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Dienstag, 12. Mai 2015
SG KS, S 6 AS 572/13 vom 28.08.2013, Sozialgericht Kassel
anselmf
Sozialgericht Kassel Anonymisierung
Az.: S 6 AS 572/13 (zuvor S 6 AS 641/11) Im Namen des Volkes Urteil In dem Rechtsstreit Kläger, gegen Jobcenter Werra-Meißner-Kreis vertreten durch den/die Geschäftsführer/in, Fuldaer Straße 6, 37269 Eschwege, Beklagter, hat die 6. Kammer des Sozialgerichts Kassel auf die mündliche Verhandlung vom 28. August 2013 durch den Richter am Sozialgericht Dr. Mushoff als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Ackermann und Longobardi für Recht erkannt: Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. - 2 - Tatbestand Der Kläger wendet sich gegen die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistung nach dem SGB II im Zeitraum vom 01.06.2011 bis 30.11.2011. Der Kläger war im Streitzeitraum Mitglied einer dreiköpfigen Bedarfsgemeinschaft beste- hend aus dem Kläger, seiner am 22.05.1963 geborenen damaligen Ehefrau und seiner am 15.03.1994 geborenen Tochter. Der Kläger stellte am 18.04.2011 gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Bedarfs- gemeinschaft einen Weiterbewilligungsantrag nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 03.05.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger und den anderen Mit- gliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2011 bis 30.11.2011. Hierbei legte der Beklagte für den Kläger und seine Ehefrau jeweils eine Regelleistung in Höhe von 328 € und für die Tochter einen Regelbedarf in Höhe von 287 € zu Grunde (Bl. 802 Verwaltungsakte). Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 16.05.2011 Widerspruch ein. Der Leis- tungsbescheid sei verfassungswidrig. Die Regelsätze seien nicht unter hinreichender Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvR 1/09) zustande gekommen. Der Diplom-Kaufmann Rüdiger Böker aus Osnabrück habe mit dem Datum vom 18.11.2010 für den Ausschuss für Arbeit und So- ziales des Deutschen Bundestages anhand der Vorgaben des Bundesverfassungsge- richts ein Gutachten erstellt. Diese Böker-Stellungnahme sei als eigenständige Bundes- tagsdrucksache veröffentlich worden. Man mache sich diese Stellungnahme zu Eigen und beantrage für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft eine Regelleistung von min- destens 594 € (Bl. 806 ff. Verwaltungsakte). Diesem Schriftsatz war eine Zusammenfassung des Gutachtens von Herrn Böker mit Informationsstand vom 22.11.2010 beigefügt, auf die Bezug genommen wird (Bl. 812 ff. Verwaltungsakte). Mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als un- begründet zurück (Bl. 819 ff. Verwaltungsakte). Die ab 01.06.2011 festgesetzten monatli- chen Regelbedarfe von jeweils 328 € für den Kläger und seine damalige Ehefrau sowie in Höhe von 287 € für die Tochter J seien auf der Grundlage des am 29.03.2011 ver- - 3 - kündeten Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und des SGB XII vom 24.03.2011 zustande gekommen. Der Beklagte sei nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) an Recht und Gesetz gebunden und könne daher keine höheren Re- gelsätze festlegen. Die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungs- widrigkeit der Regelleistung bleibe dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten (BI. 819 f. Verwaltungsakte). Am 17.06.2011 hat der Kläger gegen den Bescheid vom 03.05.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.05.2011 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben. Man begehre für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft jeweils einen Regelsatz in Höhe von monatlich 594 €. Die für den Leistungszeitraum vom 01.06.2011 bis 30.11.2011 bewillig- ten Grundsicherungsleistungen entsprächen zwar hinsichtlich der Höhe des bewilligten Regelsatzes der aktuell gültigen Rechtslage, jedoch sei auch der neue Regelsatz verfas- sungswidrig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Klageschrift Bezug genommen. Der Klageschrift waren das Gutachten von Herrn Böker mit Stand 17.11.2010 und weite- re Unterlagen beigefügt. Hierauf wird Bezug genommen. Mit Schriftsätzen vom 20.08.2013 (Bl. 157 Gerichtsakte) und vom 23.08.2013 (Bl. 159a Gerichtsakte) haben die ehemalige Ehefrau und Tochter des Klägers die Klage zurück- genommen. Der Kläger beantragt sinngemäß, den Bescheid vom 03.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.05.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm im Zeitraum vom 01.06.2011 bis 30.11.2011 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung einer monatlichen Regelleistung von 594 € zu gewähren. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Gerichtsakte Bezug genommen. - 4 - Entscheidungsgründe Die Klage hat keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet. 1. Der Kläger hat zunächst aus einfachem Recht keinen Anspruch auf eine höhere Re- gelleistung. Die vom Beklagten bewilligten SGB II-Leistungen im Zeitraum vom 01.06.2011 bis 30.11.2011 entsprechen der Höhe nach den gesetzlichen Vorgaben des § 20 Abs. 4 SGB II. 2. Die Kammer ist weiterhin nicht davon überzeugt, dass die gesetzlich vorgegebene Hö- he der Regelleistung in Höhe von 328 €, die nach § 20 Abs. 4 SGB II für den Kläger im Streitzeitraum maßgebend ist, verfassungswidrig ist. Es bestand für die Kammer kein Anlass, das Verfahren nach Art 100 Abs 1 S 1 Grundge- setz (GG) auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG zur Vereinbarkeit von § 19 Abs 1 S 1, § 20 Abs 1 und Abs 2 S 1 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII- ÄndG mit Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG einzuholen. a) Das vom Kläger überreichte Gutachten von Herrn Böker aus November 2010 ist kein hinreichendes Argument gegen die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistung im Streitzeitraum. Das Gutachten geht von einer Verfassungswidrigkeit der Regelsätze aus und kommt zu angemessenen Regelsätzen von 594 €. Dazu ist zu sagen, dass das Bun- desverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) davon ausgegangen ist, dass die Regelsätze nach altem Recht bis einschließlich Dez. 2010 nicht evident zu niedrig seien. Wenn Herr Böker bereits in November 2010 zu niedrige Regelsätze annimmt, ignoriert er die Einschätzung des BVerfG. Auch kannte Herr Böker in seinem Gutachten aus November 2010 noch nicht die Wertungen, die der Gesetzge- ber bei der Bestimmung der Höhe der Regelsätze im März 2011 mit Inkrafttreten des Ge- setzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 rückwirkend zum 01.01.2011 getroffen hat. b) Beide Senate des Bundessozialgerichts (BSG), die für die Grundsicherung für Arbeits- suchende nach dem SGB II zuständig sind, gehen davon aus, dass die Regelsätze für Alleinstehende (vgl. BSG, Urteil v. 12.07.2012, B 14 AS 154/11 R, juris), aber auch für Familien mit mindestens einem Kind verfassungsgemäß sind, wobei das BSG in seiner Entscheidung vom 28.03.2013 (B 4 AS 12/12 R) die Konstellation entschieden hatte, dass zwei Erwachsene Hilfebedürftige mit einem Kind im Alter von unter zwei Jahren zu- - 5 - sammen leben. Im Streitzeitraum lebte der Kläger aber mit seiner damaligen Ehefrau und einem älteren Kind zusammen. Allerdings haben die damalige Ehefrau des Klägers und seine Tochter die Klage zurückgenommen, so dass von der Kammer nur noch zu entscheiden war, ob eine Regelleistung von 328 € für einen Erwachsenen, der in einer Bedarfsgemeinschaft mit einem anderen Erwachsenen und einem Kind lebt, verfassungsgemäß ist. Das Ge- richt muss sich also nicht mit der vom Bundessozialgericht bislang noch nicht entschie- denen Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob die Regelleistung für die Tochter des Klä- gers in Höhe von 287 € verfassungsgemäß ist. