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Freitag, 8. Mai 2015
BSG, 1 RA 63/70 vom 11.11.1971, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht

Az. 1 RA 63/70

Verkündet
am 11 November
1971,
Amtsinspektor
als Urk. Beamter
d. Gesch.Stelle

Im Namen des Volkes

Urteil
in dem Rechtsstreit
Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte;

gegen

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Berlin 54,

Ruhrstraße 2,

Beklagte und Revisionsbeklagteo

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die
mündliche Verhandlung vom 11 November 1971 durch

Präsident Prof. Dr. W.
- Vorsitzender -,
Bundesrichter Dr. S. ,
Bundesrichter S. ,
Bundessozialrichter M. und
Bundessozialrichter B.

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des
Landessozialgerichts Niedersachsen vom 42 Dezember
1969 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung
an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

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Gründe

I

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der
Angestelltenversicherung. Die Beklagte lehnte seine "form-
losen Anträge" vom 15. November und 17. November 1965 durch
Bescheid vom 18. April 4967 ab, weil der Kläger es trotz
mehrfacher Aufforderung unterlassen habe, die für die
Rentengewährung erforderlichen Antragsvordrucke auszu-
füllen und einzureicheno Das Sozialgericht (SG) Braun-
schweig hat durch Urteil vom 15. Januar 1968 die gegen den
Bescheid gerichtete Klage abgewiesen.

Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger unter Ver-
wendung eines Antragsvordrucks der Bundesversicherungsan-
stalt für Angestellte (BfA) am 48. Oktober 1968 Rente be-
antragte Die Beklagte hat auch diesen Antrag durch Bescheid
vom 1. Oktober 1969 angelehnt, weil die für die Rentenge-
währung erforderlichen Voraussetzungen nicht hätten geklärt
werden können.

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat durch Ur-
teil vom 12. Dezember 1969 die Berufung des Klägers zurück-
gewiesen und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten
vom 1. Oktober 1969 abgewiesen. Es hat die Revision nicht
zugelassen.

Der Kläger hat gleichwohl dieses Rechtsmittel eingelegte
Er rügt vor allem Verletzung des § 103 des Sozialgerichts-
gesetzes (SGG) im Verfahren des LSG. Er beantragt, ihm
die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Ver-
säumung der Revisionsfrist und Revisionsbegründungsfrist
zu gewähren, das angefochtene Urteil sowie das Urteil des
SG Braunschweig vom 15. Januar 1968 und die Bescheide der

- 3 -

Beklagten vom 18. April 1967 und vom 10. Oktober
1969 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen, hilfsweise, das ange-
fochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu ver-
werfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.

II

Die Revision des Klägers ist zulässig und insofern begründet,
als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das
LSG zurückzuverweisen is.

Dem Kläger ist auf seinen Antrag gemäß § 67 iVm §§ 165, 153
SGG gegen die Versäumung der Revisionseinlegungs- und Revisione-
begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu ge-
währen, nachdem er innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses über die Bewilligung des Armenrechts die Revision
eingelegt und begründet hat.

Obgleich das LSG die Revision nicht gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1
SGG zugelassen hat, ist Sie nach § 162 Abs. 4 Nr. 2 SGG statt-
haft, weil die Revision ordnungsgemäß als wesentlichen Mangel
im Verfahren des Berufungsgerichts Verletzung des § 103 SGG
rügt, der auch vorliegt (BSG 1, 150).

In den Gründen seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht
ausgeführt, nach § 204 des Angestelltenversicherungsgesetzes
(AVG) iVm § 1613 Abs. 5 Satz 1 der Reichsversicherungs-
ordnung (RVO) habe die Beklagte den Sachverhalt aufzuklären.
Das bedinge aber eine Mitwirkung des Antragstellers, wie sich
aus § 1613 Abs. 1 Satz 2 RVO ergebe, Da der Kläger sich

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beharrlich weigere, an dieser notwendigen Aufklärung des Sache
verhalts mitzuwirken, indem er zunächst kein Antragsformular
eingesandt und später eine Untersuchung verweigert habe, habe
die Beklagte mit Recht den Rentenantrag abgelehnt, weil sie
nicht in der Lage gewesen sei, den Sachverhalt aufzuklären.
Zur Beurteilung der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit des Klägers
sei die Einholung eines ärztlichen Gutachtens über seinen
Gesundheitszustand unerläßlich gewesene Die im Versorgungs-
verfahren vorgenommenen Untersuchungen seien für die Frage der
Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit im Rentenverfahren nicht
zugrunde zu legen, da hier andere Gesichtspunkte Geltung
hätten. Alle von dem Kläger im Laufe des Verfahrens gemachten
Ausführungen lägen neben der Sache und hätten mit der recht-
lichen Beurteilung des hier zu entscheidenden Falles, nämlich
ob die Beklagte mit Recht den Antrag auf Rente abgelehnt habe
oder nicht, nichts zu tun.

Das LSG hat damit seiner Pflicht nicht genügt, gemäß § 105 SGG
den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen.

Dem LSG lagen die Versicherunkarten des Klägers vor, Sie
reichten - wie der Tatbestand des angefochtenen Urteils auch
zeigt - aus, das Versicherungsleben des Klägers und die Tätig-
keiten festzustellen und zu beurteilen, in denen er versiche-
rungspflichtig beschäftigt gewesen ist,

ln der Regel ist der Versicherte verpflichtet, bei der Beweis-
erhebung über seine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit sich von
dem ihm bezeichneten Arzt untersuchen zu lassen, soweit die
vorgesehenen Untersuchungen zumutbar sind, Er braucht sich
schon einer solchen Untersuchung nicht zu unterziehen, wenn
er sich für seine Weigerung auf einen triftigen Grund berufen
kann (vgl. hierzu BSG 20, 166, 168). Hierzu sind in dem an-
gefochtenen Urteil keine Feststellungen getroffen.


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Verweigert der Versicherte die ärztliche Untersuchung ohne be-
rechtigten Grund, so darf ohne die für erforderlich gehaltene
Untersuchung nach Lage der im übrigen ausreichend geklärten
Akten nur entschieden werden, wenn er nachweislich die Auf-
forderung zur Untersuchung erhalten hat und ihm die Folgen
einer unbegründeten Weigerung angedroht sind. Es ist jedoch
nicht zulässig, allein wegen der Weigerung des Versicherten,
sich untersuchen zu lassen, in jedem Falle von vornherein auf
jede Beweiserhebung zu verzichten und auch den Versuch zu unter-
lassen, ein Gutachten nach Lage der bereits vorhandenen ärzt-
lichen Untersuchungsbefunde und Gutachten zu erstellen, deren
Beiziehung möglich gewesen wäre, oder ohne die behandelnden
Ärzte des Versicherten bzw. die von ihm selbst angegebenen
Ärzte anzuhören (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversiche-
rung, Bde III so 672 sowie Bd; II so 244 k VII). Das Bundes-
sozialgericht (BSG) hat bereits ausgesprochen, daß das Gericht
seine Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) verletzt, wenn es, ohne
festzustellen, ob es für die Erstattung eines weiteren Gut-
achtens einer erneuten Untersuchung des Beschädigten bedarf,
allein wegen der Weigerung des Beschädigten, sich erneut unter-
suchen zu lassen, von der Einholung eines Gutachtens über medi-
zinische Fragen absieht (BSG in SozR Nr. 43 zu § 103 SGG).'

In dem vorliegenden Fall hat der Kläger seinem Schreiben vom
29. Dezember 1966 an die BfA eine auszugsweise Abschrift des
Bescheides des Versorgungsamts (VersorgA) Braunschweig vom
13. Dezember 1966 über die von diesem anerkannten Schädi-
gungsfolgen beigefügte Das LSG hätte ohne Beiziehung der
Akten des VersorgA die Sachaufklärung nicht als erschöpft an-
sehen dürfen. Das LSG hätte prüfen müssen, ob sich die Er-
werbsunfähigkeit des Klägers aus den ärztlichen Befunden und
Beurteilungen ergeben konnte, die sich in den Strafakten und
in den Akten des VersorgA befinden, worauf der Kläger sich
berufen hat (Bl 2 und 8 LSG-Akten).

- 6 -

Schließlich hat sich der Kläger zum Beweis für seine Erwerbs-
unfähigkeit — so müssen seine Ausführungen in seiner Klage-
schrift (Bl 5 und 8 LSG-Akten) aufgefaßt werden — auf die
Stellungsnahmen der Ärzte Dr. K und Dr. G II,
beide in Goslar, bezogene Er hat sich bereit erklärt,
Dr. G II von der ärztlichen Schweigepflicht zu ent-
binden. Er hat des weiteren ärztliche Bescheinigungen des
Dr. Guischard (Lungenfacharzt) vom 24. Januar 1967 und des
Dr. K (praktischer Arzt) vom 21. Januar 1967 in Abschrift
vorgelegt (Bl 22 LSG-Akten). In seinem Schriftsatz vom
4. Januar 1968 hat er nochmals erklärt, daß das LSG von

Dr. G II ein Gutachten erhalten könne, wenn ein ent-
sprechender Auftrag erteilt werde (Bl 54 LSG-Akten).

Es ist nicht auszuschließen, daß anhand der in den Akten des
VersorgA und in den Strafakten vorhandenen ärztlichen Befunde
und Gutachten Rückschlüsse zur Feststellung der Erwerbsun-
fähigkeit des Klägers gezogen werden können. Es ist des
weiteren möglich, daß die vom Kläger angegebenen Ärzte für die
Beurteilung seiner Erwerbsfähigkeit ausreichende Beweise hätten
vorbringen können. Das LSG hätte im Rahmen seiner Pflicht,
den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, diese möglichen
Beweise erheben müssen. Der gerügte Mangel einer Verletzung
des § 103 SGG liegt mithin im Verfahren des LSG vor.

Da die Revision schon aus diesem Grunde gemäß § 162 Abs. 1
Nr. 2 SGG statthaft ist, bedarf es keiner weiteren Prüfung,
ob auch die weiteren, von der Revision vorgebrachten Ver-
fahrensrügen durchgreifen.

Die hiernach zulässige Revision ist auch begründet, da nicht
auszuschließen ist, daß das LSG zu einem anderen Ergebnis ge-
langt wäre, wenn es gesetzmäßig verfahren wären Das ange-
fochtene Urteil ist deshalb aufzuheben. Dem Berufungsgericht
muß zunächst Gelegenheit gegeben werden, die erforderlichen Er-

- 7 -

mittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts durchzuführen.
Hierfür muß die Sache gemäß § 170 Abs. 2 SGG an das LSG zu-
rückverwiesen werden.

Bei seiner das Verfahren abschließenden Entscheidung wird des
LSG auch über die Erstattung von außergerichtlichen Kosten
des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

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Freitag, 8. Mai 2015
BSG, 1/3 RK 13/90 vom 28.06.1990, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: 1/3 RK 13/90

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Allgemeine Ortskrankenkasse München,

München 2, Maistraße 43 - 47,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 26.
Februar 1992 durch den Präsidenten Prof. Dr. R., die Richterin Dr. W. und
den Richter K. sowie die ehrenamtliche Richterin B. und den
ehrenamtlichen Richter B. für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28.
Juni 1990 wird zurückgewiesen.

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Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren
nicht zu erstatten.

- 3 -

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung von Krankengeld für die Zeit vom
12. November 1985 bis 20. März 1986.

Der in Jugoslawien geborene Kläger war seit 1968 in der Bundesrepublik als Arbeiter
beschäftigt und bezog zuletzt als Arbeitsloser Leistungen vom Arbeitsamt. Mit dessen
Zustimmung begab er sich für die Zeit vom 20. August 1985 bis 17. September 1985 auf
Heimaturlaub. Dort wurde er am 11. September 1985 wegen zahlreicher Erkrankungen
zunächst drei Wochen arbeitsunfähig krank geschrieben. Der jugoslawische
Versicherungsträger teilte dies der Beklagten, bei der der Kläger aufgrund des
Leistungsbezuges krankenversichert war, auf dem hierfür vorgesehenen Formblatt mit.

Später gingen weitere Meldungen über Arbeitsunfähigkeitszeiten bei der Beklagten ein,
wobei noch zusätzliche Erkrankungen genannt wurden.

Nachdem der Vertrauensärztliche Dienst unter Berücksichtigung der beigezogenen
Unterlagen von einer Arbeitsunfähigkeit von zwei Monaten ausgegangen war, bewilligte
die Beklagte für die Zeit nach Beendigung der Leistungserbringung durch das Arbeitsamt
Krankengeld bis zum 11. November 1985. Gleichzeitig erbat sie bei einem eventuellen
Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit um die Übersendung neuer ärztlicher Befunde. Weil
nach Auffassung des Vertrauensärztlichen Dienstes aus den vom Kläger übersandten
neuen ärztlichen Unterlagen auf eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht geschlossen
werden könne, lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld über den
11. November 1985 hinaus ab (Bescheid vom 18. Februar 1986).

Obwohl der jugoslawische Versicherungsträger inzwischen Arbeitsunfähigkeit bis
einschließlich 20. März 1986 bestätigt und gemeldet hatte, sah die Beklagte den
Widerspruch nicht als begründet an, da die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht
nachgewiesen sei (Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 1986).

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) München abgewiesen,
nachdem es erfolglos versucht hatte, weitere Krankenunterlagen aus Jugoslawien zu
erhalten (Urteil vom 26. Oktober 1988). Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG)
zurückgewiesen (Urteil vom 28. Juni 1990). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Dem
Kläger stehe Krankengeld für den streitigen Zeitraum nicht zu, weil das Bestehen von
Arbeitsunfähigkeit über den 11. November 1985 hinaus nicht nachgewiesen sei. Der
Versicherte sei bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit arbeitsuchend gemeldet und damit
weitgehend auf andere Tätigkeiten verweisbar gewesen. Es fehle jeder Nachweis
darüber, daß die behaupteten Krankheiten sich derart langfristig auf seine Arbeitsfähigkeit

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ausgewirkt haben könnten und daß keine ihm zumutbare Arbeit möglich gewesen wäre.

Die Beklagte müsse entgegen der Ansicht des Klägers die Arbeitsunfähigkeitsmeldung
des jugoslawischen Versicherungsträgers nicht ungeprüft übernehmen. Eine solche
Rechtsfolge lasse sich aus dem deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen
nicht entnehmen. Der Kläger könne auch keine Rechte aus den europäischen Verträgen
und den aus ihnen hervorgegangenen EG-Verordnungen Nr 1408/71 und 574/72 sowie
der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des
Bundessozialgerichts (BSG) herleiten. Diese Regelungen seien mit dem
deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen nicht vergleichbar. Der
Grundsatz, daß die Beklagte als leistender Versicherungsträger entsprechend den
Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) über die Krankengeldgewährung zu
entscheiden habe, werde auch nicht durch das dem Kläger ausgehändigte Merkblatt, in
dem Art 4 des Zusatzabkommens zum deutsch-jugoslawischen
Sozialversicherungsabkommen wiedergegeben sei, aufgehoben. Hiermit habe sich die
Beklagte nicht verpflichtet, ihre Entscheidungskompetenz gesetzwidrig auf den jugoslawi-
schen Versicherungsträger zu verlagern. Zwar könne es für den Versicherten
unbefriedigend sein, wenn das Krankengeld wegen unterschiedlicher Auffassungen von
der Arbeitsunfähigkeit zwischen den jugoslawischen Ärzten bzw Krankenver-
sicherungsgemeinschaften einerseits und den deutschen Krankenkassen andererseits
verweigert werde, obwohl er alles getan habe, was ihm das Abkommen vorschreibe und
er wenig Einfluß auf die Aussagekraft der Bescheinigungen und die durchgeführten
Untersuchungen habe. Dies könne aber nicht dazu führen, die Beklagte zu verpflichten,
ungeprüft gesetzlich geforderte Voraussetzungen zu unterstellen, zumal sie selbst
keinerlei Einfluß auf die von ihr nicht zu vertretenden Mängel bei der Anwendung des
Abkommens habe.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 30
Abs 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -(SGB I), 182 Abs 1 Nr 2, Abs 3 und 183 RVO
sowie des Art 29 iVm Art 4 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens.

Das LSG habe übersehen, daß, unabhängig davon, wie nach innerstaatlichem Recht das
Bestehen von Arbeitsunfähigkeit festgestellt werde, Ausnahmen durch das Recht der
europäischen Gemeinschaften oder durch zwischenstaatliche Abkommen bestimmt
werden könnten. Der Entscheidungskompetenz der Beklagten über die Arbeitsunfähigkeit
stünden Art 29 iVm Art 4 des Abkommens und die übrigen Vereinbarungen mit
Jugoslawien entgegen. Hiernach leisteten Träger, Verbände von Trägern, Behörden und
Gerichte der Vertragsstaaten einander bei der Durchführung der in Art 2 Abs 1
bezeichneten Rechtsvorschriften und des Abkommens gegenseitige Hilfe. Die Amtshilfe
erstrecke sich ausdrücklich auch auf ärztliche Kontrolluntersuchungen. Ferner bestimme
Art 3 der Durchführungsvereinbarung zum Abkommen, daß die Pflicht des Versicherten,
dem zuständigen Träger das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, nur gegenüber
dem Träger des Aufenthaltsortes bestehe. Entsprechend werde der Versicherte von

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seiner Krankenkasse durch Merkblätter informiert. Das gesamte Regelwerk des
Abkommens mache deutlich, daß die Mitteilung über das Bestehen und die Überwachung
der Arbeitsunfähigkeit ausschließlich bei dem örtlich zuständigen jugoslawischen
Krankenversicherungsträger liege. Da das Abkommen keinen Vorbehalt gegen die
Feststellung der jugoslawischen Kontrollärzte enthalte, stehe den deutschen
Krankenkassen keine eigene Feststellungs- und Kontrollbefugnis hinsichtlich der
Arbeitsunfähigkeit zu. Für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und deren Kontrolle solle
nach dem Abkommen und den Zusatzvereinbarungen das Recht des Aufenthaltsstaates
maßgebend sein. Das sei der eindeutige Wille der vertragschließenden Staaten gewesen.
Falls bei dem deutschen Versicherungsträger berechtigte Zweifel an der Richtigkeit des
Ergebnisses von Kontrolluntersuchungen bestehen sollten, müsse er dieselben über den
zuständigen jugoslawischen Versicherungsträger ausräumen lassen und gegebenenfalls
auf seine Kosten eine stationäre Beobachtung in einem jugoslawischen Krankenhaus
beantragen. Er, der Kläger, habe alle seine Mitwirkungspflichten erfüllt und mit der
Übersendung der Mitteilung über das Bestehen oder Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit
durch den jugoslawischen Träger zugleich den ihm obliegenden Nachweis der Arbeits-
unfähigkeit geführt.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 1990 und des
Sozialgerichts München vom 26. Oktober 1988 aufzuheben und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 18. Februar 1986 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 1986 zu verurteilen, ihm Krankengeld über
den 11. November 1985 hinaus bis einschließlich 20. März 1986 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Krankengeld über den
11. November 1985 hinaus.

