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Donnerstag, 29. September 2016
3 RK 3/82 vom 23.03.1983, Bundessozialgericht
BSGE 55, 37, 38 ff [BSG 23.03.1983 - 3 RK 3/82] = SozR 2200 § 194 Nr 10

Bundessozialgericht

3 RK 3/82

Verkündet am

23. März 1983

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Klägerin und Revisionsklägerin,
Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Beklagte und Revisionsbeklagte,
Prozeßbevollmächtigter:

Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche
Verhandlung vom 23. März 1983
für Recht erkannt:

Auf die Sprungrevision der Klägerin wird das Urteil des
Sozialgerichts Dortmund vom 28. September 1981 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das
Sozialgericht zurückverwiesen.

- 2 -

Gründe:



I



Die Klägerin begehrt die Erstattung von Krankentransportkosten.



Die Klägerin wohnt in D. und ist Mitglied der Beklagten. Am

27. April 1980 erlitt sie während ihres Urlaubs im Sauerland

einen Unterschenkelbruch rechts. Sie wurde zum nächstgelegenen

Krankenhaus, dem M. -H. -Krankenhaus in W. gefahren.

Dort wurde vom Chefarzt Dr. K. (K.) die Reposition

durchgeführt und ein Transportgips angelegt. Die Klägerin wurde

am selben Tag noch liegend ins Knappschaftskrankenhaus D.

transportiert. Für diese Fahrt stellte der Kreis S. 468,-- DM

in Rechnung, die die Klägerin beglich.



Die Übernahme der Kosten für die Fahrt von W. nach D.

lehnte die Beklagte am 7. Oktober 1980 ab. Mit ihrem Widerspruch

machte die Klägerin geltend, sie sei Mutter eines vierjährigen

Kindes. Ihm wäre es wegen der Dauer einer Reise von D. nach

W. (über BO km) praktisch nicht möglich gewesen, die Klä-

gerin regelmäßig zu sehen. Eine Trennung von Mutter und Kind

wirke sich unter Berücksichtigung der psychosomatischen Zusam-

menhänge auch für den Genesungsprozeß der Mutter äußerst nach-

teilig aus.



Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Sozialgericht



- 3 -



(SG) hat ausgeführt, der Transport der Klägerin von W. nach

D. sei nicht durch die Art und Weise der erforderlichen

Krankheitsbehandlung bedingt gewesen. Die erforderliche, medizi-

nisch ausreichende und zweckmäßige Krankenhauspflege wäre im

M. -H. -Krankenhaus gesichert gewesen. Medizinisch erforder-

lich sei die Verlegung nach D. auch nicht deshalb gewesen,

weil das Verbleiben der Klägerin in W. zu psychischen

Störungen mit Krankheitswert bei dem Kind hätte führen können.

Die Möglichkeit des Eintritts einer Krankheit bei einem anderen

könne die medizinische Notwendigkeit im Hinblick auf die zu

behandelnde Krankheit des Versicherten nicht beeinflussen. Am

27. April 1980 hätten auch konkrete Hinweise darauf gefehlt, daß

die sofortige Verlegung nach D. die medizinisch einzig

geeignete Maßnahme zur Sicherstellung des Genesungsprozesses der

Klägerin gewesen wäre. Vielmehr habe der verantwortliche Chefarzt

mitgeteilt, daß eine medizinische Notwendigkeit zur Verlegung

nicht bestanden habe. Diese Notwendigkeit werde auch nicht durch

das kassenarztrechtlich vorgesehene Formular der Anordnung des

Krankentransports bestätigt, denn darin gehe es nicht um die

Frage, ob die Verlegung erforderlich sei, sondern um deren Art

und Weise. Zwar behaupte die Klägerin, das Krankenhaus habe die

Verlegung veranlaßt. Es sei aber jedenfalls nicht Aufgabe der

Krankenkasse, Kosten einer nicht medizinisch bedingten Verlegung

zu tragen. Medizinische Gründe für die Verlegung habe Dr. K.

ausdrücklich verneint.



Die Klägerin hat Sprungrevision eingelegt und macht geltend, das

kassenarztrechtlich vorgesehene Formular bestätige die Notwen-



- 4 -



digkeit der Verlegung. Auch sei der Transport der Klägerin not-

wendig gewesen wegen der gesundheitlichen Gefährdung von Mutter

und und und der Beeinträchtigung des Genesungsprozesses durch

die Trennung zwischen beiden.



Die Klägerin beantragt sinngemäß,



die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des

Sozialgerichts Dortmund vom 28. September 1981

und der Bescheide vom 7. Oktober 1980 und

3. Februar 1981 zu verurteilen, an sie 468,-- DM

nebst 4 % Zinsen ab 1. März 1981 zu zahlen.



Die Beklagte beantragt,



die Revision zurückzuweisen.



II



Die Revision ist im Sinn der Zurückverweisung der Sache an das

SG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet. Anhand der

im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen des SG kann

der Senat nicht abschließend entscheiden, ob die angefochtenen

Bescheide rechtmäßig sind, und cb der Anspruch der Klägerin be-

steht.



Nach § 194 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) übernimmt die

Beklagte die im Zusammenhang mit der Gewährung einer Leistung

der Krankenkasse erforderlichen Fahrkosten für den Versicherten.



- 5 -



Der Anspruch aus § 19A Abs 1 RV0 setzt voraus, daß die Kassen-

leistung dem Versicherten an einem bestimmten Ort zu gewähren

ist und der Transport lediglich dazu dient, ihn zu diesem Ort zu

befördern (Urteil des Senats vom 28. März 1979 in BSGE NB, 139 =

SozR 2200 § 194 RVO Nr U). Aus den Feststellungen des SG ergibt

sich nicht, ob die Beklagte der Klägerin die Krankenhausbehand-

lung in diesem Sinn gerade im Knappschaftskrankenhaus in D.

zu gewähren hatte.



Die Gewährung der stationären Behandlung im Knappschaftskranken-

haus und die dafür erforderliche Fahrt nach D. sind nicht

von Dr. K. in einer für die Beklagten verbindlichen Weise

angeordnet worden. Mit Recht hat das SG die Frage offengelassen,

ob die Fahrt von W. nach D. Q von der Klägerin oder von

Dr. K. veranlaßt worden ist. Das SG hat bindend festgestellt,

Dr. K. habe die Verlegung jedenfalls nicht aus medizinischen

Gründen veranlaßt. Wenn der Arzt die Verlegung des Versicherten

von einem Krankenhaus in ein anderes aus medizinischen Gründen

veranlaßt, mag dies die Pflicht der Krankenkasse zur Übernahme

der Transportkosten auch dann nach sich ziehen, wenn die Gründe

objektiv nicht gegeben waren. Eine derartige Verpflichtung der

Krankenkasse ist zwar nicht ausdrücklich geregelt. Es liegt aber

nahe, sie dem Grundgedanken von Vorschriften wie § 20 Abs 5 des

Bundesmantelvertrages Ärzte (BMVÄ) vom 28. August 1978 zu ent-

nehmen. Nach § 20 Abs 5 BMVÄ bleibt bei der Verordnung von Kran-

kenhauspflege die Kostenverpflichtungserklärung gegenüber dem

Krankenhaus der Krankenkasse vorbehalten. Veranlaßt der Arzt in

Notfällen ausnahmsweise von sich aus die Aufnahme in ein



- 6 -



Krankenhaus, so hat er dieses in der Verordnung besonders zu be-

gründen. Aus der Vorschrift ergibt sich aber keinerlei Anhalts-

punkt dafür, daß ein Arzt durch seine Verordnung die Kasse zu

Leistungen verpflichten könnte, die er nicht im einzelnen für

medizinisch begründet hält.



Die Kosten des Transports von W. nach D. sind von der

Beklagten auch nicht schon deshalb zu tragen, weil Dr. K. die

ärztliche Notwendigkeit der Krankenfahrt festgestellt hat. Das SG

hat festgestellt, der Arzt treffe mit dem Formular keine

Anordnung hinsichtlich des "Ob" des Transports. Damit hat das SG

eine tatsächliche Feststellung getroffen, die mit der

Sprungrevision nicht angegriffen werden kann (§ 161 Abs 4

Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Klägerin bezieht sich in ihrer

Revisionsbegründung insoweit auf das Urteil des

Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 24. Januar 1980

- L 5 K 46/79 -. Darin wird ausgeführt, Chefarzt Dr. M. habe den

Transport auf einem dafür vorgesehenen Formblatt angeordnet, und

die Anordnung beziehe sich nicht lediglich auf die Art des

Transports, sondern auch auf die Durchführung selbst; das

Formblatt sei nämlich als Nachweis der ärztlichen Anordnung für

die Krankenkasse bestimmt. Das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz

enthält insoweit tatsächliche Feststellungen, wobei es noch nicht

einmal vom gleichen Formblatt ausgeht wie im Fall der Klägerin.

Für den Rechtsstreit der Klägerin gegen die Beklagte sind die

Feststellungen des LSG Rheinland-Pfalz nicht verbindlich. Die

Auslegung der formularmäßigen Erklärung durch das SG läßt auch

keinen rechtlichen Fehler erkennen. Allerdings dient das



- 7 -



Formblatt dem Nachweis für die Krankenkasse. Das SG war aber

nicht an der Auslegung gehindert, daß es nur um den Nachweis der

angeordneten Art des Transports geht. Insoweit wird die Auslegung

durch die neuen Richtlinien über die Verordnung von

Krankenfahrten, Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen

vom 26. Februar 1982 (BAnz Beilage 32 Seite 9) bestätigt. Darin

ist die Auswahl des Beförderungsmittels eingehend geregelt. Es

wird zwar auch bestimmt, daß Ausgangs- und Zielort der Fahrt

anzugeben sind. Die Richtlinien sehen aber keine Aussage des

Arztes über den Zweck und die Notwendigkeit der Fahrt vor.



Ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Fahrkosten kann sich

aber aus einem anderen Rechtsgrund ergeben. Unter den

Krankenhäusern, mit denen Verträge über die Erbringung von

Krankenhauspflege bestehen, kann der Versicherte nach § 184 Abs 2

RVO wählen. Der Versicherte bestimmt mit dieser Wahl des Kran-

kenhauses allerdings nicht den Ort der Leistung in der Weise, daß

die Bestimmung die Pflicht der Krankenkasse zur Übernahme der

Kosten für die Fahrt dorthin nach sich zieht. Vielmehr hat er

selbst die Mehrkosten zu tragen, wenn er ohne zwingenden Grund

ein anderes ale eines der nächsterreichbaren Vertragskranken-

häuser in Anspruch nimmt (§ 184 Abs 2 Satz 2 RVO). Die Vorschrift

des § 184 Abs 2 Satz 2 RVO ist im vorliegenden Fall anwendbar.

Zu dem dieser Vorschrift im ambulanten Bereich entsprechenden

§ 368d Abs 2 RVO hat der Senat bereits entschieden, daß auch die

Kosten der Fahrt zum gewählten Arzt Mehrkosten in diesem Sinn

sind, soweit sie die Kosten der Fahrt zum nächsterreichbaren Arzt

überschreiten (BSG SozR 2200 § 368d RVO Nr N). Anderes



- 8 -



Krankenhaus iS des § 184 Abs 2 Satz 2 RVO ist allerdings in der

Regel das im Krankheitsfall zuerst aufgesuchte Krankenhaus.

Indessen ist kein durchschlagender Grund erkennbar, warum die

Vorschrift nicht auch im Fall des Krankenhauswechsels, der

Verlegung von einem Krankenhaus in ein anderes angewendet werden

soll. Die Klägerin hätte je nach Art des Unfalls genausogut

unmittelbar vom Unfallort nach D. gebracht werden können.

Nach der Interessenlage kann die - offenbar nur ambulante -

Erstversorgung in W. die Erstattung der Fahrkosten nach

D. nicht ausschließen.



Die Klägerin hat das Knappschaftskrankenhaus in D. "in

Anspruch genommen", selbst wenn die Verlegung dorthin allein von

Dr. K. oder durch andere Angestellte des W. Krankenhauses

veranlaßt werden sein sollte. Inanspruchnahme bedeutet keine

bewußt ausgeübte Wahl. Der Versicherte nimmt grundsätzlich das

Krankenhaus in Anspruch, in dem er sich behandeln läßt.



Die Feststellungen des SG reichen nicht aus für eine Entscheidung

darüber, ob für die Verlegung der Klägerin von W. nach

D. ein zwingender Grund gegeben war.



Zur Übernahme der Kosten für einen solchen Weitertransport ist

die Kasse nur verpflichtet, wenn Gründe dafür in der Art und

Weise der Krankheitsbehandlung liegen (BSG SozR 2200 § 194 RVO

Nr 4). Die erforderliche, medizinisch ausreichende und zweck-

mäßige Krankenhauspflege wäre nach den bindenden Feststellungen

des SG im M. -H. -Krankenhaus in W. gesichert gewesen.



- 9 -



Mit Recht hat das SG auch dargelegt, die Gefahr von psychischen

Störungen bei dem Kind der Klägerin sei kein in der Art und

weise der Krankheitsbehandlung liegender Grund. Krankheitsbe-

handlung in diesem Sinn ist nur die Behandlung der Klägerin

selbst. Zu den gesetzlichen Aufgaben der gesetzlichen Kranken-

versicherung gehört es nicht, gesundheitliche Gefahren für

Familienangehörige des Kranken abzuwehren, auch wenn die Angehö-

rigen selbst Krankenversicherungsschutz genießen.



Zu Unrecht hat das SG keine Feststellungen darüber getroffen, ob

und in welcher Weise die Trennung von Mutter und Kind den Gene-

sungsprozeß der Mutter beeinträchtigt hätte. Das SG hat die

Sachaufklärung dazu unterlassen, weil am 27. April 1980 offen-

kundig alle konkreten Hinweise für die Notwendigkeit der Verle-

gung aus diesem Grund gefehlt haben. Darauf kommt es indessen

nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob die Notwendigkeit objek-

tiv vorgelegen hat. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom

28. März 1979 angedeutet, daß die Gefahr einer psychischen

Erkrankung des Versicherten beim Verbleib in dem Krankenhaus

außerhalb seines Wohnorts für die Entscheidung erheblich sein

könnte. Im Verhältnis einer Mutter zu ihrem vierjährigen Kind

liegt die Beeinträchtigung des Genesungsprozesses der Mutter

durch eine Trennung nicht so fern, daß das SG von einer weiteren

Sachaufklärung ohne weiteres entbunden wäre. wenn die Gefahr

ernsthaft bestanden hat, wird das SG eine etwa zu befürchtende

Verzögerung der Genesung gegen die Transportkosten abzuwägen und

auch etwaige andere Möglichkeiten der Kontaktsicherung zu

berücksichtigen haben.



- 10 -



Die Kostenentscheidung bleibt dem Urteil des SG vorbehalten.



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Dienstag, 31. Mai 2016
11 RA 9/79 vom 15.11.1979, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht

- 11 RA 9/79 -

Verkündet am

15. November 1979
als Urk. Beamter
der Gesch. Stelle

Im Namen des Volke

Urteil

in dem Rechtsstreit

Kläger,

Prozeßbevollmächtigter

gegen

Beklagte und Revisionsbeklagte,

beigeladen

Revisionsklägerin

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die
mündliche Verhandlung vom 15. November 1979
für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beigeladenen werden die Urteile
des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom
11. Oktober 1978 und des Sozialgerichts Konstanz
vom 25. Februar 1977 aufgehoben.

Die Klage auf Verurteilung der Beigeladenen zur Ge-
währung vorläufiger Leistungen wird abgewiesen.

- 2 -

Auf die Klage gegen die Beklagte werden deren Bescheide
vom 25. März und 8. August 1974 aufgehoben. Die Beklagte
wird verurteilt, dem Kläger unter Beachtung der Rechts-
auffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu er—
teilen. Im übrigen wird die Klage gegen die Beklagte
abgewiesen.

1 .

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen
Kosten des Rechtsstreits zu zwei Dritteln, die Beige—
ladene hat sie ihm zu einem Drittel zu erstatten.

Gründe:

Der Kläger begehrt berufsfördernde Maßnahmen.

Er beantragte sie im September 1972 bei der beigeladenen
Bundesanstalt für Arbeit (BA); dabei strebte er die Um-
schulung zum Bautechniker an; als Dachdeckermeister könne
er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr tätig sein. Da
der Kläger Versicherter im Sinne des § 15 des Angestellten—
versicherungsgesetzes (AVG) damaliger Fassung - überdie
auch im Sinne des § 15a idF des Rehabilitations-Angleichungs-
gesetzes (RehaAnglG) - ist, erklärte sich die Beklagte für
zuständig. Sie lehnte den Antrag ab, weil ein Berufswechsel
aus medizinischer Sicht nicht angezeigt sei (Bescheid vom
25. März 1974, Widerspruchsbescheid vom 8. August 1974).

Der Kläger hat hierauf Klage erhoben zunächst mit dem An—
trag, die Beklagte zur Gewährung von berufsfördernden Maß-
nahmen zu verurteilen. Nachdem die Beklagte die Beiladung
der BA beantragt hatte, begehrte er hilfsweise noch deren
Verurteilung. Im Hinblick hierauf lud das Sozialgericht (SG)

- 3 -

die BA nach § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
zum Rechtsstreit bei. Es holte ärztliche Gutachten ein,
die sich für eine Umschulung des Klägers aussprechen. In
der mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 25. Februar 1977
beantragte der Kläger daraufhin, die Beigeladene zur Ge-
währung von Beihilfen zur beruflichen Umschulung in gesetz-
licher Höhe, hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung ihrer
Bescheide zur Gewährung berufsfördernder Maßnahmen zu ver-
urteilen. Durch Urteil vom 25. Februar 1977 hat das SG dem
Hauptantrag in der Weise entsprochen, daß es die Beige-
ladene verurteilt hat, dem Kläger berufsfördernde Maßnahmen
zu gewähren. Es hielt den Hauptantrag nach § 6 Abs 2
Nr 2 RehaAnglG für begründet; aufgrund dieser Bestimmung
müsse die Beklagte hier vorläufige Leistungen erbringen,
da seit dem Beiladungsbeschluß streitig und ungeklärt sei,
welcher Rehabilitationsträger die zur Erhaltung der
Leistungsfähigkeit des Klägers erforderlichen berufs-
fördernden Maßnahmen zu gewähren habe.

