Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Mittwoch, 13. Mai 2015
SG R, S 2 KR 264/08 vom 15.04.2010, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 264/08

SOZIALGERICHT REGENSBURG

GERICHTSBESCHEID

in dem Rechtsstreit

- Kläger -

gegen

-Krankenkasse,

- Beklagte -

Die 2, Kammer des SozialgerichtsRegensburg erlässt durch ihre Vorsitzende,
Richterin am Sozialgericht G., am 15. April 2010 ohne mündlliche Verhandlung
folgenden

Gerichtsbescheid

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 – S 2 KR 264/08

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Kostenübernahme für die ihm im Rah-
men der Anpassung von Schuheinlagen und die diesbezüglichen Fahrten zur Firma
Seidl anfallenden Fahrtkosten.

Der am 14.03.1963 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger beantragte
bei dieser mit Schreiben vom 26.06.2008 die Fahrtkosten, die ihm dadurch anfal-
len würden, dass er sich bei der Firma S. Schuheinlagen anpassen müsse.
Mit Bescheid vom 01.07.2008 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung
ab, dass im Rahmen der Hilfsmittelversorgung keine Fahrtkosten i.S. von § 60
SGB V geltend gemacht werden können, da die Hilfsmittelversorgung nicht zu
den privilegierten Leistungen zähle, für die in Ausnahmefällen Fahrtkosten zur
ambulanten Behandlung bezahlt werden könnten.

Daraufhin teilte der Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 05.07.2008 mit, dass
er keine Fahrtkostenerstattung begehre, sondern die Versorgung mit den benö-
tigten und ihm zustehenden Hilfsmitteln. Diesbezüglich würde eine Verpflichtung
der Beklagten bestehen, diese Versorgung sicherzustellen. Es sei nicht zumutbar,
irgendwelche weiteren, das heißt über den Betrag der gesetzlichen Zuzahlung hi-
nausgehenden, direkten oder indirekten Kosten aus eigenen Mitteln zu bestreiten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.208 wies die Beklagte sodann den Widerspruch
des Klägers mit der Begründung zurück, dass keine Fahrtkosten zur Ver-
sorgung mit den Einlagen geleistet werden könnten und ein Ausnahmefall
der Gestalt, dass der Kläger von der Beklagten an einen anderen aber deutlich weiter
entfernten Leistungserbringer verwiesen worden sei, beziehungsweise die Ver-
sorgung mit seltenen Hilfsmitteln begehrt werde, für die es nur wenige Leistungser-
bringer gebe, nicht gegeben sei. Vielmehr seien die verordneten orthopädischen
Schuheinlagen in jedem Sanitätshaus am Wohnort erhältlich. Die Information des
Klägers seitens der Beklagten über das Sanitätshaus S in Regensburg sei nur
deshalb erfolgt, da dieses die entsprechenden Einlagen innerhalb des Festbetra-

- 3 – S 2 KR 264/08

ges zur Verfügung stellen könne.

Dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17.09.2008, beim Sozialgericht Re-
gensburg am 18.09.2008 eingegangen, Klage erhoben. Zur Klagebegründung hat
er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Vorverfahren wiederholt. Der gleich-
zeitig gestellte Prozesskostenhilfeantrag ist seitens des Sozialgerichts Regens-
burg mit Beschluss vom 02.12.2008 und die dagegen gerichtete Beschwerde mit
weiterem Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17.10.2008 zu-
rückgewiesen worden. Mit Schreiben vom 24.02.2010 hat das Gericht die Beteilig-
ten zu der Absicht angehört, den Rechtsstreit per Gerichtsbescheid zu entschei-
den und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 15.03.2010 eingeräumt. Mit -
Schriftsatz vom 06.03.2010 hat der Kläger einen weiteren Klageantrag gestellt.

Der Kläger beantragt:

1)
Die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Versorgung des Klägers mit
dem begehrten Hilfsmittel jetzt und in Zukunft in vollem Um-
fang der tatsächlichen unvermeidlichen Kosten abzüglich der Zuzahlung
des Klägers nach den §§ 61 und 62 SGB V zu übernehmen oder nach Wahl
der Beklagten eine entsprechende Sachleistung für den Kläger bereitzustel-
len.

2) (mit Schriftsatz vom 06.03.2010)
Die Klage dahingehend zu erweitern, die Beklagte zu verurteilen, in Zukunft
die bis auf die gesetzliche Zuzahlung vollständige Versorgung für sämtliche
vom Kläger benötigte, dem Grundsatz nach von der Beklagten zu stellen-
den Hilfsmittel zu tragen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Bezüglich des Klageantrags zu 2) (erklärt mit Schriftsatz vom 06.03.2010) ist bei
Gericht keine weitere Stellungnahme der Beklagten eingegangen.

- 4 – S 2 KR 264/08

Das Gericht hat die Akte der Beklagten beigezogen, auf deren Inhalt sowie auf
den Inhalt der streitgegenständlichen Gerichtsakte im Übrigen zur Ergänzung des
Tatbestandes Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschei-
den, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher hier-
zu gehört wurden (vgl. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die Klage ist im Klageantrag zu 1) zulässig. Auch wenn der Kläger mit seinem
Klageantrag zu 1) die Übernahme der im Rahmen der Hilfsmittelanpassung
mit dem „begehrten orthopädischen Hilfsmittel“ anfallenden Kosten begehrt, so ist
dieser Klageantrag nicht zu unbestimmt, da sich aus dem gesamten Vorbringen
des Klägers und dem Aktenmaterial entnehmen lässt, dass es dabei um die zu-
sätzlichen durch die Hilfsmittelanpassung entstehenden Kosten geht, die nur die
Fahrkosten zum Sanitätshaus darstellen – nachdem die Beklagte unstreitig die
Schuheinlagen selbst und die diesbezügliche Anpassung nicht verweigert.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 01.07.2008
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.09.2008 ist rechtmäßig, da die
Beklagte die dem Kläger im Rahmen der Anpassung von Schuheinlagen
und durch die diesbezügliche Fahrt zum Sanitätshaus S entstehenden Fahrt-
kosten abgelehnt hat.
Wie die Beklagte richtig ausgeführt hat, kommt eine Übernahme der Fahrkosten
(im vorliegenden Fall) gemäß §60 Abs. 1 S.3 SGB V nur im Falle ambulanter Be-

- 5 – S 2 KR 264/08

handlungen in Betracht, um eine solche handelt es sich bei der Anpassung von
Schuheinlagen in einem Sanitätshaus jedoch gerade nicht, Das Gericht sieht da-
insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidunggründe gemäß § 
136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz ab, da es der Begründung des Widerspruchsbe
scheides in vollem Umfang folgt.

Bezüglich des durch den Kläger mit Schriftsatz vom 06.03.2010 gestellten Klage-
antrags zu 2) handelt es sich entgegen den Ausführungen des Klägers um eine
Klageänderung, da nicht lediglich eine Erweiterung des Klageantrags ohne Ände-
rung des Klagegrundes vorliegt, sondern nunmehr mit dieser Klageänderung eine
gänzlich neue Leistung, nämlich „die Beklagte zu verurteilen , in Zukunft (...) voll-
ständige Versorgung für sämtliche vom Kläger benötigte, dem Grundsatz nach
von der Beklagten zu stellende Hilfsmittel zu tragen“. Nachdem die Beklagte noch
nicht Gelegenheit hatte über diesen Antrag zu entscheiden, ferner keine Einwilli-
gung seitens der Beklagten gemäß § 99 Abs. 1 SGG vorliegt und das Gericht die
Änderung auch nicht für sachdienlich hält, ist die mit dem Klageantrag zu 2) erklär-
te Klageänderung nicht zulässig. Klarstellend sei jedoch lediglich ausgeführt, dass
aufgrund der durch die Beklagte bereits mit Widerspruchsbescheid vom
04.09.2008 getätigten und nach Ansicht des Gerichts richtigen Rechtsauffassung
ein entsprechender Antrag bei der Beklagten abgelehnt werden müsste, da das
Gesetz gemäß § 60 SGB V Fahrtkosten nur in eingeschränkten Ausnahmefällen
vorsieht, zu denen unter anderem die Fahrtkosten zu einer ambulanten Behand-
lung fallen können; eine Übernahme der Fahrtkosten zur Hilfsmittelversorgung
sieht der Gesetzgeber jedoch gerade nicht vor, so dass ein entsprechender Antrag
des Klägers bei der Beklagten abgelehnt werden müsste. Darüber hinaus ist dem
Gericht auch nicht erkennbar, das die Beklagte sich weigern würde, den
Kläger mit den notwendigen Hilfsmittel zu versorgen.

Die Klage ist daher vollumfänglich abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der
Sache.

- 6 – S 2 KR 264/08

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayer. Lan-
dessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landes-
sozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Re-
gensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten An-
trag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel ange-
ben.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteilig-
ten beigefügt werden.

G
Richterin am Sozialgericht

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

1 2 3 4 5 6

L 5 KR 131/10

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SG R, S 2 KR 264/08 vom 02.12.2008, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 264/08

SOZIALGERICHT REGENSBURG

In dem Rechtsstreit

- Kläger -

gegen

Krankenkasse,

- Beklagte -

erlässt der Vorsitzende der 2. Kammer, Vizepräsident des Sozialgerichts H. ,

ohne mündliche Verhandlung am 2. Dezember 2008 folgenden

Beschluss:

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

- 2 - S 2 KR 264/08

Gründe:

Der Kläger verlangt von der Beklagten den Ersatz von Fahrtkosten, die ihm von
einem von ihm besuchten Dialysezentrum in Regensburg einmalig zu einem etwas
weiter entfernten Orthopädlefachgeschäft in Regensburg entstanden sind; nach
Berechnung der Beklagten handelt es sich hier um einen Betrag von 1,00 EUR.

Mit Bescheid vom 01.07.2008 lehnte die Beklagte die Erstattung ab, da keine Vor-
aussetzungen, die nach dem SGB V die Krankenkasse zur Erstattung von Fahrt-
kosten verpflichten, vorgelegen habe. Hiergegen erhob der Kläger am 05.07.2008
Widerspruch mit der Begründung, er habe von der Beklagten keine Fahrtkostener-
stattung gefordert, sondern lediglich, dass die Beklagte ihn mit den notwendigen
Hilfsmitteln versorge, hierzu gehörten auch die bei der Versorgung entstandenen
Fahrtkosten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2008 wies die Beklagte den Widerspruch
als unbegründet zurück, da im Falle des Klägers keiner der im Gesetz genannten
Tatbestände, die eine Kostenübernahme erlaubten, vorliege.

Hiergegen erhob der Kläger am 07.09.2008 Klage mit dem Antrag,
die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Versorgung des Klägers mit dem be-
gehrten orthopädischen Hilfsmittel jetzt und in Zukunft in vollem Umfang der tat-
sächlichen unvermeidlichen Kosten abzüglich der Zuzahlung des Klägers zu über-
nehmen oder nach Wahl der Beklagten eine entsprechende Sachleistung für den
Kläger bereit zu stellen. Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen ausführ-
lich das Vorbringen aus den Vorverfahren.

- 3 - S 2 KR 264/08

Mit dem Klageschriftsatz beantragte der Kläger Prozesskostenhilfe nach
§ 114 ZPO.

Dieser Antrag ist abzulehnen. Nach § 73 a Abs.1 SGG i.V.m. § 114 ZPO erhält
eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die
Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann,
auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig er—
scheint.

Angesichts des Umstandes, dass es im vorliegenden Fall lediglich um einen
Streitwert von 1,00 EUR geht, bzw.‚ bei Austausch des orthopädischen Hilfsmit-
tels, allenfalls jedes Jahr 1,00 EUR als Streitwert anfallen würde, erscheint die
Rechtsverfolgung durch den Kläger mutwillig. Nach Meyer-Ladewig, Kommentar
zum SGG, Anm.8 zu § 73 a erscheint eine Rechtsverfolgung mutwillig z.B. dann,
wenn ein verständiger anderer Beteiligter, der für die Kosten selbst aufkommen
muss, diesen Prozess nicht führen würde. Darüber hinaus bestehen nach Ansicht
des Gerichtes auch keine Erfolgsaussichten für den Kläger. Die Beklagte hat § 60
SGB V zutreffend geprüft und festgestellt, dass keiner der darin geregelten Tatbe-
stände eine Fahrtkostenübernahme ermöglichten, zur weiteren Begründung wird
Bezug genommen auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides
(§ 136 Abs.3 SGG).

Soweit der Kläger vorbringt, er begehre keine Fahrtkostenerstattung i.S. des § 60
SGB V, vielmehr seien die angefallenen Fahrtkosten ihm als Nebenleistung zur
Versorgung mit dem orthopädischen Hilfsmittel zu gewähren, führt dies nicht dazu,
dass eine Erfolgsaussicht zu bejahen wäre. Angesichts des Umstandes, dass der
Gesetzgeber den jetzigen § 60 SGB V hinsichtlich der Fahrtkosten sehr restriktiv
ausgestaltet hat, kann es nicht angehen, die in ä 60 SGB V nicht genannten Fahrt-

- 4 - S 2 KR 264/08

kosten nun von der Krankenkasse als „Nebenleistung“ zu anderweitigen Versor-
gung einzufordern.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist daher wegen Mutwilligkeit
und fehlender Erfolglosigkeit abzulehnen.

- 5 - S 2 KR 264/08

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist gemäß §§ 73a, 172 Abs.1 SGG iVm § 127 Abs.2 Satz
2 ZPO Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Beschwerde ist
binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Re-
gensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder zur Nieder-
schrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist
beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der
Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt,
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstel-
le eingelegt wird.

Der Vorsitzende der 2. Kammer

H

Vizepräsident des Sozialgerichts
/ Be.

Ausgefertigt - Beglaubigt

Sozialgericht Regensburg

als Urkundsbeamter der Geschäfts—
stelle

Faksimile 1 2 3 4 5

L 5 KR 9/09 B PKH
L 5 KR 377/09 B PKH RG


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SG R, S 2 KR 284/08 vom 18.02.2010, Sozialgericht Regensburg
S 2 KR 284/08

SOZIALGERICHT REGENSBURG
GERICHTSBESCHEID

in dem Rechtsstreit

- Kläger -

gegen

-Krankenkasse, ‚
- Beklagte — .

Die 2. Kammer des Sozialgerichts Regensburg erlässt durch ihre Vorsitzende, Richterin
am Sozialgericht G, am 18. Februar 2010 ohne mündliche Verhandlung folgenden

Gerichtsbescheid:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 - S 2 KR 284/08

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger von der Beklagten die Erstat-
tung bzw. Übernahme von Parkkosten für die Vergangenheit und für die Zukunft

verlangen kann.

Mit Schreiben vom 08.03.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Über-
nahme von im Februar und März 2008 angefallenen Parkkosten. Diese Parkkos-
ten sind ihm im Rahmen einer ambulanten Behandlung im Uniklinikum Regens—
burg entstanden und weisen einen Gesamtbetrag von 9,00 € auf.

Mit Bescheid vom 18.03.2008 übernahm die Beklagte die angefallenen Fahrtkos-
ten in diesbezüglicher Höhe von 37,20 € und lehnte zugleich die geltend gemach-
ten Parkgebühren mit der Begründung ab, dass Parkgebühren nicht erstattet wer—
den könnten.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 16.05.2008 insoweit Widerspruch
ein, als ihm seine Parkkosten nicht erstattet worden sind. Zur Begründung führte
er aus, dass er Sozialhilfeempfänger sei, der Beklagten eine Taxifahrt wesentlich
teurer käme und im Übrigen im Bereich des Uniklinikums Regensburg keine bzw.
kaum kostenlose Parkplätze vorhanden seien. Darüber hinaus beantragte er vor—
läufige Leistungserbringung gemäß § 43 SGB l sowie Vorschusszahlung gemäß
§ 42 SGB I. Mit Schreiben vom 29.05.2008 (wiederholende Verfügung) lehnte die
Beklagte erneut die geltend gemachten Parkkosten ab, da als Fahrtkosten aus-
schließlich die reinen Beförderungskosten erstattet werden könnten.

Dagegen legte der Kläger erneut mit Schriftsatz vom 03.06.2008 Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2008 wies die Beklagte den Widerspruch -
mit der Begründung zurück, dass die zu Grunde liegende gesetzliche Regelung
verbindlich sei und der Beklagten kein Ermessenspielraum eingeräumt werde, zu-
dem würden für eine Taxifahrt andere Indikationen gefordert, darüber hinaus gäbe

— 3 - S 2 KR 284/08

es keine Verrechnung ersparter Aufwendungen.

Dagegen hat der Kläger mit Schreiben vom 08.10.2008, beim Sozialgericht Re—
gensburg am 10.10.2008 eingegangen, Klage erhoben. Zur Begründung hat er
vorgetragen, dass die geltend gemachten Parkkosten unter die Fahrtkosten zu
subsumieren seien. Darüber hinaus ergebe sich ein entsprechender Anspruch
auch aus §§ 2,, 12, 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 5 13 III, § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 und 6, § 11
Abs. 1 Nr. 2 und 3 und § 20 SGB V. Ferner sei die Beklagte zur Weiterleitung des
Antrags nach § 16 SGB l verpflichtet gewesen bzw. zur vorläufigen Leistungsbrin—
gung nach § 43 SGB I.

Der seitens des Klägers mit Klageeinlegung ebenfalls gestellte Antrag auf Pro—
zesskostenhilfe wurde mittels Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom
09.09.2009 abgelehnt und die dagegen eingelegte Beschwerde durch das Bayeri-
sche Landessozialgericht mit Beschluss vom 09.11.2009 zurückgewiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
18.03.2008 in der Gestalt des Bescheides vom 29.05.2008
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2008
zu verurteilen, die Parkkosten des Klägers in der sich aus
den vorgelegten Belegen ergebenden Höhe sowie
entsprechend für die Zukunft bei allen Fällen ambulanter,

voll-, teil-, vor— und nachstationärer Behandlung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung des Klageabweisungsantrags hat sie ausgeführt, dass die gel-
tend gemachten Parkgebühren nicht Teil der ärztlichen Versorgung seien. Eine
Zuständigkeit anderer Leistungsträger im Rahmen von Fahrtkostenerstattung zur
ambulanten Behandlung sei nicht gegeben, weswegen eine Weiterleitung nach
§ 16 SGB l und eine vorläufige Leistungserbringung nach § 43 SGB I ausscheiden
würde.

— 4 - S 2 KR 284/08

Mit Schriftsatz vom 25.11.2009 hat das Gericht die Beteiligten zu der Absicht an-
gehört, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu
entscheiden und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11.12.2009 eingeräumt.

Das Gericht hat die Beklagtenakte, sowie die Schwerbehindertenakten des Klä—
gers vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ferner die Akten des Sozialge—
richts Regensburg S 2 KR 296/08, S 2 KR 379/08, S 2 KR 175/09 und S 2 KR
264/08 beigezogen, auf deren Inhalt im Übrigen ergänzend Bezug genommen
wird.

Entscheidungsgründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschei—
den, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher hier-
zu gehört wurden (vgl. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Entgegen der Auffassung des Klägers weist die Sache auch keine Schwierigkeiten
rechtlicher oder tatsächlicher Art auf, da die gesetzgeberische Entscheidung inso-
weit klar, eindeutig und widerspruchsfrei ist (siehe unten).

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom
18.03.2008 in der Gestalt des Bescheides vom 29.05.2008 in der Gestalt des Wi-
derspruchsbescheides vom 04.09.2008 ist rechtmäßig, da die Beklagte zu Recht
die begehrten Parkkosten sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft
abgelehnt hat.

Nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Abs. 2 und 3
die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 (Fahrkosten),
wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingen—
den medizinischen Gründen notwendig sind.

— 5 — S 2 KR 284/08

Schon aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 S. 1 und der diesbezüglichen Legaldefi-
nition ergibt sich eindeutig, dass von der Krankenkasse ausschließlich die Kosten
für "Fahrten" zu übernehmen sind. Eine Übernahme der begehrten Parkkosten
bzw. Parkgebühren scheidet daher schon nach dem eindeutigen Wortlaut der An-
spruchsnorm aus.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf Übernahme der geltend
gemachten Kosten auf §§ 2, 11, 12, 27 und 20 SGB V stützen will, kommt eine
entsprechende Übernahme auch insoweit nicht in Betracht, da es sich bei den ge—
nannten Paragraphen nicht um Anspruchsgrundlagen handelt, aus denen ein ent—
sprechender Anspruch auf Übernahme der Parkkosten hergeleitet werden könnte.
Anspruchsgrundlage für die Übernahme von Fahrtkosten im Rahmen von ambu—
lanten Behandlungen ist einzig § 60 SGB V, der ausweislich seines eindeutigen
Wortlautes keine Übernahme von Parkgebühren beinhaltet (siehe oben).

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf § 43 Abs. 1 S. 2 SGB l
stützt, ist ein entsprechender Anspruch auf "Sozialleistungen" weder gegen die
Beklagte noch gegen einen sonstigen Leistungsträger gegeben. Was in dem Zu—
sammenhang unter Sozialleistungen zu verstehen ist, lässt sich aus § 11, §§ 18 ff
SGB I entnehmen. Wie die Beklagte richtig ausgeführt hat, ist für die im Rahmen
der Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung anfallenden Fahrtkosten die Kran—
kenkasse der zuständige Leistungsträger. Ein entsprechender Anspruch lässt sich
einzig auf § 60 SGB V stützen. Die diesbezüglichen Voraussetzungen liegen nach
dem oben Gesagten nicht vor.

Aus diesem Grund bedurfte es auch keiner Weiterleitung nach § 16 Abs. 2 SGB I.

Soweit der Kläger einen entsprechenden Anspruch auf Übernahme der Parkge-
bühren aus § 13 Abs. 3 SGB V herleitet, ergibt sich nichts anderes, da diese Norm
lediglich als Surrogat für den nicht mehr oder nicht zu erfüllenden Sachleistungs-‘
anspruch geschaffen wurde; ein entsprechender Anspruch auf Sachleistung (das
heißt Übernahme der anfallenden Parkkosten) steht dem Kläger nach dem oben
Gesagten gerade nicht zu.

- 6 - S 2 KR 284/08

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der
Sache.

— 7 - S 2 KR 284/08

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Bayer. Lan-
dessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landes-
sozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Re-
gensburg, Safferlingstraße 23, 93053 Regensburg, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift soll den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten An-
trag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel ange-
ben.

Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteilig—
ten beigefügt werden.

G
Richterin am Sozialgericht

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

Faksimile 1 2 3 4 5 6 7

L 5 KR 131/10

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SG KS, S 6 AS 572/13 vom 28.08.2013, Sozialgericht Kassel
Sozialgericht Kassel Anonymisierung

Az.: S 6 AS 572/13 (zuvor S 6 AS 641/11)

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

Kläger,

gegen

Jobcenter Werra-Meißner-Kreis vertreten durch den/die Geschäftsführer/in,

Fuldaer Straße 6, 37269 Eschwege,

Beklagter,

hat die 6. Kammer des Sozialgerichts Kassel auf die mündliche Verhandlung vom
28. August 2013 durch den Richter am Sozialgericht Dr. Mushoff als Vorsitzenden sowie
die ehrenamtlichen Richter Ackermann und Longobardi für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

- 2 -

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistung
nach dem SGB II im Zeitraum vom 01.06.2011 bis 30.11.2011.

Der Kläger war im Streitzeitraum Mitglied einer dreiköpfigen Bedarfsgemeinschaft beste-
hend aus dem Kläger, seiner am 22.05.1963 geborenen damaligen Ehefrau und seiner
am 15.03.1994 geborenen Tochter.

Der Kläger stellte am 18.04.2011 gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Bedarfs-
gemeinschaft einen Weiterbewilligungsantrag nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 03.05.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger und den anderen Mit-
gliedern der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom
01.06.2011 bis 30.11.2011. Hierbei legte der Beklagte für den Kläger und seine Ehefrau
jeweils eine Regelleistung in Höhe von 328 € und für die Tochter einen Regelbedarf in
Höhe von 287 € zu Grunde (Bl. 802 Verwaltungsakte).

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 16.05.2011 Widerspruch ein. Der Leis-
tungsbescheid sei verfassungswidrig. Die Regelsätze seien nicht unter hinreichender
Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom
09.02.2010 (1 BvR 1/09) zustande gekommen. Der Diplom-Kaufmann Rüdiger Böker aus
Osnabrück habe mit dem Datum vom 18.11.2010 für den Ausschuss für Arbeit und So-
ziales des Deutschen Bundestages anhand der Vorgaben des Bundesverfassungsge-
richts ein Gutachten erstellt. Diese Böker-Stellungnahme sei als eigenständige Bundes-
tagsdrucksache veröffentlich worden. Man mache sich diese Stellungnahme zu Eigen
und beantrage für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft eine Regelleistung von min-
destens 594 € (Bl. 806 ff. Verwaltungsakte).

Diesem Schriftsatz war eine Zusammenfassung des Gutachtens von Herrn Böker mit
Informationsstand vom 22.11.2010 beigefügt, auf die Bezug genommen wird (Bl. 812 ff.
Verwaltungsakte).

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als un-
begründet zurück (Bl. 819 ff. Verwaltungsakte). Die ab 01.06.2011 festgesetzten monatli-
chen Regelbedarfe von jeweils 328 € für den Kläger und seine damalige Ehefrau sowie in
Höhe von 287 € für die Tochter J seien auf der Grundlage des am 29.03.2011 ver-

- 3 -



kündeten Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und

des SGB XII vom 24.03.2011 zustande gekommen. Der Beklagte sei nach Art. 20 Abs. 3

Grundgesetz (GG) an Recht und Gesetz gebunden und könne daher keine höheren Re-

gelsätze festlegen. Die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungs-

widrigkeit der Regelleistung bleibe dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten (BI. 819 f.

Verwaltungsakte).



Am 17.06.2011 hat der Kläger gegen den Bescheid vom 03.05.2011 in der Fassung des

Widerspruchsbescheids vom 17.05.2011 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben. Man

begehre für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft jeweils einen Regelsatz in Höhe von

monatlich 594 €. Die für den Leistungszeitraum vom 01.06.2011 bis 30.11.2011 bewillig-

ten Grundsicherungsleistungen entsprächen zwar hinsichtlich der Höhe des bewilligten

Regelsatzes der aktuell gültigen Rechtslage, jedoch sei auch der neue Regelsatz verfas-

sungswidrig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Klageschrift Bezug genommen.



Der Klageschrift waren das Gutachten von Herrn Böker mit Stand 17.11.2010 und weite-

re Unterlagen beigefügt. Hierauf wird Bezug genommen.



Mit Schriftsätzen vom 20.08.2013 (Bl. 157 Gerichtsakte) und vom 23.08.2013 (Bl. 159a

Gerichtsakte) haben die ehemalige Ehefrau und Tochter des Klägers die Klage zurück-

genommen.



Der Kläger beantragt sinngemäß,



den Bescheid vom 03.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom

17.05.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm im Zeitraum vom

01.06.2011 bis 30.11.2011 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung

einer monatlichen Regelleistung von 594 € zu gewähren.



Der Beklagte beantragt,



die Klage abzuweisen.



Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die

Gerichtsakte Bezug genommen.



- 4 -



Entscheidungsgründe



Die Klage hat keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet.



1. Der Kläger hat zunächst aus einfachem Recht keinen Anspruch auf eine höhere Re-

gelleistung. Die vom Beklagten bewilligten SGB II-Leistungen im Zeitraum vom

01.06.2011 bis 30.11.2011 entsprechen der Höhe nach den gesetzlichen Vorgaben des

§ 20 Abs. 4 SGB II.



2. Die Kammer ist weiterhin nicht davon überzeugt, dass die gesetzlich vorgegebene Hö-

he der Regelleistung in Höhe von 328 €, die nach § 20 Abs. 4 SGB II für den Kläger im

Streitzeitraum maßgebend ist, verfassungswidrig ist.



Es bestand für die Kammer kein Anlass, das Verfahren nach Art 100 Abs 1 S 1 Grundge-

setz (GG) auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG zur Vereinbarkeit von § 19

Abs 1 S 1, § 20 Abs 1 und Abs 2 S 1 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-

ÄndG mit Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG einzuholen.



a) Das vom Kläger überreichte Gutachten von Herrn Böker aus November 2010 ist kein

hinreichendes Argument gegen die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistung im

Streitzeitraum. Das Gutachten geht von einer Verfassungswidrigkeit der Regelsätze aus

und kommt zu angemessenen Regelsätzen von 594 €. Dazu ist zu sagen, dass das Bun-

desverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) davon

ausgegangen ist, dass die Regelsätze nach altem Recht bis einschließlich Dez. 2010

nicht evident zu niedrig seien. Wenn Herr Böker bereits in November 2010 zu niedrige

Regelsätze annimmt, ignoriert er die Einschätzung des BVerfG. Auch kannte Herr Böker

in seinem Gutachten aus November 2010 noch nicht die Wertungen, die der Gesetzge-

ber bei der Bestimmung der Höhe der Regelsätze im März 2011 mit Inkrafttreten des Ge-

setzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften

Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 rückwirkend zum 01.01.2011 getroffen hat.



b) Beide Senate des Bundessozialgerichts (BSG), die für die Grundsicherung für Arbeits-

suchende nach dem SGB II zuständig sind, gehen davon aus, dass die Regelsätze für

Alleinstehende (vgl. BSG, Urteil v. 12.07.2012, B 14 AS 154/11 R, juris), aber auch für

Familien mit mindestens einem Kind verfassungsgemäß sind, wobei das BSG in seiner

Entscheidung vom 28.03.2013 (B 4 AS 12/12 R) die Konstellation entschieden hatte,

dass zwei Erwachsene Hilfebedürftige mit einem Kind im Alter von unter zwei Jahren zu-



- 5 -



sammen leben.



Im Streitzeitraum lebte der Kläger aber mit seiner damaligen Ehefrau und einem älteren

Kind zusammen. Allerdings haben die damalige Ehefrau des Klägers und seine Tochter

die Klage zurückgenommen, so dass von der Kammer nur noch zu entscheiden war, ob

eine Regelleistung von 328 € für einen Erwachsenen, der in einer Bedarfsgemeinschaft

mit einem anderen Erwachsenen und einem Kind lebt, verfassungsgemäß ist. Das Ge-

richt muss sich also nicht mit der vom Bundessozialgericht bislang noch nicht entschie-

denen Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob die Regelleistung für die Tochter des Klä-

gers in Höhe von 287 € verfassungsgemäß ist. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelleis-

tung für eine Person, die mit einem anderen Erwachsenen und einem Kind zusammen

wohnt, in Höhe von 328 € hat das BSG in seinem Urteil vom 28.03.2013 aus folgenden

Gründen bejaht (Rn. 20 ff.):



„Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Prüfung ist wegen des Gestaltungsspiel-

raums des Gesetzgebers eine zurückhaltende materielle Kontrolle der einfachge-

setzlichen Regelung dahingehend, ob die Leistungen evident unzureichend sind.

