgericht (SG) den Anspruch der
Klägerin auf Gewährung höheren Arbeitslosengeldes (Alg) durch die beklagte
Bundesanstalt für Arbeit (BA) verneint.

Die mit einem als Arbeitnehmer beschäftigten Steuerberater verheiratete
Klägerin begehrt, das ihr unter Berücksichtigung der zu Beginn des Jahres 1988
eingetragenen Lohnsteuerklasse V/0 - beim Ehemann war die Lohn-
steuerklasse III/1 eingetragen - nach Leistungsgruppe D gewährte Alg ent-
sprechend der Lohnsteuerklasse III/1 nach der Leistungsgruppe C festzustellen.
Sie hält die von der BA angewandte Regelung des § 111 Abs 2 Nr 1d
Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für mit dem Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1
Grundgesetz (GG) unvereinbar und macht geltend, sie werde schlechter behandelt,
wie wenn sie mit einem selbständig tätigen Ehemann verheiratet wäre, weil ihr
dann die begehrte Einstufung in Leistungsgruppe C zustehen würde.

Außerdem rügt sie als Verfahrensmangel Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig
(§ 160a Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz ), soweit sie die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache betrifft, nicht hingegen hinsichtlich der
Verfahrensrüge.

[Abs. 2] Soweit die Klägerin Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, ist die Beschwerde
unzulässig, weil die diesen Verfahrensmangel ergebenden Tatsachen nicht
bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 2 SGG).

Der damalige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ist ordnungsgemäß zur
mündlichen Verhandlung geladen worden. Ort und Zeit der mündlichen Ver-
handlung sind ihm in der Ladung (Terminsmitteilung) mit dem Hinweis darauf, daß
auch im Falle des Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne,
rechtzeitig mitgeteilt worden. Einen besonderen Hinweis, daß eine Erörterung des
Rechtsstreits zwischen dem Gericht und den Beteiligten vorgesehen ist, verlangt
§ 110 SGG nicht; der Begriff der Verhandlung schließt
vielmehr für die Beteiligten eine Erörterung des Rechtsstreits in jeder Hinsicht
ein. Im übrigen hatte die Klägerin ihren Rechtsstandpunkt bereits eingehend in
beiden Instanzen vorgetragen, so daß nicht dargelegt ist, was sie darüber hinaus
noch hätte vorbringen wollen.
-3-
- 3 -

[Abs. 3] Soweit die Klägerin ihre Beschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache stützt, ist die Beschwerde zulässig.

Nach Auffassung des Senats ist die Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin
aufgeworfenen Rechtsfrage - Verfassungswidrigkeit des § 111 Abs 2 Nr 1d AFG -
hinreichend dargelegt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage zwar dann nicht
mehr, wenn sie bereits entschieden ist oder durch Auslegung des Gesetzes, evtl
unter Berücksichtigung bereits ergangener Rechtsprechung, eindeutig beantwortet
werden kann. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn - wie hier - neue Gesichtspunkte
vorgetragen werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden
Betrachtung der grundsätzlich bereits entschiedenen Rechtsfrage führen können
und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich
ausschließen (vgl Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 4. Aufl § 160 RdNr 7 sowie
Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde RdNr 119). Das trifft hier zu.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschlüssen vom 8. März
1983 - 1 BvL 21/80 - (SozR 4100 § 111 AFG Nr 6) und vom 12. Oktober
1983 - 1 BvR 1596/82 - Dreier-Ausschuß - (SozR 4100 § 111 AFG Nr 7) die
Anknüpfung der Leistungsbemessung an das Lohnsteuersystem in § 111 Abs 2
AFG idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom
22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) - die Fassung ist praktisch unverändert
geblieben - als typisierende Regelung bei der Ordnung von Massenerscheinungen
im Hinblick auf die steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten von gemeinsam zur
Lohn- und Einkommensteuer veranlagten Ehepartnern für verfassungsgemäß
erachtet. Das BVerfG hat dabei ausgesprochen, daß niemand allein daraus, daß
einer Gruppe aus besonderem Anlaß besondere gesetzliche Vergünstigungen
zugestanden werden, für sich ein verfassungsrechtliches Gebot herleiten könne,
genau dieselben Vorteile in Anspruch nehmen zu dürfen. Insbesondere sei der
Gesetzgeber bei verheirateten Arbeitslosen nicht gehalten, statt des durch
Arbeitslosigkeit ausfallenden Einkommens die Gesamteinkünfte der Familie als
Anknüpfungspunkt für die Bemessung von Alg zu wählen.

Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß § 111 Abs 2 - damit auch Nr 1d -
AFG in bezug auf alle Ehepaare, die zur Lohn- und Einkommensteuer veranlagt
werden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Aus den genannten
Entscheidungen ist allerdings nicht sicher zu entnehmen, daß das BVerfG auch
den von der Klägerin angeführten Vergleich zwischen einem Arbeitnehmerehepaar
und einem Ehepaar, das aus einem Arbeitnehmer und einem selbständig Tätigen
besteht, bei seinen Entscheidungen berücksichtigt hat. Deshalb sind die von der
Klägerin unter diesem Blickwinkel angestellten Erwägungen dazu, daß
Arbeitnehmerehepaare gegenüber dem Vergleichspaar benachteiligt werden, neu

- 4 -

und nicht offensichtlich ungeeignet, die bisherige verfassungsrechtliche
Betrachtungsweise in Frage zu stellen. Nach Auffassung des Senats hat die
Klägerin daher die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage ausreichend dargelegt.

[Abs. 4] Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, denn aus dem von der Klägerin
angestellten Vergleich folgt nicht die behauptete Verletzung des Gleichheitssatzes.
Nach Art 3 Abs 1 GG muß der Gesetzgeber die Gleichbehandlung vergleichbarer
Fälle sicherstellen und darf nicht wesentlich Gleiches ungleich behandeln (vgl zB
BVerfGE 55, 72, 88; 65, 104, 112; 75, 382, 393; 79, 1, 17 und zuletzt Urteil vom
7. Juli 1992, NJW 1992 S 2213, 2214). Damit ist ihm jedoch nicht jede
Differenzierung verwehrt, sofern sie in sachlichen Unterschieden eine ausreichende
Stütze findet.

Die Klägerin begehrt die rechtliche Gleichbehandlung wesentlich verschiedener
Sachverhalte.

Die Lohnersatzfunktion des Alg mit existenzsichernder Wirkung ist nur er-
reichbar, wenn die Feststellung und Auszahlung des Alg sobald wie möglich erfolgt.
Dazu ist die Anknüpfung an die bescheinigten Lohnsteuerklassen zweckmäßig. Bei
Arbeitnehmer-Ehegatten kann freilich die Höhe des Arbeitslohnes der Partner im
Laufe eines Kalenderjahres derart wechseln, daß eine Änderung der auf den
Lohnsteuerkarten eingetragenen Lohnsteuerklassen angebracht ist, zumal jeder
der beiden Partner arbeitslos werden kann und Anspruch auf seinem Arbeitslohn
entsprechende Leistungen haben soll. Auch dann kommt zwischen den Eheleuten
ein Steuerklassenwechsel im Rahmen der Steuerklassen III bis V gemäß § 113
Abs 2 AFG in Betracht (vgl dazu BSG SozR 4100 § 113 Nr 4).

Bei dem Arbeitnehmer/Selbständigen-Ehepaar kann dies nicht auftreten. Hier
kann nur der Arbeitnehmerpartner arbeitslos werden und Anspruch auf Alg haben.
Ein Lohnsteuerklassenwechsel kommt wegen der Lohnsteuerpflicht nur eines
Ehegatten nicht in Frage. Bereits aufgrund dieser Unterschiede kommt für die
Vergleichsgruppe eine Regelung, die der für Arbeitnehmer-Ehegatten voll
entspricht, nicht in Betracht. Der in § 113 Abs 2 AFG vorgesehene
Steuerklassenwechsel zwischen Arbeitnehmer-Ehegatten hat nach seinem Sinn
und Zweck allein für diese Ehegatten Bedeutung.