Auf die Berufung der Beigeladenen hat das Landessozial—
gericht (LSG) deren Verurteilung in die Feststellung ihrer
Verpflichtung zu vorläufigen Leistungen umgewandelt; außer—
dem hat es die Bescheide der Beklagten aufgehoben, da die
Beklagte die gerichtlich voll nachprüfbaren materiell—
rechtlichen Voraussetzungen des § 13 AVG zu Unrecht verneint
habe (Urteil vom 11. Oktober 1978). Zur Begründung der vor—
läufigen Leistungspflicht der BA hat das LSG noch geltend
gemacht, daß die Zuständigkeit der Beklagten gemäß § 13
Abs 5 AVG die Zuständigkeit der Beigeladenen nach § 56
Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG, idF des RehaAnglG)
unberührt lasse. Deren Leistungspflicht entfalle nach
§ 57 AVG nicht bereits bei Zuständigkeit eines anderen
Rehabilitationsträgers, sondern erst, wenn dieser vorrangig
verpflichtet sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme be—
stehe kein Streit mehr darüber, daß der Kläger Behinderter
und berufsfördernde Maßnahmen bei ihm zur Rehabilitation
erforderlich seien. Im Rahmen des § 6 Abs 2 RehaAnglG sei

- 4 -

über die von der Beigeladenen behauptete Verpflibhtung
der Beklagten zur Leistung nach §§ 15 ff AVG nicht zu be-
finden. Lediglich die Verurteilung der Beigeladenen zur
Leistung sei in eine entsprechende Feststellung abzuändern
gewesen, weil ein Leistungsurteil die genaue Bezeichnung
der Maßnahme voraussetzen.'

Die Beigeladene beantragt mit der vom LSG zugelassenen
Revision,

das Urteil des LSG aufzuheben, soweit

ihre Leistungspflicht festgestellt sowie
ihre (weitergehende) Berufung zurück—
gewiesen wurde, und die Beklagte zu verur—
teileng über den Antrag des Klägers auf
Gewährung berufsfördernder Leistungen zur
Rehabilitation erneut zu entscheiden.

Sie rügt Verletzung der §§ 6 Abs 2 RehaAnglG, 57 AFG. Der
Streit, ob sie oder die Beklagte vorrangig verpflichtet
sei, betreffe eine reine Rechtsfrageg die im gericht-
lichen Verfahren keinen Fall der ungeklärten Zuständigkeit '
im Sinne des § 6 Abs 2 RehaAnglG zu begründen vermöge. Die
Vorleistungspflicht gelte nur im Verwaltungsverfahren, sie
sei nicht dazu da, den Gerichten die Entscheidung über
die endgültige Zuständigkeit zu ersparen. Im übrigen stehe
§ 57 AFG ihrer Verurteilung entgegen, da die Beklagte
ihre Zuständigkeit nicht durch eine Ermessensausübung
beseitigen könne.

Der Kläger und die Beklagte beantragen,
die Revision zurückzuweisen,

hilfsweise schließt sich der Kläger dem
Revisionsantrag der Beigeladenen an.

II.

Die Revision der Beigeladenen ist begründet.

1. Auf das Rechtsmittel ist.zunächst zu prüfen, ob das LSG
zu Recht eine Verpflichtung der Beigeladenen zu vor-
läufigen Leistungen aufgrund von § 6 Abs 2 RehaAnglG fest-
gestellt hat. Diese vorrangige Prüfungspflicht ergibt
sich aus der vom Kläger vor dem SG vollzogenen Klage-
änderung. Seine dort in der letzten mündlichen Verhandlung
gestellten Anträge bedeuteten aus mehreren Gründen eine
Klageänderung. Zum einen richtete der Kläger damit die
Klage von da an in erster Linie gegen die Beigeladene. Da-
für konnte er sich nicht auf § 75 SGG stützen. In dessen
Absatz 5 ist zwar bestimmt, daß ein Versicherungsträger
nach Beiladung verurteilt werden kann. Diese Vorschrift
erlaubt einem Kläger jedoch nicht Jede gewünschte Rechts—
verfolgung gegen einen solchen Beigeladenen ohne Vor-
schalten der sonst erforderlichen Rechtsbehelfe. § 75
Abs 5 SGG gibt den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
aus prozeßökonomischen Gründen die Befugnis, in Fällen,
in denen der Kläger einen nicht leistungspflichtigen
Versicherungsträger verklagt, den in Wirklichkeit
leistungspflichtigen Versicherungsträger nach Beiladung
zu verurteilen, um einen neuen Rechtsstreit und die Gefahr
sich widersprechender Entscheidungen zu vermeiden (BSGE
9, 67, 69). Demnach kommt eine Verurteilung der Beige—
ladenen nur subsidiär in Betracht; sie darf erst statt—.
finden, wenn (soweit) die Klage gegen den Beklagten keinen
Erfolg haben kann. Das schließt zwar nicht aus, daß ein
Kläger nach einer inzwischen feststehenden Zuständigkeit
des Beigeladenen sich auf Anträge gegen den Beigeladenen
beschränkt und sogar die Klage gegen den Beklagten zurück—
nimmt (BSG, Breithaupt 1966, 800), weil dabei die Sub-
sidiarität der Verurteilung des Beigeladenen erhalten
bleibt. Im vorliegenden Fall hat der Kläger jedoch nicht

- 5 -

seine Anträge aus solchen Gründen gegen die Beigeladene
beschränkt. Er hat vielmehr mit seiner nun in erster Linie
gegen die Beigeladene gerichteten Klage-diese zur Be-
klagten gemacht. Hierin lag ein Parteiwechsel, der als ein
Fall der Klageänderung gilt (BSGE 8, 115; 20, 218). Ab-
gesehen davon hat der Kläger mit der Klage gegen die Bei—
geladene einen Anspruch erhoben, zu dessen Erfüllung die
Beigeladene nach § 75 Abs 5 SGG nicht verurteilt werden
durfte. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob der Kläger
dabei ursprünglich mehr einen Anspruch auf Förderung der
beruflichen Umschulung nach § 47 AFG im Auge hatte oder
ob er entsprechend der Deutung des SG (und auch des LSG)
schon bei der Änderung seiner Anträge einen Anspruch auf
vorläufige Leistungen nach § 6 Abs 2 RehaAnglG geltend
machen wollte. In beiden Fällen handelte es sich gegen—
über dem gegen die Beklagte erhobenen Rehabilitations-
begehren um im Anspruchsgrund und in den Rechtsfolgen
verschiedene Ansprüche. Einer Verurteilung nach § 75
Abs 5 SGG muß allerdings nicht stets inhaltlich derselbe
Anspruch wie der gegen den Beklagten erhobene zugrunde
liegen; so kann zB auch nach einer Abweisung der Klage auf
Zahlung von Übergangsgeld der Beigeladene zur Zahlung de
Krankengeldes verurteilt werden, das zum Ruhen des Über—
gangsgeldes führt (vgl Urteil vom 9. September 1971
— 3 RK 110/69 -, Die Leistungen aus der gesetzlichen
Krankenversicherung 1972, 152). In solchen Fällen müssen
sich aber die - inhaltlich verschiedenen — Ansprüche gegen
den Beklagten und den Beigeladenen gegenseitig ausschließen;
es muß sich um zwei Ansprüche handeln, die nicht nebenein—
ander bestehen. Hier hat der Kläger gegen die Beigeladene
aber einseitig einen Anspruch geltend gemacht, der in keiner
Wechselwirkung zu dem gegen die Beklagte erhobenen
Rehabilitationsanspruch stehen konnte. Dem steht nicht ent-
gegen, daß der Rehabilitationsanspruch gegen den zu-
ständigen Träger nach § 6 Abs 2, Satz 1, letzter Halb—
satz RehaAnglG als erfüllt gilt, wenn (soweit) vorläufige
Leistungen erbracht werden, weil diese Wirkung nicht dem

- 7 -

Anspruch auf vorläufige Leistungen anhaftet, vielmehr
erst mit seiner Erfüllung eintritt.

Die somit vollzogene Klageänderung war allerdings nach
§ 99 Abs 2 SGG zulässig, weil sich die übrigen Beteiligten
in der mündlichen Verhandlung vor dem SG auf sie eingelassen
haben. Zu Recht haben sich daher die Vorinstanzen in erster
Linie mit dem neuen Hauptantrag des Klägers befaßt. Sie
haben jedoch verkannt, daß die in ihm verkörperte Klage
gegen die Beigeladene unzulässig ist. Denn die Beigeladene
hat über den nunmehr in erster Linie gegen sie erhobenen
Anspruch nicht durch Verwaltungsakt entschieden. Eine reine
Leistungsklage gegen sie nach § 54 Abs 5 SGG kam nicht in
Betracht, da über den Antrag ein Verwaltungsakt zu ergehen
hatte. Richtige Klageform war damit die kombinierte An—
fechtungs— und Leistungsklage. Deren Erhebung setzt jedoch
die Durchführung des Verwaltungsverfahrens voraus. Die
Zulässigkeit der Klageänderung konnte den Kläger von dieser
Voraussetzung nicht freistellen (vgl BSG 10, 218). Der vor-
liegende Mangel ist auch nicht durch die schriftsätzlichen
Äußerungen der BA während des Berufungsverfahrens geheilt
worden. Die Beklagte hat darin zwar eine Verpflichtung zu
vorläufigen Leistungen bestritten; damit hat sie aber er-
sichtlich keine Verwaltungsentscheidung über den Anspruch
treffen wollen (vgl BSG aaO). Die Vorinstanzen hätten somit
die gegen die Beigeladene gerichtete Klage als unzulässig
ansehen müssen. Auf die Revision der Beigeladenen mu
ßder Senat die gegen sie gerichtete Klage aus diesem Grunde
abweisen.

Damit hat der Senat aufgrund der weiteren Revisionsanträge
über den vor dem SG zuletzt gestellten Hilfsantrag de
Klägers auf Verurteilung der Beklagten zu befinden, mit dem
der Kläger seinen ursprünglichen Klageantrag weiterverfolgt.
Durch die Klageänderung des Klägers ist diese Klage wegen
der seitdem vorliegenden eventuellen subjektiven Klagen—
häufung zu einer bedingten Klage geworden. Eine bedingte

- 8 -

Klageerhebung wird nach überwiegender Meinung zwar als un—
zulässig erachtet (vgl vor allem LG Berlin NJW 1958, 833).
Trotzdem hält der Senat die "Hilfsklage" unter den bem
sonderen Umständen des vorliegenden Rechtsstreits für zu-
lässig. Denn die sonst allgemein gegen die Zulässigkeit
einer bedingten Klageerhebung angeführten Gründe greifen
hier nicht durch. Kostenrechtliche Schwierigkeiten können
im sozialgerichtlichen Verfahren kaum befürchtet werden.
Auch dürften Komplikationen vor Rechtsmittelinstanzen nach
Abweisung einer in Vorinstanzen erfolgreichen Hilfsklage
hier nicht entstehen; denn wenn auf eine solche Hilfsklage
ein Rehabilitationsanspruch gegen die Beklagte und bei der
nach § 75 SGG gebotenen Prüfung ferner gegen die Beige-
ladene nicht anerkannt würde, dann bedarf es keines Rück-
griffs auf die Hauptklage, weil dann auch kein Anspruch auf
vorläufige Leistungen gegeben sein könnte. Dem Kläger läßt
sich ferner ein Bedürfnis am hilfsweisen Festhalten an der
Klage gegen die Beklagte nicht absprechen. Im übrigen ist
in diesem Zusammenhang noch darauf hinzuweisen, daß da
sozialgerichtliche Verfahren in der nach § 75 Abs 5 SGG
hilfsweise eröffneten Möglichkeit zur Verurteilung eine
Beigeladenen für den Anwendungsbereich dieser Vorschrift
im Ergebnis eine bedingte Klageerhebung bereits anerkennt,
so daß diese Klageform im sozialgerichtlichen Verfahren
nicht als schlechthin ausgeschlossen angesehen werden kann.

Der Hilfsantrag, dh die in ihr verkörperte Klage gegen die
Beklagte ist auch im wesentlichen begründet, weil die Be-
klagte zu Unrecht die gesetzlichen Voraussetzungen für die
Gewährung von berufsfördernden Maßnahmen durch sie ver-
neint hat. Aus den vom LSG getroffenen tatsächlichen Fest-
stellungen, die nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden v
sind, ergibt sich, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers in-
folge von Krankheit gefährdet ist und voraussichtlich durch
berufsfördernde Maßnahmen erhalten werden kann. Damit sind
die Voraussetzungen des § 13 Abs 1 AVG (idF vor und nach
dem RehaAnglG) erfüllt. Festgestellt ist auch, daß der

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Kläger zu dem von der Beklagten zu betreuenden Personen-
kreis von Versicherten gehört; die die Leistungspflicht der
Beklagten einschränkenden Vorschriften des 20. Renten—
anpassungsgesetzes vom 27. Juni 1977 (20. RAG) sind auf den
vorliegenden Fall, in dem die Notwendigkeit zu berufs-
fördernden Maßnahmen schon vor deren Inkrafttreten gegeben
war, nicht anzuwenden (vgl Urteil des Senats vom 14. Sep-
tember 1978 — 11 RA 70/77 —). Die Ansicht der Beklagten, da
ßnach § 15 Abs 3 AVG vorrangig die Beigeladene zur beruf-
lichen Rehabilitation des Klägers verpflichtet sei, ist un—
zutreffend; diese Vorschrift läßt lediglich eine Zuständig-
keit und Verpflichtung der Beigeladenen "unberührt"; sie
wird demnach nur bedeutsam, wenn eine Zuständigkeit und eine
Verpflichtung der BA aufgrund einer anderen Vorschrift über—
haupt bestehen (vgl §§ 2 Abs 2; 4 Abs 1 Satz 3, 5 Abs 1
Satz 2 RehaAnglG, die ebenfalls andere Gegebenheiten "unbe-
rührt" lassen). Wie der Senat in seinem Urteil vom
15. März 1979 — 11 RA 56/78 — aber bereits ausgeführt und
in seinem heutigen Urteil in der Sache 11 RA 22/79 erneut
entschieden hat, sind nach § 57 AFG berufsfördernde Maßnahmen
der BA ausgeschlossen, wenn der zu Betreuende zu den Per-
sonen gehört, für die der Rentenversicherungsträger nach
§§ 15 ff AVG "zuständig" ist. Eine solche "Zuständigkeit"
der Beklagten ist aber hier gegeben.

Die Bescheide der Beklagten sind daher aufzuheben, wie e
das LSG im Ergebnis zu Recht bereits getan hat; zugleich
ist die Beklagte zur Erteilung eines neuen Bescheides auf
den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauf—
fassung des Gerichts zu verpflichten. Dabei wird die Be-
klagte nunmehr ihr Ermessen auszuüben und zu berücksich-
tigen haben, daß der Kläger, wenn nicht die Beklagte für ihn
"zuständig" wäre, einen Rechtsanspruch gegen die Beigeladene
haben würde (vgl hierzu Urteil des Senats vom 15. März 1979
- 11 RA 36/78 —). Das bedeutet allerdings nicht, daß da
Ermessen der Beklagten schon jetzt in dem Sinne einge-
schränkt wäre, daß jede andere Entscheidung als die

- 10 -

Leistungsgewährung an den Kläger als rechtswidrig im
Sinne des § 54 Abs 2 Satz 2 SGG angesehen werden müßte;
deshalb war die Klage gegen die Beklagte, soweit sie
deren Verurteilung zur Leistung verlangte‚ abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Dabei hat der Senat mitberücksichtigt, daß die Beige-
ladene nach § 6 Abs 2 RehaAnglG gegebenenfalls auch von
Amts wegen tätig werden muß; für die Beigeladene hätte
im Verlauf des Rechtsstreits vor den Vorinstanzen wegen
des Zuständigkeits— und Verpflichtungsstreites mit der
Beklagten Anlaß zur Gewährung von vorläufigen Leistungen
an den Kläger gemäß § 6 Abs 2 RehaAnglG bestanden, zumal
damals eine Entscheidung des Bundessozialgerichts zur
Abgrenzung der Zuständigkeiten noch ausstand.

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B 1 KR 41/08 B vom 09.07.2008, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT
Beschluss
in dem Rechtsstreit
Az: B 1 KR 41/08 B
L 5 KR 362/07 (Bayerisches LSG)
S 4 KR 186/05 (SG Landshut)


Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte:


g e g e n


A,
Beklagte und Beschwerdegegnerin.


Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 9. Juli 2008 durch den Präsidenten
M und die Richter Prof. Dr. S und Dr. H
beschlossen:

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nicht-
zulassung der Revision im Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom
10. Dezember 2007 gewährt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im genannten Beschluss
wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

- 2 -

G r ü n d e :

I

1
Der 1926 geborene Kläger bat seine Krankenkasse (Beklagte) im Dezember 2004 um eine
"verbindliche" Mitteilung, in welcher Höhe seine Hinterbliebenen Sterbegeld aus seiner
Krankenversicherung erhalten werden. Die Beklagte teilte ihm unter Übersendung einer
formularmäßigen "Information zum Wegfall des Sterbegeldes" mit, der Anspruch auf Sterbegeld
sei seit dem 1.1.2004 ausgeschlossen (Schreiben vom 17.12.2004 und 9.2.2005). Hiergegen
erhob der Kläger Widerspruch. Die Beklagte wies ihn im Folgenden erneut auf den Wegfall des
Sterbegeldes sowie darauf hin, dass gegen ihre Auskunft ein Widerspruch nicht zulässig sei.
Der Kläger bat um Erteilung eines rechtsmittelfähigen Verwaltungsaktes, worauf die Beklagte
seinen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.7.2005 zurückwies. Sie führte aus, der
Widerspruch sei unzulässig, weil sie dem Kläger eine bloße Auskunft erteilt, aber keinen
Verwaltungsakt erlassen habe.

2
Das Sozialgericht (SG) hat die auf Mitteilung der Höhe des Krankengeldes, hilfsweise auf Ver-
pflichtung der Beklagten zur Erteilung eines entsprechenden Bescheides gerichtete Klage ab-
gewiesen. Dem Kläger fehle das Rechtsschutzinteresse sowohl für die begehrte Mitteilung über
die Höhe des Sterbegeldes als auch hinsichtlich des Antrags auf Neubescheidung, weil er
selbst nicht Inhaber eines möglichen Anspruchs auf Sterbegeld sein könne (Urteil vom
29.3.2007). Das Landesozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen. Die Schreiben der
Beklagten vom 17.12.2004 und 9.2.2005 seien als Ablehnungsbescheide zu qualifizieren, denn
sie verneinten unter Erläuterung der Rechtsgrundlagen konkret einen Anspruch des Klägers auf
Sterbegeld. Die Beklagte sei zwar nicht berechtigt gewesen, den Widerspruch als unzulässig
zurückzuweisen. Weil der Widerspruchsbescheid in der Sachverhaltsbeschreibung jedoch auch
Ausführungen zur materiellen Regelung enthalte und die Beklagte unmissverständlich zum
Ausdruck gebracht habe, dass sie einen Anspruch des Klägers verneine, sei auch insoweit von
einer materiellen Entscheidung auszugehen. Ebenso habe das SG durch die "tenorierte Abwei-
sung der Klage zum Ausdruck gebracht, dass dem Kläger kein Anspruch auf Sterbegeld zu-
steht". Dies sei rechtlich zutreffend, sodass nicht näher darauf einzugehen sei, ob die Klage im
Ergebnis mangels Rechtsschutzbedürfnisses oder mangels materiellen Anspruchs ohne Erfolg
bleibe. Dem Kläger stehe ebenso wenig wie seinen Rechtsnachfolgern ein Anspruch auf
Sterbegeld zu. Der Ausschluss des Sterbegeldes seit 1.1.2004 sei mit dem GG vereinbar (Be-
schluss vom 10.12.2007).

