Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Dienstag, 12. Mai 2015
SG MD, S 11 AS 1370/07 ER vom 13.08.2007, Sozialgericht Magdeburg
SOZIALGERICHT MAGDEBURG

Aktenzeichen:

S 11 AS 1370/07 ER

BESCHLUSS

in dem Verfahren

- Antragsteller —

gegen

— Antragsgegner —

Die 11. Kammer des Sozialgerichts Magdeburg hat am 13. August 2007 durch den
Vorsitzenden beschlossen:

Der Antragsgegner wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet,
dem Antragsteller vorläufig für die Monate Juli 2007 bis September 2007,
längstens bis zum Abschluss der stationären Behandlung der Antragstellerin,
einen Zuschuss zu den Fahrkosten in Höhe von 100 € monatlich zu zahlen.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen
Kosten zu erstatten.
Gründe:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung zusätzlicher Leistungen zu den Grundsiche-
rungsleistungen für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld ll).

Die Antragsteller sind verheiratet. Sie beziehen seit November 2005 Arbeitslosengeld ll. Die
Antragstellerin wurde seit dem Jahr 2006 wegen akuter Herz- und Lungenprobleme (rechts-
seitige Herzlastigkeit und dilatative Kardiomyopathie) behandelt. Seit dem 20. März 2007
wird die Antragstellerin im Herzzentrum B. stationär versorgt. Am 13. April 2007 wurde ihr ein
Kunstherz mit einem mobilen Antriebssystem (Typ Cardiowest) implantiert. Der Antragsteller
hielt sich in diesem Zeitraum für mehrere Tage in B. auf. Mit Schreiben vom 16. April 2007
erklärte eine Diplom Psychologin vom Deutschen Herzzentrum B., die Antragstellerin leide
an einer subdepressiven Stimmung. Die Anwesenheit des Ehemannes erscheine zur Stabili-
sierung des Gesundheitszustandes als sehr wichtig. Am 24. April 2004 beantragte er bei der
AOK die Übernahme der Fahrkosten nach B. und der Übernachtungskosten in B.. Die AO-
bewilligte als „Einzelfallentscheidung“ die
Übernahme der Fahrkosten nach B. und einen Zuschuss von 150 € für die Übernachtung,
insgesamt 330 €. Sie wies daraufhin, der Antragsteller müsse sich an das Herzzentrum B.
wenden, wenn es Besuchsfahrten weiterhin als medizinisch notwendig erachte. Diese Kos-
ten seien den Leistungen der Krankenhausbehandlung zuzurechnen.

Der Antragsgegner bewilligte mit Bescheiden vom 21. und 25. Juni 2007 Leistungen von Juli
2007 bis Dezember 2007. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung begrenzte er auf die —
seiner Ansicht nach — angemessenen Kosten. Wegen der stationären Behandlung der An-
tragstellerin berücksichtigte er außerdem eine häusliche Ersparnis im Bereich der Verpfle-
gung, die er als Einkommen in Höhe von 35 vom Hundert der maßgeblichen Regelleistung
bedarfsmindernd anrechnete. Die Antragsteller legten am 2. Juli 2007 Widerspruch gegen
die Anrechnung der Verpflegung als Einkommen und die Absenkung der Kosten für Unter-
kunft und Heizung ein. Außerdem beantragten sie eine zusätzliche monatliche Leistung in
Höhe von 100 €. Zur Begründung trugen sie vor, der Krankenhausaufenthalt der Antragstel-
lerin verursache zusätzliche Kosten.

Am 4. Juli 2007 haben die Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Der An-
tragsgegner hat mit Bescheid vom 6. Juli 2007 unter dem Vorbehalt der Rückforderung die
Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten bewilligt und häusliche Einsparungen nicht
mehr bedarfsmindernd berücksichtigt. Die Antragsteller haben das Verfahren insoweit für
erledigt erklärt.