Die Verfassungsmäßigkeit der von der Klägerin beanstandeten Regelung wird
nach Auffassung des Senats nicht dadurch widerlegt, daß für die sich von den
Arbeitnehmer-Ehegatten in sachlicher Hinsicht unterscheidenden Ar-
beitnehmer/Selbständigen-Ehegatten gem § 38b Satz 1 Nr 3a, aa Einkom-
mensteuergesetz (EStG) lohnsteuerrechtlich nur ein feststehender Anknüp-

- 5 -

fungsmaßstab für die Bemessung des Alg des arbeitslosen
Arbeitnehmer-Ehegatten besteht, nämlich seine Lohnsteuerklasse. Zu
berücksichtigen ist, daß in vielen Fällen der Arbeitnehmer dieser Verbindung im
Vergleich zum Arbeitseinkommen des Selbständigen ein höheres Arbeitsentgelt
erzielt. Jedenfalls in diesen Fällen weist die Bemessung des Alg für den
arbeitslosen Arbeitnehmer unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse III im
Vergleich zu Arbeitnehmer-Ehepaaren keinen Unterschied auf. Bei umgekehrten
Einkommensverhältnissen, in denen der Arbeitnehmer-Ehegatte gleichwohl lohn-
steuerrechtlich in die Klasse III eingruppiert wird, ist für die Arbeitsverwaltung im
Zeitpunkt der Entscheidung über das begehrte Alg regelmäßig nicht vorhersehbar,
ob die steuerrechtlichen Regelungen über die Veranlagung von Ehegatten ein
finanzielles Endergebnis herbeiführen, das den Arbeitslosen jedenfalls nicht
wesentlich besserstellt als den arbeitslosen Arbeitnehmer-Ehegatten. Von der
Verwaltung schnell zu bewältigende Massenerscheinungen wie die Gewährung von
Alg verlangen mithin notwendigerweise pauschalierende und typisierende
Regelungen, selbst wenn dabei gewisse Ungleichheiten zwischen verschiedenen
Personengruppen auftreten (BSG Urteil vom 27. Juli 1989 - 11/7 RAr 101/87 -
SozR 4100 § 111 AFG Nr 10). Der aus diesem Grunde erforderliche
Regelungsspielraum ist im Bereich der Leistungsverwaltung besonders weit, weil
die Praktikabilität einfache Maßstäbe für die Leistungsberechnung erfordert. § 111
Abs 2 AFG trägt diesem Erfordernis daher auch bezüglich des mit einem
Selbständigen verheirateten Arbeitnehmers, der Alg beansprucht, Rechnung. Das
Arbeitseinkommen des selbständigen Ehegatten steht nämlich erst nach Abgabe
seiner Steuererklärung und der dann erfolgenden Veranlagung, die in Einzelfällen
mehrere Jahre dauern kann, fest. Erst nach der steuerlichen Veranlagung könnte
damit auch das Verhältnis der Bruttoeinkünfte dieser beiden Ehepartner
berücksichtigt werden. Würde die Arbeitsverwaltung dann mit im Einzelfall
erforderlichen Korrekturen der Höhe des zu gewährenden Alg belastet werden,
wäre damit nicht nur ein unangemessener Verwaltungsaufwand verbunden,
sondern die Korrekturen würden auch zu einer nachträglichen Zweckverfehlung
des Alg führen, das den zuvor tatsächlich erzielten Lohn ersetzen soll (vgl BSG,
Urteil vom 13. November 1980 - 7 RAr 99/79 -BSGE 51, 10, 14, 15). Das
Arbeitsförderungsrecht muß deshalb für die Bemessung des Alg nicht abweichend
von der bestehenden Lohnsteuerklasseneinteilung des § 111 Abs 2 AFG an das
durch Arbeitslosigkeit verminderte Gesamteinkommen der Familie anknüpfen.