Da eine Ergebniskontrolle am Maßstab des Grundrechts auf Gewährung eines

menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG) nur be-

grenzt möglich ist, muss jenseits der Evidenzkontrolle überprüft werden, ob die

Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungs-

verfahren zu rechtfertigen sind (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua -

BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 = BGBI l 2010, 193, RdNr 141 ff, im

Weiteren BVerfG aaO).



a) Der Regelbedarf der Kläger zu 1 und 2 leitet sich nach § 20 Abs 4 SGB II in der

Fassung des RBEG/SGB ll/SGB Xll-ÄndG iVm § 8 Abs 1 Nr 2 RBEG von dem ei-

nes Alleinstehenden in einem Einpersonenhaushalt ab. Der Regelbedarf eines

solchen alleinstehenden Erwachsenen ist durch das RBEG/SGB ll/SGB Xll-ÄndG

nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden. Der erkennende

Senat schließt sich insoweit dem 14. Senat des BSG an, der dies im Juli 2012 in

zwei Entscheidungen im Einzelnen dargelegt hat (SozR 4-4200 § 20 Nr 17 RdNr

19 ff; vom 12.7.2012 - B 14 AS 189/11 R - RdNr 14). Das BVerfG hat die Verfas-

sungsbeschwerden gegen die benannten Urteile nicht zur Entscheidung ange-

nommen (BVerfG Beschluss vom 20.11.2012 - 1 BvR 2203/12 - unveröffentlicht;

BVerfG Beschluss vom 27.12.2012 - 1 BvR 2471/12 - unveröffentlicht; zur Bedeu-

tung dessen s Rixen, SozSich 2013, 73 ff).



- 6 -



Der Gesetzgeber hat insoweit den ihm zugewiesenen Auftrag, das Grundrecht auf

ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten, erfüllt. Der 14. Senat

hat hierzu ausgeführt, dass bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Neu-

ermittlung der Regelbedarfe der Entscheidungsprozess des Gesetzgebers bei der

Neuordnung der §§ 28 ff SGB XII auf die Bemessung des Regelbedarfs in § 20

Abs 2 S 1 SGB II in der Fassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG zu übertragen

sei. Der Gesetzgeber habe den Umfang des konkreten gesetzlichen Anspruchs

auch in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt, das den

Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 9.2.2010 (BVerfGE, aaO) nach realitätsge-

rechten sowie nachvollziehbaren Festsetzungen auf der Grundlage verlässlicher

Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren entspreche. Dabei habe sich der

Gesetzgeber des vom BVerfG gebilligten Statistikmodells bedienen können. In-

nerhalb dieses Ansatzes habe er, ausgehend von der Einkommens- und Ver-

brauchsstichprobe (EVS) 2008, die Referenzgruppe anhand der unteren Einkom-

mensgruppen bestimmt, ohne seinen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum zu

überschreiten.



Dies gilt auch, soweit in der Literatur vorgebracht wird, der Gesetzgeber sei sei-

nem Auftrag, auch die "versteckt Armen" aus der Regelbedarfsberechnung aus-

zunehmen, nicht hinreichend nachgekommen (s nur Irene Becker, SozSich, Son-

derheft September 2011, 20 ff). Es" überzeugt den Senat nicht, wenn unter Be-

zugnahme auf die Entscheidung des BVerfG deswegen die Höhe des Regelbe-

darfs als nicht mit Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG vereinbar bewertet wird (so

Münder, SozSich Sonderheft September 2011, 70 ff). Das BVerfG hatte den Ver-

zicht auf eine Schätzung des Anteils der "verdeckt Armen" durch den Gesetzge-

ber in Ermangelung hinreichend sicherer empirischer Grundlagen durch die EVS

2003 für die Vergangenheit für vertretbar gehalten (BVerfG aaO, RdNr 169). An

dem Mangel der Möglichkeit, methodisch unzweifelhaft und ohne Setzungen die

"verdeckt Armen" aus den Referenzhaushalten auszuschließen, hat sich auch bei

der Auswertung der EVS 2008 nichts geändert. Dies gilt zumindest für den hier

zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen. Durch diesen wird der Gestaltungs-

spielraum des Gesetzgebers mitbestimmt. Aufgrund der an den Gesetzgeber ge-

richteten Umsetzungsverpflichtung der Entscheidung des BVerfG bis zum

31.12.2010 (BVerfGE aaO, RdNr 216) stand ein Zeitraum von nicht einmal einem

Jahr für die Neufestsetzung der Regelbedarfe zur Verfügung und die Ergebnisse

der EVS 2008 lagen erst im Herbst 2010 vollständig vor. In der Begründung zum



- 7 -



RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG wird daher eine Korrektur der Referenzgruppen um

die "verdeckt Armen" ua mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der vielgestal-

tigkeit der Einkünfte von Haushalten hätte eine Einzelfallauswertung der Haushal-

te erfolgen müssen. Diese wäre jedoch weder durch die Wissenschaft noch durch

das Statistische Bundesamt zu leisten gewesen (BT-Drucks 17/3404, S 88). Auch

insoweit wird zwar in der Literatur Kritik angebracht, insbesondere an dem über

"das Notwendige hinausgehende Anforderungsprofil" des Gesetzgebers. Dadurch

würden die Grenzen des Datensatzes der EVS zwangsläufig erreicht. Es werden

daher Vorschläge zur methodischen Identifizierung der "verdeckten Armut" ge-

macht (s zusammenfassend Irene Becker, SozSich, Sonderheft September 2011,

24), die einen weniger großen Genauigkeitsgrad aufweisen (lrene Becker, Soz-

Sich, Sonderheft September 2011, 22). Ob der Gesetzgeber sich jedoch ent-

schließt, angesichts der Vorgaben des BVerfG derartige offene "Ungenauigkeiten"

in seine Berechnung einzubeziehen, muss seiner Entscheidung im Rahmen sei-

nes Gestaltungsspielraums vorbehalten bleiben. Hierbei ist auch zu berücksichti-

gen, dass es sich bei den Vorschlägen um wissenschaftlich noch nicht abschlie-

ßend diskutierte Ansätze handelt, ein sachgerechtes Verfahren zu entwickeln o-

der weiterzuentwickeln, um so eine statistisch zuverlässig über der Sozialhilfe-

schwelle liegende Referenzgruppe zu ermitteln (lrene Becker, SozSich, Sonder-

heft September 2011, 21). Dies ändert allerdings nichts daran, dass der Gesetz-

geber bei der Auswertung der EVS 2013 der ihm vom BVerfG auferlegten Pflicht

zur Fortentwicklung des Bedarfsermittlungssystems nachkommen muss und da-

rauf zu achten haben wird, dass Haushalte, deren Nettoeinkommen unter dem Ni-

veau der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von SGB II und SGB XII

liegt, aus der Referenzgruppe ausgeschieden werden (BVerfGE, aaO, RdNr 169).

Dies hat der Gesetzgeber jedoch auch selbst erkannt. Er hat in § 10 Abs 1 iVm §

10 Abs 2 Nr 1 RBEG eine Verpflichtung des Bundesministeriums für Arbeit und

Soziales (BMAS) bestimmt, dem Bundestag ua für die Weiterentwicklung der Me-

thoden zur Abgrenzung der Referenzhaushalte nach § 3 Abs 1 RBEG hinsichtlich

der Bestimmung von Haushalten der EVS Vorschläge zu unterbreiten, die nicht

als Referenzhaushalte zu berücksichtigen sind, weil deren eigene Mittel nicht zur

Deckung des jeweils zu unterstellenden Bedarfs nach dem SGB ll und SGB Xll

ausreichen.



Der erkennende Senat ist ebenso wie der 14. Senat des BSG ferner davon über-

zeugt, dass die im Rahmen des Statistikmodells begründete Herausnahme ein-

zelner Positionen durch den Gesetzgeber nicht zu beanstanden ist. Er folgt dem



- 8 -



14. Senat, wenn dieser ausführt, die regelbedarfsrelevanten Ausgabenpositionen

und -beträge seien so bestimmt, dass ein interner Ausgleich möglich bleibe. Auch

bei der Kennzeichnung einzelner Verbrauchspositionen als bedarfsrelevant und

dem Ausschluss bzw der Kürzung anderer Verbrauchspositionen hat der Gesetz-

geber seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Zutreffend hat er sich

schließlich bei der Regelung eines Fortschreibungsmechanismus an seiner Ent-

scheidung für das Statistikmodell orientiert. Um Wiederholungen zu vermeiden

sieht der erkennende Senat von einer Darstellung der Ausführungen im Einzelnen

ab.



b) Die Festsetzung eines - im Vergleich zu alleinstehenden Erwachsenen - niedri-

geren Regelbedarfs für die Kläger zu 1 und zu 2 gemäß § 20 Abs 4 SGB II in der

Fassung des RBEG/SGB ll/SGB Xll-ÄndG‚ § 8 Abs 1 Nr 2 RBEG aufgrund des

Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft - hier: aufgrund einer Ehe zwischen dem

Kläger zu -1 und der Klägerin zu 2 - ist ebenso wenig verfassungswidrigDer Ge-

setzgeber durfte davon ausgehen, dass durch das gemeinsame Wirtschaften

Aufwendungen erspart werden und deshalb zwei zusammenlebende Partner ei-

nen finanziellen Mindestbedarf haben, der unter dem Doppelten des Bedarfs ei-

nes Alleinwirtschaftenden liegt. Da aufgrund des Zusammenlebens anzunehmen

ist, dass beide Partner "aus einem Topf’ wirtschaften, ist es auch nicht zu bean-

standen, dass der Gesetzgeber für beide Partner einen gleich hohen Bedarf in

Ansatz bringt (vgl BVerfG, aaO, RdNr 154; s auch Kohte in Kreike-

bohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Aufl 2011, § 20

SGB II RdNr 54).



c) Auch soweit es den Regelbedarf für zwei zusammenlebende Erwachsene be-

trifft, in deren Haushalt mindestens ein Kind lebt, kann nicht angenommen wer-

den, dass dieser evident zu niedrig bestimmt worden ist, obwohl der Bedarf der

beiden Erwachsenen nur auf einer Ableitung dessen von einem alleinstehenden

Erwachsenen beruht. Eine gesonderte Bedarfserhebung ist insoweit nicht erfolgt.

Die Sonderauswertung "Paarhaushalt mit einem Kind" diente nur dazu, die "Kin-

derausgaben" in diesem Paarhaushalt zu bestimmen (BT-Drucks 17/3404, S 64 f).

Zwar mangelt es an einer näheren Begründung für die konkrete Bemessung des

grundsicherungsrechtlich relevanten Bedarfs für Erwachsene, die mit Kindern zu-

sammenleben. Aus dem bloßen Fehlen einer Begründung für die Ableitung des

Regelbedarfs der Erwachsenen in einem Paarhaushalt ausschließlich von dem

eines Alleinstehenden kann im Gegensatz zu Münder (in Soziale Sicherheit -



- 9 -



Sonderheft September 2011, S 80) jedoch noch nicht auf eine Unvereinbarkeit mit

Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG geschlossen werden.



Der gesetzliche Leistungsanspruch muss stets den gesamten existenznotwendi-

gen Bedarf decken (BVerfG, aaO‚ RdNr 137). Dabei darf der Gesetzgeber in Er-

füllung seines Gewährleistungsauftrags jedoch auch wertende Entscheidungen

treffen, um die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht zu erfassen. Der Um-

fang des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimum hängt von den

gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Er-

forderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweili-

gen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und ist danach vom Ge-

setzgeber konkret zu bestimmen. Hierbei steht dem Gesetzgeber ein Gestal-

tungsspielraum zu, der enger ist, soweit er das zur Sicherung der physischen

Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und

Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG,

aaO‚ RdNr 138; BVerfGE 126, 331 RdNr 103). Aus dem Erfordernis, alle exis-

tenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Ver-

fahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher

Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen, folgt jedoch nicht,

dass die Höhe des existenznotwendigen Lebensunterhalts durch den Einsatz ei-

ner allein richtigen Berechnungsmethode punktgenau ermittelt werden kann und

jede Abweichung als Verfassungsverstoß anzusehen ist (vgl Spellbrink, DVBl

2011, 661). Weder sind normative Setzungen grundsätzlich ausgeschlossen,

noch ist es für die verfassungsrechtliche Prüfung von Bedeutung, ob die maßgeb-

lichen Gründe für die gesetzliche Neuregelung im Gesetzgebungsverfahren aus-

drücklich als solche genannt wurden oder gar den Gesetzesmaterialien zu ent-

nehmen sind (BVerfG, NVwZ-RR 2012, 257). Inhaltlicher Maßstab der einfachge-

setzlichen Festschreibung des Leistungsanspruchs sind Sachgerechtigkeit und

Vertretbarkeit (BVerfG, aaO‚ RdNr 171). Gemessen an diesem Maßstab führt die

Ableitung des Bedarfs der Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit einem Kind

von dem eines Alleinstehenden derzeit nicht zu einer evident zu niedrig bemesse-

nen existenzsichernden Leistung.



Genaue Datengrundlagen zur Ermittlung des Bedarfs von zwei EnNachsenen in

einem Paarhaushalt mit Kind liegen nicht vor. Ebenso wie für die Bestimmung des

Existenzminimums des Kindes gilt auch hier, dass bei Haushalten mit Kindern der

überwiegende Teil der Verbrauchsausgaben nicht direkt und unmittelbar auf Er-

- 10 -

wachsene und Kinder aufgeteilt werden konnte (BT-Drucks 17/3404, S 64; s zu
den Einzelheiten unter 6 d cc). Es ist insoweit zwar eine Sonderauswertung für
Familienhaushalte durchgeführt worden. Gleichwohl konnten im, Rahmen der zur
Verfügung stehenden Umsetzungszeit (s hierzu unter 6 a) nur die Verbrauchs-
ausgaben für den gesamten Haushalt erfasst werden. Die Ableitung des Bedarfs
der beiden Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind von dem eines Allein-
stehenden ist daher zurzeit methodisch noch sachgerecht und vertretbar. Dies gilt
umso mehr, als der erkennende Senat davon ausgeht, dass höhere Bedarfe we-
gen des Kindes im Wesentlichen durch erhöhte Aufwendungen im Teilhabebe-
reich entstehen, etwa dadurch, dass das Kind - zumindest das kleinere - im Rah-
men seines Anspruchs nach § 28 Abs 7 SGB II noch nicht allein am sozialen und
kulturellen Leben teilnehmen kann, also der Begleitung bedarf (s hierzu auch Ire-
ne Becker in SozSich, Sonderheft September 2011, 17). Im Bereich der Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers,
ausgehend von der Vorgabe, dass hier nur das Minimum gewährleistet werden
muss (BVerfG‚ aaO, RdNr 166), jedoch, wie schon dargelegt, weiter. Den Rah-
men für seinen Gestaltungsspielraum bei Rückgriff auf das Statistikmodell bildet
die Überlegung, dass die Summe der für die Gewährleistung des Existenzmini-
mums erforderlichen Verbrauchsausgaben ein monatliches Budget bilden, über
dessen konkrete Verwendung der Leistungsberechtigte selbst entscheidet. Maß-
gebend ist, dass der Gesamtbetrag des Budgets ausreicht, die Existenz zusi-
chern (BT-Drucks 17/3404 S 51). Dem Umstand möglicher erhöhter Bedarfe der
Erwachsenen durch ein Kind in einem Paarhaushalt kann daher zum einen allge-
mein durch Rückgriff auf den internen Ausgleich innerhalb der Pauschale Rech-
nung getragen werden. Zum anderen hat der Gesetzgeber im Rahmen der Be-
stimmung der Höhe des Regelbedarfs für Erwachsene wegen der Einführung des
Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder und Jugendliche, für Eltern eine Mitglied-
schaft in Organisationen ohne Erwerbscharakter erstmals in voller Höhe als re-
gelbedarfsrelevant definiert (vgl BT-Drucks 17/3404, S 64). Insoweit ist mithin der
erhöhte Bedarf durch die Teilhabe des Kindes in die Bestimmung der Höhe des
Regelbedarfs eines Alleinstehenden eingerechnet worden.

Die Berücksichtigung bei der Bemessung der Pauschale hat auch hier zur Folge,
dass die Entscheidung, wofür der Betrag genutzt wird, dem einzelnen Bedarfsge-
meinschaftsmitglied obliegt, er also auch für andere Aufwendungen durch die
Teilhabe des Kindes genutzt werden kann. Gleichwohl wird der Gesetzgeber die
Bedarfe von zwei EnNachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind bei der Auswer-

- 11 -

tung der EVS 2013 unter Beachtung der sich aus § 10 Abs 2 Nr 3 RBEG erge-
benden Verpflichtung zu berücksichtigen haben. Danach hat das BMAS dem
Bundestag bis Juli 2013 für die Ermittlung von regelbedarfsrelevanten Ver-
brauchsausgaben von Erwachsenen Vorschläge zu unterbreiten, die in einem
Mehrpersonenhaushalt leben. Diese bilden sodann die Grundlage für die Ermitt-
lung von Regelbedarfen und die danach vorzunehmende Bestimmung von Regel-
bedarfsstufen für Erwachsene, die nicht in einem Einpersonenhaushalt leben.

Soweit Münder in seine Überlegungen auch die "Haushaltsgemeinkosten" einbe-
zieht, wird zwar schon nicht hinreichend deutlich, welche Kosten er hier betrachtet
(Münder, SozSich, Sonderheft September 2011, 85). Unbestritten steigen nach
allgemeiner Lebenserfahrung durch ein Kind in einem Haushalt allerdings die

Aufwendungen etwa in den Abteilungen 04 (Wohnen, Energie und Wohnungsin-

standhaltung), 05 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände), 08

(Nachrichtenübermittlung) und 12 (andere Waren und Dienstleistungen). Derartige

Aufwendungen sind jedoch in die Bemessung der Regelbedarfe der Kinder in Ab-

hängigkeit von den Aufwendungen des Haushalts, als deren eigene Bedarfe ein-

geflossen (zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Kinderregelbedarfe s unten

unter 6 d, cc). Inwieweit darüber hinaus den Erwachsenen selbst durch das Zu-

sammenleben mit dem Kind weitere Bedarfe als die durch die bereits erörterten

der Teilhabe entstehen, ist nicht ersichtlich.



Daraus, dass der Gesetzgeber für Alleinerziehende einen zusätzlichen Bedarf bei

Pflege und Erziehung von Kindern (§ 21 Abs 3 SGB II) erkannt hat, folgt keine

Verengung seines Gestaltungsspielraums derart, dass von der Annahme der Ver-

fassungswidrigkeit der Ableitung der Höhe des Regelbedarfs für zwei Erwachsene

in einem Paarhaushalt mit einem Kind ausschließlich von dem Regelbedarf eines

Alleinstehenden ausgegangen werden müsste. Dies folgt zwar nicht bereits dar-

aus, dass der Gesetzgeber bei den Alleinerziehenden nicht den Regelbedarf an

sich höher bemessen hat, sondern ihnen eine zusätzliche Mehrbedarfsleistung

zubilligt. Er braucht die Existenz nicht allein durch die Regelleistung zu sichern.

Es obliegt seinem Gestaltungsspielraum, ob er sich insoweit ergänzender Leis-

tungen bedient oder den erkannten Bedarf in die Bemessung des Regelbedarfs

einbezieht. Entscheidend insoweit ist nur, dass das verfassungsrechtlich gebote-

ne Existenzminimum sichergestellt wird (BVerfG, aaO, RdNr 170). Soweit mithin

aus dem für Alleinerziehende ermittelten verfassungsrechtlich relevant zu de-

ckenden Bedarf folgen sollte, dass sich dieser mit dem von zwei Erwachsenen in



- 12 -



einem Paarhaushalt mit Kind deckt, jedoch entweder nicht in der Höhe deren Re-

gelbedarfs niederschlägt oder nicht über eine gesonderte Leistung gedeckt wird,

kann dies auch bedeuten, dass das verfassungsrechtlich zu gewährleistende

Existenzminimum der Erwachsenen im Paarhaushalt mit Kindern unterschritten

wird. Dies ist jedoch nicht der Fall.



Es mangelt den Erwachsenen in einem Paarhaushalt mit Kind bereits an einem

verfassungsrechtlich relevanten Bedarf durch die Erziehung und Pflege der Kin-

der, wie er für "Alleinerziehende" erkannt worden ist. Bei dem Personenkreis der

Alleinerziehenden ist von einer besonderen Bedarfssituation auszugehen, bei der

typischerweise ein zusätzlicher Bedarf zu bejahen ist (BSG vom 23.8.2012 - B 4

AS 167/11 R - RdNr 14 ff; BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 15).

Solche besonderen Lebensumstände sind ausgehend von den Gesetzesmateria-

lien zur Einführung und zum Zweck der entsprechenden Regelung im BSHG (vgl

den Gesetzentwurf des Bundesrates vom 26.3.1985, BT-Drucks 10/3079 S 5)

exemplarisch darin gesehen worden, dass Alleinerziehende wegen der Sorge für

ihre Kinder typischerweise weniger Zeit haben, preisbewusst einzukaufen sowie

zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erzie-

hungsfragen tragen müssen bzw externen Rat in Betreuungs-‚ Gesundheits- und

Erziehungsfragen benötigen. Auch der Zweck des § 21 Abs 3 SGB II liegt darin,

den höheren Aufwand von Alleinerziehenden für die Versorgung und Pflege bzw

Erziehung der Kinder etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlicher Auf-

wendungen für die Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen

Dritter in pauschalierter Form auszugleichen (BSG vom 23.8.2012 - B 4 AS

167/11 R — RdNr 14; BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr1). Zwar ist

an diesen Gründen die Kritik geäußert worden, der Mehrbedarf für Alleinerziehen-

de sei wegen des gesellschaftlichen Wandels überholt (Düring in Gagel, SGB

II/SGB III, Stand XI/2010, 5 21 RdNr 19 und Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K,

Stand V/2011, 5 21 RdNr 36). Abgesehen davon, dass sich die Gruppe der Al-

leinerziehenden gegenüber allen anderen Haushaltsformen nach wie vor beson-

ders oft unterhalb der relativen Einkommensschwelle befindet und auch als Er-

werbstätige signifikant niedrigere Einkommen als Paarhaushalte erzielt (vgl den 4.

Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2012, S 324, 329), ändert ein

Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen nichts an der oben dargelegten ver-

fassungsrechtlichen Wertung im Hinblick auf die Bemessung des Regelbedarfs

eines Paares mit Kind. Sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sind

verfassungsrechtlich anzuerkennen, solange seine Erwägungen weder offensicht-



- 13 -



Iich fehlsam, noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind

(BVerfGE 113, 167 ff, 215 = SozR 4-2500 § 266 Nr6). Zumindest können diese

Wertungen nicht umgekehrt dazu führen, dass Bedarfe durch Kindererziehung in

dem gleiche Maße wie bei Alleinstehenden auch bei zwei Erwachsenen in einem

Paarhaushalt mit Kind bedarfserhöhend berücksichtigt werden müssten, ohne

dass das Existenzminimum Letzterer evident zu niedrig bemessen wäre.“



Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an.



Die Klage war somit unbegründet.



Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).



Rechtsmittelbelehrung



Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim



Hessischen Landessozialgericht, Steubenplatz 14, 64293 Darmstadt

(FAX-Nr. (0 61 51) 80 43 50)



schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin/des Ur-

kundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.



Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem



Sozialgericht Kassel, Ständeplatz 23, 34117 Kassel

(FAX-N r. 0561 -70936-10),



schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin/des Ur-

kundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.


Die elektronische Form wird durch eine qualifizierte signierte Datei gewahrt, die nach den

Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Ge-

richten und Staatsanwaltschaften vom 26. Oktober 2007 (GVBI I 2007, 699) in der jeweils

geltenden Fassung (GVBI ll 20-31) in den elektronischen Gerichtsbriefkasten zu übermit-

teln ist. Die hierfür erforderliche Software kann über das Internetportal des Elektronischen

Gerichts- und Verwaltungspostfachs (wvvw.egvp.de) unter „Downloads“ lizenzfrei herun-

tergeladen werden. Dort können auch weitere Informationen zum Verfahren abgerufen

werden.



Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerich-

te eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag ent-

halten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel an-

geben.



Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialge-



- 14 -

richt zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulas-
sung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem

Sozialgericht Kassel, Ständeplatz 23, 34117 Kassel
(FAX-Nr. 0561 -70936-1 0),

schriftlich oder in elektronischer Form zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem
Antrag beizufügen.


Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so

beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem,
sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt
und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.



Der Berufungsschrift- bzw. Antragsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Ab-
schriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Dies gilt nicht bei der Ubermittlung
elektronischer Dokumente.

gez. Dr. Mushoff

Richter am Sozialgericht



Ausgefertigt:

Kassel, 31.10.2013



BienNirth

Verwaltungsangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

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SG KA, S 5 KR 1763/11 vom 23.01.2012, Sozialgericht Karlsruhe
Sozialgericht Karlsruhe

Az.: S 5 KR 1763/11

Verkündet

am 23.01.2012

xxxx

Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

xxxxxxx

xxxxxxxxxxxx

- Klägerin -

Proz.-Bev.: Rechtsanwälte xxxxxxxxxx,

xxxxxxxx

gegen

xxxx

vertreten durch den Vorstand

xxxxxx

- Beklagte -

Die 5. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe
hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2012 durch
ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxx,
sowie die ehrenamtlichen Richter xxxx und xxxxx
für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Erstattung von Kosten für Fahrten mit dem Taxi in der Zeit vom 1.2. - 30.4.2011.

Die xxxx geborene Klägerin war bei der Beklagten krankenversichert. Wegen Niereninsuffizienz muss sie sich seit April 2008 dreimal pro Woche (Dienstag, Donnerstag und Samstag) einer Dialysebehandlung unterziehen; die Behandlung dauert jeweils vier Stunden.

Am 4.11.2010 verordnete die Internistin Dr. xxxx der Klägerin für die Zeit vom 1.1. - 31.12.2011 Krankenbeförderung mit einem Taxi für die Fahrten von der Wohnung zur Dialyse und zurück.

Nachdem die Beklagte eine Stellungnahme des MDK (vom 29.12.2010) eingeholt hatte, bewilligte sie der Klägerin mit Bescheid vom gleichen Tag Krankenfahrten mit dem Taxi „Wohnung-Dialyse-Wohnung“ bis zum 31.1.2011.

Für die Zeit ab dem 1.2.2011 lehnte die Beklagte hingegen mit Bescheid vom 25.1.2011 die Übernahme der Kosten für die Benutzung eines Taxis ab. Zur Begründung gab sie an, nach der Einschätzung des MDK sei die Benutzung eines Taxis medizinisch nicht notwendig; vielmehr könne die Klägerin mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Die Kosten hierfür werde sie der Klägerin auf Antrag erstatten.

Nach einer verwaltungsinternen Überprüfung änderte die Beklagte ihre Entscheidung teilweise ab und bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 31.1.2011 nun für die Zeit ab dem 1.2.2011 Krankenfahrten mit dem Taxi „Dialyse-Wohnort“ in näher bezeichneter Höhe.

Hiergegen legte die Klägerin am 2.2.2011 Widerspruch ein. Sie machte geltend, sie benötige ein Taxi nicht nur für die Rückfahrt, sondern auch für die Hinfahrt zur Dialyse. Für die Behandlung müsse sie sich bereits morgens um 6:15 Uhr im Dialysezentrum in xxxx einfinden. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei dies für sie nicht zu schaffen: Am Samstag fahre der früheste Bus in ihrem Wohnort xxx erst um 7:00 Uhr. Am Dienstag und Donnerstag gebe es zwar einen Bus um 5:00 Uhr. Allerdings fahre dieser nur bis zur Haltestelle xxxxx. Von dort müsste sie bis zum Dialysezentrum noch 1,5 km laufen, davon 500 m entlang einer viel befahrenen Straße ohne Gehweg. Im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand sei ihr dies nicht zumutbar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7.4.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, die Übernahme von Fahrkosten sei in § 60 SGB V geregelt. Welches Fahrzeug der Versicherte benutzen kann, richte sich gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausschließlich nach der medizinischen Notwendigkeit. Bei der Auswahl des Beförderungsmittels sei gemäß § 4 der Krankentransport-Richtlinien insbesondere der aktuelle Gesundheitszustand des Versicherten und seine Gehfähigkeit zu berücksichtigen. Andere als medizinische Gründe blieben hingegen außer Betracht. Nach der Einschätzung des MDK sei die Klägerin gesundheitlich in der Lage, bei der Hinfahrt zur Dialyse öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Es sei für die Frage der Kostenübernahme unerheblich, ob im Einzelfall tatsächlich hinreichende Verkehrsverbindungen vorhanden sind. Vor diesem Hintergrund könne sie, die Beklagte, der Klägerin für die Hinfahrt zu Dialyse nur die Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erstatten, nicht hingegen für die Benutzung eines Taxis.

Mit der am 21.4.2011 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Antrag weiter. Sie wiederholt im wesentlichen ihre Argumente aus dem Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, seit dem 1.5.2011 sei sie nicht mehr bei der Beklagten krankenversichert, sondern bei der AOK. Die AOK erachte sämtliche Taxi-Kosten für notwendig und habe diese ohne weiteres erstattet. In der Zeit vom 1.2. - 30.4.2011 sei sie auf eigene Kosten mit dem Taxi zur Dialyse gefahren. Hierfür habe sie insgesamt 736,32 € gezahlt. Diesen Betrag müsse die Beklagte erstatten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 25.1.2011 sowie Änderung des Bescheids vom 31.1.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.4.2011 zu verurteilen, ihr Kosten in Höhe von 736,32 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf ihren Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, die Klägerin sei im gesamten Jahr 2011 von der Pflicht zur Zuzahlung befreit.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des sachverständigen Zeugen Dr. xxxx (Aussage vom 20.9.2011). Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1) Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten.

Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Kostenerstattung nach dieser Vorschrift kommt in beiden Varianten nur in Betracht, wenn der Versicherte die streitige Leistung als Sachleistung beanspruchen konnte.

Daran fehlt es hier. Die Klägerin hatte keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Kosten für Fahrten mit dem Taxi zur Dialysebehandlung übernimmt:

Die Krankenkasse übernimmt nach Maßgabe des § 60 Abs. 2 und 3 SGB V die Kosten für Fahrten, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind (§ 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Notwendigkeit der Beförderung ist für den Hin- und Rückweg gesondert zu prüfen (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i. V. m. § 3 Abs. 2 Satz 2 Krankentransport-Richtlinien). Welches Fahrzeug benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall (§ 60 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Maßgeblich für die Auswahl des Beförderungsmittels ist ausschließlich die zwingende medizinische Notwendigkeit unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots. Für die Auswahlentscheidung ist deshalb insbesondere der aktuelle Gesundheitszustand des Versicherten und seine Gehfähigkeit zu berücksichtigen (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i. V. m. § 4 Krankentransport-Richtlinien). Die Krankenfahrt mit einem Taxi ist nur dann zu verordnen, wenn der Versicherte aus zwingenden medizinischen Gründen öffentliche Verkehrsmittel oder ein privates Kraftfahrzeug nicht benutzen kann (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i. V. m. § 7 Abs. 3 Krankentransport-Richtlinien). Hingegen kann eine Verordnung nicht darauf gestützt werden, die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel - zu deren Nutzung der Versicherte gesundheitlich prinzipiell in der Lage wäre - sei vor Ort unzureichend. Denn es kommt „ausschließlich“ auf die medizinische Notwendigkeit an (vgl. (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i. V. m. § 4 Satz 1 Krankentransport-Richtlinien). Auch bei anderen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung lässt sich die medizinische Erforderlichkeit nicht mit den örtlichen Verhältnissen oder sonstigen persönlichen Umständen begründen (zur Krankenhausbehandlung: BSGE 99, 111 Rdnr. 15; zur Hilfsmittelversorgung: BSGE 102, 90 Rdnr. 14).

Gemessen hieran benötigte die Klägerin für die Fahrten zur Dialysebehandlung kein Taxi. Zwar leidet sie an Niereninsuffizienz. Trotz dieser Erkrankung war die Klägerin aber gesundheitlich in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel oder einen PKW zu nutzen. So fährt sie (nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung) an den Wochentagen, an denen sie nicht zur Dialyse muss, selbst mit dem Auto zur Arbeit. Für die Fahrten zur Dialysebehandlung hat die Klägerin nur deshalb keine öffentlichen Verkehrsmittel genutzt, weil die Verbindungen ungünstig (oder nicht vorhanden) waren. Wie ausgeführt, reicht dies für die Begründung der medizinischen Notwendigkeit nicht.

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

3) Es besteht kein Grund, gemäß § 144 Abs. 2 SGG die Berufung zuzulassen.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung nur zu, wenn sie nachträglich zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerde muss innerhalb der oben angegebenen Frist bei dem vorgenannten Gericht eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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L 4 KR 907/12 NZB

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SG MD, S 7 KR 212/08 ER vom 15.12.2008, Sozialgericht Magdeburg
SG MD Beschluss -15.12.2008-S 7 KR 212/08 ER 1/2

Sozialgericht Magdeburg

Beschluss (rechtskräftig)

Sozialgericht Magdeburg S 7 KR 212/08 ER

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 10. Juli 2008 wird zurückgewiesen. Die
außergerichtlichen Kosten des Antragstellers sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Antragsgegnerin verpflichtet ist, die Kosten für die Besuchsfahrten des Antragstellers zu seiner
Ehefrau nach B. zu übernehmen.

Die Ehefrau des Antragstellers war seit dem 20. März 2007 bis zum 26. Dezember 2007 im Deutschen
Herzzentrum B. in stationärer Behandlung. Am 20. März 2007 ist sie mit einem Kunstherz versorgt worden. Seit
dem 26. Dezember 2007 war sie in stationärer Behandlung im Paulinen-Krankenhaus in B. . Am 23. Juli 2008 ist
die Ehefrau des Antragstellers verstorben.

Mit Bescheid vom 25. Mai 2007 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller daraufhin, dass Besuchsfahrten von
Angehörigen nicht durch die Krankenkasse zu finanzieren seien. In diesem Bescheid und den nachfolgenden
Bescheiden hat die Antragsgegnerin im Rahmen von Einzelfallentscheidungen Fahrtkosten des Antragstellers
übernommen, maximal für 2 Fahrten pro Woche. Mit Bescheid vom 21. September 2007 teilte die Antragsgegnerin
dem Antragsteller mit, dass sie Fahrtkosten noch bis zum 31. Oktober 2007 übernehmen werde, darüber hinaus
jedoch nicht mehr. Auf den Widerspruch des Antragstellers hat die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 31. Januar
2008 weitere Fahrtkosten bis zum 26. Dezember 2007 für maximal 2 Fahrten pro Woche übernommen. Den
weitergehenden Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 09. Juni 2008 zurück. Zur
Begründung gab sie u. a. an, eine Kostenübernahme für die beantragten Besuchsfahrten sei aufgrund der
gesetzlichen Möglichkeiten in § 60 SGB V nicht vorgesehen. Seit dem 01. Januar 1989 habe der Gesetzgeber den
gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit genommen, Kosten für Besuchfahrten bei stationärer Behandlung von
Angehörigen zu übernehmen.

Hiergegen hat der Antragsteller am 10. Juli 2008 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben, welche unter dem
Az.: S 7 KR 208/08 geführt wird. Ferner hat er am 10. Juli 2008 den vorliegenden Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung gestellt. Der Antragsteller vertritt die Auffassung, er habe Anspruch auf Erstattung der
Kosten für Besuchsfahrten zum Krankenhaus, da es sich hierbei um notwendige Behandlungskosten handele.
Ausweislich des letzten ärztlichen Attestes des Paulinen-Krankenhauses vom 20. Juni 2008 sei das Begleiten der
Patientin von einem Familienangehörigen zur Stabilisierung ihres psychischen Zustandes medizinisch indiziert.

Der Antragsteller beantragt nach seinem Vorbringen sinngemäß -,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu ver-pflichten, weiterhin die dem Antragsteller
entstehenden Kosten für 2 Besuchsfahrten pro Woche zum jeweiligen stationären Benand-lungsort der Ehefrau
des Antragstellers zu bezahlen, längstens bis zum Ab-schluss ihrer stationären Behandlung.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.

Nach ihrer Auffassung liegt weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vor. Rechtsgrundlage für
die Kostenübernahme von Fahrtkosten bilde § 60 SGB V. Im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse
würden insbesondere Aufwendungen stehen, mit denen der Zweck verfolgt wird, Erkrankte an den Ort zu
transportieren, an dem die Leistung bestimmungsgemäß zu erbringen ist.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von ihnen eingereichten Schriftsätze Bezug
genommen. Die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin haben vorgelegen und sind
Gegenstand dieser Entscheidung gewesen. Auch auf ihren Inhalt wird verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine
einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder .
W wesentlich erschwert werden könnte. Soweit ein Fall des Absatzes nicht vorliegt sind einstweilige Anordnungen

SG MD Beschluss - 15.12.2008 - S 7 KR 212/08 ER 2/2

auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine
solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Hierfür muss der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund haben.
Anordnungsanspruch ist der materiell-rechtliche Anspruch auf die begehrte Leistung, dessen Bestehen von der
Gegenseite bestritten oder nicht erfüllt wird. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn ohne eine Entscheidung im
vorläufigen Rechtsschutz dem Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht anwendbare Nachteile
entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre
(Beschluss des Bundesverfassungsgericht vom 19.10.1977 2 BvR 42/76-‚ zuletzt Beschluss vom 12.05.2005
1 BvR 569/05-).

Der Antragsteller hat den geltend gemachten Anspruch nicht glaubhaft gemacht. Eine Tatsache ist glaubhaft
gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordert, dass
mehr für als dagegen spricht (Keller in Mayer-Ladewig u.a., Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, § 86 b Rd. Nr.
16 b).

Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Übernahme von Fahrtkosten für die Besuche bei seiner Ehefrau. Nach §
60 SGB V sind die Fahrtkosten eines Versicherten für seine eigene stationäre oder ambulante Behandlung zu
übernehmen. Die Übernahme von Fahrtkosten zum Besuch eines erkrankten Versicherten sieht § 60 SGB V nicht
vor. Eine andere Rechtsgrundlage für die Übernahme von Kosten für Besuchsfahrten besteht im Bereich der
gesetzlichen Krankenversicherung nicht. Die Antragsgegnerin hätte daher bereits die Fahrtkosten bis zum 26.
Dezember 2007 nicht übernehmen dürfen.

Dem Antrag konnte daher nicht stattgegeben werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes hat das Sozialgericht Magdeburg nur über die Kosten zu
entscheiden, die seit dem Eingang des Antrages vom 10. Juli 2008 beim Sozialgericht Magdeburg, also ab dem 10.
Juli 2008 entstanden sind. Nach den vorliegenden Bestätigungen des Paulinen-Krankenhauses hat der
Antragsteller seine Ehefrau in der Zeit vom 17. Juli 2008 bis zum 19. Juli 2008 täglich besucht sowie am 23. Juli
2008. Es handelt sich somit um Besuchsfahrten für zwei Wochen, wobei in der zweiten Woche nur eine
Besuchsfahrt angefallen ist. Seitdem 10. Juli 2008 sind somit 3 Besuchsfahrten angefallen. Der Antragsteller hatte
in seiner Aufstellung der Fahrt- und Übernachtungskosten vom 11. Juli 2007 pro Fahrstrecke 45,00 EUR an
Fahrtkosten angegeben, so dass für die Hin- und Rückfahrt 90,00 EUR und für drei Besuchstage somit insgesamt
270,00 EUR an Fahrtkosten anzusetzen sind. Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist die Beschwerde ausgeschlossen in
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Nach §
144 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Berufung nicht zulässig in Verfahren mit einem Beschwerdewert von weniger als
750,00 EUR. Da der Beschwerdewert von 750,00 EUR nicht erreicht wird, ist die Beschwerde gegen diesen
Beschluss ausgeschlossen.

A. Richter am Sozialgericht

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SG IZ, S 22 SO 56/10 vom 21.05.2012, Sozialgericht Itzehoe
Az.: S 22 SO 56/10

SOZIALGERICHT ITZEHOE

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

der

— Klägerin -

Bundesbevollmächtigte Rechtsanwälte

gegen

den Kreis Dithmarschen Stabsstelle Innerer Service Juristischer Service, Stettiner Str. 30,
25746 Heide

- Beklagter -

hat die 22. Kammer des Sozialgerichts Itzehoe auf die mündliche Verhandlung vom 21. Mai
2012 in Itzehoe durch

den Direktor des Sozialgerichts ,
die ehrenamtliche Richterin ___‚

den ehrenamtlichen Richter

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Gewährung von Hilfe zur Beschaffung eines Kraft-
fahrzeuges sowie einer Betriebskostenpauschale und der Kosten für einen behindertenge-

rechten Umbau des Kfz.

Die jetzt 61-jährige Klägerin ist schwerbehindert. Ein GdB von 100 ist festgestellt mit den
Merkzeichen G, aG sowie RF. Die Klägerin leidet an einem Zustand nach Kompressionsfrak-
tur des Lendenwirbelkörpers 1 mit inkompletter Querschnittslähmung sowie Folgezustand

nach Schlaganfall mit Hemiparese rechts.

Am 4. Juni 2008 beantragte sie die Kostenübernahme für die Neuanschaffung eines Kraft-
fahrzeuges. Die Klägerin hatte vorher in Bezirk Oberbayern gewohnt und von dort Kfz-Hilfe
erhalten. Bei ihrem alten Kraftfahrzeug überstiegen die Reparaturkosten den Restwert. Der
Umzug nach Schleswig-Holstein erfolgte aus gesundheitlichen Gründen. Die Klägerin war im
Zeitpunkt der Antragstellung verheiratet, ihr Ehemann verstarb jedoch Anfang 2012. Damals
bezog die Klägerin eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von ca. 660,00 €, ihr Ehemann
eine Altersrente in Höhe von ca. 850,00 €. Von den drei Kindern lebte bei Antragstellung
noch eine Tochter bei der Klägerin im Haushalt. Für diese erhielt die Klägerin Kindergeld.
Der Ehemann der Klägerin war herzkrank, die Eheleute hatten ein Einfamilienhaus gemietet.
Die Kaltmiete betrug dafür 800,00 €. Die Tochter bezog Arbeitslosengeld II in Höhe von
416,40 € monatlich.

Zur Antragsbegründung führte die Klägerin aus, das Kraftfahrzeug werde für regelmäßige
Fahrten zur Krankengymnastik nach ____‚ zum Schwimmen nach ins Hal-
lenbad, insgesamt dreimal wöchentlich, ansonsten für Einkäufe, Arztbesuche, Besuch der
Selbsthilfegruppe, Fahrten ans Meer wegen der Lungenerkrankung der Klägerin sowie Fahr-
ten des Ehemannes zur Herzbehandlung benötigt. Die Entfernung zu der nächsten Bushal-
testelle betrage drei Kilometer. Bei der Bahn seien unüberwindbare Hindernisse zum Bahn-
steig vorhanden, außerdem sei der Bus nicht rollstuhlgerecht. Die Klägerin habe keine Mög-
lichkeit einer Taxibenutzung am Ort.

Die Klägerin legte verschiedene Neuwagenangebote vor. Da der alte Wagen der Klägerin
jedoch nicht mehr die TÜV-Untersuchung bestand, behalf sich die Klägerin mit dem Polo der
Tochter, für den der Bezirk Oberbayern bis 31. Dezember 2008 die Betriebskosten über-

nahm. Dieser Polo wurde provisorisch für die Klägerin umgerüstet.

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Der Beklagte holte eine Stellungnahme des Fachdienstes Gesundheit vom 25. November
2008 ein, der begutachtende befürwortete die Gewährung einer Kfz-Hilfe.

Nach Anhörung lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 16. März 2009 ab. Zur
Beschaffung des Kfz führte der Beklagte aus, eine Kfz-Hilfe werde in angemessenem Um-
fang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung
insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kfz angewiesen sei. Da
die Klägerin nicht Arbeitnehmerin sei, müssten vergleichbar gewichtige Gründe vorliegen.
Dabei müsse die Notwendigkeit für ein Kfz ständig bestehen und nicht nur vereinzelt oder
gelegentlich. Nach 5 2 SGB XII erhalte Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen könne oder
Hilfe von anderen erhalte. Bezüglich der Fahrt zu Ärzten sei die Krankenkasse vorrangiger
Leistungsträger, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für eine Fahrkostenübernahme
wegen des zuerkannten Merkzeichens „aG“. Einkäufe, Behördengänge sowie Besorgungen
könnten von der Tochter erledigt werden. Die Fahrten zum Schwimmen, zur Selbsthilfegrup-
pe und ans Meer begründeten kein ständiges Angewiesensein auf ein Kfz. Außerdem habe
die Klägerin den Polo der Tochter zur Verfügung, dieser habe noch zwei Jahre TÜV.

Hinsichtlich der Betriebskostenpauschale führte der Beklagte aus, die Vorhaltung und der
Betrieb eines Kfz an sich gehörten nicht zu den allgemeinen sozialhilferechtlich anerkannten
Bedarfen. Ein behinderungsbedingter Basisausgleich sei zu Lasten der Gesetzlichen Kran-
kenversicherung sicher zu stellen.

Mit ihrem Widerspruch vom 15. April 2009 machte die Klägerin geltend, sie sei auch für eine
Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit für „ ____“ auf das Kfz angewiesen. Die Entfernung
nach ____betrage 11 km. Sie helfe dort 12 Stunden in der Woche dienstags und freitags
bei der Lebensmittel-Verteilung an Bedürftige und übe Bürotätigkeiten aus. Ein Ausbau die-
ser Tätigkeit auf drei bis vier Tage pro Woche sei angestrebt.

Außerdem nehme sie seit 16 Jahren eine ehrenamtliche Tätigkeit beim
in München als Mitgliedsverwalterin und bei einer
Selbsthilfegruppe in Bayern als Beraterin wahr. Sie müsse einmal monatlich persönlich dort
erscheinen, sie fahre dann mit dem Pkw nach Hamburg-Altona und von dort mit dem Auto-
zug nach München.

Zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gehöre auch die Ausübung einer angemesse-
nen ehrenamtlichen Tätigkeit; sie wolle auch an Fortbildungen teilnehmen, das gehe jedoch
ohne Pkw nicht. Wegen des Umzuges nach Schleswig-Holstein sei es schon zu Einschrän-
kungen der Tätigkeit gekommen, was auch zu gesundheitlichen Problemen geführt habe. Sie

sei im Schützenverein gewesen und wolle dies auch in Schleswig-Holstein. Das sei wegen

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der fehlenden Tauglichkeit des Polos für Nachtfahrten und die fehlende Möglichkeit zur Roll-
stuhlmitnahme nicht möglich. Der Polo sie nur provisorisch umgebaut worden und stelle eine
Übergangslösung dar.

Das regelmäßige Schwimmen sei für ihre Gesundheitlich erforderlich und nur mit dem Pkw
zu erreichen, ebenso Konzerte.

Die Entfernung zur nächsten Einkaufsmöglichkeit betrage 2,5 km bzw. wegen ihrer Allergie
benötige sie spezielle Kost, die nur in ___oder zu erhalten sei.

Ihre Tochter lebe nicht im gleichen Haushalt, sie habe kein Auto und arbeitete 30 Stunden in
der Woche in einem 1 €-Job bei

Der Beklagte bot daraufhin am 4. Februar 2010 eine Kfz-Beihilfe unter der Voraussetzung
an, dass keine Aufwandsentschädigungen in Geldmitteln oder in Form eines Autos, welches
zur Verfügung gestellt werde, geleistet würden. Die Klägerin meldete sich auf dieses Ange-
bot nicht.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Im Wesentlichen begründete er dies wie seinen Ausgangsbescheid. Außerdem führte er aus,
dass für ehrenamtliche Tätigkeiten in der Regel Aufwandsentschädigungen gezahlt würden
bei unangemessenen Aufwendungen. Keinesfalls könne eine freiwillige ehrenamtliche Tätig-
keit mit einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes gleichgesetzt wer-
den, sondern sei Teil der Freizeitgestaltung.

Gegen den am 17. März 2010 zugestellten Widerspruchsbescheid wendet sich die Klägerin
mit ihrer am 15. April 2010 vor dem Sozialgericht Itzehoe erhobenen Klage. Zur Begründung
wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen. Das Kfz müsse Automatik getrieben und auf links
umgebaut sein. Sie habe 16 Jahre lang die Betriebskostenpauschale und eine Kfz-Hilfe in
Bayern erhalten. Die ehrenamtliche Tätigkeit bei __ bedeute für die Klägerin eine Teilha-
be am Arbeitsleben und gesellschaftliche Eingliederung.

Seit 10. Februar 2010 leide ihr Ehemann auch an einer Niereninsuffizienz und benötige spe-
zielle Lebensmittel, weshalb sie auch deshalb auf einen Pkw angewiesen sei.

Die Tätigkeit beim werde nunmehr ab 1. Oktober 2010 geringfügig
vergütet mit 150,00 € im Monat. Außerdem wolle sie im Kreis Dithmarschen eine Selbsthilfe-
gruppe gründen.

Ihre Tochter habe keinen Führerschein, ihr Sohn lebe nicht im Haus. Ihre ehrenamtliche Tä-
tigkeit sei von der Bedeutung für sie gleichzusetzen mit einer Erwerbstätigkeit. Sie erledige
die komplette Buchhaltung für den mit 800 Mitglie-

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dern. Die Post müsse täglich auf den Postweg, ihre Tochter könne nicht fahren, ihr Sohn sei
nicht zu Hause, eine Nachbarschaftshilfe sei nicht möglich. Sie fahre mehrmals nach Mün-
chen, ein eigenes Auto sei dort zur Beweglichkeit nötig.

Die Verordnungen von der Krankenkasse seien nicht ausreichend, die Klägerin habe pro
Quartal nur dreimal 6 Stunden Anspruch auf entweder Schwimmen oder Therapie.

Eine Beweglichkeit mit dem ÖPNV sei nicht gegeben, da , und
nicht mit normalem Busverkehr zu erreichen seien.

Anlässlich des Termins zur Untersuchung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen
am 22. September 2011 hat die Klägerin mitgeteilt, seit ca. einer Woche
über ein behindertengerecht ausgestattetes Fahrzeug zu verfügen, das zum größten Teil von
der Franz-Beckenbauer—Stiftung sowie anderen Stiftungen finanziert worden sei. Es handele
sich um einen Gebrauchtwagen Opel Meriva, Baujahr 2005, der für einen Preis von 7.300,00
€ angeschafft worden sei. Nach der von der Klägerin aufgestellten Liste seien 5.000,00 € von
der Beckenbauer-Stiftung, 1.200,00 € von der Mia-Krone-Stiftung und 700,00 € vom Diako-
nischen Werk-Fliege Stiftung beigesteuert worden. Daher seien 400,00 € offen zuzüglich der
Kosten für die Überführung in Höhe von 295,00 €. Außerdem seien Betriebskosten zu tragen
und die Kosten für den noch vorzunehmenden Umbau des Bremskopfes von der rechten
Seite des Lenkrades zur linken Seite.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21. Mai 2012 hat die Klägerin ihr tatsächliches
Vorbringen ergänzt. Hierzu wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 16. März 2009 in der Fassung des Widerspruchs-
bescheides vom 12. März 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr
695,00 € für die Anschaffung des behindertengerechten Kraftfahrzeugs Opel Meriva,
Baujahr 2005, zu erstatten sowie die Betriebskosten für dieses Fahrzeug und die
Kosten für den Umbau des Bremskopfes von der rechten Seite des Lenkrades zur
linken zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung bezieht er sich auf seinen Widerspruchsbescheid und trägt nach Vorlage
des Gutachtens vom Sachverständigen vor, dass die Versorgung des Ehemannes durch die
Kranken- bzw. Pflegekasse sicherzustellen sei. Für den Arztbesuch bzw. die Krankengym-
nastik sei ebenfalls die Krankenkasse zuständig. Die Ausübung einer ehrenamtlichen Tätig-
keit sei nicht einer Eingliederung in Arbeit gleichzusetzen. Die Büroarbeit für den
könne von zu Hause erledigt werden, dafür sei ein Kfz nicht nötig. Die
Post könnte von Nachbarn bzw. von der Familie weggebracht werden. Die Anwesenheit in
München dreimal im Jahr begründe kein Angewiesensein auf das Kfz. Außerdem sei es nicht
angemessen, weiter für Fahrten nach München aufzukommen, nachdem die Klägerin nun-
mehr vier Jahre in Schleswig-Holstein lebe.

Eine Teilhabe am Arbeitsleben finde durch die Klägerin nicht statt, da diese eine Er-
werbsminderungsrente beziehe.

Die Besuche des Schwimmbades dienten der medizinischen Rehabilitation. Wenn die Ver-
ordnungen nicht ausreichend seien, müsse die Krankenkasse weitere Leistungen prüfen.

Die Maßnahmen zur Abwendung der psychischen Erkrankungen fielen in den medizinischen
Bereich.

Die weiter geltend gemachten sportlichen Aktivitäten gingen über das übliche Maß nicht be-
hinderter Menschen hinaus, die aus wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen nicht über ein
eigenes Fahrzeug verfügten.

Konzerte und Kurse an der Volkshochschule würden nur gelegentlich besucht und begründe-
ten kein ständiges Angewiesensein auf ein Kfz.

Insgesamt seien nur Fahrten anzuerkennen, wie sie auch bei nicht Behinderten üblich wä-
ren. Das seien durchschnittlich 2 % Fahrten wöchentlich, was nicht mit der Häufigkeit ver-
gleichbar sei, in der ein Fahrzeug für die Teilhabe am Arbeitsleben nötig wäre.

Außerdem sei der Klägerin die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

Schließlich seien einige Beweisfragen von dem medizinischen Sachverständigen gar nicht
zu beantworten und deshalb ein ungeeignetes Beweismittel.

Die Kammer hat zur weiteren Sachaufklärung Beweis erhoben durch Einholung eines medi-
zinischen Sachverständigengutachtens vom Arzt für Chirurgie und Verkehrsmedizin
vom 14.11.2011 zur Notwendigkeit der Versorgung der Klägerin mit einem
Kraftfahrzeug. Hinsichtlich des Inhalts des Gutachtens wird auf Bl. 34 bis 107 der Gerichts-
akte verwiesen.

Die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des Beklagten hat vorgelegen. Außerdem hat
die Kammer die Gerichtsakte des Verfahrens S 22 SO 42/10 ER beigezogen. Diese Akten

- 7 -

sowie der Inhalt der Gerichtsakte sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 21.

Mai 2012 gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Übernahme des restlichen Kauf-
preises sowie der Überführungs- und Umbaukosten als Kfz-Hilfe sowie auf einen Betriebs-

kostenzuschuss.

Ein solcher Anspruch würde sich ergeben aus den §§ 53 Abs. 1 Satz, 54 Abs. 1 Satz 1, 60
SGB XII i. V. m. § 8 Abs. 1 der Eingliederungshilfeverordnung (EGHVO) sowie § 10 Abs. 6
EGHVO. Nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne
von § 2 Abs. 2 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer
Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentli-
chen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach
den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung,
Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 54
Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe u. a. diejenigen nach den
§§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX. Nach § 8 Abs. 1 EGHVO gilt die Hilfe zur Beschaffung eines
Kraftfahrzeuges als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. den §§ 33 und 55 SGB IX.
Sie wird in angemessenem Umfang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder
Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung
eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist; bei Teilhabe am Arbeitsleben findet die Kraftfahr-
zeughilfe-Verordnung Anwendung. Nach § 10 Abs. 6 EGHVO kann als Versorgung Hilfe in
angemessenem Umfange u. a. auch durch Übernahme von Betriebskosten eines Kraftfahr-
zeuges gewährt werden, wenn der behinderte Mensch wegen seiner Behinderung auf die
regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist oder angewiesen sein wird.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Sowohl § 8 Abs. 1 als auch 5 10 Abs. 6 EGHVO setzen übereinstimmend voraus, dass der
behinderte Mensch auf das Kfz angewiesen ist. Die Klägerin ist jedoch nicht auf die Benut-

zung eines Kfz angewiesen, insbesondere nicht zur Teilhabe am Arbeitsleben.

- 8 -

Unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) hat das Bundesverwaltungsgericht
(BVerwG) mit Urteil vom 20. Juli 2000 (5 C 43/99) ausgeführt, dass das Primat dieser Leis-
tung bei der Teilhabe am Arbeitsleben liegt bzw. einer vergleichbar „gewichtigen“ Zielset—
zung. Dies verdeutlicht das Regelbeispiel in § 8 Abs. 1 Satz 2 EGHVO, wonach der behin-
derte Mensch „insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben“ auf die Benutzung eines Kfz
angewiesen sein muss. Aus dieser Orientierung an der Teilhabe am Arbeitsleben folgt, dass
der behinderte Mensch regelmäßig wie bei einer (vor allem vollschichtigen) Tätigkeit erfor-
derlich, auf das Kfz angewiesen sein muss. Dies ist nur dann zu bejahen, wenn aus den gel-
tend gemachten Gründen eine ständige oder jedenfalls regelmäßige, d. h. tägliche oder fast
tägliche Benutzung des Kraftfahrzeuges erforderlich ist (vgl. BVerwG, a. a. 0.). Ausge-
schlossen ist die Kraftfahrzeughilfe daher bei einer nur gelegentlichen Inanspruchnahme,
weil dies nicht mit dem „Normalfall“ vergleichbar ist, den die Gesetzgebung vor Augen hatte,
nämlich mit dem Angewiesensein auf ein Kfz, um am Arbeitsleben teilhaben zu können.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme
der restlichen Anschaffungskosten, des behinderungsgerechten Umbaus sowie der Be-
triebskosten. Denn sie bezieht eine Rente wegen Erwerbsminderung und nimmt damit nicht
mehr am Erwerbsleben teil. Mit der Teilhabe am Arbeitsleben vergleichbare gewichtige
Gründe sind nicht gegeben. Eine ehrenamtliche Tätigkeit, die von der Klägerin in verschie-
dener Art und Weise ausgeübt wird, ist der Erwerbstätigkeit nicht gleichzusetzen. Dem
SGB Xll ist nicht der Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, dass ehrenamtliche Tätigkeiten
behinderter Menschen durch Übernahme der Kosten eines behindertengerechten Kfz (bzw.
seines entsprechenden Umbaus) — mittelbar — zu fördern. Wäre dem so, müssten alle Tätig-
keiten, die dem Gemeinwohl dienen, an dieser Förderung teilhaben. Eine solche Zielsetzung
ist dem SGB XII nicht zu entnehmen. Die Regelung des § 1 Satz 1 SGB Xll verdeutlicht
vielmehr, dass Ziel des SGB XII ist, die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Wür-
de des Menschen entspricht (vgl. zu allem LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil
vom 15. September 2011, L 9 SO 40/09, in: Juris Rn. 54).

Fahrtkosten zu ambulanten Behandlungen sind von vornherein nicht zu berücksichtigen,
soweit diese von der Krankenkasse nach Maßgabe der entsprechenden Richtlinien gemäß
§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V zu übernehmen sind; diese Übernahme hat die Kranken-
kasse der Klägerin gegenüber nach ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung
auch erklärt.

- 9 -

Die von der Klägerin geltend gemachten Fahrten zu Einkäufen unterfallen ebenfalls nicht
dem Bedarf der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Sinne der §§ 54 Abs. 1 Satz 1
SGB Xll, 55 Abs. 2 Nr. 7, 58 SGB IX. Hier ist die Klägerin auf die Bedarfsdeckung durch an-
dere Träger der Sozialleistungen zu verweisen. So ist durch die Krankenkasse die Leistung
einer Haushaltshilfe denkbar. Anhaltspunkte dafür, dass diese Leistung für die Sicherstellung
der erforderlichen Einkäufe nicht ausreicht, sind nicht ersichtlich.

