Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Sonntag, 28. Juni 2015
SG DD, S 12 AS 194/15, 29.04.2015. Sozialgericht Dresden
Beglaubigte Abschrift

S 12 AS 194/15

SOZIALGERICHT DRESDEN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

— Kläger zu l.-

- Kläger zu 2.—

gegen

Landkreis Meißen Jobcenter Meißen, vertreten durch den Landrat, Brauhausstraße 21,
01662 Meißen

- Beklagter -

hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Dresden auf die mündliche Verhandlung vom
29. April 2015 in Dresden durch die Richterin am Sozialgericht und die ehrenamtli-
chen Richter und für Recht erkannt:

I. Der Bescheid vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
19.12.2014 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

— 2 – S 12 AS 194/15

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte zu Recht Leistungen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen fehlender Mitwirkung versagt hat.

Die Kläger beziehen Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 10.01.2014 hatte der
Beklagte den Klägern für den Zeitraum Januar bis März 2014 vorläufig Leistungen der
Grundsicherung wie folgt bewilligt:

Januar 2014
Februar 2014
und März 2014

Am 17.03.2014 beantragte der Kläger zu 1 die Weiterbewilligung der Leistungen zur Si-
cherung des Lebensunterhaltes für sich und seinen minderjährigen Sohn, den Kläger zu 2,
ab 01.04.2014. Aufgrund eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens leistete der Beklagte
im Zeitraum von April 2014 bis September 2014 vorläufig auf der Grundlage des Be-
schlusses des Sozialgerichts Dresden vom 23.04.2014, Az.: S 43 AS 2298/14, für April
und Mai 2014 Euro, für Juni Euro, für Juli und August 2014 jeweils

Euro und für September 2014 Euro. Dabei wurden die Kosten für Unterkunft und
Heizung in Höhe von jeweils monatlich Euro direkt an den Vermieter der Kläger

sowie ein Betrag von Euro monatlich direkt an die
bezahlt.

Mit Schreiben vom 11.04.2014, 18.08.2014, 19.08.2014, 26.09.2014 07.10.2014 und
10.10.2014 forderte der Beklagte vom Kläger zu 1 unter Hinweis auf die Mitwirkungs-
pflichten nach §§ 60 und 66 SGB I weitere Unterlagen und Auskünfte zur Bearbeitung des
Antrages vom 17.03.2014 an. Diese Auskünfte hielt der Beklagte für die Aufklärung der
im Bewilligungszeitraum maßgeblichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der
Kläger für erforderlich.

Nachdem der Beklagte davon ausging, dass die angeforderten Unterlagen und Auskünfte