Nach § 182 Abs 1 Nr 2 RVO, der mit Wirkung ab 1. Januar 1989 durch Art 5 Nr 2 des
Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I, S 2477)
aufgehoben wurde, hier jedoch noch anwendbar ist, wird Krankengeld gewährt, wenn die
Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht. Das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit
muß gemäß § 182 Abs 3 RVO von einem Arzt festgestellt werden, wobei es unerheblich
ist, aus welchem Anlaß und zu welchem Zweck diese Feststellung getroffen wird
(BSGE 41, 201, 203 = SozR 2200 § 182 Nr 12). Die Feststellung kann auch durch einen

- 6 -

ausländischen Arzt erfolgen. Dem während eines Urlaubsaufenthaltes im Ausland
erkrankten Versicherten steht - sofern ein Sozialversicherungsabkommen
entsprechendes regelt - deshalb auch Krankengeld für die Zeit des Auslandsaufenthaltes
zu, in der er nachweislich arbeitsunfähig ist. Bestand kein Sozialversicherungsabkommen
mit dem Aufenthaltsstaat, war Krankengeld in der Zeit der Geltung des § 182 RVO
trotzdem bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeit zu gewähren (BSGE 31, 100, 101 f = SozR
Nr 39 zu § 182 RVO). Ab 1. Januar 1989 gilt demgegenüber § 16 Abs 1 Nr 1
Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Hiernach ruht der
Anspruch auf Leistungen, solange sich der Versicherte außerhalb des Geltungsbereiches
dieses Gesetzes aufhält, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. Solche Ausnahmen
sind Regelungen im zwischen- bzw überstaatlichen Recht, insbesondere also in
Sozialversicherungsabkommen. Ansonsten kann Krankengeld während eines
Auslandsaufenthaltes nicht mehr gewährt werden (BT-Drucks 11/2237, S 165).

Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Beklagte an die Feststellung der
Arbeitsunfähigkeit durch einen jugoslawischen Arzt oder an die Meldung des
jugoslawischen Versicherungsträgers nicht gebunden. Eine solche Bindung läßt sich
insbesondere nicht aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom
12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, S 1438) idF des Änderungsabkommens vom
30. September 1974 (BGBl II 1975, S 390) - zukünftig Abkommen genannt - und der
Durchführungsvereinbarung zum Abkommen entnehmen.
Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens sieht vor, daß, soweit das Abkommen nichts anderes
bestimmt, die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von
Ansprüchen auf Leistungen oder Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von
Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die Staatsangehörigen
gelten, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten. Diese Regelung enthält
den Grundsatz der uneingeschränkten Leistungsgewährung in dem anderen Vertrags-
staat (Denkschrift der Bundesregierung zum Abkommen, BT-Drucks V/4124).

Krankengeld ist nach dem Abkommen also grundsätzlich auch dann zu zahlen, wenn die
Arbeitsunfähigkeit in Jugoslawien eintritt. Weitere Regelungen, insbesondere hinsichtlich
der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, beinhaltet Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens
nicht. Sozialversicherungsabkommen enthalten - anders als bei den Sachleistungen, die
im allgemeinen nach dem Recht des Aufenthaltsstaates gewährt werden (vgl Art 15 Abs 2
des Abkommens und Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit
ausländischen Staaten, Bd I, Allgemeiner Teil, S 296; Baumeister in Gesamtkommentar
zur Sozialversicherung, Bd X, Stichwort Jugoslawien, Art 15 Anm 2; Neumann-Duesberg,
DOK 1985, S 302, 309) - regelmäßig keinen Eingriff in das innerstaatliche Recht
hinsichtlich der Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankengeld (Begriff der
Arbeitsunfähigkeit) und bezüglich der Höhe der Geldleistungen. Es bleiben vielmehr die

- 7 -

für den zuständigen Träger nach innerstaatlichem Recht geltenden Vorschriften
maßgebend (Plöger/Wortmann, aaO, Bd I, Allgemeiner Teil, S 395). Diese allgemeine
Regelung gilt auch für das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen (vgl
dazu Art 16 des Abkommens). Hiernach werden auf Ersuchen der deutschen
Krankenkassen Geldleistungen vom jugoslawischen Sozialversicherungsträger
ausgezahlt, woraus sich gleichzeitig ergibt, daß die Prüfung der
Anspruchsvoraussetzungen und der Höhe und Dauer der auszuzahlenden Geldleistungen
Aufgabe der deutschen Krankenkassen bleibt (Baumeister, aaO, Bd X, Stichwort Jugosla-
wien, Art 16 Anm 1). Aus Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens läßt sich also eine Bindung
des deutschen Versicherungsträgers an die Feststellung der jugoslawischen Ärzte oder
Krankenversicherungsgemeinschaften nicht entnehmen.

Gleiches gilt für Art 15 Abs 2 des Abkommens, denn er enthält lediglich die Regelung,
daß die Sachleistungen - von gewissen Ausnahmen abgesehen - nach den für den Träger
des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften gewährt werden. Für Geldlei-
stungen gilt diese Vorschrift damit nicht.

Gemäß Art 29 Abs 1 Satz 1 des Abkommens leisten die Träger, Verbände von Trägern,
Behörden und Gerichte der Vertragsstaaten einander bei Durchführung der vom
Abkommen umfaßten Rechtsvorschriften und dieses Abkommens gegenseitige Hilfe, als
wendeten sie die für sie geltenden Rechtsvorschriften an. Art 29 Abs 1 Satz 1 gilt, wie
Abs 2 dieser Vorschrift regelt, auch für ärztliche Untersuchungen. Nach der Denkschrift
der Bundesregierung enthalten die Art 29 bis 38 des Abkommens die auch sonst üblichen
Regelungen für das Zusammenwirken der in den beiden Staaten mit der Durchführung
des Abkommens betrauten Stellen. In Art 29 sind also Vorschriften über die Rechts- und
Amtshilfe enthalten. Die deutschen Krankenkassen können sich daher jugoslawischer
Ärzte für Untersuchungen und zu Kontrollzwecken bedienen, indem sie sich im Wege der
Amtshilfe an die zuständige Krankenversicherungsgemeinschaft wenden. Die
Formulierung "als wendeten sie die für sie geltenden Rechtsvorschriften an" umschreibt
lediglich Art und Umfang der Amts- und Rechtshilfe. Deutsche Sozialversicherungsträger
haben bei der Erbringung der Amtshilfe daher die Regelungen der §§ 3 ff
Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X), aber auch § 35 SGB I iVm §§ 67 ff
SGB X über die Offenbarung von Daten, die unter das Sozialgeheimnis fallen, zu
beachten (Baumeister, aaO, Bd X, Stichwort Jugoslawien, Art 29 Anm 1; Koch/Hartmann,
Die Rentenversicherung im Sozialgesetzbuch unter besonderer Berücksichtigung der
Angestelltenversicherung - zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht -Bd I, Allgemei-
ner Teil, Anm 9.3.). Ärztliche Untersuchungen müssen unter Berücksichtigung der §§ 62,
65 SGB I durchgeführt werden. Umgekehrt haben die jugoslawischen
Versicherungsträger bei Untersuchungen in ihrem Staat die für sie geltenden Verfah-
rensvorschriften anzuwenden.

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Eine weitere - über den dargestellten Inhalt hinausgehende - Regelung, insbesondere
über die Begründung materiell-rechtlicher Leistungsansprüche oder die Bindung
deutscher Sozialversicherungsträger an die im Rahmen der Amtshilfe getroffenen
Feststellungen, kann aus Art 29 des Abkommens nicht entnommen werden. Der Wortlaut,
dem bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge im allgemeinen eine größere
Bedeutung beizumessen ist als bei der Auslegung innerstaatlicher Gesetze (BSGE 36,
125, 126 = SozR Nr 16 zu § 1303 RVO; BSGE 39, 284, 287 = SozR 2200 § 1303 Nr 3;
BSGE 55, 131, 134 = SozR 6555 Art 26 Nr 1; Gobbers, Gestaltungsgrundsätze des
zwischenstaatlichen und überstaatlichen Sozialversicherungsrechts, 1980, S 10 mwN),
läßt die vom Kläger behauptete Bindung an die in Jugoslawien getroffenen Feststellungen
nicht erkennen. Er ist nicht unklar, mißverständlich oder gar mehrdeutig; die
wortlautmäßige Auslegung führt auch nicht zu unvernünftigen, mit dem Ziel und Zweck
der Bestimmung und des Vertrages unvereinbaren Ergebnissen, so daß eine andere
Auslegung erforderlich wäre. Auch läßt der in der Denkschrift zum Abkommen
manifestierte Wille der Vertragspartner keine andere Auslegung zu.

Nach Art 3 der Durchführungsvereinbarung zum Abkommen, auf den sich der Kläger
weiter beruft, besteht die Pflicht des Versicherten, dem zuständigen Träger das Vorliegen
der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, bei Anwendung des Art 4 Abs 1 des Abkommens nur
gegenüber dem Träger des Aufenthaltsortes. Tritt bei einem bei einer deutschen
Krankenkasse Versicherten in Jugoslawien Arbeitsunfähigkeit ein, so enthebt ihn diese
Bestimmung lediglich der Verpflichtung, das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit dieser
Krankenkasse bzw beim Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 3 Abs 2
Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) dem Arbeitgeber und der Krankenkasse zu melden, um
ein Ruhen des Krankengeldanspruches nach § 216 Abs 3 RVO (ab 1. Januar 1989 § 49
Abs 1 Nr 5 SGB V) oder des Lohnfortzahlungsanspruches nach § 5 Nr 1 LFZG zu
verhindern. Es genügt, wenn er die jugoslawische Krankenversicherungsgemeinschaft
vom Bestehen der Arbeitsunfähigkeit unterrichtet; diese leitet die Mitteilung mittels des
vorgesehenen Vordruckes Ju 4 an die deutsche Krankenkasse weiter, die wiederum
gegebenenfalls den Arbeitgeber informiert. Hierüber werden die Versicherten in dem
Merkblatt Ju 93 unterrichtet. Weitere Regelungen sind in Art 3 der
Durchführungsvereinbarung nicht enthalten, insbesondere läßt sich aus dieser Regelung
keine Bindung an die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch jugoslawische Ärzte oder
jugoslawische Versicherungsträger entnehmen (vgl auch BSG SozR 2200 § 369 b Nr 1
und BSG USK 83 160 zum deutsch-spanischen Sozialversicherungsabkommen).

Schließlich sind die Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 10. September 1987 (BSG
SozR 6055 Art 18 Nr 2) und das ihr zugrundeliegende Urteil des EuGH vom 12. März
1987 (SozR 6055 Art 18 Nr 1) nicht einschlägig. Die dort angenommene Bindung der
deutschen Krankenkassen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des
Wohnortes getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der

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Arbeitsunfähfigkeit betrifft nur Staaten der Europäischen Gemeinschaft, zu denen
Jugoslawien nicht gehört. Art 18 der EWG-VO Nr 574/72 hat zudem einen völlig anderen
Wortlaut als die Vorschriften im hier anwendbaren Abkommen und enthält auch inhaltlich
ganz unterschiedliche Regelungen.

Wird somit der Grundsatz, daß krankenversicherungsrechtliche Geldleistungen vom
deutschen Versicherungsträger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zu
gewähren sind, durch das Abkommen nicht berührt, sind das Vorliegen von
Arbeitsunfähigkeit und der Anspruch auf Krankengeld nach § 182 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 3
RVO zu prüfen. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist ein Rechtsbegriff, dessen
Voraussetzungen die Krankenkasse anhand ärztlich erhobener Befunde festzustellen hat.

Das Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hat lediglich die
Bedeutung einer ärztlichen Stellungnahme, die die Grundlage für den über den
Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet (vgl BSGE 54,
62, 65 = SozR 2200 § 182 Nr 84; BSG SozR 2200 § 216 Nr 8; Höfler in Kasseler
Kommentar zur Sozialversicherung, § 46 RdNr 7; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale
Krankenversicherung, § 182 Anm, 4.1; Krauskopf, Soziale
Krankenversicherung - SGB V -, § 44 RdNr 15; Peters, Handbuch der
Krankenversicherung, § 182 Anm 13b). Aus den Bestimmungen der §§ 182 Abs 3 und
369b RVO (nun § 46 Satz 1 Nr 2 und § 275 SGB V) folgt, daß die Krankenkasse die
ärztliche Feststellung über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nur überprüft (BSG SozR
2200 § 216 Nr 8), während sie die sonstigen Leistungsvoraussetzungen (zB
Mitgliedschaft mit Krankengeldanspruch, Erschöpfung des Leistungsanspruches
innerhalb der Blockfrist) selbständig ermittelt und dann über die Krankengeldgewährung
entscheidet. Den Bescheinigungen ausländischer Ärzte kommt dabei nicht von vornherein
ein geringerer Beweiswert zu als denen deutscher Ärzte (BSGE 31, 100, 102 = SozR
Nr 39 zu § 182 RVO; BAGE 48, 115, 119; BAG EzA § 3 LFZG Nr 11; LSG
Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1984, 361, 362). Da der Begriff der Arbeitsunfähigkeit den
deutschen Ärzten vertraut ist (vgl jetzt die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien vom
3. September 1991, BKK 1991, S 707 = WzS 1991, S 326), genügt es in der Praxis
regelmäßig,
wenn sie Arbeitsunfähigkeit bescheinigen (BSGE 41, 201, 203 = SozR 2200 § 182 Nr 12).
Kenntnisse über den Begriff der Arbeitsunfähigkeit iS der deutschen Krankenversicherung
und die versicherungsrechtliche Bedeutung dieser Feststellung sind ausländischen Ärzten
dagegen normalerweise fremd (BSGE 31, 100, 102 = SozR Nr 39 zu § 182 RVO). Zur
Kontrolle kann die Krankenkasse daher bei Zweifeln über das Vorliegen von
Arbeitsunfähigkeit, insbesondere wenn die aus dem Ausland mitgeteilten Diagnosen und
Befunde nicht jede Erwerbstätigkeit ausschließen und - wie hier - für arbeitslose Arbeiter
eine weite Verweisbarkeit in Betracht kommt (BSG SozR 4100 § 105b Nr 4), oder wenn
die genannten Diagnosen Zweifel an der Dauer der Arbeitsunfähigkeit weken, den
Medizinischen Dienst heranziehen. Eine Überprüfung durch den Vertrauensärztlichen bzw

- 10 -

Medizinischen Dienst ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein ausländischer Arzt
die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat. § 369b RVO enthält, ebenso wie § 275 SGB V,
keine Einschränkung dahingehend, daß nur die Feststellungen inländischer Ärzte
überprüft werden könnten. Einen Ermessensfehler bei der Entscheidung über die
Erforderlichkeit der Untersuchung (BSG SozR 2200 § 369b Nr 1) hat das
Berufungsgericht nicht festgestellt.

Schließlich hat das LSG nicht den Grundsatz der objektiven Beweislast verletzt. Er regelt,
wen die Folgen treffen, wenn das Gericht bestimmte Tatsachen nicht feststellen kann. Es
gilt der Grundsatz, daß die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder des
Nichtfestgestelltseins einer Tatsache von dem Beteiligten zu tragen ist, der aus dieser
Tatsache ein Recht herleiten will (BSGE 30, 121, 123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG;
Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl, 1991, § 103 RdNr 19 mwN). Die Regeln über
die objektive Beweislast können nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erst
angewendet werden, wenn alle verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind (BSG
SozR 2200 § 317 Nr 2; BSG SozR 1500 § 128 Nr 18). Sie entheben den Tatrichter nicht
seiner insbesondere durch § 103 und § 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen
Würdigung der erhobenen Beweise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände
des Einzelfalles. Die Frage der Beweislastverteilung stellt sich erst dann, wenn es nach
Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhaltes nicht gelungen ist,
die bestehende Ungewißheit über eine ungeklärte Tatsache zu beseitigen (BSGE 30, 121,
123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG; BSG SozR 1500 § 128 Nr 18). Trotz seines engen
Zusammenhangs mit dem Verfahrensrecht gehört der Grundsatz der objektiven
Beweislast zum materiellen Recht (BSG SozR 1500 § 161 Nr 26; Meyer-Ladewig, aaO,
§ 103 RdNr 19; BVerwGE 45, 131, 132; BGH NJW 1983, 2032, 2033; NJW 1985, 1774,
1775; Kopp, Komm zum VWGO, 8. Aufl 1989, § 108 RdNr 12; aA Peters/Sauters/Wolff,
Komm zum SGG, § 103 Anm 4 S II/74 - 14 -; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl 1987,
S 274). Seine richtige Anwendung ist deshalb vom Senat auch grundsätzlich ohne
entsprechende Rüge durch den Kläger zu prüfen.

Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die medizinischen Grundlagen für die
Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit über den 11. November 1985 hinaus nicht mehr
aufklärbar sind. Hierbei handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, an die das Revi-
sionsgericht nach § 163 SGG gebunden ist, wenn die Beteiligten - wie im vorliegenden
Falle - dagegen keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben haben. Daß
die Vorinstanz nach Auffassung des erkennenden Senats nicht alle Möglichkeiten der
Aufklärung genutzt hat, läßt die Bindung nicht entfallen. Das Revisionsgericht wäre nur
dann nicht nach § 163 SGG gebunden, wenn die tatrichterliche Feststellung der nicht
weiteren Aufklärbarkeit mit anderen Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil im
Widerspruch stünde (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 139). Das ist hier aber nicht der

- 11 -

Fall. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, daß das LSG den Grundsatz der objektiven
Beweislast angewendet hat und davon ausgegangen ist, daß der Kläger die Folgen der
Nichtfeststellbarkeit der von ihm behaupteten Arbeitsunfähigkeit zu tragen hat.

Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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BSG, 13 BJ 271/96 vom 13.05.1997, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Az: 13 BJ 271/96

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Bahnversicherungsanstalt, Bezirksleitung Rosenheim,
Klepperstraße 1a, 83026 Rosenheim,

Beklagte und Beschwerdegegnerin,

beigeladen:

Freistaat Bayern,

vertreten durch die Bezirksfinanzdirektion Regensburg,
Bahnhofstraße 7, 93047 Regensburg.

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat am 13. Mai 1997 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. G. sowie die Richter Dr. L.
und M.

beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayeri-
schen Landessozialgerichts vom 21. Mai 1996 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für das Beschwerdeverfahren
nicht zu erstatten.

Gründe:

- 2 -

Im Ausgangsverfahren ist die Rückgängigmachung einer Beitragserstattung, hilfsweise
die Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen, ggf im Wege einer Nachversi-
cherung, streitig.