3
Mit Beschluss vom 3.4.2008 hat der erkennende Senat den Antrag des Klägers, ihm für das
Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG
Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen, mangels Erfolgs-


- 3 -


aussicht der Beschwerde abgelehnt. Der Kläger hat jetzt durch einen Rechtsanwalt Nichtzulas-
sungsbeschwerde eingelegt und beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

II

4
1. Dem Kläger ist, nachdem sein Antrag auf Bewilligung von PKH zwecks Durchführung des
Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde abgelehnt worden war, Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu gewähren. Wird das in der Rechtsmittelfrist ordnungsgemäß eingereichte
Prozeßkostenhilfegesuch eines iS von § 114 Satz 1 ZPO "armen" Beteiligten abgelehnt, ist
Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn das Rechtsmittel binnen eines Monats nach Zustellung
der Ablehnung formgerecht eingelegt wird (vgl BSG SozR 1500 § 67 Nr 13, 15). So liegt der
Fall hier.

5
2. Die Beschwerde ist jedoch unzulässig. Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Rechts-
sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), wenn das Urteil von einer Ent-
scheidung des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichts-
höfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2) oder ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, auf dem die an-
gefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1). Derartige Gründe
werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a
Abs 2 Satz 3 SGG dargetan.

6
a) Die Beschwerdebegründung lässt schon nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, wel-
cher der drei Zulassungsgründe geltend gemacht werden soll; Normen werden insoweit nicht
genannt und Zulassungsgründe nicht ausdrücklich bezeichnet. Soweit in der Beschwerde-
begründung ausgeführt wird, die der angefochtenen Entscheidung des LSG zu Grunde
liegende Meinung des BSG in SozR 4-2500 § 58 Nr 1 könne nicht aufrechterhalten werden,
weil sie gegen Art. 3, 14, 20 und 25 GG sowie Art 6 EMRK verstoße, macht der Kläger allenfalls
sinngemäß eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
Die Darlegungserfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG verlangen insoweit jedoch, dass
eine Rechtsfrage klar formuliert und ausgeführt wird, inwiefern diese Frage im angestrebten
Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall
hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100
§ 111 Nr 1 S 2 f; siehe auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Zwar kann auch die
Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift von grundsätzlicher Bedeutung sein (vgl BSG SozR
1500 § 160a Nr 17). Jedoch ist eine Rechtsfrage, die das BSG bereits entschieden hat, nicht
mehr klärungsbedürftig. Sie kann somit keine grundsätzliche Bedeutung mehr haben, es sei
denn, die Beantwortung der Frage ist aus besonderen Gründen klärungsbedürftig geblieben
oder erneut geworden. Auch das muss substantiiert vorgetragen werden (BSG SozR 3-1500
§ 160a Nr 21 S 38 mwN). Hieran fehlt es. Der Kläger setzt sich jedoch weder mit der

- 4 -

Entscheidung des BSG vom 13.12.2005 (SozR 4-2500 § 58 Nr 1) auseinander, in welcher der
Senat die verfassungsrechtlichen Aspekte des Wegfalls des Sterbegeldes eingehend behandelt
hat, noch zeigt er in seiner Beschwerdebegründung sonstige, darüber hinausgehende
verfassungsrechtliche Gesichtspunkte auf.

7
b) Die Beschwerde ist auch nicht nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG wegen Vorliegens eines Verfah-
rensfehlers zuzulassen. Zwar wird in der Beschwerdebegründung ausgeführt, das SG habe die
Klage mit der "denkwürdigen Begründung" abgewiesen, das Sterbegeld gehe den Kläger nichts
an. Und weiter "es wird - auch in der Fachliteratur - wiederholt festgestellt, dass erstinstanzliche
Gerichte (zum Zwecke der Selbstentlastung) Klagen und sonstige Anträge auch mit 'abwegigen'
Argumenten abweisen, um die Sache loszuwerden und der Rechtsmittelinstanz die eigentliche
Sachaufklärung und Entscheidungsfindung zu überlassen. Diese Vorgehensweise ist rechts-
widrig und widerspricht sozialstaatlichen Prinzipien. Denn die Rechtsmittelinstanz hat vornehm-
lich die Aufgabe, einen weitestgehend erschöpfend aufbereiteten Sachverhalt und die darauf
gegründete Entscheidung zu überprüfen, nicht aber erstinstanzlich tätig zu werden. Denn sonst
ginge dem/der Rechtsuchenden eine wichtige Tatsacheninstanz verloren, also auch die Über-
prüfungsmöglichkeit des Sachverhalts. In vorliegender Sache könnte ein solcher Fall vorliegen."

8
Mit diesem Vorbringen werden Verfahrensfehler nicht in der gebotenen Weise dargetan. Der
Senat hat jedoch bereits in seinem Beschluss vom 3.4.2008 darauf hingewiesen, dass das LSG
eine Sachenscheidung über den geltend gemachten Anspruch getroffen hat. Ob das SG einen
Verfahrensfehler begangen hat, ist für die Nichtzulassungsbeschwerde nur dann erheblich,
wenn es sich um einen auch in der Berufungsinstanz fortwirkenden Verfahrensfehler handelt
(BSG, Beschluss vom 13.8.1998 - B 2 U 251/97 B). Hierzu trägt der Kläger nichts vor.
9 Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG abgesehen.
10 Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
M H S

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Samstag, 24. Oktober 2015
BSG, 7 RAr 37/80 vom 21.07.1981
Bundessozialgericht 7 RAr 37/80 vom 21.07.1981

Bundessozialgericht

- 7 RAr 37/80 -

I m N a m e n d e s V o l k e s

U r t e i l

in dem Rechtsstreit

Klägerin und Revisionsbeklagte,
Bevollmächtigter

g e g e n

Beklagte und Revisionsklägerin.

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne

mündliche Verhandlung am 21. Juli 1981
für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
Hessischen Landessozialgerichts vom 10. Mai 1979

— L 1/Ar - 958/78 und L 1/Ar — 1018/78 — in

Ziffern I und IV aufgehoben.

Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das Landessozialgericht zurück-
verwiesen.

 - 2 -

G r ü n d e :

Die Klägerin wendet sich gegen eine Sperrzeit nach § 119
des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).

Die 1951 geborene Klägerin war vom 1. September 1969 bis
28. Februar 1977 als kaufmännische Angestellte im Unter-
nehmen ihres Vaters beschäftigt gewesen. Sie meldete sich
am 5. März 1977 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld
(Alg). Am Tag der Arbeitslosmeldung wurde der Klägerin eine
Arbeit als kaufmännische Angestellte beim Verband der Bau-
industrie in K angebotene Die Beklagte gab die Art der
angebetenen Arbeit mit "Kaufmännische Angestellte” das
vorgesehene Entgelt mit “tarifliches Entgelt" an.

Der vorgesehene Arbeitgeber teilte dem Arbeitsamt mit
Schreiben vcm 24. März 1977 mitg die Klägerin habe ihm mit
Schreiben vom 4. März 1977 lediglich den Vermittlungsvor—
schlag übermittelt und angefragt, ob die Stelle noch frei
sei. Daraufhin habe der Verband die Klägerin um einen An—
ruf gebeten, um einen Vorstellungstermin vereinbaren zu
können. Am 18. März 1977 habe die Klägerin angerufen und
die Meinung geäußert sie habe sicherlich nicht die er-
forderlichen Voraussetzungen für den zu besetzenden Arbeits-
platz. Die Klägerin gab gegenüber dem Arbeitsamt an die
ihr angebotene Arbeit habe sie nicht erhalten. Die Sekre-
tärin der Verbandsgeschäftsstelle in R habe ihr mitge-
teilt, es würde eine ältere Dame gewünscht, sie (die Klä—
gerin) sei zu jung (Schreiben vom 5. April 1977).

Mit Bescheid vom 25. Oktober 1977 stellte die Beklagte den
Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen vom 19. März bis
15. April 1977 fest und hob die Bewilligung von Arbeits-
losengeld (Alg) für die Dauer der Sperrzeit auf. Die

 - 3 -

Beklagte hatte am selben Tag Alg ab 5. März 1977 für eine
Auspruchsdauer von 312 Wochentagen bewilligt. Mit einem
weiteren Bescheid vom 25. Oktober 1977 versagte die Be-
klagte die Leistung von Alg gemäß § 66 des Sozialgesetz-
buches - Allgemeiner Teil — (SGB 1) mit Wirkung vom
19. April 1977, weil die Klägerin der Aufforderung zur
Vorsprache am 19. und 26. April 1977 nicht nachgekommen
sei und hierdurch die Ermittlungen über das Vorliegen der
Anspruchsvoraussetzungen vereitelt habe, Die Widersprüche
der Klägerin gegen diese Bescheide blieben erfolglos
(Widerspruchsbescheide vom 7. Februar 1978).

Während des Klageverfahrens änderte die Beklagte ihre Auf—
hebungsentscheidung durch Bescheid vom 30. März 1978 dahin—
gehend ab, daß die Bewilligung von Alg mit Wirkung ab
3. Mai 1977 aufgehoben wurde. In der Begründung des Be—
scheides wurde ausgeführt, die Klägerin sei nicht bereit,
jede zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes anzunehmen, was sich aus
ihren Erklärungen ergebe. Die Klägerin wandte sich mit
ihrer Klage auch gegen diesen Bescheid.

Durch Urteil vom 17. Juli 1978 hat das Sozialgericht (SG)
Kassel den Bescheid vom 25. Oktober 1977 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 1978 über den Ein-
tritt einer Sperrzeit aufgehoben, im übrigen die Klage ab-
gewiesen und die Berufung zugelassen. Gegen dieses Urteil
haben sowohl die Beklagte als auch die Klägerin Berufung
eingelegt, die Klägerin hat ferner beantragt, das ihr noch
zustehende Alg mit 10 vH zu verzinsen.

Durch Urteil vom 10. Mai 1979 hat das Landessozialgericht
(LSG) die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, auf die
Berufung der Klägerin das Urteil des SG dahingehend abge-
ändert, daß der Bescheid der Beklagten vom 30. März 1978
aufgehoben wird; die Klage auf Zahlung von Zinsen hat das
LSG abgewiesen. Zur Begründung hat das LSG insbesondere

 - 4 -

ausgeführt: Für den Eintritt einer Sperrzeit nach § 119
Abs 1 Nr 2 AFG habe es an einer ausreichenden Belehrung
über die Rechtsfolgen gefehlt, die eintreten, wenn ein
Arbeitsloser eine vom Arbeitsamt angebotene Arbeit nicht
annehme oder antrete, Die Belehrung müsse den Arbeitslosen
nicht nur über die Möglichkeit von Folgen iS des § 119 AFG
unterrichten, sondern insbesondere auch alle Einzelheiten
bezüglich der angebotenen Arbeit vermitteln, die für eine
sachgerechte Entscheidung über die Annahme oder Nichtan-
nahme nötig seien, Sie müsse in allen Punkten verständlich
sein und die Auffassungsgabe des einzelnen berücksichtigen.
Sie müsse vor allem erfolgen, bevor der Arbeitslose Ver-
handlungen mit dem Arbeitgeber aufnehme und bevor es zu
einer Ablehnung des Arbeitsangebotes gegenüber dem Arbeit-
geber komme. Im vorliegenden Fall hätte eine solche Be-
lehrung gefehlt. Die Angaben der Beklagten hätten nicht
deutlich genug erkennen lassen, wie die tarifliche Ein-
stufung und nach welcher tariflichen Gehaltsgruppe die
Entlohnung hätte erfolgen sollen. Der Bautarifvertrag sehe
nämlich für kaufmännische Angestellte mehrere Tarifgruppen
mit unterschiedlichen, zum Teil stark abweichenden Gehalts-
tarifen vor. Die Angaben der Art der Tätigkeit mit "Kauf-
männische Angestellte" und der Entlohnung mit "tarifliches
Entgelt" erfüllten nicht die Voraussetzungen einer aus-
reichenden Belehrung.

Der Bescheid vom 30. März 1978, der den Bescheid vom
25. Oktober 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 7. Februar 1978 ersetzt habe und der Gegenstand des
Verfahrens geworden sei, sei aufzuheben gewesen. Es habe an
der gemäß § 34 SGB 1 erforderlichen Anhörung der Klägerin
gefehlt.

Der geltend gemachte Zinsanspruch der Klägerin sei bereits
deshalb abzuweisen gewesen, weil sie die Klage, mit der sie
in erster Instanz denselben Anspruch erhoben hätte, inso-
weit zurückgenommen habe.

 - 5 -

Der erkennende Senat hat auf die dahin beschränkte Nichtzu-
lassungsbeschwerde der Beklagten mit Beschluß vom
20. März 1980 die Revision insoweit zugelassen, als das
LSG auf die Berufung der Beklagten über den Sperrzeit-
bescheid vom 25. Oktober 1977 idF des Widerspruchsbescheides
vom 7. Februar 1978 entschieden hat.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des
§ 119 Abs 1 Nr 2 AFGo Nach der bisherigen Rechtsprechung sei
ein Arbeitsangebot ausreichend bestimmtg wenn es alle Ans
gaben enthalte, deren der Arbeitslose bedürfe, um sich über
die zulässigen Ablehnungsgründe schlüssig werden zu können.
Dabei sei zB die Nennung des Arbeitsentgelts nicht erforder-
lich, es genüge und entspreche regelmäßig auch dem Intern
esse der Beteiligten„ daß dem Arbeitslosen eine eigene
Prüfungsmöglichkeit eröffnet sei, denn nur der Nachweis der
Gelegenheit zum Vertragsabschluß sei Aufgabe der Beklagten
Diese Rechtsprechung sei durch das Urteil des Bundessozial-
gerichts (BSG) vom 10. Oktober 1978 (BSGE 47, 101 =
SozR 4100 § 119 Nr 5) nicht aufgegeben worden, was sich
aus der Gesamtheit der Ausführungen dieses Urteils ergebe.
Somit sei auch das Arbeitsangebot für die Klägerin aus-
reichend bestimmt gewesen. Die Klägerin habe es auch so auf-
gefaßt und sich bei dem Verband nach der offenen Stelle er-
kundigt. Aus seiner rechtlichen Sicht habe das LSG nicht
geprüft, ob das Verhalten der Klägerin ursächlich für das
Nichtzustandekommen des Arbeitsverhältnisses gewesen sei.
Der Rechtsstreit müsse deshalb zur Nachholung dieser Feste
stellungen an das LSG zurückverwiesen werden.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit in ihm
(unter I) die Berufung der Beklagten gegen das Ur—
teil des SG Kassel vom 17. Juli 1978 zurückge—
wiesen wurde„ und den Rechtsstreit insoweit zu
neuer Verhandlung und Entscheidung an die Vor-
instanz zurückzuverweisen.

 - 6 -

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht durch einen
zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne münd-
liche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt ($ 124
Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG—).

II

Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung der
Sache an das LSG begründet.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG
nur insoweit, als es über die Rechtmäßigkeit des Sperrzeit-
bescheides vom 25. Oktober 1977 in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheides vom 7. Februar 1978 entschieden hat. Als
Folge des Zulassungsbeschlusses des Senats vom 20. März 1980
hat die Beklagte nämlich nur insoweit eine zulässige Re-
vision eingelegt. Im übrigen ist das Urteil des LSG rechts-
kräftig geworden.

Eine Sperrzeit tritt nach § 119 Abs 1 Nr 2 AFG ein, wenn
der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine
Arbeit nicht annimmt oder nicht antritt, ohne für sein
Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, Diese Rechts-
folge tritt jedoch nur ein, wenn die abgelehnte oder nicht
angetretene Arbeit vom Arbeitsamt "angeboten" worden ist:
durch dieses gegenüber dem früheren Recht (vgl § 78 des
Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenver-
sicherung -AVAVG-; ebenso § 90 AVAVG aF) erweiterte Er—
fordernis der angebotenen Arbeit soll insbesondere sicher-
gestellt werden, daß der Arbeitslose in jedem Einzelfall
über die Rechtsfolgen, die im Falle der Ablehnung ein-
treten können, belehrt wird (vgl schriftl Bericht des
Bundestagsausschusses für Arbeit zu BT-Drucks V/4110 S 21).

 - 7 -

Das heißt, die Belehrung muß im Zusammenhang und in Ver-
bindung mit dem jeweils konkreten Angebot die jeweils
hierfür drohende Rechtsfolge nach Dauer und Wirkung be-
zeichnen, die eintreten kann, wenn dem Arbeitslosen für
die Nichtannahme oder den Nichtantritt der Arbeit kein
wichtiger Grund zur Seite steht. Daraus ergibt sich zu-
gleich, daß das Angebot der Arbeitsverwaltung auch dazu
dienen soll, bereits in der Phase der Arbeitsvermittlung
eine Prüfung zu ermöglichen, ob die angebotene Arbeit
"zumutbar" ist oder ob dem Arbeitslosen - im Hinblick
auf seine Eignung und seine persönlichen Verhältnisse -
zulässige Ablehnungsgründe zur Seite stehen. Die insoweit
von der Arbeitsverwaltung bereits bei der Arbeitsver-
mittlung in Beachtung der Grundsätze der §§ 14 ff AFG zu
treffende Abwägung zwischen der Eignung und den persön-
lichen Verhältnissen des Arbeitsuchenden einerseits und
dem zu vermittelnden Arbeitsplatz andererseits erfordert
ein ausreichend bestimmtes (konkretisiertes) Angebot;
nur ein solches Angebot ermöglicht dem Arbeitslosen die
Prüfung, ob zulässige Ablehnungsgründe gegeben sind
(BSGE 4, 1, 3). Genügt das Angebot diesen Bestimmtheits»
anforderungen nicht, ist es rechtsunwirksam und daher
grundsätzlich nicht geeignet, die Rechtswirkungen einer
Leistungssperre im Falle unbegründeter Weigerung der An—
nahme oder des Antritts der angebotenen Arbeit auszulösen.
Dasselbe gilt, wenn das Arbeitsangebot zwar ausreichend
bestimmt ist, aber nicht den Grundsätzen einer sachge—
rechten Arbeitsvermittlung entspricht (BSGE 44, 71, 74
= SozR 4100 § 119 Nr 3),

Der Eintritt der Rechtsfolge einer Leistungssperre nach
§ 119 Abs 1 Nr 2 AFG setzt mithin voraus,

1. daß das Angebot ausreichend bestimmt ist,

2. daß das Angebot nicht gegen die Grundsätze sachgerechter
Arbeitsvermittlung iS von §§ 14 ff AFG verstößt und

3. daß es außerdem mit einer ausreichenden Rechtsfolgen—
belehrung verbunden ist bzw in Zusammenhang steht,

 - 8 -

Liegen diese Voraussetzungen nicht vor so löst die Ab-
lehnung des Angebots eine Leistungssperre grundsätzlich
nicht aus.