Die übrigen geltend gemachten Fahrten zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, näm-
lich Fahrten zu Konzerten, zu Kursen an der Volkshochschule sowie zu sportlichen Aktivitä-
ten begründen kein ständiges Angewiesensein auf ein Kfz. Denn Fahrten zu Konzerten und
zur VHS finden nicht regelmäßig statt, die Fahrten zum Schwimmen bei nicht behinderten
Menschen üblicherweise einmal die Woche, nur ausnahmsweise dreimal die Woche. Selbst
wenn man von einer Nutzung dreimal die Woche ausgehen würde, ist dies nicht einem Um-
fang der Nutzung des Kfz vergleichbar, wie er im Falle der Ermöglichung einer Ausübung
einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich wäre.

Im Übrigen könnte nur dann eine Kfz-Hilfe gewährt werden, wenn die erforderliche Mobilität
in zumutbarer Weise nicht durch andere Hilfen (z. B. durch die Benutzung eines Rollstuhls
oder öffentlicher Verkehrsmittel) oder in sonstiger Weise wie Krankentransport, Mietauto,
Taxi sichergestellt ist. Die Klägerin hat dazu vorgetragen, dass der Bus nicht rollstuhlgerecht
sei und außerdem nicht ausreichend Verkehre. Dies ist jedoch nicht nachvollziehbar, wie
eine Internetrecherche bei der Autokraft GmbH in ___ergibt. Demnach fährt die Linie
2507 zwischen , und . Dass die meisten Verbin-
dungen nur an Schultagen stattfinden, macht diese noch nicht zu Schulbusfahrten, die den
anderen Fahrgästen nicht zugänglich wären. Die Linie 2509 verkehrt zwischen
und . Auch hier fahren die Busse zu einigen Zeiten nur an Schul-
tagen, jedoch ansonsten auch außerhalb der Schulzeit. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass
diese Busse nicht für behinderte Menschen zu nutzen wären.

Nach alledem ist die Klägerin nicht auf ein Kraftfahrzeug angewiesen. Daran ändert auch
das vom Gericht eingeholte Gutachten von nichts. Denn dieser hat lediglich
aus seiner medizinischen Sicht die Notwendigkeit einer Kfz-Nutzung für die Klägerin beur-
teilt. Dies ersetzt nicht die von der Kammer vorzunehmende rechtliche Würdigung, wann
eine Kfz-Nutzung im Rahmen der Eingliederungshilfe vom Beklagten zu erbringen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

- 10 -

Rechtsmittelbelehrung

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem

Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht
Gottorfstr. 2
24837 Schleswig

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Frist beträgt bei einer Zustellung im Ausland drei Monate.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem

Sozialgericht Itzehoe
Bergstraße 3
25524 Itzehoe

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen.
Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begrün-
dung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelas-
sen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist inner-
halb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Itzehoe schriftlich zu stellen. Die
Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit
der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf
Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des
Gegners beigefügt war.

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SG K, S 22 AS 6/05 ER vom 16.02.2005, Sozialgericht Köln
SOZIALGERICHT KÖLN

Urschrift

Az.: S 22 AS 6/05 ER

Beschluss


In dem Rechtsstreit

Antragsstellerin
gegen

EU-aktiv - Arbeitsgemeinschaft Grundsicherung für Arbeitssuchende-,
vertreten durch die Geschäftsführerin
Jülicher Ring 32, 53879 Euskirchen,

Antragsgegnerin

hat die 22. Kammer des Sozialgerichts Köln durch den Vorsitzenden, Richter am Sozi-
algericht R., am 16.02.2005 ohne mündliche Verhandlung beschlossen:


Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 24.01.2005 wird zu-
rückgewiesen.


Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:
Der Antrag,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, Kos-
ten für Fahrten der Antragsstellerin zur ärztlichen Untersuchungen zu über-
nehmen,

ist unbegründet.

Eine einstweilige Anordnung kann - nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG - nur ergehen,
wenn der Rechtschutzbegehrende glaubhaft macht, dass ihm der geltend gemachte
materielle Rechtsanspruch auf Gewährung der begehrten Leistung zusteht (Anord-
nungsanspruch) und es der sofortigen Durchsetzung seines Anspruches zur Beseiti-
gung einer gegenwärtigen Notlage im Wege der gerichtlichen Entscheidung bedarf,
weil ihm anderenfalls unzumutbare Nachteile entstünden (Anordnungsgrund).

lm vorliegenden Falle fehlt es am Anordnungsanspruch.

Wie auch die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 15.02.2005, auf den analog §
136 Abs. 2 und 3 SGG Bezug genommen wird, nicht verkennt, bestehen keinerlei
Zweifel an der Notwendigkeit ärztlicher Untersuchungen zur Abklärung des Gesamt-
umfanges der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Antragsstellerin. Zur Über-
nahme der für die Wahrnehmung der entsprechenden - noch zu vereinbarenden -
ärztlichen Termine anfallenden Kosten durch die Antragsgegnerin bietet das SGB ll
indes keine Handhabe. Gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V ist die Antragsstellerin als
Empfängerin von Arbeitslosengeld ll in der Krankenversicherung pflichtversichert.
Der Umfang dieser Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auch auf Kosten, die
durch die Wahrnehmung ärztlicher Termine notwendigerweise anfallen. Gegenüber
ihrem Krankenversicherungsträger, nicht aber gegenüber der Antragsgegnerin hat
die Antragsstellerin ihr Begehren daher geltend zu machen. Insbesondere greift auch
die Mehrbedarfsregelung nicht zu ihren Gunsten: Zum einen trifft keine der in § 21
Abs. 2 bis 5 SGB ll genannten Fallgestaltungen auf die Antragsstellerin zu. Zum an-


- 3 -

deren bezieht sich § 21 SGB ll nur auf die Erhöhung von Regelleistungen, nicht aber
die im konkreten Falle im Zusammenhange mit einer Krankenbehandlung entstehen-
den Kosten. § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB ll schließlich erfasst nur unabweisbaren Bedarf
zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Zur Bestreitung ihres Unterhaltes erhalt die
Antragsstellerin Arbeitslosengeld Il.

Dem Begehren musste nach allem der Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung ergeht analog §§ 183,193 SGG.

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SG MD, S 19 AS 3294/13 RG vom 25.10.2013, Sozialgericht Magdeburg
Sozialgericht Magdeburg
S 19 AS 3294/13 RG

Aktenzeichen

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

- Antragsteller —-
gegen

Kommunale Beschäftigungsagentur Jobcenter Landkreis H.‚
— Antragsgegnerin —

hat die 19. Kammer des Sozialgerichts Magdeburg am 25. Oktober 2013 durch die Vorsit—
zende Richterin Dr. B. beschlossen:

Die Gegenvorstellung gegen den Beschluss vom 16. September 2013 wird als unzulässig
zurückgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

l.

Die erkennende Kammer lehnte in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter
dem Aktenzeichen S 19 AS 2594/13 ER den Antrag des Antragstellers auf Übernahme von
„Dokumentenkosten“ für die Erstellung eines Personalausweises insbesondere die Kosten
für Passbilder sowie die Kosten i.V.m. dem Behandlungsschein bei fehlender Gesundheits—
karte der Krankenkasse ab.

Am 23 September 2013 hat der Antragssteller „Gegenvorstellung zum nicht anfechtbaren
Beschluss“ beim Sozialgericht Magdeburg eingereichte Er hat dabei die fehlende Bezifferung
der untersten Grenze des soziokulturellen Existenzminimums und dessen Nichtgewährleis—
tung gerügt. Dies widerspreche der Garantie nach Art. 1, 3, 20 Grundgesetz (GG).

Der Antragsteller beantragt wörtlich,

1. Eine Bezifferung der untersten Grenze des mSKEM (soziokulturellen Existenzminimums
nach der Definition: 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010 u.a.) erfolgte bisher nicht, es ist daher eine
Bezifferung vorzunehmen.

2. Die Anwendung einer Bagatellgrenze selbst ist system-, verfassungswidrig und führt
regelmäßig zu einer fortlaufenden kumulativen Unterdeckung und ist daher als rechtswidrig.

3. Eine Verweisung ist unzulässig (SGB II —- Verweisung auf nicht systematische Ansparbe—
trag).

Anonymisierte Fassung

4. Eine Folgenabwägung ist nicht erkennbar. der iandkreiseigene Regelbetrag entspricht
nicht dem bundesdeutschen Regelbetrag und ist daher als rechtswidrig einzustufen.

Die Antragsgegnerin stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im anhängigen
Verfahren der Gegenvorstellung sowie im Verfahren S 19 AS 2594/13 ER verwiesen.

II.

Die Gegenvorstellung des Antragstellers wird als unzulässig zurückgewiesen.

Offen kann bleiben, ob nach der Einführung des Rechtsbehelfs der Anhörungsrüge eine
Gegenvorstellung weiterhin grundsätzlich statthaft ist (so Bundessozialgericht ‚
Beschluss vom 19. Januar 2010 —-— B 11 AL 13/09 C juris). Ihre Zulässigkeit setzt die Rüge
groben prozessuales Unrechts voraus. Insbesondere durch eine Verletzung von Verfahrens-
grundrechten, das im Wege der richterlichen Selbstkontrolle beseitigt werden muss (BSG,
Beschluss vorn 29. Dezember 2005, B 7a AL 2921/05 B, juris).

Die gerügte unterbliebene Feststellung des soziokulturellen Existenzminimums, die gerügte
Anwendung eines Bagatellbetrags. die gerügte Verweisung auf Ansparbeträge sowie die
gerügte fehlende Folgenabwägung bei bestehender Rechtswidrigkeit des .‚landkreiseigenem
Regelbetrags“ stellt keinen Widerspruch zum Prozessrecht oder eine Verletzung der Verfah-
rensgrundrechte des Antragstellers dar. Der Einwand betrifft allein die Wertung der Kammer
hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Tatsachen und Rechtsfragen. Die Gegenvorstel-
lung ist kein prozessuales Mittel, um einen rechtskräftig beendeten Streit fortzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

 

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SG MD, S 19 AS 3265/13 RG vom 25.10.2013, Sozialgericht Magdeburg
Sozialgericht Magdeburg
S 19 AS 3265/13 RG

Aktenzeichen

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

—— Antragsteller ——
gegen

Kommunale Beschäftigungsagentur Jobcenter Landkreis H.
— Antragsgegnerin --

hat. die 19 Kammer des Sozialgerichts Magdeburg am 25. Oktober 2013 durch die Vorsit-
zende Richterin Dr. B. beschlossen:

Die Gegenvorstellung gegen den Beschluss vom 20. September 2013 wird als unzulässig
zurückgewiesen

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

l.

Die erkennende Kammer lehnte in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter
dem Aktenzeichen S 19 AS 2665/13 ER den Antrag des Antragstellers auf Auszahlung
bisher aufgelaufener Kosten bisheriger Meldeaufforderungen und aus dem Vermittlungsbud—
get, Kosten einer Meldeaufforderungen vom 22. August 2013 ab. Ebenfalls lehnte die
erkennende Kammer die Hilfsanträge auf Klärung der zukünftigen Kostenvorschüsse, die
Auszahlung eines Mehrbedarfs sowie die Aussetzung auf Aussetzung des Meldetermins ab.

Am 27. September 2013 hat der Antragssteller „Gegenvorstellung zum nicht anfechtbaren
Beschluss“ beim Sozialgericht Magdeburg eingereicht, Er hat dabei die fehlende Bezifferung
der untersten Grenze des soziokulturellen Existenzminimums und dessen Nichtgewährleis—
tung gerügt. Dies widerspreche der Garantie nach Art. 1, 3, 20 Grundgesetz (GG).

Der Antragsteller beantragt wörtlich,

1. Eine Bezifferung der untersten Grenze des mSKEM (soziokulturellen Existenzminimums
nach der Definition: 1 Bvl 1/09 vom 9.2.2010 u.a.) erfolgte bisher nicht, es daher eine
Bezifferung vorzunehmen

2. Eine Folgeabwägung bei der Wiederholungsgefahr ist nicht erkennbar, der landkreiseige—
ne Regelbedarf entspricht nicht dem bundesdeutschen Regelbedarf und ist daher als
rechtswidrig einzustufen.

Anonymisierte Fassung

3. Ein Maßstab und ein Maßstab für die Angemessenheit ist nicht vorhanden. Es ist damit
Willkürlichkeit auszugehen

Die Antragsgegnerin stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im anhängigen
Verfahren der Gegenvorstellung sowie im Verfahren S 19 AS 2665/13 ER verwiesen.

ii.

Die Gegenvorstellung des Antragstellers wird als unzulässig zurückgewiesen.

Offen kann bleiben, ob nach der Einführung des Rechtsbehelfs der Anhörungsrüge eine
Gegenvorstellung weiterhin grundsätzlich statthaft ist (so Bundessozialgericht ‚
Beschluss vom 19. Januar 2010 — B 11 AL 13/09 C, juris). Ihre Zulässigkeit setzt die Rüge
groben prozessuales Unrechts voraus. Insbesondere durch eine Verletzung von Verfahrens—
grundrechten das im Wege der richterlichen Selbstkontrolle beseitigt werden muss (BSG,
Beschluss vom 29. Dezember 2005. B 7a AL 2921/05 B. juris).

Die gerügte unterbliebene Feststellung des soziokulturellen Existenzminimums, die gerügte
fehlende Folgenabwägung bei Bestehen einer Wiederholungsgefahr, die fehlende Feststel—
iung der Rechtswidrigkeit des „landkreiseigenem Regelbetrags“ sowie das Fehlen eines
Maßstäbe zur Angemessenheit stellt keinen Widerspruch zum Prozessrecht oder eine
Verletzung der Verfahrensgrundrechte des Antragstellers dar. Der Einwand betrifft allein die
Wertung der Kammer hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Tatsachen und Rechtsfra-
gen. Die Gegenvorstellung ist kein prozessuales Mittel. um einen rechtskräftig beendeten
Streit fortzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

 

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SG MD, S 19 AS 2665/13 ER vom 20-09-2013, Sozialgericht Magdeburg

 

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SG MD, S 19 AS 2594/13 ER vom 16.09.2013, Sozialgericht Magdeburg
Sozialgericht Magdeburg
S 19 AS 2594/13 ER

Aktenzeichen

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit
- Antragsteller —
gegen

Kommunale Beschäftigungsagentur Jobcenter Landkreis H.,
- Antragsgegnerin -

Die 29. Kammer des Sozialgerichts Magdeburg hat am 16. September 2013 durch die
Richterin Dr. B. als Vorsitzende beschlossen:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I .

Der Antragsteller begehrt im Wesentlichen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die
Übernahme von „Dokumentenkosten“ für die Erstellung eines Personalausweises, insbeson-
dere die Kostenübernahme für Passbilder sowie die Kostenübernahme für die Kosten i.v.m.
dem Behandlungsschein bei fehlender Gesundheitskarte seiner Krankenkasse.

Der am geborene Antragsteller bezieht seit dem 1. Januar 2005 Leistung zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 12. August 2013 wies ihn das
Bürgeramt der Stadt I. drauf hin. dass er nicht im Besitz eines gültigen Ausweisdokuments
sei bzw. deren Gültigkeit demnächst ablaufen werde. Der Antragsteller wurde aufgefordert,
ein gültiges Personaldokument umgehend beim Bürgeramt zu beantragen. Weiter wurde
darauf hingewiesen dass für die Erstellung eines Personaldokuments biometrietaugliche
Passfotos notwendig seien und die Ausstellung eines Personalausweises eine Gebühr von
28.80 € koste.

Bereits mit Schreiben vom 13. Juli 2012 forderte die Krankenkasse des Antragstellers diesen
auf, für die neue elektronische Gesundheitskarte ein Passbild oder ein bereits vorhandenes
Foto (elektronisch) zu übermitteln. Bereits am 26. September 2012 stellte der jetzige An-
tragsteller erfolglos unter dem Aktenzeichen S 19 AS 4614/12 einen Antrag auf einstweilige
Anordnung der Kostenübernahme für die Erstellung eines Passbilds bzw. die Kostenüber—
nahme zuzüglich der Nebenkosten für die Erstellung und das Hochladen eines solchen
Bildes und die Kostenübernahme für die Kosten in Verbindung mit dem Behandlungsschein
beim Sozialgericht Magdeburg. Eine Beschwerde vor dem Landessozialgericht Sachsen-
Anhalt (Aktenzeichen: L 5 AS 389/13 B ER) blieb ebenfalls erfolglos.

- 2-

Mit Schriftsatz vom 15. August 2013. Eingang beim Sozialgericht Magdeburg am 16. August
2013, stellte der Antragsteller einen Antrag auf einstweilige Anordnung. Dies begründete er
damit, dass bisher die Amtsermittlungsergebnisse zu „Dokumentenkosten“, insbesondere
zum Sozialpass. Gesundheitspass sowie Personalausweisdokumenten fehlen würden. Der
Antragsgegnerin sei bekannt, dass Passbilder nicht im Regelbedarf enthalten seien. Es
stünde noch die Kostenübernahme für die noch notwendige Erstellung von Passbildern für
den Sozial— und Reisepass sowie Bewerbungen aus. Zudem seien noch Nachweis- und
Dokumentationskosten sowie Fahrkosten offen. im Übrigen seien auch die Kosten der
Unterkunft noch streitig. Durch die bisherige Weigerung der Antragsgegnerin diese Kosten
zu begleichen sei das Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. insbesondere sei das
Problem der „Dokumentenkosten“ und des fehlerhaften Regelbetrages bisher durch eine
mögliche Darlehensvergabe nicht gelost worden. Es besteht damit weiterhin ein dauerhafter
Systeme, Rechts- und verfassungswidriger Zustand seit dem 1. Januar 2011. im Übrigen
weist der Antragsteller darauf hin, dass im Gesetzentwurf BT-Drs. 17/3404 (S. 64) für die
Änderung des Regelbedarfs stünde:

“Den sonstigen Dienstleistungen werden die neu festgelegten Gebühren von 28,80 €
bezogen auf 10 Jahre für den Personalausweis. die künftig auch hilfebedürftigen Personen
zu entrichten haben. zusätzlich berücksichtigt.“

Der Antragsteller beantragt wörtlich,

1. die Übernahme von Dokumentenkosten aufgrund des Schreibens der Stadt I. zuzüglich
sonstiger Entstehungs- und Verfahrenskosten.

2. Kostenübernahme für Passbilder.

3. Kostenübernahme zuzüglich Nebenkosten für das Hochladen (PC/Kamera/Software,/
Internet/Strom).

4. die Kostenübernahme für die Kosten in Verbindung mit dem Behandlungsschein.

5. Kostenübernahme per Darlehen in Höhe des dreifachen Auffüllbetrags (750,01 € x 3) (1.
Dokumentationskosten zuzüglich, 2. Ausweis—Passbild 3. Gesundheitspass-Passbild, 4.
Sonstige Entstehungs— und Verfahrenskosten).

6. die Auszahlung eines atypischen Mehrbedarfs in Höhe eines eventuell bestehenden
Schadensersatzanspruchs.

7. einen sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruch.

8. die nachträgliche Ausweisung des Ansparbetrages in Euro für Dokumentenkosten in den
laufenden Bescheiden.

Hilfsweise beantragt der Antragsteller wörtlich,

die Aussetzung der Ausweispflicht für den Ansparzeitraum.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Der Antrag sei bereits unzulässig. Die Kostenübernahme für ein Passbild für die Gesund—
heitskarte bzw. das Hochladen eines Bildes sei bereits in einem anderen Verfahren des
Anonymisierte Fassung

- 3 -

einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt worden. Die Gebühren für den Personalausweis
seien im Regelbedarf enthalten. Bei einer darlehensweisen Gewährung müsse zur Tilgung
des Darlehens sofort mit 10% des Regelbedarfs aufgerechnet werden. Das Darlehen sei
sofort im nächsten Monat getilgt. Der Antragsteller hätte in den letzten Jahren bereits
Ansparungen für den Personalausweis treffen können. Für die Auffüllbeträge bestünde keine
Rechtsgrundlage im SGB II. Die weiteren geltend gemachten Ansprüche könnten nicht
Gegenstand eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes sein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird
auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen

I. in der Hauptsache geht es dem Antragsteller um den Kostenersatz für die Gebühren des
Personalausweises (Hauptantrag zu 1.) sowie der Kostenersatz für die Erstellung von
Passfotos (Hauptantrag zu 2.). Der Hauptantrag zu 2 ist zu den Anträgen zu 3. und 4. nach
der Auslegung durch das Gericht im Verhältnis Haupt— und Hilfsantrag gestellt. Im Antrag zu
3. macht der Antragsteller hilfsweise die Kosten der Erstellung von Passfotos mit eigener
Kamera und der elektronischen Übertragung an die Krankenkasse für die Gesundheitskarte
geltend. Ebenfalls hilfsweise beantragt dieser im Antrag zu 4. die Kostenübernahme für
Kosten in Verbindung mit dem Behandlungsschein. Die Anträge zu 5 bis 8 sind als Hauptan—
träge auszulegen. Ausdrücklich hilfsweise beantragt der Antragsteller die Aussetzung der
Ausweispflicht.

2. Die Hauptanträge zu 1. und 2. sind zulässig aber unbegründet.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache
auf Antrag eine einstweilige Anordnung auf den Streitgegenstand treffen. wenn die Gefahr
besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines
Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige
Anordnungen sind nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies ist etwa dann der Fall, wenn
dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders
abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache
nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG. Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, Rn. 5 ff).
Nach § 86 b Abs. 3 SGG ist der Antrag schon vor Klageerhebung zulässig. Eine solche
Regelungsanordnung begehrt der Antragsteller. soweit er von der Antragsgegnerin Leistun—
gen erhalten möchte.

Eine Regelungsanordnung kann das Gericht erlassen. wenn der Antragsteller glaubhaft
macht (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO)).
dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsan—
spruch) und dass der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche
Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Voraussetzung für die Gewährung einstweili—
gen Rechtsschutzes ist damit das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anord—
nungsgrundes. wobei der Anordnungsanspruch den materiellen Anspruch auf die Regelung
an sich beinhaltet und der Anordnungsgrund ein besonderes Eilbedürfnis, also die Dringlich
keit der begehrten Regelung für den Antragsteller voraussetzt.

Bei der Beurteilung sind hierbei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt
der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich.

Ein Anordnungsanspruch wurde nicht glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Übernahme der Gebühren für die Ausstellung
eines neuen Personalausweises sowie der Kosten für das Anfertigen der dazu erforderlichen

- 4 -

biometrischen Fotos als Zuschuss. Es fehlt an einer Anspruchsgrundlage für dieses Begeh—
ren (so auch: LSG Baden—Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 —— L 12 AS 2597/11 — juris).
Grundsätzlich hat der Leistungsberechtigte seinen Bedarf zur Sicherung des Lebensunter-
halts durch den Regelbedarf des § 20 Zweites Sozialgesetzbuch (SGB ll) zu decken. Der
Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst nach § 20 Abs. 1 SGB II insbe—
sondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die
Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnis-
se des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in
vertretbarem Umfang die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft.
Die mit der Erstellung eines Personaldokuments verbundenen Kosten sind im Regelbedarf
enthalten (so die Begründung der Gesetzentwurfs BT-Drs. 17/3404, S. 64), auf die der
Antragsteller ausdrücklich verweist. Dem Gericht ist es nicht möglich, abweichend vom
pauschalierten Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II Leistun-
gen festzusetzen (vgl. beispielsweise BSG, Urteile vorn 10. Mai 2011 4 B 4 AS 11/10 B -:
vom 28. Oktober 2009 - B 14 AS 44/08 R —: vom 19. August 2010 — B 14 AS 47/09 R —
jeweils zitiert nach juris). Kann ein notwendiger Bedarf durch den Regelbedarf tatsächlich
nicht gedeckt werden, soll der Hilfebedürftige zunächst den „Ansparbetrag“ einsetzen. Nur
wenn ihm das nicht gelingt. kommt eine darlehensweise Bewilligung nach § 24 Abs. 1 SGB II
in Betracht.

Auch abweichend vom Regelbedarf fehlt es in der Systematik des SGB II an einer An—
spruchsgrundlage für die begehrte Übernahme der Kosten für den Personalausweis und des
Reisepasses. Es handelt sich bei den Aufwendung für den Personalausweis und den
Reisepass sowie die damit zusammenhängenden Kosten für biometrische Fotos weder um
einen Mehrbedarf, der in § 21 SGB II gesondert normiert ist, noch um Sonderbedarfe nach §
24 Abs. 3 SGB II.

Es liegen auch die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II nicht vor, wonach bei Leis-
tungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt wird. wenn im Einzelfall ein unabweisbarer,
laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Hintergrund dieser mit Wirkung
zum 08. Juni 20t0 gesetzlich normierte Härtefallregelung ist das Urteil des Bundesverfas-
sungsgericht vom 09. Februar 2010 (1 BvL 1/09. 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 —). ln diesem
monierte das Bundesverfassungsgericht, dass in der Systematik des SGB II eine Regelung
nicht enthalten sei, nach der es einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung eines zur
Deckung eines menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren. laufenden, nicht nur
einmaligen, besonderen Bedarf gäbe. Durch den Bezug auf einen laufenden und nicht nur
einmaligen besonderen Bedarf wird der Mehrbedarf nah § 21 Abs. 6 SGB II von dem
Darlehen für unabweisbare Bedarfe nach § 24 Abs. 1 SGB II abgegrenzt (LSG Baden
Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 -—- L 12 AS 2597/11 —— juris). Auch das Bundesverfas-
sungsgericht ist davon ausgegangen, dass nur einmalig auftretenden Bedarfsspitzen über
die Darlehensregelung erfasst werden können.

Von einem einmaligen Bedarf ist auszugehen, wenn der besondere Bedarf im Bewilligungs—
abschnitt nicht nur einmal, sondern bei prognostischer Betrachtung mehrfach auftritt (so
bspw. Behrend in jurisPK - SGB II, § 21 RdNr. 81). Dies ist dann anzunehmen, wenn der
Bedarf absehbar wiederholt in einem zeitlich vom Zeitpunkt der Beurteilung her abschätzba—
ren Zeitraum von ca. 1 — 2 Jahren anfällt (so z.B. Münder in LPK — SGB II, 4. Aufl. 2011, § 21
RdNr. 42). Bei einem einmaligen Bedarf handelt es sich nicht um einen Härtefall in diesem
Sinne (so auch: Sauer in derselbe, SGB II, 1. Aufl. 2011, § 21 RdNr. 84). Bei den Kosten für
die Erstellung eines Personalausweises und die biometrischen Passbilder handelt es sich
um keinen laufenden, in einem überschaubaren Zeitraum wiederkehrenden, sondern um
einen einmaligen Bedarf anlässlich der Ausstellung eines Personalausweises und eines
Reisepasses (LSG Baden—Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 — L 12 AS 2597/11 — juris).
Mit einem erneuten Bedarf ist erst nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Personalausweises,
die 10 Jahre beträgt, zu rechnen.

- 5 -

Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung eines gegebenenfalls
rückzahlungsfreien Darlehens nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB
II erbringt der Leistungsträger nach dem SGB II bei entsprechendem Nachweis den Bedarf
als Sachleistung oder Geldleistung und gewährt der oder dem Leistungsberechtigten ein
entsprechendes Darlehen, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des
Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt
werden kann. Das Darlehen wird ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatli—
che Aufrechnungen in Höhe von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs getilgt (§ 42a Abs. 2
Satz 1 SGB II). Weitergehende Leistungen sind ausgeschlossen (§ 24 Abs. 1 Satz 8 SGB II).
Für die Gewährung einer von vornherein rückzahlungsfreien Darlehensleistung fehlt es im
SGB II an einer Rechtsgrundlage (vgl. beispielsweise BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 in B 4 AS
11/10 R -).

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus § 1 Abs. 6 Personalausweisgebühren—verordnung
vom 1. November 2010, wonach die Gebühr für die Ausstellung eines Personalausweises
ermäßigt oder von ihrer Erhebung abgesehen werden kann, wenn die Person, die die
Gebühr schuldet, bedürftig ist. Denn für die Entscheidung über die Gebührenermäßigung
bzw. das Absehen von der Gebührenerhebung sind die Personalausweisbehörden zuständig
(§ 7 Abs. 1 Personalausweisgesetz).

Es bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Gebühren für die
Ausstellung eines Personalausweises und eines Reisepasses sowie die Kosten für die
Anfertigung biometrischer Fotos nicht nach den Vorschriften des SGB II gesondert über-
nommen werden können, sodass kein Anlass für eine Vorlage gemäß Art. 100 Grundgesetz
an das Bundesverfassungsgericht besteht.

3. Die hilfsweise geltend gemachten Anträge auf Kostenübernahme zuzüglich Nebenkosten
für das Hochladen (Antrag zu 3.) sowie die Kostenübernahme in Verbindung mit dem
Behandlungsschein (Antrag zu 4.) sind bereits unzulässig. Hier fehlt es am Rechtsschutzbe-
dürfnis. Entstehende Kosten sind weder vorgetragen noch der Kammer ersichtlich.

4. Der Antrag zu 5. ist zwar zulässig, aber unbegründet. Ein Anordnungsanspruch für die
Kostenübernahme per Darlehen in Höhe eines dreifachen Auffüllbetrags liegt nicht vor. Ein
Auffüllbetrag ist in der Systematik des SGB II nicht vorgesehen. Inwieweit die Summe von
jeweils 750,01 € als einmalige Bedarfsspitze im Rahmen des § 24 Abs. 1 SGB II über den
Betrag der Gebühr für den Ausweis hinausgeht, herzuleiten ist, ist der Kammer nicht ersicht—
lich und auch nicht vorgetragen. Insofern fehlt die Rechtsgrundlage für den in der Höhe von
750,01 € vom Antragssteller geltend gemachten Anspruch.

