Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Dienstag, 12. Mai 2015
SG KS, S 12 KR 1065/04 vom 07.07.2004, Sozialgericht Kassel
Sozialgericht Kassel



Instanz 1: S 12 KR 1065/04

Instanz 2: L 1 KR 196/04

Instanz 3: B 1 KR 20/05 R


Az.: S 12 KR 1065/04



Im Namen des Volkes



Urteil



In dem Rechtsstreit



A. A., A-Straße, A-Stadt,

Klägerin,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B.B., B-Straße, A-Stadt,



gegen



die AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen, vertreten durch den Vorstand, dieser

durch die Rechtsabteilung Nordhessen, Rollwiesenweg 1, 34039 Marburg,

Beklagte.



Die 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel hat auf die mündliche Verhandlung vom

7. Juli 2004 durch den Richter am Sozialgericht S. als Vorsitzenden und die

ehrenamtlichen Richter F. und T. für Recht erkannt:



1. Der Bescheid vom 3. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbe-

scheides vom 25. Mai 2004 wird aufgehoben.



2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin aus Anlass ihrer Teilnahme an

der Methadon-Substitution Fahrtkosten in gesetzlichem Umfang, mindes-

tens in Höhe von monatlich 36,50 €, rückwirkend und laufend über den

31. Dezember 2003 hinaus auch ab 1. Januar 2004 zu zahlen

.

3. Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.



HK/SE



- 2 -



Tatbestand



Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Fahrtkosten im Streit.

Die 19.. geborene Klägerin ist bei der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung

freiwillig versichert. Sie ist alleinerziehende Mutter, lebt von Sozialhilfe und von der Zu-

zahlung zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln sowie den entstehenden notwendigen

Fahrtkosten im gesetzlichen Umfang befreit. Auf Seiten der Klägerin liegt schließlich eine

langjährige Opiatabhängigkeit vor, wobei sich die Klägerin seit ca. vier Jahren und lau-

fend zu Lasten der Beklagten einer ambulanten Methadon-Substitution unterzieht, die

von der C.C. e.V. in einer Substitutionsfachambulanz in A-Stadt durchgeführt wird. Inso-

weit waren der Klägerin bis 31. Dezember 2003 auch die hierdurch entstehenden Fahrt-

kosten von der Beklagten erstattet worden, konkret im Rahmen eines Jahres-

Abonnements die Kosten für eine entsprechende Monatskarte des Nordhessischen Ver-

kehrsverbundes (NVV), die sich derzeit im laufenden Jahres-Abonnement der Klägerin

auf 36,50 € monatlich belaufen. Die Behandlung in der Substitutionsfachambulanz erfolgt

schließlich viermal wöchentlich; zusätzlich dreimal wöchentlich erfolgt die Methadonver-

gabe im Rahmen einer so genannten Take-Home-Regelung. Die Behandlung selbst er-

folgt schließlich auf der Grundlage der Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersu-

chungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche

Krankenversicherung (BUB-Richtlinien), die die Voraussetzungen der substitutionsge-

stützten Behandlung Opiatabhängiger regeln, im Einzelnen Art und Weise der Durchfüh-

rung der Behandlung festlegen und ausweislich derer diese Substitution überhaupt erst

Bestandteil der vertragsärztlichen Leistungserbringung innerhalb der gesetzlichen Kran-

kenversicherung geworden ist.



Unter dem 29. Januar 2004 beantragte die Klägerin die Gewährung/Erstattung der ihr

aus Anlass der Substitution entstehenden Fahrtkosten über den 31. Dezember 2003 hin-

aus auch für die Zeit ab 1. Januar 2004. Die Klägerin führte aus, dass ihren Informatio-

nen zufolge seit 1. Januar 2004 Fahrtkosten zu einer ambulanten Behandlung unter Ab-

zug der gesetzlichen Zuzahlung zwar nur bei zwingender medizinischer Notwendigkeit in

besonderen Ausnahmefällen von den Krankenkassen übernommen würden. Nach den so

genannten Krankentransport-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärz-

te und Krankenkassen liege ein solcher Ausnahmefall jedoch vor, wenn der Patient an