Die Frage, wenn ein ausreichend bestimmtes Angebot vor-
liegt, kann nicht generell beantwortet werden, sondern muß
nach den besonderen Umständen des jeweiligen Vermittlungs-
falles beurteilt werden (BSGE 4, 1, 3). Maßstäbe für die
Beurteilung ergeben sich aus den Aufgaben der Arbeitsver-
mittlung einerseits und dem Zweck der Sperrzeitregelung
andererseits. Da Aufgabe der Arbeitsvernittlung nur die An-
bahnung eines Arbeitsvertrages ist, der Abschluß des
Arbeitsvertrages hingegen dem Arbeitsuchenden und Arbeit-
geber vorbehalten bleiht, ist das Arbeitsangebot des § 119
Abs 1 Nr 2 AEG nicht mit der Arbeitsvertragsofferte
(§§ 145 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-) zu ver-
wechseln (vgl Eckert ua, Gemeinschaftskommentar zum AFG,
Stand: Dezember 1979, RdNr 31 zu § 119). Das Angebot eines
Arbeitsplatzes durch die Arbeitsverwaltung (Vermittlungs-
angebot) dient lediglich dem Nachweis der Gelegenheit zum
Abschluß eines Arbeitsvertrages (BSGE 44, 71, 73 = SozR 4100
§ 119 Nr 3). Demgemäß muß das Vermittlungsangebot nicht alle
Arbeitsbedingungen enthalten deren es zum Abschluß eines
Arbeitsvertrages bedurfte. Es genügt vielmehr, daß dem
Arbeitsuchenden eine eigene Prüfungsmöglichkeit beim Arbeit-
geber eröffnet wird. Durch die Arbeitsvermittlung soll weder
dem Arbeitsuchenden noch dem Arbeitgeber die Selbstverant-
wortung für die Gestaltung ihrer wirtschaftlichen oder
beruflichen Existenz abgenommen werden; deshalb muß die
Klärung der näheren Einzelheiten des angebahnten Arbeiten
Verhältnisses grundsätzlich der Fühlungnahme zwischen
Arbeitsuchendem und Arbeitgeber vorbehalten bleiben.

Andererseits muß aber das Arbeitsangebot in Hinblick auf
die drehenden Rechtsfölgen der Leistungssperre so weit kon-
kretisiert sein, daß sich der Arbeitsuchende über die zu
lässigen Ablehnungsgründe schlüssig werden kann (BSGE 4, 1,3;

 - 9 -

BSGE 44, 71, 73 = SozR 4100 § 119 Nr 5; BSGE 47, 101, 105
= SozR 4100 § 119 Nr 5). Das heißt, der Arbeitsuchende muß
sich aufgrund der Angaben der Arbeitsverwaltung eine Vor—
stellung von der angebotenen Beschäftigung machen können,
die es ihm ermöglicht zu prüfen, ob er die angebotene Arbeit
annehmen bzw antreten will oder nicht. Dafür genügt es zu-
nächst, wenn aus den Informationen des Arbeitsamtes ersicht-
lich wird, daß es sich um einen bestimmten Arbeitsplatz an
einem bestimmten Ort handelt, den der Arbeitsuchende auf-
grund seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit grundsätzlich
auszufüllen vermag; das Arbeitsangebot muß deshalb im allge—
meinen mindestens den Arbeitgeber, die Arbeitsstätte und die
Art der zu verrichtenden Tätigkeit benennen. Welche Angaben
über diese Mindestangaben hinaus erforderlich sind, hängt
von den Umständen des einzelnen Vermittlungsfalles ab. Ange-
sichts der Komplexität des Vermittlungsauftrags der Bundes-
anstalt für Arbeit und der Vielfalt der Lebenssachverhalte,
die für die Ablehnung einer Arbeit aus wichtigem Grund in
Betracht kommen können, lassen sich diesbezügliche An-
forderungen nicht generell, sondern nur nach den Gegeben—
heiten des einzelnen Vermittlungsfalles aufstellen. Hierbei
ist zunächst danach zu differenzieren, ob es sich um die
Vermittlung in eine Tätigkeit der bisher ausgeübten Art oder
jedenfalls eine verwandte Tätigkeit handelt oder ob das An-
gebot für den Arbeitslosen eine neue Tätigkeit betrifft. Soll
der Arbeitsuchende wieder in seinen bisherigen Beruf bzw ver-
wandten Beruf oder einen ähnlichen Beruf in der gleichen
Branche vermittelt werden, sind an die Bestimmtheit im all-
gemeinen weniger hohe Anforderungen als bei der Vermittlung
in einen neuen Beruf zu stellen, weil regelmäßig davon aus-
gegangen werden kann, daß der Arbeitsuchende bezüglich des
bereits ausgeübten Berufs hinreichende Vorstellungen über die
zu erwartenden Arbeitsbedingungen besitzt. Das gleiche gilt,
wenn die zu vermittelnde — neue - Tätigkeit einem typischen,
üblichen Berufsbild entspricht, dessen Bedingungen als be-
kannt vorausgesetzt werden können. Dies gilt allerdings nur
mit der Einschränkung, daß hinsichtlich des anzubietenden

 - 10 -

konkreten Arbeitsplatzes keine Besonderheiten bestehen
(§ 1h Abs 1 AFG); auf derartige Besonderheiten bzw unüb-
liche Arbeitsbedingungen hat die Arbeitsverwaltung hinzu—
weisen. So sind zB Angaben über die nähere Gestaltung der
Arbeitszeit erforderlich, wenn diese von der üblichen
Arbeitszeit abweicht, etwa Nacht— oder Schichtarbeit zu
verrichten ist.

Auch die Frage, ob das Arbeitsangebot Angaben über die
Höhe der zu erwartenden Entlohnung enthalten muß, hängt im
wesentlichen von den Umständen des einzelnen Vermittlungs-
falles ab. Da die Höhe des Entgelts zur Ablehnung der ange—
botenen Arbeit jedenfalls dann berechtigt, wenn nicht der
Tariflohn bzw der im Beruf ortsübliche Lohn gezahlt wird
(§ 16 AFG, § 78 Abs 2 Nr 1 AVAVG), bedarf es grundsätzlich
der Information, daß das zu erwartende Entgelt diesen An-
forderungen entspricht. Dies genügt im allgemeinen aber
auch nur dann, wenn der Arbeitsuchende sich über die Höhe
des zu erwartenden "tariflichen"Entge1ts eine ausreichende
Vorstellung machen kann, dh wenn ihm die Entlohnungsmaß—
stäbe des in Betracht kommenden Tarifvertrages - etwa auf-
grund seiner bisherigen Tätigkeit - bekannt sind oder wenn
er aus sonstigen Informationen über die Qualität der ange-
botenen Arbeit (zB Hilfspolier, Former mit Facharbeiter-
qualifikation) auf die in dieser Qualifikationsstufe üb-
liche Entlohnung schließen kann. Da der Arbeitslose eine
Verschlechterung seines Status und der Arbeitsbedingungen
im allgemeinen nur hinzunehmen braucht, wenn dies nach Lage
und Entwicklung des Arbeitsmarktes unvermeidbar ist (vgl
Regierungsentwurf zum HStruktG — BR-Drucks 575/75 S 52;
Bericht des Haushaltsausschusses - BR—Drucks 7/4243 S 9/10),
gehört zu einem ausreichend konkretisierten Arbeitsangebot
für den Regelfall auch, daß sich der Arbeitslose eine Vor-
stellung von der qualitativen Wertschätzung der angebotenen
Beschäftigung bzw dem für sie üblichen (tariflichen) Ent—
gelt machen kann, das Indiz für die qualitative Wertschätzung
sein kann. Dies gilt Jedenfalls in Fällen wie dem vorliegen-
den, in dem das Arbeitsangebot in die erste Zeit der

 - 11 -

Arbeitslosigkeit fällt (vgl BSGE 44, 71 = SozR 4100 § 119 Nr 5).
Denn da in diesen Fällen von der Arbeitsverwaltung zunächst
eine dem Berufsbild und der sozialen Stellung des Arbeit-
suchenden entsprechende Vermittlung (in eine berufsgerechte,
berufsnahe und gleichwertige Tätigkeit) versucht werden muß,
kann für die Frage, ob ein wichtiger Grund zur Arbeitsab—
lehnung vorliegt bzw die angebotene Tätigkeit zumutbar ist,
von Bedeutung sein, ob diese gegenüber dem früheren Qualifi—
kationsstand des Arbeitsuchenden einen Abstieg bedeutet bzw
Lohneinbußen mit sich bringt.

Auch in diesen Fällen bedarf es näherer Angaben über die Höhe
des zu erwartenden Entgelts lediglich dann nicht, wenn bei
dem Arbeitsuchenden Kenntnisse über die Entlohnungsmaßstäbe
des einschlägigen Tarifbereichs aufgrund seiner bisherigen
Tätigkeit sicher vorausgesetzt werden können und aufgrund der
Angaben über die zu verrichtende Tätigkeit feststeht, daß bei
ihm eine ausreichende Vorstellung über die Höhe des Entgelts
- etwa hinsichtlich der Zuordnung in die maßgebliche Qualifi-
kationsstufe bzw Tarifgruppe - vorhanden ist. Hingegen bedarf
es konkreter Informationen über das Arbeitsentgelt immer dann,
wenn der Arbeitsuchende in einen neuen Beruf vermittelt wer—
den soll oder wenn die angegebene Tätigkeit im bisherigen
Berufsbereich so allgemein umschrieben ist, daß sich der zu
Vermittelnde ohne entsprechende Hinweise - etwa auf die zu
erwartende tarifliche Einstufung — keine Vorstellung über
die Entlohnung machen kann.

Allerdings wird es häufig vom Inhalt des einzelnen Ver—
mittlungsauftrages des Arbeitgebers abhängen, ob die Beklagte
konkrete Hinweise auf das Entgelt geben kann, so zB wenn die
Höhe des Arbeitsentgelts bzw die tarifliche Einstufung bewußt
offengehalten und von der speziellen Leistungsfähigkeit des
Arbeitsuchenden (seiner Ausbildung, Eignung, Erfahrung usw)
für den speziellen Arbeitsplatz oder den betreffenden Betrieb
abhängig gemacht wird. Dies kann bei Aufträgen zur Vermittlung
von Bewerbern für sogenannte gehobene Berufe der Fall sein

 - 12 -

oder bei Vermittlungsaufträgen, die - etwa bei Produktions-
erweiterung oder Neuansiedlung von Betrieben - bestimmte
Gruppen von Fachkräften umfassen, über deren Einsatz und
damit über deren endgültige Entlohnung bzw tarifliche Ein-
stufung erst nach Vorstellung der in Betracht kommenden Be-
werber entschieden wird. In derartigen Fällen hat die
Arbeitsverwaltung jedoch, sofern nicht wenigstens ein Rahmen
für die zu erwartende Entlohnung bzw tarifliche Einstufung
angegeben werden kann, darauf hinzuweisen, daß das Arbeits—
entgelt erst in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber ausge-
handelt werden kann.

Information über das Arbeitsentgelt bedeutet mithin nicht,
daß die Beklagte regelmäßig dem Arbeitslosen das Entgelt
genau ("auf Heller und Pfennig") anzugeben hätte; es genügt
vielmehr - abgesehen von den vorgenannten Sonderfällen -,
daß die angebotene Arbeit nach Tätigkeitsart oder -merkmalen,
evtl nach ihrer tariflichen Einstufung, genau bezeichnet ist,
wenn erwartet werden kann, daß dem zu Vermittelnden die Ent-
lohnungsgrundsätze bekannt sind„ Andernfalls bedarf es kon-
kreter Angaben über die Höhe des Entgelts. Dies gilt insbe—
sondere in den Fällen, in denen die Vermittlung in die erste
Zeit der Arbeitslosigkeit fällt. Insoweit weicht der Senat
nicht von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. Soweit im Ur-
teil vom 22. Juni 1977 (BSGE 44, 71, 75 = SozR 4100 § 119
Nr 5) allgemein ausgeführt wurde, daß es Angaben der Arbeits—
verwaltung zB zum Entgelt nicht bedürfe und soweit im Urteil
vom 10. Oktober 1978 (BSGE 47, 101, 105 = SozR 4100 § 119 Nr. 5)
gefordert wurde, daß alle diejenigen Einzelheiten bezüglich
der angebotenen Arbeit mitzuteilen seien, derer es für eine
sachgerechte Entscheidung über Annahme oder Nichtannahme der
Arbeit bedürfe, findet dies seine Grundlage in den dort ent-
schiedenen Einzelfällen.

Unter Beachtung der vorgenannten Grundsätze kann im Falle der
Klägerin, wie das LSG zutreffend entschieden hat, nicht von
einem ausreichenden Arbeitsangebot gesprochen werden (aA LSG
Schleswig—Holstein, Breithaupt 1980, 607, 611). Aufgrund

 - 13 -

der Berufsangabe "Kaufmännische Angestellte" und der Be-
zeichnung des Entgelts als "tariflich" konnte sich die Klä-
gerin, obwohl sie bereits mehrere Jahre als kaufmännische An-
gestellte tätig war, keine Vorstellungen machen, welcher
Qualifikationsstufe die angebotene Arbeit zuzuordnen war bzw
wie hoch etwa ihr Arbeitsentgelt sein würde. Die Berufs-
bezeichnung "Kaufmännische Angestellte" umschreibt allgemein
kaufmännische Angestellte und umfaßt eine Vielzahl qualita-
tiv unterschiedlicher Tätigkeiten, für die in den Tarifver-
trägen im allgemeinen mehrere Tarifgruppen mit unterschied-
lichen, zum Teil stark voneinander abweichenden Gehalts-
tarifen (Vergütungsstufen) vorgesehen sind, wie es das LSG
auch für den vorliegenden Fall festgestellt hat. Die Klägerin,
die eben erst arbeitslos geworden war und daher vorrangig zu—
nächst in eine gleichwertige Tätigkeit zu vermitteln war,
konnte sich mangels näherer Hinweise über die Zuordnung der
angebotenen Arbeit zu den im kaufmännischen Bereich üblichen
Qualifikationsstufen über die Frage eines wichtigen Grundes
zur Arbeitsablehnung nicht schlüssig werden. Über die Frage,
ob die Angabe "tarifliches Entgelt“ ausgereicht hätte, wenn
der Klägerin eine wesentlich genauere Beschreibung der Tätig-
keit gegeben worden wäre, braucht der Senat nicht zu ent-
scheiden.

Arbeitsangebote, die - wie im Falle der Klägerin - nicht
ausreichend bestimmt sind, sind rechtsunwirksam und können
daher die Rechtswirkungen einer Sperrzeit grundsätzlich nicht
auslösen. Der Arbeitslose ist in solchen Fällen berechtigt,
das derart fehlerhafte Angebot dem vermittelnden Arbeitsamt
gegenüber unmittelbar abzulehnen.

Gleichwohl kann der Arbeitslose sich im Nachhinein nicht
darauf berufen, daß das Angebot unzureichend konkretisiert
war, wenn er von dem Recht zur Ablehnung zunächst keinen Ge-
brauch macht, sondern aufgrund des ihm unterbreiteten Ange-
bots Kontakte mit dem Arbeitgeber aufnimmt und sich dadurch
selbst die Gelegenheit verschafft, bisher fehlende Infor-
mationen über das Arbeitsangebot zu erhalten. Er hat dann
durch sein Verhalten zum Ausdruck gebracht, daß er das

 - 14 -

Angebot als ausreichend bestimmt akzeptiert, und hat sich
damit des Rechts begeben, dessen Mangel nachträglich zur Ab—
wendung der gesetzlichen Folgen der Leistungssperre geltend
zu machen. Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens ("venire
contra factum proprium") als Sonderfall des Rechtsgrund—
satzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gilt auch im Bereich
des öffentlichen Rechts, insbesondere auch des Sozialver-
sicherungsrechts, und kommt in diesem Sinne sowohl für das
Handeln der Verwaltungsbehörden bzw der Versicherungsträger
als auch für das Verhalten des einzelnen in Betracht (vgl
Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd I, 10. Aufl,
S 172; Staudinger/Weber, Kommentar zum BGB, Bd II, Teil I b,
11. Aufl 1961, § 242 RdNrn A 60 ff; A 106, D 589 f mwN;
BSGE 7, 199 f; 25, 62, 65). Es muß sich allerdings bei der
Rechtsgestaltung um Beziehungen handeln, deren sachgemäße Ab-
wicklung nur möglich ist, wenn beide Teile ihr Verhalten in
einer dem Erfordernis des § 242 BGB für das bürgerliche Recht
entsprechenden Weise dem Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme
unterstellen (BSGE 7, 199, 201). Insoweit ist zu berücksich-
tigen, daß der Arbeitslose, der im Leistungsbezug steht und
alsbald wieder in Arbeit vermittelt werden soll, aufgrund.des
zur Beklagten bestehenden Versicherungsverhältnisses nicht
nur zur Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen (Alg) be-
rechtigt ist und Anspruch auf Betreuung durch die Beklagte
hat, sondern als Glied der Solidargemeinschaft auch zur Mit-
wirkung im Rahmen des Versicherungsverhältnisses — hier bei
der Anbahnung eines neuen Arbeitsverhältnisses - verpflichtet
ist (vgl BSGE 4, 1, 7). Ungeachtet der Verpflichtungen der Be-
klagten aus §§ 4, 15, 14 AFG muß von ihm erwartet werden, daß
er Bemühungen der Arbeitsverwaltung bei der Vermittlung eines
Arbeitsplatzes unterstützt; dazu gehört auch die Mitteilung
derjenigen Umstände, die im Rahmen einer ordnungsgemäßen Durch-
führung der Arbeitsvermittlung dazu dienen, die Interessen der
Beklagten und damit der Versichertengemeinschaft zu wahren
(vgl BSGE 45, 119, 121). Nimmt der Arbeitslose ein von der
Arbeitsverwaltung unterbreitetes - nicht ausreichend bestimmtes -
Vertragsangebot widerspruchslos hin und verwendet er es

 - 15 -

bestimmungsgemäß, indem er sich an den Arbeitgeber wendet
und sich dadurch selbst Gelegenheit verschafft, noch
fehlende Informationen zu erhalten, so kann er sich nach-
träglich, wenn es aus anderen Gründen nicht zum Vertrags-
abschluß kommt, nicht auf die mangelhafte Konkretisierung
des Angebots berufen; denn sein Verhalten läßt auf den
Willen schließen, daß er von seinem Recht auf Ablehnung des
Angebots wegen nicht ausreichender Bestimmtheit keinen Ge-
brauch machen will, so daß die - spätere - a Berufung auf
dieses Recht als treuwidriges Verhalten ("protestatio facto
contraria") zu werten wäre.