Die mit diesem Betrag wohl auch geltend gemachte darlehensweise Bewilligung der Gebühr
für den Personalausweis in Höhe von 28,80 € kann vom Antragsteller von der aus der
Regelleistung gezahlt werden, insofern fehlt es am unabweisbaren Bedarf der Bewilligung
nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Es ist nicht vorgetragen und für das Gericht auch nicht
ersichtlich, dass der Betrag nicht vom ausgezahlten Regelbedarf getragen werden kann. Im
Übrigen fehlt es auch an einem Anordnungsgrund, da die regelmäßig anzusetzende Baga-
tellgrenze bei einmalig zu zahlenden Beträgen nicht erreicht wird (vgl. dazu LSG Sachsen-
Anhalt Beschluss vom 30.03.2009 — L 5 B 121/08 ER — juris). Die Grenze ergibt sich aus der
Heranziehung der für ein solches Darlehen vorgesehenen Tilgung in Raten durch monatliche
Aufrechnung von bis zu 10% der Regelleistung (nunmehr 38,20 €) als generellen Rahmen.
Dieser Betrag ist hier nicht überschritten. Daran ändert auch nichts, dass der Antragsteller
bereits ein Darlehen in Höhe von 34,70 € monatlich zurückzahlt, da mit der Wertung von §
43 Abs. 2 SGB II sogar eine Aufrechnung bis 30 % möglich ist. Hier ist keine existenzielle,
das heißt akute wirtschaftliche Notlage glaubhaft gemacht, der mit Mitteln des gerichtlichen
Eilrechtschutzes begegnet werden müsste.

- 6 -

Der Antrag zu 6. ist zulässig, aber unbegründet. Ein Anordnungsanspruch liegt nicht vor.
Die Zahlung eines Mehrbedarfs in Höhe eines Schadensersatzanspruchs ist im Sozialge—
setzbuch II (SGB II) nicht vorgesehen. Insofern fehlt die Rechtsgrundlage für den vom
Antragssteller geltend gemachten Anspruch.

6. Nichts anderes ergibt sich aus dem geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsan-
spruch. Dieser setzt voraus. dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetzes
oder eines Soziairechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und
Auskunft (§§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch) verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass
zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen
ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige
Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt
werden können. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Geset-
zeszweck nicht widersprechen ist (st Rspr. vgl BSG 01.04.2003, B 7 AL 52/03 B, BSGE 92.
267. 279 = SozR 4-43005 § 137 Nr 1: BSG 31.10.2007. B 14/11b AS 63/06 R, SozR 4-1200 §
14 Nr 10). Hier ist schon eine Pflichtverletzung der Antragsgegnerin nicht ersichtlich. Eine
solche wurde auch nicht vorgetragen.

7. Der Antrag zu 8. ist bereits unzulässig. Eine solche Anordnung der nachträglichen
Ausweisung des Ansparbetrages in den laufenden Bescheiden unterfällt nicht den Fallgrup-
pen des § 86 b SGG.

8. Der Hilfsantrag auf Aussetzung der Ausweispflicht ist unzulässig. Das Sozialgericht ist für
eine solche Entscheidung sachlich unzuständig.

9. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

10. Die Beschwerde ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht statthaft, da der Beschwerdewert
von 750 € nicht erreicht ist. Soweit der Antragsteller hier Kosten in Höhe des dreifachen
Auffüllbetrages von jeweils 750.01 € geltend macht, geht das Gericht davon aus, dass dieser
Betrag nur zum Erreichen des Beschwerdewerts angegebenen wurde. Wirtschaftlich werden
lediglich die Gebühren für den Personalausweis sowie für die Erstellung von Passfotos
begehrt, welche den Beschwerdewert nicht annähernd erreichen.

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SG MZ, S 13 SB 486/10 vom 07.05.2012, Sozialgericht Mainz
Aktenzeichen
S 13 SB 486/10

Verkündet lt. Protokoll am:
7. Mai 2012
gez.:
S.
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

- Klägerin -

Prozessbevollmächtigte Rechtsanwälte

gegen

Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch das Landesamt für Soziales, Jugend und
Versorgung, Baedekerstraße 2—10, 56073 Koblenz


— Beklagter —


hat die 13. Kammer des Sozialgerichts Mainz auf die mündliche Verhandlung vom
7. Mai 2012 durch


den Richter S.

sowie die ehrenamtlichen Richter Herr B. und Frau K.


für Recht erkannt:


1. Die Klage wird abgewiesen.

- 2 -


2. Über das Teil-Anerkenntnis vom 11. Januar
2012 hinaus sind keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten zuletzt noch über die Frage, ob bei der Klägerin die Vor-
aussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche
Gehbehinderung) vorliegen.


Bei der am 21. Juli 1961 geborenen Klägerin wurden mit zuletzt bindend gewor-
denem Bescheid vom 22. Juni 2009 als Ausführungsbescheid zum Urteil des So-
zialgerichts Mainz (SG) vom 07. Mai 2009 (Az.: S B SB 133/07) durch das Amt für
soziale Angelegenheiten Mainz (AsA) ein Grad der Behinderung (GdB) von 70
sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt,
wobei die Behinderungen wie folgt bewertet und bezeichnet wurden:


1. Harnblasenoperation mit Anlage einer künstlichen Harnableitung über die
Bauchdecke mit Inkontinenz (Einzel-GdB = 60).
2. Schmerzhatte Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule nach mikrochi-
rurgischer Bandscheibenoperation im HWS-Bereich, operative Spondylo-
dese im LWS-Bereich sowie nach verheilten Brustwirbeltrakturen (Einzel-
GdB = 30).
3. Reizmagen (Einzel-GdB = 10).
4. Vegetative Dystonie (Einzel-GdB = 10).
5. Kniegelenkschaden beiderseits, Polyaithralgien (Einzel-GdB = 10).


Die Klägerin stellte im Februar 2010 einen Änderungsantrag beim AsA mit
dem Ziel der Feststellung eines höheren GdB und des Merkzeichens "aG". Sie
gab an, dass sich die Beschwerden an der Harnblase, der Wirbelsäule, dem
Reizmagen und dem Knie verschlimmert hätten. Neu hinzugekommen seien Be-


- 3 -


schwerden am Ellenbogen. Eine Kohabitation sei ihr unmöglich. Die Klägerin legte
hierzu zahlreiche Befundunterlagen vor. Im Einzelnen berief sie sich ua auf fol-
gende medizinische Unterlagen: Arztbrief des U. des S. Klinik für
Urologie und Kinderurologie; ärztlichesGutachten für die gesetzliche Rentenversi-
cherung durch den Urologen Dr. G.; ärztliches Gutachten für die gesetzliche
Rentenversicherung durch den Orthopäden Dr. G.; Entlassungsbericht des Uni-
versitätsklinikums, Urologische Klinik und Poliklinik; verschiedene Arztbriefe
des Städtischen Klinikums N., Abteilung für Urologie; Gutachten des Städti-
schen Klinikums N., Abteilung für Urologie und ein Arztbrief des St.
J g ,Wirbelsäulenzentrum.


Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme wurde der Antrag der Kläge-
rin mit Bescheid vom 22. April 2010 durch das AsA abgelehnt. Zur Begrün-
dung wurde ausgeführt, dass der GdB weiterhin mit 70 zu bewerten sei und die
Voraussetzungen des Merkzeichens "G" vorlägen. Die Schmerzen bei der Kohabi-
tation seien bereits·unter Ziff 1 mitberücksichtigt. Die Behinderungen wurden er-
neut wie folgt festgestellt:


1. Harnblasenoperation mit Anlage einer künstlichen Harnableitung über die
Bauchdecke mit Inkontinenz (Einzel-GdB = 6O).
2. Schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule nach mikrochi-
rurgischer Bandscheibenoperation im HWS—Bereich, operative Spondylo-
dese im LWS-Bereich sowienach verheilten Brustvvirbelfrakturen (Einzel-
GdB = 30).
3. Reizmagen (Einzel-GdB = 10).
4. Vegetative Dystonie (Einzel-GdB = 10).
5. Kniegelenkschaden beiderseits, Polyarthralgien (Einzel-GdB = 10).


Ihren hiergegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin dahingehend,
dass die bereits anerkannten Leiden nicht ausreichend berücksichtigt worden sei-
en und insbesondere fehlerhaft die Voraussetzungen für die Zuerkennung des


- 4 -


Merkzeichens "aG" nicht angenommen worden seien. Zur Begründung legte sie
wiederum verschiedene Arztberichte vor: Arztbriei des Radiologen Dr, V ; Arzt-
brief der Universitätsmedizin, Zentrum für muskuloskeletale Chirurgie; Arztbrief
des Radiologischen Instituts K.; Untersuchungsberichte des MVZ für Laborato-
riumsmedizin und eine Arnbulanzkarte der Universitätsklinik.


Nach der.Einholung eines Befundberichts bei der die Klägerin behandelnden
Frauenärztin K. vom 29. Juni 2010 und dem Eingang weiterer ärztlicher Be-
fundunterlagen wurde der Widerspruch auf die gutachtliche Stellungnahme vom
30. September 2010 mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2010 durch das
Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung zurückgewiesen. Die Behinde-
rungen wurden wie folgt neu bezeichnet und bewertet:


1. Harnblasenoperation mit Anlage einer künstlichen Harnableitung über die
Bauchdecke mit Inkontinenz (Einzel—GdB = 60).
2. Schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule nach mikrochi-
rurgischer Bandscheibenoperation im Halswirbelsäulenbereich, operative
Spondylodese im Lendenwirbelsäulenbereich sowie nach verheilten Brust-
wirbelfrakturen (Einzel-GdB = 30).
3. Störungen der Vagina und der äußeren Genitale (Einzel-GdB = 20).
4. Reizmagen (Einzel—GdB = 10).
5. Vegetative Dystonie (Einzel—GdB = 10).
6. Kniegelenksschaden beiderseits, Polyarthralgien (Einzel-GdB = 10).


Mit ihrer am 12. November 2010 erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst die
Feststellung eines GdB von mindestens 80 und die Feststellung des Merkzeichens
"aG" begehrt.


Die Klägerin hat vorgetragen, dass sie durch die Störung der Vagina stärker ein-
geschränkt sei, als sich das in einem Einzel-GdB von 20 widerspiegele. Sie könne
keinen Geschlechtsverkehr mehr haben, Auch ihre Wirbelsäulenerkrankung sei


- 5 -


schlimmer, als dies der bislang anerkannte Einzel—GdB von 40 erscheinen lasse.
Zudem erfülle sie die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzei-
chens "aG". Zwar sei sie kein klassisches Beispiel für das begehrte Merkzeichen.
Jedoch rechtfertigten die miteinander korrelierenden inneren Beschwerden und
Verletzungen die Annahme einer gleichschweren Erkrankung. Auf Grund ihrer
Neo-Blase sei sie auf ein ständiges Katheterisieren angewiesen. Die dazu benö-
tigten Utensilien müsse sie in einer großen Tasche aufbewahren und stets bei sich
führen. Diese sei sperrig und von erheblichem Gewicht. Zudem führten die chroni-
sche Blasenentzündung, der unkontrollierte Harnabgang und die Beschwerden an
ihrer Wirbelsäule zu einer stark verminderten Wegefähigkeit. Deshalb sei sie etwa
einem Doppeloberschenkelamputierten gleichzustellen.


Das Gericht hat Befundberichte beiden die Klägerin behandelnden Fachärzten Dr.
K. (Orthopädie) vom O9. März 2011 und K. (Gynäkologie) vom 11. März
2011 eingeholt. Auf die versorgungsärztliche Stellungnahme des Beklagten durch
Frau Dr. F. vom 27. April 2011 hat das Gericht Dr. P. mit der Erstellung eines
orthopädischen Fachgutachtens beauftragt. In seinem unter dem 02. Oktober
2011 vorgelegten Gutachten hat der Sachverständige Dr. P. folgende Diagnosen
auf orthopädischem Fachgebiet gestellt:


1. Cervikobrachialgie bei Zustand nach mehrsegmentalen cervikalen Band-
scheibenoperation mit Fusionen der Segmente C2/3, C3/4, C5/6
2. Osteochondrose und nachgewiesener Bandscheibenschaden des Seg-
ments C6/7.
3. Thorakodorsalgle bei degenerativen Veränderungen der Brustwirbelsäule
und Zustand nach stattgehabten Brustwirbelfrakturen.
4. Lumbalsyndrom bei Zustand nach Spondylodese L5/S1 bei Spondylolisthe-
sis L5/S1 (1989), Spondylodese wegen Anschlussinstabllität L4/5, persistie-
rende linksseitige Radikulopathie mit Parese der Hüftbeugung, Fuß- und
Zehenhebung.
5. Verdacht auf erneute Anschlussinstabilität L3/4


- 6 -


Der Gesamt-GdB auf orthopädischem Fachgebiet betrage 40. Die gesundheitli-
chen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeiohens "aG" lägen nicht
vor. Hinsichtlich der Befunderhebung und Feststellung des Sachverständigen Dr.
P. wird im Einzelnen auf Bl 73 ff der Prozessakte verwiesen.


Der Beklagte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 11. Januar 2012 ein Teil-
Anerkenntnis hinsichtlich der Feststellung eines GdB von 80 ab Juli 2010 abgege-
ben. Die Klägerin hat dieses Teil-Anerkenntnis am 07. Mai 2012 angenommen.


Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen des Merkzeiohens "aG"
bei ihr vorliegen. Dies folge weder allein aus den orthopädischen noch aus den
urologischen Beschwerden, sondern auf Grund ihrer Zusammenwirkung. Hinzu
kämen praktische Überlegungen. Zur Versorgung ihrer Blase bzw Entleerung
müsse sie Material in erheblichem Umfang in einer Tasche oder einem Rucksack
mit sich führen. Beides sei jedoch für sie auf Grund ihrer Wirbelsäulenbeschwer-
den und der Venzvendung einer Unterarmstütze kaum nutzbar. Schon der an sich
simple Prozess des Aussteigens aus dem Fahrzeug gestalte sich für sie als erheb-
lich schwierig. Dabei müsse die Tür bis zum Anschlag geöffnet sein, um überhaupt
das Fahrzeug verlassen zu können. Wegen der vorliegenden Fußzehenschwäche
müsse sie den Fuß mit den Armen aus dem Fahrzeug heben. Dies gelänge nur
bei weit offenstehender Tür. Normale Parkplätze seien jedoch so konzipiert, dass
sie kaum einen halben Meter breiter als ein normales Fahrzeug seien.


Die Klägerin beantragt,


den Bescheid vom 22. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 14. Oktober 2010 in der Fassung des Teil—Anerkenntnisses vom 11.
Januar 2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr die Vor-
aussetzungen des Merkzeichens "aG" festzustellen.


- 7 -


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass den Beeinträchtigungen der Geh- und Stehfä-
higkeit der Klägerin durch die Zuerkennung des Merkzeichens "G" hinreichend
Rechnung getragen worden sei. Eine Gehbehinderung außergewöhnlichen Aus-
maßes, wie sie für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" vorliegen müsse, sei
bei der Klägerin nicht festzustellen. Medizinische Gesichtspunkte, die eine abwei-
chende Entscheidung rechtfertigen, seien nicht vorgetragen worden. Hierzu stützt
sich der Beklagte auf die neuerliche versorgungsärztliche Stellungnahme der Frau
Dr. F. vom 03. Januar 2012.


Das Gericht hat die Prozessakte aus dem zuvor zwischen den Beteiligten geführ-
ten Rechtsstreit (Az.: S 8 SB 133/O7) beigezogen.


Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Der
Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.


Entscheidungsgründe


Die statthafte, form- und fristgerecht erhobene sowie im Übrigen zulässige Klage
ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung des
Merkzeichens "aG". Dies steht zur Überzeugung der Kammer auf Grund des
Sachverständigengutachtens von Dr. P. vom 02. Oktober 2011 fest.


Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs 4 Neuntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden ·neben


- 8 -


einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die
Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen fur schwerbehindeite Menschen sind.


Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung eines
schwerbehinderten Menschen im Sinne des § 6 Abs 1 Nr 14 Straßenverkehrsge-
setz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, fur die
in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3
Abs 1 Nr 1 Schwerbehindeitenausweisverordnung). Eine Definition der außerge-
wöhnlichen Gehbehinderung findet sich in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift
zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO, neu bekannt gemacht am 26.01.2001,
BAnz 2001, Nr 21, S 1419), und zwar dort in Abschnitt II Nr1 zu § 46 Abs 1 Nr 11
Straßenverkehrsordnung. Danach sind als schwerbehinderte Menschen mit au-
ßergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen
der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer An-
strengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können. Hierzu zählen Quer-
schnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputier-
te, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer-
stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen
können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere
schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch
aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleich-
zustellen sind.


Dieselben Kriterien enthält Teil D Nr 3 lit b der als Anlage zu § 2 der Versor-
gungsmedizin—Verordnung (VersMedV) erlassenen Versorgungsmedizinischen
Grundsätze. Ergänzend bestimmt Teil D Nr3 lit c Versorgungsmedizinische
Grundsätze: Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf
eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen
anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten
Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das
Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Ver-


-9-


gleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelampu-
tierten heranzuziehen ist. (...) Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine sol-
che Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren
Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der
Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades anzuse-
hen.


Personen, die nicht zu den in Abschnitt II Nr1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO bei-
spielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehören, kön-
nen nach den Kriterien dieser Vorschrift nur dann als außergewöhnlich gehbehin-
dert angesehen werden, wenn sie diesem Personenkreis gleichzustellen sind. Ei-
ne derartige Gleichstellung setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialge-
richts (BSG) voraus, dass die Gehfähigkeit des Betroffenen in ungewöhnlich ho-
hem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen
wie die in der Vorschrift aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit frem-
der Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 11.03.1998, Az.: B 9 SB 1/97 R,
BSGE 82, 37). Zwar handelt es sich bei den beispielhaft aufgeführten schwerbe-
hinderten Menschen mit Querschnittslähmung oder Gliedmaßenamputationen in
Bezug auf ihr Gehvermögen nicht um einen homogenen Personenkreis, so dass
es möglich ist, dass einzelne Vertreter dieser Gruppen auf Grund eines günstigen
Zusammentreffens von gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperli-
cher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung ausnahmsweise
nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen, was namentlich bei
körperlich trainierten Doppelunterschenkelamputierten mit Hilfe moderner Ortho-
pädietechnik der Fall sein kann. Derartige Besonderheiten sind jedoch nicht ge-
eignet, den Maßstab zu bestimmen, nach dem sich die Gleichstellung anderer
schwerbehinderter Menschen mit dem genannten Personenkreis richtet. Vielmehr
hat sich der Maßstab der Gleichstellung an dem der einschlägigen Regelung vor-
angestellten Obersatz zu orientieren (so BSG, Urteil vom 10.12.2002, Az.: B 9 SB
7/01 R, BSGE 90, 180). Es kommt daher nicht darauf an, ob der das Merkzeichen
"aG" beanspruchende schwerbehinderte Mensch funktional einem Doppelober-


- 10 -


schenkelamputierten oder Querschnittsgelähmten gleichsteht, sondern ob er sich
außerhalb seines Kraftfahrzeuges wegen der Schwere seines Leidens entweder
nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann, und
zwar praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an. Die
Gehfähigkeit muss so stark eingeschränkt sein, dass es dem Betroffenen unzu-
mutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Das BSG hat in diesem Zusam-
menhang zum Ausdruck gebracht, dass die für das Merkzeichen "aG" geforderte
große körperliche Anstrengung gegeben sein dürfte, wenn der Betroffene bereits
nach einer Wegstrecke von 30 m wegen Erschöpfung eine Pause einlegen muss
(vgl BSG, Urteil vom 10.12.2002 aaO).


Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des
Merkzeichens "aG" im Fall der Klägerin nicht gegeben. Wirbelsäulenfunktionsbe-
einträchtigte nach Bandscheibenoperaticn im Hals- und Lendenwirbelsäulenbe-
reich nach verheilten Brustwirbelfrakturen bei Radikolopathie werden in Abschnitt
11 Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO als Fallgruppe nicht genannt. Eine Gleich-
stellung mit den darin genannten Gruppen von schwerst gehbehinderten Men-
schen kommt im Falle der Klägerin auch wegen derr Notwendigkeit, ständig
schweres Gerät zum Katheterisieren ihrer Neo-Blase mit sich zu führen, nicht in
Betracht.


Anlässlich der körperlichen Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. P. Am
25. August 2011 bereitete der Klägerin das Aufstehen im Wartebereich erhebliche
Mühen. Das Gangbild war gleichschrittig und unbeholfen. Es zeigte sich kein Ab-
rollen der Füße, sondern nur ein tappendes Aufsetzen. Die Klägerin gebrauchte
beidseitig Unterarmgehstützen. Die kurze Strecke vom Stuhl zur Liege (3 Meter)
vermochte sie ohne Unterarmgehstützen zurückzulegen. Ein freies Stehen ist der
Klägerin nicht mehr wirklich lange möglich. Eine aktive Hüftbeugung links gelang
nicht. Das Heben des Beines ist nur noch mit Unterstützung möglich. Zusammen-
fassend ist von erheblichen Beeinträchtigungen der Klägerin auszugehen. Es be-
steht ein Zustand nach multisegmentalen Versteifungen, die bislang keineswegs


- 11 -


zu einer beschwerdefreien Situation geführt hätten. Hinzu kommt die erhebliche
Problematik auf urologischem Fachgebiet. Wegen einer nicht beherrschbaren In-
kontinenz wurde ihr eine sogenannte Neo—Blase mit künstlicher Harnableitung
über die Bauchdecke eingesetzt. Die Klägerin muss sich ständig über das abdo-
minelle Urostoma selbst katheterisieren. Die Inkontinenz besteht weiterhin.


Aus den geschilderten Beschwerden resultiert eine Beeinträchtigung der Geh- und
Stehfähigkeit der Klägerin. Dieser ist durch die Zuerkennung des Merkzeichens
"G" ausreichend Rechnung getragen worden. Die Voraussetzungen für eine
Gleichstellung mit den explizit genannten Fallgruppen liegen jedoch nach den
übereinstimmenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. P. und der Versor-
gungsärztin Dr. F. nicht vor.


Größere Anstrengungen, die aus dem Mitsichführen der Utensilien zum Katheteri-
sieren resultieren, haben dabei außer Betracht zu bleiben, da es sich hierbei um
Bewegungsbehinderungen anderer Art iS des Teil D Nr 3 lit c Versorgungsmedizi-
nische Grundsätze und nicht um Einschränkungen des Gehvermögens selbst han-
delt. Ebenso verhält es sich, wenn jemand anderes der Klägerin die Sachen zur
Erhaltung ihrer Gehfähigkeit trägt. Denn die Notwendigkeit der Hilfe fremder Per-
sonen hat sich auf den Gehvorgang selbst und nicht auf die Hilfe etwa beim
Transport notwendiger Gegenstände zu beziehen.


Auch die Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen aus dem Auto, das nur ge-
lingt, wenn die Klägerin bei weit geöffneter Wagentür ihr Bein mit Unterstützung
aus dem Auto hebt, rechtfertigt nicht die Zuerkennung des Merkzeichens "aG".


Zwar ist der Klägerin einzuräumen, dass die mit der Anerkennung des Merkzei-
ohens "aG" verbundenen erweiterten Möglichkeiten, einen für sie geeigneten
Parkplatz zu finden, für ihre Behinderung eine spürbare Erleichterung bedeuten
würde. Auf der Grundlage der Ermächtigung in § 6 Abs 1 Nr 14 StVG hat der Ver-
ordnungsgeber in § 45 Abs 1b Nr2 StVO den Straßenverkehrsbehörden die Be-


- 12 -


fugnis eingeräumt, die notwendigen Anordnungen im Zusammenhang mit der
Kennzeichnung von Parkmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit au-
ßergewöhnlicher Gehbehinderung oder anderer - hier nicht in Frage kommender -
Beeinträchtigungen zu treffen; die Anlage 2 Abschnitt 3 zur StVO sieht hierfür die
Ergänzung der Zeichen 314 (Parken) und 315 (Parken auf Gehwegen) um ein Zu-
satzzeichen mit Rollstuhlfahrersinnbild vor. Diese Behindertenparkplätze müssen
gemäß Abschnitt IX RdNr 18 zu § 45 Abs 1 bis 14 VwV-StVO iVm DIN 18024-1 so
gebaut werden, dass an der Längsseite des Fahrzeugs eine Bewegungsfläche mit
einer Breite von 1,50 m bleibt. Damit ist bei einem Behindertenparkplatz immer
gewährleistet, dass der Benutzer sein Fahrzeug so einparken kann, dass sich die
Fahrertüre unabhängig von anderen Fahrzeugen, die vorschriftsmäßig parken, bis
zum Anschlag öffnen lässt. Darüber hinaus hätte die Klägerin mit dem Merkzei-
chen "aG" die Möglichkeit, Parkerleichterungen in Form von Befreiungen von Halt-
verboten nach Abschnitt I zu §46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO zu erlangen. Die da-
durch verfügbaren zusätzlichen Parkplätze wären zwar nicht zwangsläufig behin-
dertengerecht, würden aber ihre Möglichkeiten, einen für sie geeigneten Parkplatz
zu finden, erhöhen.


Das BSG hat in einem vergleichbaren Fall - in dem der Kläger nur ein- und aus-
steigen konnte, wenn die Wagentür vollständig geöffnet war - (BSG, Urteil vom
0302.1988, Az.: 9/9a RVs 19/86 = SozR 3870 §3 Nr 28) entschieden, dass das
Merkzeichen "aG" nicht zuerkannt werden könne. Der Gesetzgeber habe durch
die Formulierung in §3 Abs 1 Nr 1 Schwerbehindertenausweisverordnung inso-
weit straßenverkehrsrechtliche Vorschriften für maßgeblich erklärt. Zum Ausgleich
von Nachteilen beim Ein- und Aussteigen habe der Bundesminister für Verkehr die
Ausnahmegenehmigung nicht geschaffen. Sie sei vielmehr dazu gedacht, den
Schwerbehinderten mit dem Pkw möglichst nahe an sein jeweiliges Ziel fahren zu
lassen. Der Nachteilsausgleich solle allein die neben der Personenkraftwagenbe-
nutzung unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecke soweit wie möglich
verkürzen. Dies bedeute zugleich, dass der Personenkreis eng zu fassen sei.
Denn mit der Ausweitung des Personenkreises steige die Anzahl der Benutzer.


- 13 -


Diesem Umstand könne nur begrenzt mit einer Vermehrung entsprechender Park-
plätze begegnet werden, denn mit jeder Vermehrung der Parkflächen werde dem
gesamten Personenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet,
weil ortsnaher Parkraum nicht beliebig geschaffen werden könne. Das Landesso-
zialgericht Berlin hat ebenfalls das Merkzeichen "aG" im Falle eines Schwerbehin-
derten verneint, der zum Ein- und Aussteigen die Fahrertür vollständig öffnen
musste (LSG Berlin—Brandenburg, Urteil vom 20.042004, Az.; L 13 SB 30/03); die
Schwierigkeiten des Klägers seien nämlich nicht durch seine eingeschränkte Fort-
bewegungsfreiheit, sondern durch die Beschaffenheit des Parkraums verursacht.


Die Kammer schließt sich der zitierten Rechtsprechung an. Sowohl die Parkmög-
iichkeiten für schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinde-
rung als auch die Befreiungen. von Haltverboten für diesen Personenkreis verfol-
gen in erster Linie den Zweck, möglichst kurze Gehstrecken vom Parkplatz bis
zum Ziel zu ermöglichen. Dieser Zweck ist nur zu erreichen, wenn der Kreis der
Berechtigten so eng wie möglich gezogen wird, weil ein besetzter Behinderten-
parkplatz für denjenigen, der einen Parkplatz sucht, ebenso wenig wert ist, wie gar
keiner. Deshalb mussen bei der Überlegung, ob ein schwerbehinderter Mensch,
der den in Abschnitt II Nr 1 zu §·46 Abs 1 Nr 11 StVO genannten Gruppen von
schwerst Gehbehinderten nicht gleichzustellen ist, aber Schwierigkeiten beim Ein-
und·Aussteigen aus dem Pkw hat, das Merkzeichen "aG" erhalten soll, nicht nur
dessen Vorteile bei der Benutzung von Behindertenparkplätzen sondern auch die
aus der Ausweitung des Benutzerkreises resultierenden Nachteile berücksichtigt
werden. Bei der Wertung der Vorteile der Klägerin ist zu beachten, dass diese
zwar größere Schwierigkeiten als ein gesunder Mensch hat, einen für sie geeigne-
ten Parkplatz zu finden, aufgrund ihrer erhaltenen Gehfähigkeit ihre Möglichkeiten
hierzu aber immer noch wesentlich besser sind als die der schwerst Gehbehinder-
ten, die nur eine Wegstrecke von wenigen Metern zu Fuß zurücklegen können und
denen ein wesentlich kleinerer Radius zur Parkplatzsuche als der Klägerin zumut-
bar ist. Die Klägerin kann beispielsweise sowohl alle am Straßenrand liegenden
Parkplätze benutzen als auch Parkplätze, die auf einer Seite keinen Nachbarplatz


- 14 -


haben oder die in Parkhäusern neben Stützpfeilern liegen, so dass der Abstand
zum Nachbarn zwangsläufig groß genug bleibt, Es besteht die Gefahr, dass der
Kreis der Berechtigten erheblich ausgeweitet würde, wenn allein die Notwendig-
keit, die Türe vollständig beim Ein- und Aussteigen zu öffnen, ausreichen würde,
um einen Anspruch auf das Merkzeichen "aG" auszulösen; insbesondere wäre
dann zu erwarten, dass auch viele Menschen mit Wirbelsäulenproblemen oder
Adipositas in den Genuss dieses Merkzeichens gelangen würden, was die Chan-
cen der schwerst Gehbehinderten, einen günstig gelegenen Parkplatz zu erhalten,
drastisch verringern könnte. Da also auf der einen Seite die Situation der Klägerin
bei der Parkplatzsuche erheblich besser ist als die der schwerst Gehbehinderten
und umgekehrt bei Einbeziehung von Personen, die lediglich Schwierigkeiten beim
Ein- und Aussteigen haben, eine erhebliche Ausweitung des Personenkreises zu
erwarten wäre, die Anspruch auf das Merkzeichen "aG" haben, ist eine solche
Ausweitung abzulehnen.


Die Klage ist unbegründet.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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SG KS, S 12 KR 1065/04 vom 07.07.2004, Sozialgericht Kassel
Sozialgericht Kassel



Instanz 1: S 12 KR 1065/04

Instanz 2: L 1 KR 196/04

Instanz 3: B 1 KR 20/05 R


Az.: S 12 KR 1065/04



Im Namen des Volkes



Urteil



In dem Rechtsstreit



A. A., A-Straße, A-Stadt,

Klägerin,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B.B., B-Straße, A-Stadt,



gegen



die AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen, vertreten durch den Vorstand, dieser

durch die Rechtsabteilung Nordhessen, Rollwiesenweg 1, 34039 Marburg,

Beklagte.