einer Grunderkrankung leide, die eine bestimmte Therapie erfordere, die wiederum häu-

fig und über einen längeren Zeitraum erfolgen müsse. Insoweit beeinträchtigten die Be-

handlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in

einer Weise, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben



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unerlässlich sei. Da diese Kriterien auch auf sie zuträfen, nachdem sie auf Grund ihrer

langjährigen Drogenabhängigkeit in der o.a. Substitutionsfachambulanz substituiert und

psychosozial betreut werde und eine Fahrkarte benötige, damit die tägliche Einnahme

des Substituts Methadon gewährleistet sei. Auf diese tägliche Einnahme sei sie zwingend

angewiesen. Sollte sie mit der Einnahme des Medikaments auch nur einen Tag ausset-

zen müssen, würden sofort körperliche Entzugssymptome einsetzen, so dass die Beför-

derung zur Substitutionsfachambulanz für sie zur Vermeidung von Schaden an Leib und

Leben unerlässlich sei. Beigefügt war dem schließlich eine ärztliche Bescheinigung der

C.C. e.V. vom 29. Januar 2004, die die dortige Substitution und psychosoziale Betreuung

der Klägerin zunächst bestätigte und weiter ausführte, dass die Behandlung in der dorti-

gen Einrichtung einen täglichen persönlichen Kontakt zur Einnahme des Medikamentes

erfordere, auch an Wochenenden und Feiertagen. Eine tägliche Beförderung in die dorti-

ge Einrichtung sei zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich.

Mit Bescheid vom 3. Februar 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Beklagte führ-

te aus, am 1. Januar 2004 seien gesetzliche Regelungen in Kraft getreten, die den An-

spruch auf Erstattung von Fahrtkosten erheblich einschränkten. Fahrtkosten dürften von

den gesetzlichen Krankenkassen nur noch bezahlt werden, wenn sie aus zwingenden

medizinischen Gründen (Gefahr für Leib und Leben) im Zusammenhang mit stationären

oder vergleichbaren Behandlungen (vor- bzw. nachstationärer Behandlung im Kranken-

haus, bestimmte ambulante Operationen) entstünden. Fahrten zu ambulanten Behand-

lungen dürften nur noch in Ausnahmefällen finanziert werden. Grundvoraussetzung sei

auch hier das Vorliegen eines zwingenden Grundes. Als Ausnahmen würden lediglich

Fahrten zur ambulanten Dialysebehandlung, Strahlentherapie oder Chemotherapie (auf

Grund einer Tumorerkrankung), zur Behandlung von Versicherten der Pflegestufe II oder

III sowie zur Behandlung von Inhabern eines Schwerbehindertenausweises mit den

Merkzeichen „aG“ oder „Bl“ oder „H“ gelten. Die Behandlung der Klägerin werde von die-

ser Ausnahmeregelung nicht erfasst. Eine Übernahme der Fahrtkosten sei damit leider

nicht möglich.



Gegen den Bescheid vom 3. Februar 2004 legte die Klägerin am 11. Februar 2004 Wi-

derspruch ein. Die Klägerin machte geltend, als Grunderkrankung im o.a. Sinne liege bei

ihr eine Opiatabhängigkeit vor. Insoweit handele es sich bei der Substitutionsbehandlung

um eine Therapie, die häufig und über einen längeren Zeitraum erfolgen müsse, so dass

auch die Voraussetzungen einer Übernahme der Fahrtkosten nach den Krankentrans-

port-Richtlinien weiterhin gegeben seien. Das Substitut müsse, wie vom medizinischen

Leiter der Substitutionsfachambulanz bescheinigt, täglich eingenommen werde. Setze sie

nur einen Tag mit der Einnahme des Medikamentes aus, würden körperliche und psychi-



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sche Entzugssymptome einsetzen. Letztlich diene die Behandlung der Vermeidung von

Schaden an Leib und Leben, so dass eine tägliche Beförderung für sie unerlässlich sei.

Andere Krankenkassen würden schließlich Mitpatienten nach wie vor auch entsprechen-

de Fahrtkosten erstatten.



