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Mittwoch, 1. Juli 2015
SG DD, S 12 AS 192/15, 29.04.2015, Sozialgericht Dresden
Beglaubigte Abschrift

S 12 AS 192/15

SOZIALGERICHT DRESDEN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

— Kläger -

gegen

Landkreis Meißen Jobcenter Meißen, vertreten durch den Landrat, Brauhausstraße 21,
01662 Meißen

— Beklagter —

hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Dresden auf die mündliche Verhandlung vom
29. April 2015 in Dresden durch die Richterin am Sozialgericht und die ehrenamtli—
chen Richter Herr und Frau für Recht erkannt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, den Überprüfungsantrag des Klägers vom
11.07.2014, eingegangen am 11.07.2014, auf Überprüfung aller Leistungsbe-
scheide für ihn und seinen Sohn rückwirkend zum 01.09.2013 zu bescheiden.

II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

— 2 — S 12 AS 192/15

Tatbestand:

Gegenstand des Verfahrens ist eine Untätigkeitsklage, mit welcher der Kläger die Verurtei-
lung des Beklagten zur Entscheidung über seinen Überprüfungsantrag vom 11.07.2014 be—
gehrt.

Der im Jahr geborene Kläger bewohnt seit Mai 2010 eine 74 m2 große erdgasbeheizte
Drei-Raum—Wohnung in Meißen. Die monatliche Gesamtmiete für diese Wohnung beträgt
Euro und setzt sich aus einer Grundmiete von Euro und den Vorauszahlun-
gen für Heiz— und Warmwasserkosten von Euro sowie für sonstige Betriebskosten
von Euro zusammen.

Vor dem Amtsgericht Meißen schlossen der Kläger und seine von ihm getrenntlebende
Ehefrau am 22.08.2013 eine Vereinbarung dahingehend, dass sie die elterliche Sorge für
den im Jahre geborenen gemeinsamen Sohn des Klägers künftig gemeinsam ausüben
werden und das Kind sich im wöchentlichen Wechsel bei jedem Elternteil aufhalten wird.
Das Kindergeld für den Sohn des Klägers erhält die Kindsmutter. Der Kläger bezieht vor—
läufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II und erhält seit
dem 01.09.2013 den Regelsatz für seinen Sohn sowie den alleinerziehenden Mehrbedarf
anteilig zu 50 % ausgezahlt.

Mit Schreiben vom 11.07.2014, eingegangen beim Beklagten per Fax am gleichen Tage,
machte der Kläger geltend, dass sein Sohn entgegen der familienrechtlichen Vereinbarung
nicht im Wechselmodel beim Kläger und seiner geschiedenen Ehefrau lebt, sondern sich
bei der Kindesmutter maximal zwei Tage pro Woche, nämlich von Mittwochabend
17:30 Uhr bis zum Kitabeginn am Donnerstagmorgen sowie von Freitagabend bis Sams—
tagabend, maximal Sonntagmorgen, aufhält. Dass der Regelsatz und der alleinerziehenden
Mehrbedarf vor diesem Hintergrund nur hälftig gezahlt würden, sei aufgrund der tatsächli—
chen Gegebenheiten nicht korrekt.

— 3 — S 12 AS 192/15

Am 12.01.2015 hat der Kläger die hier streitgegenständliche Untätigkeitsklage mit dem
Ziel erhoben, den Beklagten zu verpflichten. über den Überprüfungsantrag vom
11.07.2014 zu entscheiden. Zur Begründung hat er ausgeführt, für die Nichtbescheidung
sei kein zureichender Grund erkennbar. Auch auf die Nachfrage vom 09.12.2014 sei eine
Reaktion des Beklagten nicht erfolgt.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zum Erlass eines rechtmäßigen Bescheides mit Leistungen in
rechtmäßiger Höhe zu verpflichten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung. dass die begehrte Überprüfungsentscheidung noch nicht habe getrof—
fen werden können. da der insofern maßgebliche Sachverhalt noch nicht geklärt sei. Der
Kläger habe sich zu dem konkreten Umfang des Aufenthaltes seines Sohnes bei sich nicht
näher erklärt und auch mit der Klage keine genauen Angaben gemacht. Darüber hinaus
handele es sich bei dem geltend gemachten Mehrbedarf lediglich um eine bedarfserhöhen—
de Position, die nicht gesondert beansprucht werden könne. Es könne sich lediglich unter
Zugrundelegung eines insoweit bestehenden höheren Bedarfs ein höherer Leistungsan-
spruch insgesamt ergeben. Eine diesbezügliche Prüfung setze jedoch eine bestehende
Klarheit insbesondere über die Einkommensverhältnisse des Klägers in dem zu überprü—
fenden Leistungszeitraum ab 2013 voraus. Hierüber habe sich der Kläger nicht erklärt. Ab—
gesehen hiervon sei ein Anspruch auf höhere SGB—II—Leistungen auch dann nicht gegeben.
wenn der leistungsrechtliche Bedarf ohne Notwendigkeit erhöht werde. Zwischen dem
Kläger und seiner zwischenzeitlich geschiedenen Frau sei vor dem Familiengericht Meißen
eine Umgangsregelung getroffen worden. Diese Regelung sei auch durch keine neue rich-
terliche Entscheidung abgeändert worden. Dass eine anderweitige Praktizierung zwingend
erforderlich sei, sei nicht dargelegt worden.

— 4 — S 12 AS l92/15

Hinsichtlich des weiteren Sach— und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten. die beigezo—
genen Verfahren S 43 AS 4197/14, S 43 AS 2298/14 ER sowie S 43 AS 5294/14 ER und '
die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und
Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Die fom— und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig und begründet. Der Beklagte war
verpflichtet. über den Überprüfungsantrag des Klägers vom 11.07.2014 grundsätzlich in—
nerhalb der Frist des § 88 Abs. l Satz 1 SGG zu entscheiden.

Nach § 88 Abs. l Satz l SGG ist eine Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem
Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes zulässig, wenn ein Antrag auf Vornahme
eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht be—
schieden worden ist. Die Frist war bei Klageerhebung abgelaufen und der für einen zu—
reichenden Grund darlegungspflichtige Beklagte hatte keinen hinreichenden Grund für die
Nichtbescheidung. Soweit der Beklagte in der Klageerwiderung vorgetragen hat. der Klä-
ger habe sich zum konkreten Umfang des Aufenthaltes seines Sohnes bei sich nicht näher
erklärt, ist dies nicht zutreffend. Der Kläger hatte bereits in seinem Überprüfungsantrag
vom l.07.2014 genau dargestellt, in welchen Zeiträumen sich sein Sohn bei der geschie-
denen Ehefrau aufhält und damit in welchen anderen Zeiträumen bei ihm. Insofem er—
scheint die erneute Nachfrage des Beklagten im Schreiben vom 19.08.2014 an den Kläger
diesbezüglich nicht nachvollziehbar, da der Kläger die Antwort auf die Frage schon gege—
ben hatte. Die Einholung weiterer Auskünfte, insbesondere von der geschiedenen Ehefrau
des Klägers obliegt der Amtsermittlungspflicht des Beklagten. Der Beklagte hätte im
Rahmen dieser Pflicht eine Bestätigung der geschiedenen Ehefrau selbst anfordern können
und müssen.