An ihrem weiteren Begehren halten sie fest. Sie tragen zur Begründung ergänzend vor, die
monatlich zusätzlich benötigte Leistung beruhe auf Mehrkosten, die wegen des Kranken-
hausaufenthalts der Antragstellerin entstünden. Die ärztliche Behandlung werde weiterhin in
B. durchgeführt, voraussichtlich bis zum Ende dieses Jahres. Eine Versorgung am Wohnort
oder in der näheren Umgebung sei auszuschließen, die Antragstellerin sei für eine Herz-
transplantation vorgesehen. Der Antragsteller müsse täglich fünf Euro für die Fahrten in B.
aufwenden. Die Antragstellerin benötige wegen des vergrößerten Bauchs und des schlanke-
ren Oberkörpers in der nächsten Zukunft eine komplette Neueinkleidung. Zudem fielen Über-
nachtungskosten wegen des notwendigen Aufenthalts des Antragstellers in B. an. Einen An-
trag auf Übernahme dieser Aufwendungen hätten sie bei dem Herzzentrum B. nicht gestellt.
Ein Mitarbeiter habe in einem persönlichen Gespräch dem Antragsteller davon abgeraten.

Demnächst fielen auch wieder zusätzliche Telefonkosten in Höhe von zwei Euro täglich an.

Die Antragsteller beantragen (sinngemäß),
den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihnen zusätzliche Leistungen in Höhe von

100 € monatlich zu zahlen.

Die Antragsgegner beantragt,

den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, die Antragsteller hätten keinen Anspruch auf zusätzliche Leistungen. Er
habe den besonderen Umständen bereits Rechnung getragen und den Geldeswert der Ver-
pflegung während des stationären Aufenthalts unberücksichtigt gelassen.

Der Antragsteller hat als Nachweis seiner Aufwendungen in Höhe von 10 € je Übernachtung
in B. Quittungen für verschiedene Zeiträume zwischen dem 20. März 2007 und 26. Juli 2007
vorgelegt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegner haben vorgelegen und waren
Gegenstand der Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf deren

Inhalt verwiesen.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig und begründet.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann, soweit ein Fall des Absatz 1 nicht vorliegt, das Ge-
richt der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegens-
tand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zu-
stands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich er-
schwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, § 86 b
Abs. 2 Satz 2 SGG (Regelungsanordnung).

Der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung ist statthaft. Die Antragsteller begehren
(nur noch) eine vorläufige Entscheidung über ihren Antrag auf Verpflichtung des Antrags-
gegners, zusätzliche Leistungen in Höhe von 100 € monatlich zu gewähren. Damit zielen sie
auf die Erweiterung ihrer Rechtsposition. Da sie sich nicht gegen eine belastende Entschei-
dung wenden, mit dem Ziel, deren Wirkung vorübergehend zu suspendieren, liegt auch kein
Fall des § 86 b Abs. 1 SGG vor.

Der Antrag ist auch begründet.

Ein Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung ist begründet, wenn ein Anordnungsan-
spruch und ein Anordnungsgrund vorliegen. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn das
materiell-rechtliche Begehren, dessen vorläufige Verwirklichung und Sicherung der Rechtsu-
chende begehrt, mit überwiegender Wahrscheinliche begründet ist. Das Gericht entscheidet
hierüber auf Grund einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache
oder auf der Grundlage einer umfassen Folgen- und Güterabwägung. Die zugrunde liegen-
den Tatsachen sind gemäß 5 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit 5 920 Abs. 2 Zivil-
prozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn besonde-
re Gründe eine vorläufige Entscheidung in einem gerichtlichen Eilverfahren erfordern.

Die Antragsteller haben nach den Regelungen des Sozialgesetzbuch Zweites Buch — Grund-
sicherung für Arbeitsuchende (SGB ll) keinen Anspruch auf einen pauschalen monatlichen
Zuschuss von 100 € (1.). Allerdings hält die Kammer nach dem Ergebnis der summarischen
Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache und einer Folgenabwägung einen Anspruch
des Antragstellers auf einen Zuschuss zu den Fahrkosten für den Besuch im Herzzentrum B.
gemäß § 73 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch — Sozialhilfe (SGB XII) für überwiegend
wahrscheinlich (2.).

1.

Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf eine Erhöhung der pauschalierten Regelleis-
tung. Das Arbeitslosengeld II setzt sich zusammen aus der Regelleistung nach ä 20 SGB ll
und den angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nach ä 22 Abs. 1 SGB ll. Die
Regelleistung dient der Sicherung des Lebensunterhalts und ist pauschaliert. Eine davon
abweichende Festlegung ist gemäß 5 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II ausdrücklich ausgeschlossen.