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nicht vollständig übermittelt bzw. erteilt wurden, versagte er mit Bescheid vom 30.10.2014
die beantragten Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.04.2014 bis 30.09.2014 wegen
fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I. Der Kläger habe Angaben zu seinen Aufenthalten
nur bedingt gemacht. Eine geordnete Aufstellung von Einnahmen und Aus-
gaben aus der Beteiligung an dem Betrieb sei nicht vorgelegt worden.
Absprachen mit Frau , die den übernommen haben soll,
seien nicht offenbart worden. Weitere Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit
würden ebenfalls weiteren Aufklärungsbedarf erfordern. Anderweitige Tätigkeiten seien
nicht unaufgefordert offenbart worden, auch auf die Anfrage, ob von
Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft betrieben werden, sei keine Auskunft erteilt worden.
Es sei dabei zu beachten, dass durch das Betreiben von Einnahmen erwirt-
schaftet werden könnten, auch wenn es nur Einnahmen aus Werbung seien. Zur Erzielung
von Einnahmen auf Konten Dritter sei nicht Stellung genommen worden. Eine nähere
Überprüfung dahingehend, ob Tätigkeiten im Internet auf die Erzielung von Einkommen
gerichtet gewesen sind durch die Forderung nach Offenlegung von Domains und Zustim-
mung zur Auskunftserteilung durch die Telefongesellschat sei wegen fehlender Zustim-
mung nicht möglich gewesen. Es könne auch nicht festgestellt werden, welche Kranken-
geldleistungen der Kläger zu 1 im Zeitraum vom 17.04.2014 bis 20.06.2014 erhielt. Kon-
toauszüge vom 20.08.2014 bis 30.10.2014 seien nicht vorgelegt worden. Ob und in wel-
chem Umfang bei Vorliegen der Voraussetzung des § 66 SGB I Maßnahmen ergriffen
werden, stehe im Ermessen des Beklagten als Leistungsträger. In diesem Zusammenhang
sei in erster Linie zu berücksichtigen, dass sich der Beklagte über einen längeren Zeitraum
um eine Klärung bemüht habe. Diese Bemühungen würden bereits deutlich vor dem streit—
gegenständlichen Leistungszeitraum einsetzen, wobei sich im Rahmen der Prüfung immer
mehr der Behörde verheimlichte Tatsachen herausgestellt hätten und weitere Unklarheiten
auftraten. Zu keinem Zeitpunkt sei erkennbar gewesen, dass der Kläger zu 1 von sich aus
bestrebt gewesen wäre, durch unaufgeforderte umfassende Angaben keinen Raum für das
Auftauchen neuer Unklarheiten aufkommen zu lassen. Insbesondere lege die Verheimli-
chung eines Bankkontos bei der Deutschen Bank bei diversen Folgeantragstellungen nahe,
dass der Kläger zu 1 ganz bewusst von einer vollständigen Aufdeckung der tatsächlichen
Vermögensverhältnisse abgesehen habe. Dieses Verhalten sei nicht länger hinnehmbar,
zumal die aufzuklärenden Umstände sämtlich der Sphäre des Klägers zuzurechnen sei, in

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die die Behörde keinen Einblick habe. An diesem Abwägungsergebnis ändere sich auch
nichts deshalb, dass weitere Personen zur Bedarfsgemeinschaft gehören. Diesem Aspekt
komme im Hinblick auf den Sohn des Klägers zu 1, den hiesigen Kläger zu 2, ohnehin nur
geringere Bedeutung zu, da sich dieser nur zeitweise beim Kläger zu 1 aufhalte. Auch blei-
be ohne Auswirkung, wenn der Kläger in irgendeinem von ihm an das Sozialgericht unmit-
telbar gerichteten Schriftsatz näher auf die Forderungen des Beklagten zur Mitwirkung
eingegangen sein sollte. Insoweit erscheine insbesondere die fehlende Bereitschaft zur Klä-
rung durch eigene Angaben beizutragen oder diese Klärung durch den Landkreis zuzulas—
sen gleichermaßen als ausreichend für die getätigte Ermessenentscheidung.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Kläger vom 10.11.2014 wies der Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 19.12.2014 zurück. Zur Begründung führte er lediglich aus,
dass soweit die Versagung gestützt wurde auf die unvollständigen Angaben zu den Ein-
kommens- und Verrnögensverhältnissen, es sich um relevante Verhältnisse handelt, die
zum Zeitpunkt des Erlasses des Versagungsbescheides noch nicht aufgeklärt waren und
auch zwischenzeitlich nicht aufgeklärt worden seien. Weitere Erwägungen finden sich im
Widerspruchsbescheid vorn 19.12.2014 nicht.

Hiergegen richtet sich die am 12.01.2015 erhobene Klage. Die Kläger tragen zur Begrün-
dung vor, dass die Begründung des Widerspruchsbescheides nicht nachvollziehbar sei. Der
Beklagte habe in keinem der bereits gerichtlich gefiihrten Verfahren einen substanziellen
Nachweis für ein durch den Kläger erzieltes Einkommen außerhalb des Bezuges der Regel-
leistungen vorgelegt. Überdies habe der Kläger zu 1 alle behördlichen Schreiben beantwor-
tet, teilweise über die geführten einstweiligen Rechtsschutzverfahren beim Sozialgericht
Dresden. Das Gericht habe die entsprechenden Schreiben auch an den Beklagten weiterge-
leitet. Unklarheiten aus der Vergangenheit dürfe der Beklagte nicht heranziehen, um die
Bescheidung des Antrags vollständig abzulehnen. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen,
dass in der Bedarfsgemeinschaft minderjährige Kinder leben. Es sei unzulässig, das Kin—
deswohl durch die Verweigerung der Leistung zu gefährden.