Die 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel hat auf die mündliche Verhandlung vom

7. Juli 2004 durch den Richter am Sozialgericht S. als Vorsitzenden und die

ehrenamtlichen Richter F. und T. für Recht erkannt:



1. Der Bescheid vom 3. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbe-

scheides vom 25. Mai 2004 wird aufgehoben.



2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin aus Anlass ihrer Teilnahme an

der Methadon-Substitution Fahrtkosten in gesetzlichem Umfang, mindes-

tens in Höhe von monatlich 36,50 €, rückwirkend und laufend über den

31. Dezember 2003 hinaus auch ab 1. Januar 2004 zu zahlen

.

3. Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.



HK/SE



- 2 -



Tatbestand



Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Fahrtkosten im Streit.

Die 19.. geborene Klägerin ist bei der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung

freiwillig versichert. Sie ist alleinerziehende Mutter, lebt von Sozialhilfe und von der Zu-

zahlung zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln sowie den entstehenden notwendigen

Fahrtkosten im gesetzlichen Umfang befreit. Auf Seiten der Klägerin liegt schließlich eine

langjährige Opiatabhängigkeit vor, wobei sich die Klägerin seit ca. vier Jahren und lau-

fend zu Lasten der Beklagten einer ambulanten Methadon-Substitution unterzieht, die

von der C.C. e.V. in einer Substitutionsfachambulanz in A-Stadt durchgeführt wird. Inso-

weit waren der Klägerin bis 31. Dezember 2003 auch die hierdurch entstehenden Fahrt-

kosten von der Beklagten erstattet worden, konkret im Rahmen eines Jahres-

Abonnements die Kosten für eine entsprechende Monatskarte des Nordhessischen Ver-

kehrsverbundes (NVV), die sich derzeit im laufenden Jahres-Abonnement der Klägerin

auf 36,50 € monatlich belaufen. Die Behandlung in der Substitutionsfachambulanz erfolgt

schließlich viermal wöchentlich; zusätzlich dreimal wöchentlich erfolgt die Methadonver-

gabe im Rahmen einer so genannten Take-Home-Regelung. Die Behandlung selbst er-

folgt schließlich auf der Grundlage der Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersu-

chungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche

Krankenversicherung (BUB-Richtlinien), die die Voraussetzungen der substitutionsge-

stützten Behandlung Opiatabhängiger regeln, im Einzelnen Art und Weise der Durchfüh-

rung der Behandlung festlegen und ausweislich derer diese Substitution überhaupt erst

Bestandteil der vertragsärztlichen Leistungserbringung innerhalb der gesetzlichen Kran-

kenversicherung geworden ist.



Unter dem 29. Januar 2004 beantragte die Klägerin die Gewährung/Erstattung der ihr

aus Anlass der Substitution entstehenden Fahrtkosten über den 31. Dezember 2003 hin-

aus auch für die Zeit ab 1. Januar 2004. Die Klägerin führte aus, dass ihren Informatio-

nen zufolge seit 1. Januar 2004 Fahrtkosten zu einer ambulanten Behandlung unter Ab-

zug der gesetzlichen Zuzahlung zwar nur bei zwingender medizinischer Notwendigkeit in

besonderen Ausnahmefällen von den Krankenkassen übernommen würden. Nach den so

genannten Krankentransport-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärz-

te und Krankenkassen liege ein solcher Ausnahmefall jedoch vor, wenn der Patient an

einer Grunderkrankung leide, die eine bestimmte Therapie erfordere, die wiederum häu-

fig und über einen längeren Zeitraum erfolgen müsse. Insoweit beeinträchtigten die Be-

handlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in

einer Weise, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben



- 3 -



unerlässlich sei. Da diese Kriterien auch auf sie zuträfen, nachdem sie auf Grund ihrer

langjährigen Drogenabhängigkeit in der o.a. Substitutionsfachambulanz substituiert und

psychosozial betreut werde und eine Fahrkarte benötige, damit die tägliche Einnahme

des Substituts Methadon gewährleistet sei. Auf diese tägliche Einnahme sei sie zwingend

angewiesen. Sollte sie mit der Einnahme des Medikaments auch nur einen Tag ausset-

zen müssen, würden sofort körperliche Entzugssymptome einsetzen, so dass die Beför-

derung zur Substitutionsfachambulanz für sie zur Vermeidung von Schaden an Leib und

Leben unerlässlich sei. Beigefügt war dem schließlich eine ärztliche Bescheinigung der

C.C. e.V. vom 29. Januar 2004, die die dortige Substitution und psychosoziale Betreuung

der Klägerin zunächst bestätigte und weiter ausführte, dass die Behandlung in der dorti-

gen Einrichtung einen täglichen persönlichen Kontakt zur Einnahme des Medikamentes

erfordere, auch an Wochenenden und Feiertagen. Eine tägliche Beförderung in die dorti-

ge Einrichtung sei zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich.

Mit Bescheid vom 3. Februar 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Beklagte führ-

te aus, am 1. Januar 2004 seien gesetzliche Regelungen in Kraft getreten, die den An-

spruch auf Erstattung von Fahrtkosten erheblich einschränkten. Fahrtkosten dürften von

den gesetzlichen Krankenkassen nur noch bezahlt werden, wenn sie aus zwingenden

medizinischen Gründen (Gefahr für Leib und Leben) im Zusammenhang mit stationären

oder vergleichbaren Behandlungen (vor- bzw. nachstationärer Behandlung im Kranken-

haus, bestimmte ambulante Operationen) entstünden. Fahrten zu ambulanten Behand-

lungen dürften nur noch in Ausnahmefällen finanziert werden. Grundvoraussetzung sei

auch hier das Vorliegen eines zwingenden Grundes. Als Ausnahmen würden lediglich

Fahrten zur ambulanten Dialysebehandlung, Strahlentherapie oder Chemotherapie (auf

Grund einer Tumorerkrankung), zur Behandlung von Versicherten der Pflegestufe II oder

III sowie zur Behandlung von Inhabern eines Schwerbehindertenausweises mit den

Merkzeichen „aG“ oder „Bl“ oder „H“ gelten. Die Behandlung der Klägerin werde von die-

ser Ausnahmeregelung nicht erfasst. Eine Übernahme der Fahrtkosten sei damit leider

nicht möglich.



Gegen den Bescheid vom 3. Februar 2004 legte die Klägerin am 11. Februar 2004 Wi-

derspruch ein. Die Klägerin machte geltend, als Grunderkrankung im o.a. Sinne liege bei

ihr eine Opiatabhängigkeit vor. Insoweit handele es sich bei der Substitutionsbehandlung

um eine Therapie, die häufig und über einen längeren Zeitraum erfolgen müsse, so dass

auch die Voraussetzungen einer Übernahme der Fahrtkosten nach den Krankentrans-

port-Richtlinien weiterhin gegeben seien. Das Substitut müsse, wie vom medizinischen

Leiter der Substitutionsfachambulanz bescheinigt, täglich eingenommen werde. Setze sie

nur einen Tag mit der Einnahme des Medikamentes aus, würden körperliche und psychi-



- 4 -



sche Entzugssymptome einsetzen. Letztlich diene die Behandlung der Vermeidung von

Schaden an Leib und Leben, so dass eine tägliche Beförderung für sie unerlässlich sei.

Andere Krankenkassen würden schließlich Mitpatienten nach wie vor auch entsprechen-

de Fahrtkosten erstatten.



Mit erläuterndem Schreiben vom 21. April 2004 hielt die Beklagte sodann an ihrer ableh-

nenden Haltung gegenüber der Klägerin fest. Die Beklagte führte aus, am 1. Januar 2004

sei das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-

Modernisierungsgesetz-GMG) in Kraft getreten, durch das u.a. die Leistungsansprüche

im Fahrtkostenbereich neu definiert würden. Danach dürften Krankenfahrten bzw.

-transporte nur noch verordnet werden, wenn sie „aus zwingenden medizinischen Grün-

den“ notwendig seien. Krankenfahrten (Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, privatem

PKW, Taxen oder Mietwagen zur ambulanten Behandlung) dürften von den gesetzlichen

Krankenkassen „nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen“ fi-

nanziert werden. Der Gesetzgeber habe die Definition der „besonderen Ausnahmefälle“

dem Gemeinsamen Bundesausschuss übertragen, einem Gremium, in dem sowohl Ver-

treter der Ärzteschaft als auch der Krankenkassen vertreten seien. Der Gemeinsame

Bundesausschuss habe nach inhaltlicher Abstimmung mit dem Bundesministerium für

Gesundheit und Soziale Sicherung am 22. Januar 2004 die Krankentransport-Richtlinien

verabschiedet, die rückwirkend zum 1. Januar 2004 in Kraft getreten seien. Als Ausnah-

meregelung würden die Krankentransport-Richtlinien vorsehen, dass Krankenfahrten zu

ambulanten Behandlungen bei zwingender medizinischer Notwendigkeit von den Kran-

kenkassen nach vorheriger Genehmigung finanziert werden dürften, wenn bestimmte

Behandlungsformen zum Einsatz kämen, die dadurch gekennzeichnet seien, dass der

Patient in einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt

werde, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweise und

dass diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den

Patienten in einer Weise beeinträchtige, dass eine Beförderung zur Vermeidung von

Schaden an Leib und Leben unerlässlich sei (§ 8 Abs. 2 der Krankentransport-

Richtlinien). In diesem Zusammenhang habe der Gemeinsame Bundesausschuss weiter

erklärt, dass Dialysebehandlungen, onkologische Chemotherapien, onkologische Strah-

lentherapien im Regelfall als Ausnahmefälle im Sinne der Richtlinien anzusehen seien,

wie sich aus der Anlage 2 der Krankentransport-Richtlinien ergebe. Diese Aufzählung sei

nicht abschließend. Vergleichbare Behandlungen müssten allerdings die gleichen Krite-

rien hinsichtlich der Schwere des Krankheitsbildes, der Therapieintensität sowie des Be-

handlungszeitraums aufweisen. Durch die exemplarische Auflistung von Therapieformen,

die lediglich bei akut lebensbedrohlichen Erkrankungen zum Einsatz kämen, werde deut-

lich gemacht, dass der Ausschuss und damit der Gesetzgeber die Anwendung dieser



- 5 -



Regelung auf die Behandlung hochgradig existenzgefährdender Erkrankungen be-

schränkt sehen wolle. Im Gegensatz zu einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz bzw.

einer Krebserkrankung könne bei einer Opiatabhängigkeit im Regelfall keine akute Le-

bensgefahr unterstellt werden. Eine schwerwiegende Grunderkrankung im Sinne der zi-

tierten Vorschrift liege damit nicht vor. Darüber hinaus könne die Beklagte keine zwin-

gende medizinische Notwendigkeit für die Fahrten zur Methadonsubstitution erkennen.

Bei der Methadonsubstitution handele es sich um eine Sonderform der Medikamenten-

abgabe. Während im Regelfall eine kontinuierliche Arzneimittelversorgung durch die ärzt-

liche Versorgung eines individuell zu bemessenden „Vorrats“ sichergestellt werde, schei-

de diese Möglichkeit bei einer Substitutionsbehandlung aus. Die dadurch regelmäßig

erforderlich werdenden Arztbesuche würden allerdings nicht durch medizinische Beson-

derheiten vorgegeben, sondern durch die Umsetzung der Vorschriften der Betäubungs-

mittel-Verschreibungsverordnung (BtVV) sowie der Richtlinien der Bundesärztekammer

zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger, bei denen

die Missbrauchsabwehr im Vordergrund stehe.



Bei alledem stützte sich die Beklagte nach Aktenlage auf eine im Vorfeld vom vorliegen-

den Einzelfall losgelöste grundsätzliche mündliche Erörterung mit dem Medizinischen

Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK), wobei dieser schriftlich unter dem

27. April 2004 die Voraussetzungen einer Fahrtkostenübernahme nach § 8 Abs. 2 der

Krankentransport-Richtlinien in Fällen der vorliegenden Art und insoweit bei der Substitu-

tionstherapie nur zum Teil als erfüllt ansah. Zwar finde sich hier ein Therapieschema mit

hoher Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum, doch handele es sich bei der

Heroinabhängigkeit, die zur Substitutionstherapie geführt habe, nicht um ein Krankheits-

bild, das in seiner Schwere mit einem Nierenversagen mit Dialysepflicht oder einem bös-

artigen Tumor mit onkologischer Therapie vergleichbar sei. Vergleichbar seien Substituti-

onspatienten vielmehr mit Patienten, die einer dauerhaften medikamentösen Therapie

bedürften, wie z.B. insulinpflichtige Diabetiker. Auch hier sei eine regelmäßige, mehrfach

tägliche Therapie notwendig, die allerdings selbständig durch die Patienten erfolge. Eine

solche Form der häuslichen Therapie wäre medizinisch gesehen auch bei der Substituti-

on möglich. Die Notwendigkeit, die Substitution innerhalb der Praxis durchzuführen, be-

stehe nämlich nicht auf Grund medizinischer Sachverhalte, sondern werde durch die

Richtlinien der Bundesärztekammer in Verbindung mit der BtVV begründet. Somit fehle

allein deshalb schon die zwingende medizinische Notwendigkeit. Darüber hinaus seien

Fahrten zur Abholung von Medikamenten in den Krankentransport-Richtlinien nach § 8

Abs. 4 ausdrücklich ausgeschlossen worden.



- 6 -



Die Klägerin hielt ihren Widerspruch anschließend ausdrücklich aufrecht. Gleichzeitig

beantragte sie mit Eingang 13. Mai 2004 unter dem Az.: S-12/KR-950/04 ER beim Sozi-

algericht Kassel den Erlass einer einstweiligen Anordnung, wobei sie einerseits geltend

machte, dass es ihr unzumutbar sei, den Weg von ihrer Wohnung aus zur Therapie zu

Fuß zurückzulegen und sich andererseits darauf berief, dass die Heroinabhängigkeit mit

ihren körperlichen und sozialen Folgen durchaus die Schwere der vom MDK aufgezeig-

ten Erkrankungen erreiche, wenn nicht gar überschreite. Wenn der MDK die Auffassung

vertrete, dass ihre Erkrankung allenfalls mit einer medikamentösen Therapie vergleichbar

sei, wie sie beispielsweise bei insulinpflichtigen Diabetikern vorkomme, dürfte dieser Ver-

gleich bereits daran scheitern, dass eine Therapie wie bei Diabetikern nicht von ihr in

ähnlicher Weise praktiziert werden könne. Insoweit sei auf die gesetzlichen Beschrän-

kungen der Methadon-Vergabe hingewiesen. Solange der Gesetzgeber nicht zulasse,

dass Methadon vollumfänglich häuslich eingesetzt werden könne, lasse sich ein Ver-

gleich mit insulinpflichtigen Diabetikern jedenfalls im vorliegenden Fall nicht rechtfertigen.



Die Beklagte trat dem Antrag im Weiteren entgegen, wobei sie den Widerspruch der Klä-

gerin gegen den Bescheid vom 3. Februar 2004 schließlich mit Widerspruchsbescheid

vom 25. Mai 2004 durch ihren hierfür zuständigen Widerspruchsausschuss als unbe-

gründet zurückwies und sich zur Begründung im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im

o.a. erläuterndem Schreiben vom 21. April 2004 sowie die o.a. Ausführungen des MDK

vom 27. April 2004 berief.



Die Klägerin hat sodann am 3. Juni 2004 die vorliegende Klage vor dem Sozialgericht in

Kassel erhoben, mit der sie die Gewährung von Fahrtkosten aus Anlass ihrer Substituti-

onsbehandlung über den 31. Dezember 2003 hinaus auch für die Zeit ab 1. Januar 2004

geltend macht und sich insoweit zur Begründung auf ihr Vorbringen im Antrags- und Vor-

verfahren sowie ihre weiteren Ausführungen in der Sache S-12/KR-950/04 ER beruft.



Die Klägerin beantragt,



den Bescheid vom 3. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides

vom 25. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aus Anlass ih-

rer Teilnahme an der ambulanten Methadon-Substitution Fahrtkosten in gesetzli-

chem Umfang, mindestens in Höhe von derzeit 36,50 € monatlich, rückwirkend

und laufend über den 31. Dezember 2003 hinaus auch ab 1. Januar 2004 zu be-

willigen.



- 7 -



Die Beklagte beantragt,



die Klage abzuweisen.



Die Beklagte hält an den angefochtenen Bescheiden fest, auf die sie inhaltlich verweist.

Die Notwendigkeit der Methadon-Abgabe/-Einnahme vor Ort ergebe sich hier letztlich

nicht aus zwingenden medizinischen Gründen, sondern entspreche allein rechtlichen

Vorgaben.



Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbrin-

gens der Beteiligten, wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte; ebenso wird

Bezug genommen auf den in der Sache S-12/KR-950/04 ER beigezogenen Verwaltungs-

vorgang der Beklagten, dessen wesentlicher, den vorliegenden Rechtsstreit betreffender

Inhalt gleichfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, in der die Kammer die

Klägerin zum Sachverhalt nochmals befragt hat.



Entscheidungsgründe



Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen

Gericht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).



Die Klage ist sodann auch begründet.



Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin hat über den 31. Dezember

2003 hinaus für die Zeit ab 1. Januar 2004 und damit auch auf der Grundlage der inso-

weit seit 1. Januar 2004 geänderten Gesetzeslage Anspruch auf Erstattung der Fahrtkos-

ten, die ihr durch die zu Lasten der Beklagten durchgeführte Substitutions-Behandlung

entstehen, wobei es sich wiederum auf der Grundlage von wöchentlich anfallenden vier

Hin- und Rückfahrten bei den Kosten der o.a. Monatskarte gegenüber den Kosten für

entsprechende Einzelfahrkarten um die insoweit kostengünstigste Übernahme von Fahrt-

kosten handelt. Entgegen der Beklagten und dem MDK sieht die Kammer bei alledem die

Voraussetzungen für eine Fahrtkostenübernahme auf der Grundlage von § 8 der Kran-

kentransport-Richtlinien als gegeben an.



Nach § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in der

bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung übernahmen die Krankenkassen nach Maß-



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gabe der in Abs. 2 und 3 genannten Voraussetzungen Kosten für Fahrten einschließlich

der Transporte nach § 133, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Kranken-

kasse notwendig waren. Welches Fahrzeug benutzt werden konnte, richtete sich nach

der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall. Insoweit listete § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB V

schließlich die privilegierten Fahrten auf, deren Kosten zu übernehmen waren, Satz 2

bestimmte, dass die Krankenkasse darüber hinaus aber auch im Übrigen die Fahrtkosten

übernahm, wenn der Versicherte durch sie entsprechend § 61 SGB V unzumutbar be-

lastet war. Aus letzterem leitete sich schließlich der Fahrtkostenanspruch der Klägerin bis

31. Dezember 2003 ab, wobei § 60 Abs. 3 SGB V dann aber wiederum auch regelte,

welche Kosten im Einzelfall übernommen wurden und insoweit die Rangfolge der in An-

spruch zu nehmenden Transportmittel nach der Notwendigkeit festlegte. Insoweit wurden

nur die Kosten des im Einzelfall wirtschaftlichsten Transportmittels übernommen. Nahm

der Versicherte ein teureres Transportmittel in Anspruch, hatte er die Mehrkosten selbst

zu tragen. Sie wurden insoweit weder über die Sozialklausel des § 61 SGB V, noch die

Überforderungsregelung des § 62 SGB V übernommen. Insoweit folgte aus § 60 Abs. 3

Nr. 1 SGB V, dass vorrangig regelmäßig verkehrende öffentliche Verkehrsmittel zu be-

nutzen waren, wobei sich die Leistungspflicht auf den die geringsten Kosten verursa-

chenden Fahrpreis beschränkte. Kosten für Taxen und Mietwagen wurden nach § 60

Abs. 3 Nr. 2 SGB V nur dann übernommen, wenn ein öffentliches Verkehrsmittel nicht

benutzt werden konnte. Maßgebend für letzteres konnten medizinische oder auch andere

Gründe, z.B. fehlende Verkehrsanbindungen, sein, wobei die medizinische Notwendigkeit

durch eine ärztliche Bescheinigung nachzuweisen war. Die Kostenerstattung bei Benut-

zung eines privaten Kfz regelte sodann § 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V, wobei zur Notwendig-

keit schließlich auch insgesamt gehörte, dass grundsätzlich nur die Fahrtkosten vom je-

weiligen Aufenthaltsort zur nächst erreichbaren Behandlungsmöglichkeit und zurück er-

stattet werden konnten. Die freie Arzt- bzw. Behandlerwahl wurde insoweit nicht einge-

schränkt. Dies nicht nur deshalb, weil der Versicherte nach wie vor nur unter den nächst

erreichbaren Ärzten bzw. Behandlern wählen konnte, sondern das Gesetz dem Versi-

cherten aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ohnehin nur eine eingeschränkte diesbezügli-

che Wahlfreiheit einräumte, was zumindest dann galt, wenn neben der ärztlichen bzw.

nichtärztlichen Leistung selbst weitere erstattungsfähige Kosten entstanden.



Mit der o.a. Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 wurde schließlich § 60 Abs. 1 SGB V

in Satz 3 dahingehend erweitert, dass die Krankenkassen seither Fahrtkosten zu einer

ambulanten Behandlung nur noch nach vorheriger Genehmigung in besonderen Aus-

nahmefällen sowie unter Berücksichtigung eines sich aus § 61 Satz 1 SGB V ergebenden

Eigenanteils übernehmen, wobei die vorgenannten Ausnahmefälle vom Gemeinsamen

Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V festzulegen



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sind. Im Übrigen ist es durch die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 zumindest vom

Grundsatz her bei den bis 31. Dezember 2003 geltenden Regelungen verblieben, wobei

der Gemeinsame Bundesausschuss die vorgenannten Ausnahmefälle für Krankenfahrten

zur ambulanten Behandlung zwischenzeitlich in § 8 der Krankentransport-Richtlinien und

dabei im oben aufgezeigten Umfang festgelegt hat.



Entgegen der Beklagten und dem MDK stellt dabei die Methadon-Substitution der Kläge-

rin nach Auffassung der Kammer auch einen Ausnahmefall im Sinne dieser Richtlinien

dar, wobei die Kammer die rechtliche Verbindlichkeit der Richtlinien in der vorliegenden

Fallgestaltung insgesamt dahingestellt sein lässt, da die Kammer die o.a. Voraussetzun-

gen des § 8 Abs. 2 der Richtlinien bereits selbst als erfüllt ansieht. Nicht nur - wovon

selbst Beklagte und MDK ausgehen – wird die Klägerin hier mit einem durch ihre Grund-

erkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt, das eine hohe Behandlungsfre-

quenz über einen längeren Zeitraum aufweist, auch insbesondere der zu dieser Behand-

lung führende Krankheitsverlauf beeinträchtigt zur Überzeugung der Kammer die Kläge-

rin in einer Weise, dass eine Beförderung der Klägerin auf der Grundlage der Entfernung

von ihrer Wohnung zum Behandlungsort zur Vermeidung von Schaden an Leib und Le-

ben unerlässlich ist. Wenn Beklagte und MDK hier die Substitutionsbehandlung auf eine

reine Medikamentenabgabe reduzieren, ist dies für die Kammer nicht nur unverständlich

und nicht nachvollziehbar, insbesondere Inhalt, Umfang und Art und Weise der substituti-

onsgestützten Behandlung Opiatabhängiger nach den o.a. Richtlinien, ausweislich derer

sich diese Behandlung gerade nicht allein auf die Abgabe des Substituts beschränkt,

bleiben hier vollkommen unbeachtet, ohne dass es insoweit darauf ankommen kann, ob

die über die Abgabe des Substituts hinausgehenden Behandlungsmaßnahmen zu Lasten

der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. Entscheidend abzustellen ist

vielmehr darauf, dass das alleinige Auswechseln des Opiats durch ein Substitutionsmittel

gerade keine geeignete Behandlungsmethode darstellt und von der Leistungspflicht der

gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst wird und die Substitution allein und ü-

berhaupt erst im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzepts erfolgt, das erfor-

derliche begleitende psychiatrische und/oder psychotherapeutische Behandlungs- oder

psychosoziale Betreuungs-Maßnahmen mit einbezieht. Allein in diesem Gesamtzusam-

menhang kann die Substitution als solche gesehen werden, wobei sie zur Überzeugung

der Kammer dann auch unter die Ausnahmefälle des § 8 Abs. 2 der Krankentransport-

Richtlinien zu subsumieren ist. Im Falle der Klägerin über die vorstehenden Ausführun-

gen zusätzlich auch deshalb, weil, nachdem die Substitution seit ca. vier Jahren erfolgt,

dann, wenn sie richtlinienkonform erfolgt, wohl auch die Voraussetzungen für eine unbe-

fristete Substitution vorliegen dürften. Im Übrigen vermag die Kammer insoweit auf der

Grundlage ihrer langjährigen Erfahrungen mit Rechtsstreiten, die die Behandlungsnot-



- 10 -



wendigkeit gerade auch Opiatabhängiger zu Lasten der gesetzlichen Krankenversiche-

rung zum Inhalt haben, insoweit keinen Grund zu erkennen, warum hier eine Vergleich-

barkeit mit den weiteren o.a. Erkrankungen, die die Beklagte selbst als Ausnahmefälle

unter § 8 Abs. 2 der Krankentransport-Richtlinien subsumiert, nicht gegeben sein soll.

Dass sich die Behandlung als solche schließlich auch auf der Grundlage bzw. nach Vor-

gaben der BtVV zu vollziehen hat, ändert an alledem nichts. Durch diesen lediglich recht-

lichen Rahmen wird der medizinische Inhalt der Substitutionsbehandlung als vertrags-

ärztlicher Behandlung nicht berührt. Wenn die o.a. Stellungnahme des MDK insoweit eine

grundsätzliche Bewertung der Substitutionsbehandlung als vertragsärztlicher Behandlung

beinhalten sollte, kommt dem MDK eine solche Stellungnahme nicht zu, da die der Sub-

stitutionsbehandlung zu Grunde liegenden Richtlinien nicht nur die Beklagte, sondern

auch den MDK binden und sowohl Aufgabe der Beklagten als auch des MDK allein eine

Überwachung der richtlinienkonformen Substitutionsbehandlung im Einzelfall sein kann.

Dass die o.a. Stellungnahme des MDK darüber hinaus gerade auch keine einzelfallbezo-

gene Betrachtung beinhaltet, also losgelöst von der jeweiligen individuellen Krankheitssi-

tuation der Patienten erfolgt, entwertet sie und macht sie insoweit auch aus diesem

Grund hier nicht im Sinne der Beklagten nutzbar.



Der Klage war nach alledem im ausgeurteilten Umfang stattzugeben.



Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.



Der gesonderten Entscheidung über eine Zulassung der Berufung bedurfte es nicht,

nachdem hier die Gewährung von Dauerleistungen im Streit steht. Berufungsausschlie-

ßungsgründe vermochte die Kammer insoweit nicht zu erkennen.

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SG MD, S 11 AS 1370/07 ER vom 13.08.2007, Sozialgericht Magdeburg
SOZIALGERICHT MAGDEBURG

Aktenzeichen:

S 11 AS 1370/07 ER

BESCHLUSS

in dem Verfahren

- Antragsteller —

gegen

— Antragsgegner —

Die 11. Kammer des Sozialgerichts Magdeburg hat am 13. August 2007 durch den
Vorsitzenden beschlossen:

Der Antragsgegner wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet,
dem Antragsteller vorläufig für die Monate Juli 2007 bis September 2007,
längstens bis zum Abschluss der stationären Behandlung der Antragstellerin,
einen Zuschuss zu den Fahrkosten in Höhe von 100 € monatlich zu zahlen.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen
Kosten zu erstatten.
Gründe:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung zusätzlicher Leistungen zu den Grundsiche-
rungsleistungen für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld ll).

Die Antragsteller sind verheiratet. Sie beziehen seit November 2005 Arbeitslosengeld ll. Die
Antragstellerin wurde seit dem Jahr 2006 wegen akuter Herz- und Lungenprobleme (rechts-
seitige Herzlastigkeit und dilatative Kardiomyopathie) behandelt. Seit dem 20. März 2007
wird die Antragstellerin im Herzzentrum B. stationär versorgt. Am 13. April 2007 wurde ihr ein
Kunstherz mit einem mobilen Antriebssystem (Typ Cardiowest) implantiert. Der Antragsteller
hielt sich in diesem Zeitraum für mehrere Tage in B. auf. Mit Schreiben vom 16. April 2007
erklärte eine Diplom Psychologin vom Deutschen Herzzentrum B., die Antragstellerin leide
an einer subdepressiven Stimmung. Die Anwesenheit des Ehemannes erscheine zur Stabili-
sierung des Gesundheitszustandes als sehr wichtig. Am 24. April 2004 beantragte er bei der
AOK die Übernahme der Fahrkosten nach B. und der Übernachtungskosten in B.. Die AO-
bewilligte als „Einzelfallentscheidung“ die
Übernahme der Fahrkosten nach B. und einen Zuschuss von 150 € für die Übernachtung,
insgesamt 330 €. Sie wies daraufhin, der Antragsteller müsse sich an das Herzzentrum B.
wenden, wenn es Besuchsfahrten weiterhin als medizinisch notwendig erachte. Diese Kos-
ten seien den Leistungen der Krankenhausbehandlung zuzurechnen.

Der Antragsgegner bewilligte mit Bescheiden vom 21. und 25. Juni 2007 Leistungen von Juli
2007 bis Dezember 2007. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung begrenzte er auf die —
seiner Ansicht nach — angemessenen Kosten. Wegen der stationären Behandlung der An-
tragstellerin berücksichtigte er außerdem eine häusliche Ersparnis im Bereich der Verpfle-
gung, die er als Einkommen in Höhe von 35 vom Hundert der maßgeblichen Regelleistung
bedarfsmindernd anrechnete. Die Antragsteller legten am 2. Juli 2007 Widerspruch gegen
die Anrechnung der Verpflegung als Einkommen und die Absenkung der Kosten für Unter-
kunft und Heizung ein. Außerdem beantragten sie eine zusätzliche monatliche Leistung in
Höhe von 100 €. Zur Begründung trugen sie vor, der Krankenhausaufenthalt der Antragstel-
lerin verursache zusätzliche Kosten.

