Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Sonntag, 10. Mai 2015
BSG, B 8 SO 54/10 B vom 24.11.2011, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 8 SO 54/10 B
L 8 SO 132/09 (Bayerisches LSG)
S 10 SO 13/08 (SG Landshut)

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte:

gegen


Bezirk Niederbayern,
Gestütstraße 10, 84028 Landshut,
Beklagter und Beschwerdegegner,

beigeladen:

1. Landkreis Passau,
Regensburger Straße 33, 94036 Passau,

2. Deutsche Angestellten-Krankenkasse,
Nagelsweg 27-31, 20097 Hamburg.

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. März 2011 durch

die Richter C. , O., und Prof. Dr. S.

beschlossen:


Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im
Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 2010 wird als
unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

[Abs. 1]
Im Streit ist die Übernahme von Betriebskosten für ein dem Kläger gehörendes, selbst be-
schafftes Kfz im Wege der Eingliederungshilfe.

[Abs. 2]
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers gegen das klageab-
weisende Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 23.4.2009 (S 10 SO 13/08) zurückgewiesen,
weil der Kläger zum Zwecke der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht auf die regelmä-
ßige Benutzung des Kfz angewiesen sei (Urteil vom 29.6.2010, L 8 SO 132/09).

[Abs. 3]
Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde rügt der Kläger die
Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 62 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm Art 103 Abs 1
Grundgesetz (GG). Die Mitteilung des Klägers an das LSG vom 27.6.2010, er könne an dem
Verhandlungstermin vom 29.6.2010 nicht teilnehmen, weil er nicht über die finanziellen Mittel
zur Bestreitung der Fahrtkosten verfüge, sei als Terminverlegungsantrag auszulegen. Weder
habe das LSG über diesen entschieden, noch habe es Reisekosten gewährt, sodass der mit-
tellose Kläger an der Teilnahme am Termin zur mündlichen Verhandlung gehindert worden sei.

Damit könne die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen, denn es
könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass eine Verletzung des rechtlichen Ge-
hörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert habe, an der mündlichen Verhandlung
teilzunehmen, die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst habe. Einer Angabe, welches
Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden sei, bedürfe es nicht.

[Abs. 4]
Der Rechtssache komme auch grundsätzliche Bedeutung zu, weil folgende Fragen grundsätz-
licher Klärung bedürften:

"Sind bei Leistungsberechtigten nach dem vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung) als Versicherungsnehmer einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtver-
sicherung mit eigenem Renteneinkommen die Prämien für die Kraftfahrzeug-
Haftpflichtversicherung nach § 82 Abs 2 Nr 3 SGB XII vom Renteneinkommen absetzbar, wenn
wegen Krankheit oder Behinderung die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich oder
zumutbar ist?

Stellen die §§ 53 Abs 1 Satz 1 und 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 10 Abs 6 Ein-
gliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) für die Übernahme der Betriebskosten des Kfz die allei-
nige Anspruchsgrundlage dar?"

- 3 -

[Abs. 5]
Diese Rechtsfragen seien auch klärungsbedürftig; das Bundessozialgericht (BSG) habe in sei-
nem Urteil vom 18.3.2008 (B 8/9b SO 11/06 R, BSGE 100, 139 = SozR 4-3500 § 82 Nr 4) ent-
schieden, dass die Absetzbarkeit des Versicherungsbeitrags für ein Kfz voraussetze, dass die-
ses zumindest auch für sozialhilferechtlich anerkennte Zwecke genutzt werde, also etwa, weil
die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel im Fall von Krankheit oder Behinderung eines Mitglieds
der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder unzumutbar sei. Hierbei habe es jedoch offen
gelassen, ob die Kfz-Versicherungsbeiträge überhaupt als angemessene
Versicherungsbeiträge zu verstehen seien und auf die abweichende Ansicht des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 62, 261 ff) verwiesen.

II

[Abs. 6]
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund
des Verfahrensfehlers, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) und
der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), nicht in der erforderlichen Weise be-
zeichnet bzw dargelegt ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Der Senat konnte deshalb über die Be-
schwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG iVm § 169 SGG entscheiden.

[Abs. 7]
Macht der Beschwerdeführer das Vorliegen von Verfahrensmängeln geltend, so müssen bei der
Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) wie bei einer Verfahrensrüge
innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) be-
gründenden Tatsachen substanziiert dargelegt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34,
36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG
- ausgehend von dessen Rechtsansicht - auf dem jeweiligen Mangel beruhen kann, also die
Möglichkeit der Beeinflussung der Entscheidung besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und
36), es sei denn, es würden absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß § 202 SGG
iVm § 547 Zivilprozessordnung (ZPO) der Einfluss auf die Entscheidung unwiderlegbar ver-
mutet wird (BSGE 4, 281, 288; BSG SozR 1500 § 136 Nr 8).

[Abs. 8]
Der Kläger hat mit seinem Vorbringen einen Verfahrensmangel wegen Verletzung des recht-
lichen Gehörs nach § 62 SGG und Art 103 Abs 1 GG nicht hinreichend bezeichnet. Das Gebot
des rechtlichen Gehörs hat auch zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur
Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben müssen (BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 5; BSG SozR
1500 § 128 Nr 24). Wird aufgrund mündlicher Verhandlung, dem "Kernstück" des gerichtlichen
Verfahrens (BSGE 44, 292, 293 = SozR 1500 § 124 Nr 2) entschieden, müssen die Beteiligten
die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör ist dabei in
der Regel bereits dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt
(§ 110 Abs 1 Satz 1 SGG), der Beteiligte bzw sein Prozessbevollmächtigter ordnungsgemäß

- 4 -

geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird (BSG,
Urteil vom 28.4.1999, B 6 KA 40/98 R, USK 99111, RdNr 16). Dass der Kläger an der
Teilnahme der mündlichen Verhandlung gehindert wurde, trägt er nicht schlüssig vor. Dem
Schreiben des Klägers vom 27.6.2010 lässt sich insbesondere kein Terminverlegungsantrag
oder ein Antrag auf Gewährung eines Reisekostenzuschusses entnehmen, sondern allein die
Bitte um Verständnis im Falle seiner Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung. Warum
das Schreiben dennoch als Verlegungsantrag auszulegen war, erläutert der Kläger nicht.

[Abs. 9]
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft,
die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit und der Fortbildung des
Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer
muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichter-
lichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfragen sich stel-
len, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechts-
fragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und
dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160
Nr 17; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu
genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte)
Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die
über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so
genannte Breitenwirkung) darlegen. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung
nicht.

[Abs. 10]
Insbesondere ist die Klärungsfähigkeit nicht ausreichend dargelegt. Das LSG hat die Über-
nahme der Betriebskosten für das dem Kläger gehörende Kfz im Zusammenhang mit Leistun-
gen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft geprüft, weil der Kläger Eingliederungshilfe
beantragt hat. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht er hingegen geltend, dass ihm ange-
sichts der Anrechenbarkeit der "angemessenen" Versicherung höhere Leistungen nach §§ 41 ff
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) zustehen. Zur Darlegung der Klä-
rungsfähigkeit hätte er sich dann aber mit den unterschiedlichen Streitgegenständen und mit
insoweit (ggf) bestandskräftigen Bescheiden des Beigeladenen zu 1., der für Leistungen der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zuständig wäre, auseinandersetzen müs-
sen. Dies hat er jedoch nicht getan.

[Abs. 11]
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 8 SO 6/11 R vom 15.11.2012, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Verkündet am
15.11.2012

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 8 SO 6/11 R
L 9 SO 39/08 (LSG Nordrhein-Westfalen)
S 7 SO 10/07 (SG Duisburg)

Klägerin und Revisionsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:

gegen

Stadt Rheinberg,
Kirchplatz 10, 47495 Rheinberg,
Beklagte und Revisionsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. November
2012 durch den Vorsitzenden Richter E. , den Richter C. und die Richterin

K. sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. W.
und G.



für Recht erkannt:



Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen
vom 20. Juli 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
dieses Gericht zurückverwiesen.

-2-



Gründe:



I



[Abs. 1] Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten in Höhe von 50,48 Euro für
ein Depot-Kontrazeptivum (sog "3-Monats-Spritze") auf Grundlage von Verordnungen vom
8.3.2007 und vom 5.6.2007.


[Abs. 2] Bei der 1966 geborenen Klägerin besteht eine geistige Behinderung mit Aphasie bei Zustand
nach Schädel-Hirn-Trauma. Sie erhält laufend Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Sozial-
gesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) - ua für die Zeit vom 1.7.2006 bis 30.6.2007
(Bescheid vom 21.6.2006) - und ist Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei
der AOK Rheinland/Hamburg. Sie übt eine Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen
aus und wohnt gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Sohn, der von seiner Großmutter
erzogen wird, in einem Haushalt.



[Abs. 3] Am 21.9.2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage privatärztlicher Verord-
nungen ihres behandelnden Gynäkologen vom 13.6.2006 und 12.9.2006 und einer Bescheini-
gung dieses Arztes vom 13.9.2006, wonach die Verordnung erforderlich sei, die Kostenüber-
nahme für jeweils eine Ampulle des Depot-Kontrazeptivums Noristerat. Einen anschließend bei
der AOK Rheinland/Hamburg gestellten Kostenübernahmeantrag lehnte diese ab, weil eine
Kostenübernahme für Kontrazeptiva nach Vollendung des 20. Lebensjahres gemäß § 24a
Abs 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) aus-
scheide (Bescheid vom 6.10.2006). Auch die Beklagte lehnte den Kostenübernahmeantrag ab
(Bescheid vom 20.10.2006; Widerspruchsbescheid unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter
vom 29.3.2007).



[Abs. 4] Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben und die Erstattung
von Kosten in Höhe von insgesamt 126,20 Euro für 5 Ampullen Noristerat (jeweils 25,24 Euro)
geltend gemacht, die sie sich nach Ablehnung der Kostenübernahme durch die Beklagte auf
Grundlage privatärztlicher Verordnungen ihres behandelnden Gynäkologen vom 8.3., 5.6., 6.9.,
13.12.2007 und 13.3.2008 beschafft hatte. Das SG hat die Beklagte antragsgemäß zur Kosten-
erstattung verurteilt (Urteil vom 9.9.2008). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesso-
zialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG aufgehoben und die Klage
abgewiesen (Urteil vom 20.7.2010). Einem Anspruch aus § 49 Satz 2 SGB XII auf
Kostenübernahme für empfängnisverhütende Mittel stehe - entgegen der Auffassung des SG -
§ 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII entgegen, der wegen der Hilfen nach den §§ 47 bis 51 SGB XII auf
den Leistungsumfang der GKV verweise. Nach § 24a SGB V seien Frauen (nur) bis zum
vollendeten 20. Lebensjahr anspruchsberechtigt. Wegen der Änderung des § 38 Abs 1 Satz 1
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zum 1.1.2004 (mit dem Gesetz zur Modernisierung der


-3-

gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz - vom 14.11.2003
- BGBl I 2190) und der damit erfolgten Anbindung des Leistungsrechts des BSHG und in der
Folge des SGB XII an dasjenige des SGB V könnten auch auf der Grundlage des § 49 SGB XII
empfängnisverhütende Mittel für Personen nach Vollendung des 20. Lebensjahres nicht über-
nommen werden. Eine Kostenübernahme gemäß § 48 Satz 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB V
scheide aus, weil das verschriebene empfängnisverhütende Mittel nach den Attesten des be-
handelnden Gynäkologen vom 13.9.2006 und vom 24.8.2007 nicht der Verhütung einer
Schwangerschaft wegen Vorliegens einer Krankheit, sondern der Empfängnisverhütung unmit-
telbar diene. Die Teilhabe iS der §§ 53, 54 SGB XII iVm § 55 Abs 1 Sozialgesetzbuch Neuntes
Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) erfasse es zwar auch,
dem Behinderten ein selbstbestimmtes Sexualleben zu ermöglichen bzw zu erleichtern, wovon
auch die Übernahme der Kosten der Verhütung einer ungewollten Schwangerschaft mit einem
der Behinderung angepassten Verhütungsmittel umfasst sein könne; als allein übernah-
mefähiger behinderungsspezifischer Bedarf seien aber nur solche Kosten zu übernehmen, die
zusätzlich durch die Behinderung der Betroffenen entstünden. Die Kosten für das Depot-
Kontrazeptivum überschritten im Vergleich mit Kosten anderer üblicher Verhütungsmittel
(Kondome, orale Kontrazeptiva) das zumutbare Maß nicht und seien deshalb mit dem
pauschalen Regelsatz abgegolten.


[Abs. 5] Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie hat die Klage auf die Kostenerstattung
wegen der Verordnungen vom 8.3. und 5.6.2007 beschränkt. In der Sache macht sie eine Ver-
letzung von § 49 SGB XII durch das LSG geltend. § 49 SGB XII stelle nach wie vor für den Per-
sonenkreis der Hilfebedürftigen nach dem SGB XII eine Sonderregelung dar. Der Gesetzgeber
habe nach Änderung des § 38 BSHG durch die unveränderte Beibehaltung des § 36 BSHG (bis
31.12.2004) bzw durch § 49 SGB XII (ab 1.1.2005) zu erkennen gegeben, weiterhin die Kos-
tenübernahme für empfängnisregelnde Mittel ohne die in § 24a SGB V enthaltene Altersbegren-
zung im Rahmen des SGB XII ermöglichen zu wollen. § 52 SGB XII regele nicht den
anspruchsberechtigten Personenkreis, sondern (lediglich) den Umfang der Versorgung. Bei
einer anderen Auslegung laufe die Regelung ins Leere; zudem ergebe sich eine Schlechter-
stellung gegenüber dem Personenkreis, der entsprechende Leistungen nach §§ 3, 6 Abs 1
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten könne. Auch als Eingliederungsleistung
müsse das Depot-Kontrazeptivum übernommen werden, weil es für sie die einzige Möglichkeit
sei, sicher zu verhüten.



[Abs. 6] Die Klägerin beantragt,



das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG
zurückzuweisen.



[Abs. 7] Die Beklagte beantragt,


die Revision zurückzuweisen.



-4-

[Abs. 8] Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.



II



[Abs. 9] Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zu-
rückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ). Auf
der Grundlage der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob
der Klägerin höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
(Grundsicherungsleistungen) zustehen. Allein aus dem regelmäßig alle drei Monate anfallenden
Kostenaufwand für das Depot-Kontrazeptivum ergibt sich ein Anspruch auf höhere Grundsiche-
rungsleistungen nicht. Ein Anspruch auf andere Sozialhilfeleistungen besteht nicht.



[Abs. 10] Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 20.10.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 29.3.2007 (§ 95 SGG), mit dem diese die Übernahme auch
künftig anfallender Kosten für Kontrazeptiva abgelehnt hat. Die mit der Anfechtungsklage
kombinierte Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG) hat die Klägerin auf die Erstattung
von bezifferten Kosten in Höhe von 50,48 Euro beschränkt und dabei zulässigerweise auch auf
die im Juni 2007 angefallenen Kosten erstreckt. Eine Begrenzung des Streitgegenstandes da-
hin, dass lediglich über Leistungen nach dem Fünften Kapitel des SGB XII (Hilfen zur Gesund-
heit) zu entscheiden wäre, ergibt sich aus dieser betragsmäßigen Einschränkung aber nicht.
Nach dem sog Meistbegünstigungs- bzw Gesamtfallgrundsatz (vgl: BSGE 101, 217 ff
RdNr 12 ff = SozR 4-3500 § 133a Nr 1; BSGE 100, 131 ff RdNr 10 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3) ist
davon auszugehen, dass die Klägerin die von ihr beanspruchten Leistungen unter allen denk-
baren rechtlichen Gesichtspunkten geltend macht. Damit wird das LSG nach Zurückverweisung
des Rechtsstreits zu überprüfen haben, ob eine Erhöhung des Regelsatzes nach § 42 Satz 1
Nr 1 SGB XII iVm § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung
des SGB XII und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670) für die Zeit in Betracht kommt,
in der die geltend gemachten Kosten angefallen sind, und den die Leistungen für den Lebens-
unterhalt betreffenden Bescheid in seine Prüfung einzubeziehen haben. Dabei fallen die
streitigen Kosten in den Bewilligungszeitraum vom 1.7.2006 bis 30.6.2007. Sofern sich die
Berufung der Beklagten im Ergebnis als unbegründet darstellen sollte, wird das LSG den Tenor
des Urteils des SG zu ändern haben und die Beklagte unter Anwendung des § 48 Zehntes
Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) zur
Änderung des bereits vor dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.10.2006 be-
standskräftig gewordenen Bescheids vom 21.6.2006 für März und Juni 2007 zu verurteilen
haben.


-5-

[Abs. 11] Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Revision zulässig. Nachdem der Senat mit Be-
schluss vom 21.2.2011 Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der
Revision gewährt hat, kommt die Verwerfung der am 14.2.2011 eingelegten und zugleich be-
gründeten Revision als unzulässig wegen Fristversäumnis nicht in Betracht.



[Abs. 12] Andere von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Insbeson-
dere war der Landkreis W. , der den Widerspruchsbescheid erlassen hat, nicht nach § 75
Abs 2 1. Alt SGG (echte notwendige Beiladung) zum Verfahren beizuladen, weil er nicht Dritter
im Sinne der gesetzlichen Regelung ist (BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5 RdNr 11). Auch ein Fall
der unechten notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Satz 1 2. Alt SGG (mögliche Leis-
tungspflicht eines anderen Leistungsträgers) liegt nicht vor (vgl BSG aaO). Die fehlende un-
echte notwendige Beiladung hätte im Revisionsverfahren ohnehin gerügt werden müssen (vgl
Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 13b mwN), was
vorliegend nicht geschehen ist.


[Abs. 13] Die (echte) notwendige Beiladung der AOK Rheinland/Hamburg als für die Klägerin zuständige
Krankenkasse war ebenfalls nicht erforderlich. Es liegt schon deshalb keine § 14 SGB IX unter-
fallende Konstellation vor, weil es sich zum einen bei der Kostenübernahme nach § 24a SGB V
nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation im Sinne des SGB V handelt und zum
anderen dessen Voraussetzungen wegen Überschreitens der Altersgrenze ohnehin offensicht-
lich nicht erfüllt sind, sodass eine Leistungspflicht der AOK Rheinland/Hamburg aus-
geschlossen ist.


[Abs. 14] Der Kreis W. ist zwar sachlich und örtlich zuständiger Träger der Sozialhilfe (§§ 97 Abs 1,
98 Abs 1 SGB XII iVm § 3 Abs 2 Satz 1 SGB XII und §§ 1, 2 Landesausführungsgesetz zum
SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2004 - Gesetz-
und Verordnungsblatt NRW 816 - iVm der Ausführungsverordnung zum SGB XII des
Landes NRW vom 16.12.2004 - GVBl NRW 717; vgl zur Auslegung der entsprechenden
landesrechtlichen Zuständigkeitsregelungen bei fehlender eigener Auslegung des LSG: BSGE
103, 39 ff RdNr 12 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1) für den vorliegend allein in Betracht kommenden
Anspruch auf Erhöhung des Regelsatzes; dies gilt auch für die Hilfen zur Gesundheit und die
Eingliederungshilfe. Nach § 3 Abs 1 AG-SGB XII NRW können die Kreise aber als örtliche
Träger der Sozialhilfe kreisangehörige Gemeinden zur Durchführung der ihnen als Träger der
Sozialhilfe obliegenden Aufgaben durch Satzung heranziehen. Der Kreis W. hat dies getan
und den kreisangehörigen Städten und Gemeinden, zu denen die Beklagte gehört, die
Durchführung der ihm im Rahmen des SGB XII obliegenden Aufgaben zur Entscheidung im
eigenen Namen übertragen (§ 1 der Satzung über die Mitwirkung der Städte und Gemeinden
bei der Erfüllung der Aufgaben des Kreises W. als örtlicher Träger der Sozialhilfe vom
10.3.2005). Ausgenommen von der Übertragung sind nur die in § 2 der Satzung aufgeführten
Aufgaben, zu denen die hier streitbefangene Leistung nicht gehört.

-6-



[Abs. 15] Ob die Klägerin einen Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen besitzt, kann nicht ab-
schließend beurteilt werden (dazu später). Zutreffend hat das LSG allerdings entschieden, dass
sich ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die ärztlich verordneten empfängnisverhüten-
den Mittel aus § 49 Satz 2 SGB XII für die Klägerin nicht ergibt, weil sie das 20. Lebensjahr
bereits vollendet hat. Die entsprechende einschränkende Leistungsvoraussetzung folgt aus
§ 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII (idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilfe-
rechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) iVm § 24a Abs 2
SGB V (idF, die die Norm durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992 - BGBl I
2266 - erhalten hat). Ein Anspruch auf empfängnisverhütende Mittel, den Hilfebezieher nach
dem BSHG auf den gegenüber § 24a Abs 2 SGB V weiter gehenden § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG
(eingeführt mit § 5 Nr 5 des Gesetzes über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Strafrechts-
reformgesetz vom 28.8.1975 - BGBl I 2289) bzw (ab dem 1.1.2001) auf § 36 BSHG (idF, die die
Norm durch Art 15 Nr 6 SGB IX vom 19.6.2001 - BGBl I 1046 - erhalten hat) stützen konnten,
besteht seit dem 1.1.2004 nicht mehr. Dies ergibt sich aus der historischen Entwicklung der
maßgeblichen Regelungen unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Ziels.



[Abs. 16] § 49 Satz 2 SGB XII geht zurück auf § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG, der Teilregelung des zum
1.12.1975 (im Zuge der damaligen Reform des § 218 Strafgesetzbuch) in das BSHG unter
Abschnitt 3 "Hilfe in besonderen Lebenslagen" eingefügten Unterabschnitts 5a "Hilfe zur Famili-
enplanung" war (vgl § 5 Nr 5 des Gesetzes über ergänzende Maßnahmen zum Fünften Straf-
rechtsreformgesetz). Während in der GKV lediglich Ansprüche auf ärztliche Beratung über Fra-
gen der Empfängnisregelung einschließlich der erforderlichen Untersuchung und Verordnung
von empfängnisregelnden Mitteln eingeräumt worden waren (vgl § 200e Reichsversicherungs-
ordnung , eingefügt mit § 1 Nr 2 dieses Gesetzes), die Kosten für empfängnisver-
hütende Mittel als solche für gesetzlich Krankenversicherte aber ausdrücklich der Eigenvor-
sorge unterfallen sollten (vgl BT-Drucks 7/376, S 5), ist § 37b BSHG weiter gefasst worden:
Neben den § 200e RVO entsprechenden Maßnahmen für nicht gesetzlich versicherte Sozial-
hilfebezieher (vgl § 37b Satz 2 Nr 1 BSHG) sollte als generelles, primäres Angebot eine Über-
nahme von Kosten für ärztlich verordnete empfängnisverhütende Mittel im Hinblick auf die fi-
nanzielle Lage sozialhilfebedürftiger Frauen geschaffen werden (vgl § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG).
Maßnahmen der Familienplanung sollten nicht daran scheitern, dass von den Hilfesuchenden
die erforderlichen finanziellen Mittel nicht aufgebracht werden könnten (BT-Drucks 7/376, S 7;
im Einzelnen zum gesetzgeberischen Anliegen BVerwGE 96, 65, 66).



[Abs. 17] In der GKV besteht seit Inkrafttreten des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes vom
27.7.1992 (BGBl I 1398) zum 5.8.1992 für Versicherte ein Anspruch auf Versorgung mit emp-
fängnisverhütenden Mitteln zur Familienplanung, soweit sie jünger als 20 Jahre sind und das
Mittel ärztlich verordnet wird (vgl § 24a Abs 2 SGB V). Nach der Gesetzesbegründung ist von
§ 24a Abs 2 SGB V der Kreis der Frauen erfasst, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage, ins-
besondere weil sie sich noch in der Ausbildung befinden, am wenigsten in der Lage sind, die

-7-



Kosten für empfängnisverhütende Mittel selbst aufzubringen. Eine Heraufsetzung dieser Alters-
grenze sei wünschenswert; eine entsprechende Finanzierung müsse aber noch geklärt werden
(vgl BT-Drucks 12/2605, S 20). Danach sind keine Änderungen des § 24a SGB V in der Sache
erfolgt. § 37b Satz 2 Nr 2 BSHG ist demgegenüber nach Einführung von § 24a SGB V inhaltlich
unverändert geblieben, sodass sich für Hilfeempfänger nach dem BSHG (seit dem 1.1.2001 auf
Grundlage der entsprechenden Regelung in § 36 Satz 2 BSHG) ein gegenüber den Leistungen
der GKV weitergehender Anspruch ergab.



[Abs. 18] Diese Begünstigung Hilfebedürftiger nach dem BSHG ist indes zum 1.1.2004 entfallen. Seither
bestimmt § 38 Abs 1 Satz 1 BSHG (idF, die die Norm durch Art 28 Nr 4 Buchst c GMG erhalten
hat) und ihm folgend § 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII (der entsprechend im Gesetzgebungsverfahren
des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch angepasst worden
ist), dass die Vorschriften des 4. Unterabschnitts der Hilfe in besonderen Lebenslagen nach
dem BSHG bzw des Fünften Kapitels des SGB XII dem Leistungsberechtigten einen Anspruch
auf Hilfe bei Krankheit nur entsprechend dem SGB V einräumen. Die zuvor enthaltene Erweite-
rung im 2. Halbsatz ("soweit in diesem Gesetz keine andere Regelung getroffen ist") ist zu die-
sem Zeitpunkt gestrichen worden. Der Senat hat bereits hinsichtlich der Zuzahlungsregelungen
der §§ 61, 62 SGB V entschieden, diese Gesetzesentwicklung lasse nur den Schluss zu, dass
die Übernahme finanzieller Eigenleistungen durch den Sozialhilfeträger auf Grundlage des § 37
BSHG (bis 31.12.2004) bzw § 48 SGB XII (ab 1.1.2005) ausscheide (BSGE 107, 169 ff
RdNr 12 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6). Dies gilt auch hinsichtlich des Leistungsumfangs der
übrigen in §§ 47 bis 51 SGB XII geregelten Hilfen zur Gesundheit. § 24a Abs 2 SGB V trifft mit
dem Ausschluss für Versicherte nach Vollendung des 20. Lebensjahres und der Beschränkung
auf verordnungsfähige und ärztlich verordnete Kontrazeptiva eine solche Regelung zum
Leistungsumfang der GKV (dazu im Einzelnen Schütze in juris PraxisKommentar
SGB V, 2. Aufl 2012, § 24a RdNr 29). Damit scheidet eine Kostenerstattung von empfäng-
nisverhütenden Mitteln nach Vollendung des 20. Lebensjahres auch auf Grundlage des § 49
SGB XII aus (vgl: Söhngen in jurisPK-SGB XII, § 49 SGB XII RdNr 6 und 12; Bieritz-Harder in
Lehr- und Praxis Kommentar SGB XII, 9. Aufl 2012, § 49 SGB XII RdNr 1 und 3; Flint in
Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 49 SGB XII RdNr 7; Schlette in Hauck/Noftz,
SGB XII, K § 49 RdNr 1 und 9, Stand April 2010; Rücker in Linhart/Adolph,
SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 49 SGB XII RdNr 16, Stand Oktober 2010; U. Meyer in Oestreicher,
SGB II/SGB XII, § 49 SGB XII RdNr 9 und 19, Stand Juni 2006).



[Abs. 19] Hiergegen lässt sich nicht einwenden, die Änderung des § 38 Abs 1 Satz 1 BSHG zum
1.1.2004 beziehe sich nur auf die Streichung der Zuzahlungsregelungen in § 38 Abs 2 BSHG,
nicht aber auf die sonstigen Hilfen zur Gesundheit (so aber Böttiger, Sozialrecht aktuell 2008,
203 ff; ähnlich Lippert in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 49
SGB XII, RdNr 20, Stand Januar 2011). Aus der amtlichen Überschrift des § 38 BSHG nach
seiner Änderung wie der des § 52 SGB XII ("Leistungserbringung, Vergütung") folgt nicht, dass



-8-

hier ausschließlich die Leistungserbringung durch Bezugnahme auf das SGB V geregelt würde.
Schon aus § 52 Abs 1 Satz 2 SGB XII zu sog Satzungsregelungen der Krankenkassen lässt
sich erkennen, dass auch Umfang und Inhalt der Leistungen nach §§ 47 bis 51 SGB XII und
damit ebenso § 49 SGB XII erfasst sind. Die eigentliche Normierung der Leistungserbringung
findet sich in § 52 Abs 3 SGB XII.



[Abs. 20] Zwar ist die Änderung in § 38 Abs 1 Satz 1 BSHG mit dem GMG in den Gesetzesmaterialien
lediglich als "Folgeänderung" zur Streichung der Zuzahlungsregelungen in § 38 Abs 2 BSHG
bezeichnet. Mit der Änderung des gesamten Unterabschnitts und insbesondere der Einführung
des § 264 SGB V ("Quasiversicherung") war aber die Gleichstellung der Sozialhilfeempfänger,
die nicht in der GKV versichert sind, mit GKV-Versicherten nicht nur hinsichtlich der Zuzah-
lungsregelungen, sondern umfassend beabsichtigt (BT-Drucks 15/1525, S 77, und
insbesondere zu § 264 SGB V, aaO, S 140 ff). § 49 SGB XII hat damit allerdings - wie uU
weitere Teile der §§ 47 bis 51 SGB XII - schon seit Inkrafttreten des SGB XII für die Versichtern
und "Quasiversicherten" keine praktische Bedeutung mehr. Dass dieser Aspekt in den
Gesetzesmaterialien bei den Änderungen des BSHG keine Erwähnung findet und auch die
Folgeregelungen im SGB XII nicht eingehend erläutert werden (zu § 44 des Entwurfs, der § 49
SGB XII entspricht, vgl BT-Drucks 15/1514, S 62), lässt nicht den Schluss zu, es solle mit § 49
SGB XII weiterhin eine gegenüber dem SGB V günstigere Regelung für sozialhilfebedürftige
Frauen bestehen (H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 49
SGB XII RdNr 8).


[Abs. 21] Sinn und Zweck der Hilfen zur Gesundheit - und dabei auch der Hilfen zur Familienplanung -
steht dieses Ergebnis nicht entgegen. Entsprach noch bei Einführung des § 24a Abs 2 SGB V
eine weitergehende Kostenübernahme für Hilfebedürftige in § 37b BSHG dem gesetzgeberi-
schen Willen, lässt sich dies im Ergebnis der folgenden Gesetzesänderungen nicht mehr erse-
hen. Mit der Streichung des § 38 Abs 2 BSHG aF hat der Gesetzgeber des GMG zugleich be-
stimmt, dass der in der Regelsatzverordnung näher umschriebene Regelsatz auch Leistungen
für Kosten bei Krankheit, bei vorbeugender und bei sonstiger Hilfe umfasst, soweit sie nicht
nach den §§ 36 bis 38 des Gesetzes übernommen werden (Art 29 GMG; dazu bereits BSGE
107, 169 ff, RdNr 15 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6). Dementsprechend sind bei der Sonderauswer-
tung der EVS 2003 die Positionen "Pharmazeutische Erzeugnisse", zu denen verschreibungs-
pflichtige Kontrazeptiva zählen, in vollem Umfang berücksichtigt (BR-Drucks 206/04, S 8). Auch
die Kosten, die nach Auswertung der EVS 2008 auf die Versorgung mit verschreibungspflich-
tigen Arzneimitteln entfallen, werden - zusätzlich zu den Kosten für nicht verschreibungspflich-
tige Arzneimittel (5,07 Euro) - in vollem Umfang, nämlich in Höhe von 3,57 Euro, als regelsatz-
relevant eingestellt (vgl BT-Drucks 17/3404 S 58 und S 140 Zeile 101 bis 105 Code 0611 bis
0612). Insgesamt sind damit seit dem 1.1.2011 rund 15,55 Euro als Kosten für Gesundheit im
Regelsatz enthalten. Neben der mit dem GMG zum Ausdruck gekommenen grundsätzlichen
Angleichung des Leistungsumfangs hinsichtlich der Hilfen zur Gesundheit nach dem

-9-



BSHG/SGB XII an den des SGB V zeigt damit auch die Neubemessung der Regelsätze zum
1.1.2005, dass die Beschaffung solcher verschreibungspflichtiger Medikamente, die nicht von
der GKV übernommen werden, der Eigenverantwortung der Hilfebedürftigen unterfällt und des-
halb die Regelsätze entsprechende Kosten umfassen. Aus den vom Senat dargestellten Grün-
den (vgl BSGE 107, 169 ff RdNr 15 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6) rechtfertigen solche Kosten, die
- wie hier - die Kosten, die üblicherweise von Frauen für Empfängnisverhütung aufgebracht
werden, nicht überschreiten, für sich genommen keine Erhöhung des Regelsatzes (dazu im
Einzelnen später).



