Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Freitag, 8. Mai 2015
BSG, 1/3 RK 13/90 vom 28.06.1990, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: 1/3 RK 13/90

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Allgemeine Ortskrankenkasse München,

München 2, Maistraße 43 - 47,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 26.
Februar 1992 durch den Präsidenten Prof. Dr. R., die Richterin Dr. W. und
den Richter K. sowie die ehrenamtliche Richterin B. und den
ehrenamtlichen Richter B. für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28.
Juni 1990 wird zurückgewiesen.

- 2 -

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren
nicht zu erstatten.

- 3 -

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung von Krankengeld für die Zeit vom
12. November 1985 bis 20. März 1986.

Der in Jugoslawien geborene Kläger war seit 1968 in der Bundesrepublik als Arbeiter
beschäftigt und bezog zuletzt als Arbeitsloser Leistungen vom Arbeitsamt. Mit dessen
Zustimmung begab er sich für die Zeit vom 20. August 1985 bis 17. September 1985 auf
Heimaturlaub. Dort wurde er am 11. September 1985 wegen zahlreicher Erkrankungen
zunächst drei Wochen arbeitsunfähig krank geschrieben. Der jugoslawische
Versicherungsträger teilte dies der Beklagten, bei der der Kläger aufgrund des
Leistungsbezuges krankenversichert war, auf dem hierfür vorgesehenen Formblatt mit.

Später gingen weitere Meldungen über Arbeitsunfähigkeitszeiten bei der Beklagten ein,
wobei noch zusätzliche Erkrankungen genannt wurden.

Nachdem der Vertrauensärztliche Dienst unter Berücksichtigung der beigezogenen
Unterlagen von einer Arbeitsunfähigkeit von zwei Monaten ausgegangen war, bewilligte
die Beklagte für die Zeit nach Beendigung der Leistungserbringung durch das Arbeitsamt
Krankengeld bis zum 11. November 1985. Gleichzeitig erbat sie bei einem eventuellen
Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit um die Übersendung neuer ärztlicher Befunde. Weil
nach Auffassung des Vertrauensärztlichen Dienstes aus den vom Kläger übersandten
neuen ärztlichen Unterlagen auf eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht geschlossen
werden könne, lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld über den
11. November 1985 hinaus ab (Bescheid vom 18. Februar 1986).

Obwohl der jugoslawische Versicherungsträger inzwischen Arbeitsunfähigkeit bis
einschließlich 20. März 1986 bestätigt und gemeldet hatte, sah die Beklagte den
Widerspruch nicht als begründet an, da die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht
nachgewiesen sei (Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 1986).

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) München abgewiesen,
nachdem es erfolglos versucht hatte, weitere Krankenunterlagen aus Jugoslawien zu
erhalten (Urteil vom 26. Oktober 1988). Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG)
zurückgewiesen (Urteil vom 28. Juni 1990). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Dem
Kläger stehe Krankengeld für den streitigen Zeitraum nicht zu, weil das Bestehen von
Arbeitsunfähigkeit über den 11. November 1985 hinaus nicht nachgewiesen sei. Der
Versicherte sei bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit arbeitsuchend gemeldet und damit
weitgehend auf andere Tätigkeiten verweisbar gewesen. Es fehle jeder Nachweis
darüber, daß die behaupteten Krankheiten sich derart langfristig auf seine Arbeitsfähigkeit

- 4 -

ausgewirkt haben könnten und daß keine ihm zumutbare Arbeit möglich gewesen wäre.