Die Kläger beantragen,

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den Bescheid des Beklagten vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbe-
scheids vom 19.12.2014 aufzuheben und den Klägern ihre außergerichtlichen
Kosten zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist weiterhin der Auffassung, dass der Kläger zu 1. den Forderungen immer nur teilwei-
se nachgekommen sei, wobei häufig nur das eingeräumt worden sei, was zwischenzeitlich
ohnehin der Behörde bekannt geworden sei. Darüber hinaus hätten sich immer wieder Ver-
änderungen in den Verhältnissen feststellen lassen, über die der Kläger zu 1. den Beklagten
nicht von sich aus unterrichtet habe. Die vom Kläger gemachten Angaben würden regel-
mäßig einer näheren Überprüfung nicht standhalten bzw. es ergäben sich unter deren Zu—
grundelegung völlige Ungereimtheiten. Insbesondere sei der Kläger zu 1. Erklärungen
schuldig geblieben im Zusammenhang mit der bereits mehrere Jahre vor dem streitgegen-
ständlichen Leistungszeitraum von ihm ins und im
dortigen Dienstleistungsangebot zur Erstellung von Webseiten. Aufgrund der Ungereimt-
heiten im Klägervortrag werde auch beantragt, Frau und als
Zeugen zu vernehmen. Mitwirkungshandlungen, die es dem Beklagten ermöglichen wür-
den, die Richtigkeit der vom Kläger zu 1. behaupteten Angaben zu überprüfen, verweigere
dieser. Im Hinblick auf die Behauptung des Klägers zu 1., seine jetzige Ehefrau habe
kein Konto gehabt und sei ohne jedes Bargeld nach Deutschland übergesiedelt,
werde auch die Vernehmung der Ehefrau des Klägers zu 1. als Zeugin beantragt.

Das Gericht hat die Leistungsakte des Beklagten beigezogen und zum Gegenstand des Ver-
fahrens gemacht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach— und Streitstandes wird auf das gegenseiti-
ge Vorbringen in der Gerichtsakte sowie die beigezogene Leistungsakte Bezug genommen.

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Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Wider-
spruchsbescheides ist wegen Ermessensmissbrauchs rechtswidrig und daher aufzuheben.
Die Klage der anwaltlich nicht vertretenen Kläger war sachdienlich dahingehend auszule-
gen, dass diese die vollständige Aufhebung des Versagungsbescheides des Beklagten be-
gehren.

Streitgegenstand kann vorliegend allein die im Wege der Anfechtungsklage begehrte Auf-
hebung des auf § 66 Abs. 1 SGB I gestützten Versagungsbescheides vom 30.10.2014 in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vorn 19.12.2014 sein. Gegen die Versagung einer So-
zialleistung wegen fehlender Mitwirkung ist grundsätzlich nur die reine Anfechtungsklage
gegeben. Eine unmittelbare Klage auf existenzsichemde Leistungen kommt nur aus-
nahmsweise in Betracht, wenn sich bei einer Aufhebung der Entscheidung über die Versa-
gung wegen fehlender Mitwirkung das Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen würde
(vgl. BSG Beschluss vom 25.02.2013 B 14 AS 133/12 B). Diese Konstellation ist vorlie-
gend nicht ersichtlich.

Die Rechtmäßigkeit eines auf § 66 SGB I gestützten Bescheides richtet sich allein danach,
ob die dort nominierten Tatbestandsmerkmale der mangelnden Mitwirkung gegeben sind
und zwar unabhängig davon, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Leistung
vorliegen.

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 66 Abs. 1 Satz l SGB I. Nach die-
ser Vorschrift kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlung bis zur Nachholung der
Mitwirkung die Leistung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraus-
setzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung
beantragt, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt
und hierdurch die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert wird.