Die Regelung des § 111 Abs 2 AFG kann im Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG auch
deshalb für die nach Auffassung der Klägerin begünstigte Vergleichsgruppe
hingenommen werden, weil durch die angeführten Entscheidungen anerkannt ist,
daß auch zum Nachteil des Arbeitslosen individuelle Freibeträge, die auf der
Lohnsteuerkarte eingetragen werden können und sonstige Steuervergünstigungen,

- 6 -

die erst im Lohnsteuerausgleichsverfahren oder bei der Veranlagung zur
Einkommensteuer zu einer Steuerentlastung führen, grundsätzlich für die
Bemessung des Alg unberücksichtigt bleiben. Eine gewisse Parallelität zu dem hier
zu beurteilenden Fall besteht jedenfalls insoweit, als auch in jenen Fällen die rein
steuerrechtlichen Ausgleichsmechanismen zwischen den Eheleuten unbeachtet
bleiben dürfen (vgl BSGE 51, 10, 15 sowie Urteil vom 27. Juli 1989 aaO).

Der Nichtzulassungsbeschwerde war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193
SGG.

Faksimile 1 2 3 4 5 6

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG 11 BA 8/75 vom 22.08.1975, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht

- 11 BA 8/75 -

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Kläger und Revisionskläger,

gegen

Beklagte und Revisionsbeklagte

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat am
22. August 1975 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. B. und die Richter H.
und Dr. Z. sowie die ehrenamtlichen
Richter V. und Dr. L.
beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Januar 1975 wird zurück-
gewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind
nicht zu erstatten.

- 2 -

Der Kläger war nach seinem Hochschulstudium von August
1932 bis April 1934 arbeitslos, aber nicht beim Arbeits-
amt gemeldet. Er begehrt dennoch von der Beklagten die
Anerkennung (Vormerkung) dieser Zeit als Ausfallzeit
im Sinne des § 36 Abs.1 Nr. 3 des Angestelltenver-
sicherungsgesetzes (AVG).Die Beklagte hat das abge-
lehnt. Klage und Berufung waren ohne Erfolg.Nach An-
sicht des Landessozialgerichts (LSG) ist es nicht grund-
gesetzwidrig (willkürlich), daß das Gesetz die Anrech-
nung einer Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit von der
Arbeitslosmeldung abhängig macht und für ehemals un-
beschäftigte Jungakademiker keine Ausnahme zuläßt.

Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.Mit der
dagegen eingelegten Beschwerde beantragt der Kläger
die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Be-
deutung der Rechtssache. In der damals herrschenden
größten Arbeitslosigkeit sei - insbesondere für Jung-
akademiker - eine Meldung beim Arbeitsamt nutzlos ge-
wesen, weil die Arbeitsämter keine Stellen hätten ver-
mitteln können. Damit stelle sich die Frage, ob § 36
Abs. 1 Nr. 3 AVG mit der Verfassung im Einklang stehe,
soweit das Gesetz von seinen Vorteilen die große
Gruppe der Arbeitslosen ausschließe, die sich wegen
Nutzlosigkeit nicht beim Arbeitsamt gemeldet hätten.
Diese Frage sei noch nicht entschieden.

Die Beschwerde ist zulässig. Zu den Voraussetzungen der
Zulässigkeit gehört nach § 160 a Abs. 2 Satz 3 SGG,
daß in der (fristgebundenen) Beschwerdebegründung die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt
wird. Demgemäß ist in der Begründung die zu entscheidende Rechts-

- 3 -

frage klar zu bezeichnen; außerdem muß ersichtlich sein,
weshalb ihrer Klärung eine grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Das gilt auch, wenn die Verfassungswidrigkeit einer Vor-
schrift behauptet wird. Hier kann die bloße Behauptung
der Verfassungswidrigkeit nicht ausreichen; vielmehr
muß dargetan sein, welche Vorschrift des Grundgesetzes
verletzt ist und aus welchen Gründen. Insbesondere bei
behaupteten Verstößen gegen den Gleichheitsgrundsatz ist
zu erläutern, worin Ungleichbehandlung und Willkür er-
blickt werden (vgl. BVerwG, Buchholz, 448.3 § 7 USG
Nr. 1); erst dann sind Inhalt und Bedeutung der zu
entscheidenden Rechtsfrage der Verfassungswidrigkeit
genügend gekennzeichnet. Diesen Anforderungen genügt
indessen die Beschwerdebegründung des Klägers; es ist
vor allem nicht zweifelhaft, daß und warum er Art. 3
Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) für verletzt erachtet.

