Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Dienstag, 5. Mai 2015
BSG 11 RAr 71/91 vom 10.12.1991, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: 11 RAr 71/91

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit,

Nürnberg, Regensburger Straße 104,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am

10. Dezember 1992 durch die Richterin Dr. W.
- als Vorsitzende -, die Richter L. und Prof. Dr. B. sowie die ehrenamtlichen
Richter H. und E. für Recht erkannt

:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom

19. Juli 1991 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage als unzulässig

abgewiesen wird.

- 2 -

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu
erstatten.

- 3 -

Gründe:

I

Die Revision betrifft die uneingeschränkte Einsicht in die schriftlichen Vermitt-
lungsvorgänge der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) bei der beklagten
Bundesanstalt (BA).

Der seit 1980 arbeitslose Kläger beantragte 1982 die Vermittlung durch das Büro für
Führungskräfte der Wirtschaft (BFW) bei der ZAV. In der Folgezeit kam es zu zahlreichen
Prozessen, wobei der Kläger unzureichende bzw unzulässige Vermittlungsbemühungen
von Beamten der ZAV rügte. Am 27. Mai 1983 erhob er Klage vor dem Sozialgericht (SG)
Frankfurt/Main - S-1/Ar-404/83 - und verlangte von der BA Auskunft darüber, mit welchen
Unternehmen und mit welchem Vermittlungsziel die Beklagte am 24. Juni 1981,
24. Februar 1982, 1. März 1982 und 10. Mai 1982 über ihn gesprochen habe. Dieses
Verfahren endete im September 1992 mit einem angenommenen Anerkenntnis, mit
welchem die BA sich verpflichtete, das Auskunftsverlangen des Klägers im
Widerspruchsverfahren sachlich zu bescheiden.

Während des Verfahrens vor dem SG Frankfurt/Main - S-1/Ar-404/83 - beantragte der
Kläger Einsicht in die ihn ab 1. Juni 1980 betreffenden Vermittlungsakten der BA. Diese
kam dem Anliegen des Klägers weitgehend nach, beschränkte aber die Akteneinsicht,
indem sie dem Kläger auf der Bewerberangebotskarte (B/Ank) Feld J und in Band II auf
Blatt 72 zur Geheimhaltung personenbezogener Daten Dritter die dort enthaltenen
Firmennamen vorenthielt.

Mit der am 4. Oktober 1983 erhobenen Klage machte der Kläger die uneingeschränkte
Akteneinsicht geltend. Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil SG Frankfurt/Main
vom 2. Dezember 1988; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Juli
1991). Das LSG bewertete ein Schreiben der BA an den Kläger vom 23. September 1983
und den Schriftsatz vom 15. März 1984 als uneingeschränkte Akteneinsicht ablehnende

Verwaltungsakte und die Klageerwiderung vom 8. November 1983 als
Widerspruchsbescheid, verneinte jedoch einen Anspruch auf Akteneinsicht.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die bloße Weigerung
von zwei unbekannt gebliebenen Unternehmen, ihre Namen zu verlautbaren, reiche zur
Beschränkung der Akteneinsicht nicht aus. Vielmehr komme es auf deren berechtigte
Interessen an. Die Offenbarung personenbezogener Daten sei zur Erfüllung sozialer
Aufgaben zulässig. Zu diesen gehörten auch die Pflichtaufgaben der BA. Der
Arbeitsuchende müsse die Möglichkeit haben nachzuprüfen, ob die BA den
Vermittlungsaufgaben im gesetzlichen Rahmen nachgekommen sei. Die Beschränkung

- 4 -

der Akteneinsicht dürfe nicht dazu dienen, vom Kläger wiederholt angekündigte
Amtshaftungsansprüche zunichte zu machen. Hinter diesem Interesse des Klägers hätten
die mit nicht näher konkretisierten "grundsätzlichen Erwägungen" begründeten Interessen
der Unternehmen zurückzutreten. Im übrigen seien die Unternehmen notwendig
beizuladen, weil es auf eine Abwägung der Interessen des Klägers und der Unternehmen
ankomme. Ihre Namen würden damit im Verfahren ohnehin offenbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Juli 1991 und das Urteil
des Sozialgerichts Frankfurt vom 2. Dezember 1988 sowie die Bescheide der
Beklagten vom 23. September 1983, 8. November 1983 und 15. März 1984 zu
ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unbeschränkte, vollständige
Akteneinsicht in die über ihn geführten Verwaltungsakten, insbesondere Band II
Blatt 72 und Bewerberkarteifeld J einschließlich der eingetragenen Firmennamen
zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

II

Im Einverständnis mit den Beteiligten hat der Senat ohne mündliche Verhandlung durch
Urteil entschieden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ).

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg, denn das Urteil des LSG beruht nicht auf
einer ihn beschwerenden Gesetzesverletzung (§ 170 Abs 1 SGG). Die auf vollständige
Akteneinsicht gerichtete Klage ist unzulässig.

Nach § 44a Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) können Rechtsbehelfe gegen
behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung
zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Der Rechtsgedanke dieser
unmittelbar nur im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten geltenden Norm ist auch im
sozialgerichtlichen Verfahren zu beachten. Es handelt sich nämlich um einen
Rechtsgedanken des allgemeinen Verfahrensrechts, das Verwaltungsverfahren nicht
durch die isolierte Anfechtung von einzelnen Verfahrenshandlungen zu verzögern oder zu
erschweren. Das Bundessozialgericht (BSG) hat deshalb § 44a Satz 1 VwGO wiederholt
herangezogen, zumal in § 172 Abs 2 SGG in vergleichbarem Zusammenhang der gleiche

- 5 -

Rechtsgedanke zum Ausdruck gekommen ist (BSG SozR 1500 § 144 Nr 39; BSG SozR
3-1500 § 144 Nr 3 mwN). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.

Die Entscheidung der BA über die Begrenzung der Akteneinsicht ist eine behördliche
Verfahrenshandlung in dem auf Auskunftserteilung gerichteten Verwaltungsverfahren. Die
BA hat über den geltend gemachten Auskunftsanspruch - wie in dem Verfahren vor dem
SG Frankfurt/Main - S-1/Ar-404/83 - von ihr anerkannt - eine rechtsmittelfähige
Entscheidung zu treffen. Auskunftsanspruch und Akteneinsicht sind auf den gleichen
Gegenstand - die Namen von zwei Unternehmen - gerichtet. Auch wenn es sich um
prozeßrechtlich zu unterscheidende Streitgegenstände handelt, stimmt der Klagegrund
beider Verfahren überein. Unabhängig von der Regelung des § 44a Satz 1 VwGO ist
deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis für eine gesonderte Anfechtbarkeit der Entscheidung
über die Beschränkung der Akteneinsicht nicht ersichtlich.

Eine Verletzung des Rechts des Klägers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art 19 Abs 4
Grundgesetz ) ist bei dieser Sach- und Rechtslage nicht zu befürchten (vgl dazu:
BVerfG SozR 3-1300 § 25 Nr 1 = NJW 1991, 415). Der Rechtsschutz des Klägers wäre
wirkungsvoller durchzuführen gewesen, wenn er nicht durch die Gleichzeitigkeit
verschiedener Verfahren mit dem gleichen Ziel behindert worden wäre (vgl auch: BSG
SozR 15OO § 144 Nr 39).

Die Revision des Klägers kann nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

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