Dies steht auch einem (Dauer-)Darlehen in Höhe von 100 € monatlich gemäß 5 23 Abs. 1
SGB II entgegen. Hiernach kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster nach
den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Ge-
währung eines Darlehens gedeckt werden. Die Antragsteller begehren hier eine zusätzliche
Leistung für einen monatlich wiederkehrenden Bedarf. Dieser kann nach der Regelungssys-
tematik des SGB II nicht unter Rückgriff auf ä 23 Abs. 1 SGB ll gedeckt werden. Ein Darle-
hen ist gemäß 5 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II durch Aufrechnung gegen die Leistungsansprüche
in der Folgezeit zu tilgen. Damit wird die darlehensweise Deckung eines wiederkehrenden
Bedarfs zu einer Dauerbelastung in der Zukunft. Den Auswirkungen der monatlichen Auf-
rechnung kann zwar durch Erlass nach 5 44 SGB ll entgegnet werden. Das führte im Ergeb-
nis jedoch zu einer Umgehung der mit 5 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II ausgeschlossen Erhöhung
des Regelsatzes (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 7. November 2006, Az: B 7b
AS 14/06 R, SozR 4-4200, ä 20, Nr. 1, m.w.N.).

Höhere bzw. zusätzliche Leistungen sind im Leistungsbereich des SGB ll ansonsten nur
nach Maßgabe der §§ 21 Abs. 2 bis 5 und 23 Abs. 3 SGB lI möglich.

Die Voraussetzungen für zusätzliche Leistungen zum Ausgleich eines besonderen Mehrbe-
darfs im Sinne des 5 21 Abs. 2 bis 5 SGB ll erfüllen die Antragsteller jedoch nicht. Keiner der
dort geregelten Fälle (Mehrbedarf für werdende Mütter, für Alleinerziehende, für behinderte
Menschen, die Eingliederungsleistungen in Anspruch nehmen oder für eine krankheitsbe-
dingte kostenaufwändige Ernährung) liegt hier vor.

Nach § 23 Abs. 3 Nr. 2 SGB II könnte lediglich die in Folge der Operation notwendig gewor-
dene Erneuerung der Garderobe einen Anspruch auf Leistungen für die Erstausstattung be-
gründen. Ob ein solcher besteht, kann allerdings dahinstehen. Es fehlt insoweit an einem
Anordnungsgrund für eine vorläufige gerichtliche Entscheidung. Ein Anordnungsgrund liegt
vor, wenn es dem Rechtsuchenden unter Abwägung seiner sowie der Interessen Dritter und
des öffentlichen Interesses nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Es
müssen erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Nachteile drohen, die nicht mehr mit
einer Entscheidung in der Hauptsache beseitigt werden können. Das setzt zumindest eine
gegenwärtige, dringliche Notlage voraus. Daran fehlt es hier. Die Antragsteller haben vorge-
tragen, dass die neue Kleidung erst in der Zukunft benötigt wird.

Auch im Wege einer weiteren Einzelbetrachtung der benannten Mehrkosten kann die Kam-
mer keinen Anspruch auf zusätzliche Leistungen nach dem SGB ll feststellen. lm Einzelnen
haben die Antragsteller zusätzlichen Aufwendungen für die tägliche Fahrt in B. zum Kran-
kenhaus, für die Pendelfahrten von B. nach B., für das Telefonieren, für die Garderobe der
Antragstellerin und für die Übernachtung in B. angegeben.

Die Fahrkosten in B. sind aus dem Regelsatz zu finanzieren. Insoweit kann der Antragsteller
nicht anders behandelt werden, als Leistungsempfänger, die in B. wohnen. Das gilt auch für
die Telefonkosten. Eine abweichende Festlegung wegen 5 3 Abs. 3 Satz 2 SGB ll ist nicht
möglich (s.o). Der darlehensweise Übernahme der Fahrkosten nach B. gemäß § 23 Abs. 1
SGB ll stehen die oben ausgeführten Erwägungen gegenüber.

Die zusätzlichen Übernachtungskosten des Antragstellers in B. können schließlich auch nicht
als Kosten der Unterkunft im Sinne des ä 22 Abs. 1 SGB II berücksichtigt werden. Die Leis-
tungen nach ä 22 Abs. 1 SGB ll sollen den Grundbedarf Wohnen sichern. Das ist mit der
Übernahme der Kosten für eine Unterkunft erreicht. Es überstiege den Regelungszweck,
Aufwendungen für weitere Unterkünfte als Bedarf zu berücksichtigen, selbst wenn sie auf-
grund besonderer Umstände erforderlich sind. Werden Leistungen für eine bedarfsgerechte,
menschenwürdige Unterkunft erbracht, ist dieser Bedarf gedeckt.