Der Beklagte hat hier den Kläger zu 1 vor Erlass des Versagensbescheides nach § 66
Abs.3 SGB I mit Schreiben vom 11.04.2014, 18.08.2014, 19.08.2014, 26.09.2014,

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07.10.2014 und 10.01.2014 unter Fristsetzung zur Mitwirkung aufgefordert und auf die
Folgen einer mangelnden Mitwirkung schriftlich hingewiesen. Dabei ergibt sich der Um-
fang der streitigen Mitwirkungspflicht auf § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I. Danach hat, wer Sozi-
alleistungen beantragt, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind.

Ob vorliegend tatsächlich entscheidungserhebliche Angaben unterlassen bzw. nicht durch
entsprechende Unterlagen nachgewiesen worden sind bzw. welche Anforderungen an die
Konkretisierung der anzugebenden Tatsachen zu stellen, kann offen bleiben. Die Beschei—
de sind schon aus formellen Gründen rechtswidrig und damit aufzuheben. Selbst wenn das
Vorhandensein der tatbestandlichen Voraussetzung für eine Versagung nach § 66 Abs. 1
SGB I unterstellt wird — was jedoch höchst zweifelhaft ist —‚ fehlt es an einer ordnungsge-
mäßen Ermessenausübung des Beklagten.

Nach § 66 Abs. 1 Satz l SGB I „kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die
Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entzie-
hen“. Das Gesetz räumt den Verwaltungsträgem einen Entscheidungsspielraum ein, den
die Gerichte zu beachten haben. Gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG dürfen sie nur prüfen, ob
die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Er-
messen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch ge-
macht hat, ob sie also die ihr durch das Verwaltungsverfahrensrecht (vgl. § 39 Abs. 1
Satz 1 SGB I) auferlegte Verhaltenspflicht beachtet hat, ihr Ermessen entsprechend dem
Zweck der Ermächtigung entsprechend auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Er-
messens einzuhalten. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob der Leis—
tungsträger seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist (falls nein: Ermes-
sensnichtgebrauch), ob er mit dem Ergebnis seiner Ermessenbetätigung, der Entscheidung,
die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, d. h. eine nach dem Gesetz nicht
zugelassene Rechtfolge gesetzt (Ermessensüberschreitung) und ob er von dem Ermessen in
einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat
(Abwägungsdefizit, Ermessensmissgebrauch; zu Vorstehendem: BSG, Urteil vom l4. De—
zember 1994 — 4 RA 42/94 — SozR 3/ 1200 5 39 Nr. 1 und Urteil vom 25. Januar 1994 —
4 RA 16/92 — SozR 3/1300 § 50 Nr. 16 jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Ermessen—
erwägungen sind dem Betroffenen im Bescheid im Einzelnen darzulegen. Die Begründung

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muss ersehen lassen, welche Gesichtspunkte der Beklagte bei der Ausübung des Ermessens
berücksichtigt und wie er diese gesichtet hat (Engelmann in von Wulffen: SGB X, 8. Aufl.
§ 35 Rn 7). Konkret erstreckt sich das Ermessen bei der Versagung darauf, ob der Leis-
tungsträger überhaupt von der Möglichkeit der Versagung Gebrauch macht (also auch, ob
er die Leistung gleichwohl gewährt oder belässt; vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 1983 —
10 RKG 13/82 — SozR 1200 § 66 Nr. 10), in welchem Umfang weitere Ermittlungen ange—
stellt werden sollen (es sei denn, die leistungserheblichen Tatsachen sind von Amts wegen
schlechterdings nicht ermittelbar), ob eine Nachfrist eingeräumt wird und ob die Leistung
befristet oder ohne die Fristbestimmung ganz oder teilweise entzogen wird (vgl. Trenkhin-
terberger in Gieße/Kramer, Kommentar SGB I bis X 2. Aufl. § 66 SGB I Rn 17).