Zutreffend hat der Kläger hervorgehoben, dass er in Kenntnis der Tatsache, dass es sich bei
dem Mehrbedarf nur um eine bedarfserhöhende Position handelt, eine Überprüfung der
Leistungsbescheide insgesamt für den Überprüfungszeitraum beantragt hat. Eine etwaige

— 5 — S 12 AS l92/l5

fehlende Mitwirkung des Klägers für die Neuberechnung des gesamten Anspruches stellt
keinen sachlichen Grund für die Nichtbescheidung des Überprüfungsantrages dar. Gegebe—
nenfalls nach Prüfung der entsprechenden Voraussetzungen muss der Leistungsträger
nämlich nach § 66 SGB I vorgehen, um einer Untätigkeitsklage die Grundlage zu entzie—
hen (BSG, Uiteil vom 26.08.1994, L 13 RJ 17/94; LSG Nordrhein—Westfalen, Beschluss
vom 16.05.2013 L 19 AS 535/13 B). Auch im vorliegenden Falle gilt nichts anderes. Ne-
ben einer Versagungsentscheidung hätte der Beklagte darüber hinaus die Möglichkeit ge-
habt, über den Anspruch des Klägers erneut vorläufig zu entscheiden. Es ist kein Grund
erkennbar, warum eine vorläufige Entscheidung auch nach Ablauf des Bewilligungszeit—
raumes nicht zulässig sein sollte. Die Kammer teilt die insofern vom LSG Sachsen im
PKH—Beschluss vom 23.01.2013 (L 7 AS 1033/12 B PKH) vertretene Auffassung nicht.
Die Auffassung, einer Klage auf höhere vorläufige Leistungen fehle das Rechtsschutzbe—
dürfnis, wenn der betreffende Leistungszeitraum abgelaufen ist, kann nur dann richtig sein,
wenn zugleich der Grund für die Vorläufigkeit entfallen ist. Wenn hingegen eine endgülti-
ge Festsetzung für den abgelaufenen Bewilligungszeitraum tatsächlich noch nicht möglich
ist, z. B. weil Einkünfte noch nicht sicher feststehen, ist eine Klage auf höhere vorläufige
Leistungen auch für diesen Zeitraum zulässig (so zutreffend auch 3. Senat des Sächsischen
LSG vom 22.04.2013. Az.: L 3 AS 1310/12 B PKH. SG Berlin, Beschluss vom 29.08.2014
S 197 AS 8527/13, SG Dresden, Urteil vom 27.08.2013, Az.: S 49 AS 2681/12). Weiterhin
hätte der Beklagte im Falle unklarer Einkommensverhältnisse die Möglichkeit, das Ein-
kommen zu schätzen.

Ob die Voraussetzungen einer vorläufigen Bewilligung bei Klageerhebung vorgelegen ha—
ben, ist vorliegend jedoch für den Ausgang des Rechtsstreits unerheblich, denn Streitge—
genstand ist lediglich die Pflicht des Beklagten zur Bescheidung. Insofern genügt hier die
Feststellung, dass auch eine gegebenenfalls unklare Tatsachengrundlage den Beklagten
grundsätzlich nicht daran hindert, über einen Antrag zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Die Berufung ist von Gesetzes wegen zulässig, da der Gesamtbetrag der in Streit stehenden
Leistungen den Beschwerdewert nach § 144 Abs. l Nr. l SGG übersteigt.

— 6 — S 12 AS 192/15

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Sächsischen Landessozialgericht.
Kauffahrtei 25, 09120 Chemnitz. schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäfts—
stelle oder in elektronischer Form einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Dresden.
Fachgerichtszentrum, Hans-Oster-Straße 4, 01099 Dresden schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Ur-
kundsbeamten der Geschäftsstelle oder in elektronischer Form eingelegt wird.

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der
Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa über den elektronischen Rechts-
verkehr in Sachsen (SächsERVerkVO) vom 6. Juli 2010 (SächsGVBl. S. 190) in den elektronischen Ge-
richtsbrielkasten zu übermitteln ist: nähere Hinweise finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de,

Die Einlegung der Berufung durch einfache E-Mail wahrt daher die Form nicht. Es wird darauf hingewiesen,
dass das Rechtsmittel innerhalb der Frist in der vorgeschriebenen Form einzulegen ist.

Die Berufungsschritt soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur
Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Vorsitzende der 12. Kammer

Richterin am Sozialgericht

Für die Richtigkeit der Abschrift:

Sozialgericht Dresden

Dresden, den 06.05.2015

Sozialgericht Dresden Dresden, den 29.04.2015

- öffentliche Sitzung -

S 12 AS 192/15

Niederschrift

über die mündliche Verhandlung der 12. Kammer

In dem Rechtsstreit

- Kläger —

gegen

Landkreis Meißen Jobcenter Meißen, vertreten durch den Landrat, Brauhausstraße 21,
01662 Meißen

- Beklagter -

Anwesend:

Vorsitzende: Richterin am Sozialgericht
ehrenamtlicher Richter Herr
ehrenamtliche Richterin Frau

Auf die Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wird verzichtet. Die Vor-
sitzende übernimmt die Protokollierung durch Aufzeichnung auf einem Tonträger.

Nach Aufruf der Sache erscheinen:

fiir den Kläger der Kläger persönlich

für den Beklagten Herr unter Berufung auf eine bei
Gericht hinterlegte Generalterminsvoll-
macht sowie Herr ,

- 2 – S 12 AS 192/15

Beigezogen ist die Verwaltungsakte des Beklagten unter dem Az.: 1104.0012157, die zum
Gegenstand des Verfahrens gemacht wird.

Die Vorsitzende eröffnet die mündliche Verhandlung und trägt den Sachverhalt vor. So-
dann erhalten die Beteiligten das Wort. Das Sach— und Streitverhältnis wird mit ihnen erör-
tert.

Der Kläger erklärt:

Bis Juli 2014 war meine geschiedene Frau wegen ihrer Ausbildung nicht in der Lage, das
vorm Familiengericht geschlossene Wechselmodel einzuhalten, weshalb mein Sohn sich
mehr bei mir als bei ihr aufgehalten hat. Deshalb habe ich den Überprüfungsantrag gestellt,
wobei ich den Antrag im Hinblick auf den Regelsatz bezüglich meines Sohnes zwischen—
zeitlich zurückgenommen habe und nur den Antrag auf den erhöhten alleinerziehenden
Mehrbedarf aufrechterhalten habe, weil ich im Hinblick auf meinen Sohn nicht mehr genau
angeben kann, an welchen Tagen er bei mir war.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, über den Überprüfungsantrag des Klägers vom
11.07.2014, eingegangen am 11.07.2014, auf Überprüfung aller Leistungsbe-
scheide für ihn und seinen Sohn rückwirkend zum 01.09.2013 zu bescheiden.

- vorgespielt und genehmigt '

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

- vorgespielt und genehmigt -

Die Vorsitzende schließt die mündliche Verhandlung. Das Gericht zieht sich zur geheimen
Beratung zurück.

-3- S 12 AS 192/15

Nach geheimer Beratung verkündet die Vorsitzende

IM NAMEN DES VOLKES
folgendes

Urteil:

1. Der Beklagte wird verurteilt, den Überprüfungsantrag des Klägers vom 11.07.2014,
eingegangen am 11.07.2014, auf Überprüfung aller Leistungsbescheide für ihn und
seinen Sohn rückwirkend zum 01.09.2013 zu bescheiden.

2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Der wesentliche Inhalt der Entscheidungsgründe wird den Beteiligten mitgeteilt.

- F.d.R.d.Ü.V. Tonträger -

Richterin am Sozialgericht Justizbeschäftigte

Beginn der Verhandlung:
Ende der Verhandlung:


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SG DD, S 12 AS 1184/15, 29.04.2015, Sozialgericht Dresden
Beglaubigte Abschrift

S 12 AS 1184/15

SOZIALGERICHT DRESDEN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

Kläger zu l:

— Kläger zu 2.
gegen

Landkreis Meißen Jobcenter Meißen. vertreten durch den Landrat. Brauhausstraße 21,.
01662 Meißen

- Beklagter

hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Dresden auf die mündliche Verhandlung mm
29. April 2015 in Dresden durch die Richterin am Sozialgericht und die ehrenamtli-
ehen Richter Herr und Frau fiir Recht erkannt:

I. Der Beklagte wird verurteilt, den Weiterbewilligungsantrag der Kläger vom
25.08.2014 betreffend den Leistungszeitraum Oktober 2011 bis März 20l5 zu
bescheiden.

II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.