Auch sonst sind Bedenken gegen die Zulässigkeit der Be-
schwerde nicht gegeben.

Die Beschwerde ist aber nicht begründet.

Der Senat kann allerdings nicht der Meinung des Bundes~
gerichtshofs (BGH) folgen, daß die Frage der Verfassungs~
mäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen
Vorschrift die Zulassung einer Revision wegen grundsätz-
licher Bedeutung der Rechtssache nicht rechtfertigen
könne (Rzw 1964, 225; 1967, 368). Der BGH begründet diese
Ansicht damit, daß eine solche Zulassung nur das Ver-
fahren verzögere, weil gegen eine die Verfassungsmäßig-
keit bejahende Entscheidung noch der Weg der Verfassungs-
beschwerde zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) offen-
stehe; die Verfassungswidrigkeit könne nur vom BVerfG
ausgesprochen werden; dieses könne aber auch angerufen

- 4 -

werden, wenn die Revision nicht zugelassen werde. Dem
ist jedoch entgegenzuhalten, daß das BVerfG auch bei
Fragen der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, wenn
diese Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist, vor der
Einlegung der Verfassungsbeschwerde zur Erschöpfung
des Rechtsweges die Einlegung der Nichtzulassungsbe-
schwerde verlangt (BVerfG 16, 3; vgl. auch 21, 167).

Im übrigen ist die Klärungsfähigkeit auch dieser Rechts-
fragen im Revisionsverfahren nicht zu bestreiten, selbst
wenn eine Klärung im Sinne der Verfassungswidrigkeit
nur durch Anrufung des BVerfG möglich ist. Zu Recht
schließt deshalb das BVerwG die Zulassung einer Revision
zur grundsätzlichen Klärung der Verfassungsmäßigkeit
bzw. - widrigkeit einer Vorschrift nicht aus (vgl.
BVerwG, Buchholz aaO sowie 232 § 90 BBG Nr. 14 und
235.16 § 5 LBesG Nr. 1). Wegen der Divergenz zum BGH
braucht der erkennende Senat allerdings nicht den Ge-
neinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes
anzurufen; dies ist jedenfalls deshalb nicht erfor-
derlich, weil der Senat aus anderen Gründen hier eben-
falls zur Zurückweisung der Beschwerde kommt.

Der Senat hält die Rechtsfrage nämlich nicht für
klärungsbedürftig. Richtig ist zwar, daß über die Ver-
fassungsmäßigkeit des Erfordernisses der Arbeits-
losmeldung in § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG bzw. § 1259 Abs. 1
Nr. 3 RVO, sei es allgemein, sei es für die vom Klä-
ger bezeichnete Gruppe, soweit bekannt, bisher weder
vom BSG noch vom BVerfG entschieden worden ist. Wenn
auch Ausführungen in mehreren Urteilen des BSG
(vgl. SozR Nr. 13, 35 und 50 zu § 1259 RVO) die Arbeits-
losmeldung wiederholt als zusätzliches gesetzliches
Tatbestandsmerkmal bezeichnen, ohne die eine Arbeitslo-
sigkeit nicht als Ausfallzeit anerkannt werden kann,

- 5 -

so ist doch nicht ersichtlich, daß in diesen Urteilen eine
beantragte Anrechnung einer Arbeitslosigkeit wegen der
fehlenden Meldung abgelehnt worden ist; andererseits haben
diese Urteile keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
dieser Vorschrift erkennen lassen.

Wie der Senat im Beschluß vom 4. Juni 1975 (11 BA 4/75)
dargelegt hat, kann indessen eine Rechtsfrage auch ohne
einschlägige.Rechtsprechung dann nicht klärungsbedürftig
sein, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch
außer Zweifel steht. Das ist hier der Fall. Die angeführ-
ten Urteile des BSG (vgl. Nr. 13 und 35) haben bereits die
Gründe deutlich gemacht, weshalb der Gesetzgeber die Ar-
beitslosmeldung fordert. Der Gesetzgeber wollte eine zu-
sätzliche Sicherung für das Bestehen echter Arbeitslosig-
keit. Er wollte bei den in Betracht kommenden bis 1927
zurückreichenden Zeiträumen Mißbräuche ausschließen und
sicherstellen, daß der Arbeitslose auch ernstlich arbeits-
willig war und der Arbeitsvermittlung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt zur Verfügung stand. Das sind sachlich ein-
leuchtende Gründe.