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelleis- tung für eine Person, die mit einem anderen Erwachsenen und einem Kind zusammen wohnt, in Höhe von 328 € hat das BSG in seinem Urteil vom 28.03.2013 aus folgenden Gründen bejaht (Rn. 20 ff.): „Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Prüfung ist wegen des Gestaltungsspiel- raums des Gesetzgebers eine zurückhaltende materielle Kontrolle der einfachge- setzlichen Regelung dahingehend, ob die Leistungen evident unzureichend sind. Da eine Ergebniskontrolle am Maßstab des Grundrechts auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG) nur be- grenzt möglich ist, muss jenseits der Evidenzkontrolle überprüft werden, ob die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungs- verfahren zu rechtfertigen sind (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 = BGBI l 2010, 193, RdNr 141 ff, im Weiteren BVerfG aaO). a) Der Regelbedarf der Kläger zu 1 und 2 leitet sich nach § 20 Abs 4 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB ll/SGB Xll-ÄndG iVm § 8 Abs 1 Nr 2 RBEG von dem ei- nes Alleinstehenden in einem Einpersonenhaushalt ab. Der Regelbedarf eines solchen alleinstehenden Erwachsenen ist durch das RBEG/SGB ll/SGB Xll-ÄndG nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden. Der erkennende Senat schließt sich insoweit dem 14. Senat des BSG an, der dies im Juli 2012 in zwei Entscheidungen im Einzelnen dargelegt hat (SozR 4-4200 § 20 Nr 17 RdNr 19 ff; vom 12.7.2012 - B 14 AS 189/11 R - RdNr 14). Das BVerfG hat die Verfas- sungsbeschwerden gegen die benannten Urteile nicht zur Entscheidung ange- nommen (BVerfG Beschluss vom 20.11.2012 - 1 BvR 2203/12 - unveröffentlicht; BVerfG Beschluss vom 27.12.2012 - 1 BvR 2471/12 - unveröffentlicht; zur Bedeu- tung dessen s Rixen, SozSich 2013, 73 ff). - 6 - Der Gesetzgeber hat insoweit den ihm zugewiesenen Auftrag, das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten, erfüllt. Der 14. Senat hat hierzu ausgeführt, dass bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Neu- ermittlung der Regelbedarfe der Entscheidungsprozess des Gesetzgebers bei der Neuordnung der §§ 28 ff SGB XII auf die Bemessung des Regelbedarfs in § 20 Abs 2 S 1 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG zu übertragen sei. Der Gesetzgeber habe den Umfang des konkreten gesetzlichen Anspruchs auch in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt, das den Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 9.2.2010 (BVerfGE, aaO) nach realitätsge- rechten sowie nachvollziehbaren Festsetzungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren entspreche. Dabei habe sich der Gesetzgeber des vom BVerfG gebilligten Statistikmodells bedienen können. In- nerhalb dieses Ansatzes habe er, ausgehend von der Einkommens- und Ver- brauchsstichprobe (EVS) 2008, die Referenzgruppe anhand der unteren Einkom- mensgruppen bestimmt, ohne seinen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum zu überschreiten. Dies gilt auch, soweit in der Literatur vorgebracht wird, der Gesetzgeber sei sei- nem Auftrag, auch die "versteckt Armen" aus der Regelbedarfsberechnung aus- zunehmen, nicht hinreichend nachgekommen (s nur Irene Becker, SozSich, Son- derheft September 2011, 20 ff). Es" überzeugt den Senat nicht, wenn unter Be- zugnahme auf die Entscheidung des BVerfG deswegen die Höhe des Regelbe- darfs als nicht mit Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG vereinbar bewertet wird (so Münder, SozSich Sonderheft September 2011, 70 ff). Das BVerfG hatte den Ver- zicht auf eine Schätzung des Anteils der "verdeckt Armen" durch den Gesetzge- ber in Ermangelung hinreichend sicherer empirischer Grundlagen durch die EVS 2003 für die Vergangenheit für vertretbar gehalten (BVerfG aaO, RdNr 169). An dem Mangel der Möglichkeit, methodisch unzweifelhaft und ohne Setzungen die "verdeckt Armen" aus den Referenzhaushalten auszuschließen, hat sich auch bei der Auswertung der EVS 2008 nichts geändert. Dies gilt zumindest für den hier zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen. Durch diesen wird der Gestaltungs- spielraum des Gesetzgebers mitbestimmt. Aufgrund der an den Gesetzgeber ge- richteten Umsetzungsverpflichtung der Entscheidung des BVerfG bis zum 31.12.2010 (BVerfGE aaO, RdNr 216) stand ein Zeitraum von nicht einmal einem Jahr für die Neufestsetzung der Regelbedarfe zur Verfügung und die Ergebnisse der EVS 2008 lagen erst im Herbst 2010 vollständig vor. In der Begründung zum - 7 - RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG wird daher eine Korrektur der Referenzgruppen um die "verdeckt Armen" ua mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der vielgestal- tigkeit der Einkünfte von Haushalten hätte eine Einzelfallauswertung der Haushal- te erfolgen müssen. Diese wäre jedoch weder durch die Wissenschaft noch durch das Statistische Bundesamt zu leisten gewesen (BT-Drucks 17/3404, S 88). Auch insoweit wird zwar in der Literatur Kritik angebracht, insbesondere an dem über "das Notwendige hinausgehende Anforderungsprofil" des Gesetzgebers. Dadurch würden die Grenzen des Datensatzes der EVS zwangsläufig erreicht. Es werden daher Vorschläge zur methodischen Identifizierung der "verdeckten Armut" ge- macht (s zusammenfassend Irene Becker, SozSich, Sonderheft September 2011, 24), die einen weniger großen Genauigkeitsgrad aufweisen (lrene Becker, Soz- Sich, Sonderheft September 2011, 22). Ob der Gesetzgeber sich jedoch ent- schließt, angesichts der Vorgaben des BVerfG derartige offene "Ungenauigkeiten" in seine Berechnung einzubeziehen, muss seiner Entscheidung im Rahmen sei- nes Gestaltungsspielraums vorbehalten bleiben. Hierbei ist auch zu berücksichti- gen, dass es sich bei den Vorschlägen um wissenschaftlich noch nicht abschlie- ßend diskutierte Ansätze handelt, ein sachgerechtes Verfahren zu entwickeln o- der weiterzuentwickeln, um so eine statistisch zuverlässig über der Sozialhilfe- schwelle liegende Referenzgruppe zu ermitteln (lrene Becker, SozSich, Sonder- heft September 2011, 21). Dies ändert allerdings nichts daran, dass der Gesetz- geber bei der Auswertung der EVS 2013 der ihm vom BVerfG auferlegten Pflicht zur Fortentwicklung des Bedarfsermittlungssystems nachkommen muss und da- rauf zu achten haben wird, dass Haushalte, deren Nettoeinkommen unter dem Ni- veau