- 2 - S 12 AS 1184/15

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Untätigkeitsklage, ob der Beklagte derzeit ver-
pflichtet ist, über den Weiterbewilligungsantrag der Kläger vom 25.08.2014 zu entschei-
den, insbesondere ob der Beklagte die Entscheidungsfrist des § 88 Abs. 1 SGG ohne zu-
reichenden Grund überschritten hat.

Der im Jahre geborene Kläger zu 1. mit deutscher Staatsangehörigkeit ist Vater des
im Juli geborenen Sohnes (nachfolgend: Kläger zu 2.). Vor dem Amtsgericht Meißen
schloss der Kläger zu 1, mit der Mutter des Klägers zu 2. am .2013 eine Vereinba-
rung dahingehend. dass sie die elterliche Sorge für den im Jahre geborenen gemein-
samen Sohn künftig gemeinsam ausüben werden und das Kind sich im wöchentlichen
Wechsel bei jedem Elternteil aufhalten wird Dieses Wechselmodell wird von den geschie-
denen Eheleuten seit August 2011 gelebt.

Seit Mai bewohnt der Kläger zu 1. eine 74 qm große 3-Raum Wohnung in Meißen.
Die monatliche Gesamtmiete für diese Wohnung betrug € (Grundmiete:
Vorauszahlung für Heiz— und Warnmasserkosten: € Vorauszahlung für kalte Be»
triebskosten: €. Ab 01.10.2014 erhöhte der Vermieter die monatliche Vorauszah-
lung für Heiz— und Warmwasserkosten auf In einer korrigierten Fassung erhöht
der Vermieter mit Schreiben vom 23.06.1014 die monatliche Vorauszahlung für Heiz- und
Warmwasserkosten ab 01.07.2014 auf €. Zudem forderte der Vermieter mit Schrei-
ben vom 23.06.2014 die Zustimmung zur Erhöhung der Grundmiete auf € ab
01.08.2014, die der Kläger zu 1. verweigert hat. Der Vermieter kündigte mit Schreiben
vom 11.06.20l4 das Mietverhältnis fristlos und forderte den Kläger zu 1. auf, die Woh—
nung zu räumen und an ihn herauszugeben. Derzeit wohnen die Kläger weiterhin in dieser
Unterkunft.

Im 2014 heiratete der Kläger zu 1. die im Jahre geborene die
Mutter des im April geborenen Sohnes ist. Beide zogen der An-

- 3 – S 12 AS 1184/15

meldebestätigung der Stadt vom 2014 zufolge aus der um
2014 in die Wohnung des Klägers zu 1.

Seit 2010 bezogen die Kläger zu 1. und 2. vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Auf Antrag hat das
Sozialgericht Dresden mit Beschluss vom 23.04.2014 (S 43 AS 2298/14 ER) den Beklag-
ten im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet. den Klägern zu 1. und 2. für die
Zeit vom 01.04.2014 bis 30.09.2014 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunter-
halts nach dem SGB II zu gewähren.

Am 25.08.2014 stellte der Klüger zu 1. für die Zeit ab 01.10.2014 einen Antrag auf Wei-
tergewährung von Grundsicherungsleistungen an ihn und den Kläger zu 2. beim Beklagten.
Gleichzeitig reichte er beim Beklagten Kontoauszüge seiner Konten bei der Deutschen
Bank, der Postbank und einem Paypalkonto ein. Mit Änderungsmitteilung vom 02.09.3014
wurde dieser Antrag auf die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
und erweitert.

Am 01.09.2014 haben die Kläger zu 1. und 2. beim Sozialgericht Dresden im Wege der
einstweiligen Anordnung die Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebens-
unterhalts für die Zeit ab 01.10.2014 sowie höhere Leistungen für den Zeitraum vom
01.06.2014 bis 30.09.2014 unter Abänderung des gerichtlichen Beschlusses vom
23.04.1014 (S 43 AS 2298/14 ER) beantragt. Mit Schreiben vom 34.09.2014 sowie
26.09.2014 haben und ebenfalls Leistungen nach
dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht.

Mit gerichtlichen Beschluss vom 01.10.2014 wurde der Beklagte daraufhin verpflichtet.
den Klägern zu 1. und 2. und den weiteren Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft
und vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II im Zeitraum Oktober bis März 2015 zu gewähren (S 43 AS 5294/14
ER).

- 4 - S 12 AS 1184/15

Die vom Beklagten gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde wurde vom Sächsi-
schen Landessozialgericht mit Beschluss vom 03.02.2015 (L 2 AS 1326/14 B ER) zu-
rückgewiesen.

Über den Weiterbewilligungsantrag vom 25.08.2014 in der Fassung der Änderung vom
02.09.2014 hat der Beklagte bislang nicht entschieden. Leistungen an die Kläger erfolgten
ausschließlich faktisch aufgrund des gerichtlichen Beschlusses vom 01.10.2014 und des
Beschlusses im Beschwerdeverfahren L 2 AS 1326/14 B ER.

Am 05.032015 hat der Kläger zu 1. die hier streitgegenständliche Untätigkeitsklage für
sich und - nach sinngemäßer Auslegung des Klagebegehrens - für seinen Sohn, den Kläger
zu 2. erhoben.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verurteilen. über den Weiterbewilligungsantrag vom 25.08.2014 zu ent-
scheiden

Der Beklagte beantragt.

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung. über die Anträge habe bislang nicht abschließend entschieden wer—
den können. du insbesondere die Einkommensverhältnisse des Klägers zu 1. noch nicht
hinreichend geklärt seien.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakten zu den Verfah—
ren S 43 AS 2298/14 ER und S 43 AS 5293/14 ER beigezogen. Auf den Inhalt der Verwal-
tungs- und Gerichtsakten wird sachverhaltsergänzend Bezug genommen.

- 5 - S 12 AS 1184/15

Entscheidungsgründe:

Die von den Klägern erhobene Untätigkeitsklage im Sinne des § 88 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) ist zulässig und begründet.

Die Untätigkeitsklage ist zulässig. Insbesondere ist die Sperrfrist des § 88 Abs. 1 SOG von
sechs Monaten für die Entscheidung über den Weiterbewilligungsantrag des Klägers vom
25.08.2014 abgelaufen.

Die Untätigkeitsklage ist auch begründet. Der Beklagte hat über den Weiterbewilligungs-
antrag der Kläger vom 25.08.2014 den streitgegenständlichen Zeitraum betreffend nicht in
angemessener Frist entschieden. Ferner besteht kein zureichender Grund im Sinne des § 88
Abs.1 SGG dafür, dass der Beklagte noch nicht über den Weiterbewilligungsantrag der
Kläger entschieden hat. Ein solcher Grund ist insbesondere nicht darin zu sehen. dass aus
Sicht des Beklagten die Einkommens— und Vermögensverhältnisse des Klägers zu 1. sowie
der Umfang der Tätigkeit der Ehefrau des Klägers zu 1. noch nicht ausreichend aufgeklärt
sind. Unabhängig von der Frage, ob der Beklagte dem Vortrag des Klägers zu 1. zu seinen
Einkommensverhältnissen Glauben schenkt, sind die Ermittlungen des Beklagten an einem
Punkt angekommen, an dem die Kläger einen Anspruch auf eine Sachentscheidung und
damit auch auf eine Eröffnung des Rechtsweges zu den Sozialgerichten haben.

Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes des zureichenden Grundes im Sinne
des § 88 SGG. der unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen ist.
sind die Garantien des effektiven Rechtschutzes gemäß §§ 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) und

- 6 - S 12 AS 1184/l5

des Rechts auf eine Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist gemäß Art. 6 Abs 1
der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu berücksichtigen (so Leitherer in
Meyer - Ladewig/ Keller/ Leitherer. Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz. 10. Auflage
2012. zu § 88 SGG Rn 7a m.w.N.). Um das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht des
Klägers auf effektiven Rechtsschutz und eine zeitnahe Verwaltungsentscheidung einerseits
und der Pflicht des Beklagten zur umfassenden Aufklärung des wesentlichen Sachverhalts
(vgl. § 20 Abs 1 und 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X) andererseits aufzulösen.
muss der Beklagte das Verwaltungsverfahren so zügig wie möglich betreiben und bei
Überschreitung der gesetzlich zugebilligten Entscheidungsfrist des § 88 Abs. 1 SGG aus
Sicht der Kammer spätestens bei Erschöpfung der wesentlichen Ermittlungsmöglichkeiten
eine Sachentscheidung treffen.

