Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Samstag, 9. Mai 2015
BVerwG, 7 B 46.88 vom 31.03.1988, Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE: nein

Fachpresse: ja



Sachgebiet:

Prüfungsrecht

Erste Juristische Staatsprüfung

Verwaltungsprozeßrecht



Stichworte:

Prüfungsrechtliches Gebot der Sach-

lichkeit; Voraussetzungen einer

Divergenz



Rechtsquelle:



VwGO S 132 Abs. 2 Nr. 2

Buchh. 310 § 132 VwGO Nr. 260 (LT1)

KMK HScHR 1988, 981-982 (LT1)



Beschluß vom 31. März 1988 - BVerwG 7 B 46.88



Leitsatz:



Die unrichtige Anwendung eines vom Bundes-

verwaltungsgericht entwickelten und vom

Berufungsgericht nicht in Frage gestell-

ten Rechtsgrundsatzes auf den zu entschei-

denden Einzelfall begründet keine Abwei-

chung im Sinne des S 132 Abs. 2 Nr. 2

VwGO (ständige Rechtsprechung).



Beschluß des 7. Senats vom 31. März 1988 - BVerwG 7 B 46.88



I. VS Hannover vom 04 02.1987 - Az.: 6 VG A 17/85 -

II. OVG Lüneburg vom 15.12.1987 - Az.: 10 OVG A 5/87 -



BUNDESVERWALTUNGSGERICHT



BVerwG 7 B 46.88

10 OVG A 5/87



BESCHLUSS



In der Verwaltungsstreitsache



hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts



am 31. März 1988 .



durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts

Prof. Dr. S. und die Richter am Bundes-

verwaltungsgericht S. und Dr. G.



beschlossen:



Die Beschwerde der Klägerin gegen die

Nichtzulassung der Revision in dem Urteil

des Oberverwaltungsgerichts für die Länder

Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom

15. Dezember 1987 wird zurückgewiesen.



Die



- 2 -



Die Klägerin trägt die Kosten des Be-

schwerdeverfahrens.



Der Wert des Streitgegenstandes wird

für das Beschwerdeverfahren auf

6 000 DM festgesetzt.



Die Klägerin, die die Erste Juristische Staatsprüfung mit

der Abschlußnote "vollbefriedigend (11,20 Punkte)" bestanden

hat, möchte erreichen, daß die Note auf "gut" verbessert

wird. Sie stützt ihr Begehren darauf, daß die Beurteilung

ihrer Hausarbeit als "gut (13 Punkte)" Fehler enthalte.



Nach ihrer Auffassung wäre die Hausarbeit ohne die Fehler

mindestens als "gut (14 Punkte)" beurteilt und damit die

erstrebte Gesamtnote erzielt worden. Widerspruch, Klage und

Berufung waren ohne Erfolg.



Auch die Beschwerde, mit der die Klägerin sich gegen die

Nichtzulassung der Revision wendet, kann keinen Erfolg

haben. Die allein geltend gemachte Abweichung des Berufungs-

urteils von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom

20. September 1984 (BVerwGE 70, 143 = DVBl. 1985, 61 =

DÖV 1985, 488 = NVwZ 1985, 187) liegt nicht vor.



In dem bezeichneten Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht

ausgesprochen, daß im Prüfungsrecht das Gebot der Sachlich-

keit gilt, und dargelegt, welche Anforderungen dieses Gebot

an den Prüfer stellt. Eine Abweichung im Sinne des S 132

Abs. 2 Nr. 2 VwGO läge nur dann vor, wenn das Berufungs-

urteil dem widersprochen, also das Gebot der Sachlichkeit

nicht



- 3 -



nicht als Voraussetzung eines fehlerfreien Prüfungsverfahrens

anerkannt oder hinsichtlich der Anforderungen andere Maßstäbe

gesetzt hätte. Das aber ist nicht der Fall.



Das Berufungsgericht geht ersichtlich davon aus, daß das Gebot

der Sachlichkeit zu den allgemeingültigen Bewertungsgrundsätzen

gehört, denn es behandelt ausdrücklich die Frage, ob die Korrek-

toren der Hausarbeit gegen dieses Gebot verstoßen haben (UA S. 9).

Daß es hierbei andere Maßstäbe angelegt hat als das Bundes-

verwaltungsgericht‚ ergibt sich aus dem Urteil nicht. Die Be-

schwerde verweist insoweit (unter den Buchstaben a) bis c))

auf Fehler, die nach ihrer Auffassung den Beurteilern unter-

laufen sind. Dabei übersieht sie, daß sich aus einer fehler-

haften Beurteilung allein noch nicht der Schluß auf einen Verstoß

gegen das Gebot der Sachlichkeit ziehen läßt. Davon abgesehen

läuft die Argumentation der Beschwerde darauf hinaus, das Be-

rufungsgericht habe die Fehler zu Unrecht nicht als prüfungs-

rechtlich relevant gewertet und damit das Recht - in seiner

Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht - unrichtig ange-

wendet. Die unrichtige Anwendung eines vom Bundesverwaltungs-

gericht entwickelten und vom Berufungsgericht nicht in Frage

gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden Einzel-

fall wäre aber noch keine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2

Nr. 2 VwGO. Die Beschwerde verkennt, daß der Tatbestand dieser

Bestimmung nur erfüllt ist, wenn das Berufungsgericht in einer

Rechtsfrage - losgelöst von der Würdigung des Einzelfalles -

eine dem Bundesverwaltungsgericht widersprechende Rechtsauf-

fassung vertritt. Das ist hier nicht der Fall.



Die Kostenentscheidung beruht auf S 154 Abs. 2 VwGO, die Streit-

wertfestsetzung auf S l4 Abs. 1 Satz l in Verbindung mit S l3

Abs. 1 Satz 2 GKG. '



Prof. Dr. S. S. Dr. G.

Faksimile  1   2   3   Leitsatz  

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BVerwG, 5 ER 625.90 vom 18.12.1990, Bundesverwaltungsgericht
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BVerwG 5 ER 625.90
OVG 16 A 1486/89

BESCHLUSS

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Dezember 1990
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht
Dr. F. und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
R. und Dr. P.

beschlossen:

Der Antrag der Klägerin, ihr für eine Be-
schwerde gegen die Nichtzulassung der Revi-
sion in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
21. März 1990 Prozeßkostenhilfe zu bewilligen
und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird ab-
gelehnt.

- 2 -

Gründe:

Das Prozeßkostenhilfegesuch der Klägerin ist abzulehnen; die be-
absichtigte weitere Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).

Die angekündigte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts müßte erfolglos bleiben,
weil Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt und auch sonst
nicht erkennbar sind.

Die Klägerin macht geltend, das Oberverwaltungsgericht weiche von
dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. April 1987
- BVerwG 5 B 103.86 - (NJW 1988, 154) und von dem Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts vorn 12. Juni 1987 - BVerwG 5 C 2.83 -
FarnRZ 1987, 1089) ab und beruhe auf dieser Abweichung (§ 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die gerügte Abweichung könnte aber nicht zur
Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO führen.