Mit erläuterndem Schreiben vom 21. April 2004 hielt die Beklagte sodann an ihrer ableh-

nenden Haltung gegenüber der Klägerin fest. Die Beklagte führte aus, am 1. Januar 2004

sei das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-

Modernisierungsgesetz-GMG) in Kraft getreten, durch das u.a. die Leistungsansprüche

im Fahrtkostenbereich neu definiert würden. Danach dürften Krankenfahrten bzw.

-transporte nur noch verordnet werden, wenn sie „aus zwingenden medizinischen Grün-

den“ notwendig seien. Krankenfahrten (Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, privatem

PKW, Taxen oder Mietwagen zur ambulanten Behandlung) dürften von den gesetzlichen

Krankenkassen „nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen“ fi-

nanziert werden. Der Gesetzgeber habe die Definition der „besonderen Ausnahmefälle“

dem Gemeinsamen Bundesausschuss übertragen, einem Gremium, in dem sowohl Ver-

treter der Ärzteschaft als auch der Krankenkassen vertreten seien. Der Gemeinsame

Bundesausschuss habe nach inhaltlicher Abstimmung mit dem Bundesministerium für

Gesundheit und Soziale Sicherung am 22. Januar 2004 die Krankentransport-Richtlinien

verabschiedet, die rückwirkend zum 1. Januar 2004 in Kraft getreten seien. Als Ausnah-

meregelung würden die Krankentransport-Richtlinien vorsehen, dass Krankenfahrten zu

ambulanten Behandlungen bei zwingender medizinischer Notwendigkeit von den Kran-

kenkassen nach vorheriger Genehmigung finanziert werden dürften, wenn bestimmte

Behandlungsformen zum Einsatz kämen, die dadurch gekennzeichnet seien, dass der

Patient in einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt

werde, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweise und

dass diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den

Patienten in einer Weise beeinträchtige, dass eine Beförderung zur Vermeidung von

Schaden an Leib und Leben unerlässlich sei (§ 8 Abs. 2 der Krankentransport-

Richtlinien). In diesem Zusammenhang habe der Gemeinsame Bundesausschuss weiter

erklärt, dass Dialysebehandlungen, onkologische Chemotherapien, onkologische Strah-

lentherapien im Regelfall als Ausnahmefälle im Sinne der Richtlinien anzusehen seien,

wie sich aus der Anlage 2 der Krankentransport-Richtlinien ergebe. Diese Aufzählung sei

nicht abschließend. Vergleichbare Behandlungen müssten allerdings die gleichen Krite-

rien hinsichtlich der Schwere des Krankheitsbildes, der Therapieintensität sowie des Be-

handlungszeitraums aufweisen. Durch die exemplarische Auflistung von Therapieformen,

die lediglich bei akut lebensbedrohlichen Erkrankungen zum Einsatz kämen, werde deut-

lich gemacht, dass der Ausschuss und damit der Gesetzgeber die Anwendung dieser



- 5 -



Regelung auf die Behandlung hochgradig existenzgefährdender Erkrankungen be-

schränkt sehen wolle. Im Gegensatz zu einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz bzw.

einer Krebserkrankung könne bei einer Opiatabhängigkeit im Regelfall keine akute Le-

bensgefahr unterstellt werden. Eine schwerwiegende Grunderkrankung im Sinne der zi-

tierten Vorschrift liege damit nicht vor. Darüber hinaus könne die Beklagte keine zwin-

gende medizinische Notwendigkeit für die Fahrten zur Methadonsubstitution erkennen.

Bei der Methadonsubstitution handele es sich um eine Sonderform der Medikamenten-

abgabe. Während im Regelfall eine kontinuierliche Arzneimittelversorgung durch die ärzt-

liche Versorgung eines individuell zu bemessenden „Vorrats“ sichergestellt werde, schei-

de diese Möglichkeit bei einer Substitutionsbehandlung aus. Die dadurch regelmäßig

erforderlich werdenden Arztbesuche würden allerdings nicht durch medizinische Beson-

derheiten vorgegeben, sondern durch die Umsetzung der Vorschriften der Betäubungs-

mittel-Verschreibungsverordnung (BtVV) sowie der Richtlinien der Bundesärztekammer

zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger, bei denen

die Missbrauchsabwehr im Vordergrund stehe.