Vorliegend hat der Beklagte mit der Klageerwiderung vorgetragen, der Kläger zu1l. sei
zuletzt mit behördlichen Schreiben vom 25.03.2015 aufgefordert worden. Angaben im
Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Leistungszeitraum zu machen. Insoweit ist
festzustellen, dass diese Aufforderung erst nach Ablauf der Frist des § 88 Abs. 1 Satz 1
SGG erging‚ so dass davon auszugehen ist, dass der Beklagte das Verwaltungsverfahren
nicht mit der gebotenen Konsequenz und Schnelligkeit betrieben hat. Das zuvor an den
Klüger zu 1. und seine Ehefrau gesandte Schreiben vom 14.11.2014 haben diese mit
Schriftsätzen vom 03.12.20l4 beantwortet Die davor liegenden Anfragen des Beklagten
betreffen entweder nicht den zu bescheidenden Leistungszeitraum, wurden vom Kläger zu
1. bereits beantwortet oder übersteigen die Grenzen zumutbarer Mitwirkung (wie z.B. die
Frage nach den genutzten IP-Adressen). Die Kammer ist unter Würdigung des sich aus den
Verwaltungsakten und den Akten der vielfach geführten gerichtlichen Streitigkeiten erge—
benden Sachverhaltes zu der Überzeugung gelangt, dass die bisherige Verfahrensweise des
Beklagten. den Klägern eine Sachentscheidung vorzuenthalten, da Einkommen des Klägers
zu 1. vermutet wird, nicht haltbar ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den
Verdachtsmomenten des Beklagten nach wie vor um bloße Mutmaßungen handelt. Greif—
bare Anhaltspunkte für erzieltes Einkommen sind nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte
von Einkommenszufluss ausgeht, hat er eine entsprechende Sachentscheidung zu treffen.
die den Klägern den Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet. Soweit der Beklagte nach
erfolgter Bewilligung Anhalt für eine Betrugshandlung des Klägers zu 1. hat. obliegt ihm.

- 7 – S 12 AS 1184/15

den Sachverhalt den zuständigen Strafermittlungsbehörden zu übergeben. Allerdings hat
die Kammer derzeit Zweifel. dass der hierfür erforderliche Anfangsverdacht überhaupt be-
steht.

Soweit der Beklagte weiterhin davon ausgeht, die Entscheidung über den Leistungsantrag
sei davon abhängig. dass der Kläger zu 1. sich zu einer Äußerung erkläre, die er im Zu-
sammenhang mit einem Bundesfreiwilligendienst vom 01.09.2013 bis 12.10.2013 getätigt
haben soll, ist darauf hinzuweisen, dass existenzsichernde Leistungen nicht aufgrund von
bloßen Mutmaßungen verweigert werden dürfen, die sich auf vergangene Umstände stüt—
zen, wenn diese über die gegenwärtige Lage eines Anspruchstellers keine eindeutigen Er-
kenntnisse ermöglichen (so auch LSG Sachsen, Beschluss vom 05.03.2015. AZ L 2 AS
1326/14 B ER). Nur wenn unter Angabe von Tatsachen konkret vorgetragen werde. über
welches - bisher verschwiegene - Einkommen der Arbeitssuchende aktuell verfügt. so
dass diesem auch eine Widerlegung möglich wäre, könnten berechtigte Zweifel an der Hil-
febedürftigkeit bestehen. Umstände in der Vergangenheit dürfen daher nur soweit herange—
zogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Arbeitssu-
chenden ermöglichen (vgl. auch LSG Hessen, Beschluss vom 07.11.2005. AZ 1. 7 AS
81/05 ER. L 7 AS 102/05 ER). So liegt es vorliegend nicht. Die für den streitigen Zeitraum
vorliegenden Kontoauszüge des Klägers zu 1. und seiner Ehefrau lassen weder den Bezug
von Einkommen erkennen. noch den Besitz von verwertbarem Vermögen. Auch finden
sich in der Verwaltungsakte findet sich keinerlei Hinweise. die die Mutmaßung des Be-
klagten. der Kläger zu 1. würde Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielen. irgend-
wie untermauern. Unter Berücksichtigung der mehrfachen und wiederholten Äußerungen
des Klägers zu 1., er erziele kein Einkommen, hätte der Beklagte über den Antrag ent—
scheiden müssen. Angaben zu den weiteren Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft lagen
vor Ablauf der Frist des § 88 SGG ebenfalls vor.

Streitgegenstand ist vorliegend allein die Pflicht des Beklagten zur Entscheidung über den
Antrag vom 25.08.2014. Insofern kommt es auf den Beweisantrag des Beklagten im
Schreiben vom 16.04.2015 nicht an, da das Gericht die Sachentscheidung des Beklagten
über den Weiterbewilligungsantrag der Kläger nicht vorwegnahmen darf.

— 8 - S 12 AS 1184/15

Der Antrag ist darüber hinaus nur als Beweisermittlungsantrag zu verstehen. da er den
formellen Anforderungen an einen Beweisantrag nicht genügt (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG)
und einen bloßen Ausforschungsbeweis darstellt. Es ist nicht angegeben dass die benann-
ten Zeugen Angaben zur Höhe des vom Kläger zu 1. etwa erzielten Einkommen machen
können.

Die Kostenentscheidung, beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Suche.
lm Hinblick auf den Gesamtbetrag der in Streit stehenden Leistungen fiir den Zeitraum
Oktober 2014 bis März 2015 ist die Berufung von Gesetzes wegen zulässig da der Be—
schwerdewert nach § 144 Abs. 1 Nr. I SGG überschritten wird.

— 9 - S 12 AS 1184/15

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Sächsischen Landessozialgericht.
Kauffahrtei 25. 09120 Chemnitz. schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäfts—
stelle oder in elektronischer Form einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Dresden.
Fachgerichtszentrum, Hans-Oster-Straße 4 01099 Dresden schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Ur-
kundsbeamten der Geschäftsstelle oder in elektronischer Form eingelegt wird.

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der
Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa über den elektronischen Rechts-
verkehr in Sachsen (SächsERVerkVO) vom 6. Juli 2010 (SächsGVBl. S. 190) in den elektronischen Ge-
richtsbriefkasten z übermitteln ist: nähere Hinweise finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de,

Die Einlegung der Berufung durch einfache E-Mail wahrt daher die Form nicht. Es wird darauf hingewiesen,
dass das Rechtsmittel innerhalb der Frist in der vorgeschriebenen Form einzulegen ist.

Die Berufungsschritt soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur
Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Vorsitzende der 12. Kammer

Richterin am Sozialgericht

Für die Richtigkeit der Abschrift:

Sozialgericht Dresden


-------------------------------------------- -

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.

- vorgespielt und genehmigt -

Die Vorsitzende schließt die mündliche Verhandlung. Das Gericht zieht sich zur geheimen
Beratung zurück.

Nach geheimer Beratung verkündet die Vorsitzende

IM NAMEN DES VOLKES

folgendes
Urteil:

1. Der Beklagte wird verurteilt, den Weiterbewilligungsantrag der Kläger vom
25.08.2014 betreffend den Leistungszeitraum Oktober 2014 bis März 2015 zu be—
scheiden.

2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Der wesentliche Inhalt der Entscheidung wir den Beteiligten mitgeteilt.