Wie die Klägerin nicht verkennt, hat das Bundesverwaltungsgericht
sich der weiter entwickelten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
für den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BAföG an-
geschlossen und seine frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufge-
geben, soweit sie entgegensteht (Beschluß vorn 14. August 1989
- BVerwG 5 B 76.89 - ). Die Abweichung von einer Rechtsprechung, an der
das Bundesverwaltungsgericht in späteren Entscheidungen selbst
nicht mehr festhält, rechtfertigt die Zulassung der Revision
nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO jedoch nicht (vgl. u.a. BVerwG,
Beschluß vorn 20. November 1981 - BVerwG 3 B 52.81 - ; Weyreuther, Revisionszulassung
und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten
Bundesgerichte, 1971, Rdnr. 104).

Soweit die Klägerin ferner rügt, das Oberverwaltungsgericht habe
die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus dem Urteil
vom 7. Juni 1989 - IV b ZR 51/88 - angewandt, namentlich zu Unrecht
(BGHZ 107, 376) unzutreffend angenommen, zwischen ihrer
kaufmännischen Ausbildung und ihrem späteren Studium der Wirt-

- 3 -

schaftswissenschaften bestehe ein enger sachlicher und zeitlicher
Zusammenhang, benennt die Klägerin nicht den Zulassungsgrund, der
mit diesem Vortrag geltend gemacht werden soll. Abgesehen davon,
ist mit dem Vorbringen der Klägerin auch in der Sache kein Zu-
lassungsgrund dargelegt und auch unabhängig davon nicht erkennbar.

Das Oberverwaltungsgericht ist von den rechtlichen Grundsätzen
ausgegangen, die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
entwickelt und vorn Bundesverwaltungsgericht übernommen worden
sind. Es hat von diesen Grundsätzen ausgehend in Würdigung des
Einzelfalles der Klägerin nur nicht die Schlußfolgerungen gezogen,
die die Klägerin aus der Rechtsprechung von Bundesgerichtshof
und Bundesverwaltungsgericht für ihren Fall gezogen wissen möchte.
Die angeblich unrichtige Anwendung eines in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung entwickelten und vorn Berufungsgericht nicht in
Frage gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden
Einzelfall stellt aber keine Abweichung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar (BVerwG, Beschluß vom 31. März 1988
- BVerwG 7 B 46.88 - ).

Die Klägerin setzt sich im übrigen mit dem angefochtenen Urteil
unter wesentlicher Heranziehung der Umstände ihres Einzelfalles
nach Art einer Berufungs- oder Revisionsbegründung auseinander.
Damit wird weder eine konkrete Rechtsfrage bezeichnet noch
erkennbar gemacht, inwieweit die Beantwortung dieser Rechtsfrage
entscheidungserheblich und über den Fall der Beschwerdeführerin
hinaus von allgemeiner Bedeutung sein könnte. Deshalb ist auch
eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO weder dargelegt noch sonst ersichtlich.

Die Klägerin macht schließlich geltend, das angefochtene Urteil
beruhe auf Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Klägerin rügt, das Oberverwaltungsgericht habe seine
Pflichten verletzt, darauf hinzuwirken, daß ungenügende tat-
sächliche Angaben ergänzt und alle für die Feststellung und

- 4 -

Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben
werden (§ 86 Abs. 3 VwGO), sowie die Streitsache mit dem Beteiligten
tatsächlich und rechtlich zu erörtern (§ 104 Abs. 1 VwGO). Die ge-
rügten Verfahrensmängel liegen indes nicht vor. Das Oberverwaltungs-
gericht hat nicht seine Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) verletzt.
Der Berichterstatter des Berufungsgerichts hat vielmehr durch prozeß-
leitende Verfügungen die Klägerin auf das während des Berufungsver-
fahrens bekanntgewordene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni
1989 hingewiesen, verbunden mit der Anfrage, ob die Klägerin die
Klage aufrechterhalte. Die Klägerin wußte damit, daß das Oberver-
waltungsgericht dem Urteil des Bundesgerichtshofs auch für ihren
Fall Bedeutung beimißt und die dort aufgestellten Voraussetzungen
für ein Fortbestehen der Unterhaltspflicht als wohl gegeben ansah.
Die Klägerin hatte damit Gelegenheit, alles vorzutragen, was aus
ihrer Sicht gegen den engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang
zwischen praktischer kaufmännischer Ausbildung und wirtschaftswissen-
schaftlichem Studium, namentlich aber dagegen sprach, ihren Eltern
sei die Finanzierung ihres Studiums wirtschaftlich zumutbar. Die
Klägerin hat von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gernacht und ins-
besondere dargelegt, aus welchen Gründen sie die Finanzierung des
Studiums durch ihre Eltern für diese wirtschaftlich nicht für zurnut-
bar hielt. Sie hat dabei allerdings nicht erwähnt, einer ihrer Brüder
befinde sich noch in der Ausbildung, ein weiterer Bruder sei arbeits-
los und müsse wegen des geringen Arbeitslosengeldes durch die Eltern
unterstützt werden. Warum es eines weiteren Hinweises des Oberverwal-
tungsgerichts bedurft hätte, um auch diese Umstände noch vorzutragen,
legt die Beschwerde nicht dar. Das Unterbleiben eines weiteren Hin-
weises verstieß nicht gegen § 86 Abs. 3 VwGO. Die Hinweispflicht in
bezug auf den Sachvortrag der Beteiligten kann sich nur auf die Er-
gänzung ungenügender tatsächlicher Angaben erstrecken, deren Unvoll-
ständigkeit für das Gericht erkennbar ist. Eine Verletzung der Hin-
weispflicht kommt nur dann in Betracht, wenn für das Gericht erkennbar
der Kläger von falschen Voraussetzungen bei seiner Rechtsverfolgung
ausgegangen ist und deshalb unterlassen hat vorzutragen, was zur
Wahrnehmung seiner Rechte vorzutragen ist (BVerwG, Urteil vom
8. Mai 1984 - BVerwG 9 C 141.83 - ). Das Oberverwaltungsgericht konnte dem

- 5 -

Vortrag der Klägerin entnehmen, ihr sei bekannt, es komme u.a.
darauf an, ob ihren Eltern die Finanzierung des Studiums finanziell
zumutbar sei. Das Oberverwaltungsgericht durfte deshalb annehmen,
die Klägerin werde auch ohne weitere Hinweise alles vorbringen,
was hierzu aus ihrer Sicht vorzubringen war. Unter diesen Umständen
hat das Oberverwaltungsgericht auch nicht gegen seine Pflicht
aus § 104 Abs. 1 VwGO verstoßen, die Streitsache in tatsächlicher
Hinsicht zu erörtern (vgl. zu§ 104 Abs. 1 VwGO u.a. BVerwG, Urteil
vom 23. Mai 1989 - BVerwG 7 C 2.87 - ), zumal die Klägerin selbst gemäß § 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2
VwGO auf eine mündliche Verhandlung und damit auf eine Erörterung
der Streitsache verzichtet hat.