Der am 20. März 1940 geborene Kläger war bei der Deutschen Bundesbahn zunächst
vom 1. September 1954 bis 20. November 1957 als versicherungspflichtiger Jungwerker
und anschließend bis zum 31. Juli 1961 als versicherungsfreier Betriebsaufseher-Anwär-
ter tätig. Auf seinen Antrag wurden ihm mit Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember
1959 die in der Zeit vom 1. September 1954 bis 20. November 1957 entrichteten Arbeit-
nehmeranteile der Beiträge zur Rentenversicherung erstattet. Zum 1. August 1961 wech-
selte der Kläger in eine versicherungsfreie Tätigkeit bei der Finanzverwaltung über, wo er
1991 als Steuerhauptsekretär in den Ruhestand versetzt wurde. Da seine Zeit bei der
Deutschen Bundesbahn nicht als ruhegehaltsfähige Dienstzeit angerechnet wurde, er-
folgte für die Zeit vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli 1961 eine Nachversicherung. Mit
Bescheid vom 23. November 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1993
lehnte die Beklagte sowohl eine Rückgängigmachung der 1959 erfolgten Beitragserstat-
tung als auch eine Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit von Septem-
ber 1954 bis November 1957 ab. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteile des
Sozialgerichts Regensburg vom 11. Oktober 1994 und des Bayerischen Landes-
sozialgerichts vom 21. Mai 1996).

Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Eine Verpflichtung der Beklagten zur Rückgängigmachung der Beitragserstattung vom
22. Dezember 1959 bestehe nicht. Der Erstattungsbescheid sei wirksam und bestands-
kräftig geworden. Zwar habe der Kläger als nach damaligem Recht Minderjähriger einen
Antrag auf Beitragserstattung nicht wirksam stellen können, auch habe das Fehlen eines
wirksamen Antrages auf Beitragserstattung die Nichtigkeit des Erstattungsbescheides zur
Folge, hier sei jedoch § 108 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entsprechend anzu-
wenden. Das bedeute, daß ein Zustand schwebender Unwirksamkeit bestanden habe.

Nach Eintritt der Volljährigkeit des Klägers, nach damaligem Recht am 20. März 1961, sei
seine Genehmigung an die Stelle der fehlenden Genehmigung seines gesetzlichen Ver-
treters getreten (vgl § 108 Abs 3 BGB). Eine solche Genehmigung könne auch konkludent
anzunehmen sein, wenn der volljährig Gewordene den Vertrag fortsetze bzw - wie hier -
die Beitragserstattung nicht beanstande. Dies habe von seiten der Beklagten als Geneh-
migung aufgefaßt werden müssen. Der Beitragserstattungsbescheid vom 22. Dezember
1959 sei also spätestens mit Volljährigkeit des Klägers im März 1961 wirksam geworden.

Der Bescheid sei auch nicht rechtswidrig gewesen. Mit der Aufnahme des Klägers in die
Bundesbahn-Anwärterliste ab 1. Dezember 1957 sei die Versicherungspflicht zur gesetz-
lichen Rentenversicherung entfallen, ohne daß der Kläger ein Recht zur freiwilligen Wei-

- 3 -

terversicherung gehabt habe. Im übrigen ließe sich die seinerzeitige Beitragserstattung
auch dann nicht rückgängig machen, wenn deren gesetzliche Voraussetzungen nicht vor-
gelegen hätten.

Konzediere man trotz der hoheitlichen Abwicklung einer Beitragserstattung eine gewisse
Ähnlichkeit mit öffentlich-rechtlichen Verträgen, so habe hier ein Irrtum über die Ge-
schäftsgrundlage in Gestalt der außerhalb der Beitragserstattung liegenden rechtlichen
Gegebenheiten seitens der Beteiligten nicht vorgelegen. Vielmehr habe der Kläger damit
rechnen können, bei Fortführung seines Anwärterverhältnisses Versorgung von der Deut-
schen Bundesbahn unter Einbeziehung auch der Zeit seit dem 1. Dezember 1957 zu er-
halten. Die Erwartung des Fortbestehens dieser Perspektive könne aber nicht als Ge-
schäftsgrundlage einer Beitragserstattung angesehen werden, deren Fortfall einen An-
spruch auf Rückgängigmachung begründe.

Es finde sich auch keine Rechtsgrundlage für eine Nachversicherung. § 8 des Sechsten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar,
da der Kläger von September 1954 bis November 1957 versicherungspflichtig beschäftigt
gewesen sei.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht
der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Dazu trägt er ua vor:

Zwar werde vom LSG anerkannt, daß er als damaliger Minderjähriger keinen wirksamen
Antrag auf Beitragserstattung habe stellen können, jedoch werde in rechtsfehlerhafter
Weise § 108 BGB entsprechend angewendet. Er habe nachträglich als Volljähriger die
Tragweite seines Beitragserstattungsantrages nicht erkennen und damit diesen auch
nicht konkludent iS von § 108 Abs 3 BGB genehmigen können, da er damals die Konse-
quenzen nicht habe übersehen können. Die Annahme einer Genehmigung der Beitrags-
rückerstattung nach § 108 Abs 3 BGB würde den Minderjährigenschutz ins Gegenteil ver-
kehren. Wegen der besonderen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache schon in
diesem Punkt sei die Revision zuzulassen.

Ferner liege die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auch darin, wie seine
"Zwitterstellung" im damaligen Beschäftigungszeitraum vom 1. Dezember 1957 bis
31. Juli 1961 rechtlich zu bewerten sei. Eine einwandfreie Versicherungsfreiheit ab
1. Dezember 1957 sei nicht ohne weiteres gegeben, zumal er zum Ablauf des 31. Juli
1961 ohne Anwartschaft auf Versorgung aus dieser Beschäftigung ausgeschieden sein.

Im übrigen sei die vom LSG zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom
9. Dezember 1981 für diesen konkreten Sonderfall nicht einschlägig. Die klärungsbedürf-
tige Rechtsfrage sei auch nicht in dem weiter angeführten Urteil des BSG vom 11. Juli
1972 entschieden worden. Diese beziehe sich nicht auf den hier streitbefangenen Fall,
dessen Brisanz und Entscheidungswichtigkeit sich erst im Rahmen seiner Versetzung in

- 4 -

den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit zum 1. Oktober 1991 herauskristallisiert und ma-
nifestiert habe. Zwar sei nun die Zeit vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli 1961 nachversi-
chert worden, nicht jedoch der davorliegende Zeitraum vom 1. September 1954 bis zum
30. November 1957. Daraus ergebe sich die besondere Rechtsproblematik für ihn und
damit die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

Aufgrund dieser Konstellation sei seiner Auffassung nach § 8 Abs 2 SGB VI analog anzu-
wenden. Grundlage für den damaligen Antrag auf Beitragsrückerstattung sei zunächst die
falsche Beratung durch die damaligen Dienstvorgesetzten, ferner seine Unmündigkeit und
die Ungeklärtheit seiner Stellung für den Zeitraum vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli
1961 gewesen. Aufgrund dieser ungeklärten Situation hätte eine Beitragsrückerstattung
auch nicht vorgenommen werden dürfen. Zumindest habe ein Irrtum über die Geschäfts-
grundlage der Beitragsrückerstattung zum damaligen Zeitpunkt vorgelegen, der nicht zu
seinen Lasten gehen dürfe.

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den sich aus
§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergebenden

Anforderungen.

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen - grundsätzliche
Bedeutung, Abweichung, Verfahrensmangel - zugelassen werden. In der Beschwerdebe-
gründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt und die Ent-
scheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet
werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Daran fehlt es hier.

Um die vom Kläger allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache
(vgl § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) darzulegen, ist es zunächst erforderlich, die nach Ansicht des
Beschwerdeführers grundsätzliche Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, daß
sie allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitze (vgl BSG SozR
1500 § 160a Nrn 11, 39). Ferner ist darzutun, daß die Rechtsfrage klärungsbedürftig sei.

Das ist zum einen nicht der Fall, wenn die Antwort von vornherein praktisch außer Zweifel
steht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 4, 11). Zum anderen ist auch eine Rechtsfrage, die
das BSG bereits entschieden hat, nicht mehr klärungsbedürftig und kann somit keine
grundsätzliche Bedeutung mehr haben, es sei denn, die Beantwortung der Frage ist aus
besonderen Gründen klärungsbedürftig geblieben oder erneut geworden; das muß sub-
stantiiert vorgetragen werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 13, 65). Schließlich ist
darzulegen, daß die Rechtsfrage in dem einer Zulassung folgenden Revisionsverfahren
entscheidungserheblich und damit auch klärungsfähig sei (vgl BSG SozR 1500 § 160a
Nr 54).

- 5 -

Diesen Begründungserfordernissen hat der Kläger nicht in vollem Umfang Genüge getan.

Es ist bereits zweifelhaft, ob er eine von ihm als grundsätzlich erachtete Rechtsfrage
deutlich genug gestellt hat, jedenfalls fehlt es an hinreichenden Ausführungen zur Klä-
rungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der von ihm angesprochenen Punkte.

Soweit es die Anwendung des § 108 Abs 3 BGB betrifft, hat es der Kläger zur Darlegung
eines höchstrichterlichen Klärungsbedarfes gänzlich unterlassen, sich mit der dazu ergan-
genen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes auseinanderzusetzen. Als
höchstrichterlich geklärt muß nämlich eine Rechtsfrage auch dann angesehen werden,
wenn sie zwar vom BSG noch nicht ausdrücklich entschieden worden ist, zur Auslegung
der anzuwendenden Vorschrift aber schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen
sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung dieser Frage geben (vgl BSG SozR
3-1500 § 160 Nr 8; ebenso Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, Rz 117
mwN). Dementsprechend hätte der Kläger in seiner Beschwerdebegründung auf die
Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte zu § 108 Abs 3 BGB eingehen müssen.

Dabei hätte sich folgende Rechtslage ergeben: Zunächst hat das BSG die § 106 ff BGB
bereits im Zusammenhang mit dem Antrag eines nicht voll geschäftsfähigen Versicherten
auf Beitragserstattung nach § 1303 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entspre-
chend angewandt (vgl BSG SozR Nr 3 zu § 1613 RVO). Ferner ist eine Genehmigung
nach § 108 Abs 3 BGB - wie insbesondere der Bundesgerichtshof (BGH) bereits ent-
schieden hat - zwar auch durch schlüssiges Verhalten möglich, sie setzt dann jedoch vor-
aus, daß sich der volljährig Gewordene der schwebenden Unwirksamkeit des Rechtsge-
schäfts bewußt gewesen ist oder mindestens mit ihr gerechnet hat (vgl BGHZ 53, 174,
178; BGH LN Nr 4 zu § 108 BGB; ebenso Bundesarbeitsgericht, NJW 1964, 1641, 1643).

Unter diesen Umständen hätte der Kläger möglicherweise eine Abweichung des LSG von
der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung geltend machen können (vgl § 160
Abs 2 Nr 2 SGG), eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache lag hingegen fern.

Soweit der Kläger die Frage seiner Versicherungsfreiheit als Anwärter bei der Deutschen
Bundesbahn für grundsätzlich bedeutsam hält, kann dahingestellt bleiben, ob er ihre Klä-
rungsbedürftigkeit hinreichend dargetan hat, jedenfalls wäre diese Frage nur entschei-
dungserheblich und damit klärungsfähig, wenn der Beitragserstattungsbescheid bei Ver-
neinung einer Versicherungsfreiheit des Klägers in der Zeit ab Dezember 1957 und damit
bei Fehlen der Voraussetzungen des § 1303 RVO, von der Beklagten zurückgenommen
werden müßte. Da das LSG eine Rückgängigmachung der Beitragserstattung auch für
diesen Fall unter Bezugnahme auf Entscheidungen des BSG abgelehnt hat, hätte der
Kläger für diese tragende Begründung ebenfalls einen Zulassungsgrund iS von § 160
Abs 2 SGG ordnungsgemäß geltend machen müssen. Auch insoweit läßt die Beschwer-
debegründung jedoch die gebotene Auseinandersetzung mit der einschlägigen Recht-
sprechung des BSG vermissen. Die bloße Behauptung, die Entscheidungen des BSG

- 6 -

vom 11. Juli 1972 (BSG SozR Nr 16 zu § 1232 RVO) und 9. Dezember 1981 (BSG SozR
2200 § 1303 Nr 23) seien im konkreten Fall nicht einschlägig, reicht insoweit nicht aus,
um einen weiterhin bestehenden Klärungsbedarf zu begründen, zumal das BSG-Urteil
vom 9. Dezember 1981 durch spätere Entscheidungen bestätigt worden ist (vgl BSG
SozR 2200 § 1744 Nr 17; SozR 2200 § 1303 Nr 26; SozR 1300 § 45 Nr 7). Auch hinsicht-
lich der anderen in diesem Zusammenhang vom Kläger hervorgehobenen
Gesichtspunkte wird nicht deutlich, warum sie einer Heranziehung
dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegenstehen sollen.

Schließlich stellen auch die Ausführungen des Klägers zur analogen Anwendung des § 8
Abs 2 SGB VI und zum "Irrtum über die Geschäftsgrundlage" keine hinreichende Be-
schwerdebegründung dar; sie entbehren insbesondere einer näheren Darlegung der Klä-
rungsbedürftigkeit damit zusammenhängender Rechtsfragen.

Da somit Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt worden sind, ist die Beschwerde
als unzulässig zu verwerfen. Dem Kläger bleibt die Möglichkeit, das von ihm bean-
spruchte Recht auf Rückabwicklung der im Jahre 1959 erfolgten Beitragserstattung in ei-
nem Verfahren nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) erneut geltend
zu machen.

Die Verwerfung der Beschwerde des Klägers kann in entsprechender Anwendung des
§ 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen (vgl BSG SozR
1500 § 160a Nrn 1, 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, 13 BJ 207/92 vom 21.01.1993, Bundessozialgericht
BSG SozR 3-1500 § 160 Nr. 8

BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Az.: 13 BJ 207/92

Klägerin und Beschwerdegegnerin,

Prozeßbevollmächtigte

gegen

Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken,
Bayreuth 2, Wittelsbacherring 11,

Beklagte und Beschwerdeführerin.

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21. Januar 1993 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. G. und die Richter Dr. W.
und Dr. L. sowie den ehrenamtlichen Richter
Freiherr von B. und die ehrenamtliche Richterin
G.

beschlossen:

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil
des Bayerischen Landessozialgerichts vom 2. Juni 1992 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Beschwerde-
verfahren zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

lm Ausgangsverfahren ist die Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs auf
die wiederaufgelebte Witwenrente der Klägerin streitig.

Die 1940 geborene Klägerin bezog nach dem Tode ihres ersten Ehemannes bis zu
ihrer Wiederheirat Witwenrente von der Beklagten. Die zweite Ehe wurde geschie-
den, nachdem sich die Klägerin einem anderen Mann zugewandt hatte und aus
der ehelichen Wohnung ausgezogen war. Im Scheidungsverfahren verzichteten die
Klägerin und ihr zweiter Ehemann wechselseitig auf nachehelichen Unterhalt.

Auf die der Klägerin gewährte, wiederaufgelebte Witwenrente rechnete die Be-
klagte mit Bescheid vom 7. August 1989 einen Unterhaltsanspruch der Klägerin
gegen den zweiten Ehemann an. Der nach erfolglosem Widerspruch (Wider-
spruchsbescheid der Beklagten vom 21. Februar 1990) erhobenen Klage gab das
Sozialgericht (SG) Nürnberg statt. Durch Urteil vom 30. April 1991 verpflichtete
es die Beklagte, die Witwenrente ohne Anrechnung von Unterhaltsansprüchen zu
gewähren. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Nach dem Urteil des
Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 2. Juni 1992 läßt sich ein anrechen-
barer Unterhaltsanspruch der Klägerin, der hier nach § 1579 Nr 6 des Bürgerli-
chen Gesetzbuches (BGB) wegen ihres ehewidrigen Verhaltens ausgeschlossen
sei, auch nicht im Hinblick darauf unterstellen, daß die Klägerin ihn durch eigenes
Verschulden verwirkt habe. Es gebe nach Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes
1972 (RRG 1972) im Gesetz keinen Anknüpfungspunkt mehr für die Herstellung
eines Zusammenhanges zwischen ehelichem oder nachehelichem Fehlverhalten in
der zweiten Ehe und dem Anspruch auf wiederaufgelebte Witwenrente.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Beklagte im wesentlichen eine
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Die entscheidungserhebliche
Frage, ob ein wegen groben ehelichen Fehlverhaltens vor der Scheidung verwirk-
ter Unterhaltsanspruch gegen den zweiten Ehemann auf die wiederaufgelebte Wit-
wenrente nach dem ersten Ehemann angerechnet werden kann, sei klärungsbe-
dürftig.

- 3 -

II

Die Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet.

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Abweichung, Verfahrensman-
gel - zugelassen werden. Die Beklagte beruft sich sowohl auf eine grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache als auch auf eine Abweichung von einer Entscheidung
des Bundessozialgerichts (BSG). Damit kann sie keinen Erfolg haben.

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist eine Rechtssa-
che, wenn sie eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art aufwirft, die klärungsbedürftigist. Die Frage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz be-
antworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ent-
schieden sein (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 4). Diese Voraussetzung erfüllt die
von der Beklagten herausgestellte Frage nicht. Das BSG hat diese Frage zwar
noch nicht ausdrücklich entschieden, es sind jedoch zur Auslegung vergleichbarer
Regelungen schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen, die ausreichende
Anhaltspunkte zu ihrer Beantwortung geben (vgl allgemein Kummer, Die Nichtzu-
Iassungsbeschwerde, 1990, RdNr 117). Dabei ist mit dem Bundesverfassungs-
ericht (BVerfG) davon auszugehen, daß die Wiederauflebensregelung im Sozial-
versicherungsrecht mit den entsprechenden Bestimmungen im Beamten- und
Kriegsopferversorgungsrecht vergleichbar ist, weil hier das gleiche familienpoliti-
sche Problem vom Gesetzgeber übereinstimmend gelöst worden ist (vgl
BVerfGE 38, 187, 203 ff, 205). Mithin kann die zu den anderen Rechtsgebieten
vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung auch für die Beurteilung der An-
rechnung von (fiktiven) Unterhaltsansprüchen im Rahmen des § 1291 Abs 2
Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) herangezogen werden. Insofern ist
zu beachten, daß nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
(BVerwG) vom 25. Januar 1961 (BVerwGE 11, 350) das Witwengeld der wieder-
verheirateten Beamtenwitwe nach der Scheidung der zweiten Ehe auch dann wie-
derauflebt, wenn die Ehegatten eigens zu diesem Zweck die Scheidung betrieben
haben. In solch einem Fall dürfen selbst tatsächliche Zuwendungen des geschiede-
nen zweiten Ehemannes, auf die kein Anspruch besteht, nicht den in der Wieder-
auflebensregelung behandelten Unterhaltsansprüchen gleichgestellt und wie diese
auf das Witwengeld angerechnet werden (vgl BVerwGE 11, 350, 354). Dieser

- 4 -

Rechtsprechung hat sich das BSG bereits für den Bereich der Kriegsopferversor-
gung angeschlossen. In seinem Urteil vom 2. Oktober 1975 hat es ausgeführt,
daß der Anspruch auf Witwenversorgung seit Inkrafttreten des RRG 1972 umso
sicherer, ungefährdeter und vollständiger - nämlich ohne Anrechnung etwaiger
Unterhaltsansprüche - wiederauflebt, wenn die Ehe aus dem Alleinverschulden der
Frau geschieden worden ist (vgl BSGE 40, 260, 262 = SozR 3100 § 44 Nr 5
Seite 14). Da keine Gesichtspunkte ersichtlich sind, warum diese Beurteilung nicht
auch in der gesetzlichen Rentenversicherung Geltung beanspruchen kann, ist
insofern keine weitere höchstrichterliche Klärung erforderlich.