- F.d.R.d.Ü.v. Tonträger -

Richterin am Sozialgericht J ustizbeschäftigte

Beginn der Verhandlung:
Ende der Verhandlung:

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Sonntag, 28. Juni 2015
SG DD, S 12 AS 194/15, 29.04.2015. Sozialgericht Dresden
Beglaubigte Abschrift

S 12 AS 194/15

SOZIALGERICHT DRESDEN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

— Kläger zu l.-

- Kläger zu 2.—

gegen

Landkreis Meißen Jobcenter Meißen, vertreten durch den Landrat, Brauhausstraße 21,
01662 Meißen

- Beklagter -

hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Dresden auf die mündliche Verhandlung vom
29. April 2015 in Dresden durch die Richterin am Sozialgericht und die ehrenamtli-
chen Richter und für Recht erkannt:

I. Der Bescheid vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
19.12.2014 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

— 2 – S 12 AS 194/15

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte zu Recht Leistungen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen fehlender Mitwirkung versagt hat.

Die Kläger beziehen Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 10.01.2014 hatte der
Beklagte den Klägern für den Zeitraum Januar bis März 2014 vorläufig Leistungen der
Grundsicherung wie folgt bewilligt:

Januar 2014
Februar 2014
und März 2014

Am 17.03.2014 beantragte der Kläger zu 1 die Weiterbewilligung der Leistungen zur Si-
cherung des Lebensunterhaltes für sich und seinen minderjährigen Sohn, den Kläger zu 2,
ab 01.04.2014. Aufgrund eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens leistete der Beklagte
im Zeitraum von April 2014 bis September 2014 vorläufig auf der Grundlage des Be-
schlusses des Sozialgerichts Dresden vom 23.04.2014, Az.: S 43 AS 2298/14, für April
und Mai 2014 Euro, für Juni Euro, für Juli und August 2014 jeweils

Euro und für September 2014 Euro. Dabei wurden die Kosten für Unterkunft und
Heizung in Höhe von jeweils monatlich Euro direkt an den Vermieter der Kläger

sowie ein Betrag von Euro monatlich direkt an die
bezahlt.

Mit Schreiben vom 11.04.2014, 18.08.2014, 19.08.2014, 26.09.2014 07.10.2014 und
10.10.2014 forderte der Beklagte vom Kläger zu 1 unter Hinweis auf die Mitwirkungs-
pflichten nach §§ 60 und 66 SGB I weitere Unterlagen und Auskünfte zur Bearbeitung des
Antrages vom 17.03.2014 an. Diese Auskünfte hielt der Beklagte für die Aufklärung der
im Bewilligungszeitraum maßgeblichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der
Kläger für erforderlich.

Nachdem der Beklagte davon ausging, dass die angeforderten Unterlagen und Auskünfte

-3— S 12 AS 194/15

nicht vollständig übermittelt bzw. erteilt wurden, versagte er mit Bescheid vom 30.10.2014
die beantragten Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.04.2014 bis 30.09.2014 wegen
fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I. Der Kläger habe Angaben zu seinen Aufenthalten
nur bedingt gemacht. Eine geordnete Aufstellung von Einnahmen und Aus-
gaben aus der Beteiligung an dem Betrieb sei nicht vorgelegt worden.
Absprachen mit Frau , die den übernommen haben soll,
seien nicht offenbart worden. Weitere Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit
würden ebenfalls weiteren Aufklärungsbedarf erfordern. Anderweitige Tätigkeiten seien
nicht unaufgefordert offenbart worden, auch auf die Anfrage, ob von
Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft betrieben werden, sei keine Auskunft erteilt worden.
Es sei dabei zu beachten, dass durch das Betreiben von Einnahmen erwirt-
schaftet werden könnten, auch wenn es nur Einnahmen aus Werbung seien. Zur Erzielung
von Einnahmen auf Konten Dritter sei nicht Stellung genommen worden. Eine nähere
Überprüfung dahingehend, ob Tätigkeiten im Internet auf die Erzielung von Einkommen
gerichtet gewesen sind durch die Forderung nach Offenlegung von Domains und Zustim-
mung zur Auskunftserteilung durch die Telefongesellschat sei wegen fehlender Zustim-
mung nicht möglich gewesen. Es könne auch nicht festgestellt werden, welche Kranken-
geldleistungen der Kläger zu 1 im Zeitraum vom 17.04.2014 bis 20.06.2014 erhielt. Kon-
toauszüge vom 20.08.2014 bis 30.10.2014 seien nicht vorgelegt worden. Ob und in wel-
chem Umfang bei Vorliegen der Voraussetzung des § 66 SGB I Maßnahmen ergriffen
werden, stehe im Ermessen des Beklagten als Leistungsträger. In diesem Zusammenhang
sei in erster Linie zu berücksichtigen, dass sich der Beklagte über einen längeren Zeitraum
um eine Klärung bemüht habe. Diese Bemühungen würden bereits deutlich vor dem streit—
gegenständlichen Leistungszeitraum einsetzen, wobei sich im Rahmen der Prüfung immer
mehr der Behörde verheimlichte Tatsachen herausgestellt hätten und weitere Unklarheiten
auftraten. Zu keinem Zeitpunkt sei erkennbar gewesen, dass der Kläger zu 1 von sich aus
bestrebt gewesen wäre, durch unaufgeforderte umfassende Angaben keinen Raum für das
Auftauchen neuer Unklarheiten aufkommen zu lassen. Insbesondere lege die Verheimli-
chung eines Bankkontos bei der Deutschen Bank bei diversen Folgeantragstellungen nahe,
dass der Kläger zu 1 ganz bewusst von einer vollständigen Aufdeckung der tatsächlichen
Vermögensverhältnisse abgesehen habe. Dieses Verhalten sei nicht länger hinnehmbar,
zumal die aufzuklärenden Umstände sämtlich der Sphäre des Klägers zuzurechnen sei, in

-4- S 12 AS 194/15

die die Behörde keinen Einblick habe. An diesem Abwägungsergebnis ändere sich auch
nichts deshalb, dass weitere Personen zur Bedarfsgemeinschaft gehören. Diesem Aspekt
komme im Hinblick auf den Sohn des Klägers zu 1, den hiesigen Kläger zu 2, ohnehin nur
geringere Bedeutung zu, da sich dieser nur zeitweise beim Kläger zu 1 aufhalte. Auch blei-
be ohne Auswirkung, wenn der Kläger in irgendeinem von ihm an das Sozialgericht unmit-
telbar gerichteten Schriftsatz näher auf die Forderungen des Beklagten zur Mitwirkung
eingegangen sein sollte. Insoweit erscheine insbesondere die fehlende Bereitschaft zur Klä-
rung durch eigene Angaben beizutragen oder diese Klärung durch den Landkreis zuzulas—
sen gleichermaßen als ausreichend für die getätigte Ermessenentscheidung.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Kläger vom 10.11.2014 wies der Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 19.12.2014 zurück. Zur Begründung führte er lediglich aus,
dass soweit die Versagung gestützt wurde auf die unvollständigen Angaben zu den Ein-
kommens- und Verrnögensverhältnissen, es sich um relevante Verhältnisse handelt, die
zum Zeitpunkt des Erlasses des Versagungsbescheides noch nicht aufgeklärt waren und
auch zwischenzeitlich nicht aufgeklärt worden seien. Weitere Erwägungen finden sich im
Widerspruchsbescheid vorn 19.12.2014 nicht.

Hiergegen richtet sich die am 12.01.2015 erhobene Klage. Die Kläger tragen zur Begrün-
dung vor, dass die Begründung des Widerspruchsbescheides nicht nachvollziehbar sei. Der
Beklagte habe in keinem der bereits gerichtlich gefiihrten Verfahren einen substanziellen
Nachweis für ein durch den Kläger erzieltes Einkommen außerhalb des Bezuges der Regel-
leistungen vorgelegt. Überdies habe der Kläger zu 1 alle behördlichen Schreiben beantwor-
tet, teilweise über die geführten einstweiligen Rechtsschutzverfahren beim Sozialgericht
Dresden. Das Gericht habe die entsprechenden Schreiben auch an den Beklagten weiterge-
leitet. Unklarheiten aus der Vergangenheit dürfe der Beklagte nicht heranziehen, um die
Bescheidung des Antrags vollständig abzulehnen. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen,
dass in der Bedarfsgemeinschaft minderjährige Kinder leben. Es sei unzulässig, das Kin—
deswohl durch die Verweigerung der Leistung zu gefährden.

