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Dienstag, 5. Mai 2015
BVerwG 11 VR 3.97 vom 21.03.1997, Bundesverwaltungsgericht
anselmf
BVerwG 11 VR 3.97
In der Verwaltungsstreitsache hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 21. März 1997 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. D. und die Richter am Bundes- verwaltungsgericht Prof. Dr. B. und Dr. R. beschlossen: Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller zu 1 als Gesamtschuldner und der Antragsteller zu 2 jeweils zur Hälfte. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8 000 DM festgesetzt.- 2 - G r ü n d e : I. Die Antragsteller sind Eigentümer von bebauten Grundstücken entlang des Bundesschienenweges Uelzen - Stendal, der nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz als Ausbaustrecke (Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Schiene Nr. 8) auszubauen ist. Diese Strecke stellte bis 1945 die kürzeste Verbindung zwischen dem mitteldeutschen Raum und den Nordseehäfen dar und wurde zweigleisig betrieben. Im Juli 1945 wurde der Eisenbahnbetrieb zwischen den Grenzbahnhöfen von Sachsen- Anhalt und Niedersachsen eingestellt. In den folgenden Jahren wurden die Gleisanlagen in Grenznähe vollständig abgebaut und im weiteren Streckenabschnitt zwischen Wieren und Uelzen eingleisig zurückgebaut. Zur Realisierung der Ausbaustrecke hat die Deutsche Bahn AG die auf die Elektrifizierung beschränkte Planfeststellung beantragt. Für die den Streckenabschnitt Stederdorf - Uelzen betreffenden Planfeststellungsabschnitte 25 und 26 wird derzeit das Planfeststellungsverfahren durchgeführt. Im Planfeststellungsabschnitt 25 hat die Auslegung der Planfeststellungsunterlagen bereits stattgefunden. Die Einwendungsfrist ist abgelaufen. Die Antragsteller haben Einwendungen erhoben. Die den Planfeststellungsabschnitt 26 betreffenden Planfeststellungsunterlagen liegen derzeit öffentlich aus. Es ist beabsichtigt, die Einwendungen zu beiden Planfeststellungsabschnitten in einem gemeinsamen Termin zu erörtern. Die Antragsteller haben am 11. Februar 1997 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Sie befürchten, daß ihre Grundstücke durch den Ausbau erheblich an Wert verlieren, weil trotz der zu erwartenden Lärmbelästigung keine Lärmschutzmaßnahmen - 3 - vorgesehen seien. Sie vertreten die Auffassung, daß es sich bei der Ausbaumaßnahme um eine wesentliche Änderung eines Schienenweges handele, weil die Bahnstrecke in den Jahren 1984/1985 in eine eingleisige Strecke zurückgestuft worden sei. Deswegen sei die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte im Sinne der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung durch Lärmschutzmaßnahmen sicherzustellen. Darüber hinaus seien Kreuzungsbauten im Sinne des Eisenbahnkreuzungsgesetzes vorzusehen. Die Deutsche Bahn AG wolle sich diesen Konsequenzen aber entziehen, indem sie - ebenso wie die Antragsgegnerin - die Rückstufung der Strecke bestreite, die Einsicht in die entsprechenden Unterlagen verweigere, diese Unterlagen trotz zeitweiligen Vorlageverlangens der Anhörungsbehörde zurückhalte und nicht den ausgelegten Planunterlagen beifüge. Ohne Offenlegung dieser Akten dürfe das Planfeststellungsverfahren nicht weiterbetrieben werden. Andernfalls würden die Rechte der Antragsteller verletzt, insbesondere ihr Recht auf Eigentum und Gesundheit. Das Akteneinsichtsrecht der Antragsteller ergebe sich aus § 29 VwVfG, aus §§ 4 und 5 UIG sowie unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG. Dieses Recht müsse im Wege der beantragten einstweiligen Anordnung bereits jetzt gewährt werden. Andernfalls sei eine ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer Rechte im Planfeststellungsverfahren nicht möglich. Darüber hinaus liefen sie Gefahr, im späteren gerichtlichen Verfahren mit ihren Einwendungen präkludiert zu sein. Effektiver Rechtsschutz sei nicht gewährleistet, da möglichen Planungsalternativen, die sich aus der vollständigen Kenntnis aller