Auch die gerügte Abweichung des LSG von dem Urteil des BSG vom 25. Mai
1971 (BSG SozR Nr 31 zu § 1291 RVO) liegt nicht vor (vgl § 160 Abs 2 Nr 2
SGG). Denn die letztgenannte Entscheidung ist zu der alten, durch das RRG 1972
geänderten Fassung des § 1291 RVO ergangen. Zwar ist der Wortlaut der An-
rechnungsbestimmung selbst gleichgeblieben, jedoch wird deren Auslegung durch
den Wegfall der Verschuldensklausel in der Wiederauflebensregelung entscheidend
beeinflußt (vgl BSGE 40, 260, 264 = SozR 3100 § 44 Nr 5 Seite 16).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193
SGG.

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BSG, 12/11 BA 116/75 vom 02.03.1976, Bundessozialgericht
SozR 1500 § 160 Nr 17

Bundessozialgericht

12/11 BA 116/75

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Kläger und Beschwerdeführer

gegen

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte,

Berlin 57, Ruhrstreße 2,

Beklagte und Beschwerdegegnerin„

Der 12. Senat des Bundessczielgerichts hat am 2. März
1976 durch den Vorsitzenden Richter Dr. H.
und die Richter Dr. F. und
O. beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin
vom 16 Juli 1975 wird als unzulässig verworfen.

Anßergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens
haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers_ist als unzu-
lässig zu verwerfen (§ 169 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Da der Kläger seine Nichtzulassungsbeschwerde allein auf
den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 160 Abs.2 Nr. 1 SGG) stützt, hätte er in
der Beschwerdebegründung hinreichend die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache darlegen müssen (§ 160 a Abs. 2
Satz 3 SGG. Das ist nicht geschehen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat es, wie bereits die
Beklagte und das Sozialgericht (SG), abgelehnt, dem Kläger
auf dessen Antrag gemäß Art. 2 § 49 a Abs. 2 des Ange
stelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes zu gestatten,
freiwillige Beiträge (§ 40 des Angestelltenversicherungs-
gesetzes -AVG-) für die Zeiten vom 1. Januar 1956 an bis
31. Dezember 1973 nachzuentrichten. Die Voraussetzungen
der Nachentrichtung hat das LSG damit verneint, der
Kläger habe weder seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik
Deutschland, da er seit Jahrzehnten in den Vereinigten
Staaten von Amerika lebe, noch sei er Deutscher i.S. des
Art. 116 Abs. 4 des Grundgesetzes, da er seit 1944 ameri-
kanischer Staatsbürger sei. Die Nachentrichtung sei auch
nicht auf Grund der in Art. IV Abs. 2 des Freundschafts-,
Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der Bundes-
republik Deutschland und den Vereinigten Staaten von
Amerika vom 29. Oktober 4954 verfügten Inländerbehand-
lung gerechtfertigt„ Nach dem eindeutigen Wortlaut und
dem Sinn dieser Vorschrift erstrecke sich diese Inländer-
behandlung nur auf Leistungen. Die in Abs. 4 des Art. IV
genannten "anderen Vorteile" seien in Abs. 2 ausdrücklich

- 3 -

nicht erwähnt. Der Bundesminister für Arbeit (BMA) habe in
seinem Erlaß vom 10 Oktober 1956 (abgedruckt in: Deutsche
Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten, XVI
USA, Art. IV des Freundschaftsvertrags, An. 1) in diesem
Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Vorschriften über
die freiwillige Versicherung (§ 21 AVG damaliger Fassung)‘
durch den Vertrag nicht berührt würden, weil Art, IV die
Gleichbehandlung nur in bezug auf die innerstaatlichen Vor-
schriften vorschreibe, die Leistungen aus der Sozialversi-
cherung oder der Arbeitslosenversicherung vorsehen. Das
Recht auf Selbstversicherung stelle jedoch keine Leistung·
dar.

Der Kläger möchte der Sache deshalb grundsätzliche Bedeutung
beimessen, weil das Bundessozialgericht bisher über die
Auslegung des Art. IV Ab. 2 des Freundschaftsvertrages im
Hinblick auf das Recht der Selbstversicherung noch nicht
entschieden habe, eine solche Entscheidung aber für eine
Unzahl gleichgelagerter Fälle bedeutsam sei. Der Vertrags-
text des Art. IV Abs. 2 des Vertrages sei nicht so eindeu-
tig, daß sich bereits von vornherein die Rechtsfrage nicht
stelle. Wie er näher ausführt, hält er die Inländerbehand-
lung auch bei der Anwendung des Rechts zur Selbstversiche-
rung für zulässig.

Diese Ausführungen des Klägers entsprechen nicht den Anfor-
derungen an die dem Beschwerdeführer obliegende Pflicht,
die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen
(§ 460 a Abs. 2 Satz 5 SGG). Eine Rechtsfrage hat u.a. nur
dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie klärungsbedürftig
ist. Dies ist aber regelmäßig dann zu verneinen, wenn
- wie hier - die Beantwortung der Rechtsfrage so gut wie
unbestritten ist (Weyreuther, Revisionszulassung und Nicht-
zulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten
Bundesgerichte, NJW-Schriften 14, RdNr. 65 mit weiteren Hin-

- 4 -

weisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung). Der Kläger
hätte daher, um die Ausnahme darzutun, im einzelnen darlegen
müssen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen
Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten und inwie-
fern sie im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist. Zu
einer solchen Darlegung mußte sich der Kläger im vorliegenden
Fall schon deshalb gedrängt fühlen, weil sich das LSG in seiner -
Begründung noch ausdrücklich auf den gegen die Auffassung des ·
Klägers sprechenden, den Inhalt des Vertrages klarstellenden
Erlaß des BMA vom 10. Oktober 1956 gestützt hat. Auf den Er-
laß ist der Kläger aber überhaupt nicht eingegangen. Das·wäre
jedoch erforderlich gewesen. Bei der Auslegung von Sozial-
versicherungsabkommen - hier des Freundschaftsvertrages - ist
nämlich die Auffassung des beim Zustandekommen eines solchen
Abkommens beteiligten Fachministers wegen dessen Kenntnis der
Zusammenhänge und der mit dem Abkommen verbundenen Verstellun-
gen beider Vertragsteile von nicht geringer Bedeutung.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des
§ 195 SGG.

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Dienstag, 5. Mai 2015
BSG 11 RAr 89/94 vom 30.11.1994, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT


Beschluß

in dem Rechtsstreit

Az: 11 RAr 89/94

Kläger, Antragsteller
und Revisionsführer,
Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit,
Nürnberg, Regensburger Straße 104
Beklagte, Antragsgegnerin
und Revisionsbeklagte.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat am 30. November 1994 durch den
Vorsitzenden Richter S. , die Richterin Dr. W. - S. und
den Richter Lüdtke
beschlossen:

Der Antrag des Klägers, ihm für die Revision gegen das Urteil des Hessischen Landes-
sozialgerichts vom 17. Dezember 1993 Prozeßkostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwalt
Dr. B. beizuordnen, wird abgelehnt.

- 2 -


Gründe:


Die Revision betrifft einen Anspruch auf Überlassung von Ablichtungen aus den den
Kläger betreffenden Verwaltungsakten der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA).
Der Kläger war bis 1980 als Diplom-Ingenieur und Filialleiter beschäftigt. Seit Mai 1980
begehrt er von der BA die Vermittlung in eine Stellung als Generalmanager. Seither ist es
zu einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten zwischen den Beteiligten gekommen. Der
Kläger argwöhnt, zu einer entsprechenden Vermittlung sei es wegen der fachlich unzu-
reichenden und gegen ihn persönlich voreingenommenen Vermittlungstätigkeit des
Bediensteten Gerd L beim Büro für Führungskräfte der Wirtschaft der BA nicht ge-
kommen. Den auch mit der Revision verfolgten Antrag, "dem Kläger Ablichtungen sämt-
licher Bewertungen, Beschreibungen, Charakterisierungen und ähnlicher Aktenvermerke
zu überlassen, die Herr L in dem Zeitraum von Dezember 1980 bis Dezember
1991 über ihn abgegeben bzw gefertigt hat", hat die BA abgelehnt (Bescheid vom
19. März 1987; Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 1988). Die dagegen gerichtete Klage
hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 3. Dezember 1991 abgewiesen. Zur
Begründung ist ausgeführt, die BA habe den Kläger auf die Akteneinsicht verweisen
dürfen. Nach § 25 Abs 5 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) sei die BA
lediglich verpflichtet, dem Kläger im Rahmen der Akteneinsicht Ablichtungen von durch
ihn genau (mit Blattzahl oder Datum) bezeichneten Aktenteilen zu erteilen. Die gegen
dieses Urteil gerichtete Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) als unzulässig
verworfen.


Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter.

II

Die zur Durchführung der Revision nachgesuchte Prozeßkostenhilfe und Beiordnung
seines Prozeßbevollmächtigten steht dem Kläger nicht zu, denn seine Rechtsverfolgung
hat nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ;
§ 114 Satz 1 Zivilprozeßordnung .


1. Entscheidend für die Beurteilung der Erfolgsaussicht ist nicht das voraussichtliche
Ergebnis des Revisionsverfahrens, sondern eine Aussicht auf Erfolg in der Sache selbst.
Dies ergibt sich aus Wortlaut und Zweck der §§ 114 Satz 1, 119 Satz 2 ZPO, auf die
§ 73a Abs 1 SGG Bezug nimmt. Die Prozeßkostenhilfe soll wirtschaftlich unbemittelten
Prozeßbeteiligten annähernd gleichen Zugang zu den Gerichten gewähren wie denjeni-


- 3 -

gen, die die dafür erforderlichen Kosten selbst aufbringen können. Die Gleichstellung ist
nur soweit geboten, als ein wirtschaftlich denkender, die Prozeßaussichten vernünftig ab-
wägender Prozeßbeteiligter das verfahrensrechtliche Kostenrisiko in Kauf nehmen würde
(BVerfGE 81, 347, 356 ff = NJW 1991,413 f; BGH NJW 1994,1160 f mwN). Aus alledem
folgt für den hier zu beurteilenden Sachverhalt, daß die Zulassung der Revision durch den
Senat noch nicht die hinreichende Aussicht auf Erfolg für den vom Kläger geltend ge-
machten Anspruch begründet. Der Senat hat die Revision allein deswegen zugelassen,
weil der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde eine Abweichung des LSG von
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in einer den Zugang zum Berufungs-
rechtszug betreffenden Frage bezeichnet hat. Bei dieser Verfahrenslage besteht aber die
Möglichkeit, daß der Kläger mit der Klage keinen Erfolg haben wird, weil der Senat auf-
grund des festgestellten Sachverhalts eine abschließende Entscheidung zum Nachteil des
Klägers fällt oder das LSG im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache im
Ergebnis gleichsinnig entscheiden wird. Ein solches Ergebnis ist im vorliegenden Falle
absehbar, weil sich für den geltend gemachten Anspruch eine rechtliche Grundlage nicht
wird feststellen lassen.


2. Das Begehren des Klägers, ihm Ablichtungen aus den Verwaltungsakten zu über-
lassen, die die BA nach abstrakten Vorgaben des Klägers konkretisiert, unterliegt durch-
greifenden materiell-rechtlichen Bedenken. Der Kläger wird voraussichtlich keinen Erfolg
haben, weil für sein Anliegen, ihm nach abstrakten Merkmalen abzugrenzende Aktenteile
abgelichtet zur Verfügung zu stellen, eine gesetzliche Grundlage nicht ersichtlich ist.

In Betracht zu ziehen ist hierfür allein § 25 Abs 5 SGB X. Nach dieser Vorschrift können
die Beteiligten Auszüge oder Abschriften selbst fertigen oder sich Ablichtungen durch die
Behörde erteilen lassen, soweit die Akteneinsicht zu gestatten ist. Wortlaut, systemati-
scher Zusammenhang und Zweck der Vorschrift stützen den geltend gemachten An-
spruch nicht. Sie begründet zwar einen Anspruch auf die Erteilung von Ablichtungen, die
die Behörde herstellt, soweit der Anspruch auf Akteneinsicht reicht. In diesen Grenzen
besteht der Anspruch auf Erteilung von Ablichtungen alternativ zu der eigenen Anfertigung
von Aktenauszügen oder Abschriften. Er ergänzt den Anspruch auf Akteneinsicht, indem
er dem Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit einräumt, das Ergebnis der Akteneinsicht
zur weiteren Verwendung zu fixieren. Ist der Anspruch auf Erteilung von Abschriften aber
darauf gerichtet, das Ergebnis eigener Akteneinsicht durch den Verfahrensbeteiligten
festzuhalten, setzt er die Akteneinsicht, die die BA dem Kläger angeboten hat, und die
genaue Bezeichnung der Aktenteile durch den Verfahrensbeteiligten voraus, die abge-
lichtet werden sollen. In ihrem Schriftsatz an das SG vom 31. August 1988 hat die BA er-
klärt, daß sie auch bereit sei, einem in solcher Weise bezeichneten Antrag gegen
Kostenerstattung zu entsprechen. Den erörterten Anforderungen genügt der Antrag des
Klägers nicht, denn er gibt der BA nur abstrakt generelle Merkmale für Aktenteile vor, von
denen er Ablichtungen beansprucht. Dies führt dazu, daß die Akteneinsicht nicht vom


- 4 -

Kläger vorgenommen wird, sondern der BA die Aktendurchsicht und die Prüfung des
Akteninhalts nach den vom Kläger vorgegebenen Merkmalen zugemutet wird. Einen An-
spruch auf eine derartige Leistung der BA begründet aber § 25 Abs 5 SGB X nicht. Zwar
ist die Akteneinsicht im Verfahren der Sozialleistungsträger nicht begrenzt, "soweit durch
sie die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Behörde beeinträchtigt würde" (vgl
§ 29 Abs 2 Verwaltungsverfahrensgesetz . Eine entsprechende Regelung des
Regierungsentwurfs zum SGB X wurde gestrichen, um "eine notwendige Anpassung an
die speziellen Bedürfnisse der Sozialleistungsverwaltung" vorzunehmen (Hauck/Haines,
Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren und Schutz der Sozialdaten -
Kommentar, § 25 RdNr 4). Daraus läßt sich aber eine Auslegung des § 25 Abs 5 SGB X
im Sinne der Revision nicht herleiten. Abgesehen von den erörterten Grenzen des An-
spruchs auf Erteilung von Ablichtungen enthielte ein dem Antrag des Klägers entspre-
chendes Vorgehen die Gefahr weiterer Streitigkeiten zwischen den Beteiligten. Dies gilt
um so mehr, als der Kläger ohnehin argwöhnt, ihm würden von der BA Aktenteile vorent-
halten. Im übrigen gibt der Rechtsstreit Anlaß zu dem Hinweis, daß auch das Recht, Ab-
lichtungen von Aktenbestandteilen zu verlangen, seinem Umfang nach durch die allge-
meinen Grundsätze zulässiger Rechtsausübung (§§ 226, 242 BGB) begrenzt wird.


3. Da dem Kläger ein Anspruch auf Ablichtungen in der beantragten Form nicht zusteht
und die Beklagte ihm Akteneinsicht einräumt, kommt es für die Entscheidung nicht darauf
an, ob der Kläger ein Recht auf Akteneinsicht nach § 25 Abs 1 SGB X hat, das Voraus-
setzung für den Anspruch auf Erteilung von Ablichtungen nach § 25 Abs 5 SGB X ist.
Auch gegenüber einem Anspruch des Klägers auf Akteneinsicht bestehen hier allerdings
Bedenken.


Der Gesetzgeber hat den Grundsatz der Aktenöffentlichkeit für Verfahrensbeteiligte nicht
unumschränkt eingeführt. Grundsätzlich besteht ein Recht auf Akteneinsicht für Verfah-
rensbeteiligte - unter weiteren noch zu erörternden Voraussetzungen und Einschränkun-
gen - nur für Beteiligte während eines Verwaltungsverfahrens. Begriff und Dauer des
Verwaltungsverfahrens sind dabei nach überwiegender Ansicht §§ 8, 18 SGB X zu ent-
nehmen. Unter Verwaltungsverfahren ist nach § 8 SGB X nur eine Behördentätigkeit zu
verstehen, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlaß
eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages
gerichtet ist. Aus dieser Begrenzung ist der Schluß gezogen worden, die Vorschriften des
2. Abschnittes (§§ 8 bis 30 SGB X) seien nicht auf eine Verwaltungstätigkeit zu beziehen,
die - hier nicht einschlägig - auf den Erlaß von autonomen Rechtssätzen oder allgemeinen
Verwaltungsvorschriften oder - wie hier - das schlichte Verwaltungshandeln gerichtet ist
(Hauck/Haines aaO § 8 RdNr 11; Kommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenver-
sicherung - Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren , § 8 SGB X RdNr 5 - Stand Juli 1989 -; Krause/von Mutius/Schnapp/Siewert,
Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren, 1991, § 8


- 5 -

RdNr 10). Die auf die Arbeitsvermittlung des Klägers gerichtete Tätigkeit der BA ist aber
nicht auf Erlaß eines Verwaltungsaktes oder Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertra-
ges gerichtet, sondern schlichtes Verwaltungshandeln (Gagei, AFG, § 13 RdNr 20), so
daß für diesen Tätigkeitsbereich ein Recht des Klägers auf Akteneinsicht nach § 25 Abs 1
8GB X nicht begründet ist. Diesen Rechtszustand hat allerdings schon die Begründung
des Regierungsentwurfs zu dem insoweit übereinstimmenden § 29 Abs 1 VwVfG (= § 25
des Entwurfs) für unbefriedigend gehalten (BT-Drucks 7/910 S 52). Ob gegenüber der
Absicht des Gesetzgebers, die Akteneinsicht zu begrenzen, eine erweiternde Auslegung
in Betracht kommt, ist hier nicht zu entscheiden. Die Begrenzung des Anspruchs auf
Akteneinsicht kann einer "Justifizierung" des schlichten Verwaltungshandelns im Bereich
der 8ach- und Dienstleistungen entgegenwirken und damit der Effizienz der Verwaltung
dienen (so Hauck/Haines aaO § 8 RdNr 11). Die praktischen Folgen der gesetzlichen
Regelung lassen sich aber dadurch mildern, daß sie nicht als abschließende Regelung
verstanden wird, so daß es im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltung steht, darüber
zu befinden, ob sie auch im Bereich des schlichten Verwaltungshandelns Akteneinsicht
gewährt (BT-Drucks aaO; BVerwGE 61, 15, 22). Dem hat die BA entsprochen, indem sie
dem Kläger die Möglichkeit eröffnet hat, Akteneinsicht zu nehmen. Der Kläger hat jedoch
von der ihm gebotenen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, so daß er nicht in der
Lage war, die für Ablichtungen in Betracht kommenden Aktenteile zu bezeichnen.