Vorliegend ist festzustellen, dass der Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2014 kei-
nerlei Ermessenserwägungen enthält. Im Ausgangbescheid vom 30.10.2014 stellt der Be-
klagte auf Seite fünf zutreffender weise fest, dass das Ergreifen von Maßnahmen nach § 66
SGB I im Ermessen des Leistungsträgers steht. Die daran anschließenden „Erwägungen“
stellen jedoch keinen Ermessengebrauch dar, da es sich hierbei um eine Wiederholung des
Tatsachenvortrages handelt, der nochmals in andere Worte gefasst wurde. Dabei ist aller-
dings zu beachten, dass sich das Ermessen nur auf die Rechtsfolgen einer Norm (Engel-
mann in von Wulffen SGB X § 35 Rn 6; Wagner in Juris-Praxiskommentar SGB I § 39 Rn
8) bezieht, sodass grundsätzlich die Vermengung von Tatbestandsvoraussetzungen mit
Rechtsfolgen unzulässig ist. Die Frage, welche konkreten Tatsachen im Rahmen einer Be-
antragung von Sozialleistungen anzugeben und welche Unterlagen vorzulegen sind, bzw.
inwieweit eine Mitwirkung hierzu erforderlich und zumutbar ist, ergeben sich aus den Tat-
bestandsnorrnen der §§ 60 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB I i. V. m § 65 Abs. 1 SGB I. Im Rah-
men ihrer „Ermessenserwägungen“ schildert der Beklagte den Klägern im Wesentlichen
erneut die Tatbestandsvoraussetzungen, welche sich bereits aus dem ersten Teil des Be-
scheides ergeben. Einziger Gesichtspunkt, den der Beklagte in die Ermessensabwägungen
auf der Rechtsfolgenseite einbezogen hat, ist vorliegend die Frage der Zeit- und Bearbei-
tungsdauer im Hinblick auf die Verpflichtung Sozialleistungen möglichst Zeitnah zu er—
bringen. Weitere Erwägungen auf der Rechtsfolgenseite finden sich nicht. Insbesondere
hält es die Kammer für ermessensfehlerhaft, dass der Beklagte die persönliche Situation
des Klägers zu 1. mit einem minderjährigen Kind nicht angemessen berücksichtigt hat.

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Mit einem Nebensatz stellt der Beklagte fest, dass diesem Aspekt nur geringe Bedeutung
zukommt, da sich das Kind (der Kläger zu 2.) nur zeitweise beim Kläger zu 1. aufhält. Je-
doch lebt der sechsjährige Sohn des Klägers zu 1. mindestens zu 50 % bei diesem, so dass
keinesfalls von einem nur geringen Umfang des Aufenthaltes auszugehen ist. Der Beklagte
hätte diesen Aspekt zwingend berücksichtigen müssen und gegebenenfalls über eine nur
teilweise Versagung nachdenken müssen. Hierzu fehlen jedoch jedwede Ausführungen des
Beklagten. Darüber hinaus hat der Beklagte mit keinem Wort abgewogen, dass es sich bei
den beantragten Leistungen um existenzsichemde Leistungen handelt und durch die voll-
ständige Versagung das Existenzminimum des Klägers zu l. als auch des minderjährigen
Klägers zu 2. gefährdet ist. Zusammengefasst enthält die angefochtene Bescheidung ledig—
lich durch den Gebrauch von Leerformeln Anhaltpunkte dafür, dass der Beklagte sich
überhaupt bewusst war, vorliegend eine Ermessensentscheidung treffen zu müssen. Etwai-
ge Auswirkungen auf die Kläger werden in keiner Weise in die Erwägungen einbezogen,
insbesondere findet eine Abwägung unter Berücksichtigung der klägerischen Belange ge—
rade nicht statt.

Abwegig ist in diesem Zusammenhang auch die Auffassung des Beklagten, es sei nicht zu
berücksichtigen, wenn der Kläger zu . auf die Anforderungen des Beklagten im Rahmen
von Schriftsätzen gegenüber dem Sozialgericht Dresden in einstweiligen Rechtsschutzver-
fahren eingegangen sein sollte. Der Beklagte hätte die in diesem Zusammenhang getätigten
Äußerungen des Klägers zur Kenntnis nehmen müssen. Denn es handelte sich bei den ge-
führten einzelnen Rechtsschutzverfahren um den gleichen Leistungszeitraum, weshalb der
Beklagte auch die in diesem Zusammenhang geführten Ermittlungen bzw. Ergebnisse
wahrzunehmen hat. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Anforderung des Beklagten
in den Aufforderungsschreiben teilweise datenschutzrechtlich erheblich bedenklich sind.
Insbesondere dürfte die geforderte Zustimmung zur Auskunftserteilung der Telefongesell-
schaft rechtlich nicht zulässig sein.