Im übrigen hat der Kläger das Erfordernis der Arbeits-
losmeldung nicht allgemein als verfassungswidrig bezeichnet.
Bei der Prüfung von Zulassungsgründen ist der Senat auf
die geltend gemachten Gründe beschränkt. Entscheidend ist
daher die Frage, ob das Erfordernis der Arbeitslosmeldung
gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, soweit es auch für Arbeits-
lose gilt, bei denen eine Meldung beim Arbeitsamt von vorn-
herein nutzlos erschien, insbesondere in der hier streitigen
Zeit. Auch hier kann jedoch von Willkür keine Rede sein. Es
ist schon nicht dargetan, daß Meldungen in der Zeit der
"größten Arbeitslosigkeit" allgemein wirklich nutzlos gewe-
sein seien; keinesfalls läßt sich das für alle in Betracht
kommenden Vermittlungen annehmen. Hinzu kommt, daß sich

- 6 -

die vom Kläger bezeichnete Gruppe nicht sinnvoll abgrenzen
läßt.

Abgesehen von der bestehenden Arbeitslosigkeit und der
Meldung beim Arbeitsamt erfordert § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG
außerdem, daß der Arbeitslose versicherungsmäßiges Ar-
beitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe oder Fürsorgeunter-
stützung oder Familienunterstützung bezogen hat oder daß
eine dieser Leistungen wegen Zusammentreffens mit anderen
Bezügen, wegen eines Einkommens oder wegen der Berück-
sichtigung von Vermögen nicht gewährt worden ist. Auf
dieses weitere Tatbestandserfordernis ist der Kläger in
der Beschwerdebegründung nicht eingegangen; auch aus dem
angefochtenen Urteil des LSG ist nicht zu ersehen, ob eine
dieser alternativen weiteren Voraussetzungen beim Kläger
gegeben ist. Der Senat kann jedoch offenlassen, ob die in-
soweit fehlenden Feststellungen und Ausführungen ebenfalls
dem Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde hätten im wege
stehen müssen.

Die Beschwerde ist nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender An-
wendung des § 193 SGG.

Faksimile 1 2 3 4 5 6

... link (0 Kommentare)   ... comment


BSG 11 BA 4/75 vom 04.06.1975, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht
- 11 BA 4/75 -

Beschluß

in dem Rechtsstreit
Kläger und Beschwerdeführer,
Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Beklagte und Beschwerdegegnerin

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat am
4. Juni 1975 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. B. und die Richter H. und
Dr. Z. sowie die ehrenamtlichen
Richter B. und
Dr. B. Beschlossen:

1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzu-
lassung der Revision im Urteil des Landessozial-
gerichts Berlin vom 5. November 1974 wird
zurückgewiesen

2. Äußergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfah-
rens sind nicht zu erstatteno

- 2 -

Gründe:

Das Landessozialgericht (LSG) hat in dem angefochtenen
Urteil, das am 5, November 1974 ohne mündliche Verhandlung
ergangen und dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers
in New York am 16. Januar 1975 zugestellt worden ist, die
Revision nicht zugelassen. Die dagegen gerichtete Beschwer-
de des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist zwar fristgerecht eingelegt und auch
fristgerecht begründet worden, obwohl die Begründung erst
am 10. April 1975 und damit - entgegen der Vorschrift des
§ 160a Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) -
nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des
Berufungsurteils beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen
ist, Für den Kläger lief nämlich nicht eine Begründungs-
frist von zwei, sondern eine solche von vier Monaten, weil
ihm das Berufungsurteil außerhalb des Geltungsbereiches des
SGG zugestellt worden ist.