Nach alledem enthält das SGB ll keine geeignete Anspruchsgrundlage für eine monatliche
Pauschale von weiteren 100 €.

2.

Der Antragsteller hat jedoch sehr wahrscheinlich gemäß ä 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes
Buch — Sozialhilfe (SGB Xll) einen Anspruch auf einen Zuschuss zu den Fahrkosten für ei-
nen wöchentlichen Krankenbesuch in Berlin. Hiernach können Leistungen als Beihilfe oder

Darlehen in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel
rechtfertigen. Diese Regelung findet nur in engen Grenzen Anwendung. Es handelt sich nicht
um eine allgemeine Auffangregelung für Leistungsempfänger des SGB ll. Der Bedarf muss
zu den persönlichen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören, der eine den Regel-
satz für laufende Leistungen übersteigende einmalige oder laufende Leistung erforderlich
macht und den Einsatz weiterer öffentlicher Mittel rechtfertigt. Es ist eine besondere Bedarfs-
lage erforderlich, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den 55 47 bis 74 SGB Xll gere-
gelten Bedarfslagen aufweist (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az: B 7b AS 14/06,
SozR 4-4200, 5 20, Nr. 1 m.w.N.).

Das ist hier der Fall. Die Antragsteller befinden sich in einer besonderen Lebenslage. Die
Antragstellerin lebt vorübergehend mit einem künstlichen Herz und wartet auf ein Spender-
organ. Das macht eine Behandlung in dem ca. km entfernt liegenden B. erforderlich. Da-
mit sind zusätzliche Kosten zumindest für den Besuch im Krankenhaus verbunden. Die
Fahrkosten für den Besuch des erkrankten Ehegatten gehören zum persönlichen Lebensbe-
darf, der aus dem Regelsatz gedeckt werden muss. Das ergibt sich aus der Verordnung zur
Durchführung des § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch — Sozialhilfe (Bundesgesetzblatt
[BGBL] 2004, Teil l, S. 1067; im Folgenden: Regelsatzverordnung). Diese kann für die Be-
stimmung der Zusammensetzung der Regelleistung herangezogen werden. Darauf lässt der
Verweis auf 5 28 Abs. 3 Satz 5 SGB Xll in 5 20 Abs. 3 SGB ll schließen (vgl. auch Bundes-
tagsdrucksache [BT—Drs.] 15/1516, S. 56). Nach 5 2 Abs. 2 Nr. 6 der Regelsatzverordnung
wurden bei der Bestimmung des Eckregelsatzes Aufwendungenfür den Verkehr berücksich-
tigt. Jedoch fallen hier Kosten in einer Höhe an, die der Verordnungsgeber nicht als regel-
satzrelevant berücksichtigt hat. Die Aufwendungen für die Nutzung von Verkehrsdienstleis-
tungen sind mit einem Anteil von 14,03 € (11,04 € und 2,99 €) im Regelsatz eingerechnet
(vgl. Drucksache des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages,
[BT—ADrs.] 16[11]286 vom 15. Juni 2006, S. 13). Für eine Bahnfahrt von B. nach B. fallen
hingegen — ohne Bahncard — Kosten in Höhe von 31,30 € an (Reiseauskunft der Deutschen
Bahn, www.bahn.de). Diese Kosten könnten zwar mit einem Umzug nach B. vermieden wer-
den. Die Aufgabe des bisherigen Lebensmittelpunktes erscheint jedoch unverhältnismäßig.
Die stationäre Behandlung ist zeitlich begrenzt bis voraussichtlich Ende dieses Jahres. Auch
dürfte die Rückkehr in das vertraute Wohnfeld, mit den gewohnten sozialen Bindungen nach
einer erfolgreichen Transplantation förderlich für den weiteren Heilungsverlauf sein. Schließ-
lich sind mit dem Umzug Kosten verbunden, die möglicherweise die Aufwendungen für Be-