Am 4. Juli 2007 haben die Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Der An-
tragsgegner hat mit Bescheid vom 6. Juli 2007 unter dem Vorbehalt der Rückforderung die
Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten bewilligt und häusliche Einsparungen nicht
mehr bedarfsmindernd berücksichtigt. Die Antragsteller haben das Verfahren insoweit für
erledigt erklärt.

An ihrem weiteren Begehren halten sie fest. Sie tragen zur Begründung ergänzend vor, die
monatlich zusätzlich benötigte Leistung beruhe auf Mehrkosten, die wegen des Kranken-
hausaufenthalts der Antragstellerin entstünden. Die ärztliche Behandlung werde weiterhin in
B. durchgeführt, voraussichtlich bis zum Ende dieses Jahres. Eine Versorgung am Wohnort
oder in der näheren Umgebung sei auszuschließen, die Antragstellerin sei für eine Herz-
transplantation vorgesehen. Der Antragsteller müsse täglich fünf Euro für die Fahrten in B.
aufwenden. Die Antragstellerin benötige wegen des vergrößerten Bauchs und des schlanke-
ren Oberkörpers in der nächsten Zukunft eine komplette Neueinkleidung. Zudem fielen Über-
nachtungskosten wegen des notwendigen Aufenthalts des Antragstellers in B. an. Einen An-
trag auf Übernahme dieser Aufwendungen hätten sie bei dem Herzzentrum B. nicht gestellt.
Ein Mitarbeiter habe in einem persönlichen Gespräch dem Antragsteller davon abgeraten.

Demnächst fielen auch wieder zusätzliche Telefonkosten in Höhe von zwei Euro täglich an.

Die Antragsteller beantragen (sinngemäß),
den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihnen zusätzliche Leistungen in Höhe von

100 € monatlich zu zahlen.

Die Antragsgegner beantragt,

den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, die Antragsteller hätten keinen Anspruch auf zusätzliche Leistungen. Er
habe den besonderen Umständen bereits Rechnung getragen und den Geldeswert der Ver-
pflegung während des stationären Aufenthalts unberücksichtigt gelassen.

Der Antragsteller hat als Nachweis seiner Aufwendungen in Höhe von 10 € je Übernachtung
in B. Quittungen für verschiedene Zeiträume zwischen dem 20. März 2007 und 26. Juli 2007
vorgelegt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegner haben vorgelegen und waren
Gegenstand der Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf deren

Inhalt verwiesen.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig und begründet.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann, soweit ein Fall des Absatz 1 nicht vorliegt, das Ge-
richt der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegens-
tand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zu-
stands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich er-
schwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, § 86 b
Abs. 2 Satz 2 SGG (Regelungsanordnung).

Der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung ist statthaft. Die Antragsteller begehren
(nur noch) eine vorläufige Entscheidung über ihren Antrag auf Verpflichtung des Antrags-
gegners, zusätzliche Leistungen in Höhe von 100 € monatlich zu gewähren. Damit zielen sie
auf die Erweiterung ihrer Rechtsposition. Da sie sich nicht gegen eine belastende Entschei-
dung wenden, mit dem Ziel, deren Wirkung vorübergehend zu suspendieren, liegt auch kein
Fall des § 86 b Abs. 1 SGG vor.

Der Antrag ist auch begründet.

Ein Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung ist begründet, wenn ein Anordnungsan-
spruch und ein Anordnungsgrund vorliegen. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn das
materiell-rechtliche Begehren, dessen vorläufige Verwirklichung und Sicherung der Rechtsu-
chende begehrt, mit überwiegender Wahrscheinliche begründet ist. Das Gericht entscheidet
hierüber auf Grund einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache
oder auf der Grundlage einer umfassen Folgen- und Güterabwägung. Die zugrunde liegen-
den Tatsachen sind gemäß 5 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit 5 920 Abs. 2 Zivil-
prozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn besonde-
re Gründe eine vorläufige Entscheidung in einem gerichtlichen Eilverfahren erfordern.

Die Antragsteller haben nach den Regelungen des Sozialgesetzbuch Zweites Buch — Grund-
sicherung für Arbeitsuchende (SGB ll) keinen Anspruch auf einen pauschalen monatlichen
Zuschuss von 100 € (1.). Allerdings hält die Kammer nach dem Ergebnis der summarischen
Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache und einer Folgenabwägung einen Anspruch
des Antragstellers auf einen Zuschuss zu den Fahrkosten für den Besuch im Herzzentrum B.
gemäß § 73 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch — Sozialhilfe (SGB XII) für überwiegend
wahrscheinlich (2.).

1.

Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf eine Erhöhung der pauschalierten Regelleis-
tung. Das Arbeitslosengeld II setzt sich zusammen aus der Regelleistung nach ä 20 SGB ll
und den angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nach ä 22 Abs. 1 SGB ll. Die
Regelleistung dient der Sicherung des Lebensunterhalts und ist pauschaliert. Eine davon
abweichende Festlegung ist gemäß 5 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II ausdrücklich ausgeschlossen.

Dies steht auch einem (Dauer-)Darlehen in Höhe von 100 € monatlich gemäß 5 23 Abs. 1
SGB II entgegen. Hiernach kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster nach
den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Ge-
währung eines Darlehens gedeckt werden. Die Antragsteller begehren hier eine zusätzliche
Leistung für einen monatlich wiederkehrenden Bedarf. Dieser kann nach der Regelungssys-
tematik des SGB II nicht unter Rückgriff auf ä 23 Abs. 1 SGB ll gedeckt werden. Ein Darle-
hen ist gemäß 5 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II durch Aufrechnung gegen die Leistungsansprüche
in der Folgezeit zu tilgen. Damit wird die darlehensweise Deckung eines wiederkehrenden
Bedarfs zu einer Dauerbelastung in der Zukunft. Den Auswirkungen der monatlichen Auf-
rechnung kann zwar durch Erlass nach 5 44 SGB ll entgegnet werden. Das führte im Ergeb-
nis jedoch zu einer Umgehung der mit 5 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II ausgeschlossen Erhöhung
des Regelsatzes (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 7. November 2006, Az: B 7b
AS 14/06 R, SozR 4-4200, ä 20, Nr. 1, m.w.N.).

Höhere bzw. zusätzliche Leistungen sind im Leistungsbereich des SGB ll ansonsten nur
nach Maßgabe der §§ 21 Abs. 2 bis 5 und 23 Abs. 3 SGB lI möglich.

Die Voraussetzungen für zusätzliche Leistungen zum Ausgleich eines besonderen Mehrbe-
darfs im Sinne des 5 21 Abs. 2 bis 5 SGB ll erfüllen die Antragsteller jedoch nicht. Keiner der
dort geregelten Fälle (Mehrbedarf für werdende Mütter, für Alleinerziehende, für behinderte
Menschen, die Eingliederungsleistungen in Anspruch nehmen oder für eine krankheitsbe-
dingte kostenaufwändige Ernährung) liegt hier vor.

Nach § 23 Abs. 3 Nr. 2 SGB II könnte lediglich die in Folge der Operation notwendig gewor-
dene Erneuerung der Garderobe einen Anspruch auf Leistungen für die Erstausstattung be-
gründen. Ob ein solcher besteht, kann allerdings dahinstehen. Es fehlt insoweit an einem
Anordnungsgrund für eine vorläufige gerichtliche Entscheidung. Ein Anordnungsgrund liegt
vor, wenn es dem Rechtsuchenden unter Abwägung seiner sowie der Interessen Dritter und
des öffentlichen Interesses nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Es
müssen erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Nachteile drohen, die nicht mehr mit
einer Entscheidung in der Hauptsache beseitigt werden können. Das setzt zumindest eine
gegenwärtige, dringliche Notlage voraus. Daran fehlt es hier. Die Antragsteller haben vorge-
tragen, dass die neue Kleidung erst in der Zukunft benötigt wird.

Auch im Wege einer weiteren Einzelbetrachtung der benannten Mehrkosten kann die Kam-
mer keinen Anspruch auf zusätzliche Leistungen nach dem SGB ll feststellen. lm Einzelnen
haben die Antragsteller zusätzlichen Aufwendungen für die tägliche Fahrt in B. zum Kran-
kenhaus, für die Pendelfahrten von B. nach B., für das Telefonieren, für die Garderobe der
Antragstellerin und für die Übernachtung in B. angegeben.

Die Fahrkosten in B. sind aus dem Regelsatz zu finanzieren. Insoweit kann der Antragsteller
nicht anders behandelt werden, als Leistungsempfänger, die in B. wohnen. Das gilt auch für
die Telefonkosten. Eine abweichende Festlegung wegen 5 3 Abs. 3 Satz 2 SGB ll ist nicht
möglich (s.o). Der darlehensweise Übernahme der Fahrkosten nach B. gemäß § 23 Abs. 1
SGB ll stehen die oben ausgeführten Erwägungen gegenüber.

Die zusätzlichen Übernachtungskosten des Antragstellers in B. können schließlich auch nicht
als Kosten der Unterkunft im Sinne des ä 22 Abs. 1 SGB II berücksichtigt werden. Die Leis-
tungen nach ä 22 Abs. 1 SGB ll sollen den Grundbedarf Wohnen sichern. Das ist mit der
Übernahme der Kosten für eine Unterkunft erreicht. Es überstiege den Regelungszweck,
Aufwendungen für weitere Unterkünfte als Bedarf zu berücksichtigen, selbst wenn sie auf-
grund besonderer Umstände erforderlich sind. Werden Leistungen für eine bedarfsgerechte,
menschenwürdige Unterkunft erbracht, ist dieser Bedarf gedeckt.

Nach alledem enthält das SGB ll keine geeignete Anspruchsgrundlage für eine monatliche
Pauschale von weiteren 100 €.

2.

Der Antragsteller hat jedoch sehr wahrscheinlich gemäß ä 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes
Buch — Sozialhilfe (SGB Xll) einen Anspruch auf einen Zuschuss zu den Fahrkosten für ei-
nen wöchentlichen Krankenbesuch in Berlin. Hiernach können Leistungen als Beihilfe oder

Darlehen in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel
rechtfertigen. Diese Regelung findet nur in engen Grenzen Anwendung. Es handelt sich nicht
um eine allgemeine Auffangregelung für Leistungsempfänger des SGB ll. Der Bedarf muss
zu den persönlichen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören, der eine den Regel-
satz für laufende Leistungen übersteigende einmalige oder laufende Leistung erforderlich
macht und den Einsatz weiterer öffentlicher Mittel rechtfertigt. Es ist eine besondere Bedarfs-
lage erforderlich, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den 55 47 bis 74 SGB Xll gere-
gelten Bedarfslagen aufweist (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az: B 7b AS 14/06,
SozR 4-4200, 5 20, Nr. 1 m.w.N.).

Das ist hier der Fall. Die Antragsteller befinden sich in einer besonderen Lebenslage. Die
Antragstellerin lebt vorübergehend mit einem künstlichen Herz und wartet auf ein Spender-
organ. Das macht eine Behandlung in dem ca. km entfernt liegenden B. erforderlich. Da-
mit sind zusätzliche Kosten zumindest für den Besuch im Krankenhaus verbunden. Die
Fahrkosten für den Besuch des erkrankten Ehegatten gehören zum persönlichen Lebensbe-
darf, der aus dem Regelsatz gedeckt werden muss. Das ergibt sich aus der Verordnung zur
Durchführung des § 28 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch — Sozialhilfe (Bundesgesetzblatt
[BGBL] 2004, Teil l, S. 1067; im Folgenden: Regelsatzverordnung). Diese kann für die Be-
stimmung der Zusammensetzung der Regelleistung herangezogen werden. Darauf lässt der
Verweis auf 5 28 Abs. 3 Satz 5 SGB Xll in 5 20 Abs. 3 SGB ll schließen (vgl. auch Bundes-
tagsdrucksache [BT—Drs.] 15/1516, S. 56). Nach 5 2 Abs. 2 Nr. 6 der Regelsatzverordnung
wurden bei der Bestimmung des Eckregelsatzes Aufwendungenfür den Verkehr berücksich-
tigt. Jedoch fallen hier Kosten in einer Höhe an, die der Verordnungsgeber nicht als regel-
satzrelevant berücksichtigt hat. Die Aufwendungen für die Nutzung von Verkehrsdienstleis-
tungen sind mit einem Anteil von 14,03 € (11,04 € und 2,99 €) im Regelsatz eingerechnet
(vgl. Drucksache des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages,
[BT—ADrs.] 16[11]286 vom 15. Juni 2006, S. 13). Für eine Bahnfahrt von B. nach B. fallen
hingegen — ohne Bahncard — Kosten in Höhe von 31,30 € an (Reiseauskunft der Deutschen
Bahn, www.bahn.de). Diese Kosten könnten zwar mit einem Umzug nach B. vermieden wer-
den. Die Aufgabe des bisherigen Lebensmittelpunktes erscheint jedoch unverhältnismäßig.
Die stationäre Behandlung ist zeitlich begrenzt bis voraussichtlich Ende dieses Jahres. Auch
dürfte die Rückkehr in das vertraute Wohnfeld, mit den gewohnten sozialen Bindungen nach
einer erfolgreichen Transplantation förderlich für den weiteren Heilungsverlauf sein. Schließ-
lich sind mit dem Umzug Kosten verbunden, die möglicherweise die Aufwendungen für Be-

suchsfahrten nach B. übersteigen.
Diese besonderen Umstände rechtfertigen den Einsatz weiterer öffentlicher Mittel. Allerdings
ist nach Ansicht der Kammer zu berücksichtigen, dass aufgrund der Verpflegung im Kran-
kenhaus Mittel aus dem Regelsatz der Antragstellerin erspart werden. Diese muss der An-
tragsteller für die Fahrkosten einsetzen. Aufgrund der Pauschalierung des Regelsatzes ist
eine derartige Umschichtung nicht benötigter Mittel möglich. Das führt auch nicht zu einer
verdeckten Kürzung des Regelsatzes oder einer Anrechnung der Verpflegungsleistungen als
Einkommen. Die Leistung wird weiterhin ungekürzt ausgezahlt. Es wird nur verlangt, den
Anteil des Regelsatzes für den Ausgleich eines erhöhten Bedarfs wegen besonderer Um-
stände zu verwenden, der gerade aufgrund der besonderen Umstände erspart wird. Das ist
zumutbar und belastet die Antragstellerin nicht. Die ersparten Mittel werden zudem für einen
regelsatzrelevanten Bedarf verwendet. Dabei berücksichtigt die Kammer auch, dass das
Arbeitslosengeld ll ein Individualanspruch ist. Es ist der Antragstellerin als Inhaberin des An-
spruchs jedoch zumutbar, sich an den Fahrkosten zu beteiligen und den ersparten Teil ihrer
Regelleistung insoweit ihrem Ehemann zur Verfügung zu stellen. Da die Antragstellerin be-
reits seit März 2007 stationär behandelt wird, ist sie nicht mehr mit der Zuzahlung von 10 €
täglich gemäß § 61 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch — Gesetzliche Krankenversiche-
rung (SGB V) belastet. Diese ist auf 28 Tage innerhalb eines Kalenderjahres beschränkt,
5 39 Abs. 4 Satz 1 SGB V.

Hiernach ist ein Anteil von (gerundet) 127 € und ein weiterer Betrag von (gerundet) 14 €‚
zusammen 141 € auf die durchschnittlich im Monat zu erwartenden Fahrkosten anzurech-
nen. Nach 5 2 Abs. 2 Nr. 1 der Regelsatzverordnung enthält die Regelleistung einen Anteil
von 96 vom Hundert der in der Abteilung 01 und O2 der Einkommens- und Verbrauchsstich-
probe 2003 erfassten Verbrauchsangaben für Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren u.Ä.
Das ergibt einen regelsatzrelevanten Gesamtbetrag von 127,31 € (BT—ADrs. 16[11]286,
S. 8). Dieser Betrag ist zusammen mit dem regelsatzrelevanten Anteil für Verkehr (14,03 €)
für die Besuchsfahrten zur Antragstellerin aufzuwenden. Es ergibt sich eine Summe von
141‚34 €, gerundet 141 €. Eine einfache Bahnfahrt von B. nach B. kostet 31,30 € (Reiseaus-
kunft der Deutschen Bahn, www.bahn.de). Unter Berücksichtigung der Rückfahrt werden im
Monat durchschnittlich 271,27 € anfallen (31,30 x 2 = 62.60 € x 13 Wochen / 3 Monate), ab-
züglich der 141 € verbleiben (gerundet) 130 €. Da die Antragsteller nur einen Betrag von 100
€ benötigen, ist das Gericht in seiner Tenorierung auf diesen beschränkt, § 123 SGG.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass ä 73 SGB Xll dem Leistungsträger ein Ermessen
einräumt. Dem Gericht ist es versagt, an Stelle der Verwaltung eine eigene Ermessensent-

scheidung zu treffen. Es ist darauf beschränkt, die Entscheidung der Behörde auf Ermes-
sensfehler (Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch)
zu überprüfen und die Behörde gegebenenfalls zur Neubescheidung des Antrags zu ver-
pflichten, ä 54 Abs. 2 Satz 2 SGG. Eine Verpflichtung zur Stattgabe des Antrags könnte es
nur aussprechen, wenn Umstände vorliegen, aufgrund derer diese Entscheidung die einzig
richtige ist. Davon geht die Kammer nach dem Ergebnis einer Abwägung der widerstreiten-
den Interessen aus. Dabei ist die besondere Situation der Antragsteller ein gewichtiges Indiz
für deren überwiegendes Interesse. Die Antragstellerin befindet sich in einer sehr kritischen
Lebensphase. Der Krankenbesuch muss dem Ehegatten ermöglicht werden. Ihm stehen
jedoch nur die begrenzten Mittel der Regelleistung nach dem SGB ll zur Verfügung. Diese
genügen nicht, um die Aufwendungen zu decken. Ein weiteres Abwarten bis zu einer Ermes-
sensentscheidung der Sozialverwaltung und einer etwaigen nachgehenden gerichtlichen
Kontrolle ist nicht zumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der weitere Zeitablauf die
Entscheidung durchaus endgültig erledigen kann und der verfassungsrechtlich garantierte
Rechtsschutz (Art 19 Abs. 4 Grundgesetz) zu spät käme. Demgegenüber müssen die wirt-
schaftlichen Interessen des Antragsgegners an der Vermeidung möglicherweise zu Unrecht
gezahlter Leistungen zurücktreten. Ohnedies steht die vorläufige Verpflichtung der Zahlung
des Zuschusses unter dem Vorbehalt der Entscheidung in der Hauptsache. Im Falle des Un-
terliegens muss der Antragsteller mit einer Erstattung der Leistung rechnen.

Ob der Antragsgegner die Leistungen als Zuschuss oder als Darlehen gewährt, steht gemäß
5 73 Satz 2 SGB XII in seinem Ermessen.

Einen Anspruch auf einen Zuschuss zu den Übernachtungskosten hat der Antragsteller vor-
aussichtlich nicht gemäß 5 73 SGB XII. Die Kammer hält eine besondere Bedarfslage nur
hinsichtlich der Fahrkosten nach B. für gegeben. Die Anwesenheit des Antragstellers vor Ort
aus medizinischen Gründen erscheint nach seinem Vortrag nicht mehr erforderlich. Das
Schreiben des Krankenhauses mit dem dies zunächst dargelegt wurde, stammt vom 16. Ap-
ril 2007. Auf Nachfrage des Gerichts vom 19. Juli 2007, ob der Antragsteller sich wegen der
Übernachtungskosten aus medizinischen Gründen an das Herzzentrum B. gewandt habe,
erklärte dieser, ihm sei in einem persönlichen Gespräch von einem Mitarbeiter des Herzzent-
rums davon abgeraten worden. Dies spricht gegen die weitere medizinische Notwendigkeit.
Sollte gleichwohl eine medizinische Notwendigkeit bestehen, würde es sich wahrscheinlich
um eine allgemeine Krankenhausleistung im Sinne des 5 2 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes über
die Entgelte für voIl- und teilstationäre Krankenhausleistungen (KHEntgG) handeln. Diese

erhält der Rechtsträger des vorleistenden Krankenhauses nach Maßgabe des ä 109 Abs. 4

-10-

SGB V in Verbindung mit dem Vertrag über Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbe-
handlung nach 5 112 Abs. 2 SGB V vergütet.

Der Anordnungsgrund ergibt sich bereits aus den vorhergehenden Ausführungen. Die An-
tragsteller befinden sich in einer dringlichen Notlage. Es ist ihnen nicht zumutbar, eine Ent-
scheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Der hiesige Antragsgegner kann unmittelbar zur Leistung nach 5 73 SGB Xll verpflichtet
werden. Der Landkreis H. ist nach 55 1 und 3 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch (GVBl. LSA, Nr. 3/2005, S. 8 ff.) örtlicher Träger der Leistungen
nach 5 73 SGB Xll.

Die Kammer beschränkt die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners auf zunächst drei
Monate (Juli bis September 2007). Der Antragsgegner wird noch über den Antrag auf Leis-
tungen nach 5 73 SGB Xll, der in dem formlosen Antrag der Antragsteller vom 2. Juli 2007
enthalten ist (5 16 SGB X), im Rahmen seines Ermessens entscheiden müssen. Der An-
tragsteller wird seinerseits die Fahrkosten nachweisen müssen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des 5 193
SGG.


-11-

Rechtsmittelbelehrung;

Gegen diesen Beschluss ist nach 5 172 Abs. 1 SGG die Beschwerde zum Landessozialge-
richt Sachsen-Anhalt möglich.

Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses bei dem

Sozialgericht Magdeburg
Breiter Weg 203 - 206
39104 Magdeburg (Postfach 39 11 25, 39135 Magdeburg)

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle einzule-
gen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Monatsfrist bei dem

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
im Justizzentrum Halle
Thüringer Straße 16
06112 Halle (Postfach 10 02 57, 06141 Halle)

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt
wird.

Hilft das Sozialgericht Magdeburg der Beschwerde nicht ab, so legt es diese dem Landessozi-
algericht Sachsen-Anhalt in Halle zur Entscheidung vor.

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LSG BRB, L 9 Kr 9/97 vom 24.09.1997, Landessozialgericht Berlin LSG
Landessozialgericht Berlin

AZ.: L 9 Kr 9/97

S 76 Kr 421/95

Verkündet
am 24. September 1997

Im Namen des Volkes!

Urteil

in dem Rechtsstreit

als Urkundsbeamter

der Geschäfisstelle

Klägerin und Berufungsklägerin,

gegen

Barmer Ersatzkasse,

vertreten durch den Vorstand,

Untere Lichtenplatzer Str. 100-102, 42289 Wuppertal,

Beklagte und Berufungsbeklagte.

Der 9. Senat des Landessozialgerichts Berlin hat auf die mündliche Verhandlung vom
24. September 1997 durch den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts L.
den Richter am Landessozialgericht L. und die Richterin am Sozialge-
richt K. sowie die ehrenamtlichen Richter S. und B.
für Recht. erkannt:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin
vom 8. August 1996 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufimgsverfahrens sind nicht zu er—
statten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

L 9 Kr 9/97 — 2 —

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Einsicht in alle von der beklagten Krankenkasse über sie im
Zeitraum von April 1992 bis November 1994 geführten Akten.

Die 1951 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert Sie beantragte mit
Schreiben vom 9. November 1994 und 12. Juli 1995 bei der Beklagten, ihr lückenlose
Einsicht in alle sie betreffenden Unterlagen der Beklagten zu gewähren, die sich auf den
Zeitraum von April 1992 bis zum 25. November 1994 bezogen. Die Beklagte teilte der
Klägerin mit Schreiben vom 3. August 1995 mit, daß die ihr vorliegenden Unterlagen
(Krankenakten) zusammengetragen worden seien und zur Einsichtnahme bereitlägen;
dazu gehörten auch die Abrechnungen und die abgerechneten Krankenscheine der
Arztpraxen Prof. Dr. Mr .‚ Dr. B. Frau R. Dr. Sch. sowie der
Praxis Dr. B: , Dr. W. - im III. und IV. Quartal 1994, die die Klägerin als behan-
delnde Ärzte benannt habe. Eine darüber hinausgehende Akteneinsicht lehnte die I
Beklagte mit Bescheid vom 24. August 1995 ab. Akteneinsicht könne nur in Unterla-
gen gewährt werden, die der Beklagten vorlagen. Es bestehe keine Verpflichtung für
die Beklagte, Unterlagen anderer Behörden beizubringen. Im übrigen könne eine
Einsichtnahme nur in die Abrechnungen der Ärzte ermöglicht werden, die ihr als
Behandler bekannt seien. Sofern ärztliche Behandlungen bei anderen Ärzten erfolgt
seien, lägen der Beklagten auch deren Abrechnungen vor. Diese Unterlagen seien aber
in umfangreichen Abrechnungsakten enthalten. Eine Auskunft über diese Unterlagen
werde in einem solchen Falle nur erteilt, soweit der Betroffene Angaben mache, die das
Auffinden der Daten ermögliche und wenn der für die Erteilung der Auskunft erforder-
liche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem von dem Betroffenen geltend gemachten
Informationsinteresse stehe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 10. September 1995,
ergänzt durch ihre Schreiben vom 3. und 15. November 1995 Widerspruch, in dem sie
weitere Ärzte benannte, die sie behandelt, untersucht oder beraten hätten. Darüber
hinaus beziehe sich der Widerspruch aber vor allem auf Unterlagen über ärztliche

L 9 Kr 9/97 — 3 -

Tätigkeiten, die sie betrafen, aber ohne ihre Zustimmung erfolgt seien und betreffe
deshalb alle Berliner Ärzte, Krankenhäuser, Polikliniken, Universitätskliniken und
Krankentransportunternehmen.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 8. November 1995 mit, daß die zur
Einsichtnahme bereitstehenden Akten aufgrund ihrer zusätzlichen Angaben über behan—
delnde Ärzte vervollständigt worden seien Die Klägerin nahm am 30. November 1995
Einsicht in diese Akten und erhielt daraus auf ihren Wunsch Ablichtungen. Darüber
hinaus übermittelte ihr die Beklagte alle Daten, die über ihre Bildschirmlesegeräte
abrufbar waren durch Computerausdrucke.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1996 wies der Widerspruchsausschuß der
Beklagten den Widerspruch der Klägerin im wesentlichen aus den Gründen des Aus-
gangsbescheides zurück. Ergänzend führte der Widerspruchsausschuß aus: Ein An—
spruch auf Einsichtnahme in die Abrechnungen der die Klägerin behandelnden Ärzte für
den Zeitraum April 1992 bis November 1994 bestehe nur insoweit, als die Behandler
benannt und die Abrechnungen nicht bereits vernichtet worden seien. Insoweit habe die
Klägerin volle Akteneinsicht erhalten und die Beklagte ihre Verpflichtung zur Gewäh-
rung von Akteneinsicht erfüllt. Darüber hinaus geltend gemachte Akteneinsichtsrechte
bestünden nicht. Dabei werde zur Klarstellung darauf aufmerksam gemacht, daß die
Abrechnungsunterlagen der Vertragspartner der Beklagten nicht mitgliedermäßig erfaßt
und gespeichert würden, sondern eine Zuordnung im Hinblick auf den Vertragspartner
erfolge. Ohne Nennung der betreffenden Vertragspartner sei es aber der Beklagten aus
tatsächlichen Gründen nicht möglich, die gewünschten Unterlagen herauszusuchen,

Gegen die Versagung der Akteneinsicht in dem gewünschten Umfang hat die Klägerin
am 30. Mai 1995 - zunächst in Form der Untätigkeitsklage - danach unter Einbezie—
hung der ablehnenden Bescheide Klage zum Sozialgericht erhoben. Zur Begründung
hat sie vorgetragen: Die begehrte Akteneinsicht sei nicht gewährt worden, da ihr nur
Unterlagen aus dem III. und IV. Quartal 1994 vorgelegt worden seien. Deshalb sei ihr
Klagebegehren nicht erledigt. Außerdem benötige sie den begehrten lückenlosen Ein—
blick in alle Unterlagen, die die Beklagte über sie über den Zeitraum von April 1992 bis
November 1994 in Akten führe oder geführt habe, um darauf hinwirken zu können, daß

L 9 Kr 9/97 – 4 —

ein unbekannter Nervenarzt seine Behauptung, sie sei seine Patientin, einstelle, um die
Umstände eines Selbsttötungsversuchs — insbesondere eine medikamentöse Beeinflus-
sung zur Selbsttötung — klären zu können, um Schäden eines bei ihr festgestellten, ohne
ihr Wissen und ihre Zustimmung durchgeführten Hypophyseanschnitts beseitigen zu
lassen und ein deswegen angestrengtes Strafverfahren gegen Unbekannt fördern zu
können, um eine Hormonstörung und einen Krebsverdacht angemessen behandeln zu
lassen und um weitere Behandlungen, die gegen ihren Willen vorgenommen würden, zu
verhindern.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. August 1996 abgewiesen. Sie sei
unzulässig, soweit die Klägerin bereits Akten bei der Beklagten eingesehen habe, weil
sie insoweit nicht mehr beschwert sei. Soweit die Klägerin Einsicht in bereits vernichte-
te Unterlagen verlange, sei die Klage unbegründet, Weil die Klägerin Unmögliches
verlange. Dies gelte auch für ihr Begehren, vernichtete Unterlagen wiederherstellen zu
lassen und diese Unterlagen ihr ebenfalls zugänglich zu machen. Auch soweit die die
Klägerin von der Beklagten verlange, generell in den Unterlagen von Ärzten und
sonstigen Leistungserbringern nachzuforschen, ob sich eventuell sie betreffende Akten-
teile dort fanden, sei die Klage unbegründet, denn insoweit fehle es. an einer entspre-
chenden Anspruchsgrundlage.

Gegen das ihr am 21. Dezember 1996 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. Au-
gust 1996 Berufung eingelegt und zur Begründung ihr gesamtes Vorbringen aus dem
Verwaltungs- und erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren wiederholt und vertieft. Sie
ist der Auffassung, daß die Beklagte u.a. nach § 19 des Bundesdatenschutzgesetzes
- BDSG - den begehrten lückenlosen Einblick in alle vorhandenen und vorhanden
gewesenen, den Zeitraum April 1992 bis November 1994 betreffenden krankenver—
sicherungsrechtlichen Unterlagen gewähren müsse. Soweit-die Beklagte diese Unterla-
gen vernichtet habe, müsse sie sie unter Inanspruchnahme der kassenärztlichen Vertre-
tung und aller beibringbaren Abrechnungsunterlagen sonstiger Leistungserbringer
lückenlos auf ihre — der Beklagten — Kosten wiederherstellen und ihr innerhalb eines
Vierteljahres nach Urteilsverkündung ebenfalls lückenlos zur Einsichtnahme vorlegen.