Bei alledem stützte sich die Beklagte nach Aktenlage auf eine im Vorfeld vom vorliegen-

den Einzelfall losgelöste grundsätzliche mündliche Erörterung mit dem Medizinischen

Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK), wobei dieser schriftlich unter dem

27. April 2004 die Voraussetzungen einer Fahrtkostenübernahme nach § 8 Abs. 2 der

Krankentransport-Richtlinien in Fällen der vorliegenden Art und insoweit bei der Substitu-

tionstherapie nur zum Teil als erfüllt ansah. Zwar finde sich hier ein Therapieschema mit

hoher Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum, doch handele es sich bei der

Heroinabhängigkeit, die zur Substitutionstherapie geführt habe, nicht um ein Krankheits-

bild, das in seiner Schwere mit einem Nierenversagen mit Dialysepflicht oder einem bös-

artigen Tumor mit onkologischer Therapie vergleichbar sei. Vergleichbar seien Substituti-

onspatienten vielmehr mit Patienten, die einer dauerhaften medikamentösen Therapie

bedürften, wie z.B. insulinpflichtige Diabetiker. Auch hier sei eine regelmäßige, mehrfach

tägliche Therapie notwendig, die allerdings selbständig durch die Patienten erfolge. Eine

solche Form der häuslichen Therapie wäre medizinisch gesehen auch bei der Substituti-

on möglich. Die Notwendigkeit, die Substitution innerhalb der Praxis durchzuführen, be-

stehe nämlich nicht auf Grund medizinischer Sachverhalte, sondern werde durch die

Richtlinien der Bundesärztekammer in Verbindung mit der BtVV begründet. Somit fehle

allein deshalb schon die zwingende medizinische Notwendigkeit. Darüber hinaus seien

Fahrten zur Abholung von Medikamenten in den Krankentransport-Richtlinien nach § 8

Abs. 4 ausdrücklich ausgeschlossen worden.



- 6 -



Die Klägerin hielt ihren Widerspruch anschließend ausdrücklich aufrecht. Gleichzeitig

beantragte sie mit Eingang 13. Mai 2004 unter dem Az.: S-12/KR-950/04 ER beim Sozi-

algericht Kassel den Erlass einer einstweiligen Anordnung, wobei sie einerseits geltend

machte, dass es ihr unzumutbar sei, den Weg von ihrer Wohnung aus zur Therapie zu

Fuß zurückzulegen und sich andererseits darauf berief, dass die Heroinabhängigkeit mit

ihren körperlichen und sozialen Folgen durchaus die Schwere der vom MDK aufgezeig-

ten Erkrankungen erreiche, wenn nicht gar überschreite. Wenn der MDK die Auffassung

vertrete, dass ihre Erkrankung allenfalls mit einer medikamentösen Therapie vergleichbar

sei, wie sie beispielsweise bei insulinpflichtigen Diabetikern vorkomme, dürfte dieser Ver-

gleich bereits daran scheitern, dass eine Therapie wie bei Diabetikern nicht von ihr in

ähnlicher Weise praktiziert werden könne. Insoweit sei auf die gesetzlichen Beschrän-

kungen der Methadon-Vergabe hingewiesen. Solange der Gesetzgeber nicht zulasse,

dass Methadon vollumfänglich häuslich eingesetzt werden könne, lasse sich ein Ver-

gleich mit insulinpflichtigen Diabetikern jedenfalls im vorliegenden Fall nicht rechtfertigen.



Die Beklagte trat dem Antrag im Weiteren entgegen, wobei sie den Widerspruch der Klä-

gerin gegen den Bescheid vom 3. Februar 2004 schließlich mit Widerspruchsbescheid

vom 25. Mai 2004 durch ihren hierfür zuständigen Widerspruchsausschuss als unbe-

gründet zurückwies und sich zur Begründung im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im

o.a. erläuterndem Schreiben vom 21. April 2004 sowie die o.a. Ausführungen des MDK

vom 27. April 2004 berief.