Die Beklagte müsse entgegen der Ansicht des Klägers die Arbeitsunfähigkeitsmeldung
des jugoslawischen Versicherungsträgers nicht ungeprüft übernehmen. Eine solche
Rechtsfolge lasse sich aus dem deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen
nicht entnehmen. Der Kläger könne auch keine Rechte aus den europäischen Verträgen
und den aus ihnen hervorgegangenen EG-Verordnungen Nr 1408/71 und 574/72 sowie
der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des
Bundessozialgerichts (BSG) herleiten. Diese Regelungen seien mit dem
deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen nicht vergleichbar. Der
Grundsatz, daß die Beklagte als leistender Versicherungsträger entsprechend den
Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) über die Krankengeldgewährung zu
entscheiden habe, werde auch nicht durch das dem Kläger ausgehändigte Merkblatt, in
dem Art 4 des Zusatzabkommens zum deutsch-jugoslawischen
Sozialversicherungsabkommen wiedergegeben sei, aufgehoben. Hiermit habe sich die
Beklagte nicht verpflichtet, ihre Entscheidungskompetenz gesetzwidrig auf den jugoslawi-
schen Versicherungsträger zu verlagern. Zwar könne es für den Versicherten
unbefriedigend sein, wenn das Krankengeld wegen unterschiedlicher Auffassungen von
der Arbeitsunfähigkeit zwischen den jugoslawischen Ärzten bzw Krankenver-
sicherungsgemeinschaften einerseits und den deutschen Krankenkassen andererseits
verweigert werde, obwohl er alles getan habe, was ihm das Abkommen vorschreibe und
er wenig Einfluß auf die Aussagekraft der Bescheinigungen und die durchgeführten
Untersuchungen habe. Dies könne aber nicht dazu führen, die Beklagte zu verpflichten,
ungeprüft gesetzlich geforderte Voraussetzungen zu unterstellen, zumal sie selbst
keinerlei Einfluß auf die von ihr nicht zu vertretenden Mängel bei der Anwendung des
Abkommens habe.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 30
Abs 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -(SGB I), 182 Abs 1 Nr 2, Abs 3 und 183 RVO
sowie des Art 29 iVm Art 4 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens.

Das LSG habe übersehen, daß, unabhängig davon, wie nach innerstaatlichem Recht das
Bestehen von Arbeitsunfähigkeit festgestellt werde, Ausnahmen durch das Recht der
europäischen Gemeinschaften oder durch zwischenstaatliche Abkommen bestimmt
werden könnten. Der Entscheidungskompetenz der Beklagten über die Arbeitsunfähigkeit
stünden Art 29 iVm Art 4 des Abkommens und die übrigen Vereinbarungen mit
Jugoslawien entgegen. Hiernach leisteten Träger, Verbände von Trägern, Behörden und
Gerichte der Vertragsstaaten einander bei der Durchführung der in Art 2 Abs 1
bezeichneten Rechtsvorschriften und des Abkommens gegenseitige Hilfe. Die Amtshilfe
erstrecke sich ausdrücklich auch auf ärztliche Kontrolluntersuchungen. Ferner bestimme
Art 3 der Durchführungsvereinbarung zum Abkommen, daß die Pflicht des Versicherten,
dem zuständigen Träger das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, nur gegenüber
dem Träger des Aufenthaltsortes bestehe. Entsprechend werde der Versicherte von

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seiner Krankenkasse durch Merkblätter informiert. Das gesamte Regelwerk des
Abkommens mache deutlich, daß die Mitteilung über das Bestehen und die Überwachung
der Arbeitsunfähigkeit ausschließlich bei dem örtlich zuständigen jugoslawischen
Krankenversicherungsträger liege. Da das Abkommen keinen Vorbehalt gegen die
Feststellung der jugoslawischen Kontrollärzte enthalte, stehe den deutschen
Krankenkassen keine eigene Feststellungs- und Kontrollbefugnis hinsichtlich der
Arbeitsunfähigkeit zu. Für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und deren Kontrolle solle
nach dem Abkommen und den Zusatzvereinbarungen das Recht des Aufenthaltsstaates
maßgebend sein. Das sei der eindeutige Wille der vertragschließenden Staaten gewesen.
Falls bei dem deutschen Versicherungsträger berechtigte Zweifel an der Richtigkeit des
Ergebnisses von Kontrolluntersuchungen bestehen sollten, müsse er dieselben über den
zuständigen jugoslawischen Versicherungsträger ausräumen lassen und gegebenenfalls
auf seine Kosten eine stationäre Beobachtung in einem jugoslawischen Krankenhaus
beantragen. Er, der Kläger, habe alle seine Mitwirkungspflichten erfüllt und mit der
Übersendung der Mitteilung über das Bestehen oder Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit
durch den jugoslawischen Träger zugleich den ihm obliegenden Nachweis der Arbeits-
unfähigkeit geführt.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 1990 und des
Sozialgerichts München vom 26. Oktober 1988 aufzuheben und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 18. Februar 1986 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 1986 zu verurteilen, ihm Krankengeld über
den 11. November 1985 hinaus bis einschließlich 20. März 1986 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Krankengeld über den
11. November 1985 hinaus.