Die Kläger beantragen,

—5- S 12 AS 194/15

den Bescheid des Beklagten vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbe-
scheids vom 19.12.2014 aufzuheben und den Klägern ihre außergerichtlichen
Kosten zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist weiterhin der Auffassung, dass der Kläger zu 1. den Forderungen immer nur teilwei-
se nachgekommen sei, wobei häufig nur das eingeräumt worden sei, was zwischenzeitlich
ohnehin der Behörde bekannt geworden sei. Darüber hinaus hätten sich immer wieder Ver-
änderungen in den Verhältnissen feststellen lassen, über die der Kläger zu 1. den Beklagten
nicht von sich aus unterrichtet habe. Die vom Kläger gemachten Angaben würden regel-
mäßig einer näheren Überprüfung nicht standhalten bzw. es ergäben sich unter deren Zu—
grundelegung völlige Ungereimtheiten. Insbesondere sei der Kläger zu 1. Erklärungen
schuldig geblieben im Zusammenhang mit der bereits mehrere Jahre vor dem streitgegen-
ständlichen Leistungszeitraum von ihm ins und im
dortigen Dienstleistungsangebot zur Erstellung von Webseiten. Aufgrund der Ungereimt-
heiten im Klägervortrag werde auch beantragt, Frau und als
Zeugen zu vernehmen. Mitwirkungshandlungen, die es dem Beklagten ermöglichen wür-
den, die Richtigkeit der vom Kläger zu 1. behaupteten Angaben zu überprüfen, verweigere
dieser. Im Hinblick auf die Behauptung des Klägers zu 1., seine jetzige Ehefrau habe
kein Konto gehabt und sei ohne jedes Bargeld nach Deutschland übergesiedelt,
werde auch die Vernehmung der Ehefrau des Klägers zu 1. als Zeugin beantragt.

Das Gericht hat die Leistungsakte des Beklagten beigezogen und zum Gegenstand des Ver-
fahrens gemacht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach— und Streitstandes wird auf das gegenseiti-
ge Vorbringen in der Gerichtsakte sowie die beigezogene Leistungsakte Bezug genommen.

— 6 – S 12 AS 194/15

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Wider-
spruchsbescheides ist wegen Ermessensmissbrauchs rechtswidrig und daher aufzuheben.
Die Klage der anwaltlich nicht vertretenen Kläger war sachdienlich dahingehend auszule-
gen, dass diese die vollständige Aufhebung des Versagungsbescheides des Beklagten be-
gehren.

Streitgegenstand kann vorliegend allein die im Wege der Anfechtungsklage begehrte Auf-
hebung des auf § 66 Abs. 1 SGB I gestützten Versagungsbescheides vom 30.10.2014 in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vorn 19.12.2014 sein. Gegen die Versagung einer So-
zialleistung wegen fehlender Mitwirkung ist grundsätzlich nur die reine Anfechtungsklage
gegeben. Eine unmittelbare Klage auf existenzsichemde Leistungen kommt nur aus-
nahmsweise in Betracht, wenn sich bei einer Aufhebung der Entscheidung über die Versa-
gung wegen fehlender Mitwirkung das Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen würde
(vgl. BSG Beschluss vom 25.02.2013 B 14 AS 133/12 B). Diese Konstellation ist vorlie-
gend nicht ersichtlich.

Die Rechtmäßigkeit eines auf § 66 SGB I gestützten Bescheides richtet sich allein danach,
ob die dort nominierten Tatbestandsmerkmale der mangelnden Mitwirkung gegeben sind
und zwar unabhängig davon, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Leistung
vorliegen.

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 66 Abs. 1 Satz l SGB I. Nach die-
ser Vorschrift kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlung bis zur Nachholung der
Mitwirkung die Leistung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraus-
setzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung
beantragt, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt
und hierdurch die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert wird.

Der Beklagte hat hier den Kläger zu 1 vor Erlass des Versagensbescheides nach § 66
Abs.3 SGB I mit Schreiben vom 11.04.2014, 18.08.2014, 19.08.2014, 26.09.2014,

—7- S 12 AS 194/15

07.10.2014 und 10.01.2014 unter Fristsetzung zur Mitwirkung aufgefordert und auf die
Folgen einer mangelnden Mitwirkung schriftlich hingewiesen. Dabei ergibt sich der Um-
fang der streitigen Mitwirkungspflicht auf § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I. Danach hat, wer Sozi-
alleistungen beantragt, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind.

Ob vorliegend tatsächlich entscheidungserhebliche Angaben unterlassen bzw. nicht durch
entsprechende Unterlagen nachgewiesen worden sind bzw. welche Anforderungen an die
Konkretisierung der anzugebenden Tatsachen zu stellen, kann offen bleiben. Die Beschei—
de sind schon aus formellen Gründen rechtswidrig und damit aufzuheben. Selbst wenn das
Vorhandensein der tatbestandlichen Voraussetzung für eine Versagung nach § 66 Abs. 1
SGB I unterstellt wird — was jedoch höchst zweifelhaft ist —‚ fehlt es an einer ordnungsge-
mäßen Ermessenausübung des Beklagten.

Nach § 66 Abs. 1 Satz l SGB I „kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die
Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entzie-
hen“. Das Gesetz räumt den Verwaltungsträgem einen Entscheidungsspielraum ein, den
die Gerichte zu beachten haben. Gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG dürfen sie nur prüfen, ob
die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Er-
messen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch ge-
macht hat, ob sie also die ihr durch das Verwaltungsverfahrensrecht (vgl. § 39 Abs. 1
Satz 1 SGB I) auferlegte Verhaltenspflicht beachtet hat, ihr Ermessen entsprechend dem
Zweck der Ermächtigung entsprechend auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Er-
messens einzuhalten. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob der Leis—
tungsträger seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist (falls nein: Ermes-
sensnichtgebrauch), ob er mit dem Ergebnis seiner Ermessenbetätigung, der Entscheidung,
die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, d. h. eine nach dem Gesetz nicht
zugelassene Rechtfolge gesetzt (Ermessensüberschreitung) und ob er von dem Ermessen in
einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat
(Abwägungsdefizit, Ermessensmissgebrauch; zu Vorstehendem: BSG, Urteil vom l4. De—
zember 1994 — 4 RA 42/94 — SozR 3/ 1200 5 39 Nr. 1 und Urteil vom 25. Januar 1994 —
4 RA 16/92 — SozR 3/1300 § 50 Nr. 16 jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Ermessen—
erwägungen sind dem Betroffenen im Bescheid im Einzelnen darzulegen. Die Begründung

- 8 — S 12AS 194/15

muss ersehen lassen, welche Gesichtspunkte der Beklagte bei der Ausübung des Ermessens
berücksichtigt und wie er diese gesichtet hat (Engelmann in von Wulffen: SGB X, 8. Aufl.
§ 35 Rn 7). Konkret erstreckt sich das Ermessen bei der Versagung darauf, ob der Leis-
tungsträger überhaupt von der Möglichkeit der Versagung Gebrauch macht (also auch, ob
er die Leistung gleichwohl gewährt oder belässt; vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 1983 —
10 RKG 13/82 — SozR 1200 § 66 Nr. 10), in welchem Umfang weitere Ermittlungen ange—
stellt werden sollen (es sei denn, die leistungserheblichen Tatsachen sind von Amts wegen
schlechterdings nicht ermittelbar), ob eine Nachfrist eingeräumt wird und ob die Leistung
befristet oder ohne die Fristbestimmung ganz oder teilweise entzogen wird (vgl. Trenkhin-
terberger in Gieße/Kramer, Kommentar SGB I bis X 2. Aufl. § 66 SGB I Rn 17).

