Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Samstag, 9. Mai 2015
BSG, IV ZB 5/90 vom 04.10.1990, Bundesgerichtshof
BUNDESGERICHTSHOF

IV ZB 5/90

Beschluss in dem Rechtsstreit

- 2 -

Der IV Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch
den vorsitzenden Richter B. und die Richter R.
, Dr. S. , Dr. Z. und R.

am 4. Oktober 1990

beschlossen:

Auf die sofertige Beschwerde des Beklagten wird
der Beschluß des 7. Zivilsenats des Ober1andes-
gerichts Stuttgart vom 21. Juni 1990 zu Nr. 2 und
3 aufgehoben.

Dem Beklagten wird wegen Versäumung der Berungs-
frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ge-
währt.

Die Kosten der Wiedereinsetzung einschließlich
der Kosten des Beschwerdevertfahrens nach einem
Beschwerdewert von 40.304,15 DM trägt der Be-
klagte.

Gründe

Das dem Rückzahlungsantrag des Klägers stattgebende Ur-
teil des Landgerichts ist dem Anwa1t des Beklagten am
5. März 1990 zugestellt werden. Mit Schriftsatz vom·30. März
1990, der beim Berufungsgericht am 2. April 1990 eingegangen
ist, beantragte der Beklagte für die Berufung gegen dieses

- 3 -

Urteil Prozeßkostenhilfe unter Vorlage der erforderlichen
Belege und Darlegung der beabsichtigten Berufungsbegründung.
Seine Rechtsschutzversicherung, die lediglich für die erste
Instanz Deckung zugesagt hatte, unterrichtete er am gleichen
Tage in gleicher Weise. Diese antwortete ihm, daß sie vor
Ablauf der Berufungsfrist die Frage der Deckungszusage für
die Berufungsinstanz nicht entscheiden werde. Mit Schreiben
vom 12., dem Anwalt des Klägers zugegangen am 19. April 1990
gewährte sie dann Deckungsschutz. Daraufhin legte der Be-
klagte am 23. April 1990 Berufung ein, begründete diese
gleichzeitig und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand.

Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Be-
schluß

1. den Antrag auf Prozeßkostenhilfe zurückgewiesen,

2. den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und

3. die Berufung verworfen.

Gegen die Nr. 2 und 3 dieses Beschlusses wendet sich der Be-
klagte mit seiner fristgerecht eingelegten sofortigen Be-
schwerde. Diese hat Erfolg.

Das Berufungsgericht meint, der Beklagte habe bei
Durchführung der ihm und seinem Prozeßbevollmächtigten zu-
mutbaren Maßnahmen die Deckungszusage so rechtzeitig erhal-
ten können, daß er fristgerecht Berufung habe einlegen kön-
nen. Diese Begründung ist rechtsfehlerhaft.

- 3 -

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtsho-
fes ist ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmit-
tel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist die Bewilligung von
Prozeßkestenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über
den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der Einle-
gung oder Begründung des Rechtsmittels verhindert anzusehen,
als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht
mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftig-
keit rechnen muß (BGHZ 26, 99, 101; Beschlüsse vom 14.3.1984;
und 29.1.1985 - IVb ZB 114/83 und VI ZB 20/84 - FamRZ 1984,
677 unter II 1a und VersR 1985, 395 unter 1). Erst dann,
wenn das Hindernis der Bedürftigkeit entfallen ist, wenn
z.B. die anfängliche Armut des Rechtsmittelführers, durch nun
erlangtes Arbeitseinkommen wegfällt, muß er mit der Ableh-
dnung seines Antrages auf Prozeßkostenhilfe rechnen (BGH, Be-
schluß vom - 13.7.1988 - IVb ZR 19/88 - BGHR ZPO § 234 Abs. 2
Prozeßkestenhi1fe 2 = FamRZ 1988, 1153). Erst dann ist ihm
zuzumuten, die Berufung einzulegen, wofür ihm gegebenenfalls
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. So
liegt es hier. Erst mit dér Deckungssusage des Re¢htsschutz-
versicherers entfiel das Hindernis der Bedürftigkeit, dessen
Vorliegen der Beklagte mit seinem Antrag auf Prozeßkosten-
hilfe und den dazu eingereichten Unterlagen ordnungsgemäß
dargetan hatte.