Nach § 182 Abs 1 Nr 2 RVO, der mit Wirkung ab 1. Januar 1989 durch Art 5 Nr 2 des
Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I, S 2477)
aufgehoben wurde, hier jedoch noch anwendbar ist, wird Krankengeld gewährt, wenn die
Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht. Das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit
muß gemäß § 182 Abs 3 RVO von einem Arzt festgestellt werden, wobei es unerheblich
ist, aus welchem Anlaß und zu welchem Zweck diese Feststellung getroffen wird
(BSGE 41, 201, 203 = SozR 2200 § 182 Nr 12). Die Feststellung kann auch durch einen

- 6 -

ausländischen Arzt erfolgen. Dem während eines Urlaubsaufenthaltes im Ausland
erkrankten Versicherten steht - sofern ein Sozialversicherungsabkommen
entsprechendes regelt - deshalb auch Krankengeld für die Zeit des Auslandsaufenthaltes
zu, in der er nachweislich arbeitsunfähig ist. Bestand kein Sozialversicherungsabkommen
mit dem Aufenthaltsstaat, war Krankengeld in der Zeit der Geltung des § 182 RVO
trotzdem bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeit zu gewähren (BSGE 31, 100, 101 f = SozR
Nr 39 zu § 182 RVO). Ab 1. Januar 1989 gilt demgegenüber § 16 Abs 1 Nr 1
Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Hiernach ruht der
Anspruch auf Leistungen, solange sich der Versicherte außerhalb des Geltungsbereiches
dieses Gesetzes aufhält, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. Solche Ausnahmen
sind Regelungen im zwischen- bzw überstaatlichen Recht, insbesondere also in
Sozialversicherungsabkommen. Ansonsten kann Krankengeld während eines
Auslandsaufenthaltes nicht mehr gewährt werden (BT-Drucks 11/2237, S 165).

Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Beklagte an die Feststellung der
Arbeitsunfähigkeit durch einen jugoslawischen Arzt oder an die Meldung des
jugoslawischen Versicherungsträgers nicht gebunden. Eine solche Bindung läßt sich
insbesondere nicht aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom
12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, S 1438) idF des Änderungsabkommens vom
30. September 1974 (BGBl II 1975, S 390) - zukünftig Abkommen genannt - und der
Durchführungsvereinbarung zum Abkommen entnehmen.
Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens sieht vor, daß, soweit das Abkommen nichts anderes
bestimmt, die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von
Ansprüchen auf Leistungen oder Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von
Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die Staatsangehörigen
gelten, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten. Diese Regelung enthält
den Grundsatz der uneingeschränkten Leistungsgewährung in dem anderen Vertrags-
staat (Denkschrift der Bundesregierung zum Abkommen, BT-Drucks V/4124).

Krankengeld ist nach dem Abkommen also grundsätzlich auch dann zu zahlen, wenn die
Arbeitsunfähigkeit in Jugoslawien eintritt. Weitere Regelungen, insbesondere hinsichtlich
der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, beinhaltet Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens
nicht. Sozialversicherungsabkommen enthalten - anders als bei den Sachleistungen, die
im allgemeinen nach dem Recht des Aufenthaltsstaates gewährt werden (vgl Art 15 Abs 2
des Abkommens und Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit
ausländischen Staaten, Bd I, Allgemeiner Teil, S 296; Baumeister in Gesamtkommentar
zur Sozialversicherung, Bd X, Stichwort Jugoslawien, Art 15 Anm 2; Neumann-Duesberg,
DOK 1985, S 302, 309) - regelmäßig keinen Eingriff in das innerstaatliche Recht
hinsichtlich der Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankengeld (Begriff der
Arbeitsunfähigkeit) und bezüglich der Höhe der Geldleistungen. Es bleiben vielmehr die

- 7 -

für den zuständigen Träger nach innerstaatlichem Recht geltenden Vorschriften
maßgebend (Plöger/Wortmann, aaO, Bd I, Allgemeiner Teil, S 395). Diese allgemeine
Regelung gilt auch für das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen (vgl
dazu Art 16 des Abkommens). Hiernach werden auf Ersuchen der deutschen
Krankenkassen Geldleistungen vom jugoslawischen Sozialversicherungsträger
ausgezahlt, woraus sich gleichzeitig ergibt, daß die Prüfung der
Anspruchsvoraussetzungen und der Höhe und Dauer der auszuzahlenden Geldleistungen
Aufgabe der deutschen Krankenkassen bleibt (Baumeister, aaO, Bd X, Stichwort Jugosla-
wien, Art 16 Anm 1). Aus Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens läßt sich also eine Bindung
des deutschen Versicherungsträgers an die Feststellung der jugoslawischen Ärzte oder
Krankenversicherungsgemeinschaften nicht entnehmen.