Eine Versagung wäre daher nur dann rechtmäßig, wenn eine Ermessensreduzierung auf nur
eine mögliche Entscheidung vorliege, eine andere, als die vom Beklagten getroffene Ent-
scheidung also nicht in Betracht käme. Dies ist nach Auffassung der Kammer hier nicht
der Fall. Insbesondere hat der Beklagte weiterhin Möglichkeiten, eigene Ermittlungen

- 10 - S 12 AS 194/15

durchzuführen, vorläufig bzw. darlehnsweise Leistungen zu gewähren oder aber auch, so-
fern er den Angaben des Klägers zu 1. keinen Glauben schenkt, die Leistung abzulehnen.
Denn eine Entscheidung nach § 66 Abs. 1 SGB I darf dann nicht ergehen, wenn der Sozial-
leistungsträger die Angaben des Leistungsberechtigten für unwahr hält. In diesem Falle ist
dessen Vorbringen nach § 20 SGB X zu würdigen und der Antrag gegebenenfalls abzu-
lehnen. Dies setzt aber grundsätzlich Entscheidungsreife in der Sache selbst voraus. Inso-
fern muss der Beklagte auch die ihm zur Verfügung stehenden Ermittlungsmaßnahmen
ausschöpfen, insbesondere z. B. solche nach § 60 Abs. 2 und Abs. 4 SGB II.

Zur Klarstellung wird nochmals darauf hingewiesen, dass es der Kammer nicht zusteht, ihr
Ermessen anstelle desjenigen der Verwaltung zu setzen. Ob und in welchem Umfang hier
weitere Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen sind, hat der Beklagte daher im Ein-
zelfall im Wege des zustehenden Ermessens zu entscheiden (vgl. LSG Baden-
Württemberg, Urteil vom 19.07.2007, L 7 AS 1703/06 Rn 24 ff zitiert nach juris).

Dem Beweisantrag des Beklagten aus dem Schreiben vom 16.03.2015, Frau

Frau sowie Frau im Rahmen der mündlichen Verhand-
lung zu vernehmen, war nicht zu folgen. Es ist hier durch den Beklagten weder das Be-
weisthema angegeben worden noch wurde umrissen, was genau die Beweisaufnahme der
benannten Zeugen ergeben soll, sodass es sich um keinen ordentlichen Beweisantrag im
Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG handelt, sondern um einen reinen Beweisermittlungsan-
trag. Darüber hinaus kommt es vorliegend, da es sich um eine reine Anfechtungsklage ge-
gen einen Versagensbescheid handelt, auf die Aussage der Zeugen gerade nicht an, da über
den materiell-rechtlichen Anspruch nicht entschieden wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der Entscheidung in
der Hauptsache.

Die Berufung war von Gesetzes wegen zulässig, da der Gesamtbetrag der versagten Leis-
tungen den Wert von 750,00 Euro übersteigt (§ 144 Abs. 1 Nr. l SGG).

-11- S 12 AS 194/15

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Sächsischen Landessozialgericht,
Kauffahrtei 25, 09120 Chemnitz, schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäfts-
stelle oder in elektronischer Form einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Dresden,
Fachgerichtszentrum, Hans-Oster-Straße 4, 01099 Dresden schriftlich, mündlich zur Niederschrift des Ur-
kundsbeamten der Geschäftsstelle oder in elektronischer Form eingelegt wird.

Die elektronische Form wird durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der
Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa über den elektronischen Rechts-
verkehr in Sachsen (SächsERVerkVO) vom 6. Juli 2010 (SächsGVBl. S. 190) in den elektronischen Ge-
richtsbriefkasten zu übermitteln ist; nähere Hinweise finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de.