Die Klägerin rügt zum anderen, das Oberverwaltungsgericht habe
seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu erfor-
schen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Sie ist insoweit der Ansicht, das Ober-
verwaltungsgericht hätte ihre Eltern zu deren wirtschaftlichen
Verhältnissen als Zeugen hören müssen. Eine Anregung, in diese
Richtung Beweis zu erheben, hat die Klägerin im Berufungsverfahren
nicht gegeben. Erst recht hat sie keinen förmlichen Beweisantrag
gestellt. Im Gegenteil hat sie auf eine mündliche Verhandlung
ausdrücklich verzichtet, weil sie den Sachverhalt bereits für
geklärt hielt. Unter diesen Umständen könnte der Verfahrensmangel
einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts nur dann gegeben
sein, wenn ersichtlich wäre, weshalb sich dem Oberverwaltungsge-
richt eine weitere Sachaufklärung in der jetzt aufgezeigten
Richtung hätte aufdrängen müssen. Dem Gericht kann nur dann eine
unzureichende Aufklärung des Sachverhalts vorgeworfen werden,
wenn nach den gesamten Umständen - auch ohne einen entsprechenden
Beweisantrag - erkennbar war, daß weitere Beweismittel vorhanden
waren und diese der weiteren Sachaufklärung dienlich sein konnten
(BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1985 - BVerwG 3 C 36.84 - ). Das Oberverwaltungsgericht durfte aber
nach dem Verhalten der Klägerin annehmen, die Klägerin habe insoweit
alle - ohnehin in ihrem Lebensbereich liegenden - Umstände vorge-
tragen.

Dr. F. R. Dr. P.

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BVerwG, 5 C 12.80 vom 04.06.1981, Bundesverwaltungsgericht
VR 1981, 449-449(L1-2)



Sachgebiet:

Sozialhilferecht



Rechtsquellen:

BSHG § 1 Abs. 2

§ 2 Abs. 1

§ 76 Abs. 2 Nr. 3 und 4

VO zur Durchführung des § 76 BSHG

§ 3 Abs. 4 und 6



Begriff "gesetzlich vorgeschrieben":

§ 76 Abs. 2 und 3 BSHG

Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung

- Absetzung vom Einkommen, Angemessen-

heit dem Grunde nach;



Führung eines menschenwürdigen Lebens

und Halten eines Kfz.



FEVS 1981, 372 (LT1+2)

Zfs 1981, 342 (LT1+2)

ZfsH 1981, 340 (LT1+2)

Vole Beo A 1981, 313 (LT1+2)

Buchh 436.0 § 76 BSHG Nr 13 (LT)

DVBl 1982, 266 (LT1+2)

BVerwGE Bd. 62 261-267 (LT1+2)





Urteil vom 4. Juni 1981 - BVerwG 5 C 12.80



Leitsätze:



1. Im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt

(Abschnitt 2 des Bundessozialhilfe-

gesetzes) umfaßt der notwendige Lebens-

unterhalt den Aufwand für das Halten

eines Kraftfahrzeugs nicht.



2. Der Beitrag zur Kraftfahrzeug-Haftpflicht-

versicherung, der an die Kraftfahrzeug-

haltung als einen Akt freier Entscheidung

anknüpft, ist nicht "gesetzlich vorge-

schrieben" im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 3

BSHG; er ist bei der Gewährung von Hilfe

zum Lebensunterhalt nicht als eine dem

Grunde nach angemessene Ausgabe vom

Einkommen abzusetzen.



Urteil des 5. Senats vom 4. Juni 1981 - BVerwG 5 C 12.80



I. VG Bremen, Gerichtsbescheid vom 31.1.1979

- Az.: VG III A 449/78 -



II. OVG Bremen, Urteil vom 13.11.1979

- Az.: OVG II BA 9/79 -



- 1 -



Verkündet



am 4. Juni 1921

Neidhardt

Justizobersekretär

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle





BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BVerwG 5 C 12.80

OVG 2 BA 9/79



IM NAMEN DES VOLKES



In der Verwaltungsstreitsache



hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts

auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 1981

durch den Vornitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht

K. und die Richter am Bundesverwaltungsgericht

R. , Dr. S. , R. und

B.

für Recht erkannt: Die



- 2 -



Die Revision der Kläger gegen das

Urteil des Oberverwaltungsgerichts

der Freien Hansestadt Bremen vom

13. November 1979 wird zurückge-

wiesen.



Die Kläger tragen die Kosten des

Revisionsverfahrens als Gesamt-

schuldner. Gerichtskosten werden

nicht erhoben.



Gründe:



I.



Die Kläger, Eheleute, bezogen 1977 und 1978 für sich und

ihre Tochter Sozialhilfe in Gestalt von (ergänzender) Hilfe

zum Lebensunterhalt, da das dem Kläger als Berufsprakti-

kanten für den Beruf des Sozialarbeiters gezahlte Prakti-

kantencehalt unter dem sozialhilferechtlichen Bedarfssatz

für die Familie lag. Bei der Bemessung der Sozialhilfe be-

rücksichtigte der Träger der Sozialhilfe Ausgaben des Klä-

gers für das Halten eines Kraftfahrzeugs (Kfz) - durch Ab-

setzung eines Pauschbetrages vom Einkommen -, solange der

Kläger das Kfz für· die Ausübung der Praktikantentätigkeit

außerhalb seines Wohnorts benutzte (Oktober 1977 bis

März 1978). Als der Kläger anschließend an seinem Wohnort

als Berufspraktikant beschäftigt wurde, setzte der Träger

der Sozialhilfe. nur noch die Kosten der Fahrkarte für das

öffentliche Verkehrsmittel ab (DM 39 monatlich).



Anfang Juli 1978 beantragten die Kläger, die bereits Anfang

Mai fällig gewordene Kfz-Steuer (Halbjahresbetrag: 118,60 DM)

und die am 1. Juli 1978 fällig gewordenen Halbjahr.esbei träge für



- 3 -



für die Kfz-Haftpflichtversicherung, die Teilkaskoversiche-

rung und die Unfallversicherung (262,70 DM, 17,50 DM und

15,50 DM) vom einzusetzenden Einkommen abzusetzen. Die Be-

klagte lehnte dies ab, weil der Kläger für die Fahrt zwischen

Wohnung und Arbeitsstätte zumutbar öffentliche Verkehrsmittel

benutzen könne.



Mit der daraufhin erhobenen Klage haben die Kläger in den

Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Das Berufungsurteil ist

im wesentlichen wie folgt begründet: Die streitigen Aufwen-

dungen seien nicht mit der Erzielung des Einkommens verbun-

dene notwendige Ausgaben, weil der Kläger - wie gerichtsbe-

kannt sei - den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit

öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen könne. Als gesetz-

lich vorgeschriebene Beiträge zu einer privaten Versicherung

im Sinne der Nummer 3 des § 76 Abs. 2 BSHG könnten die

Versicherungsbeiträge nicht anerkannt werden, weil es nicht

der Sinn dieser Vorschrift sei, beliebigen Zwecken dienen-

de Versicherungsbeiträge abzusetzen. Der Gesamtzusammenhang

der Regelung ergebe, daß nur solche Beiträge in Betracht

kämen, mit denen der Hilfesuchende wie mit Vorsorgeleistungen

nach der Nummer 2 des § 76 Abs. 2 BSHG für Krankheit, Unfall-

folgen, Alter und Arbeitslosigkeit die Voraussetzungen für

einen Ausgleich bei einem künftigen Wegfall des Einkommens

aus eigener Erwerbstätigkeit schaffe. - Für eine Absetzung

der Kfz-Steuer außerhalb der Nummer 4 des § 76 Abs. 2 BSHG

gebe es offensichtlich keine Rechtsgrundlage.



Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter;

lediglich hinsichtlich der zunächst noch erstrebten Absetzung

eines Betrages von 2,00 DM (Säumniszuschlag bei der Kfz-Steuer)

haben sie das Rechtsmittel in der Revisionsverhandlung zurück-

genommen. Sie halten die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts

mit Rücksicht auf den klaren Wortlaut des Gesetzes für unrich-

tig; die Kfz-Haftpflichtversicherung sei gesetzlich vorge-

schrieben. Die Kfz-Steuer kann nach Meinung der Kläger nicht

anders behandelt werden; sie lasse sich bei analoger Anwen-

dung des Gesetzes berücksichtigen.



- 4 -



Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Sie macht sich

die Gründe des angefochtenen Urteils zu eigen.



II.



Die - zulässige - Revision ist unbegründet, so daß sie zu-

rückzuweisen ist ( § 144 Abs. 2 VwGO)



Die Kläger haben mit ihrer Klage in den Vorinstanzen zu

Recht keinen Erfolg gehabt. Sie haben keinen Anspruch dar-

auf, daß der Träger der Sozialhilfe ihnen und ihrer Tochter

(als Bedarfsgemeinschaft) von Juli 1978 an ergänzende Hilfe

zum Lebensunterhalt unter (anteilmäßiger) Berücksichtigung der

Aufwendungen gewährt, die dem Kläger im Zusammenhang mit dem

Halten eines Kraftfahrzeuges (Kfz) in Gestalt der Kfz-Steuer und

der Beiträge zu Kfz-Versicherungen erwachsen waren. Die Auffas-

sung des Oberverwaltungsgerichts, daß es sich dabei während

der fraglichen Zeit nicht um mit der Erzielung des Ein-

kommens des Klägers (Praktikantengehalt) verbundene not-

wendige Ausgaben gehandelt hat, steht mit § 76 Abs. 2 Nr. 4

BSHG in Einklang; denn nach den das Bundesverwaltungsge-

richt bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungs-

gerichts war es dem Kläger zuzumuten, den Weg zwischen der

Wohnung und der Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrs-

mitteln zurückzulegen (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 6

Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 76 des Bundes-

sozialhilfegesetzes vom 28. November 1962 [BGBl. I S. 692]).

Dies wollen offenbar auch die Kläger nicht in Abrede stel-

len; denn sie begehren - wie ihre Revisionsbegründung

zeigt -, die erwähnten Ausgaben nach der Nummer 3 des § 76

Abs. 2 BSHG zu berücksichtigen.



Ihrer Ansicht, daß die erwähnten Ausgaben nach dem schlichten

und klaren Wortlaut des Gesetzes ohne weiteres deshalb vom

Einkommen des Klägers abzusetzen seien, weil es sich um „gesetzlich



- 5 -



"gesetzlich vorgeschriebene" Beiträge handele, kann jedoch

nicht beigetreten werden. Was die Kfz-Steuer angeht, so ist

sie - gerade nach dem von den Klägern für sich in Anspruch

genommenen schlichten und klaren Wortlaut des Gesetzes - kein

Beitrag zu einer öffentlichen oder privaten Versicherung; oder

ähnlichen Einrichtune; und Beiträge zur Teilkasko- und Unfall-

versicherung sind nicht gesetzlich vorgeschrieben, ebenso-

wenig Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, soweit diese

die Mindestdeckungssummen überschreitet (vgl. dazu das Gesetz

über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter vom

5. April 1965 [BGBl. I S. 213] in Verbindung mit der Verord-

nung zur Änderung der Mindesthöhe der Versicherungssummen

in der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter vom

23. Juli 1971 [BGBl. I S. 1109]).



Aber auch die Kfz-Haftpflichtversicherung, soweit sie vom Um-

fang her gesetzlich vorgeschrieben ist, ist nicht schon aus

diesem Grund ohne weiteres vom Einkommen abzusetzen. Es kann

offenbleiben, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft,

daß die Absetzbarkeit dieser Ausgabe nach der Nummer 3 des § 76

Abs. 2 BSHG deshalb von Rechts wegen ausgeschlossen sei, weil

es sich um eine Ausgabe handele, die im Rahmen der Absetzungen

nach der Nummer 4 des § 76 Abs. 2 BSHG in Verbindung mit § 3

Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 2 der Durchführungsverord-

nug berücksichtigt werden könne, und weil diese Vorschriften

die Frage songergesetzlich abschließend regelten. Hierfür

spricht manches; gerade auch dass von den Klägern - wenn auch

mit entgegengesetzter Schlußfolgerung - angeführte Argument,

daß aus einem einheitlichen Lebensvorgang, nämlich dem Halten

eines Kraftfahrzeugs, erwachsende gesetzliche Verpflichtungen

(zur Zahlung von Kfz-Steuer und Kfz-Haftpflichtversicherungs-

beitrag) sozialhilferechtlich nicht unterschiedlich behandelt

werden könnten: Da die einheitliche Berücksichtigung dieser

"Pflichtausgaben" nur in § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG in Verbin-

dunp; mit § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 2 der Durch-

führungsverordnung vorgesehen ist, hat es bei dieser Sicht

der Dinge eben dabei sein Bewenden auch in bezug auf den

Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung; mit anderen



- 6 -



Worten: Die mit dem Halten eines Kfz verbundenen notwendi-

gen Ausgaben sollen danach nur dann absetzbar sein, wenn

sie mit der Erzielung von Einkommen verbundene notwendige

Ausgaben sind.



Jedoch braucht diese Frage nicht abschließend beantwortet

zu werden. Selbst wenn man hinsichtlich jeder Art von

Versicherung die Absetzbarkeit des Beitrages ausgangs-

weise für rechtlich möglich hält, ist die Absetzung des

Beitrags für die Kfz-Haftpflichtversicherung (mit ihrem

Mindestumfang) nicht ipso jure geboten. Auch hinsichtlich

dieses Beitrages ist im Einzelfall zu prüfen, ob er nach

Grund und Höhe unter dem Aspekt angemessen ist, dem Hilfe-

suchenden Mittel zu belassen (also mittelbar Sozialhilfe

zu gewähren), die ihn in den Stand setzen, Versicherungen

aufrechtzuerhalten, für die aus der Sicht der das Sozial-

hilferecht prägenden Grundsätze ein Bedürfnis besteht.



Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann dem

Träger der Sozialhilfe nicht mit der Begründung verwehrt

werden, daß die Kfz-Haftpflichtversicherung "gesetzlich vor-

geschrieben" sei. Das Bundesverwaltungsgericht teilt nicht

die Ansicht, die hierzu im Schrifttum verschiedentlich ver-

treten wird (Gottschick/Giese, Das Bundessozialhilfegesetz,

6. Aufl. 1977, § 76 RdNr. 8.3 Abs. 3; Jehle/Schmitt, Sozial-

hilferecht, Loseblatt-Kommentar, A (1. Teil), § 76 Erl. 4c;

Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum Bundessozialhilfe-

gesetz, 9. Aufl. 1977, § 76 RdNr. 21; Gutachten des Deutschen

Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 26. April

1971, Kleinere Schriften Heft 54 S. 30; anderer Ansicht

aber: Rehnelt in ZfF 1969, 280 [282]) und die auch vom

Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 16. Januar 1979

- ZfSH 1979, 216) geteilt wird. Das Tatbestandsmerkmal der

gesetzlich vorgeschriebenen Versicherung erhält den ihm in

§ 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG zugedachten Sinn erst mit der Frage

nach dem Grund für die Beitragsverpflichtung, nämlich ob

die betreffende Versicherung per se dem Hilfesuchenden

auferlegt



- 7 -



auferlegt ist, so daß er sich ihr durch freie Entschei-

dung nicht entziehen kann, oder danach, ob jedenfalls eine

solche Entscheidung unzumutbar erscheint. Der Abschluß der

Kfz-Haftpflichtversicherung ist die Folge des Hal-

tens eines Kfz. Dies ist dem einzelnen aber freigestellt.

Der Hilfesuchende kann daher auf das Halten eines Kfz ver-

zichten. Ein solcher Verzicht wird ihm vom Gesetz auch zuge-

mutet, wenn er aus dem von seinen Mitbürgern erarbeiteten

Bruttosozialprodukt, ohne das Leistung von Sozialhilfe nicht

möglich ist, die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt er-

wartet, die in § 11 BSHG auf den notwendigen

Lebensunterhalt begrenzt ist. In dem Verzicht auf ein Kfz

liegt dann Selbsthilfe, zu der § 2 Abs. 1 BSHG verpflich-

tet, in dem Sinne, daß der Hilfesuchende Ausgaben vermeidet,

die die ihm zur Verfügung stehenden und in erster Linie

für die Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts einzu-

setzenden Mittel mindern könnten. Das ergibt sich aus dem

inneren Zusammenhang, in dem die Vorschriften über den

Einsatz des Einkommens und Vermögens mit den Vorschriften

stehen, mit denen die materiellen Voraussetzungen für die

Gewährung von Sozialhilfe geregelt sind, in concreto aus dem

inneren Zusammenhang zwischen § 76 BSHG und den §§ 11 ff.

BSHG. Es macht keinen Unterschied, ob einem gänzlich Hilfe-

bedürftigen für die Bezahlung des Beitrages zur Kfz-Haft-

pflichtversicherung Sozialhilfe gewährt wird oder ob die

einem teilweise Hilfebedürftigen zu gewährende (ergänzende)

Hilfe zum Lebensunterhalt deshalb höher ausfällt, weil von

seinem als einsetzbar in Betracht zu ziehenden Einkommen

der Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung abgezogen wird.

Dieser im o.a. Schrifttum und vom Verwaltungsgericht Berlin

nicht erwogene, aber zwangsläufig bestehende innere Zusam-

menhang findet sich im Gesetz selbst in einem Teilbereich

ausgedrückt, nämlich im auch vom Oberverwaltungsgericht

erwähnten § 13 BSHG. Darin ist die Obernahme von Kranken-

versicherungsbeiträgen bestimmt (in Absatz 1 als "Muß"-

Leistung, in Absatz 2 als "Kann"-Leistung), wobei folge-

richtig § 76 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 BSHG von der Anwendung

ausgenommen



- 8 -



ausgenommen wird; andernfalls käme der Hilfeempfänger zwei-

mal in den Genuß entsprechender Beträge.



Wollte man also die Entrichtung eines Beitrages zur Kfz-Haft-

pflichtversicherung als im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG

"gesetzlich vorgeschrieben" erachten und ihre Berücksichti-

gung nach dieser Vorschrift deshalb als "Muß", so hätte das

zur Folge, daß einer völlig mittellos gewordenen Person, die

jedoch "aus besseren Tagen" noch ein Kfz besitzt, Sozialhilfe

nicht nur zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts

(vgl. besonders § 12 BSHG), sondern auch zur Bezahlung des

Beitrages zur Kfz-Haftpflichtversicherung (und wenn es nach

den Klägern ginge, auch zur Bezahlung der Kfz-Steuer) ohne

weiteres gewährt werden müßte. Es braucht nicht

näher dargelegt zu werden, daß eine solche Leistung mit den

das Sozialhilferecht prägenden Grundsätzen nicht vereinbar

ist. Daher muß bei einem "gesetzlich vorgeschriebenen" Bei-

trag, der dies nicht per se, sondern nur als Folge freiwil-

ligen Handelns ist, hier wie dort gefragt werden, ob seine

Berücksichtigung mit der Zielsetzung des Sozialhilferechts

in Einklang steht, die Führung eines Lebens zu ermöglichen,

das der Würde des Menschen entspricht, und den Hilfeempfän-

ger zur Selbsthilfe zu befähigen, damit weitere Gewährung

von Sozialhilfe entbehrlich wird (§ 1 Abs. 2 BSHG). Diesen

Zusammenhang haben offenbar auch die Kläger erkannt; denn

sie führen aus: Das Anschaffen und das Halten eines KfZ

seien nach allgemein gewandelter Anschauung nicht mehr an

den "Status eines zahlungskräftigen Bürgers" gebunden,

ein Kfz werde nicht mehr als Luxusgegenstand, sondern als

ein durchaus übliches Mittel zur Fortbewegung angesehen,

es sei menschenwürdiger, die Anschaffung eines Kfz als

freie Entscheidung eines Hilfeempfängers hinzunehmen als

in dem Gebrauch eines Kfz ein Statussymbol zu sehen.

Dieser Argumentation, die am Ende darauf hinausläuft, daß

ein menschenwürdiges Leben nur mit einem Kfz geführt werden

könne



- 9 -



könne, so daß für die Anschaffung und die Unterhaltung eines

Kfz Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren

sei, kann sich das Bundesverwaltungsgericht nicht anschließen.

Steht nur Hilfe zum Lebensunterhalt in Frage, so ist die Füh-

rung eines menschenwürdigen Lebens vom Halten und Benutzen

eines Kfz noch weniger abhängig als vom Fernsehen (vgl. zu

letzterem BVerwGE 48, 237). Daß ein Kfz ein übliches I1ittel

zur Fortbewegung ist, besagt nicht, daß es eine von,der Men-

schenwürde her gebotene Notwendigkeit ist. Es ist eine An-

nehmlichkeit, auf die zu verzichten übrigens aus Gründen

der Ökologie und der Energieeinsparung zunehmend aufgefor-

dert wird. Überdies läßt sich dem Sozialhilferecht selbst

entnehmen, daß die Übernahme der Kosten für das Anschaffen

eines Kfz und seine Unterhaltung nur als Maßnahme der Ein-

gliederungshilfe in Betracht kommt (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 BSHG

in Verbindung mit den §§ 8 und 10 Abs. 6 der Eingliederungs-

hilfe-Verordnung in der Fassung vom 1. Februar 1975

[BGBl. I S. 434]).