Problematisch ist im zu beurteilenden Falle auch, ob die Akteneinsicht dem Kläger Kennt-
nis zur Geltendmachung oder Verteidigung seiner rechtlichen Interessen verschaffen soll,
wie es § 25 Abs 18GB X für das Recht auf Akteneinsicht erforderlich macht. Die
behaupteten Zweifel an der Qualifikation und Neutralität eines Bediensteten der BA dürf-
ten allein nicht ausreichen, um ein rechtliches Interesse iS des § 25 Abs 18GB X zu
begründen. Der Begriff des rechtlichen Interesses ist enger als derjenige des berechtigten
Interesses. Ein rechtliches Interesse ist nur gegeben, wenn die Akteneinsicht darauf ge-
richtet ist, tatsächliche Unsicherheiten über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich
relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu regeln oder eine ge-
sicherte Grundlage für die Verfolgung eines Anspruchs zu erhalten (vgl BT-Drucks 7/910
8 53). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Kenntnis von früheren Äußerungen eines
Bediensteten der BA für das rechtliche Interesse des Klägers an einer Arbeitsvermittlung
von Bedeutung sein soll. Denkbar wäre allerdings, daß die Akteneinsicht tatsächliche
Grundlagen für vermeintliche Schadensersatzansprüche gegen die BA oder einen ihrer
Bediensteten zutage fördern soll. Die BA hat dem Kläger Akteneinsicht und damit die
Möglichkeit eröffnet, seine Interessen wahrzunehmen. Damit ist auch dem Gedanken des
rechtlichen Gehörs Rechnung getragen (Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/
Wiesner/von Wulffen, SGB X, 2. Aufl 1990, § 25 Anm 2).


Zweifelhaft ist schließlich, ob sich ein Recht auf Akteneinsicht nach § 25 Abs 18GB X auf
sämtliche vom Kläger allgemein umschriebenen Aktenbestandteile erstrecken könnte.


- 6 -


Nach Satz 2 der Vorschrift erstreckt sich die Akteneinsicht nicht auf Arbeiten zur unmittel-
baren Vorbereitung einer Entscheidung. Darunter dürfte wegen des sachlichen Zusam-
menhangs der Regelung nur ein Verwaltungsakt oder eine Erklärung zu einem öffentlich-
rechtlichen Vertrag zu verstehen sein. Darum geht es bei der Arbeitsvermittlung - wie
ausgeführt - nicht. Im Rahmen einer Ermessensentscheidung der BA über die Bewilligung
von Akteneinsicht wäre aber der Rechtsgedanke des § 25 Abs 1 Satz 2 SGB X als eine
dem Zweck der Ermächtigung entsprechende Ermessenserwägung (§ 39 Abs 1 SGB I)
geeignet, die Akteneinsicht sinnvoll zu begrenzen. Die Beschränkung der Akteneinsicht
nach § 25 Abs 1 Satz 2 SGB X soll nämlich dazu dienen, nicht abschließend durchge-
arbeitete Entwürfe als Interna zu behandeln. Damit sollen letztlich unergiebige
Streitigkeiten vermieden werden. Bereits im Regierungsentwurf zum VwVfG wird auf die
"totale Aktentransparenz" als Gefahr für die Qualität des Verwaltungshandelns
hingewiesen (vgl BT-Drucks 7/910 S 53).


4. Da dem Kläger Prozeßkostenhilfe schon deshalb nicht zusteht, weil ein Anspruch auf
Erteilung von Ablichtungen nach § 25 Abs 5 SGB X nur bei genauer Bezeichnung der in
Betracht kommenden Aktenbestandteile in Betracht kommt, hat der Senat nicht zu prüfen,
ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung mutwillig erscheint. Dies ist der Fall, wenn Rechte
von einer wirtschaftlich denkenden Partei nicht in dieser Weise verfolgt würden. Da der
Kläger von dem Angebot der BA, Akteneinsicht zu nehmen und genau bezeichnete Ab-
lichtungen zu verlangen, nicht Gebrauch gemacht hat, kann der Eindruck entstehen, ihm
komme es weniger auf die Kenntnis der Akten als vielmehr darauf an, seinen Willen
gegenüber der BA durchzusetzen. Ein solcher Standpunkt enthielte den die Bewilligung
von Prozeßkostenhilfe ausschließenden Mutwillen iS des § 114 Satz 1 ZPO.

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BSG 11 RAr 71/91 vom 10.12.1991, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: 11 RAr 71/91

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit,

Nürnberg, Regensburger Straße 104,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am

10. Dezember 1992 durch die Richterin Dr. W.
- als Vorsitzende -, die Richter L. und Prof. Dr. B. sowie die ehrenamtlichen
Richter H. und E. für Recht erkannt

:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom

19. Juli 1991 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage als unzulässig

abgewiesen wird.

- 2 -

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu
erstatten.

- 3 -

Gründe:

I

Die Revision betrifft die uneingeschränkte Einsicht in die schriftlichen Vermitt-
lungsvorgänge der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) bei der beklagten
Bundesanstalt (BA).

Der seit 1980 arbeitslose Kläger beantragte 1982 die Vermittlung durch das Büro für
Führungskräfte der Wirtschaft (BFW) bei der ZAV. In der Folgezeit kam es zu zahlreichen
Prozessen, wobei der Kläger unzureichende bzw unzulässige Vermittlungsbemühungen
von Beamten der ZAV rügte. Am 27. Mai 1983 erhob er Klage vor dem Sozialgericht (SG)
Frankfurt/Main - S-1/Ar-404/83 - und verlangte von der BA Auskunft darüber, mit welchen
Unternehmen und mit welchem Vermittlungsziel die Beklagte am 24. Juni 1981,
24. Februar 1982, 1. März 1982 und 10. Mai 1982 über ihn gesprochen habe. Dieses
Verfahren endete im September 1992 mit einem angenommenen Anerkenntnis, mit
welchem die BA sich verpflichtete, das Auskunftsverlangen des Klägers im
Widerspruchsverfahren sachlich zu bescheiden.

Während des Verfahrens vor dem SG Frankfurt/Main - S-1/Ar-404/83 - beantragte der
Kläger Einsicht in die ihn ab 1. Juni 1980 betreffenden Vermittlungsakten der BA. Diese
kam dem Anliegen des Klägers weitgehend nach, beschränkte aber die Akteneinsicht,
indem sie dem Kläger auf der Bewerberangebotskarte (B/Ank) Feld J und in Band II auf
Blatt 72 zur Geheimhaltung personenbezogener Daten Dritter die dort enthaltenen
Firmennamen vorenthielt.

Mit der am 4. Oktober 1983 erhobenen Klage machte der Kläger die uneingeschränkte
Akteneinsicht geltend. Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil SG Frankfurt/Main
vom 2. Dezember 1988; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Juli
1991). Das LSG bewertete ein Schreiben der BA an den Kläger vom 23. September 1983
und den Schriftsatz vom 15. März 1984 als uneingeschränkte Akteneinsicht ablehnende

Verwaltungsakte und die Klageerwiderung vom 8. November 1983 als
Widerspruchsbescheid, verneinte jedoch einen Anspruch auf Akteneinsicht.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die bloße Weigerung
von zwei unbekannt gebliebenen Unternehmen, ihre Namen zu verlautbaren, reiche zur
Beschränkung der Akteneinsicht nicht aus. Vielmehr komme es auf deren berechtigte
Interessen an. Die Offenbarung personenbezogener Daten sei zur Erfüllung sozialer
Aufgaben zulässig. Zu diesen gehörten auch die Pflichtaufgaben der BA. Der
Arbeitsuchende müsse die Möglichkeit haben nachzuprüfen, ob die BA den
Vermittlungsaufgaben im gesetzlichen Rahmen nachgekommen sei. Die Beschränkung

- 4 -

der Akteneinsicht dürfe nicht dazu dienen, vom Kläger wiederholt angekündigte
Amtshaftungsansprüche zunichte zu machen. Hinter diesem Interesse des Klägers hätten
die mit nicht näher konkretisierten "grundsätzlichen Erwägungen" begründeten Interessen
der Unternehmen zurückzutreten. Im übrigen seien die Unternehmen notwendig
beizuladen, weil es auf eine Abwägung der Interessen des Klägers und der Unternehmen
ankomme. Ihre Namen würden damit im Verfahren ohnehin offenbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Juli 1991 und das Urteil
des Sozialgerichts Frankfurt vom 2. Dezember 1988 sowie die Bescheide der
Beklagten vom 23. September 1983, 8. November 1983 und 15. März 1984 zu
ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unbeschränkte, vollständige
Akteneinsicht in die über ihn geführten Verwaltungsakten, insbesondere Band II
Blatt 72 und Bewerberkarteifeld J einschließlich der eingetragenen Firmennamen
zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

II

Im Einverständnis mit den Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung durch
Urteil entschieden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ).

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg, denn das Urteil des LSG beruht nicht auf
einer ihn beschwerenden Gesetzesverletzung (§ 170 Abs 1 SGG). Die auf vollständige
Akteneinsicht gerichtete Klage ist unzulässig.

Nach § 44a Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) können Rechtsbehelfe gegen
behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung
zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Der Rechtsgedanke dieser
unmittelbar nur im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten geltenden Norm ist auch im
sozialgerichtlichen Verfahren zu beachten. Es handelt sich nämlich um einen
Rechtsgedanken des allgemeinen Verfahrensrechts, das Verwaltungsverfahren nicht
durch die isolierte Anfechtung von einzelnen Verfahrenshandlungen zu verzögern oder zu
erschweren. Das Bundessozialgericht (BSG) hat deshalb § 44a Satz 1 VwGO wiederholt
herangezogen, zumal in § 172 Abs 2 SGG in vergleichbarem Zusammenhang der gleiche

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Rechtsgedanke zum Ausdruck gekommen ist (BSG SozR 1500 § 144 Nr 39; BSG SozR
3-1500 § 144 Nr 3 mwN). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.

Die Entscheidung der BA über die Begrenzung der Akteneinsicht ist eine behördliche
Verfahrenshandlung in dem auf Auskunftserteilung gerichteten Verwaltungsverfahren. Die
BA hat über den geltend gemachten Auskunftsanspruch - wie in dem Verfahren vor dem
SG Frankfurt/Main - S-1/Ar-404/83 - von ihr anerkannt - eine rechtsmittelfähige
Entscheidung zu treffen. Auskunftsanspruch und Akteneinsicht sind auf den gleichen
Gegenstand - die Namen von zwei Unternehmen - gerichtet. Auch wenn es sich um
prozeßrechtlich zu unterscheidende Streitgegenstände handelt, stimmt der Klagegrund
beider Verfahren überein. Unabhängig von der Regelung des § 44a Satz 1 VwGO ist
deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis für eine gesonderte Anfechtbarkeit der Entscheidung
über die Beschränkung der Akteneinsicht nicht ersichtlich.

Eine Verletzung des Rechts des Klägers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art 19 Abs 4
Grundgesetz ) ist bei dieser Sach- und Rechtslage nicht zu befürchten (vgl dazu:
BVerfG SozR 3-1300 § 25 Nr 1 = NJW 1991, 415). Der Rechtsschutz des Klägers wäre
wirkungsvoller durchzuführen gewesen, wenn er nicht durch die Gleichzeitigkeit
verschiedener Verfahren mit dem gleichen Ziel behindert worden wäre (vgl auch: BSG
SozR 15OO § 144 Nr 39).

Die Revision des Klägers kann nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

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BSG 11 RAr 61/97 vom 17.12.1997, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Verkündet am

17. Dezember 1997

Urteil
in dem Rechtsstreit

Az: 11 RAr 61/97

Klägerin und Revisionsklägerin,
Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit,
Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Dezember 1997 durch den Vorsitzenden Richter S. , die Richterin
Dr. W. und den Richter L. sowie die ehrenamtlichen
Richter D. und B. für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom
21. März 1997 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entschei-
dung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

- 2 -

Gründe:

I

Der Rechtsstreit betrifft die Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg), welches die beklagte
Bundesanstalt (BA) dem früheren Arbeitnehmer der Klägerin Kurt J. (J) in der Zeit vom
23. September 1994 bis 30. Juni 1995 gezahlt hat.

Die Klägerin schloß im Rahmen eines Sozialplans mit ihrem am 27. April 1935 geborenen
Arbeitnehmer J einen Aufhebungsvertrag vom 30. Dezember 1993, mit welchem das Ar-
beitsverhältnis - nach den Feststellungen des LSG - gegen Zahlung einer Abfindung von
4.000,00 DM zum 30. Juni 1994 beendet wurde. J war seit dem 26. März 1965 - zuletzt
als Meister - bei der Klägerin beschäftigt. Er meldete sich am 7. Juni 1994 arbeitslos und
beantragte Alg. Die BA bewilligte die Leistung von einer Sperrzeit vom 1. Juli bis
22. September 1994 ausgehend ab 23. September 1994 in Höhe von 625,20 DM wö-
chentlich. J hatte die Möglichkeit in Anspruch genommen, das Alg unter erleichterten
Voraussetzungen zu beziehen. Seit dem 1. Juli 1995 erhält er Altersrente wegen Arbeits-
losigkeit.

Mit einem vorgedruckten Schreiben eröffnete die BA der Klägerin im Januar 1995, sie be-
absichtige die Erstattung des an J gezahlten Alg von der Klägerin zu verlangen und er-
läuterte die Befreiungstatbestände des § 128 Abs 1 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz
(AFG). Die Klägerin erhob in einem Schreiben vom 14. Februar 1995 Einwände gegen die
Erstattung, die sich insbesondere auf die Sachaufklärung von anderweitigen sozialrechtli-
chen Ansprüchen des J, die Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung
(Umsatzrückgang) und verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Erstattungsregelung
bezogen.

Mit Bescheid vom 21. Februar 1995 stellte die BA fest, daß die Klägerin verpflichtet sei,
das ihrem früheren Arbeitnehmer J ab 23. September 1994 gezahlte Alg für längstens
624 Tage zu erstatten. Die Klägerin erhob Widerspruch und nahm im gleichen Monat
Einsicht in die Leistungsakten der BA. Am 5. April 1995 errechnete die BA die von der
Klägerin zu erstattenden Leistungen an J für die Zeit vom 23. September 1994 bis
28. Februar 1995 und gab der Klägerin für diesen Zeitraum mit Bescheid vom 6. April
1995 ohne weitere Erläuterung folgende Erstattungsbeträge zur Zahlung auf: Alg
14.046,20 DM (für 136 Leistungstage), Beiträge zur Krankenversicherung 3.522,96 DM,
Beiträge zur Rentenversicherung 3.766,55 DM, gesamter Erstattungsbetrag
21.335,71 DM.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1995 wies die BA den Rechtsbehelf zurück. Zur
Begründung ist ausgeführt, aus den "vorliegenden Unterlagen" und dem Vorbringen der

- 3 -

Widerspruchsführerin ergäben sich keine Anhaltspunkte für Ansprüche auf anderweitige
Sozialleistungen iS der §§ 128 Abs 1 Satz 2 AFG. Zur Befreiung nach § 128 Abs 1 Satz 2
Nr 4 AFG reiche die bloße Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung mit sozialer
Auslauffrist nicht aus. Ein Aufhebungsvertrag sei nicht geeignet, diesen Befrei-
ungstatbestand zu erfüllen. Die von der Klägerin vorgetragenen betriebsbedingten Gründe
reichten für eine Kündigung aus wichtigem Grund bei ordnungsgemäßer Sozialauswahl
nicht aus. Dieses Verständnis des Gesetzes sei verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.

Für den Leistungszeitraum 1. März bis 30. Juni 1995 gab die BA der Klägerin mit Schrei-
ben vom 8. November 1995 Gelegenheit, sich zu einem Erstattungsbetrag von
17.351,57 DM zu äußern, nachdem sie J nochmals zu seinem Gesundheitszustand und
anderweitigen sozialrechtlichen Ansprüchen befragt hatte. Unter dem 6. Dezember 1995
erließ die BA einen weiteren Erstattungsbescheid für die Zeit vom 1. März bis 30. Juni
1995, wobei sie den Erstattungsbetrag von 17.351,57 DM mit 10.748,70 DM Alg für 105
Leistungstage, Beiträge zur Krankenversicherung 2.274,09 DM und Beiträge zur Renten-
versicherung 4.328,78 DM bezifferte. Den der Rechtsbehelfsbelehrung entsprechenden
Widerspruch der Klägerin wies die BA mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1996
zurück, wobei sie sich zur Begründung auf den Bescheid vom 21. Februar 1995 und den
Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1995 berief.