Planungsunterlagen ergeben könnten, im Rahmen einer bloß nachträglichen Rechtskontrolle kein maßgebliches Gewicht mehr zukomme. § 44 a VwGO stehe dem Antrag nicht entgegen. Die Antragsteller beantragen, der Antragsgegnerin aufzugeben, den Antragstellern Akteneinsicht in die eigenen Rückstufungsakten für die Bahnlinie Wieren-Uelzen von zweigleisigem Verkehr auf dauernd eingleisigen Verkehr gemäß Erlaß vom 22. Februar 1984 zu Aktenzeichen E 15/32.38.02/428 Bb 83 zu gewähren, hilfsweise, - 4 - der Antragsgegnerin aufzugeben, die Rückstufungsakten für die Bahnlinie Wieren-Uelzen von zweigleisigem Verkehr auf dauernd eingleisigen Verkehr gemäß Erlaß vom 22. Februar 1984 zu Aktenzeichen E 15/32.38.02/428 Bb 83 der Bezirksregierung Lüneburg im Anhörungsverfahren zur Planfeststellung betreffend VDE Nr. 3, Bahnlinie Uelzen-Stendal vorzulegen. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen. Sie hält den Antrag wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses für unzulässig, weil den Antragstellern der Inhalt der Akten, in die Einsicht begehrt werde, bereits bekannt sei. Wenn seitens der Antragsgegnerin davon die Rede gewesen sei, die fragliche Strecke sei entwidmet worden, so habe es sich um eine unverbindliche Einschätzung der Rechtslage gehandelt, die später im Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wieder revidiert worden sei. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet. Ein Anspruch auf Einsicht in die Akten der Antragsgegnerin bzw. auf Vorlage der Akten an die Anhörungsbehörde stehe der Antragsgegnerin - insbesondere nach § 29 VwVfG - nicht zu. - 5 - II. 1. Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 5 Abs. 1 VerkPBG berufen, über den Antrag der Antragsteller auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu entscheiden. Der Gesetzeszweck dieser Vorschrift verlangt ihre weite Auslegung dahin, daß sie alle Verwaltungsstreitverfahren erfaßt, die einen unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungsverfahren oder Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 1 VerkPBG haben (BVerwG, Beschluß vom 22. November 1995 - BVerwG 11 VR 42.95 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 5). Ein solcher unmittelbarer Bezug zu den Planfeststellungsverfahren in den Planfeststellungsabschnitten 25 und 26 der Ausbaustrecke Uelzen - Stendal (Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Schiene Nr. 8) ist noch zu bejahen. Er ergibt sich daraus, daß die streitbefangenen Akten diesen Streckenabschnitt betreffen und die Antragsteller - wie vor allem aus ihrem Hilfsantrag hervorgeht - den Akteninhalt zum Gegenstand des Planfeststellungsverfahrens machen wollen. Auch die Anhörungsbehörde des Planfeststellungsverfahrens hat zeitweise die Beiziehung der Akten für erforderlich gehalten. 2. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung bleibt ohne Erfolg. Die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 VwGO liegen nicht vor. Die Antragsteller haben einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Mit ihrem Antrag auf Akteneinsicht begehren die Antragsteller keine vorläufige Maßnahme, sondern die Vorwegnahme der Hauptsache. Ein solches Rechtsschutzziel widerspricht grundsätzlich der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes (BVerwG, Beschluß vom 14. Dezember 1989 - BVerwG 2 ER 301.89 - Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 15). Etwas anderes muß im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) allerdings gelten, wenn ohne vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der- 6 - Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfGE 46, 166 <179>; 79, 69 <74>). Solche Nachteile drohen den Antragstellern nicht. Sie machen geltend, ohne Kenntnis des Akteninhalts an der ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer Rechte im Planfeststellungsverfahren gehindert zu werden, weil sie mit späteren Einwendungen ausgeschlossen werden könnten und eine Alternativplanung nicht rechtzeitig