Entgegen der Ansicht der Kläger liegt in der Nichtberück-

sichtigung des Beitrags zur Kfz-Haftpflichtversicherung

keine "Gängelei", für die es keine rechtliche Grundlage

gäbe, so lange die Voraussetzungen für die Anwendung des

§ 25 BSHG nicht vorlägen. Die Kläger übersehen, daß es in

diesem Rechtsstreit nicht um die sinnvolle Verwendung ge-

währter Hilfe zum Lebensunterhalt durch sie geht; vielmehr

darum, daß sie zusätzlich eine Leistung der Sozialhilfe be-

gehren (indem ein entsprechender Betrag des vorhandenen

Einkommens ihnen freigelassen wird), die sie erst in den

Stand setzen·soll, ein Kraftfahrzeug zu halten.



Jedenfalls aus diesen Gründen war der Beitrag des Klägers

zur Kfz-Haftpflichtversicherung in seiner ganzen Höhe kein

dem Grunde nach angemessener und damit kein nach § 76 Abs. 2

Nr. 3 BSHG vom Einkommen absetzbarer Beitrag; ebensowenig

der Beitrag zur Teilkasko- und zur Unfallversicherung. Daß

sich aus eben diesen Gründen verbietet, § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG

analog



- 10 -



analog anzuwenden, um die Absetzbarkeit der Kfz-Steuer vom

Einkommen zu rechtfertigen, versteht sich dann von selbst.



Die Kostenentscheidung, bei der der durch partielle Revi-

sionsrücknahme erledigte Teil des Rechtsstreites einzube-

ziehen war, beruht auf den§§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2·und

159 Satz 2 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit.auf § 188

Satz 2 VwGO.



K. R. Dr. S.

R. B.

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BVerwG, 3 B 62.88 vom 21.02.1989, Bundesverwaltungsgericht
Sachgebiet: BVerwGE: nein

Lebensmittelrecht Fachpresse: nein

Weinrecht

Rechtsquellen:

VO (EWG) Nr. 2179/83 Art. 4 Abs. 2.· Art. 5 Abs. 1

VwVfG

§§ 38 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 2. 44

VwGO § 132 Abs . 2 Nr . 1 u . Nr . 2

Stichworte:

Behördliche Genehmigung eines Vertrags zur Destillation von
Wein. allgemeine Hinweise im Genehmigungsbescheid. Auslegung
eines Hinweises als bedingte Zusicherung der Gewährung einer
Beihilfe; keine Grundsatzfrage (unbegründete Nichtzulassungs-
beschwerde)

Beschluß des 3. Senats vom 21. Februar 1989- BVerwG 3 B 62.88
I. VG Frankfurt am Main vom 13.06.1986 - Az.: I/3 E 2021/84 -
II. VGH Kassel vom 19.05.1988 - Az.: 8 UE 2017/86

- 1-

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BVerwG 3 B 62.88

VGH 8 UE 2017/86

BESCHLUSS

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Februar 1989
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. D. sowie die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht S. Und W.-E. S.
beschlossen:

- 2 -

Die Beschwerde der Beklagten gegen die
Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom
19. Mai 1988 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen
der Beklagten zur Last.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren
wird auf 28 374.79 DM festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision im angefochtenen Urteil des Berufungsgerichts erweist
sich als unbegründet. Keiner der in der Beschwerdebegründung
dargelegten rechtlichen Gesichtspunkte vermag die Zulassung der
Revision zu rechtfertigen.

Die von der Beklagten als klärungsbedürftig dargelegte Frage.
ob Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 und Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1
der Verordnung (EWG) Nr. 2179/83 des Rates vom 25. Juli 1983
dahin auszulegen sind. daß ein Verwaltungsakt. der eine dort
vorgesehene Genehmigung eines Vertrags zur Destillation von
Wein zum Inhalt hat. gleichzeitig die Zusicherung enthält. eine
für die Destillation beantragte Beihilfe zu gewähren, hat keine
grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
weil sie in dieser Allgemeinheit nicht klärungsfähig ist. Im
Grundsatz wäre diese Frage sicherlich zu verneinen, weil es sich
von selbst versteht. daß ein Verwaltungsakt, der lediglich die
Genehmigung eines Vertrags zum Inhalt hat, nicht zugleich auch
die Zusicherung einer Leistung enthält. Allerdings kann sich

- 3 -

aus der Begründung einer Genehmigung ergeben, daß über die Ge-
nehmigung hinaus zugleich eine Zusicherung erteilt worden ist.
Dies hängt also von den jeweiligen besonderen Umständen des kon-
kreten Einzelfalls ab.

Die weiterhin von der Beklagten dargelegte Frage, ob ein Ver-
waltungsakt, der die Genehmigung eines Vertrags zur Destillation
von Wein betrifft, durch Interpretation eines allgemeinen Hin-
weises zu der Genehmigung dahin ausgelegt werden kann, daß er
zugleich die Zusicherung enthält, eine für die Destillation be-
antragte Beihilfe werde gewährt, ist nicht klärungsbedürftig,
weil sie zweifelsfrei zu bejahen ist. Denn es ist unter den
Umständen des konkreten Einzelfalls durchaus möglich, daß ein
zur Begründung der Genehmigung gegebener Hinweis als eine Zu-
sicherung zu verstehen ist. Ob dies im Einzelfall zutrifft. ist
wiederum keine Grundsatzfrage. sondern eine Frage der Auslegung
des konkreten Verwaltungsakts. Im übrigen ist die Frage. ob im
vorliegenden Falle die Umstände nicht eher gegen die Feststel-
lung des Berufungsgerichts sprechen. die Behörde habe eine Zu-
sicherung gegeben. vom Bundesverwaltungsgericht nicht zu ent-
scheiden.

Die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung wegen Abweichung
nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen ebenfalls nicht vor. Eine
Zulassung aus diesem Grunde kommt nur in Betracht. wenn die
Meinungsverschiedenheit die Frage der Geltung eines bestimmten
abstrakten Rechtssatzes betrifft.

- 4 -

Was die angebliche Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts vom 17. Oktober 1975- BVerwG 4 C 66.72- (NJW 1976.
303 = BVerwGE 49. 244) anbetrifft, so wird in der Beschwerde
lediglich behauptet, das Berufungsgericht habe nicht die Anfor-
derungen beachtet, die das Bundesverwaltungsgericht an eine
behördliche Zusage stelle, nicht aber, daß das Berufungsgericht
die Richtigkeit dieser Anforderungen in Zweifel gezogen habe.

Ein etwaiger Fehler bei der Anwendung des zwischen Tatsachenge-
richt und Bundesverwaltungsgericht unumstrittenen Rechtssatzes
rechtfertigt keine Zulassung wegen Abweichung.

Zu Unrecht gerügt wird auch die Abweichung vom Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 7. Juli 1966 - BVerwG 3 C 219.64-
(BVerwGE 24. 294) und von dem Beschluß vom 20. März 1973
- BVerwG 1 WB 217.72- (BVerwGE 46. 89); denn die diesbezügli-
chen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts enthalten
keine rechtliche Aussage zu den Voraussetzungen einer wirksamen
behördlichen Zusicherung. und auf den in diesen Entscheidungen
behandelten Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hat das Be-
rufungsgericht nicht abgehoben. so daß es naturgemäß auch die
Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts für einen wirksamen Ver-
trauensschutz nicht in Frage gestellt hat. Im übrigen wird in
dem einschlägigen Beschwerdevorbringen übersehen, daß sich das
vom Berufungsgericht erwähnte Vertrauen auf das behördliche
Einverständnis mit der Destillation bezieht. die zeitlich nach
dem Zugang der Genehmigung erfolgte.