L 9 Kr 9/97 – 5 —

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. August 1996 sowie den
Bescheid der Beklagten vom 24. August 1995 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 1996 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, ihr eine vollständige und lückenlose Ein—
sicht in alle sie betreffenden Krankenversicherungsunterlagen aus der
Zeit vom 1. April 1992 bis zum 25. November 1994 zu gewähren.
sowie die Beklagte zu verurteilen, die von ihr vernichteten, den oben
genannten Zeitraum betreffenden krankenversicherungsrechtlichen
Unterlagen der Klägerin (wieder) herzustellen und ihr Akteneinsicht
in diese Unterlagen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und beruft sich im wesentlichen auf den
Inhalt des angefochtenen sozialgerichtlichen Urteils.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird im übrigen auf
den Inhalt der Gerichtsakte sowie die den Antrag der Klägerin auf Akteneinsicht
betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen
haben und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, die
begehrte Einsicht auf die ihr noch vorliegenden Akten zu beschränken, für die die
Klägerin die behandelnden Ärzte benannt hat, ist nicht zu beanstanden. Denn die
Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf eine darüber hinausgehende,
lückenlose Einsicht in alle sie betreffenden Unterlagen der Beklagten hinsichtlich aller
Leistungserbringer fiir den Zeitraum April 1992 bis November 1994 unabhängig davon,

L 9 Kr 9/97 – 6 —

ob sie der Beklagten vorliegen oder vor einer Einsichtnahmeerst (wieder-) hergestellt
werden müßten.

1. § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch —SGB X— bietet für die streitige
Akteneinsicht in dem von der Klägerin begehrten Umfange keine Rechtsgrundlage
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das
Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung
oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Danach besteht ein
Recht auf Akteneinsicht grundsätzlich nur für die Beteiligten eines Verwaltungsverfah-
rens während der Durchführung dieses Verwaltungsverfahrens (BSG SozR 3-1300
§ 25 SGB X Nr. 3, Schroeder-Printzen in Schroeder-Printzen u.a.‚ SGB X,
3. Auflage, § 25 Rdnr. 5, Kopp, VwVfG, 6. Auflage, § 29 Rdnr. 3). Begriff und
Dauer des Verwaltungsverfahrens sind dabei nach überwiegender Ansicht §§ 8, 18
SGB X zu entnehmen. Unter Verwaltungsverfahren ist nach § 8 SGB X nur eine
Behördentätigkeit zu verstehen, die auf die Prüfling der Voraussetzungen, die Vorbe—
reitung und den Erlaß eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluß eines öffentlich-
rechtlichen Vertrages gerichtet ist. Aus dieser Begrenzung ist zu schließen, daß die
Vorschriften des 2. Abschnittes (§§ 8 bis 30) SGB X nicht auf eine Verwaltungstätig-
keit zu beziehen sind, die auf den Erlaß von autonomen Rechtssätzen oder allgemeinen
Verwaltungsvorschriften oder schlichtes Verwaltungshandeln gerichtet ist (BSG SozR
3—1300 § 25 SGB X Nr. 3). Erst recht gilt dies in Fällen wie dem vorliegenden, in
dem sich ein Versicherter von seiner Krankenkasse durch eine Akteneinsicht Unterla-
gen vor allem zur Verfolgung privatrechtlicher, Ansprüche gegen Dritte oder zur
Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens beschaffen möchte. Für diese Fälle
ist ein Recht auf Akteneinsicht nach § 25 Abs. 1 SGB X nicht begründet. Diesen
Rechtszustand hat allerdings schon die Begründung des Regierungsentwurfs zu dem
insoweit übereinstimmenden § 29 Abs. 1 VwVfG (= § 25 des Entwurfs) für unbefrie—
digend. gehalten (BT—Drucksache 7/910 S. 52). Ob gegenüber der Absicht des Gesetz-
gebers, die Akteneinsicht zu begrenzen, eine erweiternde Auslegung in Betracht
kommt, ist nicht zu entscheiden. Denn die praktischen Folgen der einengenden gesetzli—
chen Regelung lassen sich dadurch mildern, daß sie nicht als abschließende Regelung
verstanden wird, so daß es im pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltung steht, darüber
zu befinden, ob sie auch im Bereich der oben näher beschriebenen ausgeschlossenen

L 9 Kr 9/97 — 7 —

Fälle Akteneinsicht gewährt (BT—Drucksache a.a.O.; BVerwGE 61, 15, 22). Dem hat
die Beklagte entsprochen, in dem sie der Klägerin die Möglichkeit eröffnet hat, Einsicht
in die noch vorhandenen Akten zu nehmen, die die benannten Leistungserbringer
betreffen. Die Entscheidung der Beklagten, Akten anderer Behörden - etwa der Kas—
senärztlichen Vereinigung Berlin - nicht beizuziehen, ist in diesem Zusammenhang
ebensowenig ermessensfehlerhaft wie ihre Weigerung, aus den ihr vorliegenden Ab-
rechnungsunterlagen anderer Leistungserbringer allein zum Zwecke der Akteneinsicht
der Klägerin eine einsichtsfähige Akte zu (re-) konstruieren. Im Rahmen des Rechts auf
Akteneinsicht nach § 25 SGB X besteht selbst für den Beteiligten eines Verwaltungs-
verfahrens weder ein Anspruch auf Beiziehung von Akten anderer Behörden (Kopp,
a.a.O. § 29 Rdnr. 6) noch auf Durchsicht, Prüfung und Bildung einer neuen Akte nach
abstrakten von ihm vorgenommenen Merkmalen (BSG a.a.O.). Denn das Recht auf
Akteneinsicht nach § 25 Abs. 1 SGB X beschränkt sich auf die der Behörde vorlie-
genden Verfahrensakten und die Möglichkeit des Versicherten, sich vom Inhalt dieser
Akten ohne weiteres Tätigwerden der Behörde Kenntnis zu verschaffen. Entsprechende
Beschränkungen des Akteneinsichtsrechts darf die Behörde erst recht außerhalb der
Regelung des § 25 SGB X ihrer Ermessensentscheidung zugrunde legen. Deshalb
kommt es in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob die Beklagte krankenver-
sicherungsrechtliche Unterlagen der Jahre 1992, 1993 und des I. und II. Quartals des
Jahres 1994 jedenfalls nach dem Antrag der Klägerin auf Akteneinsicht vom 9. No-
vember 1994 von der Vernichtung hätte ausschließen müssen. Bei der Entscheidung
dieser Rechtsfrage wäre aber zu beachten, daß die beklagte Krankenkasse nach § 305
Satz 1 SGB V in der hier im Hinblick auf den Zeitpunkt des Erlasses des Wider-
spruchsbescheides maßgeblichen Fassung des Artikel 1 Nr. 164 des Gesundheitsstruk—
turgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I, S. 266 [insoweit in Kraft getreten am
1. Januar 1996] vgl. BSG SozR 3-2500 § 295 SGB V Nr. 1) zur Auskunft über die
im jeweils letzten Geschäftsjahr in Anspruch genommenen Leistungen und deren
Kosten verpflichtet war, die eine Aufbewahrung der krankenversicherungsrechtlichen
Akten jedenfalls für die Jahre 1993 und 1994 hätte erforderlich machen können. Das
SGB V und das SGB X normieren andererseits eine Aufbewahrungsfrist für in Akten
enthaltene Daten nicht, sondern verlangen in §§ 284 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB V und
84 Abs. 2 Satz 2 SGB X die Löschung von Daten unabhängig von der Art ihrer
Speicherung, wenn ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur rechtmäßigen Erfiillung

L 9 Kr 9/97 – 8 -

der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist und kein
Grund zu der Annahme besteht, daß durch die Löschung schutzwürdige Interessen des
Betroffenen beeinträchtigt werden.

2. Die Klägerin kann auch aus § 19 BDSG, § 83 Abs. 1 Satz l SGB X, § 305
SGB V keinen Anspruch auf lückenlose Einsicht der sie betreffenden krankenver-
sicherungsrechtlichen Unterlagen herleiten. Unbeschadet des Konkurrenzverhältnisses
der genannten Vorschriften untereinander und zu § 25 Abs. 1 SGB X, die jedenfalls
eine Anwendbarkeit des § 19 BDSG im vorliegenden Falle infolge der Spezialität des
§ 83 Abs. 1 SGB X ausschließen dürfte, ergibt sich aus ihnen ein Recht des Versi-
cherten (Betroffenen), auf Antrag Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten
Sozialdaten bzw. über die im jeweils letzten Geschäftsjahr in Anspruch genommenen
Leistungen und deren Kosten zu erhalten. Einen Rechtsanspruch auf Akteneinsicht
gewähren die genannten Vorschriften aber nicht (Schroeder-Printzen, a.a.O. § 83
SGB X Rdnr. 2; Kunkel, ZfSH/SGB 1995, 238; im Ergebnis für den Zustand de lege
lata wohl auch Hauck, Sozialgesetzbuch [SGB X/l, 2] - Verwaltungsverfahren und
Schutz der Sozialdaten - Kommentar, Stand 1. August 1997 § 83 Rdnr. 19). Dies
ergibt sich schon daraus, daß §§ 19 Abs. 1 Satz 4 Datenschutzgesetz, 83 Abs. 1
Satz 4 SGB X das Verfahren, insbesondere die Form der Auskunftserteilung. in das
pflichtgemäße Ermessen der speichernden Stelle stellen und § 305 SGB V bestimmte
Angaben von der Auskunftspflicht ausnimmt (z.B. Angaben der Diagnosen, vgl.
Käsling, in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung‚ 3. Auflage
Stand: April 1997 § 305 Rdnr. 5) und zum Teil auf eine Übermittlungsplicht der
Daten Dritter (KassenärztlicheVertretung; Kassenzahnärztliche Vertretung) be-
schränkt. Auch wenn die Beklagte nach den genannten Vorschriften die Möglichkeit
hat, einem Versicherten wie der Klägerin die Auskunftserteilung in Form der Einsicht-
nahme in vorhandene Akten zu gewähren (vgl. hierzu insbesondere Hauck, a.a.O. § 83
Rdnr. 19 und 23), sind im vorliegenden Fall keine Gesichtspunkte erkennbar, die das
behördliche Ermessen bei der Auskunftserteilung auf eine Pflicht zur Gewährung der
begehrten umfassenden Akteneinsicht reduzieren könnten. Der Beklagten stand deshalb
die Möglichkeit offen, der Klägerin Auskunft auch auf andere Weise als durch Akten-
einsicht zu gewähren, wovon sie durch die Übersendung von Computerausdrucken der

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in den Bildschirmlesegeräten noch sichtbar zu machenden Daten Gebrauch gemacht
hat.

3. Soweit die Beklagte ihrer Pflicht zur Auskunftserteilung nach den genannten Vor-
schriften nicht in vollem Umfange nachgekommen sein sollte, könnte sie gleichwohl im
vorliegenden Rechtsstreit nicht zur Auskunft über die von der Klägerin gewünschten
Tatsachen verurteilt werden, selbst wenn ein Auskunftsanspruch nach §§ 19 Abs. 1
BDSG, 83 Abs. 1 SGB X sowie § 305 Satz 1 SGB V in ihrem Begehren auf Akten—
einsicht enthalten sein sollte und materiell rechtlich kein "aliud" darstellte. Denn die
Klägerin hat ihr prozessuales Begehren ausdrücklich nur auf die Akteneinsicht konkre-
tisiert, weil sie argwöhnt, daß die Beklagte ihr bei einer bloßen Auskunftserteilung
Aktenteile vorenthalten würde (Schriftsatz vom 18. Januar 1997, Blatt 102/103
Gerichtsakte).

Im übrigen wird nach §§ 19 Abs. 1 Satz 3 BDSG, 83 Abs. 1 Satz 3 SGB X eine
Auskunft über in Akten gespeicherte Sozialdaten nur erteilt, soweit der Betroffene
Angaben macht, die das Auffinden der Daten ermöglichen und der für die Erteilung der
Auskunft erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem vom Betroffenen
geltend gemachten Informationsinteresse setzt. Schon aus dem Wortlaut der Vorschrif-
ten (das Auffinden von Daten kann sich nur auf bestehende Akten beziehen) folgt, daß
sie eine Pflicht der Behörde zur (Re—) Konstruktion bereits vernichteter Akten ebenso—
wenig begründen wie eine Verpflichtung, sämtliche Abrechnungsakten der Jahre 1992,
1993 und 1994, die die Beklagte nicht auf elektronischen Datenträgern gespeichert hat,
auf die die Klägerin betreffende Abrechnungsunterlagen durchzusehen. Insoweit fehlt
es sowohl an Angaben der Klägerin, die das Auffinden der Daten ermöglichen als auch
an der Verhältnismäßigkeit des Aufwandes der Behörde bei der Datensuche zum
Informationsinteresse der Klägerin.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz —SGG—.

L 9 Kr 9/97 —10 -

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die dafür erforderlichen Voraussetzun—
gen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht gegeben sind.

Faksimile  1   2   3   4   5   6   7   8   9   10  

Rechtsmittelbelehrung

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LSG HES, L 9 AS 600/10 B ER vom 15.11.2010, Hessisches Landessozialgericht
Hessisches Landessozialgericht
L 9 AS 600/10 B ER
S 23 AS 766/10 ER (Sozialgericht Wiesbaden)

Beschluss


In dem Beschwerdeverfahren

A.,
A-Straße, A-Stadt,

Antragstellerin und Beschwerdegegnerin,

gegen

Arbeitsgemeinschaft Limburg-Weilburg - Grundsicherung für Arbeitsuchende -,
vertreten durch die Geschäftsführung, Cahenslystraße 2, 65549 Limburg,

Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin,

hat der 9. Senat des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt durch den
Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht S. sowie die Richter am
Landessozialgericht K. und Dr. B. am 15. November 2010 beschlossen:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den
Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom
11. Oktober 2010 wird aus den zutreffenden Gründen
des Beschlusses des Sozialgerichts zurückgewiesen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Faksimile 1

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LSG BAY, L 8 SO 226/13 B ER vom 07.01.2013, Bayerisches Landessozialgericht
L 8 SO 226/13 B ER
S 52 SO 474/13 ER

BAYERISCHES LANDESSOZIALGERICHT

In dem Beschwerdeverfahren

A., A-Straße, A-Stadt
- Antragstellerin und Beschwerdeführerin -
Proz.-Bev.:
Rechtsanwälte B., B-Straße, A-Stadt - -

gegen

Landeshauptstadt München, Sozialreferat, vertreten durch den Oberbürgermeister, Orle-
ansplatz 11, 81667 A-Stadt - -
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -


wegen einstweiliger Anordnung

erlässt der 8. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in München

am 7. Januar 2013

ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landessozialge-
richt S. sowie die Richterin am Bayer. Landessozialgericht R. und den
Richter am Bayer. Landessozialgericht B. folgenden

Beschluss:

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 11. Oktober
2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird
abgelehnt.

- 2 -

Gründe

I.

Die Beteiligten betreiben ein Vorverfahren wegen der Ablehnung höherer Leistungen nach
dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) durch den örtlichen Träger
der Sozialhilfe. Die 1945 geborene Antragstellerin macht erhöhte Aufwendungen für nicht
von ihrer gesetzlichen Krankenkasse geleistete Arzneimittel geltend.

Die Antragstellerin ist trotz des Bezugs einer Altersrente durch die deutsche Rentenversi-
cherung in Höhe von monatlich 546,70 €, sowie einer Zusatzversorgung der Bayerischen
Versorgungskammer (27,78 €) seit vielen Jahren hilfebedürftig. Sie bewohnt eine Ein-
Zimmer Wohnung in A-Stadt (32 qm) mit einer Kaltmiete von monatlich 311,89 €, sowie
einer Nebenkostenvorauszahlung von 106,13 €.

Die Antragsgegnerin bewilligte mit Bescheid vom 27.06.2013 Leistungen für den Zeitraum
01.07.2013 bis 30.06.2014 in Höhe von zuletzt 392,63 €. Bei der Bedarfsberechnung ging
die Antragsgegnerin von einem Bedarf der Antragstellerin in Höhe von 968,76 € (Regel-
satz inkl. Aufstockung 402,00 €, Mehrbedarf gemäß § 30 SGB XII 67,94 €, Mehrbedarf für
Ernährung 80,40 €, Unterkunftskosten 418,02 €) aus.

Am 23.07.2013 legte die Antragstellerin Widerspruch wegen der Höhe des Regelsatzes
bei der Antragsgegnerin ein.

Am 06.09.2013 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht München (SG) den Erlass einer
einstweiligen Anordnung beantragt, mit dem Ziel, ihr monatliche Leistungen in Höhe von
543,00 € zuzuerkennen. Sie könne die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht ab-
warten, zumal für die vorangegangene Bewilligungsperiode noch eine Sachentscheidung
des SG zur selben Problematik ausstehe. Ihre notwendigen Arzneimittel finanziere sie aus
dem Regelsatz. Es handele sich um einen unabweisbaren Bedarf, denn verordnungsfähi-
ge Arzneimittel seien ungeeignet. Zudem habe sie in einem früheren Eilverfahren bereits
eine Erhöhung des Regelsatzes erhalten.

Vorgelegt worden sind Auflistungen diverser Apotheken über Medikamente, so vom Ja-
nuar bis Juli 2013 in Höhe von 203,43 €, vom Juni 2013 in Höhe von 104,72 €, vom Mai
2013 in Höhe von 110,86 €, vom März 2013 in Höhe von 193,51 €, vom Januar 2013 in
Höhe von 253 €.

Weiter wird vorgetragen, dass die Antragstellerin aufgrund mannigfaltiger Allergien und
Unverträglichkeiten gehalten sei, Medikamente einzunehmen, die als OTC - Medikamente
zu qualifizieren seien. Es habe immer schon Auseinandersetzungen mit der Krankenkas-
se gegeben, unter anderem auch einen Rechtsstreit (S 18 KR 1268/05). Die Antragstelle-
rin habe inzwischen resigniert, was die Durchsetzung ihrer Ansprüche bei der Kranken-
kasse betreffe. Dazu sind dann auch ältere ärztliche Stellungnahmen vorgelegt worden. In
dem Anlagenkonvolut befinden sich unter anderem drei Verordnungen vom 03.08.09 über
insgesamt neun Medikamente sowie zahlreiche Rezeptkopien aus dem Jahre 2013, zum
Teil als Privatrezept, ausgestellt vom Klinikum G..

Durch Beschluss vom 11. Oktober 2013 hat das SG den Erlass einer einstweiligen An-
ordnung abgelehnt. Es fehle besonders an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsan-
spruches. Die Klägerin sei gesetzlich krankenversichert bei der T. Krankenkasse A-Stadt.
Die entsprechenden Beiträge würden gemäß § 32 Abs. 1 SGB XII durch die Antragsgeg-
nerin übernommen. Hierdurch sei der Anspruch der Antragstellerin auf das sozialrechtlich

- 3 -

zu gewährende menschenwürdige Existenzminimum gemäß Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20
Abs. 1 GG abgedeckt (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2011, B 14 AS 146/10 R). Versicherte
erhielten grundsätzlich die krankheitsbedingt notwendigen, nicht der Eigenverantwortung
(§ 2 Abs. 1 S 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V) zugeordneten Arzneimittel (§ 27
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V) aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversiche-
rung aufgrund vertragsärztlicher Verordnung. Sei für ein Arzneimittel wirksam ein Festbe-
trag festgesetzt, trage die Krankenkasse - abgesehen von der Zuzahlung (§ 31 Abs. 3
SGB V) - grundsätzlich die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags (§ 31 Abs. 2 Satz 1 bis 5
SGB V). In Anbetracht dieser Grundsätze scheide eine Erhöhung des Regelsatzes zur
Anschaffung der geltend gemachten Aufwendungen aus. Lägen die vorstehend genann-
ten Voraussetzungen vor, habe der gesetzlich krankenversicherte Sozialhilfeempfänger
einen Anspruch auf Versorgung mit einem den Festbetrag übersteigenden Festbetrags-
arzneimittel bzw. auf entsprechende Kostenerstattung (vgl. § 13 SGB V) gegen seine
Krankenkasse. Habe ein gesetzlich Krankenversicherter nach den genannten Grundsät-
zen keinen Anspruch auf eigenanteilsfreie Versorgung über den Festbetrag hinaus, z.B.
weil er noch nicht alle Wirkstoffe ausprobiert habe, komme auch eine Erhöhung der sozi-
alhilferechtlichen Regelsätze nicht in Betracht. Ein Anspruch der Antragstellerin auf Ver-
sorgung mit den geltend gemachten Arzneimitteln ergebe sich unter zweierlei Gesichts-
punkten nicht. Zum einen fehle es schon am Vorliegen einer vertragsärztlichen Verord-
nung („Kassenrezept“) dieses Arzneimittels. Zum anderen seien die geltend gemachten
Arzneimittel auch vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht um-
fasst. Die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel seien daher nach § 34 Abs. 1 Satz
1 SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen. Eine
besondere Begründung eines Vertragsarztes nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V fehle den
vorgelegten Unterlagen zufolge.

Ein Anspruch der Antragstellerin lasse sich auch nicht aus § 73 Satz 1 SGB XII herleiten.
§ 73 SGB XII gelte nicht für solche Bedarfe, die explizit im Dritten bis Achten Kapitel des
SGB XII geregelt seien, wie die Hilfe bei Krankheit im Fünften Kapitel des SGB XII.
Hiergegen hat die Antragstellerin am 12.11.2013 Beschwerde zum Bayer. Landessozial-
gericht (LSG) eingelegt. Die Entscheidung vom 11. Oktober 2013 sei in sich widersprüch-
lich. Denn tatsächlich würden die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
den notwendigen Bedarf abdecken. Wie das SG selbst festgestellt habe, seien die be-
gehrten Mittel nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten
und könnten damit auch nicht vom Vertragsarzt verschrieben werden. Im Übrigen sei nicht
ersichtlich, was sich gegenüber dem Verfahren S 48 SO 296/08 ER geändert habe.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses vom 11. Oktober 2013 im
Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, der Antragstellerin bis
zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30.04.2014 Leistun-
gen nach dem SGB XII in Höhe von monatlich 543,00 € zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

- 4 -

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialge-
richtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung we-
sentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Antragstellerin
ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare
Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht
mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 <74>; vom
19.10.1997 BVerfGE 46, 166 <179> und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der
Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der
materiell-rechtliche Anspruch, auf den die Antragstellerin ihr Begehren stützt - voraus. Die
Angaben hierzu hat die Antragstellerin glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 2 und 4
SGG iVm § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in: Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl., § 86b Rn 41).

Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG sind besondere Anforderungen an die Ausgestaltung
des Eilverfahrens zu stellen, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen kön-
nen. Bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs ist dann eine Orientierung an den Er-
folgsaussichten des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nur nach einer abschließen-
den Prüfung der Sach- und Rechtslage erlaubt. Dies gilt insbesondere, wenn das einst-
weilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens
übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Betei-
ligten droht. Ist aber eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht möglich,
ist die Entscheidung auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu treffen, in die die grund-
rechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einzustellen sind (Beschluss des
BVerfGE vom 12.05.2005, BvR 569/05, NVwZ 2005, 927 m.w.N, Bayer. Landessozialge-
richt, Beschluss vom 21.12.2010 - L 8 SO 243/10 B ER -, juris).

Der Antragstellerin mag zuzugestehen sein, dass frühere Regelungen über Arzneimittel in
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht ausgereicht haben, eine Versorgung
von Versicherten mit anderen diätetischen Lebensmitteln für besondere medizinische
Zwecke zu begründen, auch wenn dies medizinisch notwendig gewesen wäre. Mit dem
Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der GKV (GKV-OrgWG)
vom 15.12.2008 wurde aber geregelt, dass bilanzierte Diäten verordnungsfähig sind,
wenn eine diätetische Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweck-
mäßig und wirtschaftlich ist, z. B. bei Versicherten, die an angeborenen, seltenen Stoff-
wechseldefekten oder anderen diätpflichtigen Erkrankungen leiden, die ohne diätetische
Intervention zu schwerer geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung führen, sowie all-
gemein bei fehlender oder eingeschränkter Fähigkeit zur ausreichenden, normalen Ernäh-
rung, wenn mit anderen Maßnahmen (allein oder kombiniert) eine ausreichende Ernäh-
rung im Einzelfall nicht sichergestellt werden kann (vgl. zu Einzelheiten Bundestagsdruck-
sache 16/10609 vom 15.10.2008, zu Buchstabe c). Wesentliche Aufgaben sind dabei dem
Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zugewiesen worden, der in den Richtlinien nach
§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festzulegen hatte, unter welchen Voraussetzungen die
Verordnung von Produkten zur enteralen Ernährung medizinisch notwendig, zweckmäßig,
wirtschaftlich und damit verordnungsfähig sei.

Zahlreiche ergänzende Vorschriften enthält nach Maßgabe des § 31 Abs. 1 Satz 1 und 2,

- 5 -

Abs. 5 Satz 2 SGB V die aufgrund der Ermächtigung in § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V
vom G-BA (§ 91 SGB V) erlassene Richtlinie über die Verordnung von Arzneimitteln in der
vertragsärztlichen Versorgung - Arzneimittel- RL - . Ergänzende Regelungen enthält zu-
dem die Verfahrensordnung des G-BA. Die RL und die Verfahrensordnung des G-BA sind
aktuell und vollständig, insbesondere einschließlich aller Anlagen, abrufbar im Internetauf-
tritt des G-BA (www.g-ba.de). § 31 Abs. 5 SGB V bestimmt im Übrigen, dass Versicherte
Anspruch auf bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung haben, wenn eine diätetische
Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich
ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2
Nr. 6 SGB V fest, unter welchen Voraussetzungen welche bilanzierten Diäten zur entera-
len Ernährung vom Vertragsarzt verordnet werden können und veröffentlicht im Bundes-
anzeiger eine Zusammenstellung der verordnungsfähigen Produkte. In die Zusammen-
stellung sollen nur Produkte aufgenommen werden, die die Anforderungen der Richtlinie
erfüllen.

So bestimmt nunmehr § 12 Arzneimittel- RL (Apothekenpflichtige, nicht verschreibungs-
pflichtige Arzneimittel gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V), dass zwar nicht verschrei-
bungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen sind
(Abs. 1). Dass die Verordnung dieser Arzneimittel nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V aus-
nahmsweise zulässig ist, wenn die Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Er-
krankungen als Therapiestandard gelten (Abs. 2). Eine Krankheit ist schwerwiegend,
wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verur-
sachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (Abs.
3). In der Anlage I zum Abschnitt F der Arzneimittel-Richtlinie befinden sich zudem zuge-
lassene Ausnahmen zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 2
SGB V (OTC-Übersicht). Damit wird dem Maßstab für die Beurteilung der Verfassungs-
mäßigkeit des Leistungsrechts der GKV und seiner fachgerichtlichen Auslegung und An-
wendung im Einzelfall auch aus den Grundrechten auf Leben und körperliche Unversehrt-
heit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG entsprochen (dazu BVerfGE 115, 25, 44 f.).

So hält dann auch die übereinstimmende Rechtsprechung in der Grundsicherung die Kos-
ten einer Krankenbehandlung durch das System des SGB V oder (ergänzend) durch die
Regelleistung für abgedeckt (Urteil des BSG vom 26.05.2011, Aktenzeichen: B 14 AS
146/10 R). Aufgrund der Notwendigkeit einer Versorgung mit nicht verschreibungspflichti-
gen Arzneimitteln entstünden grundsätzlich keine unabweisbaren laufenden Bedarfe.
Nach dem Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
21.02.2013 2013 - L 9 SO 455/11 - scheidet ein entsprechender Leistungsanspruch ge-
gen den Sozialhilfeträger aus § 48 S 1 SGB XII aus, wenn gegen die gesetzliche Kran-
kenkasse kein Anspruch auf Versorgung mit einem den Festbetrag übersteigenden Fest-
betragsarzneimittel besteht. Eine Erhöhung des Regelsatzes nach § 27a Abs. 4 S 1 SGB
XII wegen der von einem gesetzlich Krankenversicherten zu tragenden Anschaffungskos-
ten für ein Medikament, dessen Preis den nach dem Recht der gesetzlichen Krankenver-
sicherung festgesetzten Festbetrag übersteigt, kommt von vornherein nicht in Betracht,
denn das System des SGB V deckt unabweisbare Bedarfe insoweit hinreichend ab (Rn.49
aaO). Wenn - trotz Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung durch die
Festbetragsfestsetzung im Allgemeinen - aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse
keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich ist, greift nach diesem Urteil die
Leistungsbeschränkung der Krankenkassen auf den Festbetrag nach
§ 12 Abs. 2 SGB 5 unter Verweis auf BSG vom 3.7.2012 (B 1 KR 22/11 R) nicht ein.

Angesichts dieser klaren Rechtslage bedarf es keiner Folgenabwägung.

Insbesondere ist es für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht ausreichend, wenn
zur Geltendmachung der Rechte gegenüber der GKV lediglich angeführt wird, dass die

- 6 -

Klägerin insoweit resigniert habe. Schließlich ist auch eine Beiladung des zuständigen
Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung im einstweiligen Rechtsschutz nicht ziel-
führend. Die Beiladung wegen Ansprüchen gegen einen anderen, als einem bislang im
Prozess Beteiligten ist eine Klageänderung. Sie wäre nicht sachdienlich, wenn zuvor noch
kein Verwaltungsverfahren durchgeführt worden wäre. Häufig sind aber auch schon bin-
dende Entscheidungen vorhanden, die als Verwaltungsakt gelten (§ 39 SGB X) und auf-
grund einer Beiladung nicht ungültig werden können. Der Fall einer notwendigen Beila-
dung, bei dem ein Alternativverhältnis der Leistungspflicht besteht, liegt nicht vor. So
kommt bei der Ablehnung des Anspruchs nicht ein anderer Versicherungsträger (GKV) als
leistungspflichtig in Betracht (vgl. § 75 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.

Aus den oben genannten Gründen liegt auch keine hinreichende Erfolgsaussicht vor, die
die Zubilligung von Prozesskostenhilfe rechtfertigen würde (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG
in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO). Die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Beschwer-
deverfahren hatte keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

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