Ist das der Klägerin unterbreitete Vertragsangebot deshalb
vorliegend im Hinblick auf ihr Verhalten als rechtswirksam
zu behandeln, so kommt es für die Entscheidung der Frage, ob
eine Sperrzeit nach § 119 Abs 1 Nr 2 AFG eingetreten ist,
auf die weitere Prüfung an, ob das Angebot nicht gegen die
Grundsätze sachgerechter Arbeitsvermittlung iS der §§ 14 ff AFG
verstößt und ob im Zusammenhang mit dem Angebot eine rechts—
wirksame Rechtsfolgenbelehrung erteilt war, ferner ob ein
Ablehnungstatbestand (Nichtannahme oder Nichtantritt der ange-
botenen Arbeit) gegeben ist und ob der Klägerin für die Ab-
lehnung ein wichtiger Grund zur Seite gestanden hat. Hierzu
hat das LSG - von seiner Rechtsauffassung aus zu Recht -
noch keine Feststellungen getroffen,

Bezüglich der Prüfung der Frage, ob eine ausreichende Rechts—
folgenbelehrung erteilt war, wird das LSG zu beachten haben,
daß die oa Erwägungen über den Verlust des Rechts, sich auf
die Unbestimmtheit eines Angebots berufen zu können, bei einer
unvollständigen oder aus sonstigen Gründen unzureichenden
Rechtsfolgenbelehrung keine Anwendung finden. Denn die in
§ 119 Abs 1 Nr 2 AFG ausdrücklich angeordnete Belehrungs-
pflicht dient einem übergeordneten sozialen Schutzzweck, näm—
lich den Arbeitslosen vor den Folgen einer unbegründeten
Arbeitsablehnung - Sperrzeitwirkung - zu warnen: sie hat des-
halb zwingenden, formalen Charakter und muß im Zusammenhang
mit jedem einzelnen Vermittlungsangebot erneut erfüllt werden°

 - 16 -

In diesem Bereich ist das Verhalten des Arbeitslosen wegen
des zwingenden Charakters der der Beklagten auferlegten
Pflicht einer Beurteilung nach den Grundsätzen des § 242 BGB
entzogen; eine mangelhafte Belehrung steht dem Eintritt einer
Sperrzeit stets entgegen.

In dem Umfang, in dem die Beklagte Revision eingelegt hat,
kann das Urteil des LSG (Ziffer I) demnach keinen Bestand
behalten. Dies hat gleichzeitig die Aufhebung der Kostenent-
scheidung (Ziffer IV) zur Folge. Die Sache ist insoweit an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das die erforder-
lichen Feststellungen noch nachzuholen und sodann erneut
über die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zu
entscheiden haben wird.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens
zu entscheiden haben.

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Dienstag, 30. Juni 2015
BSG, B 4 AS 417/13 B vom 25.02.2014, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT
Beschluss
in dem Rechtsstreit

Az: B 4 AS 417/13 B
L 34 AS 224/13 (LSG Berlin-Brandenburg)
S 82 AS 33442/11 (SG Berlin)

.................................,
Kläger, Antragsteller
und Beschwerdeführer,
Prozessbevollmächtigte:
............................................,

g e g e n

Jobcenter Berlin Neukölln,
Mainzer Straße 27, 12053 Berlin,
Beklagter und Beschwerdegegner.
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 25. Februar 2014 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. V o e l z k e
S. K n i c k r e h m
sowie die Richterinnen
und B e h r e n d
beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-
sozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. August 2013 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und
Rechtsanwältin N. A.
in B.
beizuordnen, wird abgelehnt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

- 2 -

G r ü n d e :

I

[1] Der Beklagte forderte den durchgehend SGB II-Leistungen beziehenden Kläger mit drei Melde-
aufforderungen vom 9.9.2011 (Meldetermin am 22.9.2011 um 8:45 Uhr), vom 20.10.2011 (Mel-
determin am 31.10.2011 um 8:45 Uhr) und vom 7.11.2011 (Meldetermin am 14.11.2011 um
9:15 Uhr) auf, bei ihm zu erscheinen, um über sein Bewerberangebot bzw seine berufliche Situ-
ation zu sprechen. Das Alg II werde um 10 % des maßgebenden Regelbedarfs für die Dauer
von drei Monaten gemindert, wenn er der Einladung ohne wichtigen Grund nicht folge. Die Wi-
dersprüche gegen die Meldeaufforderungen wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheide
vom 28.11.2011).

[2] Der Beklagte minderte die SGB II-Leitungen für den Zeitraum vom 1.1.2012 bis 31.3.2012 um
10 % des maßgebenden Regelbedarfs, weil der Kläger trotz schriftlicher Belehrung über die
Rechtsfolgen zu dem Meldetermin am 31.10.2012 ohne wichtigen Grund nicht erschienen sei
(Bescheid vom 13.12.2011; Widerspruchsbescheid vom 31.1.2012), ebenso für den Zeitraum
vom 1.2.2012 bis 30.4.2012 (Bescheid vom 13.1.2012; Widerspruchsbescheid vom 19.3.2012).
Das LSG hat die Berufung gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid vom 15.1.2013 zu-
rückgewiesen (Urteil vom 28.8.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt,
ein Rechtsschutzbedürfnis für die Fortsetzungsfeststellungsklage zu der Rechtswidrigkeit der
Aufforderung zur persönlichen Meldung am 9.9.2011, 20.10.2011 und 7.11.2011 fehle. Die auf
Aufhebung der Bescheide vom 13.12.2011 und 13.1.2012 gerichtete Klage könne keinen Erfolg
haben, weil diese rechtmäßig seien. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Absenkung des
Alg II für den hier auf vier Monate begrenzten Zeitraum bestünden nicht. Das LSG hat die Revi-
sion nicht zugelassen.

[3] Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revi-
sion und beantragt die Bewilligung von PKH.

II

[4] Die Beschwerde ist nicht zulässig, weil die als Zulassungsgründe geltend gemachte grundsätz-
liche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und ein Verfahrensfehler (§ 160 Abs
2 Nr 3 SGG) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind (§ 160a
Abs 2 S 3 SGG). Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169
SGG zu verwerfen.

- 3 -

[5] Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwer-
debegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu
entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im
allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revi-
sionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG
SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch: BVerfG SozR
3-1500 § 160a Nr 7). Der Beschwerdeführer hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage
unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und ggf des Schrifttums nicht
ohne Weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur
Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

[6] Mit seinem Vorbringen wird der Kläger diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Er for-
muliert als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung: "Stellt die Sanktionierung von Empfän-
gern von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch durch Kürzungen der Regelleis-
tung ohne die ersatzweise Erbringung von Sachleistungen einen Verstoß gegen das Grundrecht
auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Ver-
bindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG dar?" Nach der Entscheidung des
BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) sei das
Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dem Grunde nach
unverfügbar und müsse eingelöst werden. Die Unterschreitung des in § 20 Abs 2 SGB II fest-
gelegten Regelbedarfs durch den Gesetzgeber sei - jedenfalls sofern die Minderung nicht durch
die Gewährung von Sachleistungen ausgeglichen werde - zwangsläufig ein Eingriff in das
Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Die aufgeworfene
Frage sei bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. In der rechtswissenschaftli-
chen Literatur überwiege die Auffassung, dass Sanktionen grundsätzlich zulässig seien. Auch in
der Rechtsprechung sei die Verfassungsmäßigkeit des Sanktionsrechts bisher nicht wesentlich
in Frage gestellt worden.

[7] Mit diesem Vorbringen hat der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht
ausreichend dargetan. Zwar weist er zutreffend darauf hin, dass es der Senat in seinem Urteil
vom 9.11.2010 (B 4 AS 27/10 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 6) offen gelassen hat, ob verfassungs-
rechtliche Bedenken gegen die Absenkung des Alg II für einen auf vier Monate begrenzten Zeit-
raum vom 1.11.2007 bis 29.2.2008 bei einer Absenkung um 20 vH bzw 30 vH bestehen, weil im
konkreten Fall ergänzende Sachleistungen "in angemessenem Umfang" angeboten worden
waren. Der Kläger hat sich jedoch nicht in dem erforderlichen Umfang mit der grundsätzlichen
Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage im Hinblick auf den hier konkret vorliegenden Ein-
zelfall, insbesondere der Minderung wegen eines Meldeversäumnisses um 10 vH der Regel-
leistung für einen auf einige Monate befristeten Zeitraum auseinandergesetzt. Insofern hätte
sich der Kläger auch mit den Aussagen des BVerfG zu einem Abzug von 10 % des Regelbe-

- 4 -

darfs über einen gewissen Zeitraum im Rahmen der Darlehensregelung (vgl nunmehr § 42a
SGB II) befassen müssen. Dieses hat die Rückführung eines Darlehens zur Deckung eines
unvermutet auftretenden und unabweisbaren einmaligen Bedarfs durch Einbehalt der Regel-
leistung in Höhe von 10 % als "vorübergehende monatliche Kürzung der Regelleistung" im
Grundsatz verfassungsrechtlich nicht beanstandet (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09,
1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - juris RdNr 150).

[8] Soweit der Kläger "die Einordnung der unterbliebenen Entscheidung des Sozialgerichts über den
mit Schriftsatz vom 02. Mai 2012 klageerweiternd gestellten Antrag auf Erstattung von 221,40 €
wegen der Sanktionen vom 01. Januar 2012 bis 30. April 2012 als offensichtlich versehentlich"
sowie die Übertragung auf den Einzelrichter beanstandet, ist ein Verfahrensfehler nicht ausrei-
chend bezeichnet. Insofern fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung der Tatsachen,
aus denen sich der Mangel ergeben soll (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG,
10. Aufl 2012, § 160a RdNr 16 mwN). Auch reicht nicht die hier nur aufgestellte Behauptung,
dass das angefochtene Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruht.

[9] Dem Kläger steht PKH nicht zu, weil seine Rechtsverfolgung aus den genannten Gründen keine
Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a SGG). Aus diesem Grund entfällt auch die Beiordnung eines
Rechtsanwalts.

[10] Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Mittwoch, 13. Mai 2015
BSG, B 1 KR 79/11 B vom 24.09.2012, Bundessozialgericht
8undessozialgericht

Beschluss

in dem Rechtsstreit

B 1 KR 79/11 B
L 5 KR 131/10 (Bayerisches LSG)
S 2 KR 284/08 ua (SG Regensburg)

...
...
Kläger, Antragsteller und
Beschwerdeführer

ProzessbevolImächtigte: ...
...

gegen

DAK-Gesundheit ,
Nagelsweg 27-31 , 20097 Hamburg,
BekIagte und Beschwerdegegnerin.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. September 2012 durch den
Präsidenten Masuch sowie die Richter Prof. Dr. Hauck und Dr. EsteImann
beschlossen:
Der Antrag des KIägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 2011 Prozesskostenhilfe
unter Beiordnung von Rechtsanwältin ... zu gewähren, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen
Landessozialgerichts vom 28. Juni 2011 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

-2-

Gründe:

l

Der bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger ist mit seinem 8egehren auf Genehmi-
gung von Fahrten mit einem privaten PKW zu allen ambulanten ärztlichen Behandlungen rück-
wirkend ab 26.4.2007 und für die Zukunft, auf Übernahme der Kosten für die Fahrt zu einem
Fachgeschäft für Orthopädie-Schuhtechnik in Regensburg, auf Kostenerstattung von Parkge-
bühren und sonstigen Mobilitätskosten für das Aufsuchen von Ärzten zu medizinisch notwen-
digen Behandlungen (insbesondere ''Umkreisungskosten, Autowärmekosten und Zubringer-
kosten'') sowie auf Übernahme dieser Kosten in der Zukunft bei der Beklagten und in den Vor-
instanzen ohne ErfoIg gebIieben. Das LSG hat - unter Bezugnahme auf die hierzu ergangenen
Gerichtsbescheide des SG - ua ausgeführt, § 60 SGB V sehe über die ausdrücklich geregelten
Leistungen hinaus keine Übernahme von Parkgebühren und sonstigen Mobilitätskosten aIs
Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vor. Auch hinsichtIich seines weiteren
Begehrens erfüIle der KIäger – abgesehen von den von der Beklagten im Zusammenhang mit
der Dialysebehandlung in Regensburg übernommenen Fahrkosten - die Voraussetzungen des
§ 60 SGB V und des § 8 Krankentransport-Richtlinien nicht. Es habe auch kein FaIl der notwen-
digen BeiIadung des zuständigen Sozialhilfeträgers vorgelegen. Die Einholung der vom Kläger
beantragten medizinischen Sachverständigengutachten sei nicht erforderlich (Urteil vom
28.6.2011).

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil
des LSG und begehrt zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung
seiner Rechtsanwältin.


II

Der Antrag des Klägers ist abzu1ehnen, da er keinen Anspruch auf PKH unter Beiordnung eines
Rechtsanwalts hat (dazu 1.). Die Beschwerde des Klägers ist zu verwerfen (dazu 2,).

1. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen BeteiIigten für das
Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden und ein RechtsanwaIt bei-
geordnet werden, wenn - ua - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf
Erfolg bietet. Daran fehlt es seit Eingang des voIlständigen PKH-Gesuchs.

Der KIäger kann seitdem aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revi-
sion wegen grundsätzlicher Bedeutung, Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung
oder wegen eines Verfahrensfehlers, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann,


-3-

nicht durchdringen (Zulassungsgründe des 160 Abs Nr 1, 2 und 3 SGG). Die Durchsicht der
Akten und die Würdigung des Klägervorbringens geben keinen AnhaItspunkt dafür, dass einer
dieser Zulassungsgründe vorliegt.

a) Die Sache bietet weder Hinweise für eine über den EinzelfaII des KIägers hinausgehende
grundsätzIiche Bedeutung der Rechtssache noch ist ersichtlich, dass das LSG entscheidungs-
tragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB Oder des BVerfG abgewichen sein
könnte (Zulassungsgründe des 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 2 SGG). Insbesondere führt die
Rechtsansicht des KIägers, der Gesetzgeber habe in § 92 SGB V geregeIt, dass Fahrkosten zu
übernehmen seien, wenn ansonsten keine ausreichende Versorgung gesichert sei, nicht zu
Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung. Denn durch die Rechtsprechung des erkennen-
den Senats ist geklärt, dass § 60 SGB V den Anspruch auf Fahrkosten bewusst abschließend
regelt (vgl zB BSG Urteil vom 6.11.2008 - B 1 KR 38/07 R - RdNr 14, USK2008-63; vgl auch
BSG 8eschluss vom 21.5.2010 - B 1 KR 6/10 BH - RdNr 6), Auch ohne Entscheidung eines
Revisionsgerichts ist nach WortIaut, Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und Zweck des
§ 92 SGB V klar, dass § 92 SGB V nicht die durch § 60 SGB V gezogenen Grenzen überwinden
darf. Die Leistungsbegrenzung des § 60 SGB V ist nach der Rechtsprechung verfassungskon-
form (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 1; 8SG Urteil vom 6.11,2008 - B 1 KR 38/07 R – Juris
RdNr23, USK2008-3; siehe allgemein 8SGE 102, 30 = SozR 4-2500 § 34 Nr 4, RdNr 17
Gelomyrtol; BSG Urteil vom 6.3,2012 - B 1 KR 24/10 R - Juris RdNr 33, zur Veröffentlichung in
BSGE und SozR vorgesehen). AlIe vom Kläger aus seiner Rechtsauffassung abgeleiteten An-
sprüche - auf pauschale Vorabgenehmigung aIIer Fahrten mit einem privaten PKW zu ambu-
tanten ärztlichen Behandlungen, auf Übernahme der Kosten für die Fahrt zu einem Fachge-
schäft für Orthopädie-Schuhtechnik, auf Kostenerstattung von Parkgebühren und sonstigen
MobiIitätskosten für das Aufsuchen von Ärzten zu medizinisch notwendigen BehandIungen (ins-
besondere ''Umkreisungskosten, Autowärmekosten und Zubringerkosten'') und zukünftige Uber-
nahme dieser Kosten - können nicht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache begrün-
den.

b) Es bestehen auch keine AnhaItspunkte dafür, dass der Kläger einen die RevisionszuIassung
rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund des § 160
Abs 2 Nr 3 SGG).

Allerdings ist die Vorinstanz dem in der mündIichen Verhandlung gestellten Antrag auf Beweis-
erhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht gefolgt, der aIs HiIfsantrag
zum Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Erteilung von Genehmigungen von Fahrkosten
für die Zeit ab 26.4.2007 und für die Zukunft gestellt worden ist. Der KIäger hat keine Erfolgs-
aussichten dafür, mit einer Beschwerde die Verletzung der AmtsermittIungspflicht (§ 103 SGG)
geItend zu machen. Hierauf kann eine NichtzuIassungsbeschwerde nämIich nur gestützt wer-
den, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begrün-

-4-

dung nicht gefoIgt ist (§ 160 Abs Nr 3 SG). Der rechtskundig vertretene Kläger hat indes zu
ProtokolI nur eine Beweiserhebung angeregt, nicht aber - wie erforderlich - einen formellen Be-
weisantrag iS von §§ 373, 403 ZPO iVm § 118 SGG gesteIlt (zu diesem Erfordernís vgl BSG
SozR 3-1500 § 160 Nr 9; BSG 8eschluss vom 14.5,2007 - B 1 KR 21/07 B - RdNr 18). Im Übri-
gen kann er nach der vom LSG gegebenen Begründung nicht schlüssig darlegen, dass sich das
LSG - ausgehend von seiner Rechtsauffassung - zur Einholung eines Sachverständigengut-
achtens hätte gedrängt fühlen müssen.