Im übrigen sei nur noch bemerkt. daß § 38 Abs. 2 VwVfG die Un-

- 5 -

wirksamkeit einer Zusicherung unbeschadet des § 38 Abs. 1
Satz 1 VwVfG nur unter den Voraussetzungen des § 44 VwVfG an-
nimmt.

Zusammenfassend ergibt sich. daß die Nichtzulassungsbeschwerde
unter keinem dargelegten rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben
kann. so daß sie mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO
zurückzuweisen ist. Die Streitwertfestsetzung beruht auf§ 13
Abs. 1 Satz 1 GKG.

Dr. D. S. S.

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Dienstag, 5. Mai 2015
BVerwG 11 VR 3.97 vom 21.03.1997, Bundesverwaltungsgericht
BVerwG 11 VR 3.97

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. März 1997
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. D. und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Prof. Dr. B. und Dr. R.

beschlossen:

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen
Anordnung wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die
Antragsteller zu 1 als Gesamtschuldner und
der Antragsteller zu 2 jeweils zur Hälfte.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8 000 DM festgesetzt.- 2 -

G r ü n d e :

I.

Die Antragsteller sind Eigentümer von bebauten Grundstücken
entlang des Bundesschienenweges Uelzen - Stendal, der nach dem
Bundesschienenwegeausbaugesetz als Ausbaustrecke
(Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Schiene Nr. 8) auszubauen
ist. Diese Strecke stellte bis 1945 die kürzeste Verbindung
zwischen dem mitteldeutschen Raum und den Nordseehäfen dar und
wurde zweigleisig betrieben. Im Juli 1945 wurde der
Eisenbahnbetrieb zwischen den Grenzbahnhöfen von Sachsen-
Anhalt und Niedersachsen eingestellt. In den folgenden Jahren
wurden die Gleisanlagen in Grenznähe vollständig abgebaut und
im weiteren Streckenabschnitt zwischen Wieren und Uelzen
eingleisig zurückgebaut.

Zur Realisierung der Ausbaustrecke hat die Deutsche Bahn AG
die auf die Elektrifizierung beschränkte Planfeststellung
beantragt. Für die den Streckenabschnitt Stederdorf - Uelzen
betreffenden Planfeststellungsabschnitte 25 und 26 wird
derzeit das Planfeststellungsverfahren durchgeführt. Im
Planfeststellungsabschnitt 25 hat die Auslegung der
Planfeststellungsunterlagen bereits stattgefunden. Die
Einwendungsfrist ist abgelaufen. Die Antragsteller haben
Einwendungen erhoben. Die den Planfeststellungsabschnitt 26
betreffenden Planfeststellungsunterlagen liegen derzeit
öffentlich aus. Es ist beabsichtigt, die Einwendungen zu
beiden Planfeststellungsabschnitten in einem gemeinsamen
Termin zu erörtern.


Die Antragsteller haben am 11. Februar 1997 um vorläufigen
Rechtsschutz nachgesucht. Sie befürchten, daß ihre Grundstücke
durch den Ausbau erheblich an Wert verlieren, weil trotz der
zu erwartenden Lärmbelästigung keine Lärmschutzmaßnahmen

- 3 -

vorgesehen seien. Sie vertreten die Auffassung, daß es sich
bei der Ausbaumaßnahme um eine wesentliche Änderung eines
Schienenweges handele, weil die Bahnstrecke in den Jahren
1984/1985 in eine eingleisige Strecke zurückgestuft worden
sei. Deswegen sei die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte im
Sinne der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung durch
Lärmschutzmaßnahmen sicherzustellen. Darüber hinaus seien
Kreuzungsbauten im Sinne des Eisenbahnkreuzungsgesetzes
vorzusehen. Die Deutsche Bahn AG wolle sich diesen
Konsequenzen aber entziehen, indem sie - ebenso wie die
Antragsgegnerin - die Rückstufung der Strecke bestreite, die
Einsicht in die entsprechenden Unterlagen verweigere, diese
Unterlagen trotz zeitweiligen Vorlageverlangens der
Anhörungsbehörde zurückhalte und nicht den ausgelegten
Planunterlagen beifüge. Ohne Offenlegung dieser Akten dürfe
das Planfeststellungsverfahren nicht weiterbetrieben werden.
Andernfalls würden die Rechte der Antragsteller verletzt,
insbesondere ihr Recht auf Eigentum und Gesundheit. Das
Akteneinsichtsrecht der Antragsteller ergebe sich aus § 29
VwVfG, aus §§ 4 und 5 UIG sowie unmittelbar aus Art. 103 Abs.
1 GG. Dieses Recht müsse im Wege der beantragten einstweiligen
Anordnung bereits jetzt gewährt werden. Andernfalls sei eine
ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer Rechte im
Planfeststellungsverfahren nicht möglich. Darüber hinaus
liefen sie Gefahr, im späteren gerichtlichen Verfahren mit
ihren Einwendungen präkludiert zu sein. Effektiver
Rechtsschutz sei nicht gewährleistet, da möglichen
Planungsalternativen, die sich aus der vollständigen Kenntnis
aller Planungsunterlagen ergeben könnten, im Rahmen einer bloß
nachträglichen Rechtskontrolle kein maßgebliches Gewicht mehr
zukomme. § 44 a VwGO stehe dem Antrag nicht entgegen.


Die Antragsteller beantragen,

der Antragsgegnerin aufzugeben, den Antragstellern
Akteneinsicht in die eigenen Rückstufungsakten für die
Bahnlinie Wieren-Uelzen von zweigleisigem Verkehr auf
dauernd eingleisigen Verkehr gemäß Erlaß vom 22. Februar
1984 zu Aktenzeichen E 15/32.38.02/428 Bb 83 zu
gewähren,

hilfsweise,

- 4 -

der Antragsgegnerin aufzugeben, die Rückstufungsakten für die
Bahnlinie Wieren-Uelzen von zweigleisigem Verkehr auf dauernd
eingleisigen Verkehr gemäß Erlaß vom 22. Februar 1984 zu
Aktenzeichen E 15/32.38.02/428 Bb 83 der Bezirksregierung
Lüneburg im Anhörungsverfahren zur Planfeststellung betreffend
VDE Nr. 3, Bahnlinie Uelzen-Stendal vorzulegen.

Die Antragsgegnerin beantragt,


den Antrag abzulehnen.

Sie hält den Antrag wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses für
unzulässig, weil den Antragstellern der Inhalt der Akten, in
die Einsicht begehrt werde, bereits bekannt sei. Wenn seitens
der Antragsgegnerin davon die Rede gewesen sei, die fragliche
Strecke sei entwidmet worden, so habe es sich um eine
unverbindliche Einschätzung der Rechtslage gehandelt, die
später im Blick auf die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts wieder revidiert worden sei.
Jedenfalls sei der Antrag unbegründet. Ein Anspruch auf
Einsicht in die Akten der Antragsgegnerin bzw. auf Vorlage der
Akten an die Anhörungsbehörde stehe der Antragsgegnerin -
insbesondere nach § 29 VwVfG - nicht zu.