der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von SGB II und SGB XII liegt, aus der Referenzgruppe ausgeschieden werden (BVerfGE, aaO, RdNr 169). Dies hat der Gesetzgeber jedoch auch selbst erkannt. Er hat in § 10 Abs 1 iVm § 10 Abs 2 Nr 1 RBEG eine Verpflichtung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) bestimmt, dem Bundestag ua für die Weiterentwicklung der Me- thoden zur Abgrenzung der Referenzhaushalte nach § 3 Abs 1 RBEG hinsichtlich der Bestimmung von Haushalten der EVS Vorschläge zu unterbreiten, die nicht als Referenzhaushalte zu berücksichtigen sind, weil deren eigene Mittel nicht zur Deckung des jeweils zu unterstellenden Bedarfs nach dem SGB ll und SGB Xll ausreichen. Der erkennende Senat ist ebenso wie der 14. Senat des BSG ferner davon über- zeugt, dass die im Rahmen des Statistikmodells begründete Herausnahme ein- zelner Positionen durch den Gesetzgeber nicht zu beanstanden ist. Er folgt dem - 8 - 14. Senat, wenn dieser ausführt, die regelbedarfsrelevanten Ausgabenpositionen und -beträge seien so bestimmt, dass ein interner Ausgleich möglich bleibe. Auch bei der Kennzeichnung einzelner Verbrauchspositionen als bedarfsrelevant und dem Ausschluss bzw der Kürzung anderer Verbrauchspositionen hat der Gesetz- geber seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Zutreffend hat er sich schließlich bei der Regelung eines Fortschreibungsmechanismus an seiner Ent- scheidung für das Statistikmodell orientiert. Um Wiederholungen zu vermeiden sieht der erkennende Senat von einer Darstellung der Ausführungen im Einzelnen ab. b) Die Festsetzung eines - im Vergleich zu alleinstehenden Erwachsenen - niedri- geren Regelbedarfs für die Kläger zu 1 und zu 2 gemäß § 20 Abs 4 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB ll/SGB Xll-ÄndG‚ § 8 Abs 1 Nr 2 RBEG aufgrund des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft - hier: aufgrund einer Ehe zwischen dem Kläger zu -1 und der Klägerin zu 2 - ist ebenso wenig verfassungswidrigDer Ge- setzgeber durfte davon ausgehen, dass durch das gemeinsame Wirtschaften Aufwendungen erspart werden und deshalb zwei zusammenlebende Partner ei- nen finanziellen Mindestbedarf haben, der unter dem Doppelten des Bedarfs ei- nes Alleinwirtschaftenden liegt. Da aufgrund des Zusammenlebens anzunehmen ist, dass beide Partner "aus einem Topf’ wirtschaften, ist es auch nicht zu bean- standen, dass der Gesetzgeber für beide Partner einen gleich hohen Bedarf in Ansatz bringt (vgl BVerfG, aaO, RdNr 154; s auch Kohte in Kreike- bohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Aufl 2011, § 20 SGB II RdNr 54). c) Auch soweit es den Regelbedarf für zwei zusammenlebende Erwachsene be- trifft, in deren Haushalt mindestens ein Kind lebt, kann nicht angenommen wer- den, dass dieser evident zu niedrig bestimmt worden ist, obwohl der Bedarf der beiden Erwachsenen nur auf einer Ableitung dessen von einem alleinstehenden Erwachsenen beruht. Eine gesonderte Bedarfserhebung ist insoweit nicht erfolgt. Die Sonderauswertung "Paarhaushalt mit einem Kind" diente nur dazu, die "Kin- derausgaben" in diesem Paarhaushalt zu bestimmen (BT-Drucks 17/3404, S 64 f). Zwar mangelt es an einer näheren Begründung für die konkrete Bemessung des grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarfs für Erwachsene, die mit Kindern zu- sammenleben. Aus dem bloßen Fehlen einer Begründung für die Ableitung des Regelbedarfs der Erwachsenen in einem Paarhaushalt ausschließlich von dem eines Alleinstehenden kann im Gegensatz zu Münder (in Soziale Sicherheit - - 9 - Sonderheft September 2011, S 80) jedoch noch nicht auf eine Unvereinbarkeit mit Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG geschlossen werden. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss stets den gesamten existenznotwendi- gen Bedarf decken (BVerfG, aaO‚ RdNr 137). Dabei darf der Gesetzgeber in Er- füllung seines Gewährleistungsauftrags jedoch auch wertende Entscheidungen treffen, um die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht zu erfassen. Der Um- fang des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimum hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Er- forderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweili- gen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und ist danach vom Ge- setzgeber konkret zu bestimmen. Hierbei steht dem Gesetzgeber ein Gestal- tungsspielraum zu, der enger ist, soweit er das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG, aaO‚ RdNr 138; BVerfGE 126, 331 RdNr 103). Aus dem Erfordernis, alle exis- tenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Ver- fahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen, folgt jedoch nicht, dass die Höhe des existenznotwendigen Lebensunterhalts durch den Einsatz ei- ner allein richtigen Berechnungsmethode punktgenau ermittelt werden kann und jede Abweichung als Verfassungsverstoß anzusehen ist (vgl Spellbrink, DVBl 2011, 661). Weder sind normative Setzungen grundsätzlich ausgeschlossen, noch ist es für die verfassungsrechtliche Prüfung von Bedeutung, ob die maßgeb- lichen Gründe für die gesetzliche Neuregelung im Gesetzgebungsverfahren aus- drücklich als solche genannt wurden oder gar den Gesetzesmaterialien zu ent- nehmen sind (BVerfG, NVwZ-RR 2012, 257). Inhaltlicher Maßstab der einfachge- setzlichen Festschreibung des Leistungsanspruchs sind Sachgerechtigkeit und Vertretbarkeit (BVerfG, aaO‚ RdNr 171). Gemessen an diesem Maßstab führt die Ableitung des Bedarfs der Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit einem Kind von dem eines Alleinstehenden derzeit nicht zu einer evident zu niedrig bemesse- nen existenzsichernden Leistung. Genaue Datengrundlagen zur Ermittlung des Bedarfs von zwei EnNachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind liegen nicht vor. Ebenso wie für die Bestimmung des Existenzminimums des Kindes gilt auch hier, dass bei Haushalten mit Kindern der überwiegende Teil der Verbrauchsausgaben nicht direkt und unmittelbar auf Er- - 10 - wachsene und Kinder aufgeteilt werden konnte (BT-Drucks 17/3404, S 64; s zu den Einzelheiten unter 6 d cc). Es ist insoweit zwar eine Sonderauswertung für Familienhaushalte durchgeführt worden. Gleichwohl konnten im, Rahmen der zur Verfügung stehenden Umsetzungszeit (s hierzu unter 6 a) nur die Verbrauchs- ausgaben für den gesamten Haushalt erfasst werden. Die Ableitung des Bedarfs der beiden Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind von dem eines Allein- stehenden ist daher zurzeit methodisch noch sachgerecht und vertretbar. Dies gilt umso mehr, als der erkennende Senat davon ausgeht, dass höhere Bedarfe we- gen des Kindes im Wesentlichen durch erhöhte Aufwendungen im Teilhabebe- reich entstehen, etwa dadurch, dass das Kind - zumindest das kleinere - im Rah- men seines Anspruchs nach § 28 Abs 7 SGB II noch nicht allein am sozialen und kulturellen Leben teilnehmen kann, also der Begleitung bedarf (s hierzu auch Ire- ne Becker in SozSich, Sonderheft September 2011, 17). Im Bereich