Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Samstag, 9. Mai 2015
BSG, 9 BV 26/93 vom 24.05.1993, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT
Beschluß
in dem Rechtsstreit

Az: 9 BV 26/93
...........................................................,
Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigter: ...........................,

g e g e n

Land Niedersachsen,

vertreten durch das Landesversorgungsamt Niedersachsen,
Hannover 1, Gustav-Bratke-Allee 2,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. Mai 1993 durch Vorsitzenden Richter
Dr. S c h m i t t, Richterin J a e g e r und Richter D a u beschlossen:


Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision durch das
Landessozialgericht Niedersachsen im Urteil vom 18. Dezember 1992 wird als unzulässig
verworfen.


Kosten sind nicht zu erstatten.


- 2 -

G r ü n d e :


Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und
§ 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgelegten gesetzlichen Form. Sie war
deshalb entsprechend den §§ 169, 193 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter
zu verwerfen (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).


Der Beschwerdeführer weist zwar auf Zulassungsgründe hin, die in § 160 Abs 2 SGG
aufgeführt sind. Er behauptet, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS des
§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG und das angegriffene Urteil beruhe auf einem Verfahrensfehler iS
des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Die behaupteten Zulassungsgründe sind aber nicht so
dargelegt und bezeichnet, wie dies § 160 Abs 2 Satz 3 SGG verlangt. Zulassungsgründe
müssen schlüssig dargetan werden.


Zur Begründung der Grundsätzlichkeit der Rechtssache muß erläutert werden, daß und
warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein wird, die
über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a
Nr 44; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Es muß überdies die Klärungsbedürftigkeit und
Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage darlegt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65).
Rechtsfragen, die vom Bundessozialgericht (BSG) entschieden sind, sind im allgemeinen
nicht mehr klärungsbedürftig und haben keine grundsätzliche Bedeutung mehr, es sei
denn, die Beantwortung der Frage ist klärungsbedürftig geblieben oder es erneut
geworden. Das muß substantiiert vorgetragen werden. Hieran fehlt es im vorliegenden
Fall, weil die behauptete grundsätzliche Frage vom Landessozialgericht (LSG) nicht zur
Grundlage seiner Entscheidung gemacht worden ist. Das LSG hat entgegen der
Beschwerdebegründung seine Entscheidung nicht darauf gestützt, daß grundsätzlich
Berufsschadensausgleich(BSchA) erst ab Vollendung des 60. (ausnahmsweise
59.) Lebensjahres bei schwerbeschädigten Selbständigen möglich ist. Diese Auffassung
konnte daher in der Beschwerdebegründung auch nicht belegt werden. Das LSG hat viel-
mehr im Wege der Beweiswürdigung konkret für den Kläger ein schädigungsbedingtes
Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verneint und sich im übrigen hinsichtlich der
grundlegenden Rechtsfragen an der Rechtsprechung des BSG orientiert (vgl BSG SozR
3-3642 § 8 Nrn 1 und 6). Da sich die Beschwerdebegründung mit beiden Entscheidungen
nicht auseinandersetzt, fehlt es an einer schlüssigen Darlegung einer verbleibenden
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, zumal die Berechnung des BSchA für
Selbständige vom BSG weitgehend vom tatsächlichen Einkommen abgelöst worden ist
(BSG aaO Nr 1). Zu der in der Beschwerde ebenfalls als grundsätzlich angesprochenen
Rechtsfrage, ob die Schädigungsfolgen mit zunehmendem Alter mit einer erhöhten
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu bewerten seien, hat der Beschwerdeführer
weder § 31 Abs 1 Satz 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) noch die hierzu ergangene


- 3 -

Rechtsprechung (vgl BSG SozR 3100 § 30 Nr 79) erörtert, so daß insoweit noch
klärungsbedürftige Fragen nicht aufgezeigt sind.