erarbeitet werden könnte; ein einmal ergangener Planfeststellungsbeschluß schaffe vollendete Tatsachen, die durch nachträglichen Rechtsschutz erfahrungsgemäß nicht mehr beseitigt würden. Das trifft jedoch nicht zu. Die Antragsteller sind auch ohne Zuerkennung des beantragten vorläufigen Rechtsschutzes nicht gehindert, ihre Einwendungen in den die Planfeststellungsabschnitte 25 und 26 betreffenden Planfestellungsverfahren in einer den Anforderungen des § 20 AEG entsprechenden Weise vorzubringen. Das belegen bereits ihre Ausführungen in der Antragsschrift im vorliegenden Verfahren. Die Planfeststellungsbehörde kann hieraus ohne weiteres entnehmen, daß sie Lärmschutzmaßnahmen zur Sicherung des Immissionsgrenzwertes des § 2 der 16. BImSchV für erforderlich halten, weil nach ihrer Ansicht die planfestzustellende Maßnahme die Voraussetzungen einer wesentlichen Änderung von Schienenwegen im Sinne des § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der 16. BImSchV erfüllt. Die damit von den Antragstellern aufgeworfene Rechtsfrage könnte weder im vorliegenden Eilverfahren noch durch die begehrte Akteneinsicht verbindlich entschieden werden. Dies könnte erforderlichenfalls erst in einem gegen den Planfeststellungsbeschluß gerichteten verwaltungsgerichtlichen Verfahren geschehen. Es ist nicht erkennbar, daß diese Rechtsschutzmöglichkeit im Hinblick auf das im Planfeststellungsverfahren verfolgte Begehren der Antragsteller nicht mehr zeitgerecht oder inhaltlich, insbesondere im Hinblick auf die Kontrolle von Verfahrensfehlern, Planrechtfertigung oder Abwägungsmängeln, unzureichend wäre. Soweit die Antragsteller faktische Nachteile durch einen auf die nachträgliche Kontrolle der Sachentscheidung beschränkten Rechtsschutz rügen, wenden sie - 7 - sich in Wahrheit gegen die Entscheidungen des Gesetzgebers zu Art und Umfang des gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber Planfeststellungsverfahren im allgemeinen und gegenüber solchen auf der Grundlage des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes im besonderen, deren Verfassungsmäßigkeit sie allerdings selbst nicht in Frage stellen. Es kann aber nicht Aufgabe des vorliegenden Eilverfahrens sein, diese gesetzgeberischen Entscheidungen der Sache nach wieder aufzuheben oder zu umgehen. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet dies jedenfalls nicht. Die Antragsteller haben auch keinen weitergehenden Anspruch darauf, ihre Rechtsposition noch vor Erlaß des Planfeststellungsbeschlusses gerichtlich bestätigt zu erhalten oder die Planfeststellungsbehörde noch während des laufenden Planfeststellungsverfahrens zur Übernahme der Rechtsauffassung der Antragsteller gerichtlich zu zwingen. Schon von daher sind im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG bedeutsame rechtliche oder tatsächliche Nachteile der Antragsteller in dem Planfeststellungsverfahren durch die Ablehnung des beantragten Erlasses einer einstweiligen Anordnung nicht erkennbar. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil die Antragsteller davon ausgehen, daß bereits durch die unstreitig gegebene dauernde Betriebseinstellung eine "Entwidmung" des zweiten Gleises stattgefunden habe, so daß dessen Wiederinbetriebnahme Lärmschutzmaßnahmen im Sinne der 16. BImSchV erforderlich mache. Mithin kommt es nach der Rechtsauffassung der Antragsteller für die Frage, ob sie Einwendungen gegen das Vorhaben bzw. gegebenenfalls Klage gegen den Planfeststellungsbeschluß erheben werden, auf das Vorhandensein und den Inhalt der begehrten Unterlagen nicht an. - 8 - 3. Auch hinsichtlich des Hilfsantrages haben die Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Das ergibt sich aus den unter 2 wiedergegebenen Erwägungen. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 159 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 20 Abs. 3 GKG in Verbindung mit § 5 ZPO. Dr. D. Prof. Dr. B. Dr. R. ... comment 0 Kommentare |
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