der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ausgehend von der Vorgabe, dass hier nur das Minimum gewährleistet werden muss (BVerfG‚ aaO, RdNr 166), jedoch, wie schon dargelegt, weiter. Den Rah- men für seinen Gestaltungsspielraum bei Rückgriff auf das Statistikmodell bildet die Überlegung, dass die Summe der für die Gewährleistung des Existenzmini- mums erforderlichen Verbrauchsausgaben ein monatliches Budget bilden, über dessen konkrete Verwendung der Leistungsberechtigte selbst entscheidet. Maß- gebend ist, dass der Gesamtbetrag des Budgets ausreicht, die Existenz zusi- chern (BT-Drucks 17/3404 S 51). Dem Umstand möglicher erhöhter Bedarfe der Erwachsenen durch ein Kind in einem Paarhaushalt kann daher zum einen allge- mein durch Rückgriff auf den internen Ausgleich innerhalb der Pauschale Rech- nung getragen werden. Zum anderen hat der Gesetzgeber im Rahmen der Be- stimmung der Höhe des Regelbedarfs für Erwachsene wegen der Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder und Jugendliche, für Eltern eine Mitglied- schaft in Organisationen ohne Erwerbscharakter erstmals in voller Höhe als re- gelbedarfsrelevant definiert (vgl BT-Drucks 17/3404, S 64). Insoweit ist mithin der erhöhte Bedarf durch die Teilhabe des Kindes in die Bestimmung der Höhe des Regelbedarfs eines Alleinstehenden eingerechnet worden. Die Berücksichtigung bei der Bemessung der Pauschale hat auch hier zur Folge, dass die Entscheidung, wofür der Betrag genutzt wird, dem einzelnen Bedarfsge- meinschaftsmitglied obliegt, er also auch für andere Aufwendungen durch die Teilhabe des Kindes genutzt werden kann. Gleichwohl wird der Gesetzgeber die Bedarfe von zwei EnNachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind bei der Auswer- - 11 - tung der EVS 2013 unter Beachtung der sich aus § 10 Abs 2 Nr 3 RBEG erge- benden Verpflichtung zu berücksichtigen haben. Danach hat das BMAS dem Bundestag bis Juli 2013 für die Ermittlung von regelbedarfsrelevanten Ver- brauchsausgaben von Erwachsenen Vorschläge zu unterbreiten, die in einem Mehrpersonenhaushalt leben. Diese bilden sodann die Grundlage für die Ermitt- lung von Regelbedarfen und die danach vorzunehmende Bestimmung von Regel- bedarfsstufen für Erwachsene, die nicht in einem Einpersonenhaushalt leben. Soweit Münder in seine Überlegungen auch die "Haushaltsgemeinkosten" einbe- zieht, wird zwar schon nicht hinreichend deutlich, welche Kosten er hier betrachtet (Münder, SozSich, Sonderheft September 2011, 85). Unbestritten steigen nach allgemeiner Lebenserfahrung durch ein Kind in einem Haushalt allerdings die Aufwendungen etwa in den Abteilungen 04 (Wohnen, Energie und Wohnungsin- standhaltung), 05 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände), 08 (Nachrichtenübermittlung) und 12 (andere Waren und Dienstleistungen). Derartige Aufwendungen sind jedoch in die Bemessung der Regelbedarfe der Kinder in Ab- hängigkeit von den Aufwendungen des Haushalts, als deren eigene Bedarfe ein- geflossen (zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Kinderregelbedarfe s unten unter 6 d, cc). Inwieweit darüber hinaus den Erwachsenen selbst durch das Zu- sammenleben mit dem Kind weitere Bedarfe als die durch die bereits erörterten der Teilhabe entstehen, ist nicht ersichtlich. Daraus, dass der Gesetzgeber für Alleinerziehende einen zusätzlichen Bedarf bei Pflege und Erziehung von Kindern (§ 21 Abs 3 SGB II) erkannt hat, folgt keine Verengung seines Gestaltungsspielraums derart, dass von der Annahme der Ver- fassungswidrigkeit der Ableitung der Höhe des Regelbedarfs für zwei Erwachsene in einem Paarhaushalt mit einem Kind ausschließlich von dem Regelbedarf eines Alleinstehenden ausgegangen werden müsste. Dies folgt zwar nicht bereits dar- aus, dass der Gesetzgeber bei den Alleinerziehenden nicht den Regelbedarf an sich höher bemessen hat, sondern ihnen eine zusätzliche Mehrbedarfsleistung zubilligt. Er braucht die Existenz nicht allein durch die Regelleistung zu sichern. Es obliegt seinem Gestaltungsspielraum, ob er sich insoweit ergänzender Leis- tungen bedient oder den erkannten Bedarf in die Bemessung des Regelbedarfs einbezieht. Entscheidend insoweit ist nur, dass das verfassungsrechtlich gebote- ne Existenzminimum sichergestellt wird (BVerfG, aaO, RdNr 170). Soweit mithin aus dem für Alleinerziehende ermittelten verfassungsrechtlich relevant zu de- ckenden Bedarf folgen sollte, dass sich dieser mit dem von zwei Erwachsenen in - 12 - einem Paarhaushalt mit Kind deckt, jedoch entweder nicht in der Höhe deren Re- gelbedarfs niederschlägt oder nicht über eine gesonderte Leistung gedeckt wird, kann dies auch bedeuten, dass das verfassungsrechtlich zu gewährleistende Existenzminimum der Erwachsenen im Paarhaushalt mit Kindern unterschritten wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es mangelt den Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind bereits an einem verfassungsrechtlich relevanten Bedarf durch die Erziehung und Pflege der Kin- der, wie er für "Alleinerziehende" erkannt worden ist. Bei dem Personenkreis der Alleinerziehenden ist von einer besonderen Bedarfssituation auszugehen, bei der typischerweise ein zusätzlicher Bedarf zu bejahen ist (BSG vom 23.8.2012 - B 4 AS 167/11 R - RdNr 14 ff; BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 15). Solche besonderen Lebensumstände sind ausgehend von den Gesetzesmateria- lien zur Einführung und zum Zweck der entsprechenden Regelung im BSHG (vgl den Gesetzentwurf des Bundesrates vom 26.3.1985, BT-Drucks 10/3079 S 5) exemplarisch darin gesehen worden, dass Alleinerziehende wegen der Sorge für ihre Kinder typischerweise weniger Zeit haben, preisbewusst einzukaufen sowie zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erzie- hungsfragen tragen müssen bzw externen Rat in Betreuungs-‚ Gesundheits- und Erziehungsfragen benötigen. Auch der Zweck des § 21 Abs 3 SGB II liegt darin, den höheren Aufwand von Alleinerziehenden für die Versorgung und Pflege bzw Erziehung der Kinder etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlicher Auf- wendungen für die Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter in pauschalierter Form auszugleichen (BSG vom 23.8.2012 - B 4 AS 167/11 R — RdNr 14; BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr1). Zwar ist an diesen Gründen die Kritik geäußert worden, der Mehrbedarf für Alleinerziehen- de sei wegen des gesellschaftlichen Wandels überholt (Düring in Gagel, SGB II/SGB III, Stand XI/2010, 5 21 RdNr 19 und Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K, Stand V/2011, 5 21 RdNr 36). Abgesehen davon, dass sich die Gruppe der Al- leinerziehenden gegenüber allen anderen Haushaltsformen nach wie vor beson- ders oft unterhalb der relativen Einkommensschwelle befindet und auch als Er- werbstätige signifikant niedrigere Einkommen als Paarhaushalte erzielt (vgl den 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2012, S 324, 329), ändert ein Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen nichts an der oben dargelegten ver- fassungsrechtlichen Wertung im Hinblick auf die Bemessung des Regelbedarfs eines Paares mit Kind. Sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sind verfassungsrechtlich anzuerkennen, solange seine Erwägungen weder offensicht- - 13 - Iich fehlsam, noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind (BVerfGE 113, 167 ff, 215 = SozR 4-2500 § 266 Nr6). Zumindest können diese Wertungen nicht umgekehrt dazu führen, dass Bedarfe durch Kindererziehung in dem gleiche Maße wie bei Alleinstehenden auch bei zwei Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind bedarfserhöhend berücksichtigt werden müssten, ohne dass das Existenzminimum Letzterer evident zu niedrig bemessen wäre.“ Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an. Die Klage war somit unbegründet. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Rechtsmittelbelehrung Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Hessischen Landessozialgericht, Steubenplatz 14, 64293 Darmstadt (FAX-Nr. (0 61 51) 80 43 50) schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin/des Ur- kundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Kassel, Ständeplatz 23, 34117 Kassel (FAX-N r. 0561 -70936-10), schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin/des Ur- kundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. Die elektronische Form wird durch eine qualifizierte signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Ge- richten und Staatsanwaltschaften vom 26. Oktober 2007 (GVBI I 2007, 699) in der jeweils geltenden Fassung (GVBI ll 20-31) in den elektronischen Gerichtsbriefkasten zu übermit- teln ist. Die hierfür erforderliche Software kann über das Internetportal des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (wvvw.egvp.de) unter „Downloads“ lizenzfrei herun- tergeladen werden. Dort können auch weitere Informationen zum Verfahren abgerufen werden. Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerich- te eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag ent- halten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel an- geben. Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialge- - 14 - richt zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulas- sung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Kassel, Ständeplatz 23, 34117 Kassel (FAX-Nr. 0561 -70936-1 0), schriftlich oder in elektronischer Form zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen. Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war. Der Berufungsschrift- bzw. Antragsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Ab- schriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Dies gilt nicht bei der Ubermittlung elektronischer Dokumente. gez. Dr. Mushoff Richter am Sozialgericht Ausgefertigt: Kassel, 31.10.2013 BienNirth Verwaltungsangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Faksimile 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 ... link (0 Kommentare) ... comment SG KS, S 12 KR 1065/04 vom 07.07.2004, Sozialgericht Kassel
anselmf
Sozialgericht Kassel
Instanz 1: S 12 KR 1065/04 Instanz 2: L 1 KR 196/04 Instanz 3: B 1 KR 20/05 R Az.: S 12 KR 1065/04 Im Namen des Volkes Urteil In dem Rechtsstreit A. A., A-Straße, A-Stadt, Klägerin, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B.B., B-Straße, A-Stadt, gegen die AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen, vertreten durch den Vorstand, dieser durch die Rechtsabteilung Nordhessen, Rollwiesenweg 1, 34039 Marburg, Beklagte. Die 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli 2004 durch den Richter am Sozialgericht S. als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter F. und T. für Recht erkannt: 1. Der Bescheid vom 3. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbe- scheides vom 25. Mai 2004 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin aus Anlass ihrer Teilnahme an der Methadon-Substitution Fahrtkosten in gesetzlichem Umfang, mindes- tens in Höhe von monatlich 36,50 €, rückwirkend und laufend über den 31. Dezember 2003 hinaus auch ab 1. Januar 2004 zu zahlen . 3. Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreites zu erstatten. HK/SE - 2 - Tatbestand Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Fahrtkosten im Streit. Die 19.. geborene Klägerin ist bei der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichert. Sie ist alleinerziehende Mutter, lebt von Sozialhilfe und von der Zu- zahlung zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln sowie den entstehenden notwendigen Fahrtkosten im gesetzlichen Umfang befreit. Auf Seiten der Klägerin liegt schließlich eine langjährige Opiatabhängigkeit vor, wobei sich die Klägerin seit ca. vier Jahren und lau- fend zu Lasten der Beklagten einer ambulanten Methadon-Substitution unterzieht, die von der C.C. e.V. in einer Substitutionsfachambulanz in A-Stadt durchgeführt wird. Inso- weit waren der Klägerin bis 31. Dezember 2003 auch die hierdurch entstehenden Fahrt- kosten von der Beklagten erstattet worden, konkret im Rahmen eines Jahres- Abonnements die Kosten für eine entsprechende Monatskarte des Nordhessischen Ver- kehrsverbundes (NVV), die sich derzeit im laufenden Jahres-Abonnement der Klägerin auf 36,50 € monatlich belaufen. Die Behandlung in der Substitutionsfachambulanz erfolgt schließlich viermal wöchentlich; zusätzlich dreimal wöchentlich erfolgt die Methadonver- gabe im Rahmen einer so genannten Take-Home-Regelung. Die Behandlung selbst er- folgt schließlich auf der Grundlage der Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersu- chungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (BUB-Richtlinien), die die Voraussetzungen der substitutionsge- stützten Behandlung Opiatabhängiger regeln, im Einzelnen Art und Weise der Durchfüh- rung der Behandlung festlegen und ausweislich derer diese Substitution überhaupt erst Bestandteil der vertragsärztlichen Leistungserbringung innerhalb der gesetzlichen Kran- kenversicherung geworden ist. Unter dem 29. Januar 2004 beantragte die Klägerin die Gewährung/Erstattung der ihr aus Anlass der Substitution entstehenden Fahrtkosten über den 31. Dezember 2003 hin- aus auch für die Zeit ab 1. Januar 2004. Die Klägerin führte aus, dass ihren Informatio- nen zufolge seit 1. Januar 2004 Fahrtkosten zu einer ambulanten Behandlung unter Ab- zug der gesetzlichen Zuzahlung zwar nur bei zwingender medizinischer Notwendigkeit in besonderen Ausnahmefällen von den Krankenkassen übernommen würden. Nach den so genannten Krankentransport-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärz- te und Krankenkassen liege ein solcher Ausnahmefall jedoch vor, wenn der Patient an einer Grunderkrankung leide, die eine bestimmte Therapie erfordere, die wiederum häu- fig und über einen längeren Zeitraum erfolgen müsse. Insoweit beeinträchtigten die Be- handlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben - 3 - unerlässlich sei. Da diese Kriterien auch auf sie zuträfen, nachdem sie auf Grund ihrer langjährigen Drogenabhängigkeit in der o.a. Substitutionsfachambulanz substituiert