Gleiches gilt für Art 15 Abs 2 des Abkommens, denn er enthält lediglich die Regelung,
daß die Sachleistungen - von gewissen Ausnahmen abgesehen - nach den für den Träger
des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften gewährt werden. Für Geldlei-
stungen gilt diese Vorschrift damit nicht.

Gemäß Art 29 Abs 1 Satz 1 des Abkommens leisten die Träger, Verbände von Trägern,
Behörden und Gerichte der Vertragsstaaten einander bei Durchführung der vom
Abkommen umfaßten Rechtsvorschriften und dieses Abkommens gegenseitige Hilfe, als
wendeten sie die für sie geltenden Rechtsvorschriften an. Art 29 Abs 1 Satz 1 gilt, wie
Abs 2 dieser Vorschrift regelt, auch für ärztliche Untersuchungen. Nach der Denkschrift
der Bundesregierung enthalten die Art 29 bis 38 des Abkommens die auch sonst üblichen
Regelungen für das Zusammenwirken der in den beiden Staaten mit der Durchführung
des Abkommens betrauten Stellen. In Art 29 sind also Vorschriften über die Rechts- und
Amtshilfe enthalten. Die deutschen Krankenkassen können sich daher jugoslawischer
Ärzte für Untersuchungen und zu Kontrollzwecken bedienen, indem sie sich im Wege der
Amtshilfe an die zuständige Krankenversicherungsgemeinschaft wenden. Die
Formulierung "als wendeten sie die für sie geltenden Rechtsvorschriften an" umschreibt
lediglich Art und Umfang der Amts- und Rechtshilfe. Deutsche Sozialversicherungsträger
haben bei der Erbringung der Amtshilfe daher die Regelungen der §§ 3 ff
Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X), aber auch § 35 SGB I iVm §§ 67 ff
SGB X über die Offenbarung von Daten, die unter das Sozialgeheimnis fallen, zu
beachten (Baumeister, aaO, Bd X, Stichwort Jugoslawien, Art 29 Anm 1; Koch/Hartmann,
Die Rentenversicherung im Sozialgesetzbuch unter besonderer Berücksichtigung der
Angestelltenversicherung - zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht -Bd I, Allgemei-
ner Teil, Anm 9.3.). Ärztliche Untersuchungen müssen unter Berücksichtigung der §§ 62,
65 SGB I durchgeführt werden. Umgekehrt haben die jugoslawischen
Versicherungsträger bei Untersuchungen in ihrem Staat die für sie geltenden Verfah-
rensvorschriften anzuwenden.

- 8 -

Eine weitere - über den dargestellten Inhalt hinausgehende - Regelung, insbesondere
über die Begründung materiell-rechtlicher Leistungsansprüche oder die Bindung
deutscher Sozialversicherungsträger an die im Rahmen der Amtshilfe getroffenen
Feststellungen, kann aus Art 29 des Abkommens nicht entnommen werden. Der Wortlaut,
dem bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge im allgemeinen eine größere
Bedeutung beizumessen ist als bei der Auslegung innerstaatlicher Gesetze (BSGE 36,
125, 126 = SozR Nr 16 zu § 1303 RVO; BSGE 39, 284, 287 = SozR 2200 § 1303 Nr 3;
BSGE 55, 131, 134 = SozR 6555 Art 26 Nr 1; Gobbers, Gestaltungsgrundsätze des
zwischenstaatlichen und überstaatlichen Sozialversicherungsrechts, 1980, S 10 mwN),
läßt die vom Kläger behauptete Bindung an die in Jugoslawien getroffenen Feststellungen
nicht erkennen. Er ist nicht unklar, mißverständlich oder gar mehrdeutig; die
wortlautmäßige Auslegung führt auch nicht zu unvernünftigen, mit dem Ziel und Zweck
der Bestimmung und des Vertrages unvereinbaren Ergebnissen, so daß eine andere
Auslegung erforderlich wäre. Auch läßt der in der Denkschrift zum Abkommen
manifestierte Wille der Vertragspartner keine andere Auslegung zu.