Auch die erhobene Verfahrensrüge bezeichnet einen Verfahrensmangel nicht schlüssig.
Es müssen die sie begründenden Tatsachen im einzelnen genau angegeben sein und in
sich verständlich den behaupteten Verfahrensfehler ergeben (vgl BSG SozR 1500 § 160a
Nr 14). Teilweise begründet der Kläger diese Rüge damit, daß dem Berufungsgericht eine
fehlerhafte Würdigung des Beweismaterials vorgeworfen wird. Damit wird eine Verletzung
des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Beweiswürdigung) geltend gemacht. Hierauf kann die Rüge
nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG) nicht
gestützt werden. Zur Rüge, das LSG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG)
verletzt, hätte der Beschwerdeführer entsprechende Beweisanträge bezeichnen müssen
(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hieran fehlt es, obwohl sich
der Kläger auf seinen Berufungsschriftsatz, dessen Inhalt im Zeitpunkt des
Einverständnisses mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung wiederholt worden
ist, bezieht. Denn der Berufungsschriftsatz enthielt lediglich Beweisantritte iS von §§ 371,
373, 402 f Zivilprozeßordnung (ZPO). Sie enthalten Hinweise der Beteiligten auf ihnen
geeignet erscheinende Beweismittel und führen sie in den Prozeß ein (vgl
Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 50. Aufl Einf. § 284 Anm 5). Der Beweis muß
rechtzeitig angetreten werden, damit Nachteile infolge Verspätung vermieden werden (vgl
§ 296 Abs 1 und § 296 Abs 2 iVm § 282 ZPO). Da die Sozialgerichte den Sachverhalt von
Amts wegen aufklären (§ 103 SGG), haben derartige Beweisantritte im sozialgerichtlichen
Verfahren nur eine geringe prozessuale Bedeutung. Sie enthalten üblicherweise Hinweise
und Anregungen zu Maßnahmen, die von Amts wegen einzuleiten sind, wie das auch im
Zivilprozeß denkbar iVm § 144 ZPO vorkommt, und sollen dem Gericht seine Aufgaben
erleichtern (vgl RGZ 170, 264). Selbst der Zivilprozeß kennt daher die Unterscheidung
von Beweisantrag und Beweisanregung (vgl BGHZ 66, 62, 68).


Der Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG hat indessen einen völlig anderen
prozessualen Stellenwert. Er dient der Vorbereitung einer Revision bei gleichzeitigem
Hinweis an die letzte Tatsacheninstanz darauf, daß nach Ansicht des Antragstellers die
Sachaufklärung lückenhaft geblieben ist. Deshalb hat die Rechtsprechung insoweit hohe
Anforderungen gestellt.


Grundsätzlich muß eine Nichtzulassungsbeschwerde, die damit begründet wird, das
Berufungsgericht sei einem gestellten Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht
gefolgt, aufzeigen, daß der Beweisantrag protokolliert oder im Urteilstatbestand aufgeführt
ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 64). Fehlt es an einer mündlichen Verhandlung, muß ein im
Urteilstatbestand enthaltener Beweisantrag bezeichnet werden. Selbst wenn man für
derartige Fälle eine Erweiterung auf die ausdrücklich schriftsätzlich gestellten Anträge
zuläßt, die zugleich mit der Erklärung des Einverständnisses zur Entscheidung durch


- 4 -

Urteil ohne mündliche Verhandlung gestellt werden, fehlt es hier an der Bezeichnung
eines derartigen Antrags. Denn ein Beweisantrag, der mit der Rüge der Verletzung des
§ 103 SGG zur Zulassung der Revision führen kann, muß ein Beweisantrag im Sinne
dieser Vorschrift sein, also unzweifelhaft erkennen lassen, daß eine weitere Sachver-
haltsaufklärung von Amts wegen für erforderlich gehalten wird. Der Tatsacheninstanz soll
durch einen solchen Antrag vor der Entscheidung vor Augen geführt werden, daß der
Kläger die gerichtliche Sachaufklärungspflicht in einem bestimmten Punkt noch nicht als
erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 160
Nr 67). Eine solche Warnfunktion fehlt bei Beweisantritten, die in der Berufungsschrift
oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind, und ihrem Inhalt nach lediglich als
Anregungen zu verstehen sind, wenn sie nach Abschluß der von Amts wegen
durchgeführten Ermittlungen nicht mehr zu einem bestimmten Beweisthema als
Beweisantrag aufgegriffen werden; eine unsubstantiierte Bezugnahme auf frühere
Beweisantritte genügt nicht.


Die mangelnde Darlegung des Beweisthemas und der Bedeutung weiterer Sach-
aufklärung im Berufungsverfahren wird in der Beschwerdeschrift dadurch bestätigt, daß
auch hier nicht ausgeführt wird, inwiefern sich das Berufungsgericht - ausgehend von
seinem Rechtsstandpunkt - zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen (vgl
BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34 und 56). Insoweit fehlt es an einer Auseinandersetzung
mit der Rechtsauffassung des LSG, so daß nicht deutlich ist, inwiefern die dem
Beschwerdeführer wesentlich erscheinenden Sachverhaltselemente auch für das
Berufungsgericht von Bedeutung gewesen sind.

Derzeit kein Faksimile verfügbar.

Volltext auch bei jurion.de 9 BV 26/93 vom 24.05.1993

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