Vorliegend ist festzustellen, dass der Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2014 kei-
nerlei Ermessenserwägungen enthält. Im Ausgangbescheid vom 30.10.2014 stellt der Be-
klagte auf Seite fünf zutreffender weise fest, dass das Ergreifen von Maßnahmen nach § 66
SGB I im Ermessen des Leistungsträgers steht. Die daran anschließenden „Erwägungen“
stellen jedoch keinen Ermessengebrauch dar, da es sich hierbei um eine Wiederholung des
Tatsachenvortrages handelt, der nochmals in andere Worte gefasst wurde. Dabei ist aller-
dings zu beachten, dass sich das Ermessen nur auf die Rechtsfolgen einer Norm (Engel-
mann in von Wulffen SGB X § 35 Rn 6; Wagner in Juris-Praxiskommentar SGB I § 39 Rn
8) bezieht, sodass grundsätzlich die Vermengung von Tatbestandsvoraussetzungen mit
Rechtsfolgen unzulässig ist. Die Frage, welche konkreten Tatsachen im Rahmen einer Be-
antragung von Sozialleistungen anzugeben und welche Unterlagen vorzulegen sind, bzw.
inwieweit eine Mitwirkung hierzu erforderlich und zumutbar ist, ergeben sich aus den Tat-
bestandsnorrnen der §§ 60 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB I i. V. m § 65 Abs. 1 SGB I. Im Rah-
men ihrer „Ermessenserwägungen“ schildert der Beklagte den Klägern im Wesentlichen
erneut die Tatbestandsvoraussetzungen, welche sich bereits aus dem ersten Teil des Be-
scheides ergeben. Einziger Gesichtspunkt, den der Beklagte in die Ermessensabwägungen
auf der Rechtsfolgenseite einbezogen hat, ist vorliegend die Frage der Zeit- und Bearbei-
tungsdauer im Hinblick auf die Verpflichtung Sozialleistungen möglichst Zeitnah zu er—
bringen. Weitere Erwägungen auf der Rechtsfolgenseite finden sich nicht. Insbesondere
hält es die Kammer für ermessensfehlerhaft, dass der Beklagte die persönliche Situation
des Klägers zu 1. mit einem minderjährigen Kind nicht angemessen berücksichtigt hat.

-9— S 12 AS 194/15

Mit einem Nebensatz stellt der Beklagte fest, dass diesem Aspekt nur geringe Bedeutung
zukommt, da sich das Kind (der Kläger zu 2.) nur zeitweise beim Kläger zu 1. aufhält. Je-
doch lebt der sechsjährige Sohn des Klägers zu 1. mindestens zu 50 % bei diesem, so dass
keinesfalls von einem nur geringen Umfang des Aufenthaltes auszugehen ist. Der Beklagte
hätte diesen Aspekt zwingend berücksichtigen müssen und gegebenenfalls über eine nur
teilweise Versagung nachdenken müssen. Hierzu fehlen jedoch jedwede Ausführungen des
Beklagten. Darüber hinaus hat der Beklagte mit keinem Wort abgewogen, dass es sich bei
den beantragten Leistungen um existenzsichemde Leistungen handelt und durch die voll-
ständige Versagung das Existenzminimum des Klägers zu l. als auch des minderjährigen
Klägers zu 2. gefährdet ist. Zusammengefasst enthält die angefochtene Bescheidung ledig—
lich durch den Gebrauch von Leerformeln Anhaltpunkte dafür, dass der Beklagte sich
überhaupt bewusst war, vorliegend eine Ermessensentscheidung treffen zu müssen. Etwai-
ge Auswirkungen auf die Kläger werden in keiner Weise in die Erwägungen einbezogen,
insbesondere findet eine Abwägung unter Berücksichtigung der klägerischen Belange ge—
rade nicht statt.

Abwegig ist in diesem Zusammenhang auch die Auffassung des Beklagten, es sei nicht zu
berücksichtigen, wenn der Kläger zu . auf die Anforderungen des Beklagten im Rahmen
von Schriftsätzen gegenüber dem Sozialgericht Dresden in einstweiligen Rechtsschutzver-
fahren eingegangen sein sollte. Der Beklagte hätte die in diesem Zusammenhang getätigten
Äußerungen des Klägers zur Kenntnis nehmen müssen. Denn es handelte sich bei den ge-
führten einzelnen Rechtsschutzverfahren um den gleichen Leistungszeitraum, weshalb der
Beklagte auch die in diesem Zusammenhang geführten Ermittlungen bzw. Ergebnisse
wahrzunehmen hat. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Anforderung des Beklagten
in den Aufforderungsschreiben teilweise datenschutzrechtlich erheblich bedenklich sind.
Insbesondere dürfte die geforderte Zustimmung zur Auskunftserteilung der Telefongesell-
schaft rechtlich nicht zulässig sein.

Eine Versagung wäre daher nur dann rechtmäßig, wenn eine Ermessensreduzierung auf nur
eine mögliche Entscheidung vorliege, eine andere, als die vom Beklagten getroffene Ent-
scheidung also nicht in Betracht käme. Dies ist nach Auffassung der Kammer hier nicht
der Fall. Insbesondere hat der Beklagte weiterhin Möglichkeiten, eigene Ermittlungen

- 10 - S 12 AS 194/15

durchzuführen, vorläufig bzw. darlehnsweise Leistungen zu gewähren oder aber auch, so-
fern er den Angaben des Klägers zu 1. keinen Glauben schenkt, die Leistung abzulehnen.
Denn eine Entscheidung nach § 66 Abs. 1 SGB I darf dann nicht ergehen, wenn der Sozial-
leistungsträger die Angaben des Leistungsberechtigten für unwahr hält. In diesem Falle ist
dessen Vorbringen nach § 20 SGB X zu würdigen und der Antrag gegebenenfalls abzu-
lehnen. Dies setzt aber grundsätzlich Entscheidungsreife in der Sache selbst voraus. Inso-
fern muss der Beklagte auch die ihm zur Verfügung stehenden Ermittlungsmaßnahmen
ausschöpfen, insbesondere z. B. solche nach § 60 Abs. 2 und Abs. 4 SGB II.

Zur Klarstellung wird nochmals darauf hingewiesen, dass es der Kammer nicht zusteht, ihr
Ermessen anstelle desjenigen der Verwaltung zu setzen. Ob und in welchem Umfang hier
weitere Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen sind, hat der Beklagte daher im Ein-
zelfall im Wege des zustehenden Ermessens zu entscheiden (vgl. LSG Baden-
Württemberg, Urteil vom 19.07.2007, L 7 AS 1703/06 Rn 24 ff zitiert nach juris).

Dem Beweisantrag des Beklagten aus dem Schreiben vom 16.03.2015, Frau

Frau sowie Frau im Rahmen der mündlichen Verhand-
lung zu vernehmen, war nicht zu folgen. Es ist hier durch den Beklagten weder das Be-
weisthema angegeben worden noch wurde umrissen, was genau die Beweisaufnahme der
benannten Zeugen ergeben soll, sodass es sich um keinen ordentlichen Beweisantrag im
Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG handelt, sondern um einen reinen Beweisermittlungsan-
trag. Darüber hinaus kommt es vorliegend, da es sich um eine reine Anfechtungsklage ge-
gen einen Versagensbescheid handelt, auf die Aussage der Zeugen gerade nicht an, da über
den materiell-rechtlichen Anspruch nicht entschieden wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der Entscheidung in
der Hauptsache.

Die Berufung war von Gesetzes wegen zulässig, da der Gesamtbetrag der versagten Leis-
tungen den Wert von 750,00 Euro übersteigt (§ 144 Abs. 1 Nr. l SGG).

-11- S 12 AS 194/15

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Sächsischen Landessozialgericht,
Kauffahrtei 25, 09120 Chemnitz, schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäfts-
stelle oder in elektronischer Form einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Dresden,
Fachgerichtszentrum, Hans-Oster-Straße 4, 01099 Dresden schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Ur-
kundsbeamten der Geschäftsstelle oder in elektronischer Form eingelegt wird.

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der
Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa über den elektronischen Rechts-
verkehr in Sachsen (SächsERVerkVO) vom 6. Juli 2010 (SächsGVBl. S. 190) in den elektronischen Ge-
richtsbriefkasten zu übermitteln ist; nähere Hinweise finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de.