[Abs. 22] Mit dieser Auslegung ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin keine gleichheitswidrige
Schlechterstellung gegenüber Frauen, die nach dem AsylbLG leistungsberechtigt sind. Soweit
sich der Leistungsumfang Leistungsberechtigter nach dem AsylbLG nicht ohnehin nach dem
SGB XII richtet (vgl § 2 Abs 2 AsylbLG), ist das System des AsylbLG, das durch ein Sachleis-
tungssystem gekennzeichnet ist (vgl § 3 Abs 1 Satz 1 AsylbLG), nicht mit dem des SGB XII
vergleichbar. Das Leistungssystem beruht gerade nicht auf der Bemessung nach Regelsätzen,
in die die Kosten für empfängnisverhütende Mittel eingeflossen sind.



[Abs. 23] Ein Anspruch nach § 73 SGB XII scheidet ebenfalls aus. Hiervon werden nur atypische ("be-
sondere" bzw "sonstige") Lebenslagen erfasst, für die nicht bereits andere Vorschriften des
SGB XII einschlägig sind (BSGE 107, 169 ff RdNr 13 mwN = SozR 4-3500 § 28 Nr 6). Da So-
zialhilfeempfänger - wie dargelegt - ab 1.1.2004 Kosten für empfängnisverhütende Mittel aus
den allgemeinen Regelsätzen zu bestreiten haben, sofern sie das 20. Lebensjahr vollendet
haben, bleibt für eine Anwendung des § 73 SGB XII kein Raum.



[Abs. 24] Auch ein Leistungsanspruch der Klägerin aus §§ 53, 54 Abs 1 SGB XII (in den Normfassungen
des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB XII) iVm 55 Abs 1 und 2 SGB IX
scheidet aus. Nach § 55 Abs 1 SGB IX, auf den § 54 Abs 1 SGB XII verweist, werden Leistun-
gen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht, die dem behinderten Menschen die
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich
unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 nicht erbracht werden. Als sol-
che Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (soziale Rehabilitation) kommt die
Kostenübernahme nicht in Betracht; denn nach den Feststellungen des LSG ist bereits nicht
erkennbar, dass über den allgemeinen Wunsch nach Empfängnisverhütung vor dem Hinter-
grund der klägerischen Lebensumstände hinaus durch eine Empfängnisverhütung spezifische
behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen wären, um der Klägerin eine Teilhabe am ge-
sellschaftlichen Leben zu ermöglichen.



[Abs. 25] Das LSG wird nach Zurückverweisung des Rechtsstreits allerdings einen Anspruch auf höhere
Leistungen der Grundsicherung zu überprüfen haben. Gemäß § 19 Abs 2 SGB XII (idF, die die
Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom

- 10 -



27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat) iVm § 41 Abs 1 und 3 SGB XII (in der Normfassung
des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur
Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007
- BGBl I 554) erhalten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die das 18. Lebensjahr
vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS von
§ 43 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sind
und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann,
auf Antrag Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Die Anspruchs-
voraussetzungen für solche Leistungen dürften dem Grunde nach zwar gegeben sein - genaue
Feststellungen (auch zu § 21 SGB XII) fehlen. Ob die Klägerin einen Anspruch auf höhere
Grundsicherungsleistungen hat, kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des
LSG ohnedies nicht entschieden werden. Zu überprüfen ist, ob sich ein höherer Anspruch auf
der Grundlage einer unabweisbaren, erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweichenden
Bedarfslage ergibt (§ 28 Abs 1 Satz 2 iVm § 42 Satz 1 Nr 1 SGB XII; zur Anwendung des § 28
Abs 1 Satz 2 SGB XII im Rahmen der Grundsicherung vgl nur Blüggel in jurisPK-SGB XII, § 42
SGB XII RdNr 15 mwN zur Rechtsprechung; vgl auch die Klarstellung des § 42 Satz 1 Nr 1
SGB XII idF des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom
20.12.2012 - BGBl I 2783 - und BT-Drucks 17/10748, S 14 zu Nr 2). Dazu ist bislang weder er-
mittelt noch vorgetragen, weil die Beteiligten einen Anspruch lediglich unter anderen Aspekten
diskutiert haben. Zwar sind die Kosten für Kontrazeptiva - wie oben dargestellt - in die Bemes-
sung des Regelsatzes eingeflossen; es ist aber denkbar, dass durch individuell höhere Aus-
gaben im Bereich der Kosten für Gesundheit im Einzelfall eine erheblich abweichende, unab-
weisbare Bedarfslage in den Monaten März und Juni 2007 entstanden ist. Allein die Versorgung
mit Kontrazeptiva führte hierzu nicht, schon weil keine Abweichung vom Regelfall vorliegt.

[Abs. 26] Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Entscheidung bei Sozialgerichtsbarkeit.de

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BSG, B 8 SO 21/12 BH vom 14.01.2013, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss
in dem Rechtsstreit

Az: B 8 SO 21/12 BH
L 20 SO 44/11 (LSG Nordrhein-Westfalen)
S 5 SO 464/09 (SG Dortmund)

1. .................................,
2. .................................,

Kläger und Antragsteller,

g e g e n

Hochsauerlandkreis,
Am Rothaarsteig 1, 59929 Brilon,
Beklagter.

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 14. Januar 2013 durch
den Vorsitzenden Richter E. sowie die Richterinnen K.
und S.
beschlossen:

Die Anträge der Kläger, ihnen für die Durchführung des Verfahrens der Beschwerde
gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-
Westfalen vom 20. August 2012 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechts-
anwalt beizuordnen, werden abgelehnt.

- 2 -

G r ü n d e :

I

[1] Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
(Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe -
(SGB XII) von Oktober 2007 bis September 2010.

[2] Die 1936 bzw 1941 geborenen Kläger beziehen ergänzend zu ihrer jeweiligen Altersrente seit
Januar 2005 Grundsicherungsleistungen. Im April bzw Mai 2007 wandten sie sich an den
Beklagten und machten die Übernahme der Kosten für diverse Einzelpositionen wie auch die
Festsetzung eines höheren Regelsatzes in Höhe von 570 Euro monatlich pro Person geltend.
Die Klage ist erst- und zweitinstanzlich ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Dort-
mund vom 8.12.2010; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom
20.8.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klagen auf
Bewilligung einmaliger Leistungen in Höhe von 1450 Euro, einer Zahlung für zwei Hörgeräte in
Höhe von 2600 Euro sowie eines höheren Mietzuschusses seien bereits unzulässig. Teilweise
fehle es insoweit bereits an einer gerichtlich überprüfbaren Verwaltungsentscheidung der
Beklagten; im Übrigen handle es sich um eine unzulässige Klageerweiterung im Rahmen des
Berufungsverfahrens. Soweit die Kläger höhere Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung, eine einmalige Beihilfe für zwei Fahrräder sowie die Übernahme der auf
dem Girokonto entstandenen Sollzinsen begehren, sei die Berufung unbegründet. Der Beklagte
habe die den Klägern zustehenden Leistungen zutreffend berechnet. Höhere
Grundsicherungsleistungen stünden unter keinem (verfassungs-)rechtlichen Gesichtspunkt zu;
für die geltend gemachten Einzelbedarfe seien die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt.

[3] Zur Durchführung des beabsichtigten Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des LSG haben die Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH)
beantragt.

II

[4] Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die
beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz iVm § 114 Zivilprozessordnung ); daran fehlt es hier.
Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG
abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmäch-
tigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe
können zur Zulassung der Revision führen. Ein solcher Zulassungsgrund ist nicht ersichtlich.

- 3 -

[5] Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG); denn sie
wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit
oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17). Insbesondere soweit die Kläger geltend machen, der
Regelsatz sei zu gering, um auch im Alter menschenwürdig zu leben, liegt schon infolge der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010 (BVerfGE 125, 175 ff) keine
Klärungsbedürftigkeit vor. Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2
SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen nicht. Die Kläger können sich
schließlich auch nicht auf einen Verfahrensmangel berufen, auf dem die angefochtene
Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG). Entgegen der Ansicht der
Kläger ist der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Eine des Weiteren behauptete
fehlerhafte Beweiswürdigung durch das LSG (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) kann nach der
ausdrücklichen Regelung des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht Gegenstand einer
Nichtzulassungsbeschwerde sein. Auch mit der Behauptung, Teile des Vortrags seien nicht,
nicht zutreffend oder nur unzureichend gewürdigt worden, wenden sich die Kläger im Ergebnis
lediglich gegen die Beweiswürdigung wie auch die rechtliche Würdigung bestimmter
Sachverhalte durch das LSG. Zudem ist das Gericht nicht verpflichtet, sich mit jedem
Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Insbesondere ist
es nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe
des Verfahrens zur Sprache gebracht worden sind (BVerfGE 96, 205, 217). Deshalb kann
regelmäßig ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 Grundgesetz)
nicht angenommen werden, wenn das Gericht Ausführungen eines Beteiligten unerwähnt lässt,
die nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich oder offensichtlich haltlos sind (BVerfGE 70,
288, 293 f). Dies ist nur anders, wenn das Gericht Kernvortrag der Kläger außer Acht gelassen
hätte, den es auch ausgehend von seiner Rechtsansicht hätte beachten müssen. Dafür liegen
jedoch nach Aktenlage keine Anhaltspunkte vor.

[6] Mit der Ablehnung der PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen
der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

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BSG, B 4 RA 131/98 B vom 27.01.1999, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Az: B 4 RA 131/98 B

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte,

Ruhrstraße 2, 10709 Berlin,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 27. Januar 1999 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. M., die Richter Dr. B. und
Dr. S. sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. S. und
T.

beschlossen:



Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil

des Landessozialgerichts für das Saarland vom 17. Juli 1998 wird zurückge-

wiesen.



Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.



- 2 -



Gründe:



I



Der Kläger, der den Beruf des Einzelhandelskaufmanns erlernt hat und vor Ausübung ei-

ner selbständigen Erwerbstätigkeit zuletzt bis zum Jahre 1988 als Geschäftsführer ab-

hängig beschäftigt war, begehrt im Rahmen des Hauptsacheverfahrens die Gewährung

einer Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit. Das Landessozialgericht (LSG) hat das

in vollem Umfang zusprechende erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abge-

wiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen folgendes ausgeführt: Das Bundessozi-

algericht (BSG) habe zur Bestimmung der Wertigkeit des bisherigen Berufs für

Angestellte die folgenden Gruppen gebildet:

-unausgebildete Angestellte (Ungelernte)

-Angestellte mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Angelernte)

-Angestellte mit längerer Ausbildung, regelmäßig von drei Jahren (Ausge-

bildete) und

-Angestellte mit hoher beruflicher Qualität.

Ausgehend von diesen Kriterien sei der Kläger der Gruppe der Angestellten mit längerer

Ausbildung zuzuordnen und könne daher unter Berücksichtigung der festgestellten Lei-

stungseinschränkungen zumutbar noch auf Tätigkeiten der Anlernebene (hier: Angestell-

ter in der Registratur und im Archiv) verwiesen werden.



Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit der

vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde und beruft sich zur Begründung seines Rechts-

mittels insbesondere auf eine Abweichung des Berufungsurteils von der Rechtsprechung

des BSG. Das LSG habe das von diesem im Bereich der Angestelltenversicherung zu-

grunde gelegte Sechs-Stufen-Schema undifferenziert zusammengefaßt und nur lücken-

haft angewandt. Dadurch sei es zu einer für den Kläger ungünstigen Bewertung seines

bisherigen Berufs und einer unzutreffenden bzw unzumutbaren Verweisung auf eine

Tätigkeit im Anlernbereich gekommen.



II



Die auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz

) gestützte Beschwerde des Klägers ist zulässig, aber unbegründet (vgl zur Unter-

scheidung in Fällen der vorliegenden Art Bundesverfassungsgericht vom

1. Oktober 1997, 1 BvR 454/95, LKV 1998, 141 f = ZBR 1998, 168 ff). Das Berufungsge-

richt hat zwar die vom Senat in Konkretisierung des einschlägigen Gesetzesrechts formu-



- 3 -



lierten Obersätze im Einzelfall unzutreffend angewandt, seiner Entscheidung aber keinen

eigenen - von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abweichenden - abstrakten

Rechtssatz zugrunde gelegt und den Aussagen des BSG entgegengehalten.



Weder Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) noch das allgemeine Rechtsstaatsprinzip - und

ebensowenig das Sozialstaatsprinzip - gewährleisten einen Instanzenzug (BVerfG, Be-

schluß vom 19. Februar 1992, 1 BvR 1935/91 in SozR 3-1500 § 160 Nr 6 mH auf

BVerfGE 4, 74, 94 f; 8, 174, 181 f; 11, 232, 233; ebenso BVerfGE 28, 21, 36). Insbeson-

dere ist es demgemäß auch nicht geboten, stets das Rechtsmittel der Revision zu eröff-

nen (BVerfGE 19, 323). Kann aber das Gesetz den Zugang zur Revisionsinstanz voll-

ständig versperren, kann es die Zulassung des Rechtsmittels im Rahmen der normativen

Ausgestaltung durch die jeweilige Prozeßordnung, deren Art 19 Abs 4 GG ohnehin stets

bedarf (BVerfGE 60, 253, 268, 269), grundsätzlich auch von formalen und inhaltlichen

Voraussetzungen abhängig machen. Das Institut der Revision ist daher eine nach ge-

setzgeberischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen geformteprozessuale Einrichtung

(BVerfGE 49, 148, 160), bei deren Gestaltung ein Verlust an Chancen zur Realisierung

materieller Gerechtigkeit im Einzelfall grundsätzlich in Kauf genommen werden kann

(BVerfGE 60, 253, 268). Eine äußerste Grenze der Auslegung einschlägiger gesetzlicher

Vorschriften besteht von Verfassungs wegen lediglich insofern, als einfachgesetzlich er-

öffnete Möglichkeiten, ein Rechtsmittel einzulegen bzw seine Zulassung zu erstreiten,

nicht in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise be-

schränkt werden dürfen (vgl BVerfGE 10, 264, 268, ständige Rechtsprechung; zuletzt

etwa BVerfG in NVwZ 1994, Beilage 4, 27 = BayVBl 1994, 530; speziell zur Nichtzulas-

sungsbeschwerde im SGG-Verfahren BVerfG in SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10).

Das BSG fungiert als eines der fünf obersten Bundesgerichte (Art 96 Abs 1 GG) grund-

sätzlich als höchstes Rechtsmittelgericht innerhalb seines Gerichtszweiges (vgl BVerfGE

8, 174, 177; BT-Drucks V/1449, S 3, 4 und Leibholz/Rinck/Hesselberger, Kommentar zum

Grundgesetz, Art 95 GG RdNr 11; Bettermann, JZ 1958, 235 ff mwN). Seine Aufgabe be-

steht demgemäß neben der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen gerichtlichen Ver-

fahrens im wesentlichen in der Einheit und Fortbildung des materiellen Bundes- bzw des

in § 162 SGG ausdrücklich aufgeführten Landesrechts (vgl BVerfGE 10, 285, 295;

BT-Drucks 7/861, S 10; BT-Drucks 7/2024, S 3). Nur innerhalb dieses öffentlichen Anlie-

gens und der vornehmlich hieran orientierten Ausgestaltung der Revision kann das Indivi-

dualinteresse an der Beseitigung und Ersetzung unrichtiger Instanzentscheidungen zum

Zuge kommen: Es dient als unverzichtbar notwendiges Vehikel der Klärung des abstrak-

ten Rechts und hat nur insofern und insoweit, als hieran ein unabweisbarer Bedarf be-

steht, Anspruch auf die hieraus für den konkreten Sachverhalt zu erteilende Antwort.

Dem entspricht äußerlich die doppelte Notwendigkeit von (ggf im Wege der Beschwerde

erkämpfter) Zulassungsentscheidung und Einlegung der Revision, inhaltlich ihre Abhän-



- 4 -



gigkeit vom tatsächlichen Vorliegen der im Gesetz enumerativ aufgeführten Zulassungs-

gründe. Die Beschwerde nach § 160a SGG gegen die vom Berufungsgericht verweigerte

Zulassung der Revision dient in diesem Zusammenhang allein der Herbeiführung der

Statthaftigkeit des Rechtsmittels in der Hauptsache durch Klärung und Feststellung eines

im öffentlichen Interesse liegenden Entscheidungsbedarfs im Zusammenhang eines

sachlich allenfalls nach Zulassung und zulässiger Einlegung der Revision zu beurteilen-

den Tatbestandes. Sie hat damit weder eine originäre Sachentscheidung noch eine auf

die Sachentscheidung der Vorinstanz bezogene Rechtsmittelentscheidung zum Ziel, son-

dern betrifft ausschließlich die hiervon gänzlich unabhängig zu beantwortende Frage, ob

das Berufungsgericht zutreffend die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision ver-

neint hat (BVerwGE 34, 40, 41 f). Der Beschwerdeführer wird unter diesen Umständen

auf dem "schmalen Weg zum Revisionsgericht" (vgl Baring, Die Nichtzulassungsbe-

schwerde im Verwaltungsgerichtsverfahren, NJW 1965, 2280) gezwungenermaßen in die

Rolle eines Anwalts öffentlicher Belange gedrängt.



Die genannten Gegebenheiten eröffnen den Kontext, in dem die hier allein in Frage ste-

henden Nrn 1 und 2 des § 160 Abs 2 SGG sowie die hierzu bzw zu § 160a SGG ergan-

gene Rechtsprechung zu sehen sind. Eine "grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache"

liegt demgemäß im besonderen Zusammenhang der Eröffnung des Zugangs zur Revi-

sionsinstanz (vgl BSGE 2, 45, 47 f; BVerwGE 70, 24, 25) nur dann vor, wenn sie dazu

zwingt, im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung eine

Rechtsfrage zum revisiblen Recht zu klären. Die Rechtsfrage muß hierzu einerseits zu

einer aufgrund ihrer Bedeutung für die Sicherung oder Erhaltung der Rechtseinheit bzw

die Fortbildung des Rechts über den Einzelfall hinausgehenden Entscheidung führen

(BSG in SozR 1500 § 160a Nrn 7 und 31), darf aber andererseits nicht nur abstrakt von

Interesse sein (vgl BFH vom 28. April 1972, III B 40/71, BFHE 105, 335), sondern muß

gerade im konkreten Fall tragend entscheidungserheblich und klärungsfähig sein. Auf-

grund dieser Vorbedingungen ist gleichzeitig für das Revisionsverfahren sichergestellt,

daß die oberstgerichtliche Rechtsprechung ihrer Funktion entsprechend über die streitige

Entscheidung des jeweils zur Entscheidung stehenden Einzelfalles hinaus stets auch ih-

rerseits verallgemeinerungsfähige Aussagen zum Inhalt der von ihr nach § 162 SGG an-

zuwendenden Rechtssätze trifft.



Ist ein Rechtsproblem auf diese Weise beantwortet, verbleibt dem Revisionsgericht abge-

sehen von den Ausnahmefällen des Auftretens erneuter Klärungsbedürftigkeit und sich

hieraus ggf abermals ergebender grundsätzlicher Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1

SGG (vgl etwa BSG in SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 13 und BFHE 97, 281 ff,

284 mwN) im wesentlichen nur die Sicherung der Rechtseinheit. Weder der allein auf die

Bewahrung einer Übereinstimmung auf abstrakt-genereller Ebene beschränkte Aufga-

benbereich des BSG noch der funktionelle Anwendungsbereich der Nichtzulassungsbe-

schwerde, deren Gegenstand wie dargestellt gerade nicht die Kontrolle sachlicher



- 5 -



Rechtsfehler ist, sind indessen bereits dann eröffnet, wenn Instanzgerichte im Einzelfall

eine Entscheidung treffen, die mit den Vorgaben der oberstgerichtlichen Rechtsprechung

nicht übereinstimmt (vgl BSG in SozR 1500 § 160a Nr 7; BVerwG in Buchholz 310 § 108

VwGO Nr 266; BFHE 129, 313). Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall,

sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Re-

vision wegen Abweichung (BSG in SozR 1500 § 160a Nr 67). Vielmehr weicht das LSG

nur dann iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG als spezialgesetzlich geregeltem Unterfall der Zu-

lassung wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl BVerwG in Buchholz 310 § 132 Abs 2

Ziff 2 VwGO Nr 2) von einer Entscheidung ua des BSG ab, wenn es auch seinerseits zu-

mindest sinngemäß und in scheinbar fallbezogene Ausführungen gekleidet (BSG in SozR

1500 § 160 Nr 28; BAG AP Nr 9 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz) einen abstrakten

Rechtssatz aufstellt, der der zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehend aktu-

ellen - nicht also etwa von der zwischenzeitlichen Gesetzes- oder Rechtsprechungsent-

wicklung überholten (BSG in SozR 1500 § 160a Nrn 58, 61) - abstrakten Aussage des

BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt (BSG in SozR 1500

§ 160a Nr 67; BAG in AP § 72a ArbGG 1979 Nrn 1, 2, 10). Hieran fehlt es im vorliegen-

den Fall.



Der Kläger hat zwar den im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung zu stellenden Anforderun-

gen (vgl BAG AP § 72a ArbGG 1979 Nr 9) genügend in ausreichendem Umfang darge-

legt, daß den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils aus seiner Sicht zwingend ein

divergierender abstrakter Rechtssatz zu entnehmen sei. Indessen ergibt eine sachliche

Überprüfung dieser Behauptung, daß das LSG die "Rechtsprechung des Bundessozialge-

richts", lediglich im dort entschiedenen Einzelfall unzutreffend angewandt hat.



Zur Gewährleistung einer zuverlässigen Abgrenzung von den Fällen einer fehlerhaften

Rechtsanwendung erfordert die Anwendung von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG stets unverzicht-

bar, daß das LSG selbst zweifelsfrei in den Gründen seiner Entscheidung wenigstens

mittelbar und (im Ergebnis) eindeutig einen Rechtssatz aufstellen wollte (BVerfG in NJW

1996, S 45 mwN; BAG AP § 72a ArbGG 1979 Divergenz Nr 15). Hieran fehlt es evident

bereits immer dann, wenn das LSG eine Rechtsfrage übersehen (BVerwG in Buchholz

310 § 132 VwGO Nr 147) oder Tatsachen anders beurteilt hat, als dies in der angezoge-

nen Entscheidung geschehen ist (BVerwG in Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 128; BFHE

129, 313). Die genannte Voraussetzung kann aber auch nicht bereits dann angenommen

werden, wenn sich ein abstrakter Obersatz erst nachträglich aus der Sicht eines kundigen

Lesers logisch induktiv aus der Urteilsbegründung ableiten läßt (vgl BAG AP § 72a ArbGG

1979 Nrn 11, 13); andernfalls läge bei falscher Rechtsanwendung und Vorliegen einer

einschlägigen Entscheidung des BSG oder des BVerfG stets eine Divergenz vor. Eine mit

Hilfe der Revisionszulassung zu beseitigende Gefährdung der Rechtseinheit ist vielmehr

nur und erst dann zu befürchten, wenn die Ausführungen des Berufungsurteils unzwei-

felhaft die Deduktion des gefundenen Ergebnisses aus einem sich aus der Entscheidung



- 6 -



selbst wenigstens schlüssig ergebenden Rechtssatz, den das LSG als solchen auch

tatsächlich vertreten wollte (BVerfG und BAG aaO), erkennen lassen. Dies ist insbe-

sondere nicht der Fall, wenn sich das angefochtene Urteil - wie hier - auf den Boden "der

Rechtsprechung des Bundessozialgerichts" stellt und damit (nach dem Sachzusammen-

hang eindeutig) die Rechtssätze benennt, auf die es sich stützen will, dann aber unmittel-

bar anschließend dessen Aussagen zum - auf sechs Hauptstufen begrenzten - sog Mehr-

stufenschema (vgl Urteil des Senats in SozR 3-2600 § 43 Nr 13, 14) nur bruchstückhaft

wiedergibt.



Mißversteht das Berufungsgericht in dieser Weise einen Rechtssatz, dem es erkennbar

zu folgen gewillt war, und subsumiert es dementsprechend den von ihm festgestellten

Sachverhalt fehlerhaft (oder geht es zwar von einem zutreffenden Verständnis des Ober-

satzes aus, ordnet aber dennoch den von ihm festgestellten Sachverhalt unrichtig zu),

handelt es zwar im Einzelfall fehlerhaft, gefährdet aber - worauf es im vorliegenden Zu-

sammenhang allein ankommt - nicht die Rechtseinheit.



Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

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BSG, B 4 AS 69/10 S vom 20.07.2010, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss
in dem Rechtsstreit

Az: B 4 AS 69/10 S

L 7 AS 404/10 B ER (Bayerisches LSG)
S 10 AS 254/10 ER (SG Landshut)


1.
2.
3.
Antragsteller und Beschwerdeführer,



gegen



Arbeitsgemeinschaft für Grundsicherung für Arbeitsuchende Region Passau-Land,
Spitalhofstraße 37a, 94032 Passau,
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin.



Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 20. Juli 2010 durch die
Richterin S. K. als Vorsitzende sowie die Richterinnen

B. und H.
beschlossen:


Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 25. Juni 2010 - L 7 AS 404/10 B ER - wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.


- 2 -

Gründe:


[Abs. 1]
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die vorläufige Ge-
währung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Antrag-
stellerin zu 1 hat mit einem von ihr verfassten Schreiben vom 6.7.2010 gegen den
vorgenannten Beschluss ausdrücklich Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Mit dieser
Entscheidung hat das Bayerische LSG die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss
des SG Landshut vom 21.5.2010 - S 10 AS 254/10 ER - zurückgewiesen.



[Abs. 2]
Die Beschwerde der Antragsteller ist unzulässig. Der Beschluss des LSG vom 25.6.2010 ist,
worauf das LSG in der Entscheidung zutreffend hingewiesen hat, gemäß § 177 SGG nicht mit
der Beschwerde an das BSG anfechtbar.



[Abs. 3]
Die Verwerfung des Rechtsmittels der Antragsteller erfolgt ohne Beteiligung der ehrenamtlichen
Richter in entsprechender Anwendung des § 169 SGG.



[Abs. 4]
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

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BSG, B 4 AS 59/12 B vom 10.05.2012, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss
in dem Rechtsstreit

Az: B 4 AS 59/12 B
L 6 AS 299/11 (LSG Nordrhein-Westfalen)
S 23 (30) AS 403/08 (SG Dortmund)

Klägerin und Beschwerdeführerin,

gegen

Jobcenter Olpe,
Franziskanerstraße 6, 57462 Olpe,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 10. Mai 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. V. sowie die Richterinnen
S. K. und B.


beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Januar 2012 - L 6 AS 299/11 -
wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:


[Abs 1] Unter den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Grundsicherungsleistungen nach dem
SGB II für die Zeit von Januar 2007 bis August 2008 streitig. Das SG Dortmund hat die Klage
mit Urteil vom 13.12.2010 abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das
LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 19.1.2012 zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem vorbezeichneten, ihr am 3.3.2012 zugestellten, Urteil hat die Klägerin mit
einem von ihr selbst verfassten Schreiben vom 2.4.2012 ausdrücklich Beschwerde eingelegt.

[Abs 2] Die Beschwerde ist nach § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne
Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der
am 3.4.2012 abgelaufenen einmonatigen Frist durch einen Prozessbevollmächtigten eingelegt
worden ist (§ 160a Abs 1, § 64 Abs 2 S 1 SGG). Sie entspricht damit auch nicht der
gesetzlichen Form, weil sie nicht wirksam durch einen vor dem BSG zugelassenen
Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist (§ 73 Abs 4 SGG). Hierauf ist die Klägerin in der
Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils hingewiesen worden.

[Abs 3] Eine von der Klägerin ebenfalls beabsichtigte Revision ist nicht statthaft, da das LSG die Revi-
sion in seinem Urteil ausdrücklich nicht zugelassen hat und ein die Revision zulassender Be-
schluss des BSG (§ 160a Abs 4 S 2 SGG) nicht vorliegt.

[Abs 4] Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

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BSG, B 2 U 396/02 B vom 14.02.2003, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 2 U 396/02 B

Kläger und Beschwerdegegner,

Prozessbevollmächtigte:

gegen

Unfallkasse Sachsen-Anhalt,
Käsperstraße 31, 39261 Zerbst,

Beklagte und Beschwerdeführerin.

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat am 14. Februar 2003 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. B. sowie die Richter K.
und B.

beschlossen:

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. September 2002 wird als unzulässig
verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren
zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil des Landessozialge-
richts (LSG) gerichtete, auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und
des Verfahrensmangels gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Be-
gründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialge-
richtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bun-
dessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, dass der Zulassungsgrund schlüs-
sig dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34, 47 und 58; vgl hierzu auch
Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl, 2002, IX,
RdNr 177 und 179 mwN). Daran mangelt es hier.

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche
Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muss nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG
diese grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgezeigt werden. Hierzu ist zunächst
darzulegen, welcher konkreten abstrakten Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beige-
messen wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). Denn die Zulassung der Revision erfolgt
zur Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen und nicht zur weiteren Entscheidung des
Rechtsstreits. Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren
Voraussetzungen für die begehrte Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prü-
fen zu können (Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 181). Dazu ist erforderlich, dass ausge-
führt wird, ob die Klärung dieser Rechtsfrage grundsätzliche, über den Einzelfall hinaus-
gehende Bedeutung hat. Insbesondere hat der Beschwerdeführer darzulegen, dass die
Rechtsfrage klärungsbedürftig, also zweifelhaft, und klärungsfähig, mithin rechtserheblich
ist, so dass hierzu eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu erwarten ist (BSG SozR
3-1500 § 160 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Zur Klärungsfähigkeit gehört auch,
dass die Rechtsfrage in einem nach erfolgter Zulassung durchgeführten Revisionsverfah-
ren entscheidungserheblich ist (BSG Beschluss vom 11. September 1998 - B 2 U
188/98 B -).

Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich
beantwortet ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65)
oder wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen ist (BSG SozR 1300 § 13
Nr 1), wenn sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17), wenn sie prak-
tisch außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4) oder wenn sich für die Antwort in
anderen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (BSG SozR 3-
1500 § 146 Nr 2 und § 160 Nr 8; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990,
RdNr 117; Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 66). Die Klärungsbedürftigkeit ist schließlich
nicht gegeben, wenn die Rechtsfrage nicht mehr geltendes Recht betrifft und nicht er-
kennbar wird, dass noch eine erhebliche - genau zu bezeichnende - Anzahl von Fällen

- 3 -

nach diesen Vorschriften zu entscheiden sind (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 19; Be-
schlüsse des Senats vom 15. September 1986 - 2 BU 104/86 -, vom 23. August 1996
- 2 BU 149/96 -, vom 26. Oktober 1998 - B 2 U 252/98 B - nachfolgend Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 2000 - 1 BvR 2198/98 - sowie vom 29. April
1999 - B 2 U 178/98 B - HVBG-Info 1999, 2943; Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 187)
oder dass die Rechtsfrage für das neue Recht weiterhin von Bedeutung ist (BSG SozR
1500 § 160a Nr 58; Beschlüsse des BSG vom 26. November 1996 - 3 BK 4/96 -,
31. März 1999 - B 7 AL 170/98 B - und 6. Mai 1999 - B 11 AL 209/98 B -).

Die Beklagte hält die Frage für eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage, "ob Strafge-
fangene während des Arbeitseinsatzes zu DDR-Zeiten zum Kreis der in der Sozialver-
sicherung der ehemaligen DDR versicherten Personen gehörten und Unfälle beim Ar-
beitseinsatz entsprechend Arbeitsunfälle nach DDR-Recht waren, oder ob sich unabhän-
gig von dieser Frage bereits aus §§ 6 Abs 2, 3 und 38 StVG ergibt, dass Unfälle von
Strafgefangenen während des Arbeitseinsatzes zu DDR-Zeiten als Arbeitsunfälle nach
den Vorschriften der ehemaligen DDR zu werten waren, mit der Folge, dass im Rahmen
des doppelten Prüfrechts entsprechende Unfälle auch nach dem Recht des Dritten
Buches der RVO zu entschädigen sind". Diese Frage habe über den Einzelfall hinausge-
hende Bedeutung, da allein bei ihr - der Beklagten - noch zahlreiche Parallelfälle anhän-
gig seien. Die aufgezeigte Frage sei klärungsbedürftig, weil das BSG zu diesem
Problemkreis bisher noch nicht Stellung genommen habe. Ihre Beantwortung ergebe sich
auch nicht zweifelsfrei aus dem Gesetz selbst. Sie sei schließlich in einem anschließen-
den Revisionsverfahren auch klärungsfähig und entscheidungserheblich.