Die Klägerin hat sodann am 3. Juni 2004 die vorliegende Klage vor dem Sozialgericht in

Kassel erhoben, mit der sie die Gewährung von Fahrtkosten aus Anlass ihrer Substituti-

onsbehandlung über den 31. Dezember 2003 hinaus auch für die Zeit ab 1. Januar 2004

geltend macht und sich insoweit zur Begründung auf ihr Vorbringen im Antrags- und Vor-

verfahren sowie ihre weiteren Ausführungen in der Sache S-12/KR-950/04 ER beruft.



Die Klägerin beantragt,



den Bescheid vom 3. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides

vom 25. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aus Anlass ih-

rer Teilnahme an der ambulanten Methadon-Substitution Fahrtkosten in gesetzli-

chem Umfang, mindestens in Höhe von derzeit 36,50 € monatlich, rückwirkend

und laufend über den 31. Dezember 2003 hinaus auch ab 1. Januar 2004 zu be-

willigen.



- 7 -



Die Beklagte beantragt,



die Klage abzuweisen.



Die Beklagte hält an den angefochtenen Bescheiden fest, auf die sie inhaltlich verweist.

Die Notwendigkeit der Methadon-Abgabe/-Einnahme vor Ort ergebe sich hier letztlich

nicht aus zwingenden medizinischen Gründen, sondern entspreche allein rechtlichen

Vorgaben.



Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbrin-

gens der Beteiligten, wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte; ebenso wird

Bezug genommen auf den in der Sache S-12/KR-950/04 ER beigezogenen Verwaltungs-

vorgang der Beklagten, dessen wesentlicher, den vorliegenden Rechtsstreit betreffender

Inhalt gleichfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, in der die Kammer die

Klägerin zum Sachverhalt nochmals befragt hat.



Entscheidungsgründe



Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen

Gericht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).



Die Klage ist sodann auch begründet.



Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin hat über den 31. Dezember

2003 hinaus für die Zeit ab 1. Januar 2004 und damit auch auf der Grundlage der inso-

weit seit 1. Januar 2004 geänderten Gesetzeslage Anspruch auf Erstattung der Fahrtkos-

ten, die ihr durch die zu Lasten der Beklagten durchgeführte Substitutions-Behandlung

entstehen, wobei es sich wiederum auf der Grundlage von wöchentlich anfallenden vier

Hin- und Rückfahrten bei den Kosten der o.a. Monatskarte gegenüber den Kosten für

entsprechende Einzelfahrkarten um die insoweit kostengünstigste Übernahme von Fahrt-

kosten handelt. Entgegen der Beklagten und dem MDK sieht die Kammer bei alledem die

Voraussetzungen für eine Fahrtkostenübernahme auf der Grundlage von § 8 der Kran-

kentransport-Richtlinien als gegeben an.



Nach § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in der

bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung übernahmen die Krankenkassen nach Maß-



- 8 -



gabe der in Abs. 2 und 3 genannten Voraussetzungen Kosten für Fahrten einschließlich

der Transporte nach § 133, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Kranken-

kasse notwendig waren. Welches Fahrzeug benutzt werden konnte, richtete sich nach

der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall. Insoweit listete § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB V

schließlich die privilegierten Fahrten auf, deren Kosten zu übernehmen waren, Satz 2

bestimmte, dass die Krankenkasse darüber hinaus aber auch im Übrigen die Fahrtkosten

übernahm, wenn der Versicherte durch sie entsprechend § 61 SGB V unzumutbar be-

lastet war. Aus letzterem leitete sich schließlich der Fahrtkostenanspruch der Klägerin bis

31. Dezember 2003 ab, wobei § 60 Abs. 3 SGB V dann aber wiederum auch regelte,

welche Kosten im Einzelfall übernommen wurden und insoweit die Rangfolge der in An-

spruch zu nehmenden Transportmittel nach der Notwendigkeit festlegte. Insoweit wurden

nur die Kosten des im Einzelfall wirtschaftlichsten Transportmittels übernommen. Nahm

der Versicherte ein teureres Transportmittel in Anspruch, hatte er die Mehrkosten selbst

zu tragen. Sie wurden insoweit weder über die Sozialklausel des § 61 SGB V, noch die