- 5 -


II.

1. Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 5 Abs. 1 VerkPBG
berufen, über den Antrag der Antragsteller auf Erlaß einer
einstweiligen Anordnung zu entscheiden. Der Gesetzeszweck
dieser Vorschrift verlangt ihre weite Auslegung dahin, daß sie
alle Verwaltungsstreitverfahren erfaßt, die einen
unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungsverfahren
oder Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 1 VerkPBG
haben (BVerwG, Beschluß vom 22. November 1995 - BVerwG 11 VR
42.95 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 5). Ein solcher
unmittelbarer Bezug zu den Planfeststellungsverfahren in den
Planfeststellungsabschnitten 25 und 26 der Ausbaustrecke
Uelzen - Stendal (Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Schiene Nr.
8) ist noch zu bejahen. Er ergibt sich daraus, daß die
streitbefangenen Akten diesen Streckenabschnitt betreffen und
die Antragsteller - wie vor allem aus ihrem Hilfsantrag
hervorgeht - den Akteninhalt zum Gegenstand des
Planfeststellungsverfahrens machen wollen. Auch die
Anhörungsbehörde des Planfeststellungsverfahrens hat zeitweise
die Beiziehung der Akten für erforderlich gehalten.


2. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung bleibt
ohne Erfolg. Die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 VwGO liegen
nicht vor. Die Antragsteller haben einen Anordnungsgrund nicht
glaubhaft gemacht.


Mit ihrem Antrag auf Akteneinsicht begehren die Antragsteller
keine vorläufige Maßnahme, sondern die Vorwegnahme der
Hauptsache. Ein solches Rechtsschutzziel widerspricht
grundsätzlich der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes
(BVerwG, Beschluß vom 14. Dezember 1989 - BVerwG 2 ER 301.89 -
Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 15). Etwas anderes muß im Hinblick
auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG)
allerdings gelten, wenn ohne vorläufigen Rechtsschutz schwere
und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden,
zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der- 6 -
Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfGE 46, 166 <179>;
79, 69 <74>).


Solche Nachteile drohen den Antragstellern nicht. Sie machen
geltend, ohne Kenntnis des Akteninhalts an der ordnungsgemäßen
Wahrnehmung ihrer Rechte im Planfeststellungsverfahren
gehindert zu werden, weil sie mit späteren Einwendungen
ausgeschlossen werden könnten und eine Alternativplanung nicht
rechtzeitig erarbeitet werden könnte; ein einmal ergangener
Planfeststellungsbeschluß schaffe vollendete Tatsachen, die
durch nachträglichen Rechtsschutz erfahrungsgemäß nicht mehr
beseitigt würden. Das trifft jedoch nicht zu. Die
Antragsteller sind auch ohne Zuerkennung des beantragten
vorläufigen Rechtsschutzes nicht gehindert, ihre Einwendungen
in den die Planfeststellungsabschnitte 25 und 26 betreffenden
Planfestellungsverfahren in einer den Anforderungen des § 20
AEG entsprechenden Weise vorzubringen. Das belegen bereits
ihre Ausführungen in der Antragsschrift im vorliegenden
Verfahren. Die Planfeststellungsbehörde kann hieraus ohne
weiteres entnehmen, daß sie Lärmschutzmaßnahmen zur Sicherung
des Immissionsgrenzwertes des § 2 der 16. BImSchV für
erforderlich halten, weil nach ihrer Ansicht die
planfestzustellende Maßnahme die Voraussetzungen einer
wesentlichen Änderung von Schienenwegen im Sinne des § 1 Abs.
1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der 16. BImSchV erfüllt. Die damit von
den Antragstellern aufgeworfene Rechtsfrage könnte weder im
vorliegenden Eilverfahren noch durch die begehrte
Akteneinsicht verbindlich entschieden werden. Dies könnte
erforderlichenfalls erst in einem gegen den
Planfeststellungsbeschluß gerichteten verwaltungsgerichtlichen
Verfahren geschehen. Es ist nicht erkennbar, daß diese
Rechtsschutzmöglichkeit im Hinblick auf das im
Planfeststellungsverfahren verfolgte Begehren der
Antragsteller nicht mehr zeitgerecht oder inhaltlich,
insbesondere im Hinblick auf die Kontrolle von
Verfahrensfehlern, Planrechtfertigung oder Abwägungsmängeln,
unzureichend wäre. Soweit die Antragsteller faktische
Nachteile durch einen auf die nachträgliche Kontrolle der
Sachentscheidung beschränkten Rechtsschutz rügen, wenden sie

- 7 -

sich in Wahrheit gegen die Entscheidungen des Gesetzgebers zu
Art und Umfang des gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber
Planfeststellungsverfahren im allgemeinen und gegenüber
solchen auf der Grundlage des
Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes im besonderen,
deren Verfassungsmäßigkeit sie allerdings selbst nicht in
Frage stellen. Es kann aber nicht Aufgabe des vorliegenden
Eilverfahrens sein, diese gesetzgeberischen Entscheidungen der
Sache nach wieder aufzuheben oder zu umgehen. Art. 19 Abs. 4
GG gebietet dies jedenfalls nicht. Die Antragsteller haben
auch keinen weitergehenden Anspruch darauf, ihre
Rechtsposition noch vor Erlaß des Planfeststellungsbeschlusses
gerichtlich bestätigt zu erhalten oder die
Planfeststellungsbehörde noch während des laufenden
Planfeststellungsverfahrens zur Übernahme der Rechtsauffassung
der Antragsteller gerichtlich zu zwingen. Schon von daher sind
im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG bedeutsame rechtliche oder
tatsächliche Nachteile der Antragsteller in dem
Planfeststellungsverfahren durch die Ablehnung des beantragten
Erlasses einer einstweiligen Anordnung nicht erkennbar. Das
gilt nicht zuletzt deshalb, weil die Antragsteller davon
ausgehen, daß bereits durch die unstreitig gegebene dauernde
Betriebseinstellung eine "Entwidmung" des zweiten Gleises
stattgefunden habe, so daß dessen Wiederinbetriebnahme
Lärmschutzmaßnahmen im Sinne der 16. BImSchV erforderlich
mache. Mithin kommt es nach der Rechtsauffassung der
Antragsteller für die Frage, ob sie Einwendungen gegen
das Vorhaben bzw. gegebenenfalls Klage gegen den
Planfeststellungsbeschluß erheben werden, auf das
Vorhandensein und den Inhalt der begehrten Unterlagen nicht
an.

- 8 -

3. Auch hinsichtlich des Hilfsantrages haben die Antragsteller
einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Das ergibt sich
aus den unter 2 wiedergegebenen Erwägungen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 159
VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des
Streitwerts auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 20 Abs. 3 GKG in
Verbindung mit § 5 ZPO.

Dr. D. Prof. Dr. B. Dr. R.

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