In Fällen der Auslandszustellung hatte die Rechtsprechung
bisher schon für die Einlegung der Revision in entsprechen-
der Anwendung des § 87 Abs, 1 Satz 2 SGG eine Frist von
drei Monaten zugebilligt (SozR Nr, 42 zu § 164 SGG aF);
demzufolge hatte der Revisionskläger, da sich damals noch
die einmonatige Begründungsfrist der Revisionsfrist an-
schloß, bei Auslandszustellung praktisch vier Monate Zeit
zur Revisionsbegründung (SozR Nr, 51 zu § 164 SGG aF), Mit
dieser Rechtsprechung wurde bezweckt_ den im Ausland leben-
den Beteiligten ausreichende Zeit zur Nachprüfung des Urteils,
zu Überlegungen und zur Einleitung der erforderlichen Maß-
nahmen zu belassen; sie sollten nicht gegenüber inländischen
Prozeßgegnern benachteiligt sein, Diese Erwägungen haben
kein minderes Gewicht für die Fristen, die bei der neueinge-

- 3 -

führten Nichtzulassungsbeschwerde zu wahren sind, Da nicht
erkennbar ist, daß der Gesetzgeber anläßlich der Änderung
des SGG zum 1. Januar 1975 die genannte Rechtsprechung
nicht mehr hätte akzeptieren wollen, erscheint es geboten,
sie bei den Fristen für die Nichtzulassungsbeschwerde fort-
zuführen. Das bedeutet, daß bei Urteilszustellung außer-
halb des Geltungsbereichs des SGG die Frist für die Ein-
legung der Beschwerde - in entsprechender Anwendung des
§ 87 Abs, 1 Satz 2 SGG - drei Monate ab Zustellung beträgt.
Daran kann sich die Begründungsfrist zwar nicht an-
schließen, weil sie nach § 160a Abs. 2 Satz 1 SGG ( mit
zwei Monaten ) ab Zustellung des Urteils zu berechnen ist
( wie jetzt auch die Revisiensbegründungsfrist, vgl. § 164
Abs. 2 Satz 1 SGG); wenn das Urteil - wie hier - außer-
halb des Geltungsbereichs des SGG zugestellt worden ist,
muß daher die Begründungsfrist sinngemäß auf eine Zeit
von vier Monaten ab Zustellung des Urteils festgesetzt
werden.

Die vom Kläger vorgetragenen Zulassungsgründe gebieten je-
doch keine Zulassung der Revision,

Soweit der Kläger zunächst eine Verletzung des § 105 SGG
rügt, könnte diese nach § 160 Abs. 2 Nr. 5 SGG nur dann
einen Zulassungsgrund bilden, wenn das LSG einem Beweis-
antrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt wäre.
Die Beschwerdebegründung enthält keine dahingehenden An-
gaben; sie genügt damit nicht den Erfordernissen des § 160
a Abs. 2 Satz 5 SGG. Nach dieser Vorschrift ist in der
Begründung der Verfahrensmangel zu bezeichnen; wenn Ver-
stöße gegen § 105 SGG gerügt werden, muß also dargelegt
werden, welchem Beweisantrag das LSG zu Unrecht nicht ge-
folgt sein soll.

- 4 -

Soweit der Kläger außerdem eine grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache geltend macht, läßt der Senat dahingestellt,
ob die Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung in
dem von § 160a Abs. 2 Satz 5 SGG geforderten Maße ausreichend
darlegt; dieser Zulassungsgrund ist jedenfalls nicht gegeben.
Der Kläger zitiert Ausführungen des LSG, daß wegen des.
Fehlens genauer Unterlagen "sich nicht feststellen läßt",
ob die "Beitragsentrichtung oder die Nichtentrichtung“ von
Beiträgen zur Angestelltenversicherung für die Zeit von
März 1952 bis Juni 1953 "ein höheres Maß an Wahrscheinlich-
keit hat". Nach seiner Meinung ist hier die grundsätzliche
Rechtsfrage zu klären, ob nicht bei Verfolgten die Fest-
stellung von Tatsachen gemäß § 5 des Gesetzes zur Regelung
der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in
der Sozialversicherung - WGSVG - vom 22. Dezember 1970
grundsätzlich zugunsten der Verfolgten zu treffen ist. Des-
halb hat der vorliegende Rechtsstreit indessen keine grund-
sätzliche Bedeutung.