Soweit das LSG nicht den zuständigen SoziaIhilfeträger beigeladen hat, fehlt es ebenfalls an
Anhaltspunkten für einen Verfahrensfehler. Es ist - gerade unter Berücksichtigung der mitge-
teiIten Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen VerhäItnissen des Klägers – hinsicht-
lich des auf die Zukunft gerichteten Begehrens schon nicht ersichtlich, dass sich im Zeitpunkt
der mündlichen Verhandlung vor dem LSG eine zukünftige Hilfebedürftigkeit und ein zukünftiger
Hilfebedarf derart konkretisiert hatten, dass eine Verurteilung des SozialhiIfeträgers nach § 75
Abs 5 SGG in Betracht gekommen und deswegen eine Beiladung nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG
erforderIich gewesen ist. Auch soweit es um Ansprüche für die Vergangenheit geht, gibt es
keine Hinweise darauf, dass Leistungsansprüche ernsthaft in Betracht kommen. Hinsichtlich der
dem Kläger bereits entstandenen Parkgebühren von neun Euro ist nichts dafür ersichtlich, dass
der Kläger insoweit die Voraussetzungen des § 18 SGB Xll erfüllt. Die Leistungspflicht des
Sozialhilfeträgers setzt erst mit seiner Kenntnisnahme bzw mit der Kenntnisnahme des zunächst
angegangenen Leistungsträgers ein (vgl § 18 Abs 1 iVm Abs 2 S 2 SGB XII). Auch bei Abstellen
auf die Kenntnis der BekIagten (vgl. § 18 Abs 2 SGB XII) hat diese erst mit dem Kostenerstat-
tungsantrag, also nach Inanspruchnahme der gebührenpflichtigen Parkplätze, von den anfallen-
den Parkgebühren Kenntnis erIangt hat. Es kann daher dahingestellt bIeiben, ob ein eventueller
Anspruch nicht schon durch § 88 Abs 1 S 2 SGB Xll ausgeschIossen ist (vgl zur entsprechen-
den Regelung im BSHG BVerwG Urteil vom 17.6.1993 - 5 C 11/91 - BVerwGE 92, 336), Bei den
neben den Fahrkosten und den Parkplatzgebühren für die Vergangenheit geltend gemachten
sonstigen Mobilitätskosten im Zusammenhang mit dem Aufsuchen von Ärzten zu medizinisch
notwendigen Behandlungen fehlt es bereits an jeglicher Konkretisierung der SachverhaIte nach
Ort, Zeit, Art, Umfang und Kosten, aus denen sich die Ansprüche gegen den SozialhiIfeträger
ergeben sollen.

Es begegnet schließlich keinen rechtlichen Bedenken, dass das LSG in Einklang mit dem SG
den Antrag des Klägers, die Beklagte zu verurteilen, die Kosten des begehrten orthopädischen
Hilfsmittels jetzt und in Zukunft in vollem Umfang der tatsächlich unvermeidlichen Kosten abzüg-
lich der Zuzahlung zu übernehmen, als Antrag auf Übernahme der Fahrkosten zum Fachge-
schäft für Orthopädie-Schuhtechnik in Regensburg ausgelegt hat. Nach § 123 SGG entscheidet
das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge ge-
bunden zu sein. Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erstrebt der Kläger auch nur wegen
der begehrten Übernahme der Fahrkosten die Zulassung der Revision.

-5-

2. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 HaIbs 2 SGG
iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulas-
sungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 3 SGG.

a) Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzIichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160
Abs 2 Nr 1 SGG beruft, muss eine Rechtsfrage kIar formulieren und ausführen, inwiefern diese
Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und
über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG
SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f, BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Kläger richtet
sein Vorbringen hieran nicht aus.

aa) Soweit der Kläger Fahrkosten geltend macht, um in einem Fachgeschäft für Orthopädie-
Schuhtechnik in Regensburg Schuheinlagen anzupassen, formuliert er folgende Rechtsfrage:
"1. Hat ein Versicherter gegenüber seiner Krankenkasse einen Anspruch auf die Über-
nahme bzw. Erstattung der Fahrtkosten, die ihm dadurch entstehen, dass er durch seine
Krankenkasse auf einen bestimmten Leistungsträger verwiesen wird, unter anderem im
Rahmen der Versorgung mit HilfsmitteIn?''

Der Kläger Iegt jedoch einen Klärungsbedarf der Frage nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage
ist nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht (vgl nur BSG Be-
schluss vom 16.4.2012 - B 1 R 25/11 B - RdNr 7; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde,
2. Aufl 2010, RdNr 313 mwN). So liegt es hier (vgl oben, II. a).

bb) Als zweite Frage formuliert der KIäger:
'2. Kommt eine - insbesondere aus § 92 SGB V hergeleitete - Zuständigkeit eines ande-
ren Leistungsträgers (Sozialhilfeträgers) in Bezug auf die Zusatzkosten im Zusammen-
hang mit der Wahrnehmung von Arzterminen, etwa im Wege der Erhöhung des Ge-
samtbedarfs, in Betracht?''

Der Kläger legt einen KIärungsbedarf auch dieser Frage nicht hinreichend dar. Er zeigt nicht auf,
wieso sich aus § 92 SGB V die Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers (SoziaIhilfeträ-
gers) ergeben soIl und mit Blick auf andere Normen Klärungsbedarf besteht (vgl im Übrigen
auch oben, II. 1a).

cc) Soweit der Kläger sonstige MobiIitätskosten, insbesondere ''Umkreisungs-, Autowärme- und
Zubringerkosten'' geltend macht, formuliert er folgende Rechtsfragen:
1. Kann die Krankenkasse auf eine für sie kostengünstige Versorgungsart (hier: kosten-
Ioser Parkraum) verweisen, wenn dies beim Versicherten zur Belastung mit Nebenkosten

-6-

(hier: Umkreisungs-, Autowärme-, Zubringerkosten) führt, für deren Übernahme eine
Zuständigkeits- und LeistungspfIicht der Krankenkasse nicht gegeben ist?

2. Wie weit darf sich die Krankenkasse durch derartige Kostenverschiebung eigener
Kosten zu Lasten der Versicherten entledigen, insbesondere wenn diesem dadurch in der
Summe so hohe Kosten entstehen können, dass er seinen Lebensbedarf nicht mehr
decken kann?

3. Kommt eine Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers (Sozialhilfeträgers) in
Bezug auf die Zusatzkosten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Arztterminen,
etwa im Wege der Erhöhung des Gesamtbedarfs, in Betracht?

Der Kläger legt die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht dar. Das Bedürfnis für die Klärung
einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu
ergangenen höchstrichterIichen Rechtspreċhung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die
Frage also ''geklärt ist'' (vgl zb BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7
mwN). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann den-
noch klärungsbedürftig sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang wider-
sprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden
(vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung
ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch BSG 8eschluss vom 22.12.2010
B 1 KR 100/10 B - RdNr 7). Der Kläger legt zu der ersten und der zweiten Frage nicht dar,
dass der sie klärenden Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und
gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl im Übrigen
oben, II. 1a). für die dritte Frage verweist der Senat nach oben (II.2.a bb).

b) Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend
gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte
Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf
eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag be-
zieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Gemäß § 160a Abs 2 S 3
SGG muss der VerfahrensfehIer bezeichnet werden. Diesen Anforderungen wird die Beschwer-
debegründung nicht gerecht. Der Kläger legt Umstände der unter Il.1 .b) bezeichneten, erforder-
lichen Art nicht schlüssig dar. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat insoweit ab
(§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

-7-

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

M. Dr. H. Dr. E.

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1 BvR 2474/12

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Sonntag, 10. Mai 2015
BSG, B 9 SB 90/12 B vom 23.01.2013, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 SB 90/12 B

L 7 SB 29/10 (LSG Sachsen-Anhalt)

S 12 SB 137/07 (SG Halle)

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte:

gegen

Land Sachsen-Anhalt,

vertreten durch das Landesverwaltungsamt - Landesversorgungsamt,

Maxim-Gorki-Straße 7, 06114 Halle/Saale,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 23. Januar 2013 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. L.
sowie die Richter K.
und O.

beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-
sozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. September 2012 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten
zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

[Abs 1] Mit Urteil vom 25.9.2012 hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) einen Anspruch
des Klägers auf Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche
Gehbehinderung) verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat
der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Er macht eine grundsätzli-
che Bedeutung der Rechtssache geltend.

[Abs 2] Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den
gesetzlichen Anforderungen (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG). Keiner der in § 160 Abs 2 SGG ab-
schließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden.

[Abs 3] Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG - wie sie der Kläger geltend macht -
hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall
hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch
das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des
anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt
sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich
ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner
Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen:

(1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete)
Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm an-
gestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE
40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen
Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

[Abs 4] Der Kläger misst folgenden Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung bei:
1. Ergibt sich aus Art. 9 Abs 1, Art 20 Buchst a), Art 30 Abs 1 Buchst c) Übereinkommen der
Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) ein An-
spruch auf das Merkzeichen aG auch außerhalb der Normierungen des § 3 Abs 1 Nr. 1
Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) i.V.m. § 6 Abs 1 Nr. 14 Straßenver-
kehrsgesetz (StVG), § 46 Straßenverkehrsordnung (StVO), § 46 Verwaltungsvorschriften
zur StVO (VwV-StVO), soweit und solange es sich bei diesem Merkzeichen um die einzige
Möglichkeit handelt, im gesamten Bundesgebiet Parkerleichterungen zu erhalten?

2. Ergibt sich aus der UN-BRK als im Zusammenhang mit der vom Bundesverfassungsge-
richt anzuwendenden Auslegungshilfe des Grundgesetzes ein Anspruch auf Parkerleichte-
rungen i.S. einer Reduktion der derzeit strengen Maßstäbe für die Feststellung des Merkzei-

- 3 -

chens aG, solange allein das Merkzeichen aG Parkerleichterungen für das gesamte Bun-
desgebiet einschließt?

[Abs 5] In Bezug auf diese Fragen fehlt es an hinreichenden Ausführungen des Klägers zum höchst-
richterlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der rechtlichen Grundsätze, nach denen das Merkzei-
chen "aG" festzustellen ist (vgl dazu § 69 Abs 4 SGB IX, § 3 Abs 1 Nr 1 SchwbAwV, § 6 Abs 1
Nr 14 StVG, § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO). Eine Klärungsbedürftigkeit ist unter anderem dann
nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (vgl BSG SozR
1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65) oder wenn sich für die Antwort in höchst-
richterlichen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte finden lassen (vgl BSG SozR
3-1500 § 146 Nr 2; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Der Kläger hätte daher die rechtliche Klä-
rungsbedürftigkeit der von ihm angesprochenen Fragestellungen unter Einbeziehung der vor-
handenen Rechtsprechung des BSG, wie vom LSG bereits benannt, näher begründen müssen.

Hierzu wäre es zunächst erforderlich gewesen, sich mit den vom Senat festgelegten Grundsät-
zen zur Feststellung des Merkzeichens "aG" auseinanderzusetzen (zB Senatsurteil vom
5.7.2007 - B 9/9a SB 5/06 R; Senatsurteil vom 29.3.2007 - B 9a SB 5/05 R; Senatsurteil vom
10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R, BSGE 90, 180 = SozR 3-3250 § 69 Nr 1; Senatsurteil vom
11.3.1998 - B 9 SB 1/97 R, BSGE 82, 37 = SozR 3-3870 § 4 Nr 23). Dies hat der Kläger ver-
säumt.

[Abs 6] Gleiches gilt, soweit der Kläger die rechtliche Bedeutung der UN-BRK für die Feststellung der
Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" geklärt wissen will. Allein die Bezugnahme auf einen
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom "22.3.2012 - 2 BvR 889/09, Rnr 52" (möglicher-
weise tatsächlich gemeint: Beschluss vom 23.3.2011 - 2 BvR 882/09) verbunden mit der Be-
hauptung, dass es zu den gestellten Rechtsfragen bisher keine höchstrichterliche Recht-
sprechung gebe, genügt den Darlegungserfordernissen nicht. Auch insoweit hätte es einer
Auseinandersetzung mit der zum Teil bereits vom LSG benannten Rechtsprechung des BSG
zur Anwendung der UN-BRK bedurft (vgl zB BSG Beschluss vom 10.5.2012 - B 1 KR 78/11 B -
RdNr 6 ff, SozR 4-2500 § 140f Nr 1; BSG Urteil vom 6.3.2012 - B 1 KR 10/11 R - RdNr 19 f,
SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; Senatsurteil vom
24.5.2012 - B 9 V 2/11 R - RdNr 36, SozR 4-3520 § 7 Nr 1, auch zur Veröffentlichung in BSGE
vorgesehen; Senatsurteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 2/09 R - RdNr 43, BSGE 106, 101 = SozR
4-3250 § 2 Nr 2). Mit dieser Rechtsprechung hätte sich der Kläger inhaltlich befassen und auf-
zeigen müssen, in welchem Rahmen eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung
derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erfor-
derlich ist (vgl hierzu allgemein Becker, die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG [Teil I], SGb
2007, 261, 266 zu Fußnote 58). Dabei wäre zB darauf einzugehen gewesen, ob die UN-BRK an
der Rechtslage für das Merkzeichen "aG" etwas Grundlegendes geändert hat (vgl dazu Wendt-
land, Finale Betrachtungsweise bei Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen

- 4 -

"aG", in Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht, Forum C, Diskussionsbeitrag
Nr 9/2011, vom 29.11.2011).

[Abs 7] Soweit der Kläger im Übrigen die Beweiswürdigung des LSG (vgl hierzu § 128 Abs 1 S 1 SGG)
kritisiert, kann er damit gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein keine Revisions-
zulassung erreichen. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzutreffende Rechtsanwen-
dung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

[Abs 8] Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a
Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

[Abs 9] Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendungen des § 193 SGG.

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Sonntag, 10. Mai 2015
BSG, B 8 SO 54/10 B vom 24.11.2011, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 8 SO 54/10 B
L 8 SO 132/09 (Bayerisches LSG)
S 10 SO 13/08 (SG Landshut)

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte:

gegen


Bezirk Niederbayern,
Gestütstraße 10, 84028 Landshut,
Beklagter und Beschwerdegegner,

beigeladen:

1. Landkreis Passau,
Regensburger Straße 33, 94036 Passau,

2. Deutsche Angestellten-Krankenkasse,
Nagelsweg 27-31, 20097 Hamburg.

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. März 2011 durch

die Richter C. , O., und Prof. Dr. S.

beschlossen:


Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im
Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 2010 wird als
unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

[Abs. 1]
Im Streit ist die Übernahme von Betriebskosten für ein dem Kläger gehörendes, selbst be-
schafftes Kfz im Wege der Eingliederungshilfe.

[Abs. 2]
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers gegen das klageab-
weisende Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 23.4.2009 (S 10 SO 13/08) zurückgewiesen,
weil der Kläger zum Zwecke der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht auf die regelmä-
ßige Benutzung des Kfz angewiesen sei (Urteil vom 29.6.2010, L 8 SO 132/09).

[Abs. 3]
Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde rügt der Kläger die
Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 62 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm Art 103 Abs 1
Grundgesetz (GG). Die Mitteilung des Klägers an das LSG vom 27.6.2010, er könne an dem
Verhandlungstermin vom 29.6.2010 nicht teilnehmen, weil er nicht über die finanziellen Mittel
zur Bestreitung der Fahrtkosten verfüge, sei als Terminverlegungsantrag auszulegen. Weder
habe das LSG über diesen entschieden, noch habe es Reisekosten gewährt, sodass der mit-
tellose Kläger an der Teilnahme am Termin zur mündlichen Verhandlung gehindert worden sei.

Damit könne die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen, denn es
könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass eine Verletzung des rechtlichen Ge-
hörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert habe, an der mündlichen Verhandlung
teilzunehmen, die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst habe. Einer Angabe, welches
Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden sei, bedürfe es nicht.

[Abs. 4]
Der Rechtssache komme auch grundsätzliche Bedeutung zu, weil folgende Fragen grundsätz-
licher Klärung bedürften:

"Sind bei Leistungsberechtigten nach dem vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung) als Versicherungsnehmer einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtver-
sicherung mit eigenem Renteneinkommen die Prämien für die Kraftfahrzeug-
Haftpflichtversicherung nach § 82 Abs 2 Nr 3 SGB XII vom Renteneinkommen absetzbar, wenn
wegen Krankheit oder Behinderung die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich oder
zumutbar ist?

Stellen die §§ 53 Abs 1 Satz 1 und 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 10 Abs 6 Ein-
gliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) für die Übernahme der Betriebskosten des Kfz die allei-
nige Anspruchsgrundlage dar?"

- 3 -

[Abs. 5]
Diese Rechtsfragen seien auch klärungsbedürftig; das Bundessozialgericht (BSG) habe in sei-
nem Urteil vom 18.3.2008 (B 8/9b SO 11/06 R, BSGE 100, 139 = SozR 4-3500 § 82 Nr 4) ent-
schieden, dass die Absetzbarkeit des Versicherungsbeitrags für ein Kfz voraussetze, dass die-
ses zumindest auch für sozialhilferechtlich anerkennte Zwecke genutzt werde, also etwa, weil
die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel im Fall von Krankheit oder Behinderung eines Mitglieds
der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder unzumutbar sei. Hierbei habe es jedoch offen
gelassen, ob die Kfz-Versicherungsbeiträge überhaupt als angemessene
Versicherungsbeiträge zu verstehen seien und auf die abweichende Ansicht des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 62, 261 ff) verwiesen.

II

[Abs. 6]
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund
des Verfahrensfehlers, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) und
der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), nicht in der erforderlichen Weise be-
zeichnet bzw dargelegt ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Der Senat konnte deshalb über die Be-
schwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG iVm § 169 SGG entscheiden.

[Abs. 7]
Macht der Beschwerdeführer das Vorliegen von Verfahrensmängeln geltend, so müssen bei der
Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) wie bei einer Verfahrensrüge
innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) be-
gründenden Tatsachen substanziiert dargelegt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34,
36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG
- ausgehend von dessen Rechtsansicht - auf dem jeweiligen Mangel beruhen kann, also die
Möglichkeit der Beeinflussung der Entscheidung besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und
36), es sei denn, es würden absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß § 202 SGG
iVm § 547 Zivilprozessordnung (ZPO) der Einfluss auf die Entscheidung unwiderlegbar ver-
mutet wird (BSGE 4, 281, 288; BSG SozR 1500 § 136 Nr 8).