Nach Art 3 der Durchführungsvereinbarung zum Abkommen, auf den sich der Kläger
weiter beruft, besteht die Pflicht des Versicherten, dem zuständigen Träger das Vorliegen
der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, bei Anwendung des Art 4 Abs 1 des Abkommens nur
gegenüber dem Träger des Aufenthaltsortes. Tritt bei einem bei einer deutschen
Krankenkasse Versicherten in Jugoslawien Arbeitsunfähigkeit ein, so enthebt ihn diese
Bestimmung lediglich der Verpflichtung, das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit dieser
Krankenkasse bzw beim Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 3 Abs 2
Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) dem Arbeitgeber und der Krankenkasse zu melden, um
ein Ruhen des Krankengeldanspruches nach § 216 Abs 3 RVO (ab 1. Januar 1989 § 49
Abs 1 Nr 5 SGB V) oder des Lohnfortzahlungsanspruches nach § 5 Nr 1 LFZG zu
verhindern. Es genügt, wenn er die jugoslawische Krankenversicherungsgemeinschaft
vom Bestehen der Arbeitsunfähigkeit unterrichtet; diese leitet die Mitteilung mittels des
vorgesehenen Vordruckes Ju 4 an die deutsche Krankenkasse weiter, die wiederum
gegebenenfalls den Arbeitgeber informiert. Hierüber werden die Versicherten in dem
Merkblatt Ju 93 unterrichtet. Weitere Regelungen sind in Art 3 der
Durchführungsvereinbarung nicht enthalten, insbesondere läßt sich aus dieser Regelung
keine Bindung an die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch jugoslawische Ärzte oder
jugoslawische Versicherungsträger entnehmen (vgl auch BSG SozR 2200 § 369 b Nr 1
und BSG USK 83 160 zum deutsch-spanischen Sozialversicherungsabkommen).

Schließlich sind die Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 10. September 1987 (BSG
SozR 6055 Art 18 Nr 2) und das ihr zugrundeliegende Urteil des EuGH vom 12. März
1987 (SozR 6055 Art 18 Nr 1) nicht einschlägig. Die dort angenommene Bindung der
deutschen Krankenkassen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des
Wohnortes getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der

- 9 -

Arbeitsunfähfigkeit betrifft nur Staaten der Europäischen Gemeinschaft, zu denen
Jugoslawien nicht gehört. Art 18 der EWG-VO Nr 574/72 hat zudem einen völlig anderen
Wortlaut als die Vorschriften im hier anwendbaren Abkommen und enthält auch inhaltlich
ganz unterschiedliche Regelungen.

Wird somit der Grundsatz, daß krankenversicherungsrechtliche Geldleistungen vom
deutschen Versicherungsträger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zu
gewähren sind, durch das Abkommen nicht berührt, sind das Vorliegen von
Arbeitsunfähigkeit und der Anspruch auf Krankengeld nach § 182 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 3
RVO zu prüfen. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist ein Rechtsbegriff, dessen
Voraussetzungen die Krankenkasse anhand ärztlich erhobener Befunde festzustellen hat.

Das Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hat lediglich die
Bedeutung einer ärztlichen Stellungnahme, die die Grundlage für den über den
Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet (vgl BSGE 54,
62, 65 = SozR 2200 § 182 Nr 84; BSG SozR 2200 § 216 Nr 8; Höfler in Kasseler
Kommentar zur Sozialversicherung, § 46 RdNr 7; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale
Krankenversicherung, § 182 Anm, 4.1; Krauskopf, Soziale
Krankenversicherung - SGB V -, § 44 RdNr 15; Peters, Handbuch der
Krankenversicherung, § 182 Anm 13b). Aus den Bestimmungen der §§ 182 Abs 3 und
369b RVO (nun § 46 Satz 1 Nr 2 und § 275 SGB V) folgt, daß die Krankenkasse die
ärztliche Feststellung über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nur überprüft (BSG SozR
2200 § 216 Nr 8), während sie die sonstigen Leistungsvoraussetzungen (zB
Mitgliedschaft mit Krankengeldanspruch, Erschöpfung des Leistungsanspruches
innerhalb der Blockfrist) selbständig ermittelt und dann über die Krankengeldgewährung
entscheidet. Den Bescheinigungen ausländischer Ärzte kommt dabei nicht von vornherein
ein geringerer Beweiswert zu als denen deutscher Ärzte (BSGE 31, 100, 102 = SozR
Nr 39 zu § 182 RVO; BAGE 48, 115, 119; BAG EzA § 3 LFZG Nr 11; LSG
Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1984, 361, 362). Da der Begriff der Arbeitsunfähigkeit den
deutschen Ärzten vertraut ist (vgl jetzt die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien vom
3. September 1991, BKK 1991, S 707 = WzS 1991, S 326), genügt es in der Praxis
regelmäßig,
wenn sie Arbeitsunfähigkeit bescheinigen (BSGE 41, 201, 203 = SozR 2200 § 182 Nr 12).
Kenntnisse über den Begriff der Arbeitsunfähigkeit iS der deutschen Krankenversicherung
und die versicherungsrechtliche Bedeutung dieser Feststellung sind ausländischen Ärzten
dagegen normalerweise fremd (BSGE 31, 100, 102 = SozR Nr 39 zu § 182 RVO). Zur
Kontrolle kann die Krankenkasse daher bei Zweifeln über das Vorliegen von
Arbeitsunfähigkeit, insbesondere wenn die aus dem Ausland mitgeteilten Diagnosen und
Befunde nicht jede Erwerbstätigkeit ausschließen und - wie hier - für arbeitslose Arbeiter
eine weite Verweisbarkeit in Betracht kommt (BSG SozR 4100 § 105b Nr 4), oder wenn
die genannten Diagnosen Zweifel an der Dauer der Arbeitsunfähigkeit weken, den
Medizinischen Dienst heranziehen. Eine Überprüfung durch den Vertrauensärztlichen bzw