Die Beschwerdebegründung der Beklagten entspricht nicht den dargestellten besonderen
Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechts-
frage. Entgegen der bloßen Behauptung der Beklagten steht die Beantwortung der
Rechtsfrage praktisch außer Zweifel, weil sie sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Der
Unfall des Klägers vom 27. Dezember 1985 während eines Arbeitseinsatzes im Rahmen
seiner Strafhaft war Arbeitsunfall der Sozialversicherung der DDR. Durch das Strafvoll-
zugsgesetz der DDR (StVG) vom 7. April 1977 (GBl I Nr 11 S 109) wurde ein Unfallver-
sicherungsschutz während der Haft eingeführt. Dies ergibt sich eindeutig aus den vom
LSG angezogenen Vorschriften der §§ 6 und 38 StVG (vgl Beschluss des Thüringer LSG
vom 25. Februar 2002 - L 1 U 92/01 - HVBG-Info 2002, 2053). Die unter Hinweis auf die
Rechtsauffassungen der für die Strafgefangenen zuständigen Unfallversicherungsträger
in den Ländern Sachsen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern durch die Beklagte ver-
tretene gegenteilige Auffassung erschließt sich dem Senat weder aus den Ausführungen
in ihrer Beschwerdebegründung noch aus ihren Schriftsätzen im Berufungsverfahren.

- 4 -

Soweit die Beklagte als Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend macht,
das LSG hätte ihrem Vertagungsantrag entsprechen müssen und nicht entscheiden dür-
fen, hat sie diesen Verfahrensfehler nicht schlüssig dargelegt. Ihrem weiteren Vorbringen
ist zu entnehmen, dass einer ihrer Mitarbeiter auf telefonische Anfrage des LSG der Ent-
scheidung nach einer Verhandlung ohne Beteiligung der Beklagten zugestimmt habe und
hilfsweise den Antrag gestellt habe, die Revision zuzulassen. Zwar macht die Beklagte
weiter geltend, der betreffende Mitarbeiter sei mit dem Prozessstoff überhaupt nicht ver-
traut gewesen. Sie hat indes weiter weder vorgetragen, dass dieser Mitarbeiter zur Ab-
gabe der zitierten Erklärung nicht befugt gewesen sei, noch dass dem entscheidenden
Senat des LSG dieser Umstand bekannt gewesen sei.

Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2
iVm § 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 1 KR 63/11 B vom 21.09.2011, Bundessozialgericht
Seite 1

1 BUNDESSOZIALGERICHT
2 Beschluss

3 in dem Rechtsstreit

4 Az.: B 1 KR 63/11 B
5 L 5 KR 347/10 (Bayerisches LSG)
6 S 2 KR 346/09 (SG Regensburg)

7
8 ...
9 Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer

10 Prozessbevollmächtigte
11 …

12 gegen

13 ...-Krankenkasse
14 ...

15 Beklagte und Beschwerdegegnerin

16 Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21. September 2011 durch
17 den Präsidenten M... sowie die Richterin Dr. R... und den
18 Richter Dr. E...
19 beschlossen:

20 Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der
21 Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 2011 Prozesskosten-
22 hilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin ... , zu gewähren, wird
23 abgelehnt.

Seite 2

1 Gründe:

I.
2 [Abs. 1] Der bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren, Kostenerstat-
3 tung für die (wiederholte) Entfernung harter und weicher Zahnbeläge im Jahr 2008 zu erhalten
4 und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, medizinisch ausreichende Leistungen zur
5 Zahnbelagentfernung zu erbringen, in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG. hat ua
6 ausgeführt, der Sachleistungsanspruch sei nach Nr 107 Bema-Z auf die einmalige Entfernung
7 harter Zahnbeläge pro Kalenderjahr begrenzt (Urteil vom 28.6.2011).

8 [Abs. 2] Der Kläger begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seiner
9 Rechtsanwältin für seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II.

10 [Abs. 3] Der Antrag des Klägers ist abzulehnen, da er keinen Anspruch auf PKH unter Beiordnung eines
11 Rechtsanwaltes hat. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm 5 114, 5 121 ZPO kann einem bedürfti-
12 gen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein
13 Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn — ua - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
14 Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

15 [Abs. 4] Der Kläger kann aller Voraussicht nach mit seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht
16 durchdringen. Nach Durchsicht der Akten fehlen - auch unter Würdigung des Vorbringens des
17 Klägers - Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 Nr1 bis 3 SGG abschließend
18 aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.

19 [Abs. 5] 1. Die Sache bietet weder Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende
20 grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch ist ersichtlich, dass das LSG entscheidungs-
21 tragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein
22 könnte (Zulassungsgründe des § 160 Abs 2 Nr 1 und Nr2 SGG). Insbesondere zu der sich hier
23 stellenden Rechtsfrage nach dem Umfang einer Zahnreinigung als Leistung der GKV hat der
24 erkennende Senat grundlegend am 21.6.2011 entschieden: Nach den Richtlinien für eine aus-
25 reichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (idF vom
26 4.6./24.9.2003, BAnz Nr 226 vom 3.12.2003 S 24966, zuletzt geändert durch Beschluss vom
27 1.3.2006; BAnz Nr 111 vom 17.6.2006 S 4466) gehören als sonstige Behandlungsmaßnahmen
28 nach B.Vl.1. zur vertragszahnärztlichen Versorgung das Entfernen von harten verkalkten Be—
29 lägen und die Behandlung‘von Erkrankungen der Mundschleimhaut. Leistungen können Ver-
30 sicherten als Naturalleistungen nur dann von einem Vertragszahnarzt zu Lasten der GKV er-

Seite 3

1 bracht und abgerechnet werden, wenn sie im Bema-Z (hier Nr 107) aufgeführt sind. Eine grund-
2 rechtsorientierte Leistungsausweitung kann nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig töd-
3 lichen oder wertungsmäßig hiermit vergleichbaren Erkrankungen in Betracht gezogen werden
4 (BSG Urteil vom 21.6.2011 - B 1 KR 17/10 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Ange-
5 sichts der vorhandenen und im Volltext in juris vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist ver-
6 öffentlichten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist nicht ersichtlich, dass weiterer Klärungs-
7 bedarf aufgezeigt werden kann (vgl. Kummer Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010,
8 RdNr 316 mwN).

9 [Abs. 6] 2. Auch bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Kläger einen die Revisionszulassung recht-
10 fertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2
11 Nr 3 SGG). Allerdings ist die Vorinstanz insbesondere dem in der mündlichen Verhandlung
12 gestellten Antrag auf Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur
13 erhöhten Notwendigkeit der Zahnbelagsentfernung beim Kläger nicht nachgekommen. Auf die
14 Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) kann eine Nichtzulassungsbeschwerde
15 indes nur gestützt werden, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne
16 hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Das LSG hat die Beweiserhebung zur medizinischen
17 Notwendigkeit zwar alleine mit dem Hinweis auf Nr 107 Bema-Z abgelehnt. Der anwaltlich ver-
18 tretene Kläger hat jedoch lediglich unter Bezug auf eine wissenschaftliche Stellungnahme zur
19 Zahnsanierung vor und nach Organtransplantationen „ein erhöhtes Risiko einer bakteriellen Infek-
20 tion nach der Organtransplantation“ geltend gemacht. Hiervon ausgehend wird sich mangels
21 durchgreifender Hinweise auf eine grundrechtsorientierte Leistungsausweitung nicht schlüssig
22 aufzeigen lassen, dass weitere Ermittlungen von Amts nahe gelegen hätten (hierzu vgl Meyer-
23 Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 103 RdNr 8 mwN). Im Übrigen wird mit Blick auf
24 die Hauptanträge (Kostenerstattung trotz fehlender Einhaltung des Beschaffungswegs und Fest-
25 stellung trotz Subsidiarität) voraussichtlich auch nicht dargelegt werden können, dass die Ent-
26 scheidung der Vorinstanz auf einem Verfahrensfehler beruht.

27 M Dr. E Dr R

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EGMR 20584/11 vom 16.05.2013, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
23. Mai 2013

Beschwerde Nr. 20584/11
... ./. Deutschland

...

Ihre am 27.März 2011 eingelegte Beschwerde wurde hier unter der obigen Nummer
registriert.

Hiermit teile ich Ihnen mit, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zwischen
dem 2. Mai 2013 und dem 16. Mai 2013 in Einzelrichterbesetzung (H. Keller, unterstützt von
einem Berichterstatter in Übereinstimmung mit Artikel 24 Absatz 2 der Konvention)
entschieden hat, die Beschwerde für unzulässig zu erklären. Diese Entscheidung erging am
zuletzt genannten Datum.

Soweit die Beschwerdepunkte in seine Zuständigkeit fallen, ist der Gerichtshof aufgrund aller
zur Verfügung stehenden Unterlagen zu der Auffassung gelangt, dass die in Artikel 34 und
35 der Konvention niedergelegten Voraussetzungen nicht erfiillt waren.

Diese Entscheidung ist endgültig und unterliegt keiner Berufung an den Gerichtshof sowie an
die Grosse Kammer oder eine andere Stelle. Sie werden daher Verständnis dafür haben, dass
die Kanzlei Ihnen keine weiteren Auskünfte über die Beschlussfassung des Einzelrichters
geben und auch keinen weiteren Schriftverkehr mit Ihnen in dieser Angelegenheit führen
kann. Sie werden in dieser Beschwerdesache keine weiteren Zuschriften erhalten, und die
Beschwerdeakte wird ein Jahr nach Datum dieser Entscheidung vernichtet werden.

Das vorliegende Schreiben ergeht nach Artikel 52A der Verfahrensordnung des
Gerichtshofes.

Mit freundlichen Grüßen
Für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

...
Referent

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1 BvR 1484/10

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BVerfG, 1 BvR 1484/10 vom 28.09.2010, Bundesverfassungsgericht
Ausfertigung

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1484/10 -

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde

des

gegen a) den Beschluss des Bundessozialgerichts
vom 21. Mai 2010 - B 1 KR 6/10 BH -

b) das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts
vom 17. November 2009 – L 5 KR 187/08 -

und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten K...
die Richter B...
und S...
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BverfGG in der Fassung der Bekannt-
machung vom 11. August 19993 (BGBl I S. 1473)
vom 28. September 2010 einstimmig beschlossen:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird
abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne
Aussicht auf Erfolg ist.

Die Verfassungsbeschwerde wird – unbeschadet einer
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - nicht zur
Entscheidung angenommen.

Von einer Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BverfGG
abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

K... B... S...

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20584/11 EGMR

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LSG BAY, L 5 B 314/08 KR ER vom 03.06.2008, Bayerisches Landessozialgericht
Ausfertigung

L 5 B 314/08 KR ER
Sozialgericht Regensburg
S 14 KR 69/08 ER

BAYR. LANDESSOZIALGERICHT

In der B e s c h w e r d e s a c h e

- Antragsteller und Beschwerdeführer -

g e g e n

... - Krankenkasse,

- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -

wegen einstweiliger Anordnung

erlässt der 5. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in München

am 3. Juni 2008

ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter am Bayer. Landesso-
zialgericht M... sowie die Richterin am Bayer. Landessozialgericht W....—
-W.. und den Richter am Bayer. Landessozialgericht R... folgenden

Beschluss:

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Regensburg vom 12.03.2008 wird zurückgewie-
sen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

G r ü n d e

Der am geborene Antragsteller ist multimorbid und
leidet insbesondere an einer chronischen dialysepflichtigen
Niereninsuffizienz‚ weswegen er laufend hämodialysiert wird. Er
begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes Fahrtkostener-
stattung von der Antragsgegnerin, bei welcher er gesetzlich
krankenversichert ist.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2008 wies die Antragsgegne-
rin mehrere Widersprüche des Antragstellers gegen Fahrtkosten-
abrechnungen zurück, weil diese das notwendige Maß überschrit-
ten hätten, unter anderem weil die Fahrten zu ambulanten Be-
handlungen außerhalb der Dialyse nicht erstattungsfähig seien.

Dagegen hat der Antragsteller Klage zum Sozialgericht Regens-
burg erhoben und gleichzeitig einstweiligen Rechtsschutz bean-
tragt. Unbestritten müsse die Antragsgegnerin die Fahrtkosten
zu medizinisch notwendigen Behandlungen erstatten. Er sei als
Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsunfähige
bei einem Regelsatz von monatlich 278,00 EUR nicht in der Lage,
die erforderlichen Taxikosten zu tragen. Zudem seien nicht nur
20 Cent, sondern 30 Cent pro gefahrenen Kilometer erstattungs-
pflichtig. Dagegen hat sich die Antragsgegnerin gewandt und
ausgeführt, grundsätzlich übernehme sie die notwendigen Fahrt-
kosten für notwendige medizinische Behandlungen. Die entspre-
chende gesetzliche Regelung lasse jedoch höhere als die bislang
angesetzten Kostenerstattungen nicht zu.

Mit Beschluss vom 12.03.2008 hat das Sozialgericht den Antrag
zurückgewiesen im Wesentlichen mit der Begründung, eine unmit-
telbare Gefährdung für Leib und Leben des Antragstellers sei
bei der Nichtgewährung des einstweiligen Rechtsschutzes nicht
erkennbar. Zu beachten sei, dass die Entscheidung des einstwei-

- 3 -

ligen Rechtsschutzverfahrens zu Gunsten des Antragstellers die
Hauptsache vorwegnehmen würde, weil im Falle der Unrechtmäßig-
keit dieser Entscheidung der Erstattungsanspruch der Antrags-
gegnerin mangels finanzieller Leistungskraft des Antragstellers
ins Leere liefe. Eine konkrete Gefährdung des Antragstellers
sei nicht erkenntlich, zumal der Antragsteller dargetan habe,
er könne mit einem eigenen bzw. geliehenen Pkw fahren. Aus den
medizinischen Unterlagen ergebe sich, dass der Antragsteller
öffentliche Verkehrsmittel nutzen könne, wenn auch nicht regel-
mäßig. Die Fahrkostenabrechnungen der Beklagten seien auch der
Höhe nach zutreffend erfolgt, insbesondere seien nur 20 Cent
je gefahrenen Kilometer, nicht aber 30 Cent erstattungsfähig.

Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt und geltend
gemacht, streitig sei nicht die Erstattungshöhe in Höhe von
30 Cent oder 20 Cent, sondern er beantrage die Übernahme von
Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen mit jeglichem Transport-
mittel, nicht nur mit Taxen. Das Vorgehen der Antragsgegnerin
stelle einen Verstoß gegen seine Menschenwürde dar, weil er im-
mer wieder um Zahlungsaufschübe betteln müsse. Der Zweck des
Schonvermögens, aus welchem er die Kosten vorstrecken müsse,
werde von der Antragsgegnerin verkannt. Die Verweigerung der
notwendigen Fahrkosten sei ein Angriff auf seinen Leib und sein
Leben. Es sei abzusehen, dass die Verwandten des Antragstellers
künftig nicht mehr bereit sein könnten, ihr Fahrzeug zur Verfü-
gung zu stellen. Auch im Übrigen sei der angefochtene Beschluss
rechtswidrig.

Die Antragsgegnerin hat Zurückweisung der Beschwerde begehrt
und auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig
(§§ 172 ff. Sozialgerichtsgesetz — SGG —)‚ aber unbegründet.

- 4 -

Unter Bezugnahme auf die zutreffenden Ausführungen des ange-
fochtenen Beschlusses ist zunächst auszuführen, dass für die
begehrte Regelungsanordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG
ein Anordnungsgrund‚ der die Eilbedürftigkeit begründet sowie
ein Anordnungsanspruch, welcher die Rechtsgrundlage für das mat
terielle Begehren bildet, bestehen muss. Weil vorliegend keine
konkrete Gefährdung für Leib und Leben des Klägers durch Nicht-
behandlung einer lebensbedrohlichen Krankheit im Streite steht,
ist im Wege des summarischen Verfahrens zu entscheiden, ob der
geltend gemachte einstweilige Rechtsschutz zu gewähren ist oder
nicht.

In Würdigung der Beschwerdeschrift vom 11.04.2007 ergibt sich,
dass der Antragsteller sein Begehren erweitert hat und nunmehr
die Übernahme von Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen mit
jeglichem Transportmittel streitig ist. Nicht mehr zu befinden
ist hinsichtlich der Erstattungshöhe ob 20 oder 30 Cent pro ge-
fahrenem Kilometer zu zahlen wären.

Ein solches weitgehendes Begehren ist dem einstweiligen Rechts-
schutz nicht zugänglich, zumal die Antragsgegnerin erklärt hat,
dass sie grundsätzlich die Fahrkosten zur Dialyse, zur statio-
nären Behandlung sowie im Übrigen nach Maßgabe des 5 60 Sozial-
gesetzbuch V übernimmt. Danach hat sie auch gehandelt, indem
sie die entsprechenden Kostenerstattungen für die Vergangenheit
erbracht hat — wenn auch die Höhe der zu erstattenden Leistung
und deren Umfang streitig geblieben ist. Eine generelle Ver-
pflichtung der Antragsgegnerin, Fahrkosten in angefallener Höhe
zu nicht näher konkretisierten Behandlungen zu erstatten ist
damit nicht veranlasst. Eine solche Entscheidung widerspräche
auch der gesetzlichen Regelung in § 60 SGB V, welche in einer
klaren Ordnungsstruktur bestimmt, unter welchen Voraussetzungen
welche Fahrkostenerstattungen geleistet werden dürfen.

Die Beschwerde des Antragstellers ist deshalb in vollem Umfang
zurückzuweisen.

- 5 -

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gegen diesen Beschluss ist Beschwerde zum Bundessozialgericht
nicht eröffnet, § 177 SGG.

M... W...—W... R...

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siehe auch
L 5 B 748/08 KR
1 BvR 1601/08

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SG R, S 14 KR 69/08 ER vom 12.03.2008, Sozialgericht Regensburg
S 14 KR 69/08 ER

SOZIALGERICHT REGENSBURG

In dem Antrags Verfahren


— Antragsteller —

g e g e n

… —Krankenkasse,

— Antragsgegnerin —

erlässt der Vorsitzende der 14. Kammer, Richter am Sozialge-
richt Dr. E… , ohne mündliche Verhandlung am
12. März 2008 folgenden

Beschluss:

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anord-
nung bezüglich der Erstattung von Fahrtkosten zur
ambulanten Behandlung wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2-

Gründe

Die Beteiligten streiten in dem Hauptverfahren und vorliegenden
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Erstattung
von Fahrtkosten.

Der am ... geborene Antragsteller (Ast) ist Dialysepati—
ent, im Rahmen der Schwerbehindertenrechts verfügt er über das
Merkzeichen "G" und "RF". Streitig ist zum einen, ob für die
Fahrten mit dem privaten Pkw zu den Behandlungen 20 Cent oder
30 Cent pro gefahrene Kilometer erstattet werden, zum anderen
ob Fahrten mit dem Taxi anlässlich ambulanter Behandlungen zu
übernehmen sind.

Letztlich mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2008 sind beide
Begehren des Ast abgelehnt worden. Der Ast selbst bezieht Hilfe
zum Lebensunterhalt durch das Sozialamt Regensburg.

Mit seinem Antrag auf einstweilige Anordnung möchte er gerade
wegen des Verwiesenseins auf Hilfe zum Lebensunterhalt die
Fahrtkosten bzw. die erhöhten Fahrtkosten bezahlt bekommen, um
seine Fahrten zu gewährleisten. Derzeit werde er durch Angehö-
rige gefahren, dieser Zustand sei jedoch nicht tragbar, falls
die Hilfsperson ausfallen sollte.

Die Antragsgegnerin (Ag) führte zu dem Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung aus, dass weder ein Anordnungsanspruch
noch ein Anordnungsgrund gegeben sei. Der Anordnungsanspruch
hinsichtlich einer erhöhten Entschädigung mit einer Pauschale
von 30 Cent pro gefahrenen Kilometer scheitere an dem anwendba-
ren Bundesreisekostengesetz, wonach ein erhebliches dienstli-
ches Interesse bestehen müsse (analog angewandt auf das Kran-

- 3 -

kenversicherungsrecht). Dies sei nicht gegeben. Ebenso seien
die Taxifahrten nicht zu übernehmen, da die Voraussetzungen
nach den Krankentransport—Richtlinien beim Ast nicht vorliegen
würden. Nachdem er die erforderlichen Merkzeichen "aG" und "H"
nicht aufweise‚ des Weiteren nicht die Pflegstufe II, sei auf
eine hohe Behandlungsfrequenz abzustellen. Der Medizinische
Dienst der Krankenversicherung habe sich dahingehend eingelas-
sen, dass eine solche nicht gegeben sei.

Des Weiteren liege kein Anordnungsgrund vor, da der Ast durch-
aus öffentliche Verkehrsmittel benutzen könne. Schwere oder un-
zumutbare, nicht anders abzuwendende Nachteile würden nicht
entstehen. Als letztes Mittel würden dem Ast Leistungen der So-
zialhilfe zur Verfügung stehen.

Bezug genommen wird zur Ergänzung der Gründe auf die Ausführun-
gen des Ast sowie der Ag.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zuläs-
sig, jedoch nicht begründet.

Gemäß § 86 b Abs.2 Sozialgerichtsgesetz TSGG) kann das Gericht
der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug
auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass
durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirkli-
chung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streiti-
ges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antrag
ist schon vor Klageerhebung zulässig. Erfasst werden somit in
§ 86 Abs. 2 SGG sowohl die sogenannte Sicherungsanordnung als
auch die sogenannte Regelungsanordnung.

- 4 -

Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist,
dass sowohl ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund ge-
geben sind. Anordnungsanspruch ist dabei der materielle An-
spruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtschutz
sucht, Anordnungsgrund ist die Eilbedürftigkeit der begehrten
Sicherung oder Regelung (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m.
§ 920 ZPO). Das Gericht prüft, ob Anspruch und Grund glaubhaft
gemacht worden sind. Eine endgültige Entscheidung in der Haupt-
sache wird durch die einstweilige Anordnung nicht vorweggenom—
men .

Aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zuläs-
sigen summarischen und pauschalen Prüfung der Sach- und Rechts-
lage kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass zumindest ein An-
ordnungsgrund nicht gegeben ist. Das Gericht sieht ebenso wie
die Ag keine unzumutbaren Nachteile für den Ast, das Hauptver-
fahren abzuwarten. Denn wenn nunmehr positiv für den Ast im
Verfahren der einstweiligen Anordnung entschieden werden würde,
so käme dies der Vorwegnahme der Hauptsache gleich, da dem Ast
die begehrten Fahrtkosten vorerst zugestanden würden. Nachdem
der Ast Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt bezieht, wären
diese Leistungen nicht mehr rückabwickelbar, falls sich im
Hauptverfahren herausstellen sollte, dass dem Ast der Anspruch
nicht zusteht. Soweit eine Verweisung auf Leistungen der Sozi-
falhilfe ausscheidet‚ müsste bei Nichtgewährung der beantragten
Leistungen eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben des Ast
bestehen (LSG Niedersachsen—Bremen, NZS 2004, 112). Dies hat
der Ast ebenso nicht dargetan. Vielmehr gibt er selber zu, dass
er im Notfall durch Angehörige gefahren werden kann. Er benö-
tigt die einstweilige Anordnung nur deshalb, um für den Ausfall
dieser Personen oder dieser Person eine Rückversicherung zu ha-
ben. Dies ist mit dem Rechtsinstitut der einstweiligen Anord-
nung mangels nunmehriger konkreter Gefährdung nicht machbar.
Zwar geben die hereingereichten ärztlichen Bescheinigungen um-
fassende Diagnosen des Ast an, wie z.B. die Niereninsuffizienz
seit 1977 und darauffolgende Nierentransplantationen. Eine
Übernahme der Taxikosten wird auch durch die ärztlichen Be-

scheinigungen für Fahrten außer zu den Dialysebehandlungen zur
ambulanten Untersuchungen gefordert. Insoweit ist jedoch darge-
tan, dass der Ast seinen eigenen Pkw fahren kann, dies ihm je-
doch mitunter oftmals nicht möglich ist. Zudem kann der Ast, so
die Bescheinigungen, Bus und Bahn benutzen, diese jedoch nicht
regelmäßig. Im Hinblick auf die Möglichkeiten der Fortbewegung
ist eine erhebliche Gefährdung, die für einen Anordnungsan—
spruch erforderlich wäre, nicht gegeben.

Zudem zweifelt das Gericht an dem Anordnungsanspruch. Zum einen
ist der Betrag von 20 Cent gesetzlich im anwendbaren Reiseko-
stengesetz ausgewiesen, zum anderen sind die Taxifahrten zu den
ambulanten Behandlungen durch die Krankentransportrichtlinien
nur für Fälle einer hohen und dichten Behandlungsfrequenz vor-
behalten, nachdem der Ast weder das Merkzeichen "aG” noch "H"
noch die Pflegestufe II aufweist. Die hohe Behandlungsfrequenz
hat der Medizinische Dienst der Krankenversicherung nach Sich-
tung der Unterlagen abgelehnt. Diese Stellungnahme müsste durch
weitere Beweisaufnahmen erst erschüttert werden. Dafür ist das
Hauptverfahren zuständig, nicht im Zusammenhang mit dem Fehlen
des Anordnungsgrundes das Verfahren des einstweiligen Rechts-
schutzes.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist gemäß den §§ 172 Abs.1, 173 SGG Be-
schwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Be-
schwerde ist binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Sozialgericht Regensburg, Safferlingstraße 23, 93053
Regensburg, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeam—
ten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde in-
nerhalb der Frist beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße

15‚ 80539 München oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landesso—
zialgerichts‚ Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder
mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäfts-
stelle eingelegt wird.

Der Vorsitzende der 14. Kammer

Dr. E...
Richter am Sozialgericht

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L 5 B 314/08 KR ER

L 5 B 748/08 KR ER C

1 BvR 1601/08

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SG R, S 14 KR 60/08 vom 13.06.2008, Sozialgericht Regensburg
SOZIALGERICHT REGENSBURG

GERICHTSBESCHEID

in dem Rechtsstreit

- Kläger -

Proz. Bev.: D.

gegen

... Krankenkasse,

Die 14. Kammer des Sozialgerichts Regensburg erlässt durch ihren Vorsitzenden, Richter
am Sozialgericht ... , am 13. Juni 2008 ohne mündliche Verhandlung folgenden

Gerichtsbescheid:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Tatbestand und Entscheidungsgründe:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Fahrtkosten. Der am ...

geborene Kläger ist multimorbid und leidet an einer dialysepflichtigen chronischen

Niereninsuffizienz. Mit Antrag vom 10.05.2007 begehrte er die Übernahme von

Fahrtkosten mit einem Taxi mit Rechnung vom 26.04.2007 in Höhe von 60,00 €.

Weitere Taxikosten vom 28.06.2007 wurden mit Antrag vom 07.07.2007 in Rech-

nung gestellt. Die Beklagte wies mit Bescheid vom 08.05.2007 und dann mit Be-
scheid vom 22.08.2007 darauf hin, dass die Taxifahrt vom 26.04. nicht übernom-
men werden könne, da nicht im Zusammenhang mit der ... erfolgt. Im Be-
scheid vom 22.08.2007 ist dargetan, dass die Fahrtkosten zu einer ambulanten
Behandlung ebenso nicht übernommen werden können, da nicht für die ...
erfolgt. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers führte zu zwei Stellung-
nahmen
des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), wonach
keine hohe Behandlungsfrequenz gegeben sei und somit die Voraussetzungen für
eine Kostenübernahme nicht vorliegen würden. Dies wurde dem Kläger mit Wider-
spruchsbescheid vom 05.02.23008 so mitgeteilt unter Hinweis auf die Kranken-
transport-Richtlinien.

Dagegen legte der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg ein. Diese Klage
(S 14 KR 60/08) wurde mit dem Rechtsstreit S 14 KR 66/08 verbunden. Unter dem
Aktenzeichen S 14 KR 60/08 wurden beide Rechtsstreitigkeiten weitergeführt. Der
vormalige Rechtsstreit S 14 KR 66/08 bezeichnet zwar in seiner Klage wiederum
den Bescheid vom 22.08.2007, aus der Vollmacht an den Vertreter des Klägers
geht jedoch hervor, dass damit die Kilometerpauschale beklagt werden sollte. Die-
se wurde mit Antrag vom 21.10.2007 (als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X)
bezeichnet durch den Kläger bei der Beklagten eingereicht. Es sollten nicht Fahrt-
kosten in Höhe von 20 Cent, sondern von 30 Cent angesetzt werden. Mit Be-
scheid vom 29.10.2007 wies die Beklagte darauf hin, dass gemäß dem Kranken-

- 3 -

versicherungsrecht nur 20 Cent angeordnet werden könnten. Der dagegen einge-
legte Widerspruch endete im Widerspruchsbescheid vom 05.02.2008.

Daneben betrieb der Kläger einen weiteren Rechtsstreit unter seinem eigenen
Namen unter dem Az. S 14 KR 70/08. Insoweit erging Gerichtsbescheid vom
02.05.2008 wegen Unzulässigkeit dieser Klage. Ein weiteres Verfahren als einst-
weilige Anordnung unter dem Az S 14 KR 69/08 ER betrieben endete mit dem Be-
schluss vom 12.03.2008, wonach der Antrag zurückgewiesen wurde. Eine Be-
schwerde dagegen hatte keinen Erfolg (Beschluss des BayLSG vom 03.06.2008).

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers beantragen sinngemäß,

sowohl die Bescheide vom 08.05.2007 und 22.08.2007 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.2008 wie
den Bescheid vom 29.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchs-
bescheids vom 05.02.2008 aufzuheben und dem Kläger für
Fahrten zur ambulanten Untersuchung und Behandlung die
Taxikosten zu erstatten bzw. soweit selbst gefahren wird, einen
höheren Entschädigungssatz von 0,30 € anzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass Gerichtsbescheid ergehen kann.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte so-
wie die Gerichtsakten in den Verfahren S 14 KR 66/08, S 14 KR 70/08 und S 14
KR 69/08 ER sowie die Beklagtenakten. Sämtlicher Inhalt war Gegenstand der

Entscheidungsfindung.

II.

Die zulässigen Klagen sind im Sinne einer objektiven Klagehäufung nicht begründ-
et, denn die Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig.

Das Gericht kann gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbe-
scheid entscheiden, da der Sachverhalt keine besonderen Schwierigkeiten tat-
sächlicher bzw. rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Das Gericht macht ebenso von der Vorschrift des § 136 Abs.3 SGG Gebrauch,
der im Verfahren des Gerichtsbescheids ebenso seine Anwendung findet und
verweist auf die Darstellung in den Entscheidungsgründen der Bescheide und Wi-
derspruchsbescheide der Beklagten, denen es folgt und die sie sich zu eigen
macht.

Die Beklagte hat zu Recht § 60 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i. V. m.
dem Bundesreisekostengesetz (BRKG) angewandt, wonach die Höchstvergü-
tungspauschale von 0,20 € pro gefahrenem Kilometer anzusetzen ist. Für eine hö-
here Höchstvergütungspauschale bleibt somit von Gesetzes wegen kein Raum. D
iese Handhabung entspricht dem § 5 BRKG, wonach 20 Cent pro Kilometer
festgeschrieben sind; ein erheblich darüber hinausgehendes („dienstliches“) be-
stehendes Interesse für eine Wegstreckenentschädigung von 30 Cent pro Kilome-
ter kann im Fall des Klägers nicht gesehen werden. Er selbst gibt kein darüber
hinausgehendes Interesse an, verweist nur darauf, dass der Höchstbetrag eben
30 Cent sei. Dies reicht nicht aus.

Soweit es die Fahrkosten zu den ambulanten Behandlungen außerhalb der ...
betrifft (Taxifahrten) fehlt es schon an der vorherigen Genehmigung durch die
Beklagte; des Weiteren sind die Voraussetzungen nach den anwendbaren Kran-
kentransport-Richtlinien nicht erfüllt. Der Kläger weist in seinem Schwerbehinder-
tenausweis nicht die Merkzeichen „aG“, „BL“ oder „H“ auf (nur ...)
und verfügt nicht über die Pflegestufe II oder III in der Pflegeversiche-
rung. Eine hohe Behandlungsfrequenz wurde durch den MDK zu Recht abgelehnt.

Wie das BayLSG in seinem Beschluss vom 03.06.2008, in Bestätigung des Be-
schlusses des SG Regensburg vom 12.03.2008 ausführt, hat die Beklagte grund-
sätzlich zu Recht die Fahrkosten zur ... und zur stationären Behandlung so-
wie nach Maßgabe des § 60 SGB V übernommen. Eine weiter darüber hinausge-
hende Entscheidung lassen die Vorschriften nicht zu.

- 5 -

Somit bestehen keine Ansprüche, weder nach dem Sachleistungsprinzip des § 13
Abs. 1 SGB V noch als Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 SGB V (die-
ser kann nicht weiter reichen, als ein Sachleistungsanspruch).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden, da es dem Klä-
ger nicht nur um die Einforderung einer Summe von unter 750,00 € geht(§ 144
SGG), sondern die Klage darauf gerichtet ist, weiterhin und künftig Taxikosten
bzw. Fahrtkosten zu übernehmen bzw. in höherer Art zu übernehmen.

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L 5 KR 187/08 (Bayerisches LSG)
B 1 KR 6/10 BH (Bundessozialgericht)
1 BvR 1484/10 (Bundesverfassungsgericht)
20584/11 (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte)

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BSG, B 1 KR 6/10 BH vom 21.05.2010, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 6/10 BH
L 5 KR 187/08 (Bayerisches LSG)
S 14 KR 60/08 (SG Regensburg)

Kläger und Antragsteller

gegen

Beklagte.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21 Mai 2010 durch den Präsidenten
M. sowie die Richter Dr. K. und Dr. H. beschlossen:

Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. November 2009
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu gewähren, wird abgelehnt.