[Abs. 8]
Der Kläger hat mit seinem Vorbringen einen Verfahrensmangel wegen Verletzung des recht-
lichen Gehörs nach § 62 SGG und Art 103 Abs 1 GG nicht hinreichend bezeichnet. Das Gebot
des rechtlichen Gehörs hat auch zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur
Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben müssen (BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 5; BSG SozR
1500 § 128 Nr 24). Wird aufgrund mündlicher Verhandlung, dem "Kernstück" des gerichtlichen
Verfahrens (BSGE 44, 292, 293 = SozR 1500 § 124 Nr 2) entschieden, müssen die Beteiligten
die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör ist dabei in
der Regel bereits dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt
(§ 110 Abs 1 Satz 1 SGG), der Beteiligte bzw sein Prozessbevollmächtigter ordnungsgemäß

- 4 -

geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird (BSG,
Urteil vom 28.4.1999, B 6 KA 40/98 R, USK 99111, RdNr 16). Dass der Kläger an der
Teilnahme der mündlichen Verhandlung gehindert wurde, trägt er nicht schlüssig vor. Dem
Schreiben des Klägers vom 27.6.2010 lässt sich insbesondere kein Terminverlegungsantrag
oder ein Antrag auf Gewährung eines Reisekostenzuschusses entnehmen, sondern allein die
Bitte um Verständnis im Falle seiner Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung. Warum
das Schreiben dennoch als Verlegungsantrag auszulegen war, erläutert der Kläger nicht.

[Abs. 9]
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft,
die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit und der Fortbildung des
Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer
muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichter-
lichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfragen sich stel-
len, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechts-
fragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und
dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160
Nr 17; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu
genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte)
Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die
über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so
genannte Breitenwirkung) darlegen. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung
nicht.

[Abs. 10]
Insbesondere ist die Klärungsfähigkeit nicht ausreichend dargelegt. Das LSG hat die Über-
nahme der Betriebskosten für das dem Kläger gehörende Kfz im Zusammenhang mit Leistun-
gen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft geprüft, weil der Kläger Eingliederungshilfe
beantragt hat. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht er hingegen geltend, dass ihm ange-
sichts der Anrechenbarkeit der "angemessenen" Versicherung höhere Leistungen nach §§ 41 ff
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) zustehen. Zur Darlegung der Klä-
rungsfähigkeit hätte er sich dann aber mit den unterschiedlichen Streitgegenständen und mit
insoweit (ggf) bestandskräftigen Bescheiden des Beigeladenen zu 1., der für Leistungen der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zuständig wäre, auseinandersetzen müs-
sen. Dies hat er jedoch nicht getan.

[Abs. 11]
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 8 SO 6/11 R vom 15.11.2012, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Verkündet am
15.11.2012

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 8 SO 6/11 R
L 9 SO 39/08 (LSG Nordrhein-Westfalen)
S 7 SO 10/07 (SG Duisburg)

Klägerin und Revisionsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:

gegen

Stadt Rheinberg,
Kirchplatz 10, 47495 Rheinberg,
Beklagte und Revisionsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. November
2012 durch den Vorsitzenden Richter E. , den Richter C. und die Richterin

K. sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. W.
und G.



für Recht erkannt:



Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen
vom 20. Juli 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
dieses Gericht zurückverwiesen.

-2-



Gründe:



I



[Abs. 1] Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten in Höhe von 50,48 Euro für
ein Depot-Kontrazeptivum (sog "3-Monats-Spritze") auf Grundlage von Verordnungen vom
8.3.2007 und vom 5.6.2007.


[Abs. 2] Bei der 1966 geborenen Klägerin besteht eine geistige Behinderung mit Aphasie bei Zustand
nach Schädel-Hirn-Trauma. Sie erhält laufend Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Sozial-
gesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) - ua für die Zeit vom 1.7.2006 bis 30.6.2007
(Bescheid vom 21.6.2006) - und ist Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei
der AOK Rheinland/Hamburg. Sie übt eine Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen
aus und wohnt gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Sohn, der von seiner Großmutter
erzogen wird, in einem Haushalt.



[Abs. 3] Am 21.9.2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage privatärztlicher Verord-
nungen ihres behandelnden Gynäkologen vom 13.6.2006 und 12.9.2006 und einer Bescheini-
gung dieses Arztes vom 13.9.2006, wonach die Verordnung erforderlich sei, die Kostenüber-
nahme für jeweils eine Ampulle des Depot-Kontrazeptivums Noristerat. Einen anschließend bei
der AOK Rheinland/Hamburg gestellten Kostenübernahmeantrag lehnte diese ab, weil eine
Kostenübernahme für Kontrazeptiva nach Vollendung des 20. Lebensjahres gemäß § 24a
Abs 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) aus-
scheide (Bescheid vom 6.10.2006). Auch die Beklagte lehnte den Kostenübernahmeantrag ab
(Bescheid vom 20.10.2006; Widerspruchsbescheid unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter
vom 29.3.2007).



[Abs. 4] Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben und die Erstattung
von Kosten in Höhe von insgesamt 126,20 Euro für 5 Ampullen Noristerat (jeweils 25,24 Euro)
geltend gemacht, die sie sich nach Ablehnung der Kostenübernahme durch die Beklagte auf
Grundlage privatärztlicher Verordnungen ihres behandelnden Gynäkologen vom 8.3., 5.6., 6.9.,
13.12.2007 und 13.3.2008 beschafft hatte. Das SG hat die Beklagte antragsgemäß zur Kosten-
erstattung verurteilt (Urteil vom 9.9.2008). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesso-
zialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG aufgehoben und die Klage
abgewiesen (Urteil vom 20.7.2010). Einem Anspruch aus § 49 Satz 2 SGB XII auf
Kostenübernahme für empfängnisverhütende Mittel stehe - entgegen der Auffassung des SG -
§ 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII entgegen, der wegen der Hilfen nach den §§ 47 bis 51 SGB XII auf
den Leistungsumfang der GKV verweise. Nach § 24a SGB V seien Frauen (nur) bis zum
vollendeten 20. Lebensjahr anspruchsberechtigt. Wegen der Änderung des § 38 Abs 1 Satz 1
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zum 1.1.2004 (mit dem Gesetz zur Modernisierung der


-3-

gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz - vom 14.11.2003
- BGBl I 2190) und der damit erfolgten Anbindung des Leistungsrechts des BSHG und in der
Folge des SGB XII an dasjenige des SGB V könnten auch auf der Grundlage des § 49 SGB XII
empfängnisverhütende Mittel für Personen nach Vollendung des 20. Lebensjahres nicht über-
nommen werden. Eine Kostenübernahme gemäß § 48 Satz 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB V
scheide aus, weil das verschriebene empfängnisverhütende Mittel nach den Attesten des be-
handelnden Gynäkologen vom 13.9.2006 und vom 24.8.2007 nicht der Verhütung einer
Schwangerschaft wegen Vorliegens einer Krankheit, sondern der Empfängnisverhütung unmit-
telbar diene. Die Teilhabe iS der §§ 53, 54 SGB XII iVm § 55 Abs 1 Sozialgesetzbuch Neuntes
Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) erfasse es zwar auch,
dem Behinderten ein selbstbestimmtes Sexualleben zu ermöglichen bzw zu erleichtern, wovon
auch die Übernahme der Kosten der Verhütung einer ungewollten Schwangerschaft mit einem
der Behinderung angepassten Verhütungsmittel umfasst sein könne; als allein übernah-
mefähiger behinderungsspezifischer Bedarf seien aber nur solche Kosten zu übernehmen, die
zusätzlich durch die Behinderung der Betroffenen entstünden. Die Kosten für das Depot-
Kontrazeptivum überschritten im Vergleich mit Kosten anderer üblicher Verhütungsmittel
(Kondome, orale Kontrazeptiva) das zumutbare Maß nicht und seien deshalb mit dem
pauschalen Regelsatz abgegolten.


[Abs. 5] Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie hat die Klage auf die Kostenerstattung
wegen der Verordnungen vom 8.3. und 5.6.2007 beschränkt. In der Sache macht sie eine Ver-
letzung von § 49 SGB XII durch das LSG geltend. § 49 SGB XII stelle nach wie vor für den Per-
sonenkreis der Hilfebedürftigen nach dem SGB XII eine Sonderregelung dar. Der Gesetzgeber
habe nach Änderung des § 38 BSHG durch die unveränderte Beibehaltung des § 36 BSHG (bis
31.12.2004) bzw durch § 49 SGB XII (ab 1.1.2005) zu erkennen gegeben, weiterhin die Kos-
tenübernahme für empfängnisregelnde Mittel ohne die in § 24a SGB V enthaltene Altersbegren-
zung im Rahmen des SGB XII ermöglichen zu wollen. § 52 SGB XII regele nicht den
anspruchsberechtigten Personenkreis, sondern (lediglich) den Umfang der Versorgung. Bei
einer anderen Auslegung laufe die Regelung ins Leere; zudem ergebe sich eine Schlechter-
stellung gegenüber dem Personenkreis, der entsprechende Leistungen nach §§ 3, 6 Abs 1
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten könne. Auch als Eingliederungsleistung
müsse das Depot-Kontrazeptivum übernommen werden, weil es für sie die einzige Möglichkeit
sei, sicher zu verhüten.



[Abs. 6] Die Klägerin beantragt,



das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG
zurückzuweisen.



[Abs. 7] Die Beklagte beantragt,


die Revision zurückzuweisen.



-4-

[Abs. 8] Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.



II



[Abs. 9] Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zu-
rückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ). Auf
der Grundlage der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob
der Klägerin höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
(Grundsicherungsleistungen) zustehen. Allein aus dem regelmäßig alle drei Monate anfallenden
Kostenaufwand für das Depot-Kontrazeptivum ergibt sich ein Anspruch auf höhere Grundsiche-
rungsleistungen nicht. Ein Anspruch auf andere Sozialhilfeleistungen besteht nicht.



[Abs. 10] Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 20.10.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 29.3.2007 (§ 95 SGG), mit dem diese die Übernahme auch
künftig anfallender Kosten für Kontrazeptiva abgelehnt hat. Die mit der Anfechtungsklage
kombinierte Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG) hat die Klägerin auf die Erstattung
von bezifferten Kosten in Höhe von 50,48 Euro beschränkt und dabei zulässigerweise auch auf
die im Juni 2007 angefallenen Kosten erstreckt. Eine Begrenzung des Streitgegenstandes da-
hin, dass lediglich über Leistungen nach dem Fünften Kapitel des SGB XII (Hilfen zur Gesund-
heit) zu entscheiden wäre, ergibt sich aus dieser betragsmäßigen Einschränkung aber nicht.
Nach dem sog Meistbegünstigungs- bzw Gesamtfallgrundsatz (vgl: BSGE 101, 217 ff
RdNr 12 ff = SozR 4-3500 § 133a Nr 1; BSGE 100, 131 ff RdNr 10 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3) ist
davon auszugehen, dass die Klägerin die von ihr beanspruchten Leistungen unter allen denk-
baren rechtlichen Gesichtspunkten geltend macht. Damit wird das LSG nach Zurückverweisung
des Rechtsstreits zu überprüfen haben, ob eine Erhöhung des Regelsatzes nach § 42 Satz 1
Nr 1 SGB XII iVm § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung
des SGB XII und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670) für die Zeit in Betracht kommt,
in der die geltend gemachten Kosten angefallen sind, und den die Leistungen für den Lebens-
unterhalt betreffenden Bescheid in seine Prüfung einzubeziehen haben. Dabei fallen die
streitigen Kosten in den Bewilligungszeitraum vom 1.7.2006 bis 30.6.2007. Sofern sich die
Berufung der Beklagten im Ergebnis als unbegründet darstellen sollte, wird das LSG den Tenor
des Urteils des SG zu ändern haben und die Beklagte unter Anwendung des § 48 Zehntes
Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) zur
Änderung des bereits vor dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.10.2006 be-
standskräftig gewordenen Bescheids vom 21.6.2006 für März und Juni 2007 zu verurteilen
haben.


-5-

[Abs. 11] Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Revision zulässig. Nachdem der Senat mit Be-
schluss vom 21.2.2011 Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der
Revision gewährt hat, kommt die Verwerfung der am 14.2.2011 eingelegten und zugleich be-
gründeten Revision als unzulässig wegen Fristversäumnis nicht in Betracht.



[Abs. 12] Andere von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Insbeson-
dere war der Landkreis W. , der den Widerspruchsbescheid erlassen hat, nicht nach § 75
Abs 2 1. Alt SGG (echte notwendige Beiladung) zum Verfahren beizuladen, weil er nicht Dritter
im Sinne der gesetzlichen Regelung ist (BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5 RdNr 11). Auch ein Fall
der unechten notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Satz 1 2. Alt SGG (mögliche Leis-
tungspflicht eines anderen Leistungsträgers) liegt nicht vor (vgl BSG aaO). Die fehlende un-
echte notwendige Beiladung hätte im Revisionsverfahren ohnehin gerügt werden müssen (vgl
Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 13b mwN), was
vorliegend nicht geschehen ist.


[Abs. 13] Die (echte) notwendige Beiladung der AOK Rheinland/Hamburg als für die Klägerin zuständige
Krankenkasse war ebenfalls nicht erforderlich. Es liegt schon deshalb keine § 14 SGB IX unter-
fallende Konstellation vor, weil es sich zum einen bei der Kostenübernahme nach § 24a SGB V
nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation im Sinne des SGB V handelt und zum
anderen dessen Voraussetzungen wegen Überschreitens der Altersgrenze ohnehin offensicht-
lich nicht erfüllt sind, sodass eine Leistungspflicht der AOK Rheinland/Hamburg aus-
geschlossen ist.


[Abs. 14] Der Kreis W. ist zwar sachlich und örtlich zuständiger Träger der Sozialhilfe (§§ 97 Abs 1,
98 Abs 1 SGB XII iVm § 3 Abs 2 Satz 1 SGB XII und §§ 1, 2 Landesausführungsgesetz zum
SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2004 - Gesetz-
und Verordnungsblatt NRW 816 - iVm der Ausführungsverordnung zum SGB XII des
Landes NRW vom 16.12.2004 - GVBl NRW 717; vgl zur Auslegung der entsprechenden
landesrechtlichen Zuständigkeitsregelungen bei fehlender eigener Auslegung des LSG: BSGE
103, 39 ff RdNr 12 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1) für den vorliegend allein in Betracht kommenden
Anspruch auf Erhöhung des Regelsatzes; dies gilt auch für die Hilfen zur Gesundheit und die
Eingliederungshilfe. Nach § 3 Abs 1 AG-SGB XII NRW können die Kreise aber als örtliche
Träger der Sozialhilfe kreisangehörige Gemeinden zur Durchführung der ihnen als Träger der
Sozialhilfe obliegenden Aufgaben durch Satzung heranziehen. Der Kreis W. hat dies getan
und den kreisangehörigen Städten und Gemeinden, zu denen die Beklagte gehört, die
Durchführung der ihm im Rahmen des SGB XII obliegenden Aufgaben zur Entscheidung im
eigenen Namen übertragen (§ 1 der Satzung über die Mitwirkung der Städte und Gemeinden
bei der Erfüllung der Aufgaben des Kreises W. als örtlicher Träger der Sozialhilfe vom
10.3.2005). Ausgenommen von der Übertragung sind nur die in § 2 der Satzung aufgeführten
Aufgaben, zu denen die hier streitbefangene Leistung nicht gehört.

-6-



[Abs. 15] Ob die Klägerin einen Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen besitzt, kann nicht ab-
schließend beurteilt werden (dazu später). Zutreffend hat das LSG allerdings entschieden, dass
sich ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die ärztlich verordneten empfängnisverhüten-
den Mittel aus § 49 Satz 2 SGB XII für die Klägerin nicht ergibt, weil sie das 20. Lebensjahr
bereits vollendet hat. Die entsprechende einschränkende Leistungsvoraussetzung folgt aus
§ 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII (idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilfe-
rechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) iVm § 24a Abs 2
SGB V (idF, die die Norm durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992 - BGBl I
2266 - erhalten hat). Ein Anspruch auf empfängnisverhütende Mittel, den Hilfebezieher nach
dem BSHG auf den gegenüber § 24a Abs 2 SGB V weiter gehenden § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG
(eingeführt mit § 5 Nr 5 des Gesetzes über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Strafrechts-
reformgesetz vom 28.8.1975 - BGBl I 2289) bzw (ab dem 1.1.2001) auf § 36 BSHG (idF, die die
Norm durch Art 15 Nr 6 SGB IX vom 19.6.2001 - BGBl I 1046 - erhalten hat) stützen konnten,
besteht seit dem 1.1.2004 nicht mehr. Dies ergibt sich aus der historischen Entwicklung der
maßgeblichen Regelungen unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Ziels.



[Abs. 16] § 49 Satz 2 SGB XII geht zurück auf § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG, der Teilregelung des zum
1.12.1975 (im Zuge der damaligen Reform des § 218 Strafgesetzbuch) in das BSHG unter
Abschnitt 3 "Hilfe in besonderen Lebenslagen" eingefügten Unterabschnitts 5a "Hilfe zur Famili-
enplanung" war (vgl § 5 Nr 5 des Gesetzes über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Straf-
rechtsreformgesetz). Während in der GKV lediglich Ansprüche auf ärztliche Beratung über Fra-
gen der Empfängnisregelung einschließlich der erforderlichen Untersuchung und Verordnung
von empfängnisregelnden Mitteln eingeräumt worden waren (vgl § 200e Reichsversicherungs-
ordnung , eingefügt mit § 1 Nr 2 dieses Gesetzes), die Kosten für empfängnisver-
hütende Mittel als solche für gesetzlich Krankenversicherte aber ausdrücklich der Eigenvor-
sorge unterfallen sollten (vgl BT-Drucks 7/376, S 5), ist § 37b BSHG weiter gefasst worden:
Neben den § 200e RVO entsprechenden Maßnahmen für nicht gesetzlich versicherte Sozial-
hilfebezieher (vgl § 37b Satz 2 Nr 1 BSHG) sollte als generelles, primäres Angebot eine Über-
nahme von Kosten für ärztlich verordnete empfängnisverhütende Mittel im Hinblick auf die fi-
nanzielle Lage sozialhilfebedürftiger Frauen geschaffen werden (vgl § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG).
Maßnahmen der Familienplanung sollten nicht daran scheitern, dass von den Hilfesuchenden
die erforderlichen finanziellen Mittel nicht aufgebracht werden könnten (BT-Drucks 7/376, S 7;
im Einzelnen zum gesetzgeberischen Anliegen BVerwGE 96, 65, 66).