Die gegen die Bescheide vom 21. Februar und 6. April 1995 idF des Widerspruchsbe-
scheids vom 8. Mai 1995 gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil
vom 27. November 1995). Das Landessozialgericht (LSG) hat die hiergegen gerichtete
Berufung zurückgewiesen und die gegen den Bescheid vom 6. Dezember 1995 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 1996 gerichtete Klage abgewiesen.
Das LSG ist davon ausgegangen, der Erstattungsbescheid vom 6. Dezember 1995 idF
des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 sei entsprechend § 96 Sozialge-
richtsgesetz (SGG) kraft Klage Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Sämtli-
che Bescheide seien rechtlich nicht zu beanstanden. Sie beruhten auf § 128 AFG in der
ab 1. Januar 1993 geltenden Fassung, die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht unter-
liege. Die BA sei ohne Verletzung der amtlichen Sachaufklärungspflicht davon ausgegan-
gen, im Leistungszeitraum habe J eine andere Sozialleistung, die den Bezug von Alg aus-
schließe, nicht zugestanden. Für gesundheitliche Einschränkungen des J, die zu Sozial-
leistungen führen könnten, hätten keinerlei Anhaltspunkte bestanden. Befreiungstatbe-
stände, die bei sozial gerechtfertigter Kündigung (§ 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG) oder der
Möglichkeit zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist
oder mit sozialer Auslauffrist (§ 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG) vorlägen, seien nicht gege-
ben. Das Interesse der Klägerin an einer "ausgewogenen Altersstruktur" des Betriebes,
rechtfertige eine entsprechende Anwendung der erwähnten Befreiungstatbestände auch
nicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten. Da J gesundheitlich in der Lage ge-

- 4 -

wesen sei, seine Arbeit fortzusetzen, treffe die Klägerin als Arbeitgeber die die Erstat-
tungspflicht begründende Verantwortung für die Arbeitslosigkeit. Die Klägerin habe auch
nicht nachgewiesen, daß die Erstattung eine unzumutbare Belastung iS des § 128 Abs 2
Nr 2 AFG darstelle, weil sie den Fortbestand des Unternehmens oder die nach dem Per-
sonalabbau verbleibenden Arbeitsplätze gefährde. Immerhin sei sie in der Lage gewesen,
den im Rahmen des Sozialplans ausscheidenden Mitarbeitern Abfindungen zu zahlen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des Art 12
Grundgesetz (GG), des § 128 Abs 1 Satz 2 Nrn 4 und 5 sowie Abs 2 Nr 2 AFG und der
amtlichen Sachaufklärungspflicht. Das Berufungsurteil mit seinem Verständnis des § 128
AFG sei mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit nicht zu vereinbaren. Da das Arbeitsver-
hältnis durch Aufhebungsvertrag geendet habe, hätten beide Arbeitsvertragsparteien von
ihrer Vertragsfreiheit Gebrauch gemacht, so daß die Auflösung des Arbeitsverhältnisses
nicht allein im Verantwortungsbereich der Klägerin liege. Bedenken gegenüber der Er-
stattungspflicht ergäben sich auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit,
denn die gegen Frühverrentungen gerichtete Regelung habe ihren Zweck - wie die Praxis
zeige - nicht erreicht. Trotz langjähriger Beitragsentrichtung seien die Vertragsparteien ei-
nerseits durch die Erstattungspflicht andererseits durch die gleichfalls verfassungswidrige
fiktive Kündigungsfrist des § 117 Abs 2 Satz 4 AFG gehindert, das freiwillig eingegangene
Arbeitsverhältnis zu lösen. Dies führe zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Doppelbe-
lastung. Dieser Gesichtspunkt sei in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) zu § 128 AFG aF unberücksichtigt geblieben. Zu einer verfassungsrechtlich be-
denklichen Risikoverteilung komme es auch durch die Regelung des § 105c AFG. Der mit
der Erstattungspflicht verbundene Eingriff in die Berufsausübung sei nur dann verfas-
sungsgemäß, wenn er in einem vernünftigen Verhältnis zu dem gegebenen Anlaß und
dem ihm verfolgten Zweck stehe. Die Auslegung des § 128 AFG müsse deshalb unbillige
Härten vermeiden. Dem diene eine weite Auslegung der Befreiungstatbestände, insbe-
sondere müßten Aufhebungsverträge Kündigungen iS des § 128 Abs 1 Satz 2 Nrn 4 und
5 AFG gleichgesetzt werden. Da der Arbeitgeber keinerlei Möglichkeiten habe, die Vor-
aussetzungen anderer Sozialleistungen zu prüfen, erstrecke sich die amtliche Sachauf-
klärungspflicht darauf, alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden und rechtlich zulässi-
gen Möglichkeiten der Aufklärung - auch zugunsten des Arbeitgebers - auszuschöpfen.
Deshalb müsse der Arbeitslose mindestens einmal pro Quartal vorgeladen und über an-
dere Sozialleistungen und über seinen Gesundheitszustand befragt werden. Im übrigen
seien Nachfragen beim Krankenversicherungsträger und beim Rentenversicherungsträ-
ger anzustellen, zumal statistisch etwa 30 bis 50 vH der über 55 Jahre alten Arbeitnehmer
in ihrer gesundheitlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt seien, so daß nicht selten eine
verdeckte Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorliege. Gegenüber den Ausführungen des
LSG zur unzumutbaren Belastung iS des § 128 Abs 2 Nr 2 AFG sei darauf hinzuweisen,
daß die Erstattungsforderung der BA die an J gezahlte Abfindung bei weitem übersteige.

- 5 -

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. März 1997 und des Sozi-
algerichts Darmstadt vom 27. November 1995, sowie die Bescheide der Beklagten
vom 21. Februar 1995 und 6. April 1995 idF des Widerspruchsbescheids vom
8. Mai 1995 sowie vom 6. Dezember 1995 idF des Widerspruchsbescheids vom
22. Januar 1996 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend, insbesondere entspreche die Auslegung
des § 128 AFG durch das LSG den Vorgaben des BVerfG.

II

Die Revision der Klägerin ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Die
Entscheidung des LSG verletzt § 128 Abs 1 Satz 1 AFG. Für eine abschließende Ent-
scheidung des Bundessozialgerichts (BSG) reichen die tatsächlichen Feststellungen des
LSG nicht aus.

1. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß der Erstattungsbescheid vom 6. April
1995 gemäß § 86 SGG Gegenstand des gegen den "Grundlagenbescheid" vom
21. Februar 1995 eingeleiteten Widerspruchsverfahrens und der Erstattungsbescheid
vom 6. Dezember 1995 idF des Widerspruchsbescheids vom 22. Januar 1996 gemäß
§§ 96 Abs 1, 153 Abs 1 SGG Gegenstand des Gerichtsverfahrens geworden sind (vgl
hierzu BSG SozR 3-4100 § 128a Nrn 3 und 7 mwN). Durch die beiden Erstattungsbe-
scheide ist der "Grundlagenbescheid" überholt. Mit ihnen hat die BA die für Erstattungen
im vorliegenden Fall in Betracht kommenden Leistungszeiträume vom 23. September
1994 bis 30. Juni 1995 erschöpft. Seit dem 1. Juli 1995 bezieht J Altersrente. Dem
Grundlagenbescheid kommt damit eigenständige Bedeutung über die Erstattungsbe-
scheide hinaus nicht zu. Die Frage, ob die Beklagte entsprechend der im DBl-Runderlaß
11/93 vom 3. Februar 1993 Rz 7.4 Abs 3 vorgesehenen Verfahrensweise zu
"Grundentscheidungen" über die Erstattungspflicht berechtigt ist (vgl dazu das zur Veröf-
fentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 17. Dezember 1997 - 11 RAr 103/96 -),
bedarf daher hier keiner Erörterung. Zu entscheiden ist allein, ob die BA die Klägerin zu
Recht gemäß § 128 AFG zur Erstattung der 38.687,28 DM herangezogen hat.
2. Die angefochtene Heranziehung ist nicht wegen Verletzung der gebotenen Anhörung
rechtswidrig. Die BA hat der Klägerin Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Erstat-

- 6 -

tungspflicht erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 24 Abs 1 Sozialgesetzbuch
- Verwaltungsverfahren - ).

Zwar ist der Anhörungspflicht nicht schon mit dem "Anhörungsschreiben" genügt, das
dem Grundlagenbescheid vorausgegangen ist. Die Anhörungspflicht bezieht sich auf
sämtliche für die Erstattung entscheidungserheblichen Tatsachen, auch diejenigen, die
die Erstattungsforderung der Höhe nach betreffen. Aus diesem Grunde hat auch den je-
weiligen Erstattungsbescheiden eine Anhörung vorauszugehen (vgl dazu das schon er-
wähnte Urteil des Senats vom 17. Dezember 1997 - 11 RAr 103/96 -). Vor dem Erstat-
tungsbescheid vom 6. April 1995 hat die BA der Klägerin jedenfalls nicht durch ein Anhö-
rungsschreiben Gelegenheit gegeben, sich zu entscheidungserheblichen Tatsachen zu
äußern. Das Rechenwerk für die mit dem Erstattungsbescheid vom 6. April 1995 geltend
gemachte Erstattungsforderung für die Zeit vom 23. September 1994 bis 28. Februar
1995 hat die BA am 5. April 1995 erstellt. Es kann damit noch nicht in der Verwaltungs-
akte enthalten gewesen sein, als die Klägerin im März 1995 Akteneinsicht genommen hat.
Ob zu diesem Zeitpunkt bereits Zahlungsnachweise der Verwaltungsakte vorgeheftet
waren, aus denen die Klägerin entscheidungserhebliche Tatsachen hätte entnehmen
können, steht nicht fest. Allerdings führt der Erstattungsbescheid selbst das im Leistungs-
zeitraum an 136 Leistungstagen erbrachte Alg, sowie die zur Kranken- und Rentenversi-
cherung aufgewendeten Beiträge auf. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß die An-
hörung im Widerspruchsverfahren auch durch den Inhalt des angefochtenen Bescheids iS
des § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X nachgeholt werden kann. Voraussetzung hierfür ist, daß der
Verwaltungsakt diejenigen Tatsachen enthält, die nach § 24 Abs 1 SGB X Gegenstand
der Anhörung sind (BSG SozR 1300 § 24 Nr 7; BSGE 69, 247, 253 f = SozR 3-1300 X 24
Nr 4 mwN). Der Erstattungsbescheid vom 6. April 1995 enthält zwar nur die
Erstattungsforderung, nicht das Rechenwerk, welches ihr zugrunde liegt. Der Einwand der
Klägerin in ihrem Schreiben vom 28. November 1995, sie könne "mangels Berechnungs-
grundlage die Höhe der Forderung nicht nachvollziehen", liegt daher nahe. Sie begründet
hier jedoch nicht die Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheids. Der Inhalt des Bescheids
vermittelte der Klägerin hinreichende Kenntnisse, um sich zur Ausschöpfung ihres Rechts
auf rechtliches Gehör noch weitere Tatsachenkenntnis zu verschaffen (BSG SozR 1300
§ 24 Nrn 4 und 6 mwN). Die Übersendung des Rechenwerks erscheint hier auch deshalb
nicht geboten, weil die BA bei der Feststellung des Alg sowie der Beiträge zur Kranken-
und Rentenversicherung und damit dem Erstattungsbetrag wesentlich von dem
Arbeitsentgelt des J ausgegangen ist, das gerade auf tatsächlichen Angaben der Klägerin
in der Arbeitsbescheinigung beruht (§ 24 Abs 2 Nr 3 SGB X). Auch wenn das Arbeitsent-
gelt nicht notwendig mit dem Bemessungsentgelt identisch ist, war die Klägerin im Zu-
sammenhang mit dem Anhörungsschreiben sowie der Mitteilung des Erstattungszeit-
raums hinreichend über Tatsachen unterrichtet, die eine Überraschungsentscheidung
ausschlossen und der Klägerin eine Entscheidung darüber ermöglichten, ob sie Anlaß
sah, an die BA heranzutreten, um ihre Erstattungsentscheidung zu beeinflussen. Aus den

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gleichen Gründen genügt das dem Erstattungsbescheid vom 6. Dezember 1995 vor-
ausgegangene Anhörungsschreiben vom 8. November 1995 noch den Anforderungen der
Anhörungspflicht.

3. Zutreffend ist das LSG zu dem Ergebnis gekommen, daß die Klägerin der BA das in
der Zeit vom 23. September 1994 bis 30. Juni 1995 gezahlte Alg einschließlich der auf
diese Leistung entfallenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung
(§ 128 Abs 4 AFG) zu erstatten hat.

3.1 Nach § 128 Abs 1 Satz 1 AFG erstattet der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose in-
nerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 104
Abs 2 AFG die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 720 Kalendertage in einer die Bei-
tragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, der BA vierteljährlich das Alg für
die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 624 Tage.
Diese Voraussetzungen sind nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht
mit Revisionsrügen angegriffen und damit für das BSG bindend sind (§ 163 SGG), erfüllt.

Die Klägerin hat J durchgehend seit 1965 und damit innerhalb der letzten vier Jahre vor
Eintritt der Arbeitslosigkeit am 1. Juli 1994 mindestens 720 Kalendertage beitragspflichtig
beschäftigt. Während des Bezuges von Alg ab 23. September 1994 hatte der 1935 ge-
borene J das 58. Lebensjahr und bei Eintritt der Arbeitslosigkeit das 56. Lebensjahr voll-
endet. Der Umstand, daß die BA mit beiden Erstattungsbescheiden jeweils nicht nur die
von ihr für ein Vierteljahr erbrachten Leistungen in Rechnung gestellt hat, läßt die
Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderung unberührt. Die BA hat ausschließlich nach
§ 128 Abs 1 Satz 1 AFG fällige Erstattungsbeträge geltend gemacht. Der Erstattungszeit-
raum von längstens 624 Tagen ist nicht überschritten, selbst wenn die BA noch die Bei-
träge für die gesetzliche Krankenversicherung für die Sperrzeit vor dem 29. September
1994 erstattet verlangen könnte.

3.2 Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß J nicht auch die Voraussetzungen
für eine der in § 118 Abs 1 Satz 1 Nrn 2 bis 4 AFG genannten Sozialleistungen
(Krankengeld, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, Altersrente usw) oder Rente wegen Be-
rufsunfähigkeit erfüllt und ein solcher Tatbestand nach § 128 Abs 1 Satz 2 AFG der Er-
stattungspflicht nicht entgegensteht.

Auf eine Verletzung des Ermittlungsgrundsatzes kann sich die Klägerin insoweit nicht mit
Erfolg berufen. Nach ständiger Rechtsprechung erfordert die amtliche Sachaufklärungs-
pflicht nicht, nach Tatsachen zu forschen, für deren Bestehen die Umstände des Einzel-
falls keine Anhaltspunkte bieten (st Rspr: BSGE 78, 207, 213 = SozR 3-2600 § 43 Nr 13;
BVerwGE 66, 237 f). Eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes im Verwaltungs-
verfahren wäre nur erheblich, wenn sie zu einem anderen Verfahrensergebnis führen
könnte (§ 42 Satz 1 SGB X). Gegebenenfalls hätten die Tatsacheninstanzen nach § 103

- 8 -

SGG für weitere Sachaufklärung zu sorgen. Dazu bestand hier kein Anlaß. Mit dem erör-
terten Maßstab für die amtliche Sachaufklärungspflicht korrespondiert auch die Regelung
der Mitwirkungspflicht von Arbeitslosen nach § 128 Abs 8 AFG. Die Angaben von J über
seinen Gesundheitszustand und über Anträge auf andere Sozialleistungen im Lei-
stungsantrag sowie bei seiner erneuten Befragung vor Erlaß des Erstattungsbescheids
vom 6. Dezember 1995 lassen keinen Anhaltspunkt für weitere Ermittlungen erkennen.
Eine Pflicht zur Einhaltung regelmäßiger formaler Rituale (vierteljährliche Vorladung von
Arbeitslosen, Anfragen bei anderen Sozialleistungsträgern oder gar die körperliche Un-
versehrtheit berührender Begutachtungen) läßt sich aus dem Ermittlungsgrundsatz nicht
herleiten. Den Umfang der Amtsermittlung bestimmt die Behörde bzw das Gericht auf-
grund pflichtgemäßer Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. Sachliche An-
haltspunkte für weitergehende Ermittlungen waren auch dem Sachvortrag der Klägerin
nicht zu entnehmen. Allgemeine statistische Angaben als Erfahrungssätze über Ein-
schränkungen der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit älterer Menschen sind für die
Sachaufklärung im Einzelfall unergiebig (aM Ossenbühl, Der Erstattungsanspruch gemäß
§ 128 AFG und anderweitige Sozialleistungsansprüche, 1991, 12 ff; Kreßel NZS 1993,
292, 295 ff). Sie verfehlen den erörterten Inhalt des Untersuchungsgrundsatzes, wonach
die Notwendigkeit von Ermittlungen durch konkrete Umstände des Einzelfalles, nicht aber
generelle statistische Erhebungen bestimmt wird. Auch der Einwand, zum Gesundheits-
zustand und Leistungsvermögen des früheren Arbeitnehmers könne der Arbeitgeber nach
dem Ausscheiden aus dem Betrieb nicht beitragen, vermag nicht zu überzeugen. Inwie-
weit der Klägerin Kenntnisse über den Gesundheitszustand und anderweitige Ansprüche
auf Sozialleistungen während des Bezugs von Alg zur Verfügung standen, kann auf sich
beruhen. Da die Klägerin die Lohnsteuerkarte von J wegen über die Dauer des Arbeits-
verhältnisses hinausgehender Zahlungen einbehalten hat, liegt die Annahme nahe, daß
sie bei den Abreden über das vorzeitige Ausscheiden Auskunfts- und Mitteilungspflichten
ihres früheren Arbeitnehmers über Gesundheitsstörungen und anderweitige Soziallei-
stungen begründet hat. Abgesehen davon stehen der Klägerin gegebenenfalls aus der
Zeit der Beschäftigung Kenntnisse über Fehlzeiten oder Absinken der gesundheitlichen
Leistungsfähigkeit zur Verfügung, die zwar nicht unmittelbar den hier maßgeblichen Be-
zugszeitraum betreffen, die Klägerin aber zu substantiiertem Sachvortrag befähigen, der
Anlaß zur Ermittlung entscheidungserheblicher Tatsachen nach § 103 SGG, § 20 SGB X
geben könnte (insoweit zutreffend Wissing NZA 1993, 385, 397). Solches Vorbringen hat
die Klägerin sowohl im Verwaltungs- wie im gerichtlichen Verfahren vermissen lassen.
Auch wenn amtliche Sachaufklärung nicht von Beteiligtenvorbringen (Tatsachen-
behauptungen; Beweisanregungen; Beweisanträgen) abhängig ist, begründet der
Ermittlungsgrundsatz keine Pflicht von Behörden und Gerichten, Tatsachen zu ermitteln,
für deren Bestehen weder das Beteiligtenvorbringen noch sonstige konkrete Umstände
des Einzelfalls Anhaltspunkte liefern (aA ohne Auseinandersetzung mit der st Rspr:
Wissing NZA 1993, 385, 397). In diesem Sinne findet die amtliche Sachaufklärungspflicht
ihre Grenze an der Mitwirkungspflicht der Verfahrensbeteiligten (st Rspr: BVerwGE 66,

- 9 -

237 f; Eyermann/Geiger, VwGO, 10. Aufl 1998, § 86 RdNr 10; Meyer-Ladewig, SGG,
5. Aufl 1993, § 103 RdNr 16; noch deutlicher § 76 Abs 1 Finanzgerichtsordnung: "Das
Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Beteiligten sind dabei
heranzuziehen. Sie haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und
der Wahrheit gemäß abzugeben und sich auf Anforderung des Gerichts zu den von den
anderen Beteiligten vorgebrachten Tatsachen zu erklären". Verfassungsrechtliche
Bedenken gegen die sich aus dem erörterten Maßstab des Untersuchungsgrundsatzes
ergebenden Folgen für die Erstattungspflicht beruhen auf nicht hinreichender Klarheit
über den Inhalt der Amtsermittlungspflicht und dem Ziel, über eine nicht praxisgerechte
und nicht zumutbare Steigerung der Amtsermittlungspflicht zu Entscheidungen nach
objektiver Beweislast und damit einer Einschränkung der Erstattungspflicht zu gelangen
(vgl Kreßel NZS 1993, 292, 294 f).