Die Einlegung der Berufung durch einfache E-Mail wahrt daher die Form nicht. Es wird darauf hingewiesen,
dass das Rechtsmittel innerhalb der Frist in der vorgeschriebenen Form einzulegen ist.

Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur
Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Vorsitzende der 12. Kammer

Richterin am Sozialgericht

Für die Richtigkeit der Abschrift:
Sozialgericht Dresden

Dresden. den 06.05.2015


Urkundsbeamter de Geschäftsstelle


Sozialgericht Dresden Dresden, den 29.04.2015
- öffentliche Sitzung -

S 12 AS 194/15

Niederschrift

über die mündliche Verhandlung der 12. Kammer

In dem Rechtsstreit

1.

- Kläger —
2.

- Kläger -

gegen

Landkreis Meißen Jobcenter Meißen, vertreten durch den Landrat, Brauhausstraße 21,
0 l 662 Meißen

- Beklagter -

Anwesend:

Vorsitzende: Richterin am Sozialgericht
ehrenamtlicher Richter Herr
ehrenamtliche Richterin Frau

Auf die Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wird verzichtet. Die Vor-
sitzende übernimmt die Protokollierung durch Aufzeichnung auf einem Tonträger.

Nach Aufruf der Sache erscheinen:

für den Kläger der Kläger persönlich auch als gesetzlicher
Vertreter des Klägers zu 2

für den Beklagten Herr unter Berufung auf eine bei

Gericht hinterlegte Generalterminsvoll-
macht sowie Herr.

-2- S 12 AS 194/15

Beigezogen ist die Verwaltungsakte des Beklagten unter dem Az.: 1104.0012157, die zum
Gegenstand des Verfahrens gemacht wird.

Die Vorsitzende eröffnet die mündliche Verhandlung und trägt den Sachverhalt vor. So-
dann erhalten die Beteiligten das Wort. Das Sach- und Streitverhältnis wird mit ihnen erör-
tert.

Der Kläger erklärt:

Aus seiner Sicht ist er den Mitwirkungsaufforderungen in jedweder Hinsicht nachgekom-
men. Wobei er zuzugeben habe, dass dies im Laufe des Verfahrens S 43 AS 2298/14 ER
auch gegenüber dem Gericht erfolgte, da das einstweilige Rechtsschutzverfahren den strei-
tigen Leistungszeitraum betraf. Keine Angaben seien dann gemacht worden, wenn der
Kläger die Grenzen der zulässigen Mitwirkungspflicht bezweifle; in diesen Punkten habe
er um Benennung der Rechtsgrundlage gebeten. Dieser Aufforderung sei der Beklagte aber
bis heute nicht nachgekommen. Im Übrigen sei die Versagung insbesondere für den Kläger
zu 2, den minderjährigen Sohn, aus Sicht des Klägers zu 1 nicht zulässig, da dieser keine
Mitwirkungspflichten verletzt habe. Auch für seine jetzige Ehefrau und deren Sohn, die ab
August Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sind, gelte das gleiche, da diese von Mitwir-
kungsverpflichtungen ebenfalls nicht betroffen sind.

Der Beklagtenvertreter verweist im Hinblick auf die Rechtsgrundlage für die geforderten
Mitwirkungshandlungen auf § 60 SGB I und nimmt nochmals Bezug auf die bereits getä-
tigten Ausführungen, dass im Versagungszeitraum ständig Veränderungen, betreffend die
Webseite des Klägers, im Internet zu erkennen waren. Außerdem sei der Kläger, wie im
Versagungsbescheid aufgeführt, Mitwirkungshandlungen nur unzureichend nachgekom-
men. So sei beispielsweise bis zum Erlass des Versagungsbescheides das erzielte Kranken-
geld nicht mitgeteilt worden. Auch habe der Beklagte erst im Nachhinein von der Existenz
eines Kontos bei der erfahren. Abschließend erklärt der Beklagtenvertre-
ter, dass sich insgesamt aus der Vielzahl der vom Kläger zu leistenden Kosten, als Beispiel
werden die Kosten für den jetzt zur Verfügung stehenden PKW genannt, indiziert werde,
dass auch Einkommen zur Verfügung stehe, was dem Beklagten so nicht bekannt ist.