und psychosozial betreut werde und eine Fahrkarte benötige, damit die tägliche Einnahme des Substituts Methadon gewährleistet sei. Auf diese tägliche Einnahme sei sie zwingend angewiesen. Sollte sie mit der Einnahme des Medikaments auch nur einen Tag ausset- zen müssen, würden sofort körperliche Entzugssymptome einsetzen, so dass die Beför- derung zur Substitutionsfachambulanz für sie zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich sei. Beigefügt war dem schließlich eine ärztliche Bescheinigung der C.C. e.V. vom 29. Januar 2004, die die dortige Substitution und psychosoziale Betreuung der Klägerin zunächst bestätigte und weiter ausführte, dass die Behandlung in der dorti- gen Einrichtung einen täglichen persönlichen Kontakt zur Einnahme des Medikamentes erfordere, auch an Wochenenden und Feiertagen. Eine tägliche Beförderung in die dorti- ge Einrichtung sei zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich. Mit Bescheid vom 3. Februar 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Beklagte führ- te aus, am 1. Januar 2004 seien gesetzliche Regelungen in Kraft getreten, die den An- spruch auf Erstattung von Fahrtkosten erheblich einschränkten. Fahrtkosten dürften von den gesetzlichen Krankenkassen nur noch bezahlt werden, wenn sie aus zwingenden medizinischen Gründen (Gefahr für Leib und Leben) im Zusammenhang mit stationären oder vergleichbaren Behandlungen (vor- bzw. nachstationärer Behandlung im Kranken- haus, bestimmte ambulante Operationen) entstünden. Fahrten zu ambulanten Behand- lungen dürften nur noch in Ausnahmefällen finanziert werden. Grundvoraussetzung sei auch hier das Vorliegen eines zwingenden Grundes. Als Ausnahmen würden lediglich Fahrten zur ambulanten Dialysebehandlung, Strahlentherapie oder Chemotherapie (auf Grund einer Tumorerkrankung), zur Behandlung von Versicherten der Pflegestufe II oder III sowie zur Behandlung von Inhabern eines Schwerbehindertenausweises mit den Merkzeichen „aG“ oder „Bl“ oder „H“ gelten. Die Behandlung der Klägerin werde von die- ser Ausnahmeregelung nicht erfasst. Eine Übernahme der Fahrtkosten sei damit leider nicht möglich. Gegen den Bescheid vom 3. Februar 2004 legte die Klägerin am 11. Februar 2004 Wi- derspruch ein. Die Klägerin machte geltend, als Grunderkrankung im o.a. Sinne liege bei ihr eine Opiatabhängigkeit vor. Insoweit handele es sich bei der Substitutionsbehandlung um eine Therapie, die häufig und über einen längeren Zeitraum erfolgen müsse, so dass auch die Voraussetzungen einer Übernahme der Fahrtkosten nach den Krankentrans- port-Richtlinien weiterhin gegeben seien. Das Substitut müsse, wie vom medizinischen Leiter der Substitutionsfachambulanz bescheinigt, täglich eingenommen werde. Setze sie nur einen Tag mit der Einnahme des Medikamentes aus, würden körperliche und psychi- - 4 - sche Entzugssymptome einsetzen. Letztlich diene die Behandlung der Vermeidung von Schaden an Leib und Leben, so dass eine tägliche Beförderung für sie unerlässlich sei. Andere Krankenkassen würden schließlich Mitpatienten nach wie vor auch entsprechen- de Fahrtkosten erstatten. Mit erläuterndem Schreiben vom 21. April 2004 hielt die Beklagte sodann an ihrer ableh- nenden Haltung gegenüber der Klägerin fest. Die Beklagte führte aus, am 1. Januar 2004 sei das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV- Modernisierungsgesetz-GMG) in Kraft getreten, durch das u.a. die Leistungsansprüche im Fahrtkostenbereich neu definiert würden. Danach dürften Krankenfahrten bzw. -transporte nur noch verordnet werden, wenn sie „aus zwingenden medizinischen Grün- den“ notwendig seien. Krankenfahrten (Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, privatem PKW, Taxen oder Mietwagen zur ambulanten Behandlung) dürften von den gesetzlichen Krankenkassen „nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen“ fi- nanziert werden. Der Gesetzgeber habe die Definition der „besonderen Ausnahmefälle“ dem Gemeinsamen Bundesausschuss übertragen, einem Gremium, in dem sowohl Ver- treter der Ärzteschaft als auch der Krankenkassen vertreten seien. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe nach inhaltlicher Abstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung am 22. Januar 2004 die Krankentransport-Richtlinien verabschiedet, die rückwirkend zum 1. Januar 2004 in Kraft getreten seien. Als Ausnah- meregelung würden die Krankentransport-Richtlinien vorsehen, dass Krankenfahrten zu ambulanten Behandlungen bei zwingender medizinischer Notwendigkeit von den Kran- kenkassen nach vorheriger Genehmigung finanziert werden dürften, wenn bestimmte Behandlungsformen zum Einsatz kämen, die dadurch gekennzeichnet seien, dass der Patient in einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt werde, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweise und dass diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise beeinträchtige, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich sei (§ 8 Abs. 2 der Krankentransport- Richtlinien). In diesem Zusammenhang habe der Gemeinsame Bundesausschuss weiter erklärt, dass Dialysebehandlungen, onkologische Chemotherapien, onkologische Strah- lentherapien im Regelfall als Ausnahmefälle im Sinne der Richtlinien anzusehen seien, wie sich aus der Anlage 2 der Krankentransport-Richtlinien ergebe. Diese Aufzählung sei nicht abschließend. Vergleichbare Behandlungen müssten allerdings die gleichen Krite- rien hinsichtlich der Schwere des Krankheitsbildes, der Therapieintensität sowie des Be- handlungszeitraums aufweisen. Durch die exemplarische Auflistung von Therapieformen, die lediglich bei akut lebensbedrohlichen Erkrankungen zum Einsatz kämen, werde deut- lich gemacht, dass der Ausschuss und damit der Gesetzgeber die Anwendung dieser - 5 - Regelung auf die Behandlung hochgradig existenzgefährdender Erkrankungen be- schränkt sehen wolle. Im Gegensatz zu einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz bzw. einer Krebserkrankung könne bei einer Opiatabhängigkeit im Regelfall keine akute Le- bensgefahr unterstellt werden. Eine schwerwiegende Grunderkrankung im Sinne der zi- tierten Vorschrift liege damit nicht vor. Darüber hinaus könne die Beklagte keine zwin- gende medizinische Notwendigkeit für die Fahrten zur Methadonsubstitution erkennen. Bei der Methadonsubstitution handele es sich um eine Sonderform der Medikamenten- abgabe. Während im Regelfall eine kontinuierliche Arzneimittelversorgung durch die ärzt- liche Versorgung eines individuell zu bemessenden „Vorrats“ sichergestellt werde, schei- de diese Möglichkeit bei einer Substitutionsbehandlung aus. Die dadurch regelmäßig erforderlich werdenden Arztbesuche würden allerdings nicht durch medizinische Beson- derheiten vorgegeben, sondern durch die Umsetzung der Vorschriften der Betäubungs- mittel-Verschreibungsverordnung (BtVV) sowie der Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger, bei denen die Missbrauchsabwehr im Vordergrund stehe. Bei alledem stützte sich die Beklagte nach Aktenlage auf eine im Vorfeld vom vorliegen- den