Nach den Umständen des hier zu beurteilenden Falles hat das LSG ohne Verletzung von
Verfahrensvorschriften übereinstimmend mit der BA festgestellt, daß J während des Er-
stattungszeitraums vom 23. September 1994 bis 30. Juni 1995 anderweitige Soziallei-
stungen nicht zustanden.

3.3 Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, daß einer der in § 128 Abs 1 Satz 2 Nrn 1
bis 7 AFG genannten Tatbestände vorliegt, die die Erstattungspflicht nicht entstehen
lassen.

Die Klägerin hat nicht dargelegt und nachgewiesen, daß sie das Arbeitsverhältnis mit J
durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat (§ 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG). Un-
streitig ist das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag beendet worden, der diesen
Befreiungstatbestand gerade nicht erfüllt (Niesel/Brand, AFG, 1995, § 128 RdNr 38). Dem
gegenüber greift der pauschale Hinweis der Revision auf die Austauschbarkeit von sozial
gerechtfertigter Kündigung und Aufhebungsvertrag als Beendigungsgründen von
Arbeitsverhältnissen nicht durch. Der Gesetzgeber hat bei der hier anzuwendenden Fas-
sung des Gesetzes beachtet, daß das BVerfG gerade in der Wahl bestimmter "Formen
der Beendigung von Arbeitsverhältnissen älterer, langjährig beschäftigter Arbeitnehmer"
ein Indiz dafür sieht, daß die Arbeitslosigkeit in den "Verantwortungsbereich des Ar-
beitgebers" fällt (BVerfGE 81, 156, 197 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1). Bei Abschluß eines
Aufhebungsvertrages setzt sich der Arbeitgeber nicht der Prüfung der die Kündigung so-
zial rechtfertigenden Gründe aus. Kann er solche Gründe anführen und damit darlegen
und nachweisen, daß die Verantwortung für die Arbeitslosigkeit seines früheren Arbeit-
nehmers nicht ihn treffe, hat er die Möglichkeit, vom Kündigungsrecht Gebrauch zu ma-
chen. Träfe die Rechtsauffassung der Klägerin zu, könnte § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG
vorliegend übrigens auch keine Anwendung finden; es fehlt substantiierter Sachvortrag,
dem betriebliche Gründe für eine sozial gerechtfertigte Kündigung zu entnehmen wären.

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Die Klägerin hat auch nicht dargelegt und nachgewiesen, daß sie bei Beendigung des Ar-
beitsverhältnisses berechtigt war, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Ein-
haltung einer Kündigungsfrist oder mit sozialer Auslauffrist zu kündigen (§ 128 Abs 1
Satz 2 Nr 5 AFG). Ihr Vorbringen zu diesem Tatbestand ist auf abstrakte Rechtsausfüh-
rungen beschränkt. Konkrete Tatsachen, welche die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses belegen könnten, sind ihm nicht zu entnehmen. Insbesondere hat die
Klägerin nichts dafür vorgetragen, daß J seine Arbeitsleistung krankheitsbedingt oder
wegen altersbedingten Leistungsabbaus über länger währende Zeiträume nicht erbracht
hätte. Die Behauptung wirtschaftlicher Gründe für die Beendigung des Arbeitsver-
hältnisses weist keine Substanz auf, die die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Ar-
beitsverhältnisses mit J begründen könnte. In diesem Zusammenhang ist eine Klarstel-
lung dahin geboten, daß dieser Befreiungstatbestand nicht Manipulationen Vorschub lei-
sten soll, welche die Erstattungspflicht von Arbeitgebern nach § 128 AFG entwerten
könnten (BVerfGE 81, 156, 203 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1). Ohne konkreten für die Tat-
sacheninstanzen überprüfbaren Sachvortrag kann sich die Klägerin auf den Befrei-
ungstatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG nicht mit Recht berufen. Unerheblich ist
insoweit, daß auch bei tariflich nicht kündbaren Arbeitnehmern der Tarifvertrag eine
ordentliche Kündigung im Rahmen eines Sozialplans zuläßt. Das Gesetz trägt dabei der
Erfahrung Rechnung, daß bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen älterer Arbeitnehmer
häufig der sonst typische Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
nicht besteht (BVerfGE 81, 156, 203 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1; BSGE 77, 48, 52 = SozR
3-4100 § 119 Nr 9).

3.4 Substantiierter Sachvortrag fehlt schließlich insoweit, als die Klägerin sich auf einen
Wegfall der Erstattungspflicht nach § 128 Abs 2 Nr 2 AFG beruft. Nach dieser Vorschrift
entfällt die Erstattungspflicht nur, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, daß die
Erstattung für ihn eine unzumutbare Belastung bedeutete, weil durch sie der Fortbestand
des Unternehmens oder die nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Ar-
beitsplätze gefährdet wären. Der Anwendung dieser Vorschrift steht zwar nicht entgegen,
daß die Klägerin ausscheidenden Arbeitnehmern im Rahmen eines Sozialplans eine Ab-
findung von 4.000,00 DM gezahlt hat. Insoweit unterliegt der rechtliche Ausgangspunkt
des LSG Bedenken. Unabhängig davon, welche Anforderungen an eine unzumutbare
Belastung unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Gesichtspunkte zu stellen sind
(vgl dazu BVerfGE 81, 156, 203 ff = SozR 3-4100 § 128 Nr 1; Niesel/Brand § 128
RdNr 83), ist der Darlegungs- und Beweislast der Klägerin jedenfalls nicht mit dem pau-
schalen Hinweis auf "Umsatzrückgang" genügt. Insoweit hätte die Klägerin konkrete Da-
ten vortragen und unter Beweis stellen müssen, die Aufschluß über den wirtschaftlichen
Zustand ihres Unternehmens geben. Daran fehlt es ebenso wie an der Stellungnahme
einer fachkundigen Stelle, die Satz 2 der Vorschrift zum Nachweis einer unzumutbaren
Belastung fordert. Unter diesen Umständen besteht kein Anlaß, näher darauf einzugehen,
unter welchen Voraussetzungen eine "unzumutbare Belastung" iS des § 128 Abs 2 Nr 2

- 11 -

AFG unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeits-
grundsatzes gegeben sein könnte.

4. Entgegen der Annahme der Revision unterliegt § 128 AFG nicht grundsätzlichen ver-
fassungsrechtlichen Bedenken. Dazu ist klarzustellen, daß es sich um eine Regelung der
Berufsausübung (nicht der Berufswahl) handelt, die nach ständiger Rechtsprechung des
BVerfG mit Art 12 Abs 1 Satz 2 GG vereinbar ist, wenn die gewählten Mittel zum Errei-
chen des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und wenn bei einer Ge-
samtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtferti-
genden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Dabei hat der Gesetzgeber
für seine arbeits- oder sozialpolitischen sowie wirtschaftspolitischen Ziele einen weiten
Gestaltungsspielraum. Er kann Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit in den Vordergrund
stellen. Seine Gestaltungsfreiheit ist noch größer, wenn die Regelung - wie hier - nicht
unmittelbar berufsregelnden Charakter hat (BVerfGE 81, 156, 188 f = SozR 3-4100 § 128
Nr 1). Zu § 128 AFG aF hat das BVerfG aaO im einzelnen ausgeführt, daß die arbeits-
und sozialpolitische Zielsetzung, "Frühverrentungen", mit denen Personalkosten nament-
lich von Großunternehmen auf die Solidargemeinschaft abgewälzt werden, entgegenzu-
treten (Entlastungsfunktion), durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist. Zur Eig-
nung und Erforderlichkeit des eingesetzten Mittels der Erstattungspflicht hat das BVerfG
hervorgehoben, die Eignung der Erstattungspflicht sei bereits dann anzunehmen, wenn
durch sie der gewünschte Erfolg gefördert werde. Eine verfassungsrechtliche Beanstan-
dung sei nur möglich, wenn das eingesetzte Mittel "objektiv ungeeignet" oder "schlechthin
ungeeignet" sei (BVerfGE 81, 156, 192 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1). Dieses Merkmal hat
das BVerfG für die im wesentlichen gleichlautende frühere Regelung verneint. Für das
geltende Recht kann nichts anderes gelten. Die Revision geht daher bei ihren Einwänden
gegen die gesetzliche Regelung von verfassungsrechtlich nicht zutreffenden Vorausset-
zungen aus. Sie nimmt die verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG auch insoweit
nicht zur Kenntnis, als sie meint, die Klägerin treffe für die Arbeitslosigkeit nicht
besondere Verantwortung. Diese hat der Gesetzgeber durch die typisierend
differenzierende Regelung des § 128 AFG konkretisiert. Arbeitgebern ist durch die Befrei-
ungstatbestände des § 128 Abs 1 Satz 2 AFG und die Auffangklausel des § 128 Abs 2
Nr 2 AFG insbesondere die Möglichkeit eingeräumt worden, betriebliche Belange
vorzutragen und unter Beweis zu stellen, um die Erstattungspflicht - von der zeitlichen
Begrenzung abgesehen - in den Grenzen zumutbarer Belastung der Verhältnismäßigkeit
zu halten (BVerfGE 81, 156, 194 ff = SozR 3-4100 § 128 Nr 1). Damit ist die
Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Regelung gewahrt. Die verfassungsrechtlichen
Ausführungen der Klägerin reißen einzelne Begriffe aus dem Zusammenhang der
Ausführungen des BVerfG und werden damit der Verfassungsrechtslage nach Art 12
Abs 1 Satz 2 GG nicht gerecht.

- 12 -

Die Erstattungspflicht der Arbeitgeber ist auch insoweit verfassungsgemäß, als Arbeits-
lose - wie hier J - von der Möglichkeit Gebrauch machen, Alg unter den erleichterten Vor-
aussetzungen des § 105c AFG in Anspruch zu nehmen. Auch wenn Arbeitslose danach
nicht mehr jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen bereit sein müssen, steht ihnen
Alg nur zu, wenn sie die objektiven und subjektiven Anspruchsvoraussetzungen im übri-
gen erfüllen. Die Rechtsansicht, eingeschränkte Arbeitsbereitschaft älterer Arbeitnehmer
und eingeschränkte Vermittlungsbemühungen der BA führten zu einer nicht verhältnis-
mäßigen Risikoverteilung zum Nachteil von Arbeitgebern (Kreßel NZA 1993, 292, 294),
verkennt die tatsächlichen Verhältnisse des Arbeitslebens. Die Regelung des § 105c AFG
berücksichtigt ua, daß Arbeitslosen nach Vollendung des 58. Lebensjahres "im allgemei-
nen kein Arbeitsplatz mehr vermittelt werden kann, der ihrer bisherigen - in der Regel
durch langjährige Betriebszugehörigkeit geprägten - Tätigkeit annähernd gleichwertig ist"
(Begründung des Entwurfs zum 7. AFG-Änderungsgesetz, BT-Drucks 10/3923 S 21). Be-
stehen aber für ältere Arbeitnehmer ohnehin kaum Vermittlungsmöglichkeiten, wird deut-
lich, daß der Aufhebungsvertrag gerade nach langer Betriebszugehörigkeit wesentlich
mitwirkende Ursache für die Arbeitslosigkeit ist. Die Frühverrentungspläne der Unter-
nehmen kalkulieren dies ein und gehen davon aus, daß entlassene Arbeitnehmer nach
einjähriger Arbeitslosigkeit mit 60 Jahren Altersrente beziehen können. Die Ansicht, bei
Inanspruchnahme des § 105c AFG seien mangelnde Arbeitsbereitschaft des Arbeitslosen
und eingeschränkte Vermittlungsbemühungen der BA Grund der Arbeitslosigkeit, wird der
Bedeutung, die der Lösung des Arbeitsverhältnisses für die Arbeitslosigkeit zukommt,
nicht gerecht. Sie verwechselt insofern Ursache und Wirkung und ist nicht geeignet,
Arbeitgeber von ihrer Verantwortung für die Arbeitslosigkeit langjähriger älterer Ar-
beitnehmer zu entlasten.

5. Eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 AFG enthält das angefochtene Urteil jedoch,
als ihm tatsächliche Feststellungen nicht zu entnehmen sind, nach denen sich die Erstat-
tungsforderung der BA gegenüber der Klägerin errechnen läßt. An tatsächlichen Fest-
stellungen ist dem Urteil insoweit nur zu entnehmen, daß der Kläger ab 23. September
1994 Alg in Höhe von 625,20 DM wöchentlich bezogen und anläßlich der Aufhebung sei-
nes Arbeitsvertrages eine Abfindung von 4.000,00 DM erhalten haben soll. Diese Fest-
stellungen reichen für eine rechtliche Überprüfung nicht aus, denn diese bezieht sich nicht
nur auf die dem Arbeitslosen tatsächlich erbrachte, sondern die ihm rechtlich zustehende
Leistung (BSG Urteil vom 18. September 1997 - 11 RAr 55/96 - mit Hinweis auf BSG
SozR 3-4100 § 128a Nr 7 mwN). Dem Urteil des LSG fehlen deshalb Feststellungen, die
die Prüfung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen und der rechnerischen Richtigkeit des
gezahlten Alg und der darauf beruhenden Erstattungsforderung erlauben. Das Urteil läßt
nicht erkennen, daß das LSG die Rechtmäßigkeit der Erstattungsforderung der Höhe
nach geprüft hat.

- 13 -

Da die tatsächlichen Feststellungen des LSG für eine abschließende Entscheidung des
BSG nicht ausreichen, ist das angefochtene Urteil mit den ihm zugrundeliegenden Fest-
stellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das LSG zurückzuverweisen. Für die
erneute Entscheidung wird darauf hingewiesen, daß die Feststellungen des LSG die J
nach der Betriebsvereinbarung zustehenden Leistungen nicht voll erfassen dürften.

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BSG 11 BAr 47/92 vom 30.09.1992, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Az: 11 BAr 47/92

Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit,
Nürnberg, Regensburger Straße 104,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat am 30. September 1992 in Berlin durch den
Vorsitzenden Richter Dr. V.
die Richterin Dr. W. , den Richter Prof. Dr. B. sowie die
ehrenamtlichen Richter H. und G. beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Hessischen Landessozialgerichts vom 18. Dezember 1991 wird bezüglich der erhobenen
Verfahrensrüge als unzulässig verworfen, im übrigen als unbegründet zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

[Abs. 1] Das Landessozialgericht (LSG) hat wie das Sozialgericht (SG) den Anspruch der
Klägerin auf Gewährung höheren Arbeitslosengeldes (Alg) durch die beklagte
Bundesanstalt für Arbeit (BA) verneint.

Die mit einem als Arbeitnehmer beschäftigten Steuerberater verheiratete
Klägerin begehrt, das ihr unter Berücksichtigung der zu Beginn des Jahres 1988
eingetragenen Lohnsteuerklasse V/0 - beim Ehemann war die Lohn-
steuerklasse III/1 eingetragen - nach Leistungsgruppe D gewährte Alg ent-
sprechend der Lohnsteuerklasse III/1 nach der Leistungsgruppe C festzustellen.
Sie hält die von der BA angewandte Regelung des § 111 Abs 2 Nr 1d
Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für mit dem Gleichheitsgebot des Art 3 Abs 1
Grundgesetz (GG) unvereinbar und macht geltend, sie werde schlechter behandelt,
wie wenn sie mit einem selbständig tätigen Ehemann verheiratet wäre, weil ihr
dann die begehrte Einstufung in Leistungsgruppe C zustehen würde.

Außerdem rügt sie als Verfahrensmangel Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig
(§ 160a Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz ), soweit sie die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache betrifft, nicht hingegen hinsichtlich der
Verfahrensrüge.

[Abs. 2] Soweit die Klägerin Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, ist die Beschwerde
unzulässig, weil die diesen Verfahrensmangel ergebenden Tatsachen nicht
bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 2 SGG).

Der damalige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ist ordnungsgemäß zur
mündlichen Verhandlung geladen worden. Ort und Zeit der mündlichen Ver-
handlung sind ihm in der Ladung (Terminsmitteilung) mit dem Hinweis darauf, daß
auch im Falle des Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne,
rechtzeitig mitgeteilt worden. Einen besonderen Hinweis, daß eine Erörterung des
Rechtsstreits zwischen dem Gericht und den Beteiligten vorgesehen ist, verlangt
§ 110 SGG nicht; der Begriff der Verhandlung schließt
vielmehr für die Beteiligten eine Erörterung des Rechtsstreits in jeder Hinsicht
ein. Im übrigen hatte die Klägerin ihren Rechtsstandpunkt bereits eingehend in
beiden Instanzen vorgetragen, so daß nicht dargelegt ist, was sie darüber hinaus
noch hätte vorbringen wollen.
-3-
- 3 -

[Abs. 3] Soweit die Klägerin ihre Beschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache stützt, ist die Beschwerde zulässig.

Nach Auffassung des Senats ist die Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin
aufgeworfenen Rechtsfrage - Verfassungswidrigkeit des § 111 Abs 2 Nr 1d AFG -
hinreichend dargelegt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage zwar dann nicht
mehr, wenn sie bereits entschieden ist oder durch Auslegung des Gesetzes, evtl
unter Berücksichtigung bereits ergangener Rechtsprechung, eindeutig beantwortet
werden kann. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn - wie hier - neue Gesichtspunkte
vorgetragen werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden
Betrachtung der grundsätzlich bereits entschiedenen Rechtsfrage führen können
und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich
ausschließen (vgl Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 4. Aufl § 160 RdNr 7 sowie
Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde RdNr 119). Das trifft hier zu.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschlüssen vom 8. März
1983 - 1 BvL 21/80 - (SozR 4100 § 111 AFG Nr 6) und vom 12. Oktober
1983 - 1 BvR 1596/82 - Dreier-Ausschuß - (SozR 4100 § 111 AFG Nr 7) die
Anknüpfung der Leistungsbemessung an das Lohnsteuersystem in § 111 Abs 2
AFG idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom
22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) - die Fassung ist praktisch unverändert
geblieben - als typisierende Regelung bei der Ordnung von Massenerscheinungen
im Hinblick auf die steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten von gemeinsam zur
Lohn- und Einkommensteuer veranlagten Ehepartnern für verfassungsgemäß
erachtet. Das BVerfG hat dabei ausgesprochen, daß niemand allein daraus, daß
einer Gruppe aus besonderem Anlaß besondere gesetzliche Vergünstigungen
zugestanden werden, für sich ein verfassungsrechtliches Gebot herleiten könne,
genau dieselben Vorteile in Anspruch nehmen zu dürfen. Insbesondere sei der
Gesetzgeber bei verheirateten Arbeitslosen nicht gehalten, statt des durch
Arbeitslosigkeit ausfallenden Einkommens die Gesamteinkünfte der Familie als
Anknüpfungspunkt für die Bemessung von Alg zu wählen.

Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß § 111 Abs 2 - damit auch Nr 1d -
AFG in bezug auf alle Ehepaare, die zur Lohn- und Einkommensteuer veranlagt
werden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Aus den genannten
Entscheidungen ist allerdings nicht sicher zu entnehmen, daß das BVerfG auch
den von der Klägerin angeführten Vergleich zwischen einem Arbeitnehmerehepaar
und einem Ehepaar, das aus einem Arbeitnehmer und einem selbständig Tätigen
besteht, bei seinen Entscheidungen berücksichtigt hat. Deshalb sind die von der
Klägerin unter diesem Blickwinkel angestellten Erwägungen dazu, daß
Arbeitnehmerehepaare gegenüber dem Vergleichspaar benachteiligt werden, neu

- 4 -

und nicht offensichtlich ungeeignet, die bisherige verfassungsrechtliche
Betrachtungsweise in Frage zu stellen. Nach Auffassung des Senats hat die
Klägerin daher die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage ausreichend dargelegt.

[Abs. 4] Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, denn aus dem von der Klägerin
angestellten Vergleich folgt nicht die behauptete Verletzung des Gleichheitssatzes.
Nach Art 3 Abs 1 GG muß der Gesetzgeber die Gleichbehandlung vergleichbarer
Fälle sicherstellen und darf nicht wesentlich Gleiches ungleich behandeln (vgl zB
BVerfGE 55, 72, 88; 65, 104, 112; 75, 382, 393; 79, 1, 17 und zuletzt Urteil vom
7. Juli 1992, NJW 1992 S 2213, 2214). Damit ist ihm jedoch nicht jede
Differenzierung verwehrt, sofern sie in sachlichen Unterschieden eine ausreichende
Stütze findet.

Die Klägerin begehrt die rechtliche Gleichbehandlung wesentlich verschiedener
Sachverhalte.

Die Lohnersatzfunktion des Alg mit existenzsichernder Wirkung ist nur er-
reichbar, wenn die Feststellung und Auszahlung des Alg sobald wie möglich erfolgt.
Dazu ist die Anknüpfung an die bescheinigten Lohnsteuerklassen zweckmäßig. Bei
Arbeitnehmer-Ehegatten kann freilich die Höhe des Arbeitslohnes der Partner im
Laufe eines Kalenderjahres derart wechseln, daß eine Änderung der auf den
Lohnsteuerkarten eingetragenen Lohnsteuerklassen angebracht ist, zumal jeder
der beiden Partner arbeitslos werden kann und Anspruch auf seinem Arbeitslohn
entsprechende Leistungen haben soll. Auch dann kommt zwischen den Eheleuten
ein Steuerklassenwechsel im Rahmen der Steuerklassen III bis V gemäß § 113
Abs 2 AFG in Betracht (vgl dazu BSG SozR 4100 § 113 Nr 4).

Bei dem Arbeitnehmer/Selbständigen-Ehepaar kann dies nicht auftreten. Hier
kann nur der Arbeitnehmerpartner arbeitslos werden und Anspruch auf Alg haben.
Ein Lohnsteuerklassenwechsel kommt wegen der Lohnsteuerpflicht nur eines
Ehegatten nicht in Frage. Bereits aufgrund dieser Unterschiede kommt für die
Vergleichsgruppe eine Regelung, die der für Arbeitnehmer-Ehegatten voll
entspricht, nicht in Betracht. Der in § 113 Abs 2 AFG vorgesehene
Steuerklassenwechsel zwischen Arbeitnehmer-Ehegatten hat nach seinem Sinn
und Zweck allein für diese Ehegatten Bedeutung.

Die Verfassungsmäßigkeit der von der Klägerin beanstandeten Regelung wird
nach Auffassung des Senats nicht dadurch widerlegt, daß für die sich von den
Arbeitnehmer-Ehegatten in sachlicher Hinsicht unterscheidenden Ar-
beitnehmer/Selbständigen-Ehegatten gem § 38b Satz 1 Nr 3a, aa Einkom-
mensteuergesetz (EStG) lohnsteuerrechtlich nur ein feststehender Anknüp-

- 5 -

fungsmaßstab für die Bemessung des Alg des arbeitslosen
Arbeitnehmer-Ehegatten besteht, nämlich seine Lohnsteuerklasse. Zu
berücksichtigen ist, daß in vielen Fällen der Arbeitnehmer dieser Verbindung im
Vergleich zum Arbeitseinkommen des Selbständigen ein höheres Arbeitsentgelt
erzielt. Jedenfalls in diesen Fällen weist die Bemessung des Alg für den
arbeitslosen Arbeitnehmer unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse III im
Vergleich zu Arbeitnehmer-Ehepaaren keinen Unterschied auf. Bei umgekehrten
Einkommensverhältnissen, in denen der Arbeitnehmer-Ehegatte gleichwohl lohn-
steuerrechtlich in die Klasse III eingruppiert wird, ist für die Arbeitsverwaltung im
Zeitpunkt der Entscheidung über das begehrte Alg regelmäßig nicht vorhersehbar,
ob die steuerrechtlichen Regelungen über die Veranlagung von Ehegatten ein
finanzielles Endergebnis herbeiführen, das den Arbeitslosen jedenfalls nicht
wesentlich besserstellt als den arbeitslosen Arbeitnehmer-Ehegatten. Von der
Verwaltung schnell zu bewältigende Massenerscheinungen wie die Gewährung von
Alg verlangen mithin notwendigerweise pauschalierende und typisierende
Regelungen, selbst wenn dabei gewisse Ungleichheiten zwischen verschiedenen
Personengruppen auftreten (BSG Urteil vom 27. Juli 1989 - 11/7 RAr 101/87 -
SozR 4100 § 111 AFG Nr 10). Der aus diesem Grunde erforderliche
Regelungsspielraum ist im Bereich der Leistungsverwaltung besonders weit, weil
die Praktikabilität einfache Maßstäbe für die Leistungsberechnung erfordert. § 111
Abs 2 AFG trägt diesem Erfordernis daher auch bezüglich des mit einem
Selbständigen verheirateten Arbeitnehmers, der Alg beansprucht, Rechnung. Das
Arbeitseinkommen des selbständigen Ehegatten steht nämlich erst nach Abgabe
seiner Steuererklärung und der dann erfolgenden Veranlagung, die in Einzelfällen
mehrere Jahre dauern kann, fest. Erst nach der steuerlichen Veranlagung könnte
damit auch das Verhältnis der Bruttoeinkünfte dieser beiden Ehepartner
berücksichtigt werden. Würde die Arbeitsverwaltung dann mit im Einzelfall
erforderlichen Korrekturen der Höhe des zu gewährenden Alg belastet werden,
wäre damit nicht nur ein unangemessener Verwaltungsaufwand verbunden,
sondern die Korrekturen würden auch zu einer nachträglichen Zweckverfehlung
des Alg führen, das den zuvor tatsächlich erzielten Lohn ersetzen soll (vgl BSG,
Urteil vom 13. November 1980 - 7 RAr 99/79 -BSGE 51, 10, 14, 15). Das
Arbeitsförderungsrecht muß deshalb für die Bemessung des Alg nicht abweichend
von der bestehenden Lohnsteuerklasseneinteilung des § 111 Abs 2 AFG an das
durch Arbeitslosigkeit verminderte Gesamteinkommen der Familie anknüpfen.

Die Regelung des § 111 Abs 2 AFG kann im Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG auch
deshalb für die nach Auffassung der Klägerin begünstigte Vergleichsgruppe
hingenommen werden, weil durch die angeführten Entscheidungen anerkannt ist,
daß auch zum Nachteil des Arbeitslosen individuelle Freibeträge, die auf der
Lohnsteuerkarte eingetragen werden können und sonstige Steuervergünstigungen,

- 6 -

die erst im Lohnsteuerausgleichsverfahren oder bei der Veranlagung zur
Einkommensteuer zu einer Steuerentlastung führen, grundsätzlich für die
Bemessung des Alg unberücksichtigt bleiben. Eine gewisse Parallelität zu dem hier
zu beurteilenden Fall besteht jedenfalls insoweit, als auch in jenen Fällen die rein
steuerrechtlichen Ausgleichsmechanismen zwischen den Eheleuten unbeachtet
bleiben dürfen (vgl BSGE 51, 10, 15 sowie Urteil vom 27. Juli 1989 aaO).

Der Nichtzulassungsbeschwerde war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193
SGG.

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BSG 11 BA 8/75 vom 22.08.1975, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht

- 11 BA 8/75 -

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Kläger und Revisionskläger,

gegen

Beklagte und Revisionsbeklagte

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat am
22. August 1975 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. B. und die Richter H.
und Dr. Z. sowie die ehrenamtlichen
Richter V. und Dr. L.
beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Januar 1975 wird zurück-
gewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind
nicht zu erstatten.

- 2 -

Der Kläger war nach seinem Hochschulstudium von August
1932 bis April 1934 arbeitslos, aber nicht beim Arbeits-
amt gemeldet. Er begehrt dennoch von der Beklagten die
Anerkennung (Vormerkung) dieser Zeit als Ausfallzeit
im Sinne des § 36 Abs.1 Nr. 3 des Angestelltenver-
sicherungsgesetzes (AVG).Die Beklagte hat das abge-
lehnt. Klage und Berufung waren ohne Erfolg.Nach An-
sicht des Landessozialgerichts (LSG) ist es nicht grund-
gesetzwidrig (willkürlich), daß das Gesetz die Anrech-
nung einer Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit von der
Arbeitslosmeldung abhängig macht und für ehemals un-
beschäftigte Jungakademiker keine Ausnahme zuläßt.

Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.Mit der
dagegen eingelegten Beschwerde beantragt der Kläger
die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Be-
deutung der Rechtssache. In der damals herrschenden
größten Arbeitslosigkeit sei - insbesondere für Jung-
akademiker - eine Meldung beim Arbeitsamt nutzlos ge-
wesen, weil die Arbeitsämter keine Stellen hätten ver-
mitteln können. Damit stelle sich die Frage, ob § 36
Abs. 1 Nr. 3 AVG mit der Verfassung im Einklang stehe,
soweit das Gesetz von seinen Vorteilen die große
Gruppe der Arbeitslosen ausschließe, die sich wegen
Nutzlosigkeit nicht beim Arbeitsamt gemeldet hätten.
Diese Frage sei noch nicht entschieden.

Die Beschwerde ist zulässig. Zu den Voraussetzungen der
Zulässigkeit gehört nach § 160 a Abs. 2 Satz 3 SGG,
daß in der (fristgebundenen) Beschwerdebegründung die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt
wird. Demgemäß ist in der Begründung die zu entscheidende Rechts-

- 3 -

frage klar zu bezeichnen; außerdem muß ersichtlich sein,
weshalb ihrer Klärung eine grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Das gilt auch, wenn die Verfassungswidrigkeit einer Vor-
schrift behauptet wird. Hier kann die bloße Behauptung
der Verfassungswidrigkeit nicht ausreichen; vielmehr
muß dargetan sein, welche Vorschrift des Grundgesetzes
verletzt ist und aus welchen Gründen. Insbesondere bei
behaupteten Verstößen gegen den Gleichheitsgrundsatz ist
zu erläutern, worin Ungleichbehandlung und Willkür er-
blickt werden (vgl. BVerwG, Buchholz, 448.3 § 7 USG
Nr. 1); erst dann sind Inhalt und Bedeutung der zu
entscheidenden Rechtsfrage der Verfassungswidrigkeit
genügend gekennzeichnet. Diesen Anforderungen genügt
indessen die Beschwerdebegründung des Klägers; es ist
vor allem nicht zweifelhaft, daß und warum er Art. 3
Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) für verletzt erachtet.

Auch sonst sind Bedenken gegen die Zulässigkeit der Be-
schwerde nicht gegeben.

Die Beschwerde ist aber nicht begründet.

Der Senat kann allerdings nicht der Meinung des Bundes~
gerichtshofs (BGH) folgen, daß die Frage der Verfassungs~
mäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen
Vorschrift die Zulassung einer Revision wegen grundsätz-
licher Bedeutung der Rechtssache nicht rechtfertigen
könne (Rzw 1964, 225; 1967, 368). Der BGH begründet diese
Ansicht damit, daß eine solche Zulassung nur das Ver-
fahren verzögere, weil gegen eine die Verfassungsmäßig-
keit bejahende Entscheidung noch der Weg der Verfassungs-
beschwerde zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) offen-
stehe; die Verfassungswidrigkeit könne nur vom BVerfG
ausgesprochen werden; dieses könne aber auch angerufen

- 4 -

werden, wenn die Revision nicht zugelassen werde. Dem
ist jedoch entgegenzuhalten, daß das BVerfG auch bei
Fragen der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, wenn
diese Frage von grundsätzlicher Bedeutung ist, vor der
Einlegung der Verfassungsbeschwerde zur Erschöpfung
des Rechtsweges die Einlegung der Nichtzulassungsbe-
schwerde verlangt (BVerfG 16, 3; vgl. auch 21, 167).

Im übrigen ist die Klärungsfähigkeit auch dieser Rechts-
fragen im Revisionsverfahren nicht zu bestreiten, selbst
wenn eine Klärung im Sinne der Verfassungswidrigkeit
nur durch Anrufung des BVerfG möglich ist. Zu Recht
schließt deshalb das BVerwG die Zulassung einer Revision
zur grundsätzlichen Klärung der Verfassungsmäßigkeit
bzw. - widrigkeit einer Vorschrift nicht aus (vgl.
BVerwG, Buchholz aaO sowie 232 § 90 BBG Nr. 14 und
235.16 § 5 LBesG Nr. 1). Wegen der Divergenz zum BGH
braucht der erkennende Senat allerdings nicht den Ge-
neinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes
anzurufen; dies ist jedenfalls deshalb nicht erfor-
derlich, weil der Senat aus anderen Gründen hier eben-
falls zur Zurückweisung der Beschwerde kommt.

Der Senat hält die Rechtsfrage nämlich nicht für
klärungsbedürftig. Richtig ist zwar, daß über die Ver-
fassungsmäßigkeit des Erfordernisses der Arbeits-
losmeldung in § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG bzw. § 1259 Abs. 1
Nr. 3 RVO, sei es allgemein, sei es für die vom Klä-
ger bezeichnete Gruppe, soweit bekannt, bisher weder
vom BSG noch vom BVerfG entschieden worden ist. Wenn
auch Ausführungen in mehreren Urteilen des BSG
(vgl. SozR Nr. 13, 35 und 50 zu § 1259 RVO) die Arbeits-
losmeldung wiederholt als zusätzliches gesetzliches
Tatbestandsmerkmal bezeichnen, ohne die eine Arbeitslo-
sigkeit nicht als Ausfallzeit anerkannt werden kann,

- 5 -

so ist doch nicht ersichtlich, daß in diesen Urteilen eine
beantragte Anrechnung einer Arbeitslosigkeit wegen der
fehlenden Meldung abgelehnt worden ist; andererseits haben
diese Urteile keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
dieser Vorschrift erkennen lassen.

Wie der Senat im Beschluß vom 4. Juni 1975 (11 BA 4/75)
dargelegt hat, kann indessen eine Rechtsfrage auch ohne
einschlägige.Rechtsprechung dann nicht klärungsbedürftig
sein, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch
außer Zweifel steht. Das ist hier der Fall. Die angeführ-
ten Urteile des BSG (vgl. Nr. 13 und 35) haben bereits die
Gründe deutlich gemacht, weshalb der Gesetzgeber die Ar-
beitslosmeldung fordert. Der Gesetzgeber wollte eine zu-
sätzliche Sicherung für das Bestehen echter Arbeitslosig-
keit. Er wollte bei den in Betracht kommenden bis 1927
zurückreichenden Zeiträumen Mißbräuche ausschließen und
sicherstellen, daß der Arbeitslose auch ernstlich arbeits-
willig war und der Arbeitsvermittlung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt zur Verfügung stand. Das sind sachlich ein-
leuchtende Gründe.

Im übrigen hat der Kläger das Erfordernis der Arbeits-
losmeldung nicht allgemein als verfassungswidrig bezeichnet.
Bei der Prüfung von Zulassungsgründen ist der Senat auf
die geltend gemachten Gründe beschränkt. Entscheidend ist
daher die Frage, ob das Erfordernis der Arbeitslosmeldung
gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, soweit es auch für Arbeits-
lose gilt, bei denen eine Meldung beim Arbeitsamt von vorn-
herein nutzlos erschien, insbesondere in der hier streitigen
Zeit. Auch hier kann jedoch von Willkür keine Rede sein. Es
ist schon nicht dargetan, daß Meldungen in der Zeit der
"größten Arbeitslosigkeit" allgemein wirklich nutzlos gewe-
sein seien; keinesfalls läßt sich das für alle in Betracht
kommenden Vermittlungen annehmen. Hinzu kommt, daß sich

- 6 -

die vom Kläger bezeichnete Gruppe nicht sinnvoll abgrenzen
läßt.

Abgesehen von der bestehenden Arbeitslosigkeit und der
Meldung beim Arbeitsamt erfordert § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG
außerdem, daß der Arbeitslose versicherungsmäßiges Ar-
beitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe oder Fürsorgeunter-
stützung oder Familienunterstützung bezogen hat oder daß
eine dieser Leistungen wegen Zusammentreffens mit anderen
Bezügen, wegen eines Einkommens oder wegen der Berück-
sichtigung von Vermögen nicht gewährt worden ist. Auf
dieses weitere Tatbestandserfordernis ist der Kläger in
der Beschwerdebegründung nicht eingegangen; auch aus dem
angefochtenen Urteil des LSG ist nicht zu ersehen, ob eine
dieser alternativen weiteren Voraussetzungen beim Kläger
gegeben ist. Der Senat kann jedoch offenlassen, ob die in-
soweit fehlenden Feststellungen und Ausführungen ebenfalls
dem Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde hätten im wege
stehen müssen.

Die Beschwerde ist nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender An-
wendung des § 193 SGG.

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