Hierauf erwidert der Kläger, dass er seinen Krankengeldbezug im Verfahren S 43 AS
2298/14 ER offen gelegt habe und darüber hinaus dem Beklagten mittlerweile auch lü-
ckenlos alle Kontoauszüge vorliegen würden. Im Bezug auf den genutzten PKW erklärt
der Kläger, dass es eine Vereinbarung mit seinem Schwiegervater gebe, der nach wie vor
Eigentümer des Fahrzeuges sei. Die laufenden Kosten für das Auto würden aus dem Re-
gelsatz finanziert, was aus Sicht des Klägers zu 1 auch möglich sei. Auch die Reise in die
mit dem Bus war aus dem Regelsatz finanzierbar und wurde aus diesem finanziert.

Der Beklagtenvertreter wendet diesbezüglich noch ein, dass es nur auf den Zeitpunkt des
Erlasses der Versagungsentscheidung ankommt und die Frage, welchen Mitwirkungs-
pflichten der Kläger bis dahin nachgekommen ist, nicht, ob er eventuell im Nachgang in
einem der führten Gerichtsverfahren weitere Unterlagen eingereicht hat.

Der Kläger erklärt hierzu ergänzend, dass aus seiner Sicht alle Mitwirkungshandlungen im

- 3 – S 12 AS 194/15

Rahmen der laufenden Verfahren betreffend die jeweiligen Leistungszeiträume auch er-
folgt sind. Die Zweitschriften habe der Beklagte auch insofern über die Schriftsätze des
Sozialgerichts erhalten. Der Kläger ergänzt darüber hinaus nochmals, dass aus seiner Sicht
nicht nachvollziehbar ist, wie die weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, insbeson-
dere sein minderjähriger Sohn sowie seine jetzige Frau und sein Stiefsohn mit in die Mit—
haftung genommen werden können, wenn der Beklagte der Auffassung ist, er, der Kläger
zu 1, wirke nicht ausreichend mit.

Der Kläger ergänzt weiter, dass der Beklagte immer wieder die Formulierung verwendet:
"würde der Kläger Einkommen erzielen, wäre ....". Jedoch habe der Beklagte bis heute
keinen Nachweis erbracht, dass der Kläger Einkommen erziele und der Kläger selbst kön-
ne keinen negativen Beweis dafür antreten, dass er kein Einkommen erzielt. Im Hinblick
auf die Mitwirkungspflichten ist er im Übrigen der Auffassung, dass diesen Mitwirkungs-
pflichten auch Grenzen gesetzt sind, insbesondere wenn die informationelle Selbstbestim-
mung und die Persönlichkeitsrechte betroffen sind.

Der Kläger ergänzt weiter, dass nach seiner Auffassung in dem Falle, dass ihm der Beklag-
te einen Sozialbetrug vorwirft, er ein Aussageverweigerungsrecht hätte, worauf ihn der
Beklagte aber bisher in den Mitwirkungsaufforderungen nicht hingewiesen hat. Bisher hat
der Kläger auch immer mitgewirkt und von dem Aussageverweigerungsrecht keinen Ge-
brauch gemacht.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom

19.12.2014 aufzuheben und ihnen die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

- vorgespielt und genehmigt -

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.

- vorgespielt und genehmigt -

Die Vorsitzende schließt die mündliche Verhandlung. Das Gericht zieht sich zur geheimen
Beratung zurück.

- 4 – S 12 AS 194/15

Nach geheimer Beratung verkündet die Vorsitzende

IM NAMEN DES VOLKES

folgendes

Urteil:

1. Der Bescheid vom 30.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
19.12.2014 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Der wesentliche Inhalt der Entscheidung wir den Beteiligten mitgeteilt.

— F.d.R.d.Ü.v. Tonträger -

Richterin am Sozialgericht Justizbeschäfiigte

Beginn der Verhandlung:
Ende der Verhandlung:

Faksimile

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