Allerdings hat der Senat entschieden, daß Prozeßkosten-
hilfe nicht gewährt werden kann, wenn der Rechtsscbutzversi-
cherer die Deckung wegen fehlender Erfolgsaussicht des
Rechtsmittels verweigert (Beschluß vom 3.6.1987 - IVa ZR
318/86 - BGHR ZPO § 114 Abs. 1. Rechtschutzversicherung 1 =
VersR 1987, 978). Bei zutreffender Beurteilung der mangeln

- 5 -

den) Erfolgsaussicht durch den Rechtsschutzversicherer ist
ohnehin nach S 114 Satz 1 ZPO die Bewilligung von Prozeßko-
stenhilfe ausgeschlossen (vgl. Senatsurteil vom 16.9.1987
- IVa ZR 76/86 - BGHR ZPO § 114 Abs. 1 Satz 1 Erfolgsaus-
sicht 1 = VersR 1987, 1186, dazu Bauer, VersR 1988, 174).
Einer unrichtigen Beurteilung der Erfolgsaussicht kann der
Rechtsmittelführer durch den Stichentscheid gemäß S 17
Abs. 2 der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzver—
sicherung (ARB) entgegentreten.

Das besagt jedoch nichts zur Frage der Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand. Derjenige, der die Kosten seines
Rechtsmittels nicht aufbringen kann, darf wie ein anderer
die Frist für die Einlegung oder Begründung des Rechtsmit-
tels bis zum letzten Tag ausnutzen; er darf also noch am
letzten Tag der Frist die Entscheidung treffen, ob er das
Rechtsmittel einlegen will, und braucht erst dann den aller-
dings vollständigen Antrag auf Prozeßkostenhilfe einzurei-
chen (BGHZ 16, 1 und 38, 376). Daran kann sich nichts da-
durch ändern, daß er rechtsschutzversichert und auf das Ver-
fahren gemäß § 17 ARB angewiesen ist. Der Stichentscheid ge-
mäß § 17 Abs. 2 ARB setzt die vorausgegangene Verneinung der
Leistungspflicht seitens des Rechtsschutzversicherers vor-
aus. Solange dieser sich nicht entschieden hat, ist für ei-
nen Stichentscheid kein Raum. Es liegt auf der Hand, daß
dieses Verfahren - zunächst die Entscheidung des Rechts-
schutzversicherers über die Erfolgsaussicht, dann gegebenen-
falls der Stichentscheid - eine gewisse Zeit erfordert. Die-
ser Zeitraum muß dem Rechtsmittelführer, der rechtsschutz-
versichert ist, ohne Rechtsnachteil zur Verfügung stehen. Er
darf, wenn er im übrigen die wirtschaftlichen Voraussetzun-

- 6 -

gen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe erfüllt nicht
wegen der Rechtsschutzversicherung schlechtergestellt werden
den als die übrigen Rechtsmittelführer.

Danach ist dem Beklagten mit der Kostenfolge § 238
Abs. 4 ZPO Wiedereinsetzung zu gewähren.

B. Dr. Z.

Nechschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

Für einen rechtsschutzversicherten Rechtsmittelführer, der die
die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von
Prozeßkostehhilfe im übrigen erfüllt, entfällt das Hindernis
der Bedürftigkeit erst mit der Deckunugszusage seines Rechts-
schutzversicherers.

BGH, Beschl. v. 4. Oktober 1990 - IV ZB 5/90 - OLG Stuttgart
LG Rottweil


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