- 2 -

Gründe:

I

[Abs. 1]
Der 1963 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger leidet an einer Nieren-
erkrankung, weshalb ihm ua im Dezember 2007 eine Niere implantiert wurde, zudem an
Erkrankungen des Herzkreislaufsystems, einem Zustand nach Schilddrüsenkarzinom, Schwer-
hörigkeit sowie orthopädischen Krankheiten. Deshalb sind bei ihm ein Grad der Behinderung
von 100 nach dem SGB IX und die Merkzeichen “G“ sowie “RF“ festgestellt worden. Er hat
Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsunfähige beantragt. Mit seinem Begehren, für
ambulante Behandlungen Taxikosten und bei Eigenfahrten eine Erstattung von 30 Cent anstelle
von 20 Cent je gefahrenem Kilometer zu erhalten, ist der Kläger bei der Beklagten und in den
Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, für einen
Generalantrag zu allgemeiner Übernahme von Fahrtkosten fehle das Rechtsschutzbedürfnis.
Für eine orthopädische und kardiologische Behandlung jeweils in Regensburg habe der Kläger
öffentliche Verkehrsmittel benutzen können. Seine Mobilität sei nicht vergleichbar mit der eines
schwerbehinderten Menschen eingeschränkt, bei welchem die Voraussetzungen der Merk-
zeichen “aG“, “Bl“ oder “H“ erfüllt seien. Weder seien diese Merkzeichen noch eine Pflege-
stufe II oder III beim Kläger festgestellt worden. Eine höhere Erstattung als 20 Cent je Kilometer
könne der Kläger nach der gesetzlichen Regelung nicht beanspruchen, da ein höherer
Erstattungssatz nach § 5 Abs 2 Bundesreisekostengesetz (BRKG vom 26.5.2005 BGBl I 1418)
ausschließlich aus dienstlichen Erfordernissen heraus zu begründen sei (Urteil vom 17.11.2009).

[Abs. 2]
Der Kläger begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines
Rechtsanwalts für Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

[Abs. 3]
Der Antrag des Klägers auf Gewährung von PKH unter Beiordnung eines anwaltlichen Bevoll-
mächtigten ist abzulehnen.

[Abs. 4]
Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 144, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das
Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet
werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und
nicht mutwillig erscheint. An dieser Erfolgsaussicht fehlt es. Der Kläger kann aller Voraussicht
nach in dem von ihm beabsichtigten Beschwerdeverfahren mit seinem Begehren auf Zulassung
der Revision nicht durchdringen. Auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers und nach
Aktenlage gibt es bei summarischer Prüfung keine Hinweise darauf, dass eine der

- 3 -

abschließend in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründe für die Zulassung der Revision in einem
Beschwerdeverfahren bejaht werden könnte. Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde
ermöglicht dagegen keine weitergehende, umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle der zuvor
ergangenen Entscheidungen. Ob das LSG-Urteil allgemein in Einklang mit Recht und Gesetz
steht, ist für den Erfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde ohne Belang (vgl zB BSG SozR 1500
§ 160a Nr 7).

[Abs. 5]
Die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde bietet im Hinblick auf den Zulassungsgrund der
Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg da nichts dafür
spricht, dass der Kläger den gesetzlichen Darlegungsvoraussetzungen genügen könnte. Der
Kläger führt allerdings in seinem PKH-Gesuch eine Reihe von Entscheidungen des BVerfG und
des BSG an, von denen das LSG nach seiner Auffassung abgewichen ist. Um den Zulassungs-
grund einer Rechtsprechungsdivergenz nach § 160 Abs 2 SGG entsprechend den
Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG darzulegen, müsste der Kläger indes ent-
scheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einer-
seits und in den herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidungen andererseits gegenüber-
stellen und Ausführungen dazu machen können, weshalb beide miteinander unvereinbar sein
sollen. Hierzu müsste der Kläger darlegen, dass das LSG einen vom BVerfG oder BSG
abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt habe, aus dem sich das Bedürfnis nach Her-
stellung von Rechtseinheit in einem Revisionsverfahren ergibt (vgl zB BSG Beschluss vom
21.1.2010 – B 1 KR 128/09 B -RdNr 5 mwN). Ein solches Vorhaben würde vorliegend nach aller
Voraussicht daran scheitern, dass das LSG der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgen
wollte und die vom Kläger im Kern allein geltend gemachte fehlerhafte Anwendung der höchst-
richterlichen Rechtsprechung nach der gesetzlichen Regelung des § 160 Abs 2 SGG nicht die
Zulassung der Revision ermöglicht.

[Abs. 6]
Auch das Vorbringen, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1
SGG), bietet für das angestrebte Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und aus-
führen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG
SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; siehe auch BSG
SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Von den vielen Fragen, die der Kläger insoweit
formuliert hat, kommt unter Berücksichtigung der durch höchstricherliche Rechtsprechung
bereits geklärten Fragen lediglich die vom Kläger angedeutete Frage näher in Betracht, ob § 60
Abs 3 Nr 4 SGB V bei Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs auf den Höchstbetrag lediglich
nach § 5 Abs 1 Satz 2 BRKG verweist, oder ob insoweit die erhöhte Wegstreckenentschädigung
von 30 Cent je Kilometer bei Bestehen eines erheblichen dienstlichen Interesses an der
Benutzung eines Kraftwagens nach § 5 Abs 2 Satz 1 BRKG in Betracht kommt. Auch unabhän-

- 4 -

gig von einer höchstrichterlichen Klärung ist indes eine Rechtsfrage dann als nicht klärungsbe-
dürftig anzusehen, wenn ihre Beantwortung so gut wie unbestritten ist (vgl zB BSG SozR 1500
§ 160 Nr 17) oder die Antwort von vorneherein praktisch außer Zweifel steht (vgl zB BSGE 40, 40
= SozR 1500 § 160a Nr 4). So liegt es hier bei der vom Kläger indirekt aufgeworfenen Frage
unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 12/3608 S 82) und dem Sinn
und Zweck der Verweisungsregel in § 60 Abs 3 Nr 4 SGB V, die für den Ausnahmefall des
§ 5 Abs 2 Satz 2 BRKG keinen Anwendungsraum bietet.

Schließlich fehlt es auch an einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg dafür, dass der Kläger im
angestrebten Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren einen Verfahrensmangel geltend machen
kann, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann
der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1
Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des §§ 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf
einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Für
einen solchen Verfahrensmangel liegt nach der gebotenen summarischen Prüfung nichts vor,
zumal der in der mündlichen Verhandlung durch einen Rechtssekretär der DGB-Rechtsschutz
GmbH vertretene Kläger Sachanträge gestellt hat und eine Verletzung des Grundsatzes der
freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) die Zulassung der Revision nicht zu recht-
fertigen vermag.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab.

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1 BvR 1484/10

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BSG, B1 KR 43/04 B vom 27.06.2005, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 43/04 B

Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigter:

gegen

Kaufmännische Krankenkasse – KKH,
Karl-Wiechert-Allee 61, 30625 Hannover,
Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 27. Juni 2005 durch den
Präsidenten von W. sowie die Richter Prof. Dr. S.
und Dr. H.

beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision
im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. April
2004 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

-2-

Gründe:

I

[Abs 1] Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, ihr die Kosten für die privatärztliche Behandlung bei
Dr. K in Höhe von 2.226,32 DM sowie vier mal 1.400,36 € für jeweils eine extrakorporale
Photopherese bei den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat
in seinem Urteil vom 20. April 2004 ua ausgeführt, die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Fünftes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien nicht erfüllt. Es verweise auf die Entscheidungsgründe
des Urteils des Sozialgerichts (SG). Danach kam eine Kostenerstattung für die extrakorporalen
Photopheresen nicht in Betracht, weil eine positive Empfehlung des Bundesausschusses zu
dieser neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode fehle. Im Übrigen wären die Maßnah-
men von Dr. Kinnerhalb der vertragsärztlichen Versorgung zu erbringen gewesen. Die
Leistungen seien auch nicht unaufschiebbar gewesen. Das LSG hat ergänzt, auf die
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) könne sich die Klägerin nicht
stützen, da es um eine Inlandsbehandlung gehe; zudem werde auch nach § 18 SGB V nur eine
solche Behandlung erstattet, die zum Leistungsumfang der vertragsärztlichen Versorgung
gehöre, was bei der hier streitigen nicht der Fall sei, wie es das SG in seinem Urteil ausführlich
dargelegt habe. Dass sich die Klägerin im Inland zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung nur bei Vertragsärzten behandeln lassen könne, verstoße nicht gegen
Art 3 Grundgesetz (GG), da das Zulassungssystem die Qualität und die Beachtung des
Wirtschaftlichkeitsgebots sichere. Der Anspruch aus § 13 Abs 3 2. Fallgruppe SGB V scheitere
bereits daran, dass sich die Klägerin in die Behandlung eines Nicht-Vertragsarztes gegeben
habe (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 7).

[Abs 2] Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil
des LSG vom 20. April 2004.

II

[Abs 3] Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozial-
gerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2
Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisions-
zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG.

[Abs 4] 1. Soll die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechts-
sache zugelassen werden, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung
dargelegt werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hierzu ist es nach der ständigen Rechtspre-
chung des Bundessozialgerichts (BSG) erforderlich, eine Rechtsfrage klar zu formulieren und

- 3 -

aufzuzeigen, dass sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, und dass die
Rechtsfrage klärungsbedürftig sowie klärungsfähig ist, dh sie im Falle der Zulassung der Revi-
sion entscheidungserheblich wäre (vgl Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 6/04 B;
BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500
§ 240 Nr 33 S 151 f mwN). Hieran fehlt es. Die Beschwerde sieht es als klärungsbedürftige
Rechtsfrage an,"ob sich gesetzlich Krankenversicherte auf Grund der neuen
EuGH-Rechtsprechung grundsätzlich von jedem - in einem EG-Mitgliedsstaat niedergelasse-
nen - Arzt auf Kosten ihrer gesetzlichen Krankenkasse ambulant behandeln lassen dürfen". Zur
Entscheidungserheblichkeit dieser Rechtsfrage hat sich die Beschwerde jeglicher
Ausführungen enthalten. Entscheidungserheblichkeit bedeutet, dass es für die Entscheidung
des Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt und die
Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin in ihrem
Sinne hätte ausfallen müssen. Hat ein geltend gemachter Anspruch mehrere Voraussetzungen
und wurde er vom Berufungsgericht verneint, weil eine dieser Voraussetzungen nicht vorliegt,
muss dargelegt werden, dass auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind. Anderenfalls ist
der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen, das die Entscheidung über die aufgeworfene
Rechtsfrage Konsequenzen für den Ausgang des Rechtsstreits hat. Kann mangels
entsprechenden Vortrags nicht ausgeschlossen werden, dass der geltend gemachte Anspruch
unabhängig vom Ergebnis der angestrebten rechtlichen Klärung womöglich am Fehlen einer
weiteren, bisher unbeachtet gebliebenen Anspruchsvoraussetzung scheitern müsste, fehlt es
an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und damit der Klärungsfähigkeit der
aufgeworfenen Rechtsfrage (vgl dazu Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 6/04 B;
Beschluss vom 6. Dezember 2004, B 1 KR 96/03 B; BSG, Beschluss vom 30. August 2004,
SozR 4-1500 § 160a Nr 5 mwN). So aber liegt es hier. Der Kostenerstattungsanspruch des § 13
Abs 3 SGB V setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG voraus, dass Kosten tatsächlich
entstanden sind (BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 4). Dies ist aber weder nach dem Tatbestand noch
nach den Entscheidungsgründen des LSG-Urteils oder nach dem Vorbringen der Beschwerde
vorgetragen oder sonst ersichtlich.

[Abs 5] Soweit die Klägerin dagegen einen Freistellungsanspruch geltend machen will, der ebenfalls
vom Anspruch des § 13 Abs 3 SGB V umfasst ist (vgl BSG, ebenda mwN), setzt dieser eine
rechtsgültige Zahlungsverpflichtung voraus. Dass eine solche besteht, hat die Beschwerde
nicht dargelegt. Darüber hinaus fehlt es an Darlegungen dazu, dass sich die Klägerin die
Behandlung als eine notwendige Leistung entweder selbst beschaffen musste, weil die
Beklagte sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (§ 13 Abs 3, 1. Fallgruppe SGB V) oder dass die
Forderung, der sich die Klägerin ausgesetzt sieht, gerade darauf beruht, dass die Beklagte die
Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (§ 13 Abs 3, 2. Fallgruppe SGB V). Dazu hätte besonderer
Anlass bestanden, weil das LSG-Urteil in den Entscheidungsgründen davon ausgeht, dass die
Behandlung nicht zum Leistungsumfang der vertragsärztlichen Versorgung gehört und ein
Notfall nicht vorgelegen habe. Das BSG ist aber an die im Urteil getroffenen tatsächlichen

-4-

Feststellungen zur Zulassung der Revision gebunden, außer wenn in Bezug auf diese
Feststellung zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (§ 163 SGG), woran
es fehlt.

[Abs 6] 2. Auch so weit sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG be-
ruft und geltend macht, das LSG-Urteil sei vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02 (NJW 2003, 1236 = NZS 2003, 253f) abge-
wichen, es hätte nicht ausnahmslos die Kostenübernahme von der Anerkennung seitens des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen fordern dürfen, fehlt es an § 160a Abs 2
Satz 3 SGG genügenden Darlegungen. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss
entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in
einer höchstrichterlichen Entscheidung andererseits gegenüber stellen und begründen,
weshalb diese miteinander unvereinbar seien (vgl Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005,
B 1 KR 10/04 B; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 160a RdNr 15, § 160 RdNr 10 ff mwN).
Daran fehlt es. Die Beschwerde zitiert zwar Passagen aus dem Beschluss des BVerfG, benennt
aber keinen dazu konträren Rechtssatz des LSG-Urteils, aus dem sich die Notwendigkeit zur
Herstellung von Rechtseinheit durch eine höchstrichterliche Entscheidung ergeben könnte.
Abgesehen davon, dass das BVerfG in dem genannten Beschluss keine konkreten materiell-
rechtlichen Ansprüche auf die Gewährung bestimmter Leistungen aus Art 2 Abs 2 Satz 2 GG
abgeleitet, sondern im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes unter dem Gesichtspunkt des
Art 19 Abs 4 GG vom Beschwerdegericht eine "besonders intensive und nicht nur summarische
Prüfung der Erfolgsaussichten" oder eine Folgenabwägung verlangt hat, trägt die Beschwerde
der Sache nach allenfalls vor, das LSG sei den Grundsätzen des BVerfG nicht gefolgt. Dies
stellt indessen keine Divergenz im Sinne eines bewussten Aufstellens abweichender
Rechtssätze dar (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26). Ebenso wenig legt die Beschwerde dar,
dass aus den von ihr genannten Aussagen des BVerfG hätte zwingend ein Anspruch auf die
begehrten Leistungen folgen müssen.

[Abs 7] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Landessozialgericht Hamburg,
L 1 KR 43/04
vom 10.11.2004
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BSG, B 1 KR 19/10 B vom 23.02.2010, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit



Az: B 1 KR 19/10 B

L 5 KR 92/08 (Schleswig-Holsteinisches LSG)

S 8 KR 333/06 (SG Lübeck)





Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigte:



gegen



BARMER GEK,

Axel-Springer-Straße 44, 10969 Berlin,

Beklagte und Beschwerdegegnerin,

Prozessbevollmächtigte:



Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 9. Juli 2010 durch

Sden Präsidenten M. sowie den Richter Dr. H. und

die Richterin Dr. B.



beschlossen:



Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des

Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember 2009 wird als unzulässig

verworfen.



Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.



- 2 -



Gründe:



I



[Abs. 1] Die 1952 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse (KK) versicherte Klägerin, bei der im August

2004 eine Bauchspeicheldrüsen- und Nierentransplantation durchgeführt wurde, ist mit ihrem

Begehren, die Beklagte möge die Kosten für die Fahrten zu ambulant-ärztlichen Kontrollbe-

handlungen in der Charité Berlin und bei dem Nephrologen in Pinneberg auch über den

17.1.2005 hinaus übernehmen, in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat im

Wesentlichen ausgeführt: Ein Anspruch auf Übernahme der Fahrkosten nach § 60 Abs 1 Satz 3

SGB V in Verbindung mit den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92

Abs 1 Satz 2 Nr 12 SGB V scheitere schon an der fehlenden vorherigen Genehmigung durch

die Beklagte; im Übrigen seien aber auch die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls nach den

Krankentransportrichtlinien (KrTransp-RL - BAnz Nr 18 S 1342) nicht erfüllt. Insbesondere sei

eine "hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum" iS von § 8 Abs 2 KrTransp-RL

nicht gegeben. Im Anschluss an die Anforderungen, die das Urteil des BSG vom 28.7.2008 (B 1

KR 27/07 R - SozR 4-2500 § 60 Nr 5) aufgestellt habe, genüge die von der Klägerin ange-

gebene Häufigkeit der Behandlungen im Verhältnis zur Behandlungsdauer nicht (2005:

14 Fahrten, 2006 und 2007: Behandlungsfrequenz in einem Abstand von knapp sechs Wochen;

2008 und 2009: B5ehandlungsfrequenz im Abstand von 13 Wochen). Aus § 115a Abs 2 Satz 4

SGB V könne die Klägerin keine Ansprüche herleiten, da diese Vorschrift nur die Beziehungen

der Leistungserbringer regele und dem Versicherten über § 60 Abs 2 Nr 4 SGB V hinaus keine

Leistungsansprüche vermittele (Urteil vom 10.12.2009).



[Abs. 2 ] Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-

Urteil. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.



II



[Abs. 3] 1. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2

SGG iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a

Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Re-

visionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2

Nr 1 SGG.



[Abs. 4] Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und aus-

führen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich so-

wie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR

3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; siehe auch BSG SozR 3-2500 § 240



- 3 -



Nr 33 S 151 f mwN). Rechtsfragen sind in aller Regel nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie

bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden worden sind (vgl zB BSG

SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52 mwN). Nach diesem Maßstab

hat die Klägerin die Erfordernisse der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht hinrei-

chend dargelegt.



[Abs. 5] Die Klägerin formuliert zwar die Rechtsfrage,

ob "die Nachsorge in einem Transplantationszentrum nach einer Organübertragung gem.

§ 9 Abs. 1 des Transplantationsgesetzes und die dortige entsprechende ärztliche

nachstationäre Behandlung nach § 115 a Abs 2 Sz. 4 SGB V vergleichbar ist mit den

Beispielen der Anlage 2 der Krankenhaustransportrichtlinien oder nicht".



[Abs. 6] Sie hat jedoch nicht hinreichend dargetan, dass diese Rechtsfrage trotz der bereits

vorliegenden Rechtsprechung des BSG (vgl insbesondere BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 5) noch

klärungsbedürftig ist.



[Abs. 7] Das BSG hat bereits über die Ausfüllung des auch hier einschlägigen Tatbestandsmerkmals

"hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum" iS von § 8 Abs 2 KrTransp-RL ent-

schieden. Seine Auslegung ist danach zu bestimmen, ob die Behandlung, zu deren Ermög-

lichung die Fahrten durchgeführt werden sollen, mit den in Anlage 2 der RL genannten anderen

Behandlungsformen von ihrem zeitlichem Ausmaß her wertungsmäßig vergleichbar ist; dabei

ist die Häufigkeit einerseits und die Gesamtdauer andererseits gemeinsam zu den

Regelbeispielen der Dialysebehandlung, der onkologischen Strahlentherapie sowie der

onkologischen Chemotherapie in Beziehung zu setzen. Dieser Maßstab ergibt sich aus der

Absicht des Gesetzgebers, ab 1.1.2004 Fahrkosten in der ambulanten Behandlung

grundsätzlich gar nicht mehr zu erstatten und nur in "besonderen" Ausnahmefällen etwas

anderes gelten zu lassen, nicht aber schon breitflächig allgemein in Härtefällen. Dabei hat der

Senat eine "hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum" bei einer dauerhaften

Behandlung angenommen, bei der die Behandlungsfrequenz zumindest einmal pro Woche

beträgt (vgl BSG aaO RdNr 29 ff). Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, ist die

gesetzeskonforme Konkretisierung der Ausnahme nach § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V durch die

KrTransp-RL nicht aufgrund ranghöheren Rechts erweiternd auszulegen. Mit der Änderung des

§ 60 SGB V zum 1.1.2004 (durch Art 1 Nr 37 des Gesetzes zur Modernisierung der

Gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003 , BGBl I 2190) hat der

Gesetzgeber vielmehr stärker als zuvor auf die medizinische Notwendigkeit der im

Zusammenhang mit der KKn-Leistung erforderlichen Fahrt abgestellt und die Möglichkeit der

KKn, Fahrkosten generell in Härtefällen zu übernehmen, verfassungskonform beseitigt (vgl im

Einzelnen BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 1 RdNr 13 f).



- 4 -



[Abs. 8 ] Mit dieser Rechtsprechung und ihren Maßstäben setzt sich die Klägerin nicht im Einzelnen aus-

einander. Die weitere Ausfüllung dieser Maßstäbe bewegt sich im Bereich der Subsumtion,

kann also keine "grundsätzliche" Bedeutung begründen. Die Klägerin legt auch nicht dar, dass

diese Rechtsprechung in den Entscheidungen der Instanzgerichte oder im Schrifttum nachhaltig

auf Kritik gestoßen und deshalb erneut klärungsbedürftig geworden ist. Sie vertritt im

Wesentlichen lediglich, dass die im LSG-Urteil berücksichtigte Behandlungsfrequenz in ihrem

Fall für einen Leistungsanspruch ausreichend sei. Im Kern läuft das Beschwerdevorbringen der

Klägerin darauf hinaus, dass sie die inhaltliche Richtigkeit des zweitinstanzlichen Urteils

angreift. Ein solches Vorbringen vermag die Revisionsinstanz jedoch auch dann nicht zu

eröffnen, wenn die geltend gemachte Rechtswidrigkeit aus einer vermeintlich fehlerhaften

Umsetzung der BSG-Rechtsprechung im Einzelfall hergeleitet wird; denn zulässiger

Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache

richtig entschieden hat (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 15).



[Abs. 9] Soweit die Klägerin sinngemäß auch die Rechtsfrage stellt, ob § 115a Abs 2 Satz 4 SGB V da-

hingehend auszulegen sei, dass bei medizinisch notwendigen Kontrolluntersuchungen nach

Organübertragungen nach § 9 Abs 1 Transplantationsgesetz auch die entsprechenden Fahr-

kosten umfasst seien, wird ebenfalls deren Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt.

Das BSG hat bereits entschieden, dass § 60 SGB V die Ansprüche auf Fahrkosten abschlie-

ßend regelt (BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 5 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 2 RdNr 12; BSG

SozR 4-2500 § 60 Nr 1 RdNr 9). Auch hierauf geht die Beschwerdebegründung nicht ein.



[Abs. 10 ] Im Übrigen legt die Klägerin zudem die Entscheidungserheblichkeit der angesprochenen

Fragen nicht hinreichend dar, denn das LSG hat den Anspruch der Klägerin auch deshalb

verneint, weil die nach § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V notwendige vorherige Genehmigung der KK

gefehlt habe. Die Beschwerdebegründung hätte demnach Ausführungen enthalten müssen,

dass ein Anspruch an dieser Voraussetzung nicht scheitert.



[Abs. 11] 2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat analog § 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG

ab.



[Abs. 12] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 1 KR 155/06 vom 02.11.2006, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT



Beschluss



in dem Rechtsstreit



Az: B 1 KR 155/06 B



Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte:



gegen





Barmer Ersatzkasse,

Lichtscheider Straße 89-95, 42285 Wuppertal,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.



Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. Januar 2007 durch den

Präsidenten von Wulffen sowie die Richter Prof. Dr. Schlegel

und Dr. Hauck



beschlossen:



Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil

des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. November 2006 wird als

unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.



- 2 -



Gründe:



I



[Abs. 1] Der bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren, 1.410 € Kosten

einer Positronen-Emissions-Tomographie (PET) zur Abklärung des Vorhandenseins von Rezi-

diven oder Metastasen seines operierten Adenokarzinoms des Rektums erstattet zu erhalten, in

den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung

ua ausgeführt, der frühere Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen und jetzige

gemeinsame Bundesausschuss habe die neue Untersuchungsmethode im Zeitpunkt der

Behandlung nicht empfohlen gehabt. Auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

(BVerfG) vom 6. 12. 2005 (1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) könne

sich der Kläger nicht stützen, da es als Behandlungsalternative zunächst geboten gewesen sei,

eine Kernspintomographie (MRT) durchzuführen. Das Bestehen eines Erstattungsanspruchs

könne auch nicht von nachträglichen Umständen - wie den durch die Tomographien (MRT und

PET) gewonnenen Erkenntnissen - abhängig sein (Urteil vom 2. 11. 2006).



[Abs. 2] Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-

Urteil und beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits, Divergenz und Ver-

fahrensfehler.



II



[Abs. 3] Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozial-

gerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2

Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisions-

zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung, der Divergenz und des Verfahrensfehlers

(Zulassungsgründe des § 160 Abs 2 Nr 1, 2 und 3 SGG).



[Abs. 4] 1. Die Beschwerde legt den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht hinreichend

dar. Den Darlegungserfordernissen an eine Grundsatzrüge genügt eine Nichtzulassungsbe-

schwerde nur dann, wenn eine Rechtsfrage klar formuliert und ausgeführt wird, inwiefern diese

Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig

und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38;

BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die

Beschwerde sieht folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam an:

"1) Setzt eine Eintrittspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung außerhalb des Leis-

tungskatalogs gemäß den Grundsätzen der Entscheidung des BVerfG vom



- 3 -



6. Dezember 2005 ausnahmslos und in jedem Fall voraus, dass zuvor das

- theoretische - Spektrum der im Leistungskatalog enthaltenen Behandlungs-/Unter-

suchungsmethoden durchgeführt wurde, oder kommt es entscheidend auf deren

Geeignetheit und Erfolgsaussichten im konkreten Fall an?



2) Ist es dem Patienten in den unter 1) genannten Fällen verwehrt, die fehlende Geeig-

netheit bzw Erfolgsaussicht der im Leistungskatalog enthaltenen Methoden dadurch

nachzuweisen, dass er diese nach Inanspruchnahme der streitgegenständlichen

Behandlung noch durchführen lässt und sich deren Erfolglosigkeit ergibt?"



[Abs. 5] Die Beschwerde hält zudem die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "wie die vom BVerfG in der

oa Entscheidung aufgestellten Grundsätze im Falle von Diagnostikmethoden umzusetzen sind".



[Abs. 6] Hinsichtlich der Fragen zu 1) und 2) bedarf es keiner Entscheidung, ob damit eine Rechtsfrage

hinreichend klar bezeichnet ist, denn die Beschwerde geht jedenfalls nicht hinreichend auf die

Klärungsbedürftigkeit der Fragen ein. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Recht-

sprechung entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB BSG SozR

3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52). Soll gleichwohl eine

grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage geltend gemacht werden, obliegt es dem

Beschwerdeführer darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher

Begründung der Rechtsprechung widersprochen worden ist bzw die Anforderungen der

Rechtsfrage umstritten sind (vgl zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52 mwN). Daran fehlt es.

Die Beschwerde setzt sich nicht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander,

wonach es für die Prüfung der Frage, ob eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard

entsprechende Behandlung zur Verfügung steht, auf die konkreten Verhältnisse des Einzelfalls

ankommt (vgl zB BSG, Urteil vom 4. 4. 2006 - B 1 KR 7/05 R - SozR 4-2500 § 31 Nr 4,

RdNr 21, 31, Tomudex; BSG, Urteil vom 26. 9. 2006 - B 1 KR 1/06 R - RdNr 26 ff, - Ilomedin,

zur Veröffentlichung vorgesehen mwN). Die Beschwerde geht auch nicht auf die

Rechtsprechung ein, wonach für die fehlende Geeignetheit oder Erfolgsaussicht einer

Behandlungsmethode auf den Zeitpunkt der Behandlung, nicht aber auf einen späteren

Zeitpunkt abzustellen ist (vgl zB BSG, Urteil vom 4. 4. 2006 - B 1 KR 12/05 R - RdNr 23 mwN -

interstitielle Brachytherapie, zur Veröffentlichung vorgesehen; BSG, Urteil vom 7. 11. 2006 - B 1

KR 24/06 R - RdNr 15, LITT, zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Beschwerde hat sich

schließlich auch nicht mit derjenigen Rechtsprechung auseinandergesetzt, nach welcher im

Rahmen der Würdigung der voraussichtlichen Erfolgschancen einer Methode zu

Behandlungsbeginn auch später publizierte Kenntnisse Berücksichtigung finden können, soweit

diese im Behandlungszeitpunkt bereits vorgelegen haben (vgl zB BSG, Urteil vom 26. 9. 2006 -

B 1 KR 1/06 R - RdNr 25, 27 - Ilomedin, zur Veröffentlichung vorgesehen; BSG, Urteil vom

7. 11. 2006 - B 1 KR 24/06 R - RdNr 32 ff, LITT, zur Veröffentlichung vorgesehen).



- 4 -



[Abs. 7] Mit der dritten Frage hat die Beschwerde demgegenüber bereits eine Rechtsfrage nicht hinrei-

chend klar formuliert, sondern lediglich eine generelle Problematik aufgezeigt, vergleichbar

etwa mit dem - ebenfalls nicht ausreichenden - Vorbringen, eine Norm sei verfassungswidrig

(vgl zu Letzterem zB BSG, Beschluss vom 22. 7. 1993 - 11 BAr 5/92; BSGE 40, 158 = SozR

1500 § 160a Nr 11; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 45). Zudem hat sich die Beschwerde auch

insoweit nicht mit der Klärungsbedürftigkeit in Würdigung der höchstrichterlichen

Rechtsprechung auseinander gesetzt, ebenso wenig wie mit der Entscheidungserheblichkeit

der Frage.



[Abs. 8] 2. Soweit sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG beruft und

geltend macht, das LSG-Urteil sei vom Beschluss des BVerfG vom 6. 12. 2005 (aaO) abge-

wichen und beruhe auf dieser Abweichung, fehlt es an § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügenden

Darlegungen. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss entscheidungstragende ab-

strakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einer höchstrichterlichen

Entscheidung andererseits gegenüberstellen und begründen, weshalb diese miteinander unver-

einbar seien (vgl zB BSG, Beschluss vom 27. 6. 2005 - B 1 KR 43/04 B; BSG, Beschluss vom


18. 7. 2005 - B 1 KR 110/04 B mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichen-

den Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich nur fehlerhaft das Recht angewendet hat

(vgl zB BSG, Beschluss vom 15. 1. 2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160

Nr 26 S 44 f). An der Darlegung eines vom LSG bewusst abweichend aufgestellten Rechtssat-

zes fehlt es. Das LSG hat ausgeführt, der Kläger könne sich nicht auf den Beschluss des

BVerfG vom 6. 12. 2005 (aaO) stützen, da eine schulmedizinische Behandlungsmethode zur

Verfügung gestanden habe. Es sei zunächst geboten gewesen, eine Kernspintomographie

durchzuführen. Wieso die Beschwerde ausgehend von diesen rechtlichen Überlegungen des

LSG zu der Ansicht gelangt, das LSG habe die Auffassung vertreten, alle Behandlungsalterna-

tiven müssten vorab - ungeachtet ihrer Erfolgsaussicht und Geeignetheit im konkreten Fall -

abgespult worden sein, bevor die Rechtsprechung des BVerfG greife, hat sie nicht dargelegt.

Im Kern wendet sich die Beschwerde insoweit vielmehr gegen die Feststellung des LSG, die

Durchführung einer Kernspintomographie sei vorrangig geboten gewesen. Damit legt sie aber

nicht eine Divergenz im Rechtssinne dar.



[Abs. 9] 3. Mit ihrem Vorbringen, das LSG hätte ein Sachverständigengutachten zur Eignung und zum

Erfolg einer Kernspintomographie und zur Überlegenheit der PET einholen müssen, legt die Be-

schwerde ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) nicht hinreichend dar. Nach

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend ge-

macht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Ver-

fahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf

eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag be-

zieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Danach hätte die Be-

schwerde im Einzelnen aufzeigen müssen, dass ein Beweisantrag in der Sitzungsniederschrift



- 5 -



protokolliert oder im Urteilstatbestand aufgeführt worden ist, den das Gericht übergangen hat

(vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20; SozR 1500 § 160 Nr 64). Entsprechender Vortrag fehlt.

Stellt ein anwaltlicher Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung beim LSG - wie im Falle

des Klägers - nur noch einen Sachantrag, darf das Gericht davon ausgehen, dass andere,

zuvor schriftsätzlich gestellte Beweisanträge nicht weiter verfolgt werden sollen (vgl BSG SozR

4-1500 § 160 Nr 1 S 2).