Dieser Zulassungsgrund (vgl. aus der bisherigen Rechtsprechung
des BSG dazu BSG 2, 129, 152 und 15, 17, 19) verlangt zwar,
daß die zu treffende Entscheidung sich über den Einzelfall
hinaus auswirkt; insofern hat die Antwort auf die dargelegte
Rechtsfrage ohne Zweifel eine erhebliche Breitenwirkung; sie
beträfe viele Fälle von Verfolgten, in denen § 5 WGSVG an-
zuwenden ist. Die Bedeutung über den Einzelfall hinaus ge-
nügt aber noch nicht. Erforderlich ist vielmehr ferner, daß
die Rechtsfrage auch klärungsbedürftig ist (vgl„ BSG aaO und
Neyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde
in der Rechtsprechung der Obersten Bundesgerichte, S. 29);
eine schon geklärte Frage hat kein grundsätzliches Gewicht
nein; Eine Klärungsbedürftigkeit ist aber nicht erst denn'

- 5 -

zu verneinen, wenn bereits eine gefestigte Recht-
sprechung die Rechtsfrage klar entschieden hat; eine
Rechtsfrage kann schon dann nicht klärungsbedürftig
sein, wenn von vornherein die Antwort darauf praktisch
außer Zweifel steht. Das aber ist hier der Fall. Nach
§ 5 Abs. 1 WGSVG genügt es für die Feststellung der
nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen, wenn sie
glaubhaft gemacht sind; das ist der Fall, wenn ihr
Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen überwiegend
wahrscheinlich ist; nach Abs. 2 können als Mittel der
Glaubhaftmachung eidesstattliche Versicherungen zuge-
lassen werden. Die Vorschrift des § 3 gibt damit den
Verfolgten Beweiserleichterungen, vor allem dadurch,
daß für die Feststellung der rechtserheblichen Tat-
sachen die überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreicht.
Die Vorschrift enthält aber keinen Grundsatz, daß
Tatsachenfeststellungen allgemein oder regelmäßig
zugunsten der Verfolgten zu treffen seien; die Beweis-
last (Feststellungslast) bleibt unberührt„ Auch im Rah-
men des § 5 Abs. 1 WGSVG verbleiben Fälle, in denen
weder das Vorhandensein noch das Nichtvorhandensein
einen Tatsache überwiegend wahrscheinlich ist; dann
ist nicht "im Zweifel zugunsten der Verfolgten" zu
entscheiden. Ein derartiger Grundsatz wäre auch dem
Sozialversicherungsrecht fremd.

- 6 -

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender
Anwendung des § 195 SGG

Dr. B. Dr. Z.
Zugleich für Richter am BSG
H., der durch Urlaub an der
Unterzeichnung verhindert ist.

Faksimile 1 2 3 4 5 6

... link (0 Kommentare)   ... comment


status
Menu
Suche
 
Kalender
November 2024
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
Letzte Aktualisierungen
Beweislast für den Zugang...
Gekürzte Chronologie der Petition Beweislast für den Zugang und Garantenpflicht nach § 60 Abs. 1...
by anselmf
BVerfG, 1 BvR 1484/10 vom 28.09.2010,...
Ausfertigung BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 1484/10 - In dem Verfahren über die...
by anselmf
LSG FSB, L 8 SO 116/09 B ER RG...
L 8 SO 116/09 B ER RG BAYERISCHES LANDESSOZIALGERICHT in dem Beschwerdeverfahren - Antragsteller gegen Bezirk...
by anselmf
11 RA 9/79 vom 15.11.1979, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht - 11 RA 9/79 - Verkündet am 15. November 1979 als Urk. Beamter der Gesch. Stelle...
by anselmf
SG R, S 9 SO 5/15 vom 28.10.2016,...
Beglaubigte Abschrift S 9 SO 5/15 SOZIALGERICHT REGENSBURG In dem Rechtsstreit — Kläger - Proz.-Bev.: gegen —...
by anselmf

xml version of this page

made with antville