- 10 -

Medizinischen Dienst ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein ausländischer Arzt
die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat. § 369b RVO enthält, ebenso wie § 275 SGB V,
keine Einschränkung dahingehend, daß nur die Feststellungen inländischer Ärzte
überprüft werden könnten. Einen Ermessensfehler bei der Entscheidung über die
Erforderlichkeit der Untersuchung (BSG SozR 2200 § 369b Nr 1) hat das
Berufungsgericht nicht festgestellt.

Schließlich hat das LSG nicht den Grundsatz der objektiven Beweislast verletzt. Er regelt,
wen die Folgen treffen, wenn das Gericht bestimmte Tatsachen nicht feststellen kann. Es
gilt der Grundsatz, daß die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder des
Nichtfestgestelltseins einer Tatsache von dem Beteiligten zu tragen ist, der aus dieser
Tatsache ein Recht herleiten will (BSGE 30, 121, 123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG;
Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl, 1991, § 103 RdNr 19 mwN). Die Regeln über
die objektive Beweislast können nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erst
angewendet werden, wenn alle verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind (BSG
SozR 2200 § 317 Nr 2; BSG SozR 1500 § 128 Nr 18). Sie entheben den Tatrichter nicht
seiner insbesondere durch § 103 und § 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen
Würdigung der erhobenen Beweise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände
des Einzelfalles. Die Frage der Beweislastverteilung stellt sich erst dann, wenn es nach
Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhaltes nicht gelungen ist,
die bestehende Ungewißheit über eine ungeklärte Tatsache zu beseitigen (BSGE 30, 121,
123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG; BSG SozR 1500 § 128 Nr 18). Trotz seines engen
Zusammenhangs mit dem Verfahrensrecht gehört der Grundsatz der objektiven
Beweislast zum materiellen Recht (BSG SozR 1500 § 161 Nr 26; Meyer-Ladewig, aaO,
§ 103 RdNr 19; BVerwGE 45, 131, 132; BGH NJW 1983, 2032, 2033; NJW 1985, 1774,
1775; Kopp, Komm zum VWGO, 8. Aufl 1989, § 108 RdNr 12; aA Peters/Sauters/Wolff,
Komm zum SGG, § 103 Anm 4 S II/74 - 14 -; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl 1987,
S 274). Seine richtige Anwendung ist deshalb vom Senat auch grundsätzlich ohne
entsprechende Rüge durch den Kläger zu prüfen.

Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die medizinischen Grundlagen für die
Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit über den 11. November 1985 hinaus nicht mehr
aufklärbar sind. Hierbei handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, an die das Revi-
sionsgericht nach § 163 SGG gebunden ist, wenn die Beteiligten - wie im vorliegenden
Falle - dagegen keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben haben. Daß
die Vorinstanz nach Auffassung des erkennenden Senats nicht alle Möglichkeiten der
Aufklärung genutzt hat, läßt die Bindung nicht entfallen. Das Revisionsgericht wäre nur
dann nicht nach § 163 SGG gebunden, wenn die tatrichterliche Feststellung der nicht
weiteren Aufklärbarkeit mit anderen Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil im
Widerspruch stünde (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 139). Das ist hier aber nicht der

- 11 -

Fall. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, daß das LSG den Grundsatz der objektiven
Beweislast angewendet hat und davon ausgegangen ist, daß der Kläger die Folgen der
Nichtfeststellbarkeit der von ihm behaupteten Arbeitsunfähigkeit zu tragen hat.

Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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