[Abs. 10] 4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 3 SGG).



[Abs. 11] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 1 KR 149/06 B vom 15.01.2007, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT



Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 149/06 B



Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte:



gegen



Hanseatische Ersatzkasse,

Wandsbeker Zollstraße 86-90, 22041 Hamburg,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.



Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 15. Januar 2007 durch den

Präsidenten von W. sowie die Richter Dr. K.

und Dr. H.



beschlossen:



Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil

des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. September 2006 wird als

unzulässig verworfen.



Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.



- 2 -



Gründe:



I



[Abs 1] Der bei der beklagten Ersatzkasse pflichtversicherte Kläger, kaufmännischer Angestellter mit

Anspruch auf sechsmonatige Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall, bezog

Krankengeld (Krg) ab 25. April 2000 wegen derselben Krankheit (Wirbelsäulenleiden und

somatisierte Depression) für 78 Wochen - unter Einrechnung der Zeit fortgezahlten Arbeits-

entgelts - bis zum 26. November 2002. Trotz bis zum 6. Januar 2003 ärztlich bescheinigter

Arbeitsunfähigkeit (AU) nahm der Kläger im Dezember 2002 seine Arbeit wieder auf. Wegen

erneuter AU zahlte seine Arbeitgeberin vom 28. Januar bis zum 27. Juli 2003 Arbeitsentgelt

fort. Mit seinem Begehren, ab 28. Juli 2003 Krg für weitere 140 Tage zu erhalten, ist der Kläger

in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ua ausgeführt,

die Voraussetzungen eines Krg-Anspruchs nach § 48 Abs 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch

(SGB V) seien ab 28. Juli 2003 nicht erfüllt. Der Kläger habe im Dreijahreszeitraum vom

25. April 2000 bis zum 24. April 2003 wegen derselben Krankheit für 78 Wochen Krg bezogen.

Die sechsmonatige Fortzahlung des Arbeitsentgelts, die den Krg-Anspruch zum Ruhen

gebracht habe (§ 49 Abs 1 Nr 1 SGB V), sei nach § 48 Abs 3 Satz 1 SGB V wie eine Zeit des

Bezugs vom Krg zu berücksichtigen. Nach Beginn des neuen Dreijahreszeitraums mit dem

25. April 2003 habe wegen derselben Krankheit kein neuer Anspruch auf Krg bestanden, weil

der Kläger wegen derselben Krankheit weiterhin arbeitsunfähig und nicht erwerbstätig gewesen

sei oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden habe. Die Anrechnung des

sechsmonatigen Entgeltfortzahlungszeitraums auf den Krg-Bezug verstoße nicht gegen den

allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art 3 Abs 1 Grundgesetz (Urteil vom 14. September 2006).

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-



[Abs 2] Urteil und beruft sich auf Divergenz und auf die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits.



II



[Abs 3] Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozial-

gerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2

Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisions-

zulassungsgründe der Divergenz und der grundsätzlichen Bedeutung (Zulassungsgründe des

§ 160 Abs 2 Nr 2 und 1 SGG).

[Absatz 4] 1. Soweit sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG beruft und

geltend macht, das LSG-Urteil sei vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

(BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6) abgewichen, fehlt es an § 160a Abs 2 Satz 3 SGG



- 3 -



genügenden Darlegungen. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss entscheidungs-

tragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einer höchst-

richterlichen Entscheidung andererseits gegenüberstellen und begründen, weshalb diese mit-

einander unvereinbar seien (vgl zB BSG, Beschluss vom 27. Juni 2005 - B 1 KR 43/04 B; BSG,

Beschluss vom 18. Juli 2005 - B 1 KR 110/04 B mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst

einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich nur fehlerhaft das

Recht angewendet hat (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f). An der Darlegung

eines vom LSG bewusst abweichend aufgestellten Rechtssatzes fehlt es. Die Beschwerde legt

lediglich dar, dass das LSG einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz unter

Hinweis auf Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE 79, 224 = SozR 2200 § 180 Nr 46; 53, 313

= SozR 4100 § 168 Nr 12) verneint hat, nicht aber die von der Beschwerde für einschlägig

erachtete Entscheidung des BVerfG vom 11. Januar 1995 (BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200

§ 385 Nr 6) zugrunde gelegt hat. Damit legt die Beschwerde indessen keine Divergenz im

Sinne eines bewussten Aufstellens abweichender Rechtssätze dar.



[Abs 5] 2. Die Beschwerde legt auch den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht hinrei-

chend dar. Den Darlegungserfordernissen an eine Grundsatzrüge genügt eine Nichtzulas-

sungsbeschwerde nur dann, wenn eine Rechtsfrage klar formuliert und ausgeführt wird, inwie-

fern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungs-

bedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a

Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).

Die Beschwerde sieht die Frage als grundsätzlich bedeutsam an, ob die Bestimmung des § 48

Abs 3 Satz 1 SGB V verfassungsgemäß ist. Es bedarf keiner Entscheidung, ob damit eine

Rechtsfrage hinreichend klar bezeichnet ist, obwohl die bloße Behauptung der Verfassungswid-

rigkeit einer Norm hierfür regelmäßig nicht genügt (vgl zB BSG, Beschluss vom 22. Juli 1993

- 11 BAr 5/92; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; vgl auch BVerfG SozR 1500 § 160a

Nr 45). Auch wenn man insoweit die Begründung zum Vorliegen einer Divergenz in die

Beschwerdebegründung für die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache einbezieht, geht

die Beschwerde jedenfalls nicht hinreichend auf die Klärungsbedürftigkeit der Frage ein. Ist eine

Frage bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, ist sie grundsätzlich

nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG SozR 1500 § 160

Nr 51 S 52). Soll gleichwohl eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage geltend gemacht

werden, obliegt es dem Beschwerdeführer darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite

und mit welcher Begründung der Rechtsprechung widersprochen worden bzw die Anforderun-

gen der Rechtsfrage umstritten ist (vgl zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52 mwN). Daran fehlt

es. Die Beschwerde nimmt schon nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung in den Blick, die

bereits die Vorgängerregelung in § 189 Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 385 RVO als

eine verfassungskonforme Ausgestaltung des Leistungsrechts angesehen hat (vgl BSGE 56,

191 = SozR 2200 § 385 Nr 6). Zudem geht die Beschwerde nicht auf die Rechtsprechung ein,

wonach der Ausschluss von Doppelleistungen, der der Ruhensregelung in § 49 SGB V



- 4 -



zugrunde liegt, und an den § 48 Abs 3 Satz 1 SGB V anknüpft, aus Gründen der Gleichbehand-

lung nicht nur sachlich gerechtfertigt, sondern geradezu als geboten angesehen werden kann

(vgl BSG SozR 3-2500 § 49 Nr 3 S 8 mwN). Schließlich setzt sich die Beschwerde auch nicht

damit auseinander, dass die von ihr selbst zitierte Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 92, 53,

71 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6 S 21) es als verfassungskonform ansieht, dass im

Sozialversicherungsrecht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einerseits Maßstab für die

Heranziehung zu Beiträgen ist, andererseits die durch den Versicherungsfall verursachte

Einbuße an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit Maßstab für die Berechnung von Lohner-

satzleistungen ist. Fehlt es an einer durch den Versicherungsfall verursachten Einbuße an wirt-

schaftlicher Leistungsfähigkeit, ist - jedenfalls ohne eingehende, hier fehlende Darlegungen -

nicht ersichtlich, wieso Raum für Lohnersatzleistungen sein soll. Ebenso wenig ist ohne

entsprechende, hier nicht vorhandene Darlegungen ersichtlich, wieso derjenige, der volles

Arbeitsentgelt bezieht, beitragsrechtlich zu privilegieren wäre. Die Beschwerde geht auch nicht

darauf ein, dass vorliegend lediglich die Leistungs-, nicht aber die Beitragsseite betroffen ist.



[Abs 6] 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 3 SGG).



[Abs 7] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 1 KR 128/09 B vom 21.01.2009, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 128/09 B
L 5 KR 100/08 (LSG Rheinland-Pfalz)
S 5 KR 118/06 (SG Trier)

Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigter:

gegen

BARMER GEK,

Axel-Springer-Straße 44, 10960 Berlin,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21. Januar 2010 durch den
Präsidenten M., den Richter Dr. K. und die Richterin
Dr. B.
beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. August 2009 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

[Abs 1]
Die 1957 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versichert gewesene Klägerin, die an se-
kundär progredienter Multipler Sklerose leidet, ist mit ihrem Begehren auf Erstattung der ihr von
März 2005 bis 28.2.2009 entstandenen Kosten (132 Euro pro Quartal, insgesamt 2.112 Euro)
für das Mittel "Algonot plus" in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landes-
sozialgericht (LSG) hat die Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil
zurückgewiesen und ua ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1
Fall 2 SGB V: Das hier betroffene Mittel unterfiele - wäre es ein Arzneimittel - mangels erforder-
licher arzneimittelrechtlicher Zulassung nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenver-
sicherung. Wäre "Algonot plus" dagegen als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel ein-
zustufen, scheitere die Leistungspflicht der Beklagten daran, dass solche Mittel grundsätzlich
nicht beansprucht werden könnten und dass die Bestandteile des Mittels nicht unter die Aus-
nahmeregelungen fielen, die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) nach § 31 Abs 1
Satz 2 SGB V in den Arzneimittel-Richtlinien festgelegt habe. Leistungsrechtliche Er-
leichterungen kämen weder unter dem Blickwinkel eines sog Seltenheitsfalls noch unter
demjenigen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6.12.2005
(BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) in Betracht; die Krankheit der Klägerin sei nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht als lebensbedrohlich einzustufen und
stehe einer solchen Krankheit auch nicht gleich. Ferner fehle es an einer nicht ganz fern
liegenden Aussicht auf eine positive Einwirkung des Mittels auf den Krankheitsverlauf (Urteil
vom 20.8.2009).

[Abs 2]
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-
Urteil.

II

[Abs 3]
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a
Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Re-
visionszulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 2 SGG.

[Abs 4]
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160
Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese
Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig

- 3 -

und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38;
BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die
Klägerin formuliert die Rechtsfrage, "ob die Arzneimittelrichtlinien den gesetzlichen An-
forderungen des § 34 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB V sowie § 92 Abs 2 Satz 2 SGB V entsprechen";
sie meint, die Vorgehensweise des GBA führe "zwangsläufig zu einem ... Systemversagen".
Damit werden die Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung indessen
nicht erfüllt. Die Klägerin übersieht, dass sich das LSG in dem hier zu entscheidenden Fall -
anders als in dem Beschwerdeverfahren B 1 KR 127/09 B - gar nicht auf Ausnahmeindikationen
von der Verschreibungspflicht nach § 34 SGB V gestützt hat, sondern auf andere tatsächliche
und rechtliche Gesichtspunkte (fehlende Arzneimittelzulassung; fehlende Ausnahmeindikation
für Lebens- bzw Nahrungsergänzungsmittel nach § 31 Abs 1 Satz 2 SGB V). Damit aber fehlt
es schon an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage.

[Abs 5]
2. Die Klägerin macht als Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG geltend, das LSG-
Urteil weiche vom Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (aaO) ab. Auch damit kann sie jedoch
nicht durchdringen. Um eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den Anforderungen des
§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG darzulegen, müssen nämlich entscheidungstragende abstrakte
Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in dem heran-
gezogenen höchstrichterlichen Urteil andererseits gegenübergestellt und Ausführungen dazu
gemacht werden, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB Leitherer in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 160a RdNr 15 ff, § 160 RdNr 10 ff,
jeweils mwN). Das Beschwerdevorbringen enthält darauf bezogen keine hinreichenden Aus-
führungen. Es wird schon nicht behauptet, dass das LSG (das dem BVerfG folgen wollte) einen
vom BVerfG abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt habe, aus dem sich das Bedürf-
nis nach Herstellung von Rechtseinheit in einem Revisionsverfahren ergibt. Geltend gemacht
wird im Kern vielmehr nur, dass das LSG-Urteil auf einer fehlerhaften Anwendung der Recht-
sprechung des BVerfG beruhe; dazu wird dann auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen
der Klägerin verwiesen, welche abweichend von der Einschätzung des LSG das Kriterium der
besonderen Krankheitsschwere erfüllten (die wiederum erst Voraussetzung für eine grund-
rechtsorientierte Erweiterung des Leistungsspektrums auf der Rechtsfolgenseite wäre). Das
Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde dient indessen nicht dazu, die angezweifelte sach-
liche Richtigkeit der Begründung des LSG erneut durch das BSG umfassend überprüfen zu
lassen.

[Abs 6]
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

[Abs 7]
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 1 KR 110/04 B vom 18.07.2005, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT







Beschluss







in dem Rechtsstreit







Az: B 1 KR 110/04 B







Klägerin und Beschwerdeführerin,







Prozessbevollmächtigte:







gegen







Deutsche Angestellten-Krankenkasse,



Nagelsweg 27-31, 20097 Hamburg,







Beklagte und Beschwerdegegnerin.







Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 18. Juli 2005 durch den



Präsidenten von W. sowie die Richter Dr. K.



und Dr. H.



beschlossen:







Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-



sozialgerichts Hamburg vom 14. Juli 2004 wird als unzulässig verworfen.



Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.









- 2 -







Gründe:



I







[Abs 1] Die am 30. November 1995 geborene Klägerin ist mit ihrem Begehren, wegen idiopathischen



Kleinwuchses ab 14. Juli 2004 von der Beklagten eine Therapie mit dem für diese Indikation



nach deutschem Arzneimittelrecht nicht zugelassenen Arzneimittel Somatropin zu erhalten, in



den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ua ausgeführt, die



Voraussetzungen des Anspruchs aus § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch



(SGB V) und § 31 Abs 1 SGB V seien unter Berücksichtigung der Einschränkungen aus § 2



Abs 1 Satz 3 SGB V und § 12 Abs 1 SGB V nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundes-



sozialgerichts (, Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R, BSGE 89, 184 = SozR



3-2500 § 31 Nr 8) nicht erfüllt. Es bleibe dahingestellt, ob und wann ein (idiopathischer) Klein-



wuchs eine Krankheit iS von § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V sei. Von einer schwerwiegenden



(lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkran-



kung könne der Senat nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung nicht ausgehen, zu-



mal sich die Klägerin noch in vorpubertärem Alter befinde und ihr Wachstumsprozess nicht



abgeschlossen sei. Selbst wenn man dies aber und zugleich unterstelle, dass eine andere The-



rapie nicht verfügbar sei, könne jedenfalls von einem Konsens in den einschlägigen



Fachkreisen über einen voraussichtlichen Nutzen des Arzneimittels nicht gesprochen werden



(Urteil vom 14. Juli 2004).







[Abs 2] Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-



Urteil. Sie macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz und Verfahrens-



fehler geltend.









II









[Abs 3] Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozial-



gerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2



Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisions-



zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1, 2 und 3 SGG.







[Abs 4] 1. Soll die Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechts-



sache zugelassen werden, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung



dargelegt werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hierzu ist es nach der ständigen Rechtspre-



chung des BSG erforderlich, eine Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, dass sie



über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, und dass die Rechtsfrage klärungsbe-



dürftig sowie klärungsfähig ist, dh sie im Falle der Zulassung der Revision entscheidungserheb-



lich wäre (vgl Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 6/04 B; BSG SozR 3-1500









- 3 -









§ 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f



mwN). Wird ein Urteil - wie vorliegend - nebeneinander auf mehrere selbstständige Begründun-



gen gestützt, so kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zur Zulassung der Revision



führen, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt und form-



gerecht gerügt wird (vgl Senat, Beschluss vom 24. März 2005, B 1 KR 94/04 B; Senat, Be-



schluss vom 16. Juni 1998, B 1 KR 5/98 B; BSG SozR 1500 § 160a Nr 38; Hennig, SGG,



§ 160a RdNr 207 mwN). Hieran fehlt es. Das LSG hat die Berufung der Klägerin



zurückgewiesen,weildergeltendgemachteAnspruchausmehrerenvoneinander



unabhängigen Gründen nicht bestehe: Zum einen sei der idiopathische Kleinwuchs, soweit es



sich überhaupt um eine Krankheit handele, jedenfalls keine schwerwiegende Krankheit. Zum



anderen bestehe auf Grund der Datenlage nicht die begründete Aussicht, dass mit dem



betroffenen Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Im Hinblick auf diese, die



Entscheidung jeweils selbstständig tragenden Begründungen im LSG-Urteil hätte die



Beschwerdefürbeide voneinanderunabhängigeBegründungsstränge



Revisionszulassungsgründe behaupten und darlegen müssen. Daran fehlt es.









[Abs 5] Bereits die Darlegungen der Beschwerde zum ersten Begründungsstrang reichen nicht hin. Die



Beschwerde bezieht sich insoweit auf den Seiten 5 f und 9 f der Beschwerdebegründung auf



mehrere Rechtsfragen, die unterschiedlich formuliert und (teilweise in den Fragestellungen



selbst) mit weiterem tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen untermauert werden. Diese Fra-



gen werden schlussendlich auf Seite 16 sinngemäß und - den Darlegungserfordernissen des



§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechend - hinreichend klar wie folgt zusammengefasst:









[Abs 6] 1. Wann ist eine schwerwiegende, dh die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig



beeinträchtigende Erkrankung anzunehmen?









[Abs 7] 2. KönnenStudienergebnisse ausausländischen abgeschlossenen



Zulassungsverfahren als ausreichende Erkenntnisse zum Nachweis dafür



herangezogen werden, dass mit einem in Deutschland zulassungsüberschreitend



angewandten Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden



kann bzw dass in Fachkreisen Konsens über den Einsatz des Arzneimittels für die



konkrete streitige Indikation besteht?









[Abs 8] Bezüglich dieser Fragen ist indessen nicht erkennbar, dass sie in dem angestrebten Revisions-



verfahren klärungsfähig bzw entscheidungserheblich sein können.









[Abs 9] Insoweit ist von Bedeutung, dass das LSG zu Frage 1. angenommen hat, dass eine die ge-



nannten Ausmaße erreichende Krankheit bei der Klägerin nicht bestehe. Es hat sich dazu zum



einen auf den Wachstumsprozess der Klägerin gestützt, die sich noch in einem vorpubertären



Alter befinde, und zum anderen darauf, dass nach dem Eindruck, den der Senat in der münd-



lichen Verhandlung von der Klägerin gewonnen habe, nicht festgestellt werden könne, dass sie









- 4 -









durch ihre Körpergröße in ihrer Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigt sei. Hinzuweisen ist



weiter darauf, dass der Senat im Sandoglobulin®-Urteil (BSGE 89, 184 191 f = SozR 3-2500



§ 31 Nr 8) den Ausgangspunkt des Vorliegens einer "schwerwiegenden" Erkrankung bereits



dahin näher definiert hat, dass es um eine "lebensbedrohende oder die Lebensqualität auf



Dauer nachhaltig beeinträchtigende" Krankheit gehen muss. Die Beschwerde wirft in



Ergänzung dieser Rechtsprechung letztlich nur die Frage auf, in welcher Weise die



beschriebenen Merkmale weiter konkret auszufüllen sind. Dies wird daran deutlich, dass sie



sich hierzu auf den Seiten 6 bis 9 ihrer Begründung ausführlich mit der besonderen Situation



der Klägerin befasst und sich dazu auf das bei ihr bestehende Leiden (= Kleinwuchs im



Kindesalter) bezieht. Es bestand vor dem aufgezeigten Hintergrund indessen sowohl Anlass, im



Einzelnen darzulegen, dass es bei der aufgeworfenen Frage um eine Rechtsfrage von



allgemeiner, über den Einzelfall der Klägerin und ihre spezifische Erkrankung hinausgehende



Bedeutung geht, als auch die Notwendigkeit darauf einzugehen, dass hier nicht lediglich eine



(mit Blick auf § 163 SGG) nur mit Verfahrensrügen angreifbare Tatfrage im Raum steht. Die



Frage, ob das LSG den Sachverhalt zutreffend unter einen in der höchstrichterlichen



Rechtsprechung bereits mit Auslegungshinweisen versehenen Rechtsbegriff subsumiert hat, ist



regelmäßig kein im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beachtlicher Gesichtspunkt (vgl



§ 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG). Zum anderen kann angesichts der Vielzahl der in der Medizin



diskutierten Krankheitsbilder die Frage nach den Behandlungsmöglichkeiten und dem



Behandlungsanspruch für ein einzelnes Leiden nicht in den Rang einer Rechtsfrage von



grundsätzlicher Bedeutung gehoben werden (vgl zB Beschlüsse des Senats vom 20. Juni 2004



- B 1 KR 1/03 B, vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 92/03 B und vom 21. Dezember 2004 - B 1 KR



11/03 B). Unter dem Blickwinkel, ob die Frage in einem Revisionsverfahren überhaupt



klärungsfähig ist, hätte die Beschwerde vor allem darauf eingehen müssen, dass ein



allgemeiner Bedarf bestehen soll und es überhaupt möglich ist, die im Sandoglobulin-Urteil



aufgestellten Voraussetzungen für einen Off-Label-Use in Bezug auf das streitige Merkmal



revisionsrechtlich weiter zu präzisieren. Hierzu hätte dargelegt werden müssen, dass eine



genauere Konkretisierung der Merkmale unter Zuhilfenahme allgemein gültiger Kriterien



unabhängig von den Verhältnissen im Zusammenhang mit einer einzelnen Krankheit in



Betracht kommt. Daran fehlt es.









[Abs 10] Soweit die Beschwerde mit ihrer zweiten Frage eine weitere Voraussetzung des Off-Label-Use



im Falle der Klägerin für grundsätzlich bedeutsam hält, fehlt es an der Entscheidungserheblich-



keit. Der Senat dürfte - wie dargelegt - in einem Revisionsverfahren schon nicht zu Grunde le-



gen, dass hier das vorgreifliche Merkmal einer bestehenden schwerwiegenden Erkrankung er-



füllt ist.









[Abs 11] 2. Auch soweit sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG be-



ruft und geltend macht, das LSG-Urteil sei vom Urteil des Senats vom 19. Oktober 2004,



B 1 KR 27/02 R (vorgesehen für BSGE und SozR) abgewichen, fehlt es an § 160a Abs 2 Satz 3









- 5 -









SGG genügenden Darlegungen. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss entschei-



dungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einer



höchstrichterlichen Entscheidung andererseits gegenüberstellen und begründen, weshalb diese



miteinander unvereinbar seien (vgl Senat, Beschluss vom 27. Juni 2005, B 1 KR 43/04 B;



Senat, Beschluss vom 28. Februar 2005, B 1 KR 10/04 B; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,



SGG, 8. Aufl 2005, § 160a RdNr 15, § 160 RdNr 10 ff mwN). Daran fehlt es. Die Beschwerde



zitiert zwar Passagen aus dem Urteil des BSG, benennt aber keinen dazu konträren Rechtssatz



des LSG-Urteils, aus dem sich die Notwendigkeit zur Herstellung von Rechtseinheit durch eine



höchstrichterliche Entscheidung ergeben könnte. Während das BSG in der zitierten Entschei-



dung sich mit Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit auseinander setzt, die so selten



auftritt, dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheidet, geht das LSG-Urteil nicht



von einem solchen Sachverhalt aus. Dies stellt indessen keine Divergenz iS eines bewussten



Aufstellens abweichender Rechtssätze dar (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26).









[Abs 12] 3. Soweit die Beschwerde vorbringt, das LSG hätte bezüglich des Vorliegens einer schwerwie-



genden Erkrankung sowie zum Bestehen ausreichender Kenntnisse aus Studien der Phase III



über den Einsatz von Somatropin bei idiopathischem Kleinwuchs Beweis erheben müssen, legt



sie einen Verfahrensfehler nicht in der gebotenen Weise dar. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist



die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, auf dem die ange-



fochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nach



Halbsatz 2 der Regelung auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich



auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.



Insoweit fehlt es an der Bezugnahme auf einen berücksichtigungsfähigen Beweisantrag. Hierzu



geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es jedenfalls rechtskundig vertre-



tenen Beteiligten wie hier der rechtsanwaltlich vertretenen Klägerin obliegt, in der mündlichen



Verhandlung alle diejenigen Anträge zur Niederschrift des Gerichts zu stellen, über die das Ge-



richt entscheiden soll (vgl Senat, Beschluss vom 27. Juni 2005, B 1 KR 40/04 B mwN). Sinn der



erneuten Antragstellung ist es, zum Schluss der mündlichen Verhandlung auch darzustellen,



welche Anträge nach dem Ergebnis der für die Entscheidung maßgebenden mündlichen Ver-



handlung noch abschließend gestellt werden, mit denen sich das LSG dann im Urteil befassen



muss, wenn es ihnen nicht folgt. Dem genügt die Beschwerde mit ihrem Hinweis nicht, die Klä-



gerin habe ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 14. Juli 2004 hilfsweise beantragt,



Dr. A zur Kausalität zwischen Somatropin-Therapie und Wachstum zu vernehmen.



Ungeachtet der Frage, ob damit eine bloße Beweisanregung oder tatsächlich ein Beweisantrag



bezeichnet wird (vgl hierzu §§ 373, 404 Zivilprozessordnung iVm § 118 SGG und Senat,



Beschluss vom 16. März 2005, B 1 KR 19/04 B; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9), bezeichnet die



Beschwerde damit keinen Beweisantrag zum Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung



oder zum Bestehen ausreichender Erkenntnisse. Der Hinweis auf frühere Äußerungen der



Klägerin in Schriftsätzen für das Gericht genügt unter Berücksichtigung der Warnfunktion, die



- wie dargelegt - der Antragswiederholung zukommen soll, gerade nicht.









- 6 -









[Abs 13] Soweit die Beschwerde mit dem Vortrag, die Klägerin habe nicht davon ausgehen müssen,



dass das Gericht den mit Schriftsatz vom 11. Juli 2004 vorgelegten Urkunden keine Beachtung



schenke, beabsichtigt haben sollte, die Gehörsrüge zu erheben, so ist diese ebenfalls nicht hin-



reichend dargelegt. Die Beschwerde setzt sich insoweit nicht damit auseinander, dass das



LSG-Urteil ausdrücklich auf Seite 7 im ersten Absatz der Entscheidungsgründe auf die



überreichten Urkunden, das Schreiben der Fa. Lvom 9. Juli 2004, eingeht und den



kanadischen Pädiater Prof. G zitiert hat, der nicht davon ausgehe, "dass gesunde



Kleinwüchsige unterm Strich von der Therapie profitieren" würden. Im Kern geht es der



Beschwerde auch an dieser Stelle um die Beweiswürdigung des LSG-Urteils. Nach § 160 Abs 2



Nr 3 2. Halbsatz SGG kann die Beschwerde aber nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1



Satz 1 SGG gestützt werden.







[Absatz 14] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

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BSG, B 14 EG 6/98 B vom 28.01.1999, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT


Beschluß
in dem Rechtsstreit



Az: B 14 EG 6/98 B



Klägerin und Beschwerdeführerin,
Prozeßbevollmächtigter:



gegen



Land Nordrhein-Westfalen,
vertreten durch das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen,
Von-Vincke-Straße 23-25, 48143 Münster,
Beklagter und Beschwerdegegner.



Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat am 28. Januar 1999 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. L. , die Richter Dr. U. und
Dr. N. sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. D. und die
ehrenamtliche Richterin P.
beschlossen:


Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil
des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. April 1998 wird zurück-
gewiesen.



Kosten sind nicht zu erstatten.



-2-

Gründe:



Die Klägerin begehrt rückwirkende Gewährung von Erziehungsgeld (Erzg) für ihre 1987
geborene Tochter. Sie lebte während der möglichen Bezugszeit des Erzg mit ihrer Familie
in Belgien. Ein seinerzeit gestellter Antrag ist von dem Beklagten unter Hinweis auf ihren
Wohnsitz durch bindenden Bescheid abgelehnt worden. Im Hinblick auf das Urteil des Eu-
ropäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen H und Z (C 245/94 und
312/94) machte die Klägerin im November 1996 erneut den Anspruch auf Erzg geltend;
ihr stehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu, da sie einen Antrag auf Überprü-
fung des bindenden Bescheides und auf Gewährung von Erzg innerhalb der Ausschluß-
frist des § 44 Abs 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nur deshalb versäumt habe,
weil der Beklagte bei der Bescheidung der von ihr anläßlich der Geburt weiterer Kinder in
den Jahren 1990 und 1992 gestellten Anträge auf Erzg weiterhin seine unzutreffende
Rechtsauffassung zugrunde gelegt und sie nicht darauf hingewiesen habe, daß die Frage
der Erzg-Berechtigung von deutschen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in einem anderen
Mitgliedstaat der Europäischen Union und einem Beschäftigungsverhältnis in Deutschland
bereits Gegenstand eines Rechtsstreits vor dem Landessozialgericht (LSG) gewesen und
von diesem anders beurteilt worden sei als von dem Beklagten. Aus diesem
Fehlverhalten sei ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen, der die
Versäumung der Ausschlußfrist des § 44 Abs 4 SGB X heile. In den Vorinstanzen hatte
die Klägerin keinen Erfolg. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.


Mit der dagegen erhobenen Beschwerde macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeu-
tung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ) und einen Verfah-
rensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend. Die Frage, ob die Begrenzung einer rückwir-
kenden Leistungsgewährung auf einen Zeitraum von vier Jahren in § 44 Abs 4 SGB X
auch auf den der Klägerin hier zustehenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruch an-
zuwenden sei, sei in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht einheit-
lich entschieden worden, was sich insbesondere aus den Urteilen des BSG in SozR 1300
§ 44 Nr 18 einerseits sowie in SozR 1300 § 44 Nr 17 und BSGE 60, 158 andererseits er-
gebe. Diese Rechtsfrage bedürfe weiterer Klärung. Außerdem habe das LSG das Recht
der Klägerin auf Gehör verletzt, weil es das Vorbringen der Klägerin unberücksichtigt ge-
lassen habe, daß dem Beklagten die europarechtliche Fragestellung rechtzeitig bekannt
gewesen sei.


Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Sie kann eine Zulassung der Revision we-
der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch
wegen des Vorliegens eines Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründen. Die
Revision kann wegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur zugelassen
werden, wenn die zu entscheidende Rechtsfrage klärungsbedürftig und klärungsfähig ist.
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus

-3-



dem Gesetz beantworten läßt und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht
entschieden worden ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Klärungsfähig ist die Rechts-
frage nur, wenn sie im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (vgl
BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.


Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die Anwendung des sozial-
rechtlichen Herstellungsanspruchs dann nicht in Betracht kommt, wenn das fehlerhafte
Handeln der Verwaltung (nur) in einer falschen Sachentscheidung liegt und sich die Fol-
gen darin erschöpfen. Denn für das in richterlicher Rechtsfortbildung entwickelte
Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist nur dort Raum, wo es an
gesetzlichen Regelungen fehlt (vgl zuletzt Bundesverwaltungsgericht, NJW 1997, 2966).
Dies ist hinsichtlich der Behandlung rechtswidriger Verwaltungsakte nicht der Fall. Hier
hat der Gesetzgeber dem Betroffenen zunächst das Recht eingeräumt, die im SGG vor-
gesehenen Rechtsbehelfe einzulegen (Widerspruch, Klage, Berufung usw). Ist ein derar-
tiger Bescheid bestandskräftig geworden (vgl § 77 SGG), besteht die Möglichkeit eines
Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X. Damit ist die Korrektur von Verwaltungsentschei-
dungen, welche die Rechte eines Betroffenen verletzen, grundsätzlich abschließend ge-
regelt (so die neueste Rechtsprechung des BSG im Anschluß an: BSGE 60, 158, 164 ff
= SozR 1300 § 44 Nr 23, vgl Urteil des 13. Senats vom 30. Oktober 1997 - 13 RJ 71/96
= SGb 1998, 110 sowie Urteil des 5. Senats vom 18. Juni 1997 - 5 RJ 36/96 = NZS 1998,
247, beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).


Allerdings hat die Rechtsprechung des BSG einen Herstellungsanspruch dann für möglich
gehalten, wenn sich der Nachteil des Betroffenen nicht in der Versagung der Leistung
durch einen bindend gewordenen Bescheid erschöpft, sondern darauf beruht, daß der
Betroffene im Vertrauen auf die Richtigkeit der dem Bescheid zugrundeliegenden Rechts-
auffassung andere, ihm günstige Maßnahmen unterlassen hat (BSG SozR 1300 § 44
Nr 18), insbesondere eine anderweitige rechtzeitige Antragstellung. Insoweit ist der Vor-
trag der Klägerin nachvollziehbar, daß die ebenfalls unrichtigen späteren Bescheide über
das Erzg für die weiteren Kinder von 1990 und 1992 als solche zwar nach § 44 SGB X
korrigierbar waren und insoweit, als es um die Leistungsversagung in diesen beiden Fäl-
len ging, die Anwendung des Herstellungsanspruchs ausschlossen, nicht aber insoweit,
als der erste, hier streitige Fall betroffen ist, für den als Fehlverhalten der Verwaltung nicht
nur die falsche Bescheiderteilung an sich, sondern eine Bestätigung der falschen Rechts-
auffassung in den nachfolgenden Bescheiden sowie eine unterbliebene Aufklärung über
die anderweitig anhängigen Verfahren geltend gemacht wird, was zur Versäumung der
Frist des § 44 Abs 4 SGB X geführt habe.