Überforderungsregelung des § 62 SGB V übernommen. Insoweit folgte aus § 60 Abs. 3

Nr. 1 SGB V, dass vorrangig regelmäßig verkehrende öffentliche Verkehrsmittel zu be-

nutzen waren, wobei sich die Leistungspflicht auf den die geringsten Kosten verursa-

chenden Fahrpreis beschränkte. Kosten für Taxen und Mietwagen wurden nach § 60

Abs. 3 Nr. 2 SGB V nur dann übernommen, wenn ein öffentliches Verkehrsmittel nicht

benutzt werden konnte. Maßgebend für letzteres konnten medizinische oder auch andere

Gründe, z.B. fehlende Verkehrsanbindungen, sein, wobei die medizinische Notwendigkeit

durch eine ärztliche Bescheinigung nachzuweisen war. Die Kostenerstattung bei Benut-

zung eines privaten Kfz regelte sodann § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V, wobei zur Notwendig-

keit schließlich auch insgesamt gehörte, dass grundsätzlich nur die Fahrtkosten vom je-

weiligen Aufenthaltsort zur nächst erreichbaren Behandlungsmöglichkeit und zurück er-

stattet werden konnten. Die freie Arzt- bzw. Behandlerwahl wurde insoweit nicht einge-

schränkt. Dies nicht nur deshalb, weil der Versicherte nach wie vor nur unter den nächst

erreichbaren Ärzten bzw. Behandlern wählen konnte, sondern das Gesetz dem Versi-

cherten aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ohnehin nur eine eingeschränkte diesbezügli-

che Wahlfreiheit einräumte, was zumindest dann galt, wenn neben der ärztlichen bzw.

nichtärztlichen Leistung selbst weitere erstattungsfähige Kosten entstanden.



Mit der o.a. Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 wurde schließlich § 60 Abs. 1 SGB V

in Satz 3 dahingehend erweitert, dass die Krankenkassen seither Fahrtkosten zu einer

ambulanten Behandlung nur noch nach vorheriger Genehmigung in besonderen Aus-

nahmefällen sowie unter Berücksichtigung eines sich aus § 61 Satz 1 SGB V ergebenden

Eigenanteils übernehmen, wobei die vorgenannten Ausnahmefälle vom Gemeinsamen

Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V festzulegen



- 9 -



sind. Im Übrigen ist es durch die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 zumindest vom

Grundsatz her bei den bis 31. Dezember 2003 geltenden Regelungen verblieben, wobei

der Gemeinsame Bundesausschuss die vorgenannten Ausnahmefälle für Krankenfahrten

zur ambulanten Behandlung zwischenzeitlich in § 8 der Krankentransport-Richtlinien und

dabei im oben aufgezeigten Umfang festgelegt hat.



Entgegen der Beklagten und dem MDK stellt dabei die Methadon-Substitution der Kläge-

rin nach Auffassung der Kammer auch einen Ausnahmefall im Sinne dieser Richtlinien

dar, wobei die Kammer die rechtliche Verbindlichkeit der Richtlinien in der vorliegenden

Fallgestaltung insgesamt dahingestellt sein lässt, da die Kammer die o.a. Voraussetzun-

gen des § 8 Abs. 2 der Richtlinien bereits selbst als erfüllt ansieht. Nicht nur - wovon

selbst Beklagte und MDK ausgehen – wird die Klägerin hier mit einem durch ihre Grund-

erkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt, das eine hohe Behandlungsfre-

quenz über einen längeren Zeitraum aufweist, auch insbesondere der zu dieser Behand-

lung führende Krankheitsverlauf beeinträchtigt zur Überzeugung der Kammer die Kläge-

rin in einer Weise, dass eine Beförderung der Klägerin auf der Grundlage der Entfernung

von ihrer Wohnung zum Behandlungsort zur Vermeidung von Schaden an Leib und Le-

ben unerlässlich ist. Wenn Beklagte und MDK hier die Substitutionsbehandlung auf eine