suchsfahrten nach B. übersteigen.
Diese besonderen Umstände rechtfertigen den Einsatz weiterer öffentlicher Mittel. Allerdings
ist nach Ansicht der Kammer zu berücksichtigen, dass aufgrund der Verpflegung im Kran-
kenhaus Mittel aus dem Regelsatz der Antragstellerin erspart werden. Diese muss der An-
tragsteller für die Fahrkosten einsetzen. Aufgrund der Pauschalierung des Regelsatzes ist
eine derartige Umschichtung nicht benötigter Mittel möglich. Das führt auch nicht zu einer
verdeckten Kürzung des Regelsatzes oder einer Anrechnung der Verpflegungsleistungen als
Einkommen. Die Leistung wird weiterhin ungekürzt ausgezahlt. Es wird nur verlangt, den
Anteil des Regelsatzes für den Ausgleich eines erhöhten Bedarfs wegen besonderer Um-
stände zu verwenden, der gerade aufgrund der besonderen Umstände erspart wird. Das ist
zumutbar und belastet die Antragstellerin nicht. Die ersparten Mittel werden zudem für einen
regelsatzrelevanten Bedarf verwendet. Dabei berücksichtigt die Kammer auch, dass das
Arbeitslosengeld ll ein Individualanspruch ist. Es ist der Antragstellerin als Inhaberin des An-
spruchs jedoch zumutbar, sich an den Fahrkosten zu beteiligen und den ersparten Teil ihrer
Regelleistung insoweit ihrem Ehemann zur Verfügung zu stellen. Da die Antragstellerin be-
reits seit März 2007 stationär behandelt wird, ist sie nicht mehr mit der Zuzahlung von 10 €
täglich gemäß § 61 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch — Gesetzliche Krankenversiche-
rung (SGB V) belastet. Diese ist auf 28 Tage innerhalb eines Kalenderjahres beschränkt,
5 39 Abs. 4 Satz 1 SGB V.

Hiernach ist ein Anteil von (gerundet) 127 € und ein weiterer Betrag von (gerundet) 14 €‚
zusammen 141 € auf die durchschnittlich im Monat zu erwartenden Fahrkosten anzurech-
nen. Nach 5 2 Abs. 2 Nr. 1 der Regelsatzverordnung enthält die Regelleistung einen Anteil
von 96 vom Hundert der in der Abteilung 01 und O2 der Einkommens- und Verbrauchsstich-
probe 2003 erfassten Verbrauchsangaben für Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren u.Ä.
Das ergibt einen regelsatzrelevanten Gesamtbetrag von 127,31 € (BT—ADrs. 16[11]286,
S. 8). Dieser Betrag ist zusammen mit dem regelsatzrelevanten Anteil für Verkehr (14,03 €)
für die Besuchsfahrten zur Antragstellerin aufzuwenden. Es ergibt sich eine Summe von
141‚34 €, gerundet 141 €. Eine einfache Bahnfahrt von B. nach B. kostet 31,30 € (Reiseaus-
kunft der Deutschen Bahn, www.bahn.de). Unter Berücksichtigung der Rückfahrt werden im
Monat durchschnittlich 271,27 € anfallen (31,30 x 2 = 62.60 € x 13 Wochen / 3 Monate), ab-
züglich der 141 € verbleiben (gerundet) 130 €. Da die Antragsteller nur einen Betrag von 100
€ benötigen, ist das Gericht in seiner Tenorierung auf diesen beschränkt, § 123 SGG.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass ä 73 SGB Xll dem Leistungsträger ein Ermessen
einräumt. Dem Gericht ist es versagt, an Stelle der Verwaltung eine eigene Ermessensent-

scheidung zu treffen. Es ist darauf beschränkt, die Entscheidung der Behörde auf Ermes-
sensfehler (Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch)
zu überprüfen und die Behörde gegebenenfalls zur Neubescheidung des Antrags zu ver-
pflichten, ä 54 Abs. 2 Satz 2 SGG. Eine Verpflichtung zur Stattgabe des Antrags könnte es
nur aussprechen, wenn Umstände vorliegen, aufgrund derer diese Entscheidung die einzig
richtige ist. Davon geht die Kammer nach dem Ergebnis einer Abwägung der widerstreiten-
den Interessen aus. Dabei ist die besondere Situation der Antragsteller ein gewichtiges Indiz
für deren überwiegendes Interesse. Die Antragstellerin befindet sich in einer sehr kritischen
Lebensphase. Der Krankenbesuch muss dem Ehegatten ermöglicht werden. Ihm stehen
jedoch nur die begrenzten Mittel der Regelleistung nach dem SGB ll zur Verfügung. Diese
genügen nicht, um die Aufwendungen zu decken. Ein weiteres Abwarten bis zu einer Ermes-
sensentscheidung der Sozialverwaltung und einer etwaigen nachgehenden gerichtlichen
Kontrolle ist nicht zumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der weitere Zeitablauf die
Entscheidung durchaus endgültig erledigen kann und der verfassungsrechtlich garantierte
Rechtsschutz (Art 19 Abs. 4 Grundgesetz) zu spät käme. Demgegenüber müssen die wirt-
schaftlichen Interessen des Antragsgegners an der Vermeidung möglicherweise zu Unrecht
gezahlter Leistungen zurücktreten. Ohnedies steht die vorläufige Verpflichtung der Zahlung
des Zuschusses unter dem Vorbehalt der Entscheidung in der Hauptsache. Im Falle des Un-
terliegens muss der Antragsteller mit einer Erstattung der Leistung rechnen.