Auch wenn die Klägerin im Wege des Herstellungsanspruchs so gestellt werden müßte,
daß ihr erst 1996 gestellter "Zugunstenantrag" bereits als 1992 gestellt gilt, führt dies je-
doch nicht dazu, daß ihr Leistungen rückwirkend ab 1988 zu gewähren wären. Denn es ist

-4-



- wie das BSG bereits geklärt hat (vgl BSGE 60, 245) - auf den Herstellungsanspruch die
eine rückwirkende Leistungsverpflichtung begrenzende Vorschrift des § 44 Abs 4 SGB X
entsprechend anwendbar, so daß hier eine nachträgliche Leistung für die Zeit vor 1992
nicht mehr in Betracht kommt. Auch wenn der Fall einer Wiedereinsetzung wegen
Versäumung der Frist des § 44 Abs 4 SGB X im Wege des Herstellungsanspruchs (vgl
dazu Ladage, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1990, 87, 92) in der Rechtspre-
chung des BSG noch nicht entschieden worden ist, bedarf es nicht der Durchführung ei-
nes Revisionsverfahrens in dieser Sache. Die Entscheidung läßt sich ohne weiteres an-
hand der bisherigen Rechtsprechung treffen, die § 44 Abs 4 SGB X als Ausdruck eines
allgemeinen Rechtsgedankens bezeichnet hat, der eine mehr als vier Jahre zurückrei-
chende Leistungserbringung ausschließt (BSGE 60, 245).


Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen
Gehörs kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil er - als gegeben unterstellt - in
der Sache nicht zum Erfolg führen könnte.



Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, B 11a AL 11/07 B vom 23.01.2007, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluss
in dem Rechtsstreit
Az: B 11a AL 11/07 B

L 3 AL 2271/04 (LSG Baden-Württemberg)
S 5 AL 2169/98 (SG Konstanz)

.....................................................,
Klägerin und Beschwerdeführerin,
Prozessbevollmächtigter:
............................................................,

g e g e n


Bundesagentur für Arbeit,
Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,
Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 11a. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21. August 2007 durch
die Vizepräsidentin Dr. W.-S. sowie den Richter
Dr. V. und die Richterin Dr. R.

beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landes-
sozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Dezember 2006 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.


- 2 -

G r ü n d e :

[1] Die ausschließlich auf Verfahrensfehler des Landessozialgerichts (LSG) gestützte Beschwerde
ist unzulässig, da ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialge-
richtsgesetz (SGG) entspricht.

[2] Nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muss in der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde ein
geltend gemachter Verfahrensmangel bezeichnet werden. Eine ordnungsgemäße Bezeichnung
setzt voraus, dass die verletzte Verfahrensnorm und die eine Verletzung vermeintlich begrün-
denden Tatsachen substantiiert und schlüssig dargelegt werden (stRspr, ua BSG SozR 1500
§ 160a Nr 14 und SozR 3-1500 § 73 Nr 10). Eine solche Darlegung ist der von der Beschwer-
deführerin vorgelegten Begründung nicht zu entnehmen.

[3] Die Beschwerdeführerin rügt in ihrer Beschwerdebegründung vom 23. Januar 2007, das LSG
habe das rechtliche Gehör (§ 62 SGG) dadurch verletzt, dass es am 13. Dezember 2006 ent-
schieden habe, obwohl sie mit Schreiben vom 12. Dezember 2006 die Aufhebung des Termins
und eine Verschiebung um sechs Wochen beantragt habe. Es kann dahinstehen, ob in der Be-
schwerdebegründung überhaupt hinreichende Gründe für eine Terminverlegung wegen Ver-
hinderung dargelegt werden. Ein erheblicher Grund für eine Terminverlegung liegt grundsätzlich
nur bei einer plötzlichen Verhinderung vor (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 8. Aufl
2005, § 62 Rz 6d mwN). Zweifel an der Plötzlichkeit der Verhinderung, die durch die Beschwer-
debegründung nicht beseitigt werden, ergeben sich insbesondere aus der Art der behaupteten
Umstände.

[4] Abgesehen davon, dass die Beschwerdebegründung den Verfahrensgang in der Vorinstanz
nicht lückenlos nachgezeichnet hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 62), fehlt es jedenfalls
an einem schlüssigen Vortrag zu der Frage, in welcher Weise der Vertagungsgrund durch die
Klägerin glaubhaft gemacht worden ist. Nach dem gemäß § 202 SGG auch im Verfahren der
Sozialgerichtsbarkeit anwendbaren § 227 Abs 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein
Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder vertagt werden. Die Entscheidung liegt im
Ermessen des Vorsitzenden bzw des Gerichts, doch hat das Gesetz Maßnahmen dieser Art zur
Straffung des Verfahrens an erhebliche Gründe geknüpft, die nach § 227 Abs 2 ZPO auf
Verlangen des Vorsitzenden bzw des Gerichts glaubhaft zu machen sind. Die Klägerin macht
zwar geltend, dass sowohl sie als auch ihre Bevollmächtigten erkrankt bzw aus pflegerischen
Gründen an einer Terminwahrnehmung verhindert gewesen seien. In der Beschwerde-
begründung wird jedoch nicht dargelegt, dass sie der Anforderung des Gerichts (vom
8. Dezember 2006), ihre Verhinderung und die Verhinderung ihrer Bevollmächtigten durch Vor-
lage entsprechender Belege (Arztbescheinigung etc) glaubhaft zu machen, nachgekommen sei.
Es ist lediglich vorgetragen worden, es sei eine ärztliche Bescheinigung hinsichtlich der
Arbeitsunfähigkeit des Ehemanns der Klägerin sowie dessen Schwerbehindertenausweis vor-


- 3 -

gelegt worden. In der Beschwerdebegründung wird jedoch nicht aufgezeigt, dass ein derartiger
Nachweis hinsichtlich der Klägerin und der weiteren Prozessbevollmächtigten C Z ge-
führt worden ist. Soweit sich in der Beschwerdebegründung die Behauptung findet, es seien für
C Z diesbezüglich "Auskünfte" vorgelegt worden, ergibt sich jedenfalls nicht nachvoll-
ziehbar, welchen genauen Inhalt die angeblichen Auskünfte gehabt haben sollen. Dies wäre
aber erforderlich gewesen, um darzulegen, dass ein erheblicher Grund tatsächlich glaubhaft
gemacht worden ist. Denn die Erkrankung bzw sonstige Verhinderung muss sich schlüssig aus
der vorgelegten Bescheinigung ergeben; die Bescheinigung muss so substantiiert sein, dass
das Gericht auf ihrer Grundlage in der Lage ist, die Frage der behaupteten Verhinderung selbst
zu beurteilen (vgl BFH, Beschluss vom 17. Mai 2000 - IV B 86/99 - BFH/NV 2000, 1353;
BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2001 - 8 B 69/01 - NJW 2001, 2735 mwN). Die erforderlichen
Darlegungen wären im Übrigen ausweislich des Inhalts der vorgelegten Berufungsakte auch
nicht möglich gewesen, denn nach dem Inhalt der Berufungsakte sind entsprechende
Auskünfte für die Klägerin und die Bevollmächtigte C Z nicht beigebracht, sondern nur
deren Einholung als Beweismittel angeregt worden.


[5] Die unzulässige Beschwerde ist zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2, § 169 SGG).


[6] Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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BSG, 9 RV 24/94 vom 11.10.1994, Bundessozialgericht
Das Folgende ist zunächst ein Auszug aus der Entscheidung vom 12.03.1996 über den Prozesskostenhifeantrag im Hauptverfahren. Zur Entscheidung vom 18.06.1996 im Hauptverfahren siehe unten.



Prozesskostenhilfe ist nicht zu bewilligen, weil der Kl. nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Kosten der Prozeßführung aus seinem Vermögen aufzubringen (§ 73 a I 1 SGG iVm §§ 114, 115 II ZPO). Zum Vermögen eines Antragstellers gehören Ansprüche gegen eine Rechtsschutzversicherung (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 73 a Rz 6 a) und ebenso ein satzungsgemäßer Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch eine Gewerkschaft oder einen Verband (Henning/Danckwerts/König, SGG, Stand 1993, § 73 a Anm 5.3). Da Prozeßkostenhilfe eine besondere Art der Sozialhilfe auf dem Gebiet gerichtlichen Rechtsschutzes ist (BverfGE 9, 256, 258; 35, 348, 355), ist ein Antragsteller wegen des für Sozialhilfe und Prozeßkostenhilfe gleichermaßen geltenden Subsidiaritätsprinzips verpflichtet, die dem Justizfiskus durch Prozesskostenhilfe entstehenden Ausgaben gering zu halten. Ein Gewerkschafts- oder Verbandsmitglied muss deshalb zunächst seine satzungsgemäßen Rechte auf kostenlose Prozeßvertretung ausschöpfen und erwirbt einen Anspruch auf Prozeßkostenhilfe erst, wenn die Gewerkschaft oder der Verband keinen Rechtsschutz gewährt. Die Lage eines solchen Mitglieds ist nicht anders als die eines rechtsschutzversicherten Antragstellers, dem Prozesskostenhilfe erst gewährt wird, wenn er seinen Anspruch gegen die Rechtsschutzversicherung evtl bis zu einem Stichentscheid nach § 17 II der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) vergeblich verfolgt hat. (BGH, Betriebsberater 1987, 1845; Baumbach/Lauterbach, ZPO. 53. Aufl 1995 § 114 Rz 67; Rohwer/Kahlmann, SGG, Stand 1995, § 73 a Rz 3).



Die Lage eines Verbands- oder Gewerkschaftsmitglieds unterscheidet sich allerdings von der eines rechtsschutzversicherten Antragstellers, wenn die jeweilige Organisation Rechtsschutz im Einzelfall gewährt: Der Versicherungsnehmer kann dann einen Rechtsanwalt seines Vertrauens wählen, dessen Kosten die Versicherung übernimmt. Der Verband oder die Gewerkschaft dagegen gewährt Rechtsschutz durch einen ihrer Angestellten als „Sachleistung“. Hat der Antragsteller zu dem ihm vom Verband oder der Gewerkschaft gestellten Vertreter kein Vertrauen, so kann es ihm unzumutbar sein, sich bei der Prozessführung durch diesen Angestellten vertreten zu lassen. Dafür reicht allerdings die bloße Behauptung fehlender oder – im Laufe der Vertretung – gestörten Vertrauens nicht aus. Ebenso wie beim Wechsel eines frei gewählten und im Rahmen der Prozeßkostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts sind berechtigte sachliche oder persönliche Gründe erforderlich (vgl dazu Kalthoener/Büttner, Prozeßkostenhilfe und Beratungshilfe, 1988, Rz 569; LSG NRW, ZAP EN-Nr 154/92; zu § 167 SGG aF: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 252 r, Dapperich, Das sozialgerichtliche Verfahren, 1959, 209; BSG, Ausschuß für Verfahrensfragen, Niederschrift vom 6.2.1957, Punkt 1 – unveröffentlicht - ). Solche triftigen Gründe hat der Kl. nicht vorgebracht. Die von ihm geschilderten Eindrücke und Erfahrungen aus einem anderen Rechtsstreit, in dem er von einem Rechtsschutzsekretär seiner Gewerkschaft vertreten war, lassen zwar seine Unzufriedenheit mit dessen Tätigkeit erkennen, reichen nach Art und Gewicht aber nicht aus, um das Vertrauensverhältnis als allgemein und damit auch für diesen Fall gestört anzusehen. Das gilt um so mehr, als der Kl. im Revisionsverfahren voraussichtlich von einem Mitglied der bisher nicht eingeschalteten Bundesrechtsstelle seiner Gewerkschaft vertreten werden würde.



Ein Anspruch des Kl. auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der von ihm ausgewählten und bevollmächtigten Rechtsanwältin läßt sich (entgegen Meyer-Ladewig, aao, Rz 4) auch nicht daraus herleiten, daß § 73 a II SGG nach seinem Wortlaut die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe verbietet, wenn der Bet. durch einen Angestellten seines Verbands oder seiner Gewerkschaft tatsächlich vertreten ist, nicht nur, wenn er sich vertreten lassen kann, wie § 11 a Arbeitsgerichtsgesetz bestimmt. Aus der unterschiedlichen Formulierung der Gesetze läßt sich nicht herleiten, daß das Recht auf Prozeßkostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren weiter geht als im arbeitsgerichtlichen Verfahren (so aber Meyer-Ladewig, aaO, Rz 4). Für eine unterschiedliche Regelung gibt es keinen sachlichen Grund (so zutreffend Zeihe, SGG, Stand 1994, § 73 a Rz 11 a). § 73 a II SGG ist deshalb nur als klarstellendes Verbot zu verstehen, dem mittellosen Bet. zusätzlich zu einem bereits bevollmächtigten Verbands- oder Gewerkschaftsvertreter im Wege der Prozeßkostenhilfe noch einen Anwalt beizuordnen. Die Vorschrift besagt jedoch nichts darüber, was gilt, wenn ein Verbandsvertreter noch nicht bevollmächtigt ist, aber in Anspruch genommen werden kann.



Hätte das mittellose Gewerkschaftsmitglied die Wahl zwischen kostenlosem gewerkschaftlichen Rechtsschutz und der Beiordnung eines frei gewählten Rechtsanwalts (so Meyer-Ladewig, aaO, Rz 4; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, 203), so stände es besser als ein Bet., der über genügend Mittel zur Prozeßführung durch einen Rechtsanwalt verfügt. Dieser Bet. würde in aller Regel verständigerweise aus wirtschaftlichen Gründen das Kostenrisiko meiden und sich regelmäßig für kostenlosen Rechtsschutz durch einen Verbandsvertreter entscheiden. Es besteht deshalb kein Grund, dem finanziell minderbemittelten Bet. aus staatlichen Mitteln die Wahlfreiheit zu finanzieren, die der bemittelte Bet. verständigerweise nicht in Anspruch nimmt.



Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, daß ein mittelloses Gewerkschaftsmitglied mit Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch seine Organisation anders behandelt wird, als ein mittelloser Antragsteller, der nicht organisiert ist. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art 3 I Grundgesetz (GG) liegt darin nicht. Art 3 I GG verlangt iVm dem Rechtsstaatsprinzip lediglich die Situation bemittelter und Unbemittelter bei der Realisierung gerichtlichen Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen (vgl BverfGE 81, 347, 356, NJW 1995, 1415). Darum geht es hier nicht. wer Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz durch seine Organisation hat, ist nicht mittellos. Er ist bereits in jener Lage, in die Prozeßkostenhilfe den Unbemittelten erst versetzen soll: Er kann sein Recht vor Gericht suchen, ohne daran aus wirtschaftlichen Gründen gehindert zu sein. Dafür macht es keinen Unterschied, ob ihn ein Angestellter seiner Organisation oder ein Rechtsanwalt vertritt. Gerichtlicher Rechtsschutz ist auf dem Gebiet des Sozialrechts bereits bei Vertretung durch eine Behörde gewährleistet (BverfGE 22, 349, 358) und erst recht bei Vertretung durch Verbands- oder Gewerkschaftsangestellte, denen der Gesetzgeber in § 166 II SGG Rechtsanwälte gleichgestellt hat. Das Recht, unter letzteren zu wählen (§ 121 I ZPO), hat nur, wer überhaupt Anspruch auf Prozeßkostenhilfe hat.



Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die prozeßkostenhilferechtliche Sonderstellung mittelloser Gewerkschafts- und Verbandsmitglieder mit Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz gegen ihre Organisation lassen sich auch nicht aus Art 9 I und III GG herleiten. Durch den regelmäßigen Ausschluß vom Anspruch auf Prozesskostenhilfe wird weder die kollektive Vertragsfreiheit noch die Tätigkeit der Gewerkschaft (vgl BverfGE 88, 5, 15) noch die Entscheidungsfreiheit des einzelnen, einem Verband oder einer Gewerkschaft beizutreten, ernsthaft beeinträchtigt. Es kann zwar unterstellt werden, daß der einem Organisierten regelmäßig drohende Verlust einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Prozeßkostenhilfe die Entscheidungsfreiheit Mittelloser darüber beeinflußt, einer Gewerkschaft oder einem Verband wegen des dort gebotenen Rechtsschutzes beizutreten. Diese allenfalls geringfügigen Auswirkungen sind aber in Abwägung mit dem Ziel hinzunehmen, Prozeßkostenhilfe nur demjenigen zu gewähren, der sonst aus wirtschaftlichen Gründen gehindert wäre, gerichtliche Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.



BUNDESSOZIALGERICHT



Im Namen des Volkes



Urteil
in dem Rechtsstreit
Az: 9 RV 24/94



Kläger und Revisionsbeklagter,
Prozeßbevollmächtigte:



gegen



Land Sachsen-Anhalt,
vertreten durch den Präsidenten des Landesamtes für Versorgung und Soziales des
Landes Sachsen-Anhalt,
Halle, Neustädter Passage 9,

Beklagter und Revisionskläger.



Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni
1996 durch Vorsitzenden Richter Dr. S.,
Richter Dr. K. und Richter D a u sowie ehrenamtliche Richterin K.
und ehrenamtlichen Richter B. für Recht erkannt:


Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt
vom 11. Oktober 1994 wird zurückgewiesen.

- 2 -



Der Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

- 3 -



Gründe:



I



Der damals neun Jahre alte Kläger fand am 1. Juni 1950 beim Spielen auf dem Gelände
einer ehemaligen Munitions- und Sprengstoffabrik in R. (S -A.) einen
Sprengkörper. Bei dessen Explosion verlor der Kläger Daumen, Zeige- und Mittelfinger
der linken Hand sowie einen Teil der Handfläche.


Der Beklagte lehnte es ab, dem Kläger auf dessen Antrag vom 4. Juni 1992 Versorgung
zu gewähren, weil der Unfall weder auf nachträgliche Auswirkungen kriegerischer
Vorgänge noch auf Handeln der Besatzungsmacht zurückzuführen sei.


Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 1. November
1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, ab 1. Januar 1991
Versorgung nach einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu
gewähren (Urteil vom 11. Oktober 1994). Bei der Explosion des Sprengkörpers habe es
sich um einen schädigenden Vorgang infolge einer besonderen Gefahr aus der
militärischen Besetzung deutschen Gebietes gehandelt. Die sowjetische
Besatzungsmacht habe das Fabrikgelände beschlagnahmt, um die Anlagen zu
demontieren und anschließend die Gebäude zu sprengen, ohne das 320 ha große
Grundstück, dessen Umzäunung von der Bevölkerung für eigene Zwecke abgebaut war,
bis zur Übergabe an das Land Sachsen-Anhalt im März 1949 gegen Betreten durch
spielende Kinder zu sichern oder die dort lagernden Sprengstoffe zu räumen. Einer
weiteren Vernachlässigung dieser Pflichten durch das Land Sachsen-Anhalt bis zum
Unfall im Jahre 1950 komme gegenüber dem unmittelbaren Besatzungseinfluß
geringeres Gewicht zu.


Der Beklagte macht mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision geltend, das LSG
habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und §1 Abs 1 Buchst d
Bundesversorgungsgesetz (BVG) verletzt. Die unterlassene Sicherung des Fabrik-
geländes sei allein dem Land Sachsen-Anhalt zuzurechnen. Nach der Rechtsprechung
(BSGE 20, 114, 115) seien Gefahrenzustände nicht mehr der Besatzungsmacht, sondern
ab Aufgabenübertragung auf eine in Mindestform und -umfang funktionsfähige
Zivilverwaltung dieser zuzurechnen.
Das LSG habe im übrigen verkannt, daß nach der Rechtsprechung (BSGE 2, 99, 101,
102) nicht jede mit der Besatzung ursächlich zusammenhängende Gefahr unter § 5 Abs 1
Buchst d BVG falle. Nur "besatzungseigentümliche" Gefahren seien gemeint. Die
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht sei hier aber nicht besatzungseigentümlich.

- 4 -



Der Beklagte beantragt,


das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 11. Oktober 1994
aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Dessau vom 1. November 1993 zurückzuweisen.



Der Kläger beantragt,



die Revision zurückzuweisen.



II



Die Revision ist unbegründet. Der Kläger ist durch unmittelbare Kriegseinwirkung
geschädigt worden; er hat wegen der Folgen dieser Schädigung Anspruch auf
Versorgung. Leistungen sind nach Anl I Kap VIII Sachgebiet K Abschn III Maßgabe 1 i
zum Einigungsvertrag ab 1. Januar 1991 zu gewähren, weil die Voraussetzungen zu
diesem Zeitpunkt vorgelegen haben und der Antrag vor dem 1. Januar 1994 gestellt
worden ist.



Das LSG hat zwischen dem Verhalten der sowjetischen Besatzungsmacht und der
Schädigung des Klägers zu Recht einen versorgungsrechtlich erheblichen Zusam-
menhang hergestellt. Die dagegen gerichteten Angriffe des Klägers bleiben ohne Erfolg.


Zwar trifft der Einwand des Beklagten zu, daß das Verhalten der Besatzungsmacht,
entgegen den Ausführungen des LSG, nicht deshalb als unmittelbare Kriegseinwirkung
gilt, weil es eine mit der militärischen Besetzung deutschen Gebietes
zusammenhängende besondere Gefahr iS des § 5 Abs 1 Buchst d BVG hervorgerufen
hätte. Denn dazu zählen nicht alle mit der militärischen Besetzung verbundenen
Gefahren, sondern aus diesem Kreis nur solche, die für die besonderen Verhältnisse der
militärischen Besetzung typisch sind (BSGE 12, 13, 15).
Nicht besetzungseigentümlich und deshalb vom Versorgungsschutz ausgenommen sind
schädigende Vorgänge, die ihrer Art nach ebenso hätten eintreten können, wenn sie
durch Maßnahmen oder Unterlassungen der deutschen Verwaltung statt durch die
Besatzungsmacht verursacht worden wären (BSGE 17, 225, 229 = SozR BVG § 1 Nr 62).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Gebot, das munitionsverseuchte Fabrikgrundstück
gegen Betreten durch spielende Kinder zu sichern, wurde sowohl von der sowjetischen
Besatzungsmacht während der Zeit der Beschlagnahme, als auch anschließend nach
Übertragung des Eigentums im März 1949 von der Verwaltung des Landes
Sachsen-Anhalt verletzt. Diese Verletzung der Verkehrssicherungspflicht war mithin nicht
besetzungseigentümlich.

- 5 -



Gleichwohl hat der Kläger Anspruch auf Versorgung wegen der Verletzungsfolgen. Denn
versorgungsrechtlich geschützt ist auch, wer einen nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu
ersetzenden Besatzungspersonenschaden zu einem Zeitpunkt erleidet, zu dem eine
Regelung für die Entschädigung von Besatzungsschäden noch nicht vorhanden war. Das
Versorgungsrecht schließt diese zivilrechtliche Anspruchslücke, indem es Schäden, die
durch Angehörige der Besatzungsmacht verursacht worden sind, zu nachträglichen
Auswirkungen kriegerischer Vorgänge erklärt (§ 5 Abs 2 Buchst a BVG), die ihrerseits als
unmittelbare Kriegseinwirkung iS des § 1 Abs 2 Buchst a BVG gelten (§ 5 Abs 1 Buchst e
BVG).


In den westlichen Besatzungszonen bestand diese Lücke nur bis zum 31. Juli 1945. Denn
für Besatzungsschäden, die vom 1. August 1945 an verursacht worden sind, galt das
Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden vom 1. Dezember 1955 (BGBl I, 734;
vgl dessen § 2).


In der DDR wurde eine Entschädigungsregelung für Besatzungspersonenschäden erst
eingeführt durch das Abkommen vom 11. April 1957 zwischen der Regierung der DDR
und der Regierung der UdSSR über Fragen, die mit der zeitweiligen Stationierung
sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der DDR zusammenhängen (GBl I 237).
Dieses Abkommen ist nach seinem Art 21 Satz 2 am 27. April 1957 in Kraft getreten
(GBl I 285). Bis dahin eingetretene Schädigungen durch Angehörige der sowjetischen
Streitkräfte stehen in engem Zusammenhang mit Krieg und Besatzung und fallen deshalb
unter §5 Abs 2 Buchst a BVG. Das entspricht auch der Auffassung des
Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (vgl dessen Rundschreiben vom
10. Juni 1991, BArbBl 1991, 9/108). Die sowjetischen Truppen waren bis dahin als Streit-
kräfte einer Besatzungsmacht iS des § 5 Abs 2 Buchst a BVG in der DDR stationiert. Der
Senat hat die sowjetische Besatzungsherrschaft in einer früheren Entscheidung zwar
bereits durch den Vertrag vom 20. September 1955 über die Beziehungen zwischen der
DDR und der UdSSR, in Kraft getreten am 6. Oktober 1955 (GBl I 917), für beendet
gehalten und deshalb Versorgungsansprüche nach § 5 Abs 2 Buchst a BVG wegen eines
erst 1965 durch sowjetische Soldaten in der DDR verursachten Verkehrsunfalls
ausgeschlossen (BSGE 59, 94, 97 = SozR 3100 § 5 Nr 9). Maßgeblich hat der Senat aber
schon damals darauf abgestellt, daß die sowjetischen Truppen in der DDR ihre Stellung
und ihre Befugnisse als Besatzungsmacht durch die Bestimmungen des Vertrages vom
11. April 1957 endgültig verloren haben.


Die Verletzung des Klägers am 1. Juni 1950 ist nach den Feststellungen des LSG eine
Schädigung iS des § 5 Abs 2 Buchst a iVm Abs 1 Buchst e BVG. Daß das LSG diese
Feststellungen im Zusammenhang mit der Erörterung des § 5 Abs 1 Buchst d BVG
getroffen hat, steht nicht entgegen. Der Schaden ist durch Angehörige der sowjetischen
Besatzungsmacht in der DDR verursacht worden. Deren Verhalten war für den Unfall

- 6 -



wesentliche Bedingung iS der auch hier geltenden versorgungsrechtlichen
Kausalitätsnorm (BSG SozR BVG § 5 Nr 35). Das LSG hat unangegriffen festgestellt, daß
der Unfall des Klägers im vorgenannten Sinne nicht auf dessen eigenes Verhalten oder
das Verhalten seiner Eltern zurückzuführen war, sondern auf eine Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht. Dabei hat es der Pflichtverletzung durch das Land
Sachsen-Anhalt nur untergeordnete Bedeutung beigemessen und den Unfall des Klägers
wesentlich auf die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die sowjetische
Besatzungsmacht in den Jahren 1945 bis 1949 zurückgeführt. Bei dieser Bewertung sind
Rechtsfehler nicht zu erkennen. Seit März 1949 war zwar das Land Sachsen-Anhalt als
Eigentümer und Eigenbesitzer für den verkehrssicheren Zustand des Grundstücks
verantwortlich. Damit endete aber nicht die Verantwortlichkeit der sowjetischen
Besatzungsmacht als früherer Eigenbesitzer. Grundsätzlich trifft die
Zustandsveranwortlichkeit für Grundstücke den gegenwärtigen Eigenbesitzer. Davon ist in
sinnentsprechender Anwendung der für den Einsturz von Gebäuden getroffenen
Regelung des § 836 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aber eine Ausnahme zu
machen (vgl Mertens in Münchner Komm, 2. Aufl 1986, § 823 Rz 192). Der frühere
Eigenbesitzer bleibt jedenfalls übergangsweise verantwortlich, wenn er die von dem
Grundstück ausgehende Gefahr durch vorangegangenes Handeln oder Unterlassen
begründet hat. Die Übergangszeit kann auch angesichts der Nachkriegsverhältnisse nicht
auf ein Jahr beschränkt werden, wie das § 836 Abs 2 BGB vorsieht. Die sowjetische
Besatzungsmacht hatte es hingenommen, daß in den Jahren ab 1945 die Umzäunung
des von ihr beschlagnahmten Fabrikgeländes von der Bevölkerung abgebaut und damit
das vorher gesicherte Grundstück zu einer Gefahrenquelle für spielende Kinder geworden
war. Die Umzäunung wurde bis zum März 1949 weder erneuert oder repariert noch wurde
die massenhaft herumliegende Munition geräumt. Im März 1949 hat sich die
Besatzungsmacht dann des heruntergekommenen, munitionsverseuchten Grundstücks
zu Lasten einer Gebietskörperschaft entledigt, die unter den Mangelverhältnissen der
Nachkriegszeit mit Aufgaben überlastet war und schwerlich in kurzer Zeit das nachholen
konnte, was jahrelang versäumt worden war und den gefährlichen Zustand des
Grundstücks begründet hatte.


Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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BSG, 9b RAr 7/90 vom 06.03.1991, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT


Im Namen des Volkes



Urteil



in dem Rechtsstreit



Az: 9b RAr 7/90

Klägerin und Revisionsbeklagte,
Prozeßbevollmächtigte:



gegen



Bundesanstalt für Arbeit,
Nürnberg, Regensburger Straße 104,
Beklagte und Revisionsklägerin.



Der 9b Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. März
1991 durch Vorsitzenden Richter Dr. S., Richter Dr. W. und Richter
Dr. L. sowie ehrenamtliche Richterin Dr. N. und ehrenamtlichen Richter R.
für Recht erkannt:



- 2 -



Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts
Rheinland-Pfalz vom 16. Februar 1990 und des Sozialgerichts Koblenz vom 28. April
1989 geändert.


Die Klage wird abgewiesen.



Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



- 3 -

Gründe:



I



Die Klägerin, geprüfte Krankenschwester, erhielt von der Beklagten für die Teilnahme an
einer Weiterbildung zur Unterrichtsschwester (Lehrkraft an Krankenpflegeschulen) von
Oktober 1982 bis September 1983 ua Unterhaltsgeld (Uhg) als Darlehen (Bescheid vom
21. oder 25. Oktober 1982). Mit Schreiben vom 19. September 1983 beantragte die
Klägerin die Gewährung des Uhg als Zuschuß statt als Darlehen, weil der Beruf der
Unterrichtsschwester nach einem Runderlaß der Beklagten als Mangelberuf anerkannt
sei. Die Beklagte lehnte eine Überprüfung ihrer rechtsverbindlichen Entscheidung ab
(Bescheid vom 23. Januar 1985, Widerspruchsbescheid vom 11. März 1985) und forderte
die Klägerin zur Rückzahlung des Darlehens in Raten auf (Bescheid vom 25. Januar
1985). Auf einen im April 1988 erneut gestellten, auf Rechtsprechung gestützten Antrag,
das Darlehen in einen Zuschuß umzuwandeln, verweigerte das Arbeitsamt wiederum eine
neue Sachprüfung nach § 44 Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren -SGB X- (Bescheid
vom 1. Juli 1988); im Widerspruchsbescheid vom 28. September 1988 wurde die
Gewährung eines Darlehens als rechtmäßig bestätigt. Das Sozialgericht (SG) hat die an-
gefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über den Antrag der
Klägerin auf Änderung des Bescheides vom 25. Oktober 1982 über das gewährte Uhg
unter Rücknahme der Bescheide vom 23. Januar 1985 und 11. März 1985 gemäß der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (Urteil vom 21. April 1989). Das
Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom
16. Februar 1990). Nach seiner mit dem SG übereinstimmenden Rechtsauffassung hat
die Beklagte eine Überprüfung der Verwaltungsakte und die Gewährung des Uhg als
Darlehen zu Unrecht abgelehnt. Sie müsse den 1982 erlassenen Bescheid insoweit, als
er die Leistung als Zuschuß versagt hat, und die Ablehnung eines neuen Verfahrens
(1985) als unrichtig zurücknehmen (§ 44 SGB X iVm § 152 Arbeitsförde-
rungsgesetz -AFG-); denn die Fortbildung der Klägerin sei deshalb notwendig gewesen,
weil der angestrebte Beruf einer Lehrschwester nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
und nach der Rechtsprechung bundesweit ein Mangelberuf sei (§ 44 Abs 2 Satz 2 Nr 4
AFG). § 44 Abs 1 SGB X sei nicht anzuwenden; denn die Klägerin habe die Sozialleistung
Uhg bereits erhalten. Deshalb scheide auch der allein auf Abs 1 bezogene Abs 4 aus,
wonach nach der Rücknahme neue Leistungen nicht für länger als vier Jahre rückwirkend
gewährt werden dürfen. Soweit die Klägerin das Darlehen noch nicht zurückgezahlt habe,
sei sie nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X davon für die Zukunft befreit. Soweit sie
Teilleistungen von insgesamt 7.410,-- DM erstattet habe, müsse die Beklagte nach § 44
Abs 2 Satz 2 SGB X für die Vergangenheit ihr Rücknahmeermessen ausüben. In Höhe
des nach dem Antrag vom April 1988 zurückgezahlten Gesamtbetrages von 3.040,-- DM

- 4 -



bleibe keine andere Entscheidung offen, als den Anspruch über den Darlehenscharakter
des Uhg aufzuheben. Falls die Beklagte über den Antrag sofort entschieden hätte, wäre
sie insoweit nach § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X verpflichtet gewesen, den Zuschuß
zuzuerkennen; das bestätige § 44 Abs 2 Satz 3 SGB X. Anderenfalls könnte sich die
Verwaltung durch eine Verzögerung den Ermessensspielraum für die Entscheidung nach
§ 44 Abs 2 Satz 2 SGB X verschaffen.