reine Medikamentenabgabe reduzieren, ist dies für die Kammer nicht nur unverständlich

und nicht nachvollziehbar, insbesondere Inhalt, Umfang und Art und Weise der substituti-

onsgestützten Behandlung Opiatabhängiger nach den o.a. Richtlinien, ausweislich derer

sich diese Behandlung gerade nicht allein auf die Abgabe des Substituts beschränkt,

bleiben hier vollkommen unbeachtet, ohne dass es insoweit darauf ankommen kann, ob

die über die Abgabe des Substituts hinausgehenden Behandlungsmaßnahmen zu Lasten

der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. Entscheidend abzustellen ist

vielmehr darauf, dass das alleinige Auswechseln des Opiats durch ein Substitutionsmittel

gerade keine geeignete Behandlungsmethode darstellt und von der Leistungspflicht der

gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst wird und die Substitution allein und ü-

berhaupt erst im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzepts erfolgt, das erfor-

derliche begleitende psychiatrische und/oder psychotherapeutische Behandlungs- oder

psychosoziale Betreuungs-Maßnahmen mit einbezieht. Allein in diesem Gesamtzusam-

menhang kann die Substitution als solche gesehen werden, wobei sie zur Überzeugung

der Kammer dann auch unter die Ausnahmefälle des § 8 Abs. 2 der Krankentransport-

Richtlinien zu subsumieren ist. Im Falle der Klägerin über die vorstehenden Ausführun-

gen zusätzlich auch deshalb, weil, nachdem die Substitution seit ca. vier Jahren erfolgt,

dann, wenn sie richtlinienkonform erfolgt, wohl auch die Voraussetzungen für eine unbe-

fristete Substitution vorliegen dürften. Im Übrigen vermag die Kammer insoweit auf der

Grundlage ihrer langjährigen Erfahrungen mit Rechtsstreiten, die die Behandlungsnot-



- 10 -



wendigkeit gerade auch Opiatabhängiger zu Lasten der gesetzlichen Krankenversiche-

rung zum Inhalt haben, insoweit keinen Grund zu erkennen, warum hier eine Vergleich-

barkeit mit den weiteren o.a. Erkrankungen, die die Beklagte selbst als Ausnahmefälle

unter § 8 Abs. 2 der Krankentransport-Richtlinien subsumiert, nicht gegeben sein soll.

Dass sich die Behandlung als solche schließlich auch auf der Grundlage bzw. nach Vor-

gaben der BtVV zu vollziehen hat, ändert an alledem nichts. Durch diesen lediglich recht-

lichen Rahmen wird der medizinische Inhalt der Substitutionsbehandlung als vertrags-

ärztlicher Behandlung nicht berührt. Wenn die o.a. Stellungnahme des MDK insoweit eine

grundsätzliche Bewertung der Substitutionsbehandlung als vertragsärztlicher Behandlung

beinhalten sollte, kommt dem MDK eine solche Stellungnahme nicht zu, da die der Sub-

stitutionsbehandlung zu Grunde liegenden Richtlinien nicht nur die Beklagte, sondern

auch den MDK binden und sowohl Aufgabe der Beklagten als auch des MDK allein eine

Überwachung der richtlinienkonformen Substitutionsbehandlung im Einzelfall sein kann.

Dass die o.a. Stellungnahme des MDK darüber hinaus gerade auch keine einzelfallbezo-

gene Betrachtung beinhaltet, also losgelöst von der jeweiligen individuellen Krankheitssi-

tuation der Patienten erfolgt, entwertet sie und macht sie insoweit auch aus diesem

Grund hier nicht im Sinne der Beklagten nutzbar.



Der Klage war nach alledem im ausgeurteilten Umfang stattzugeben.



Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.



Der gesonderten Entscheidung über eine Zulassung der Berufung bedurfte es nicht,

nachdem hier die Gewährung von Dauerleistungen im Streit steht. Berufungsausschlie-

ßungsgründe vermochte die Kammer insoweit nicht zu erkennen.

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