Einzelfall losgelöste grundsätzliche mündliche Erörterung mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK), wobei dieser schriftlich unter dem 27. April 2004 die Voraussetzungen einer Fahrtkostenübernahme nach § 8 Abs. 2 der Krankentransport-Richtlinien in Fällen der vorliegenden Art und insoweit bei der Substitu- tionstherapie nur zum Teil als erfüllt ansah. Zwar finde sich hier ein Therapieschema mit hoher Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum, doch handele es sich bei der Heroinabhängigkeit, die zur Substitutionstherapie geführt habe, nicht um ein Krankheits- bild, das in seiner Schwere mit einem Nierenversagen mit Dialysepflicht oder einem bös- artigen Tumor mit onkologischer Therapie vergleichbar sei. Vergleichbar seien Substituti- onspatienten vielmehr mit Patienten, die einer dauerhaften medikamentösen Therapie bedürften, wie z.B. insulinpflichtige Diabetiker. Auch hier sei eine regelmäßige, mehrfach tägliche Therapie notwendig, die allerdings selbständig durch die Patienten erfolge. Eine solche Form der häuslichen Therapie wäre medizinisch gesehen auch bei der Substituti- on möglich. Die Notwendigkeit, die Substitution innerhalb der Praxis durchzuführen, be- stehe nämlich nicht auf Grund medizinischer Sachverhalte, sondern werde durch die Richtlinien der Bundesärztekammer in Verbindung mit der BtVV begründet. Somit fehle allein deshalb schon die zwingende medizinische Notwendigkeit. Darüber hinaus seien Fahrten zur Abholung von Medikamenten in den Krankentransport-Richtlinien nach § 8 Abs. 4 ausdrücklich ausgeschlossen worden. - 6 - Die Klägerin hielt ihren Widerspruch anschließend ausdrücklich aufrecht. Gleichzeitig beantragte sie mit Eingang 13. Mai 2004 unter dem Az.: S-12/KR-950/04 ER beim Sozi- algericht Kassel den Erlass einer einstweiligen Anordnung, wobei sie einerseits geltend machte, dass es ihr unzumutbar sei, den Weg von ihrer Wohnung aus zur Therapie zu Fuß zurückzulegen und sich andererseits darauf berief, dass die Heroinabhängigkeit mit ihren körperlichen und sozialen Folgen durchaus die Schwere der vom MDK aufgezeig- ten Erkrankungen erreiche, wenn nicht gar überschreite. Wenn der MDK die Auffassung vertrete, dass ihre Erkrankung allenfalls mit einer medikamentösen Therapie vergleichbar sei, wie sie beispielsweise bei insulinpflichtigen Diabetikern vorkomme, dürfte dieser Ver- gleich bereits daran scheitern, dass eine Therapie wie bei Diabetikern nicht von ihr in ähnlicher Weise praktiziert werden könne. Insoweit sei auf die gesetzlichen Beschrän- kungen der Methadon-Vergabe hingewiesen. Solange der Gesetzgeber nicht zulasse, dass Methadon vollumfänglich häuslich eingesetzt werden könne, lasse sich ein Ver- gleich mit insulinpflichtigen Diabetikern jedenfalls im vorliegenden Fall nicht rechtfertigen. Die Beklagte trat dem Antrag im Weiteren entgegen, wobei sie den Widerspruch der Klä- gerin gegen den Bescheid vom 3. Februar 2004 schließlich mit Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2004 durch ihren hierfür zuständigen Widerspruchsausschuss als unbe- gründet zurückwies und sich zur Begründung im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im o.a. erläuterndem Schreiben vom 21. April 2004 sowie die o.a. Ausführungen des MDK vom 27. April 2004 berief. Die Klägerin hat sodann am 3. Juni 2004 die vorliegende Klage vor dem Sozialgericht in Kassel erhoben, mit der sie die Gewährung von Fahrtkosten aus Anlass ihrer Substituti- onsbehandlung über den 31. Dezember 2003 hinaus auch für die Zeit ab 1. Januar 2004 geltend macht und sich insoweit zur Begründung auf ihr Vorbringen im Antrags- und Vor- verfahren sowie ihre weiteren Ausführungen in der Sache S-12/KR-950/04 ER beruft. Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 3. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aus Anlass ih- rer Teilnahme an der ambulanten Methadon-Substitution Fahrtkosten in gesetzli- chem Umfang, mindestens in Höhe von derzeit 36,50 € monatlich, rückwirkend und laufend über den 31. Dezember 2003 hinaus auch ab 1. Januar 2004 zu be- willigen. - 7 - Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hält an den angefochtenen Bescheiden fest, auf die sie inhaltlich verweist. Die Notwendigkeit der Methadon-Abgabe/-Einnahme vor Ort ergebe sich hier letztlich nicht aus zwingenden medizinischen Gründen, sondern entspreche allein rechtlichen Vorgaben. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbrin- gens der Beteiligten, wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte; ebenso wird Bezug genommen auf den in der Sache S-12/KR-950/04 ER beigezogenen Verwaltungs- vorgang der Beklagten, dessen wesentlicher, den vorliegenden Rechtsstreit betreffender Inhalt gleichfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, in der die Kammer die Klägerin zum Sachverhalt nochmals befragt hat. Entscheidungsgründe Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Die Klage ist sodann auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin hat über den 31. Dezember 2003 hinaus für die Zeit ab 1. Januar 2004 und damit auch auf der Grundlage der inso- weit seit 1. Januar 2004 geänderten Gesetzeslage Anspruch auf Erstattung der Fahrtkos- ten, die ihr durch die zu Lasten der Beklagten durchgeführte Substitutions-Behandlung entstehen, wobei es sich wiederum auf der Grundlage von wöchentlich anfallenden vier Hin- und Rückfahrten bei den Kosten der o.a. Monatskarte gegenüber den Kosten für entsprechende Einzelfahrkarten um die insoweit kostengünstigste Übernahme von Fahrt- kosten handelt. Entgegen der Beklagten und dem MDK sieht die Kammer bei alledem die Voraussetzungen für eine Fahrtkostenübernahme auf der Grundlage von § 8 der Kran- kentransport-Richtlinien als gegeben an. Nach § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in der bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung übernahmen die Krankenkassen nach Maß- - 8 - gabe der in Abs. 2 und 3 genannten Voraussetzungen Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Kranken- kasse notwendig waren. Welches Fahrzeug benutzt werden konnte, richtete sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall. Insoweit listete § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB V schließlich die privilegierten Fahrten auf, deren Kosten zu übernehmen waren, Satz 2 bestimmte, dass die Krankenkasse darüber hinaus aber auch im Übrigen die Fahrtkosten übernahm, wenn der Versicherte durch sie entsprechend § 61 SGB V unzumutbar be- lastet war. Aus letzterem leitete sich schließlich der Fahrtkostenanspruch der Klägerin bis 31. Dezember 2003 ab, wobei § 60 Abs. 3 SGB V dann aber wiederum auch regelte, welche Kosten im Einzelfall übernommen wurden und insoweit die Rangfolge der in An- spruch zu nehmenden Transportmittel nach der Notwendigkeit festlegte. Insoweit wurden nur die Kosten des im Einzelfall wirtschaftlichsten Transportmittels übernommen. Nahm der Versicherte ein teureres Transportmittel in Anspruch, hatte er die Mehrkosten selbst zu tragen. Sie wurden insoweit weder über die Sozialklausel des § 61 SGB V, noch die Überforderungsregelung des § 62 SGB V übernommen. Insoweit folgte aus § 60 Abs. 3 Nr. 1 SGB V, dass vorrangig regelmäßig verkehrende öffentliche Verkehrsmittel zu be- nutzen waren, wobei sich die Leistungspflicht auf den die geringsten Kosten verursa- chenden Fahrpreis beschränkte. Kosten für Taxen und Mietwagen wurden nach § 60 Abs. 3 Nr. 2 SGB V nur dann übernommen, wenn ein öffentliches Verkehrsmittel nicht benutzt werden konnte. Maßgebend für letzteres konnten medizinische oder auch andere Gründe, z.B. fehlende Verkehrsanbindungen, sein, wobei die medizinische Notwendigkeit durch eine ärztliche Bescheinigung nachzuweisen war. Die Kostenerstattung bei Benut- zung eines privaten Kfz regelte sodann § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V, wobei zur Notwendig- keit schließlich auch insgesamt gehörte, dass grundsätzlich nur die Fahrtkosten vom je- weiligen Aufenthaltsort zur nächst erreichbaren Behandlungsmöglichkeit und zurück er- stattet werden konnten. Die freie Arzt- bzw. Behandlerwahl wurde insoweit nicht einge- schränkt. Dies nicht nur deshalb, weil der Versicherte nach wie vor nur unter den nächst erreichbaren Ärzten bzw. Behandlern wählen konnte, sondern das Gesetz dem Versi- cherten aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ohnehin nur eine eingeschränkte diesbezügli- che Wahlfreiheit einräumte, was zumindest dann galt, wenn neben der ärztlichen bzw. nichtärztlichen Leistung selbst weitere erstattungsfähige Kosten entstanden. Mit der o.a. Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 wurde schließlich § 60 Abs. 1 SGB V in Satz 3 dahingehend erweitert, dass die Krankenkassen seither Fahrtkosten zu einer ambulanten Behandlung nur noch nach vorheriger Genehmigung in besonderen Aus- nahmefällen sowie unter Berücksichtigung eines sich aus § 61 Satz 1 SGB V ergebenden Eigenanteils übernehmen, wobei die vorgenannten Ausnahmefälle vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V festzulegen - 9 - sind. Im Übrigen ist es durch die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 zumindest vom Grundsatz her bei den bis 31. Dezember 2003 geltenden Regelungen verblieben, wobei der Gemeinsame Bundesausschuss die vorgenannten Ausnahmefälle für Krankenfahrten zur ambulanten Behandlung zwischenzeitlich in § 8 der Krankentransport-Richtlinien und dabei im oben aufgezeigten Umfang festgelegt hat. Entgegen der Beklagten und dem MDK stellt dabei die Methadon-Substitution der Kläge- rin nach Auffassung der Kammer auch einen Ausnahmefall im Sinne dieser Richtlinien dar, wobei die Kammer die rechtliche Verbindlichkeit der Richtlinien in der vorliegenden Fallgestaltung insgesamt dahingestellt sein lässt, da die Kammer die o.a. Voraussetzun- gen des § 8 Abs. 2 der Richtlinien bereits selbst als erfüllt ansieht. Nicht nur - wovon selbst Beklagte und MDK ausgehen – wird die Klägerin hier mit einem durch ihre Grund- erkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt, das eine hohe Behandlungsfre- quenz über einen längeren Zeitraum aufweist, auch insbesondere der zu dieser Behand- lung führende Krankheitsverlauf beeinträchtigt zur Überzeugung der Kammer die Kläge- rin in einer Weise, dass eine Beförderung der Klägerin auf der Grundlage der Entfernung von ihrer Wohnung zum Behandlungsort zur Vermeidung von Schaden an Leib und Le- ben unerlässlich ist. Wenn Beklagte und MDK hier die Substitutionsbehandlung auf eine reine Medikamentenabgabe reduzieren, ist dies für die Kammer nicht nur unverständlich und nicht nachvollziehbar, insbesondere Inhalt, Umfang und Art und Weise der substituti- onsgestützten Behandlung Opiatabhängiger nach den o.a. Richtlinien, ausweislich derer sich diese Behandlung gerade nicht allein auf die Abgabe des Substituts beschränkt, bleiben hier vollkommen unbeachtet, ohne dass es insoweit darauf ankommen kann, ob die über die Abgabe des Substituts hinausgehenden Behandlungsmaßnahmen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. Entscheidend abzustellen ist vielmehr darauf, dass das alleinige Auswechseln des Opiats durch ein Substitutionsmittel gerade keine geeignete Behandlungsmethode darstellt und von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst wird und die Substitution allein und ü- berhaupt erst im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzepts erfolgt, das erfor- derliche begleitende psychiatrische und/oder psychotherapeutische Behandlungs- oder psychosoziale Betreuungs-Maßnahmen mit einbezieht. Allein in diesem Gesamtzusam- menhang kann die Substitution als solche gesehen werden, wobei sie zur Überzeugung der Kammer dann auch unter die Ausnahmefälle des § 8 Abs. 2 der Krankentransport- Richtlinien zu subsumieren ist. Im Falle der Klägerin über die vorstehenden Ausführun- gen zusätzlich auch deshalb, weil, nachdem die Substitution seit ca. vier Jahren erfolgt, dann, wenn sie richtlinienkonform erfolgt, wohl auch die Voraussetzungen für eine unbe- fristete Substitution vorliegen dürften. Im Übrigen vermag die Kammer insoweit auf der Grundlage ihrer langjährigen Erfahrungen mit Rechtsstreiten, die die Behandlungsnot- - 10 - wendigkeit gerade auch Opiatabhängiger zu Lasten der gesetzlichen Krankenversiche- rung zum Inhalt haben, insoweit keinen Grund zu erkennen, warum hier eine Vergleich- barkeit mit den weiteren o.a. Erkrankungen, die die Beklagte selbst als Ausnahmefälle unter § 8 Abs. 2 der Krankentransport-Richtlinien subsumiert, nicht gegeben sein soll. Dass sich die Behandlung als solche schließlich auch auf der Grundlage bzw. nach Vor- gaben der BtVV zu vollziehen hat, ändert an alledem nichts. Durch diesen lediglich recht- lichen Rahmen wird der medizinische Inhalt der Substitutionsbehandlung als vertrags- ärztlicher Behandlung nicht berührt. Wenn die o.a. Stellungnahme des MDK insoweit eine grundsätzliche Bewertung der Substitutionsbehandlung als vertragsärztlicher Behandlung beinhalten sollte, kommt dem MDK eine solche Stellungnahme nicht zu, da die der Sub- stitutionsbehandlung zu Grunde liegenden Richtlinien nicht nur die Beklagte, sondern auch den MDK binden und sowohl Aufgabe der Beklagten als auch des MDK allein eine Überwachung der richtlinienkonformen Substitutionsbehandlung im Einzelfall sein kann. Dass die o.a. Stellungnahme des MDK darüber hinaus gerade auch keine einzelfallbezo- gene Betrachtung beinhaltet, also losgelöst von der jeweiligen individuellen Krankheitssi- tuation der Patienten erfolgt, entwertet sie und macht sie insoweit auch aus diesem Grund hier nicht im Sinne der Beklagten nutzbar. Der Klage war nach alledem im ausgeurteilten Umfang stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG. Der gesonderten Entscheidung über eine Zulassung der Berufung bedurfte es nicht, nachdem hier die Gewährung von Dauerleistungen im Streit steht. Berufungsausschlie- ßungsgründe vermochte die Kammer insoweit nicht zu erkennen. Faksimile 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 ... link (0 Kommentare) ... comment |
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