Ob der Antragsgegner die Leistungen als Zuschuss oder als Darlehen gewährt, steht gemäß
5 73 Satz 2 SGB XII in seinem Ermessen.

Einen Anspruch auf einen Zuschuss zu den Übernachtungskosten hat der Antragsteller vor-
aussichtlich nicht gemäß 5 73 SGB XII. Die Kammer hält eine besondere Bedarfslage nur
hinsichtlich der Fahrkosten nach B. für gegeben. Die Anwesenheit des Antragstellers vor Ort
aus medizinischen Gründen erscheint nach seinem Vortrag nicht mehr erforderlich. Das
Schreiben des Krankenhauses mit dem dies zunächst dargelegt wurde, stammt vom 16. Ap-
ril 2007. Auf Nachfrage des Gerichts vom 19. Juli 2007, ob der Antragsteller sich wegen der
Übernachtungskosten aus medizinischen Gründen an das Herzzentrum B. gewandt habe,
erklärte dieser, ihm sei in einem persönlichen Gespräch von einem Mitarbeiter des Herzzent-
rums davon abgeraten worden. Dies spricht gegen die weitere medizinische Notwendigkeit.
Sollte gleichwohl eine medizinische Notwendigkeit bestehen, würde es sich wahrscheinlich
um eine allgemeine Krankenhausleistung im Sinne des 5 2 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes über
die Entgelte für voIl- und teilstationäre Krankenhausleistungen (KHEntgG) handeln. Diese

erhält der Rechtsträger des vorleistenden Krankenhauses nach Maßgabe des ä 109 Abs. 4

-10-

SGB V in Verbindung mit dem Vertrag über Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbe-
handlung nach 5 112 Abs. 2 SGB V vergütet.

Der Anordnungsgrund ergibt sich bereits aus den vorhergehenden Ausführungen. Die An-
tragsteller befinden sich in einer dringlichen Notlage. Es ist ihnen nicht zumutbar, eine Ent-
scheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Der hiesige Antragsgegner kann unmittelbar zur Leistung nach 5 73 SGB Xll verpflichtet
werden. Der Landkreis H. ist nach 55 1 und 3 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch (GVBl. LSA, Nr. 3/2005, S. 8 ff.) örtlicher Träger der Leistungen
nach 5 73 SGB Xll.

Die Kammer beschränkt die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners auf zunächst drei
Monate (Juli bis September 2007). Der Antragsgegner wird noch über den Antrag auf Leis-
tungen nach 5 73 SGB Xll, der in dem formlosen Antrag der Antragsteller vom 2. Juli 2007
enthalten ist (5 16 SGB X), im Rahmen seines Ermessens entscheiden müssen. Der An-
tragsteller wird seinerseits die Fahrkosten nachweisen müssen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des 5 193
SGG.


-11-

Rechtsmittelbelehrung;

Gegen diesen Beschluss ist nach 5 172 Abs. 1 SGG die Beschwerde zum Landessozialge-
richt Sachsen-Anhalt möglich.

Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses bei dem

Sozialgericht Magdeburg
Breiter Weg 203 - 206
39104 Magdeburg (Postfach 39 11 25, 39135 Magdeburg)

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle einzule-
gen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Monatsfrist bei dem

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
im Justizzentrum Halle
Thüringer Straße 16
06112 Halle (Postfach 10 02 57, 06141 Halle)

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt
wird.

Hilft das Sozialgericht Magdeburg der Beschwerde nicht ab, so legt es diese dem Landessozi-
algericht Sachsen-Anhalt in Halle zur Entscheidung vor.

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