Die Beklagte rügt mit ihrer - vom LSG zugelassenen -Revision eine Verletzung des § 44
Abs 1, 2 und 4 SGB X. Sie begründet ihre Revision allein damit, daß das Uhg wegen
Fristablaufs nach § 44 Abs 4 SGB X nicht mehr als Zuschuß für die Zeit der Fortbildung
(1982/1983) gewährt werden könne. Die Frage, ob die Voraussetzung, dh die
Notwendigkeit der Fortbildung wegen eines Mangelberufs nach § 44 Abs 2 Nr 4 AFG aF,
gegeben ist, sei unerheblich. Die darüber ergangene Entscheidung des Berufungsgerichts
werde allerdings nicht beanstandet. Entgegen der Auffassung des LSG habe die
Verwaltung die beantragte Leistung nicht bereits iS des § 44 Abs 4 SGB X "erbracht". Der
Klägerin sei allein ein Uhg als Darlehen gewährt worden, und ein solches, das
zurückgezahlt werden müsse, unterscheide sich elementar von einem Zuschuß. Selbst
wenn die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens nach § 44 Abs 1 SGB X iVm § 152 Abs 1
AFG die Ablehnung eines Zuschusses für die Vergangenheit zurücknehme, dürfe sie die
angestrebte Zugunstenentscheidung nach § 44 Abs 4 SGB X nicht treffen. Dabei sei der
Vierjahreszeitraum von dem im April 1988 gestellten Antrag ab zu berechnen. Entgegen
der Auffassung des SG lebe durch eine Rücknahme der rechtsverbindlichen Ablehnung
einer Überprüfung der darauf gerichtet gewesene Antrag von 1983 nicht wieder auf in der
Weise, daß er für die Fristberechnung nach § 44 Abs 4 SGB X maßgebend sei. Im üb-
rigen sei auf die nach Auffassung des LSG anwendbare Rücknahmevorschrift des § 44
Abs 2 SGB X die Ausschlußregelung des § 44 Abs 4 SGB X entsprechend anzuwenden,
soweit der Empfänger nachträglich von einer Rückzahlungsverpflichtung befreit werden
wolle. Eine solche Entlastung belaste den Leistungsträger für einen länger als vier Jahre
zurückliegenden Zeitraum ebenso wie eine nachträgliche Zahlung. Der Anspruch auf
Rückzahlung, der wegfallen solle, sei 1982/83 entstanden.



Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen zu ändern und die Klage abzuweisen.



Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.



Sie betont, daß § 44 Abs 4 SGB X nicht die Möglichkeit, einen nicht begünstigenden
Verwaltungsakt zu überprüfen,
regele; die Rücknahme sei - anders als nach § 45 Abs 3 SGB X - zeitlich unbegrenzt
möglich. § 44 Abs 4 SGB X verbiete allein, eine Leistung für die Zeit vor vier Jahren

- 5 -



rückwirkend zu erbringen, dh zu zahlen, nicht aber eine weiter zurückliegende Gewährung
(Bewilligung, Zuerkennung) durch die Rücknahme. Eine Umwandlung des bereits
1982/83 gezahlten Uhg, der Sozialleistung, in einen Zuschuß würde nur vom Antrag ab
der Tilgung die Rechtsgrundlage entziehen. Die rückwirkende Beseitigung der
Tilgungspflicht werde nicht durch § 44 Abs 4 SGB X ausgeschlossen.


Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.


II



Die Revision der Beklagten ist begründet.



Die Klage hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen hätten die Beklagte nicht verpflichten
dürfen, über den Rücknahmeantrag der Klägerin unter Beachtung der gerichtlichen
Rechtsauffassung neu zu entscheiden.



Die Beklagte, die der Klägerin 1982/83 Uhg als zurückzuzahlendes Darlehen gewährte
(§ 44 Abs 2a AFG hier idF des AFKG vom 22. Dezember 1981 - BGBl I 1497 -, § 607
Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch), hat damit zugleich Uhg als übliche, in erster Linie
begehrte Sozialleistung, dh als Zuschuß zum Verbleib (§ 11 Satz 1 Sozialgesetzbuch
Allgemeiner Teil -SGB I- vom 11. Dezember 1975 - BGBl I 3015 -, § 44 Abs 1 bis 2 Satz 2
Nr 4 AFG), abgelehnt. Der versagende Verfügungssatz, der die Klägerin nicht
begünstigte, sondern belastete (vgl die Definition des begünstigenden Verwaltungsaktes
in § 45 SGB X vom 18. August 1980 - BGBl I 1469 -), wäre, falls er unrichtig wäre, nach
§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X zurückzunehmen und durch eine neue - richtige - Entscheidung
zu ersetzen (BSG Breithaupt 1982, 800). Diese Regelung wird für das
Arbeitsförderungsrecht durch § 152 Abs 1 AFG (idF des Art II § 2 Nr 18 Buchstabe a
SGB X) dahin abgewandelt, daß ein Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft zu-
rückgenommen wird; nach dem 1987 klarstellend angefügten Halbsatz 2
(8. Änderungsgesetz vom 14. Dezember 1987 - BGBl I 2602 - dazu Gesetzesbegründung
in BT-Drucks 11/800 zu Nr 35 - § 152 -) darf aber die Verwaltung nach ihrem Ermessen
die Rücknahme auf die Vergangenheit erstrecken.


Ob die Versagung des Uhg als Zuschuß rechtswidrig war, weil die Lehrschwestertätigkeit
1982/83 ein Mangelberuf war und deshalb die Weiterbildung für sie notwendig gewesen
wäre (§ 44 Abs 2 Satz 2 Nr 4 AFG), war in diesem Verfahren nicht mehr als
Voraussetzung für eine Rücknahme zu entscheiden. Eine Rücknahme des ablehnenden
Verwaltungsaktes wegen einer entsprechenden Rechtswidrigkeit und eine Ersetzung

- 6 -



durch einen Bewilligungsakt ist wegen der Einwirkung der Verfallklausel des § 44 Abs 4
SGB X auf die Rücknahmeregelung schlechthin ausgeschlossen. Die Verwaltung hat jene
beiden Entscheidungen zugunsten eines Antragstellers dann nicht mehr vorzunehmen,
wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung
ausschließlich Leistungen für eine Zeit, die länger als vier Jahre vor dem
Rücknahmeantrag liegt, regelte und wenn der ersetzende Bewilligungsbescheid sich
ebenfalls nur auf den genannten Zeitraum auswirken würde. So war es hier. Der 1988
gestellte Rücknahmeantrag der Klägerin bezieht sich auf Uhg für die 1982/83 durch-
geführte Maßnahme.


Nach § 44 Abs 4 Satz 1 und 2 SGB X werden Sozialleistungen, falls ein Verwaltungsakt
mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen und durch einen
Zugunstenbescheid ersetzt wird, längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der
Rücknahme erbracht. Für die Berechnung des Zeitraumes tritt nach Satz 3 an die Stelle
des Rücknahmeaktes ein Antrag, falls er zur Rücknahme führte. Diese Vollzugsregelung
(BSGE 61, 154, 156 f = SozR 1300 § 48 Nr 32), die zwingend anzuwenden ist (BSGE 60,
158, 160 f = SozR 1300 § 44 Nr 23), steht für die länger als vier Jahre zurückliegende
Zeit, für die keine Leistungen mehr erbracht werden dürfen, einem Rücknahme- und
einem Ersetzungsakt entgegen. Sie ist auf die Rücknahmeregelung bezogen, die
voraussetzt, daß infolge der unrichtigen Entscheidung Sozialleistungen nicht erbracht
wurden (BSGE 62, 10, 13 = SozR 2200 § 1254 Nr 7). "Erbringen" bedeutet tatsächliches
Leisten (§ 43 SGB I, §§ 102 bis 105 SGB X; zu § 18c Abs 1 bis 3
Bundesversorgungsgesetz: RdSchr des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
vom 18. Juni 1982 - BABl 1982 Heft 9 S 109 -; vgl auch BSG 12. Oktober 1990 - 2 RU
63/89 - RdSchr Nr 9/91 des Bundesverbandes der Unfallversicherungsträger der
öffentlichen Hand). Ein derart zu vollziehender Verwaltungsakt ist nicht mehr zu erlassen,
wenn er nicht ausgeführt werden darf. Er wäre wirkungslos. Von der Verwaltung darf
keine unnötige, überflüssige Tätigkeit verlangt werden, die hier auch die - mitunter recht
schwierige und aufwendige - Prüfung auf eine Unrichtigkeit einbezöge. Ein Antragsteller,
der über § 44 SGB X keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten darf, hat kein
rechtliches Interesse an der Rücknahme und der zusprechenden Entscheidung, die nach
Abs 4 nicht vollzogen werden dürfen.


§ 44 Abs 4 SGB X ist hier nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin schon
1983, also innerhalb des Vier-Jahres-Zeitraumes, der die Maßnahmezeit von 1982/83
umfaßte, die Rücknahme und damit die Gewährung des Uhg als Zuschuß beantragt hat.
Selbst wenn ein Antrag wie dieser, der rechtsverbindlich abgelehnt wurde, durch eine
Rücknahme wiederauflebte (vgl dazu BSG Breithaupt 1982, 800), tritt diese Wirkung hier
nicht ein; denn der 1988 von der Klägerin gestellte Antrag, über den in diesem Verfahren
zu entscheiden ist, könnte aus den dargelegten Gründen nicht zu einer Rücknahme und
Ersetzung führen. Dann ist auch nicht der Verwaltungsakt, durch den 1985 der Antrag von

- 7 -



1983 abgelehnt wurde, mitsamt dem Widerspruchsbescheid zurückzunehmen. Diese
Verwaltungsentscheidungen, mit denen die Beklagte eine erneute Sachprüfung abgelehnt
hat, sind auch aus einem anderen verfahrensrechtlichen Grund nicht zurückzunehmen. In
dem abgelehnten Antrag wies die Klägerin nicht auf neue Erkenntnisse hin, die die
Lehrschwestertätigkeit als Mangelberuf beurteilen ließen. Im ersten Abschnitt zur
Eröffnung des dreistufigen Entscheidungsprozesses über eine Rücknahme und eine
Ersetzung eines unrichtigen Verwaltungsaktes ist allein darüber zu befinden, ob
überhaupt ein rechtsverbindlicher Bescheid erneut zu überprüfen ist (BSGE 63, 33, 35 f
= SozR 1300 § 44 Nr 33). Die Verwaltung darf dies ablehnen, falls - wie hier - keine neuen
Erkenntnisse für eine Unrichtigkeit vorgetragen werden oder sonst erkennbar sind (BSG
aaO). Sie soll nicht durch aussichtslose Anträge, die beliebig oft wiederholt werden
könnten, immer wieder zu neuen Sachprüfungen gezwungen werden können.


Die Einschränkung der Rücknahmeregelung (§ 44 Abs 1 SGB X iVm § 152 Abs 1 AFG)
durch die Ausschlußklausel (§ 44 Abs 4 SGB X) entfällt im Fall der Klägerin weder
deshalb, weil die Klägerin das abgelehnte, jetzt erneut beantragte Uhg bereits 1982/83
während der Weiterbildungsmaßnahme erhalten hätte, noch deshalb, weil sie das
ausbezahlte Darlehen in der Zeit seit dem Rücknahmeantrag und vorher nicht länger als
vier Jahre zurückliegend (seit 1985) zurückzahlen muß.


Die Auszahlung der Uhg-Beträge während der Bildungsmaßnahme beruhte nicht auf der
jetzt umstrittenen Gewährung eines Zuschusses, sondern auf der Darlehensgewährung,
deren Vollzug allerdings im Fall einer Rücknahme und Bewilligung eines Zuschusses
deshalb rückgängig gemacht werden müßte, weil die Leistung nicht doppelt gezahlt
werden darf. Das Uhg als Zuschuß hat eine andere Rechtsnatur als das Darlehen, dh als
der nur zur zeitweiligen Nutzung gewährte Uhg-Betrag, wenn auch beide Leistungen der
Sicherung des Lebensunterhaltes während einer beruflichen Bildungsmaßnahme und
zugleich der Motivierung zur Teilnahme dienen (BSGE 58, 160, bes 164 = SozR 4100
§ 138 Nr 11).


Ein Verzicht der Verwaltung auf die Rückzahlung würde nicht wie ein "Erbringen" iS des
§ 44 Abs 1 und 4 SGB X wirken. Die Pflicht zur Rückzahlung des Darlehens ist keine
Folge der - möglicherweise - unrichtigen Entscheidung, durch die ein Zuschuß abgelehnt
wurde. Sie wurde auch nicht durch einen teilweise belastenden Verwaltungsakt iS des
§ 44 Abs 1 SGB X, der mit der begünstigenden Gewährung dieser Leistung verbunden
gewesen wäre, der Klägerin auferlegt. Die Bewilligung des Darlehens stellt einen nicht
teilbaren begünstigenden Verfügungssatz dar, allerdings inhaltlich durch die ein-
geschlossene Rückzahlungspflicht, die der Rechtsnatur des Darlehens eigen ist,
eingeschränkt. Im Gesamtergebnis ist die Klägerin durch die Gewährung des Darlehens
besser gestellt, als wenn die Beklagte ausschließlich ein Uhg als Zuschuß abgelehnt
hätte. Die Rechtslage in diesem Fall ist nach § 44 SGB X, ergänzt durch § 152 Abs 1


- 8 -

AFG, allein nach dem erlassenen und nach dem angestrebten Verwaltungsakt über ein
Uhg als Zuschuß zu beurteilen. Dies wäre noch deutlicher, wenn die Verwaltung die
darüber ergangene Ablehnungsentscheidung zeitlich gesondert von der
Darlehensgewährung erlassen hätte.


Die Klägerin kann sich nicht zu ihren Gunsten auf die Rechtsfolgen der Rücknahme eines
Bescheides berufen, durch den ein begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X zu-
rückgenommen wurde. Die zwingende Rechtsfolge des ersten Aufhebungsaktes, die
Erstattungspflicht nach § 50 SGB X, kann dadurch rückgängig zu machen sein, daß der
Leistungsträger diese Pflicht beseitigt (vgl dazu BSG SozR 1300 § 44 Nr 22; kritisch dazu
Kopp, SGb 1987, 121; vgl auch BVerwG Urteil vom 15. November 1990 - 5 C 78.88). Die
Klägerin hatte aber, wie schon dargelegt, den erhaltenen Darlehensbetrag nicht als
unmittelbare Folge der Ablehnung eines Zuschusses, deren Rechtmäßigkeit umstritten ist
und die nach dem Willen der Klägerin aufgehoben werden soll, in Raten zurückzuzahlen.
Vielmehr war diese Versagung des Uhg nur das Motiv für den Entschluß der Klägerin, an
Stelle eines Zuschusses ein - zinsloses - Darlehen zu nehmen. Die Mittel des
Verwaltungsverfahrensrechts können nicht die wirtschaftlichen Folgen eines Entschlusses
beseitigen, der wegen eines Verwaltungsaktes gefaßt wurde, wenn später behauptet wird,
dieser belastende Verwaltungsakt sei rechtswidrig gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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BSG, 9 BV 39/88 vom 24.11.1988, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht

9 BV 39/88

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. November



1988







beschlossen:







Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der



Revision durch das Landessozialgericht Hamburg im Urteil



vom 19. Januar 1988 wird zurückgewiesen.



Kosten sind nicht zu erstatten.







- 3 -







Gründe:







Die Revision ist nicht gemäß den §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 Sozial-



gerichtsgesetz (SGG) zuzulassen, weil die Voraussetzungen, unter



denen ein - hier allein geltend gemachter - Verfahrensmangel zur



Zulassung der Revision führen kann, nicht erfüllt sind. Nach



§ 160 Abs 2 Nr 3, 2. Halbs SGG kann die Rüge eines Verfahrens-



mangels nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1



SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden,



wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozi-



algericht (LSG) ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.







Der Kläger räumt ein, daß er eine Verletzung des § 109 SGG im



Beschwerdeverfahren nicht rügen kann, soweit das LSG dem Antrag,



die Neurologin und Psychiaterin Dr. H. zu hören, nicht gefolgt



ist. Er meint aber, in dem zu Protokoll erklärten und auf 3 109



SGG gestützten Antrag läge ein Beweisantrag, dem das LSG bereits



in Erfüllung seiner Pflicht zur Sachaufklärung nach § 103 SGG von



Amts wegen habe folgen müssen; mit der Ablehnung dieses Antrags



sei also nicht nur § 109 SGG, sondern auch § 103 SGG verletzt. In



einem auf § 109 SGG gestützten Antrag auf Anhörung eines be-



stimmten Arztes sei notwendig ein Beweisantrag nach § 103 SGG



enthalten. Dem ist nicht zu folgen.







Für seine Rechtsauffassung kann sich der Kläger zwar auf Meyer-



Ladewig, Kommentar zum SGG, 3. Aufl, 5 160 RdNr 18 stützen; eine



Begründung fehlt hier jedoch. Auch der 1. Senat des Bundessozial-



gerichts (BSG) hat in dem nicht veröffentlichten Beschluß vom



5. April 1988 - 1 BA 255/87 - unter Hinweis auf diese Kommentar-



stelle ohne Begründung unterstellt, daß ein Antrag nach § 109 SGG



ein Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG sei; er hat aber die



Beschwerde aus einem anderen Grund als unzulässig verworfen.



Stellt der Kläger einen Antrag nach § 109 SGG, so mag zwar aus



seiner Sicht der Sachverhalt häufig noch nicht hinreichend aufge-



klärt sein; das kann aber nicht dazu führen, in jedem Antrag nach



§ 109 SGG zugleich die Aufforderung an das Gericht zu erkennen,



in erster Linie von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzu-







- 3 -







klären. Der Antrag nach § 109 SGG wäre damit immer als soge-



nannter Hilfsantrag aufzufassen. So ist der Antrag nach § 109 SGG



aber in der Rechtsprechung nie verstanden worden. Es ist zwar



anerkannt worden, daß der Antrag als Hilfsantrag gestellt werden



kann (BSG SozR SGG § 109 Nr 17). Wird der Antrag aber nicht aus-



drücklich als Hilfsantrag bezeichnet, so ist er als Inanspruch-



nahme der Berechtigung aufzufassen, unbeschadet der gerichtlichen



Sachaufklärungspflicht einen Arzt des Vertrauens zu hören. Er hat



eine andere Zielrichtung als die in § 103 SGG erwähnten Beweisan-



träge.







Der Beweisantrag, der mit der Rüge der Verletzung des § 103 SGG



zur Zulassung der Revision führen kann, muß ein Beweisantrag iS



dieser Vorschrift sein (ebenso Zeihe, SGG, 5. Aufl, § 160



Anm 25e). Wenn ein solcher Antrag gestellt wird, muß zwar nicht



diese Vorschrift ausdrücklich erwähnt werden; es muß jedoch un-



zweifelhaft erkennbar sein, daß eine weitere Sachverhaltsaufklä-



rung von Amts wegen für erforderlich gehalten wird. Das ergibt



sich aus dem Sinn und Zweck der nur beschränkten Eröffnung der



Revisionsinstanz bei Verfahrensfehlern. § 160 SGG in der gegen-



wärtigen Fassung ist durch das Gesetz vom 30. Juli 1974 (BGBl I



1625) mit der Absicht eingefügt worden, die Revisionsinstanz von



den zuvor in großer Zahl anfallenden sogenannten Verfahrensrevi-



sionen zu entlasten (vgl Begründung des Regierungsentwurfs



BT-Drucks 7/861). Gerade die häufigsten, auf die Verletzung der



§§ 103, 109 und 128 SGG gestützten Verfahrensrevisionen sollten



eingeschränkt werden. Während die Verletzung der §§ 109 und 128



SGG überhaupt nicht mehr zur Zulassung der Revision führen kann,



ist für eine Rüge der Verletzung des § 103 SGG ein Beweisantrag



als erforderlich angesehen worden, der diese Rüge bereits in der



Berufungsinstanz vorbereitet. Diese Regelung mag in einem nicht



einem Vertretungszwang unterworfenen Verfahren systemfremd er-



scheinen (vgl dazu Krasney, Die Ersatzkasse 1973, 312; 197A, 330;



derselbe, Der Kompaß, 197A, 303). Die Regelung läßt aber er-



kennen, daß auch die wegen einer Verletzung des § 103 SGG zuzu-



lassende Revision die Ausnahme bleiben soll; sie soll sich auf



Aufklärungsmängel beschränken, auf die das Gericht bereits vor







- 4 -







der Entscheidung hingewiesen worden ist. Für diesen Hinweis ver-



langt das Gesetz überdies eine besondere Form, nämlich einen Be-



weisantrag, der grundsätzlich auch das Beweisthema und das Be-



weismittel enthalten muß (vgl Meyer-Ladewig aaO und BSG SozR 1500



§ 160a Nr 2N). Erst wenn der Tatsacheninstanz durch einen Beweis-



antrag vor der Entscheidung noch einmal deutlich vor Augen ge-



führt worden ist, daß der Kläger die gerichtliche Sachaufklä-



rungspflicht in einem bestimmten Punkt noch nicht als erfüllt



ansieht, soll das Übergehen eines solchen Antrages oder eine



nicht hinreichend begründete Ablehnung die Revisionsinstanz und



damit die weitere Sachaufklärung nach Zurückverweisung des



Rechtsstreits in die Tatsacheninstanz ermöglichen. Der Beweisan-



trag hat somit auch warnfunktion. Der Senat hat deshalb schon für



eine schlüssige Darlegung des Verfahrensverstoßes stets verlangt,



daß der Antrag in das Protokoll über die mündliche Verhandlung



aufgenommen worden ist oder sich aus dem Urteilsinhalt ergibt



oder schriftsätzlich vorgebracht und bis zum Ende der Sitzung



aufrechterhalten worden ist (vgl Beschluß vom 15. Februar 1988



- 9/9a BV 196/87 - zur Veröffentlichung bestimmt; ferner BSG SozR



1500 § 160 Nr 12). Der Kläger hat hier seinen Antrag zwar aus-



drücklich zu Protokoll erklärt; indem er sich aber auf § 109 SGG



bezog und einen bestimmten ärztlichen Sachverständigen nannte,



hat er zumindest nicht hinreichend erkennbar gemacht, daß er noch



eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen für erforderlich



hielt, obwohl ihm das LSG zuvor mitgeteilt hatte, daß von Amts



wegen keine weiteren Gutachten mehr eingeholt würden. Das LSG hat



den gestellten Antrag auch nur als Ausübung des Rechts nach § 109



SGG aufgefaßt und als verspätet zurückgewiesen.







- 5 -







Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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BSG, 9 BV 26/93 vom 24.05.1993, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT
Beschluß
in dem Rechtsstreit

Az: 9 BV 26/93
...........................................................,
Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigter: ...........................,

g e g e n

Land Niedersachsen,

vertreten durch das Landesversorgungsamt Niedersachsen,
Hannover 1, Gustav-Bratke-Allee 2,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. Mai 1993 durch Vorsitzenden Richter
Dr. S c h m i t t, Richterin J a e g e r und Richter D a u beschlossen:


Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision durch das
Landessozialgericht Niedersachsen im Urteil vom 18. Dezember 1992 wird als unzulässig
verworfen.


Kosten sind nicht zu erstatten.


- 2 -

G r ü n d e :


Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und
§ 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgelegten gesetzlichen Form. Sie war
deshalb entsprechend den §§ 169, 193 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter
zu verwerfen (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).


Der Beschwerdeführer weist zwar auf Zulassungsgründe hin, die in § 160 Abs 2 SGG
aufgeführt sind. Er behauptet, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS des
§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG und das angegriffene Urteil beruhe auf einem Verfahrensfehler iS
des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Die behaupteten Zulassungsgründe sind aber nicht so
dargelegt und bezeichnet, wie dies § 160 Abs 2 Satz 3 SGG verlangt. Zulassungsgründe
müssen schlüssig dargetan werden.


Zur Begründung der Grundsätzlichkeit der Rechtssache muß erläutert werden, daß und
warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein wird, die
über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (vgl BVerfG SozR 1500 § 160a
Nr 44; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Es muß überdies die Klärungsbedürftigkeit und
Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage darlegt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65).
Rechtsfragen, die vom Bundessozialgericht (BSG) entschieden sind, sind im allgemeinen
nicht mehr klärungsbedürftig und haben keine grundsätzliche Bedeutung mehr, es sei
denn, die Beantwortung der Frage ist klärungsbedürftig geblieben oder es erneut
geworden. Das muß substantiiert vorgetragen werden. Hieran fehlt es im vorliegenden
Fall, weil die behauptete grundsätzliche Frage vom Landessozialgericht (LSG) nicht zur
Grundlage seiner Entscheidung gemacht worden ist. Das LSG hat entgegen der
Beschwerdebegründung seine Entscheidung nicht darauf gestützt, daß grundsätzlich
Berufsschadensausgleich(BSchA) erst ab Vollendung des 60. (ausnahmsweise
59.) Lebensjahres bei schwerbeschädigten Selbständigen möglich ist. Diese Auffassung
konnte daher in der Beschwerdebegründung auch nicht belegt werden. Das LSG hat viel-
mehr im Wege der Beweiswürdigung konkret für den Kläger ein schädigungsbedingtes
Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verneint und sich im übrigen hinsichtlich der
grundlegenden Rechtsfragen an der Rechtsprechung des BSG orientiert (vgl BSG SozR
3-3642 § 8 Nrn 1 und 6). Da sich die Beschwerdebegründung mit beiden Entscheidungen
nicht auseinandersetzt, fehlt es an einer schlüssigen Darlegung einer verbleibenden
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, zumal die Berechnung des BSchA für
Selbständige vom BSG weitgehend vom tatsächlichen Einkommen abgelöst worden ist
(BSG aaO Nr 1). Zu der in der Beschwerde ebenfalls als grundsätzlich angesprochenen
Rechtsfrage, ob die Schädigungsfolgen mit zunehmendem Alter mit einer erhöhten
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu bewerten seien, hat der Beschwerdeführer
weder § 31 Abs 1 Satz 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) noch die hierzu ergangene


- 3 -

Rechtsprechung (vgl BSG SozR 3100 § 30 Nr 79) erörtert, so daß insoweit noch
klärungsbedürftige Fragen nicht aufgezeigt sind.


Auch die erhobene Verfahrensrüge bezeichnet einen Verfahrensmangel nicht schlüssig.
Es müssen die sie begründenden Tatsachen im einzelnen genau angegeben sein und in
sich verständlich den behaupteten Verfahrensfehler ergeben (vgl BSG SozR 1500 § 160a
Nr 14). Teilweise begründet der Kläger diese Rüge damit, daß dem Berufungsgericht eine
fehlerhafte Würdigung des Beweismaterials vorgeworfen wird. Damit wird eine Verletzung
des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Beweiswürdigung) geltend gemacht. Hierauf kann die Rüge
nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG) nicht
gestützt werden. Zur Rüge, das LSG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG)
verletzt, hätte der Beschwerdeführer entsprechende Beweisanträge bezeichnen müssen
(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hieran fehlt es, obwohl sich
der Kläger auf seinen Berufungsschriftsatz, dessen Inhalt im Zeitpunkt des
Einverständnisses mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung wiederholt worden
ist, bezieht. Denn der Berufungsschriftsatz enthielt lediglich Beweisantritte iS von §§ 371,
373, 402 f Zivilprozeßordnung (ZPO). Sie enthalten Hinweise der Beteiligten auf ihnen
geeignet erscheinende Beweismittel und führen sie in den Prozeß ein (vgl
Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 50. Aufl Einf. § 284 Anm 5). Der Beweis muß
rechtzeitig angetreten werden, damit Nachteile infolge Verspätung vermieden werden (vgl
§ 296 Abs 1 und § 296 Abs 2 iVm § 282 ZPO). Da die Sozialgerichte den Sachverhalt von
Amts wegen aufklären (§ 103 SGG), haben derartige Beweisantritte im sozialgerichtlichen
Verfahren nur eine geringe prozessuale Bedeutung. Sie enthalten üblicherweise Hinweise
und Anregungen zu Maßnahmen, die von Amts wegen einzuleiten sind, wie das auch im
Zivilprozeß denkbar iVm § 144 ZPO vorkommt, und sollen dem Gericht seine Aufgaben
erleichtern (vgl RGZ 170, 264). Selbst der Zivilprozeß kennt daher die Unterscheidung
von Beweisantrag und Beweisanregung (vgl BGHZ 66, 62, 68).


Der Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG hat indessen einen völlig anderen
prozessualen Stellenwert. Er dient der Vorbereitung einer Revision bei gleichzeitigem
Hinweis an die letzte Tatsacheninstanz darauf, daß nach Ansicht des Antragstellers die
Sachaufklärung lückenhaft geblieben ist. Deshalb hat die Rechtsprechung insoweit hohe
Anforderungen gestellt.


Grundsätzlich muß eine Nichtzulassungsbeschwerde, die damit begründet wird, das
Berufungsgericht sei einem gestellten Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht
gefolgt, aufzeigen, daß der Beweisantrag protokolliert oder im Urteilstatbestand aufgeführt
ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 64). Fehlt es an einer mündlichen Verhandlung, muß ein im
Urteilstatbestand enthaltener Beweisantrag bezeichnet werden. Selbst wenn man für
derartige Fälle eine Erweiterung auf die ausdrücklich schriftsätzlich gestellten Anträge
zuläßt, die zugleich mit der Erklärung des Einverständnisses zur Entscheidung durch


- 4 -

Urteil ohne mündliche Verhandlung gestellt werden, fehlt es hier an der Bezeichnung
eines derartigen Antrags. Denn ein Beweisantrag, der mit der Rüge der Verletzung des
§ 103 SGG zur Zulassung der Revision führen kann, muß ein Beweisantrag im Sinne
dieser Vorschrift sein, also unzweifelhaft erkennen lassen, daß eine weitere Sachver-
haltsaufklärung von Amts wegen für erforderlich gehalten wird. Der Tatsacheninstanz soll
durch einen solchen Antrag vor der Entscheidung vor Augen geführt werden, daß der
Kläger die gerichtliche Sachaufklärungspflicht in einem bestimmten Punkt noch nicht als
erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 160
Nr 67). Eine solche Warnfunktion fehlt bei Beweisantritten, die in der Berufungsschrift
oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind, und ihrem Inhalt nach lediglich als
Anregungen zu verstehen sind, wenn sie nach Abschluß der von Amts wegen
durchgeführten Ermittlungen nicht mehr zu einem bestimmten Beweisthema als
Beweisantrag aufgegriffen werden; eine unsubstantiierte Bezugnahme auf frühere
Beweisantritte genügt nicht.


Die mangelnde Darlegung des Beweisthemas und der Bedeutung weiterer Sach-
aufklärung im Berufungsverfahren wird in der Beschwerdeschrift dadurch bestätigt, daß
auch hier nicht ausgeführt wird, inwiefern sich das Berufungsgericht - ausgehend von
seinem Rechtsstandpunkt - zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen (vgl
BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34 und 56). Insoweit fehlt es an einer Auseinandersetzung
mit der Rechtsauffassung des LSG, so daß nicht deutlich ist, inwiefern die dem
Beschwerdeführer wesentlich erscheinenden Sachverhaltselemente auch für das
Berufungsgericht von Bedeutung gewesen sind.

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Volltext auch bei jurion.de 9 BV 26/93 vom 24.05.1993

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BSG, 9a RV 44/85 vom 13.08.1986, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht



9a RV 44/85



Im Namen des Volkes



Urteil



in dem Rechtsstreit



Kläger und Revisionskläger,



Prozeßbevollmächtigter:



gegen



Beklagter und Revisionsbeklagter.



Das Bundessozialgericht, 9a Senat, hat ohne mündliche Ver-

handlung am 13. August 1986

für Recht erkannt:



Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen

Versäumens der Revisionsfrist gewährt.



Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen

Landessozialgerichts vom 29. August 1985 aufgehoben, soweit

es Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz wegen Gesund-

heitsstörungen auf psychiatrisch—neurologischem und auf



-2-



urologischem Gebiet betrifft. Insoweit wird die Sache zur

erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozial-

gericht zurückverwiesen.



Im übrigen wird die Revision als unzulässig verworfen.