Die Einlegung der Berufung durch einfache E-Mail wahrt daher die Form nicht. Es wird darauf hingewiesen,
dass das Rechtsmittel innerhalb der Frist in der vorgeschriebenen Form einzulegen ist.

Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur
Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Vorsitzende der 12. Kammer

Richterin am Sozialgericht

Für die Richtigkeit der Abschrift:
Sozialgericht Dresden

Dresden. den 06.05.2015


Urkundsbeamter de Geschäftsstelle


Sozialgericht Dresden Dresden, den 29.04.2015
- öffentliche Sitzung -

S 12 AS 194/15

Niederschrift

über die mündliche Verhandlung der 12. Kammer

In dem Rechtsstreit

1.

- Kläger —
2.

- Kläger -

gegen

Landkreis Meißen Jobcenter Meißen, vertreten durch den Landrat, Brauhausstraße 21,
0 l 662 Meißen

- Beklagter -

Anwesend:

Vorsitzende: Richterin am Sozialgericht
ehrenamtlicher Richter Herr
ehrenamtliche Richterin Frau

Auf die Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wird verzichtet. Die Vor-
sitzende übernimmt die Protokollierung durch Aufzeichnung auf einem Tonträger.

Nach Aufruf der Sache erscheinen:

für den Kläger der Kläger persönlich auch als gesetzlicher
Vertreter des Klägers zu 2

für den Beklagten Herr unter Berufung auf eine bei

Gericht hinterlegte Generalterminsvoll-
macht sowie Herr.

-2- S 12 AS 194/15

Beigezogen ist die Verwaltungsakte des Beklagten unter dem Az.: 1104.0012157, die zum
Gegenstand des Verfahrens gemacht wird.

Die Vorsitzende eröffnet die mündliche Verhandlung und trägt den Sachverhalt vor. So-
dann erhalten die Beteiligten das Wort. Das Sach- und Streitverhältnis wird mit ihnen erör-
tert.

Der Kläger erklärt:

Aus seiner Sicht ist er den Mitwirkungsaufforderungen in jedweder Hinsicht nachgekom-
men. Wobei er zuzugeben habe, dass dies im Laufe des Verfahrens S 43 AS 2298/14 ER
auch gegenüber dem Gericht erfolgte, da das einstweilige Rechtsschutzverfahren den strei-
tigen Leistungszeitraum betraf. Keine Angaben seien dann gemacht worden, wenn der
Kläger die Grenzen der zulässigen Mitwirkungspflicht bezweifle; in diesen Punkten habe
er um Benennung der Rechtsgrundlage gebeten. Dieser Aufforderung sei der Beklagte aber
bis heute nicht nachgekommen. Im Übrigen sei die Versagung insbesondere für den Kläger
zu 2, den minderjährigen Sohn, aus Sicht des Klägers zu 1 nicht zulässig, da dieser keine
Mitwirkungspflichten verletzt habe. Auch für seine jetzige Ehefrau und deren Sohn, die ab
August Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sind, gelte das gleiche, da diese von Mitwir-
kungsverpflichtungen ebenfalls nicht betroffen sind.

Der Beklagtenvertreter verweist im Hinblick auf die Rechtsgrundlage für die geforderten
Mitwirkungshandlungen auf § 60 SGB I und nimmt nochmals Bezug auf die bereits getä-
tigten Ausführungen, dass im Versagungszeitraum ständig Veränderungen, betreffend die
Webseite des Klägers, im Internet zu erkennen waren. Außerdem sei der Kläger, wie im
Versagungsbescheid aufgeführt, Mitwirkungshandlungen nur unzureichend nachgekom-
men. So sei beispielsweise bis zum Erlass des Versagungsbescheides das erzielte Kranken-
geld nicht mitgeteilt worden. Auch habe der Beklagte erst im Nachhinein von der Existenz
eines Kontos bei der erfahren. Abschließend erklärt der Beklagtenvertre-
ter, dass sich insgesamt aus der Vielzahl der vom Kläger zu leistenden Kosten, als Beispiel
werden die Kosten für den jetzt zur Verfügung stehenden PKW genannt, indiziert werde,
dass auch Einkommen zur Verfügung stehe, was dem Beklagten so nicht bekannt ist.

Hierauf erwidert der Kläger, dass er seinen Krankengeldbezug im Verfahren S 43 AS
2298/14 ER offen gelegt habe und darüber hinaus dem Beklagten mittlerweile auch lü-
ckenlos alle Kontoauszüge vorliegen würden. Im Bezug auf den genutzten PKW erklärt
der Kläger, dass es eine Vereinbarung mit seinem Schwiegervater gebe, der nach wie vor
Eigentümer des Fahrzeuges sei. Die laufenden Kosten für das Auto würden aus dem Re-
gelsatz finanziert, was aus Sicht des Klägers zu 1 auch möglich sei. Auch die Reise in die
mit dem Bus war aus dem Regelsatz finanzierbar und wurde aus diesem finanziert.

Der Beklagtenvertreter wendet diesbezüglich noch ein, dass es nur auf den Zeitpunkt des
Erlasses der Versagungsentscheidung ankommt und die Frage, welchen Mitwirkungs-
pflichten der Kläger bis dahin nachgekommen ist, nicht, ob er eventuell im Nachgang in
einem der führten Gerichtsverfahren weitere Unterlagen eingereicht hat.

Der Kläger erklärt hierzu ergänzend, dass aus seiner Sicht alle Mitwirkungshandlungen im

- 3 – S 12 AS 194/15

Rahmen der laufenden Verfahren betreffend die jeweiligen Leistungszeiträume auch er-
folgt sind. Die Zweitschriften habe der Beklagte auch insofern über die Schriftsätze des
Sozialgerichts erhalten. Der Kläger ergänzt darüber hinaus nochmals, dass aus seiner Sicht
nicht nachvollziehbar ist, wie die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, insbeson-
dere sein minderjähriger Sohn sowie seine jetzige Frau und sein Stiefsohn mit in die Mit—
haftung genommen werden können, wenn der Beklagte der Auffassung ist, er, der Kläger
zu 1, wirke nicht ausreichend mit.

Der Kläger ergänzt weiter, dass der Beklagte immer wieder die Formulierung verwendet:
"würde der Kläger Einkommen erzielen, wäre ....". Jedoch habe der Beklagte bis heute
keinen Nachweis erbracht, dass der Kläger Einkommen erziele und der Kläger selbst kön-
ne keinen negativen Beweis dafür antreten, dass er kein Einkommen erzielt. Im Hinblick
auf die Mitwirkungspflichten ist er im Übrigen der Auffassung, dass diesen Mitwirkungs-
pflichten auch Grenzen gesetzt sind, insbesondere wenn die informationelle Selbstbestim-
mung und die Persönlichkeitsrechte betroffen sind.

Der Kläger ergänzt weiter, dass nach seiner Auffassung in dem Falle, dass ihm der Beklag-
te einen Sozialbetrug vorwirft, er ein Aussageverweigerungsrecht hätte, worauf ihn der
Beklagte aber bisher in den Mitwirkungsaufforderungen nicht hingewiesen hat. Bisher hat
der Kläger auch immer mitgewirkt und von dem Aussageverweigerungsrecht keinen Ge-
brauch gemacht.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom

19.12.2014 aufzuheben und ihnen die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

- vorgespielt und genehmigt -

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.

- vorgespielt und genehmigt -

Die Vorsitzende schließt die mündliche Verhandlung. Das Gericht zieht sich zur geheimen
Beratung zurück.

- 4 – S 12 AS 194/15

Nach geheimer Beratung verkündet die Vorsitzende

IM NAMEN DES VOLKES

folgendes

Urteil:

1. Der Bescheid vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
19.12.2014 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Der wesentliche Inhalt der Entscheidung wir den Beteiligten mitgeteilt.

— F.d.R.d.Ü.v. Tonträger -

Richterin am Sozialgericht Justizbeschäfiigte

Beginn der Verhandlung:
Ende der Verhandlung:

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