[Abs. 17] In der GKV besteht seit Inkrafttreten des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes vom
27.7.1992 (BGBl I 1398) zum 5.8.1992 für Versicherte ein Anspruch auf Versorgung mit emp-
fängnisverhütenden Mitteln zur Familienplanung, soweit sie jünger als 20 Jahre sind und das
Mittel ärztlich verordnet wird (vgl § 24a Abs 2 SGB V). Nach der Gesetzesbegründung ist von
§ 24a Abs 2 SGB V der Kreis der Frauen erfasst, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage, ins-
besondere weil sie sich noch in der Ausbildung befinden, am wenigsten in der Lage sind, die

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Kosten für empfängnisverhütende Mittel selbst aufzubringen. Eine Heraufsetzung dieser Alters-
grenze sei wünschenswert; eine entsprechende Finanzierung müsse aber noch geklärt werden
(vgl BT-Drucks 12/2605, S 20). Danach sind keine Änderungen des § 24a SGB V in der Sache
erfolgt. § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG ist demgegenüber nach Einführung von § 24a SGB V inhaltlich
unverändert geblieben, sodass sich für Hilfeempfänger nach dem BSHG (seit dem 1.1.2001 auf
Grundlage der entsprechenden Regelung in § 36 Satz 2 BSHG) ein gegenüber den Leistungen
der GKV weitergehender Anspruch ergab.



[Abs. 18] Diese Begünstigung Hilfebedürftiger nach dem BSHG ist indes zum 1.1.2004 entfallen. Seither
bestimmt § 38 Abs 1 Satz 1 BSHG (idF, die die Norm durch Art 28 Nr 4 Buchst c GMG erhalten
hat) und ihm folgend § 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII (der entsprechend im Gesetzgebungsverfahren
des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch angepasst worden
ist), dass die Vorschriften des 4. Unterabschnitts der Hilfe in besonderen Lebenslagen nach
dem BSHG bzw des Fünften Kapitels des SGB XII dem Leistungsberechtigten einen Anspruch
auf Hilfe bei Krankheit nur entsprechend dem SGB V einräumen. Die zuvor enthaltene Erweite-
rung im 2. Halbsatz ("soweit in diesem Gesetz keine andere Regelung getroffen ist") ist zu die-
sem Zeitpunkt gestrichen worden. Der Senat hat bereits hinsichtlich der Zuzahlungsregelungen
der §§ 61, 62 SGB V entschieden, diese Gesetzesentwicklung lasse nur den Schluss zu, dass
die Übernahme finanzieller Eigenleistungen durch den Sozialhilfeträger auf Grundlage des § 37
BSHG (bis 31.12.2004) bzw § 48 SGB XII (ab 1.1.2005) ausscheide (BSGE 107, 169 ff
RdNr 12 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6). Dies gilt auch hinsichtlich des Leistungsumfangs der
übrigen in §§ 47 bis 51 SGB XII geregelten Hilfen zur Gesundheit. § 24a Abs 2 SGB V trifft mit
dem Ausschluss für Versicherte nach Vollendung des 20. Lebensjahres und der Beschränkung
auf verordnungsfähige und ärztlich verordnete Kontrazeptiva eine solche Regelung zum
Leistungsumfang der GKV (dazu im Einzelnen Schütze in juris PraxisKommentar
SGB V, 2. Aufl 2012, § 24a RdNr 29). Damit scheidet eine Kostenerstattung von empfäng-
nisverhütenden Mitteln nach Vollendung des 20. Lebensjahres auch auf Grundlage des § 49
SGB XII aus (vgl: Söhngen in jurisPK-SGB XII, § 49 SGB XII RdNr 6 und 12; Bieritz-Harder in
Lehr- und Praxis Kommentar SGB XII, 9. Aufl 2012, § 49 SGB XII RdNr 1 und 3; Flint in
Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 49 SGB XII RdNr 7; Schlette in Hauck/Noftz,
SGB XII, K § 49 RdNr 1 und 9, Stand April 2010; Rücker in Linhart/Adolph,
SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 49 SGB XII RdNr 16, Stand Oktober 2010; U. Meyer in Oestreicher,
SGB II/SGB XII, § 49 SGB XII RdNr 9 und 19, Stand Juni 2006).



[Abs. 19] Hiergegen lässt sich nicht einwenden, die Änderung des § 38 Abs 1 Satz 1 BSHG zum
1.1.2004 beziehe sich nur auf die Streichung der Zuzahlungsregelungen in § 38 Abs 2 BSHG,
nicht aber auf die sonstigen Hilfen zur Gesundheit (so aber Böttiger, Sozialrecht aktuell 2008,
203 ff; ähnlich Lippert in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 49
SGB XII, RdNr 20, Stand Januar 2011). Aus der amtlichen Überschrift des § 38 BSHG nach
seiner Änderung wie der des § 52 SGB XII ("Leistungserbringung, Vergütung") folgt nicht, dass



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hier ausschließlich die Leistungserbringung durch Bezugnahme auf das SGB V geregelt würde.
Schon aus § 52 Abs 1 Satz 2 SGB XII zu sog Satzungsregelungen der Krankenkassen lässt
sich erkennen, dass auch Umfang und Inhalt der Leistungen nach §§ 47 bis 51 SGB XII und
damit ebenso § 49 SGB XII erfasst sind. Die eigentliche Normierung der Leistungserbringung
findet sich in § 52 Abs 3 SGB XII.



[Abs. 20] Zwar ist die Änderung in § 38 Abs 1 Satz 1 BSHG mit dem GMG in den Gesetzesmaterialien
lediglich als "Folgeänderung" zur Streichung der Zuzahlungsregelungen in § 38 Abs 2 BSHG
bezeichnet. Mit der Änderung des gesamten Unterabschnitts und insbesondere der Einführung
des § 264 SGB V ("Quasiversicherung") war aber die Gleichstellung der Sozialhilfeempfänger,
die nicht in der GKV versichert sind, mit GKV-Versicherten nicht nur hinsichtlich der Zuzah-
lungsregelungen, sondern umfassend beabsichtigt (BT-Drucks 15/1525, S 77, und
insbesondere zu § 264 SGB V, aaO, S 140 ff). § 49 SGB XII hat damit allerdings - wie uU
weitere Teile der §§ 47 bis 51 SGB XII - schon seit Inkrafttreten des SGB XII für die Versichtern
und "Quasiversicherten" keine praktische Bedeutung mehr. Dass dieser Aspekt in den
Gesetzesmaterialien bei den Änderungen des BSHG keine Erwähnung findet und auch die
Folgeregelungen im SGB XII nicht eingehend erläutert werden (zu § 44 des Entwurfs, der § 49
SGB XII entspricht, vgl BT-Drucks 15/1514, S 62), lässt nicht den Schluss zu, es solle mit § 49
SGB XII weiterhin eine gegenüber dem SGB V günstigere Regelung für sozialhilfebedürftige
Frauen bestehen (H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 49
SGB XII RdNr 8).


[Abs. 21] Sinn und Zweck der Hilfen zur Gesundheit - und dabei auch der Hilfen zur Familienplanung -
steht dieses Ergebnis nicht entgegen. Entsprach noch bei Einführung des § 24a Abs 2 SGB V
eine weitergehende Kostenübernahme für Hilfebedürftige in § 37b BSHG dem gesetzgeberi-
schen Willen, lässt sich dies im Ergebnis der folgenden Gesetzesänderungen nicht mehr erse-
hen. Mit der Streichung des § 38 Abs 2 BSHG aF hat der Gesetzgeber des GMG zugleich be-
stimmt, dass der in der Regelsatzverordnung näher umschriebene Regelsatz auch Leistungen
für Kosten bei Krankheit, bei vorbeugender und bei sonstiger Hilfe umfasst, soweit sie nicht
nach den §§ 36 bis 38 des Gesetzes übernommen werden (Art 29 GMG; dazu bereits BSGE
107, 169 ff, RdNr 15 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6). Dementsprechend sind bei der Sonderauswer-
tung der EVS 2003 die Positionen "Pharmazeutische Erzeugnisse", zu denen verschreibungs-
pflichtige Kontrazeptiva zählen, in vollem Umfang berücksichtigt (BR-Drucks 206/04, S 8). Auch
die Kosten, die nach Auswertung der EVS 2008 auf die Versorgung mit verschreibungspflich-
tigen Arzneimitteln entfallen, werden - zusätzlich zu den Kosten für nicht verschreibungspflich-
tige Arzneimittel (5,07 Euro) - in vollem Umfang, nämlich in Höhe von 3,57 Euro, als regelsatz-
relevant eingestellt (vgl BT-Drucks 17/3404 S 58 und S 140 Zeile 101 bis 105 Code 0611 bis
0612). Insgesamt sind damit seit dem 1.1.2011 rund 15,55 Euro als Kosten für Gesundheit im
Regelsatz enthalten. Neben der mit dem GMG zum Ausdruck gekommenen grundsätzlichen
Angleichung des Leistungsumfangs hinsichtlich der Hilfen zur Gesundheit nach dem

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BSHG/SGB XII an den des SGB V zeigt damit auch die Neubemessung der Regelsätze zum
1.1.2005, dass die Beschaffung solcher verschreibungspflichtiger Medikamente, die nicht von
der GKV übernommen werden, der Eigenverantwortung der Hilfebedürftigen unterfällt und des-
halb die Regelsätze entsprechende Kosten umfassen. Aus den vom Senat dargestellten Grün-
den (vgl BSGE 107, 169 ff RdNr 15 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6) rechtfertigen solche Kosten, die
- wie hier - die Kosten, die üblicherweise von Frauen für Empfängnisverhütung aufgebracht
werden, nicht überschreiten, für sich genommen keine Erhöhung des Regelsatzes (dazu im
Einzelnen später).



[Abs. 22] Mit dieser Auslegung ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin keine gleichheitswidrige
Schlechterstellung gegenüber Frauen, die nach dem AsylbLG leistungsberechtigt sind. Soweit
sich der Leistungsumfang Leistungsberechtigter nach dem AsylbLG nicht ohnehin nach dem
SGB XII richtet (vgl § 2 Abs 2 AsylbLG), ist das System des AsylbLG, das durch ein Sachleis-
tungssystem gekennzeichnet ist (vgl § 3 Abs 1 Satz 1 AsylbLG), nicht mit dem des SGB XII
vergleichbar. Das Leistungssystem beruht gerade nicht auf der Bemessung nach Regelsätzen,
in die die Kosten für empfängnisverhütende Mittel eingeflossen sind.



[Abs. 23] Ein Anspruch nach § 73 SGB XII scheidet ebenfalls aus. Hiervon werden nur atypische ("be-
sondere" bzw "sonstige") Lebenslagen erfasst, für die nicht bereits andere Vorschriften des
SGB XII einschlägig sind (BSGE 107, 169 ff RdNr 13 mwN = SozR 4-3500 § 28 Nr 6). Da So-
zialhilfeempfänger - wie dargelegt - ab 1.1.2004 Kosten für empfängnisverhütende Mittel aus
den allgemeinen Regelsätzen zu bestreiten haben, sofern sie das 20. Lebensjahr vollendet
haben, bleibt für eine Anwendung des § 73 SGB XII kein Raum.



[Abs. 24] Auch ein Leistungsanspruch der Klägerin aus §§ 53, 54 Abs 1 SGB XII (in den Normfassungen
des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB XII) iVm 55 Abs 1 und 2 SGB IX
scheidet aus. Nach § 55 Abs 1 SGB IX, auf den § 54 Abs 1 SGB XII verweist, werden Leistun-
gen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht, die dem behinderten Menschen die
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich
unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden. Als sol-
che Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (soziale Rehabilitation) kommt die
Kostenübernahme nicht in Betracht; denn nach den Feststellungen des LSG ist bereits nicht
erkennbar, dass über den allgemeinen Wunsch nach Empfängnisverhütung vor dem Hinter-
grund der klägerischen Lebensumstände hinaus durch eine Empfängnisverhütung spezifische
behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen wären, um der Klägerin eine Teilhabe am ge-
sellschaftlichen Leben zu ermöglichen.



[Abs. 25] Das LSG wird nach Zurückverweisung des Rechtsstreits allerdings einen Anspruch auf höhere
Leistungen der Grundsicherung zu überprüfen haben. Gemäß § 19 Abs 2 SGB XII (idF, die die
Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom

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27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) iVm § 41 Abs 1 und 3 SGB XII (in der Normfassung
des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur
Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007
- BGBl I 554) erhalten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die das 18. Lebensjahr
vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS von
§ 43 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sind
und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann,
auf Antrag Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Die Anspruchs-
voraussetzungen für solche Leistungen dürften dem Grunde nach zwar gegeben sein - genaue
Feststellungen (auch zu § 21 SGB XII) fehlen. Ob die Klägerin einen Anspruch auf höhere
Grundsicherungsleistungen hat, kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des
LSG ohnedies nicht entschieden werden. Zu überprüfen ist, ob sich ein höherer Anspruch auf
der Grundlage einer unabweisbaren, erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweichenden
Bedarfslage ergibt (§ 28 Abs 1 Satz 2 iVm § 42 Satz 1 Nr 1 SGB XII; zur Anwendung des § 28
Abs 1 Satz 2 SGB XII im Rahmen der Grundsicherung vgl nur Blüggel in jurisPK-SGB XII, § 42
SGB XII RdNr 15 mwN zur Rechtsprechung; vgl auch die Klarstellung des § 42 Satz 1 Nr 1
SGB XII idF des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom
20.12.2012 - BGBl I 2783 - und BT-Drucks 17/10748, S 14 zu Nr 2). Dazu ist bislang weder er-
mittelt noch vorgetragen, weil die Beteiligten einen Anspruch lediglich unter anderen Aspekten
diskutiert haben. Zwar sind die Kosten für Kontrazeptiva - wie oben dargestellt - in die Bemes-
sung des Regelsatzes eingeflossen; es ist aber denkbar, dass durch individuell höhere Aus-
gaben im Bereich der Kosten für Gesundheit im Einzelfall eine erheblich abweichende, unab-
weisbare Bedarfslage in den Monaten März und Juni 2007 entstanden ist. Allein die Versorgung
mit Kontrazeptiva führte hierzu nicht, schon weil keine Abweichung vom Regelfall vorliegt.

[Abs. 26] Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Entscheidung bei Sozialgerichtsbarkeit.de

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BSG, B 8 SO 21/12 BH vom 14.01.2013, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss
in dem Rechtsstreit

Az: B 8 SO 21/12 BH
L 20 SO 44/11 (LSG Nordrhein-Westfalen)
S 5 SO 464/09 (SG Dortmund)

1. .................................,
2. .................................,

Kläger und Antragsteller,

g e g e n

Hochsauerlandkreis,
Am Rothaarsteig 1, 59929 Brilon,
Beklagter.

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 14. Januar 2013 durch
den Vorsitzenden Richter E. sowie die Richterinnen K.
und S.
beschlossen:

Die Anträge der Kläger, ihnen für die Durchführung des Verfahrens der Beschwerde
gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-
Westfalen vom 20. August 2012 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechts-
anwalt beizuordnen, werden abgelehnt.

- 2 -

G r ü n d e :

I

[1] Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
(Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe -
(SGB XII) von Oktober 2007 bis September 2010.

[2] Die 1936 bzw 1941 geborenen Kläger beziehen ergänzend zu ihrer jeweiligen Altersrente seit
Januar 2005 Grundsicherungsleistungen. Im April bzw Mai 2007 wandten sie sich an den
Beklagten und machten die Übernahme der Kosten für diverse Einzelpositionen wie auch die
Festsetzung eines höheren Regelsatzes in Höhe von 570 Euro monatlich pro Person geltend.
Die Klage ist erst- und zweitinstanzlich ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Dort-
mund vom 8.12.2010; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom
20.8.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klagen auf
Bewilligung einmaliger Leistungen in Höhe von 1450 Euro, einer Zahlung für zwei Hörgeräte in
Höhe von 2600 Euro sowie eines höheren Mietzuschusses seien bereits unzulässig. Teilweise
fehle es insoweit bereits an einer gerichtlich überprüfbaren Verwaltungsentscheidung der
Beklagten; im Übrigen handle es sich um eine unzulässige Klageerweiterung im Rahmen des
Berufungsverfahrens. Soweit die Kläger höhere Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung, eine einmalige Beihilfe für zwei Fahrräder sowie die Übernahme der auf
dem Girokonto entstandenen Sollzinsen begehren, sei die Berufung unbegründet. Der Beklagte
habe die den Klägern zustehenden Leistungen zutreffend berechnet. Höhere
Grundsicherungsleistungen stünden unter keinem (verfassungs-)rechtlichen Gesichtspunkt zu;
für die geltend gemachten Einzelbedarfe seien die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt.

[3] Zur Durchführung des beabsichtigten Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des LSG haben die Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH)
beantragt.

II

[4] Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die
beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz iVm § 114 Zivilprozessordnung ); daran fehlt es hier.
Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG
abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmäch-
tigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe
können zur Zulassung der Revision führen. Ein solcher Zulassungsgrund ist nicht ersichtlich.

- 3 -

[5] Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG); denn sie
wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit
oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17). Insbesondere soweit die Kläger geltend machen, der
Regelsatz sei zu gering, um auch im Alter menschenwürdig zu leben, liegt schon infolge der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010 (BVerfGE 125, 175 ff) keine
Klärungsbedürftigkeit vor. Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2
SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen nicht. Die Kläger können sich
schließlich auch nicht auf einen Verfahrensmangel berufen, auf dem die angefochtene
Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG). Entgegen der Ansicht der
Kläger ist der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Eine des Weiteren behauptete
fehlerhafte Beweiswürdigung durch das LSG (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) kann nach der
ausdrücklichen Regelung des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht Gegenstand einer
Nichtzulassungsbeschwerde sein. Auch mit der Behauptung, Teile des Vortrags seien nicht,
nicht zutreffend oder nur unzureichend gewürdigt worden, wenden sich die Kläger im Ergebnis
lediglich gegen die Beweiswürdigung wie auch die rechtliche Würdigung bestimmter
Sachverhalte durch das LSG. Zudem ist das Gericht nicht verpflichtet, sich mit jedem
Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Insbesondere ist
es nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe
des Verfahrens zur Sprache gebracht worden sind (BVerfGE 96, 205, 217). Deshalb kann
regelmäßig ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz)
nicht angenommen werden, wenn das Gericht Ausführungen eines Beteiligten unerwähnt lässt,
die nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich oder offensichtlich haltlos sind (BVerfGE 70,
288, 293 f). Dies ist nur anders, wenn das Gericht Kernvortrag der Kläger außer Acht gelassen
hätte, den es auch ausgehend von seiner Rechtsansicht hätte beachten müssen. Dafür liegen
jedoch nach Aktenlage keine Anhaltspunkte vor.

[6] Mit der Ablehnung der PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen
der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

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