Gründe:



Der Kläger, der in Österreich lebt, war vom 2. Mai bis zum



26. September 1945 wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit in

jugoslawischer Haft. Auf schädigende Einwirkungen dieses Lager-

aufenthalts führt er mehrere Gesundheitsstörungen zurück. Sein

Versorgungsantrag nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ist er-

folglos geblieben (Bescheid vom 25. Januar 1979, Widerspruchs-

bescheid vom 3. Juli 1980, Urteile des Sozialgerichts -SG- vom

3. Februar 1981 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 29. Au-

gust 1985). Das LSG hat einen ursächlichen Zusammenhang zwischen

zahlreichen Gesundheitsstörungen, die der Kläger geltend macht,

und Hafteinwirkungen als nicht wahrscheinlich beurteilt. Insbe-

sondere hätte dies nicht für ein Nervenleiden und für Störungen

im urologischen Bereich zugunsten des Klägers geklärt werden

können. Die vom Urologen für notwendig erachteten Untersuchungen

als Grundlage für eine fachliche Begutachtung seien nicht möglich

gewesen, weil der Kläger die Mitwirkung daran abgelehnt habe. Das

Gericht hat sich mit Gutachten begnügt, die nach Aktenlage er-



- 3 -



stellt worden sind.



Der Kläger rügt mit seiner — vom LSG zugelassenen — Revision eine

Verletzung der §§ 103 und 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG), des § 1

Abs 3 BVG und des § 66 Abs 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner

Teil - (SGB 1). Das Berufungsgericht hätte ein psychiatrisch-

neurologisches und ein urologisches Gutachten auf Grund von Un-

tersuchungen des Klägers einholen müssen. Zwei Sachverständige

für diese Fachgebiete hätten in ihren nach Aktenlage erstatteten

Gutachten diese Sachaufklärung für erforderlich erklärt. Der

Kläger hätte über die Folgen einer Weigerung, bei diesen Beweis-

erhebungen mitzuwirken, vom Gericht hinreichend belehrt werden

müssen. Dies sei nicht geschehen. Deshalb hätte seine Äußerung,

er könne sich jetzt aus gesundheitlichen Gründen nicht nochmals

untersuchen lassen, nicht als endgültige Weigerung gewertet wer-

den dürfen.



Auf Anfrage des Revisionsgerichts hat der Kläger persönlich aus-

drücklich erklärt, er wolle an den notwendigen Untersuchungen

mitwirken.



Der Kläger beantragt,

ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

wegen Versäumung der Revisionsfrist zu

gewähren.



In der Sache beantragt er,



das Urteil des LSG aufzuheben und den



- 4 -



Rechtsstreit an das Berufungsgericht

zurückzuverweisen.



Der Beklagte beantragt,



die Revision als unzulässig zu verwerfen.



Nach seiner Auffassung hat die Revision einen Beweisantrag nicht

dargetan.



Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche

Verhandlung einverstanden erklärt.



II



Dem Kläger war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen un-

verschuldeten Versäumens der Revisionsfrist zu gewähren (§ 67

SGG); er war wegen der wirtschaftlichen Voraussetzung für eine

Prozeßkostenhilfe gehindert, rechtzeitig einen Prozeßbevollmäch-

tigten zu beauftragen.



Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg.



Der Kläger begehrt Versorgung nach dem BVG wegen verschiedener

Gesundheitsstörungen als wahrscheinlichen Folgen seiner jugosla-

wischen Haft (§ 1 Abs 1 und 2 Buchstaben a und c, Abs 3 Satz 1,

§ 5 Abs 1 Buchstabe d, § 9 BVG). Soweit es um die tatsächlichen



- 5 -



Voraussetzungen für die Anerkennung von psychiatrisch-neurologi-

schen und von urologischen Störungen als Schädigungsfolgen (BSG

SozR Nr 81 zu § 1 BVG) und um einen darauf beruhenden Versor-

gungsanspruch geht, hat der Kläger formgerecht und zutreffend

gerügt, daß das LSG seine Sachaufklärungspflicht (§ 153 Abs 1,

§§ 155, 103 Satz 1 Halbs 1 und Satz 2, § 106 Abs 3 Nr 4 SGG)

verletzt hat. Damit fehlt es insoweit an verbindlichen tatsäch-

lichen Feststellungen für eine Sachentscheidung (§§ 163, 104

Abs 2 Satz 3 SGG). Bezüglich dieser selbständigen Ansprüche und

teilbaren Streitgegenstände (§§ 123, 141 Abs 1 SGG) ist das an-

gefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten

Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170

Abs 2 Satz 2 SGG; stRspr, zB BSGE 41, 80, 81 = SozR 3100 § 35

Nr 2; Zeine, Das Sozialgerichtsgesetz und seine Anwendung, § 170

Abs 2 und 3, Rz 15b; Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, 1981, § 170,

Rz 6).



Dem Berufungsgericht hätte es sich auf Grund von Äußerungen des

Urologen Dr. S. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme

vom 13. August 1984 und des Nervenarztes Prof. Dr. F.

im Aktengutachten vom 21. Januar 1985 aufdrängen müssen, den

Kläger von Sachverständigen dieser beiden Fachgebiete untersuchen

und begutachten zu lassen. Die beigezogenen Befundunterlagen und

die nach Aktenlage erstatteten Gutachten ergaben kein zureichen-

des Bild über die beim Kläger im psychiatrisch-neurologischen und

im urologischen Bereich bestehenden Gesundheitsstörungen. Erst

wenn die Krankheitsbilder auf diesen medizinischen Gebieten durch



- 6 -



erforderliche ambulante oder notfalls stationäre Untersuchungen

geklärt sind, ließe sich fachärztlich beurteilen, ob die fest-

gestellten Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit durch

schädigende Einwirkungen der jugoslawischen Haft als wesentliche

Allein- oder Mitbedingung anhaltend verursacht worden sind. Es

ist nicht ausgeschlossen, daß die noch erforderlichen Beweiser-

hebungen zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis führen. Me-

dizinische Sachverständige könnten den Kläger bei ihren Untersu-

chungen auch fachlich gezielt nach Haftumständen befragen, die

als Krankheitsursachen in Betracht kommen, sowie nach dem Krank-

heitsbeginn und -verlauf. Diese Aufklärung wäre notwendig als

Grundlage für die richterliche Entscheidung, welche Einwirkungen

als erwiesen anzusehen sind. Vorab müßte medizinisch geklärt

werden, ob nach allgemeiner Erfahrung schwere Belastungen und

Schädigungen in einer so kurzen Haft, wie sie der Kläger erlitten

hat, schädigende Auswirkungen auf psychiatrisch-neurologischem

Gebiet schlechthin nicht erwarten lassen.



Die gebotene Beweiserhebung erübrigte sich nicht deshalb, weil

der Kläger nicht in der gebotenen Weise bei den ärztlichen Un-

tersuchungen hätte mitwirken wollen (§ 103 Satz 1 Halbs 2 SGG;

Meyer-Ladewig, aaO, § 103, Rz 13 ff; Peters/Sautter/Wolff, Komm

zur Sozialgerichtsbarkeit, § 103, Anm 3; aA Heinze, SGb 198A,

390, 395 f). Bevor das Gericht aus der Erklärung des Klägers, aus

gesundheitlichen Gründen könne er zur Zeit nicht zur ärztlicnen

Untersuchung erscheinen, folgern durfte, er mache endgültig die

gebotene Sachaufklarung unmöglich, hätte es ihn hinreichend über

die Folgen eines solchen Verhaltens schriftlich belehren müssen.



Das folgt entgegen der Rechtsansicht der Revision nicht aus der



-7 -



Vorschrift des § 66 Abs 3 SGB 1 vom 11. Dezember 1975 (BGBl I

3015), die eine entsprechende Regelung enthält (BSG SozR 1500

§ 160 Nr 3A; Peters/Sautter/Wolff, aaO, S 103, Anm 3 S II/74-öf;

aA anscheinend Meyer-Ladewig, § 103, Rz 17). Diese Bestimmung

regelt eine Voraussetzung für die Versagung oder Entziehung einer

Sozialleistung wegen fehlender Mitwirkung, ua bei einer ärztli-

chen Untersuchung (§ b2 SGB 1) im Verwaltungsverfahren (§ 66

Abs 1 und 2 SGB 1). Im Gerichtsverfahren ist hingegen eine Ver-

letzung der Mitwirkungspflicht bei der Sachaufklärung allein be-

deutsam für die Beweiswürdigung; sie kann zur Folge haben, daß

die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht als erwiesen anzusehen

sind (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Dann ist der Klageanspruch nicht

begründet. Indes wird auch im Prozeß, ungeachtet des § 66 Abs 3

SGB 1, regelmäßig als Voraussetzung einer solchen Folgerung ver-

langt, daß das Gericht zuvor den Beteiligten hinreichend über

seine Mitwirkungspflicht und über jene Auswirkung einer unbe-

gründeten Weigerung belehrt hat (BSG SozR Nr 55 zu § 103 SGG;

Meyer-Ladewig, aaO). Daran fehlte es im Schreiben des LSG vom

27. Juli 1983, in dem der Kläger bloß gefragt wurde, ob er zur

Untersucnung in G. oder in der näheren Umgebung bereit und in

der Lage sei. Das Berufungsgericht hat ohne weitere Nachfrage auf

Grund der oben zitierten Erklärung des Klägers Begutachtungen

nach Aktenlage angeordnet. Der Kläger hat aber im Revisionsver-

fahren auf genaueres Befragen verbindlich erklärt, er wolle sich

den erforderlichen Untersuchungen unterziehen.



Im übrigen ist die Revision nicht zulässig, was für jeden ein-

zelnen selbständigen Anspruch gesondert zu prüfen und zu ent-



- 8 -



scheiden ist (BSGE 7, 35, 38 f). Die Frage, die die Grundlage des

gesamten Berufungsurteils betrifft, ob nämlich die mitwirkenden

ehrenamtlichen Richter ordnungsmäßig berufen worden waren, ist

nicht Gegenstand der Revision. Der Kläger hat ausdrücklich er-

klärt, eine darauf bezogene Revisionsrüge erhebe er nicht. Diese

Frage ist im übrigen inzwischen höchstrichterlich geklärt (Bun-

desverfassungsgericht SozR 1500 § 13 Nr 1; zur Veröffentlichung

bestimmtes Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. Januar

1986 - 11a RA 46/85 -.



Gegen die Entscheidung über die einzelnen anderen selbständigen

Ansprüche, dh bezüglich der Nichtbewertung einzelner anderer Ge-

sundheitsstörungen als Schädigungsfolgen sowie des Ausschlusses

einer BVG-Entschädigung für die jugoslawische Haft als solche und

für eine anschließende Arbeitslosigkeit, hat der Kläger keine

Revisionsrügen geltend gemacht. Damit ist insoweit die Revision

unzulässig (BSG SozR 1500 § 104 Nr 22) und zu verwerfen (§ 169

Satz 1 und 2 SGG).



- 9 -



Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG

vorbehalten.

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BSG, 9a BVi 7/83 vom 21.11.1983, Bundessozialgericht
SozR 1500 § 160 Nr 51

Bundessozialgericht

9a BVi 7/83

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Beklagter und Beschwerdegegner.

Das Bundessozialgericht, 9a Senat, hat am 21. November 1983

beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision durch das Landessozialgericht Niedersachsen im

Urteil vom 19. Mai 1983 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe

Die Beschwerde ist nicht zulässig; mit ihr wird keine der Vor—
aussetzungen, die nach § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für
die Zulassung der Revision aufgeführt sind, in der nach § 160a
Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form bezeichnet.

Der Kläger sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) darin, daß die "Beweislastumkehr" im
Impfschadensrecht jedenfalls dann geboten sei, wenn der streitige
ursächliche Zusammenhang trotz erschöpfender Sachaufklärung nicht
wahrscheinlich, aber auch nicht unwahrscheinlich sei. Diese
Rechtsfrage ist nicht mehr klärungsbedürftig, da sie vom Revi—
sionsgericht — wie übrigens vom Kläger selbst vorgetragen — be—
reits entschieden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Nach den Ur—
teilen des erkennenden Senats vom 28. Oktober 1980 (Breithaupt
1981, 803f) und vom 19. August 1981 (BSG SozR 3850 § 52 Nr 1)
kehrt sich die Beweislast bei der Feststellung des ursächlichen
Zusammenhangs zwischen Impfung und Gesundheitsstörung (= haf—
tungsausfüllende Kausalität) nicht um. Vielmehr ist die Wahr-
scheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genügend, aber auch
erforderlich. Läßt sich unter diesen erleichterten Bedingungen
der Wahrscheinlichkeit ein anspruchsbegründender Umstand nicht
ermitteln, geht dies zu Lasten desjenigen, der daraus eine ihm
günstige Rechtsfolge geltend macht (ständige Rechtsprechung des
BSG ua BSGE 30, 121, 123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG; SGb 1976,
490). Demgegenüber beziehen sich die vom Reichsgericht und

- 3 -

Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze über die Beweislastum—
kehr bei Arzthaftpflichtprozessen auf die haftungsbegründende
Kausalität. Da der Kläger gleichwohl eine grundsätzliche Bedeu-
tung der Rechtsfrage geltend macht, obliegt es ihm darzulegen, in
welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der
Rechtsprechung widersprochen bzw die Beantwortung der Rechtsfrage
umstritten ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13; 1500 § 160 Nr 17).
Dies ist nicht geschehen. Der Kläger bezieht sich lediglich auf
die Ausführungen von Walter Bogs, mit denen sich der Senat
bereits in seinem Urteil vom 19. August 1981 (aaO) auseinander—
gesetzt hat.

Ebensowenig ist der Rechtsbegriff der Wahrscheinlichkeit im
Impfschadensrecht klärungsbedürftig. Wie der erkennende Senat in
den oben zitierten Entscheidungen entschieden hat, ist das Impf-
schadensrecht allen Rechtsgrundsätzen des Bundesversorgungsge-
setzes (BVG) unterstellt worden, soweit nicht Besonderheiten
ausdrücklich angeordnet worden sind. Das Impfschadensrecht ist
dem sozialen Entschädigungsrecht im Sinne der §§ 5 und 24 So-
zialgesetzbuch (Allgemeiner Teil) - SGB 1 - eingegliedert. Dieses
soziale Entschädigungsrecht richtet sich nach versorgungsrecht-
lichen Grundsätzen (Art II § 1 Nr 11 Buchst d SGB 1). Infolge-
dessen ist die gleichlautende Rechtsnorm über die Anforderung,
die an den Gewißheitsgrad für den ursächlichen Zusammenhang ge-
stellt wird, hier nicht anders als im Recht der Kriegsopferver-
sorgung auszulegen. Der erkennende Senat hat auch in den genann—
ten Entscheidungen ausgeführt, daß die besondere Ausgestaltung
des Sozialstaatspostulats im Sozialgesetzbuch die Beweisanfor—

- 4 -

derungen auch im Impfschadensrecht unangetastet läßt. Die dem
einzelnen zustehenden sozialen Rechte begründen Ansprüche nur
insoweit, als sie im besonderen Teil des Sozialgesetzbuches
normiert sind (§ 2 Abs 1 Satz 2 SGB 1). Als ein solcher im
genannten Sinne besonderer Teil rechnet das BVG, auch soweit § 51
des Bundesseuchengesetzes die entsprechende Anwendung der
Leistungsvorschriften des BVG vorsieht (Art II S 1 Nr 11 Buchst d
SGB 1).

Bei der ebenfalls als Grund für die Zulassung der Revision gel-
tend gemachte Abweichung des angefochtenen Urteils von den Ur-
teilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. Februar 1980
- 5 RKnU 4/79 —‚ vom 19. August 1981 - 9 RVi 5/80 -‚ vom
22. September 1977 - 10 RV 15/77 — sowie BSGE 19, 52 und 24, 25,
fehlt es an der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen "Bezeich-
nung". Zur Zulässigkeit der Divergenzrüge (5 160 Abs 2 Nr 2 SGG)
gehört die Darlegung, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Ab—
weichung vorliegt; der Beschwerdeführer muß dartun, mit welcher
konkreten rechtlichen Aussage das Landessozialgericht (LSG) von
einer bestimmten Aussage der höchstrichterlichen Rechtsprechung
abgewichen ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 21 und Nr 29). Soweit der
Kläger unter Bezugnahme auf die drei erstgenannten Urteile des
BSG darauf verweist, daß die einzige konkrete Möglichkeit aber
auch wahrscheinlich sei, ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu
entnehmen, welche konkrete Rechtsfrage das LSG anders entschieden
haben soll. Daß andererseits bei der gegebenen Fallgestaltung der
Kläger sich in einem Beweisnotstand befunden habe, erörtert er
nicht im einzelnen. Auch ist ein Abweichen von einer konkreten

- 5 -

Rechtsfrage nicht dargelegt. Abgesehen davon befaßt sich die
Entscheidung BSGE 19, 52, 56 mit der Beweiswürdigung bei unge—
klärter Todesursache und gerade nicht mit dem ursächlichen Zu-
sammenhang, um den es hier ausschließlich geht. Die Entscheidung
BSG 24‚ 25 nimmt zu der Frage der Feststellungslast und Beweis—
würdigung bei schuldhaft vereitelter Sachverhaltsaufklärung
Stellung, hat also ebensowenig den ursächlichen Zusammenhang zum
Inhalt. Inwieweit dennoch eine Abweichung gegeben sein soll, ist
dem Beschwerdevorbringen des Klägers nicht zu entnehmen.

Mit der Rüge, das Berufungsgericht hätte den Beweisanträgen
stattgeben müssen, macht der Kläger eine Verletzung der Sach—
aufklärungspflicht (§ 103 SGG) geltend. Indes fehlen Angaben
darüber, um welche Anträge es sich im einzelnen handelt und wann
diese gestellt worden sind. Sie sind mithin für das Revisions—
gericht nicht ohne weiteres auffindbar. Infolgedessen fehlt es an
einer hinreichenden Kennzeichnung derselben (BSG SozR 1500 § 160
Nr 5).

Die Beschwerde des Klägers enthält in seinem wesentlichen Teil
den Vorwurf, das LSG habe das Recht der freien Beweiswürdigung
(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) verletzt. Diese Rüge ist als Zulas—
sungsgrund schlechthin ausgenommen (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2
SGG). Das gilt auch insoweit, als der Kläger sich gegen die
materielle Richtigkeit des Berufungsurteils wendet. Gegenstand
der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht die Prüfung, ob das
Berufungsgericht richtig entschieden hat. Vielmehr kann auf die
Beschwerde lediglich geprüft werden, ob eine der in § 160 Abs 2

- 5 -

SGG abschließend aufgezählten Zulassungsgründe geltend gemacht
ist und auch vorliegt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 9).

Nach alldem ist das Rechtsmittel zu verwerfen (S 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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BSG, 9/9a RVs 19/86 vom 03.02.1988, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: 9/9a RVs 19/86

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Beklagter und Revisionsbeklagter.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung
am 3. Februar 1988

für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom
23. Oktober 1986 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

Bei dem Kläger ist wegen seiner Kriegsverletzung und wegen anderer Gesund-
heitsstörungen ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 vH anerkannt. Ihm ist
ferner das Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung) und die Berechtigung
zur zuschlagsfreien Benutzung der 1. Klasse bei Reisen mit der Bundesbahn
zuerkannt. Er erstrebt auch das Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Geh-
behinderung), um die besonderen für außergewöhnlich Gehbehinderte einge-
richteten Parkplätze benutzen zu dürfen, weil er nur ein- und aussteigen könne,
wenn die Wagentür vollständig geöffnet sei; das setze die geräumigeren mit
dem Rollstuhlfahrersymbol gekennzeichneten Parkplätze voraus.

Das Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) hat die Klage mit der Begründung abge-
wiesen, der Kläger gehöre nicht dem gesetzlich umschriebenen Personenkreis
an, der sich wegen der Schwere des Leidens ständig nur mit fremder Hilfe oder
nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen könne.
Pro Tag könne der Kläger zwar nur 1 bis 1,5 km an Wegstrecke zurücklegen, er
sei jedoch fähig, zusammenhängend 300 m zu gehen. Diese Fähigkeit über-
steige erheblich die Gehstrecke, die Querschnittsgelähmten, Doppeloberschen-
kelamputierten oder vergleichbaren Behinderten noch zugemutet werden
könne.

Mit der vom SG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, er könne im
Umkreis von 300 m von seiner Wohnung kein öffentliches Verkehrsmittel errei-
chen. Wenn man ihm das Merkzeichen "aG" verweigere, verstoße dies gegen
den Zweck des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG), die Eingliederung in
Arbeit, Beruf und Gesellschaft zu fördern. Es müsse immer die Behinderung im
Einzelfall beachtet werden.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten unter Abän-
derung des Bescheides vom 23. November 1984 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 1985 und unter Aufhebung des
Bescheides vom 3. Juni 1983 zu verurteilen, ihm das Merkzeichen
"außergewöhnliche Gehbehinderung (aG)" zuzuerkennen.

- 3 -

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Ver-
handlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden,
daß dem Kläger das Merkzeichen "aG" nicht zusteht.

Nach § 3 Abs 4 SchwbG idF der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1979
(BGBl I 1649) und ebenso nach § 4 Abs 4 der Neufassung vom 26. August
1986 (BGBl I S 1421, berichtigt 1550) treffen die für die Durchführung des Bun-
desversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden die erforderlichen Fest-
stellungen über weitere gesundheitliche Merkmale als Voraussetzung für die
Inanspruchnahme einer Vergünstigung, bzw eines Nachteilsausgleichs. Nach
§ 3 Abs 1 Nr 1 der Vierten Verordnung zur Durchführung der SchwbG vom
15. Mai 1981 (BGBl I 431 - Ausweisverordnung -, jetzt gültig idF der Bekannt-
machung vom 3. April 1984 - BGBl I S 509) ist im Ausweis des Schwerbehin-
derten das Merkzeichen "aG" einzutragen, wenn der Schwerbehinderte außer-
gewöhnlich gehbehindert ist iS des § 6 Abs 1 Nr 14 des Straßenverkehrs-
gesetzes (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften.
Damit weist das Schwerbehindertenrecht, wie der Senat bereits in seinem Urteil
vom 6. November 1985 - 9a RVs 7/83 - (SozR 3870 § 3 Nr 18) entschieden hat,
die Abgrenzung des begünstigten Personenkreises dem Rechtsgebiet zu, für
das die Begünstigung allein Bedeutung hat. Denn ein Ausweis mit dem Merk-
zeichen "aG" befreit den Behinderten von Beschränkungen des Haltens und
Parkens im Straßenverkehr und eröffnet ihm besonders gekennzeichnete
Parkmöglichkeiten, die - wie der Kläger zutreffend anführt - auch eine größere
Fläche als Parkraum zur Verfügung stellen (nach DIN 18 024 Teil 1, wie in der
nach § 6 Abs 1 Straßenverkehrsgesetz -StVG- idF vom 6. April 1980 (BGBl I
S 413) zuletzt erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Änderung der
Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO vom 21. Juli 1980 (BAnz Nr 137
vom 29. Juli 1980 S 2) unter Art 1 Nr 7a VIII zu § 45 angeordnet ist).

- 4 -

Umschrieben wird der begünstigte Personenkreis in der vom Bundesminister
für Verkehr erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO idF vom
22. Juli 1976 (BAnz Nr 142 vom 31. Juli 1976 S 3), die auf der gesetzlichen
Grundlage des § 6 StVG idF vom 6. August 1975 (BGBl I 2121) beruht. Dort
wird unter Art 1 II die alte Verwaltungsvorschrift zu § 46 unter Nr 11 dahin er-
gänzt, welche Schwerbehinderten als außergewöhnlich gehbehindert anzuse-
hen sind, nämlich solche, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd
nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraft-
fahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppel-
oberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, aber auch einseitig
Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tra-
gen oder die nur eine Beckenkorbprothese tragen können. Neben beispielhaft
aufgeführten Behinderten zählen dazu auch diejenigen, die nach versorgungs-
ärztlicher Feststellung aufgrund von Erkrankungen dem vorstehend
angeführten Personenkreis gleichzustellen sind; des weiteren enthält diese
Verwaltungsvorschrift besondere Regelungen für Blinde.

Das SG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger dem begünstigten Perso-
nenkreis nicht gleichgestellt werden kann. Er leidet an einer erheblichen Bewe-
gungseinschränkung des Hüftgelenks bei federnder Versteifung des Knie-
gelenks nach deformverheiltem Schußbruch des linken Oberschenkels. Wie der
Senat bereits in dem genannten Urteil unter Bezugnahme auf SozR 3870 § 3
Nr 11 entschieden hat, liegt eine außergewöhnliche Gehbehinderung in diesem
Sinne nur vor, wenn die Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße einge-
schränkt ist; die Fähigkeit zu gehen muß unter ebenso großer Anstrengung
oder ebenso nur noch mit fremder Hilfe möglich sein, wie bei dem beispielhaft
aufgeführten Personenkreis. Das Recht, die Gruppe der zu begünstigenden
Schwerbehinderten aus den Zwecken des SchwbG darüber hinaus zu erwei-
tern, ist weder den für die Ausstellung des Ausweises zuständigen Behörden
noch den Sozialgerichten eingeräumt. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die
Formulierung in § 3 Abs 1 Nr 1 der Schwerbehinderten-Ausweisverordnung in-
soweit straßenverkehrsrechtliche Vorschriften für maßgeblich erklärt. Daran hat
die Aufforderung des § 48 Abs 1 SchwbG (in der seit 1. August 1986 geltenden
Fassung), die Nachteilsausgleiche so zu gestalten, daß sie der Art oder
Schwere der Behinderung Rechnung tragen, nichts geändert. Gleichgestellt
werden können daher nicht alle Personen, die durch vergleichbar schwere Lei-
den behindert sind, sondern nur solche, bei denen die Auswirkungen der
Leiden denen gleichzuerachten sind, die der Bundesminister für Verkehr in
seinen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften genannt hat. Der

- 5 -

Leidenszustand muß wegen der außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen
die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken.

Das SG hat unangegriffen (§ 163 SGG) festgestellt, daß die von verschiedenen
Ärzten festgestellte Gehstrecke, die der Kläger noch zusammenhängend zu-
rücklegen kann, weit über den Wegstrecken liegt, die Doppeloberschenkel-
amputierten und vergleichbaren Personen zugemutet werden können. Der Klä-
ger erstrebt auch die Vergünstigung nicht so sehr deshalb, weil er von gewöhn-
lichen Parkplätzen aus angestrebte Ziele nicht erreichen könnte. Er sieht sich
auf einen mit dem Rollstuhlfahrersymbol gekennzeichneten Parkplatz deshalb
angewiesen, weil normale Parkplätze ihm das Ein- und Aussteigen nicht oder
nicht ungefährdet ermöglichen. Zum Ausgleich derartiger Nachteile hat aber der
Bundesminister für Verkehr die Ausnahmegenehmigung nicht geschaffen. Sie
ist vielmehr dazu gedacht, den Schwerbehinderten mit dem Pkw möglichst
nahe an sein jeweiliges Ziel fahren zu lassen: Er darf in Fußgängerzonen par-
ken, Parkzeiten überschreiten oder ohne Gebühr parken. Damit derartige Park-
plätze auch ortsnah zur Verfügung stehen, sind Sonderparkplätze in der Nähe
von Behörden, Krankenhäusern, Orthopädischen Kliniken anzulegen; den
außergewöhnlich Gehbehinderten sind auch Parksonderrechte vor der Woh-
nung oder in der Nähe der Arbeitsstätte einzurichten, wenn in zumutbarer Ent-
fernung eine Garage oder ein Abstellplatz außerhalb des öffentlichen Verkehrs-
raumes nicht vorhanden ist (vgl die Allgemeine Verwaltungsvorschrift in der
Fassung vom 21. Juli 1980 aaO). Der Umfang dieser Vergünstigungen verdeut-
licht nochmals, daß nicht die Schwierigkeiten bei der Benutzung des gewöhnli-
chen Parkraums, sondern die jeweilige Lage bestimmter Parkplätze zu be-
stimmten Zielen straßenverkehrsrechtlich maßgeblich ist. Der Nachteilsaus-
gleich soll allein die neben der Personenkraftwagenbenutzung unausweichlich
anfallende tatsächliche Wegstrecke soweit wie möglich verkürzen. Dies be-
deutet zugleich, daß der Personenkreis eng zu fassen ist. Denn mit der Aus-
weitung des Personenkreises steigt nicht nur die Anzahl der Benutzer, dem an
sich mit einer Vermehrung entsprechender Parkplätze begegnet werden
könnte. Mit jeder Vermehrung der Parkflächen wird aber dem gesamten Perso-
nenkreis eine durchschnittlich längere Wegstrecke zugemutet, weil ortsnaher
Parkraum nicht beliebig geschaffen werden kann. Auch hier ist bei einer an sich
vielleicht wünschenswerten Ausweitung des begünstigten Personenkreises zu
bedenken, daß dadurch der in erster Linie zu begünstigende Personenkreis
wieder benachteiligt würde.

Auch aus der Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung für Blinde können
weitere Folgerungen zugunsten des Klägers nicht gezogen werden. Wie der

- 6 -

Senat in der Entscheidung SozR 3870 § 3 Nr 18 bereits ausgeführt hat, fehlt es
insoweit an der Möglichkeit, sonstige Beschädigte mit Blinden gleichzustellen.
Die maßgebliche Verwaltungsvorschrift zu § 46 Nr 11 II Nr 2 besagt vielmehr im
Einklang mit § 6 Abs 1 Nr 14 StVG lediglich, daß für Blinde ebenso wie für
außergewöhnlich Gehbehinderte eine Ausnahmegenehmigung zugunsten des
jeweiligen Kraftfahrzeugführers ausgestellt werden kann. Die Blinden werden
damit nicht zu außergewöhnlich Gehbehinderten erklärt. Ihnen wird nur stra-
ßenverkehrsrechtlich derselbe Nachteilsausgleich eingeräumt, ohne daß ihr
Schwerbehindertenausweis mit "aG" zu kennzeichnen ist. Auf die tatsächliche
Handhabung kommt es insoweit nicht an. Schon deshalb entbehrt der Gleich-
stellungsanspruch des Klägers gegenüber der Versorgungsverwaltung der
Grundlage. Der Kläger ist auch nicht generell an der Benutzung gewöhnlicher
Parkplätze gehindert. Es hängt von ihrer Lage und Ausgestaltung im Einzelfall
ab, ob der Kläger auf der Fahrerseite die Tür ausreichend weit öffnen und mit
welchen Vorkehrungen er eine Gefährdung durch den fließenden Verkehr ver-
meiden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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BSG, 9/9a BV 196/87 vom 15.02.1988, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht



9/9a BV 196/87





Beschluß





in dem Rechtsstreit







Klägerin, Antragstellerin



und Beschwerdeführerin,



Prozeßbevollmächtigte:







Beklagter, Antragsgegner



und Beschwerdegegner.







Das Bundessozialgericht, 9. Senat, hat am 15. Februar 1988



beschlossen:







Der Antrag der Klägerin, ihr Prozeßkostenhilfe für das Ver-



fahren vor dem Bundessozialgericht zu gewähren und Rechts-



anwalt K als Prozeßbevollmächtigten beizuordnen,



wird abgelehnt.







Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der



Revision durch das Landessozialgericht Niedersachsen im



Urteil vom 14. August 1987 wird als unzulässig verworfen.







- 2 -







Kosten sind nicht zu erstatten.







G r ü n d e :







Prozeßkostenhilfe kann der Klägerin nicht gewährt werden, weil



ihre Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg



bietet (§ 73a Sozialgerichtsgesetz -SGG- iVm § 11H Abs 1 Satz 1



Zivilprozeßordnung -ZPO-).







Die Revision ist nicht durch das Bundessozialgericht (BSG) zuzu-



lassen; denn die Klägerin hat einen Beweisantrag, den das Lan-



dessozialgericht (LSG) ohne hinreichende Begründung übergangen



haben soll (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm § 103), nicht form-



gerecht bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).







Einen solchen Antrag hätte sie entweder nach dem Inhalt der



Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem



Berufungsgericht oder wenigstens nach dem Urteilsinhalt gestellt



oder vorher schriftlich vorgebracht und bis zum Ende der Sitzung



aufrecht erhalten haben müssen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 12). Nach



der Beschwerdebegründung ist keine dieser Voraussetzungen er-



füllt.







Die Klägerin bezieht sich lediglich auf einen mündlich gestellten



Antrag, der nicht protokolliert wurde. Sie behauptet nicht, er



sei in die Sitzungsniederschrift aufgenommen worden (§§ 153, 122







- 3 -







SGG iVm § 159 Abs 1 Satz 1, § 160 Abs 3 Nr 2 und Abs 6 ZPO), was



auch nicht zutrifft. Ein Beweisantrag, der über § 160 Abs 2 Nr 3



Halbsatz 2 SGG für die Zulassung der Revision bedeutsam wird, muß



protokolliert sein; er gehört zu den Anträgen "im weiteren Sinn",



und zwar zu den rechtserheblichen Angriffsmitteln, die in § 136



Abs 2 Satz 2 SGG neben dem "erhobenen Anspruch" (vgl dazu § 123



SGG) genannt werden. Das Beachten dieser vorgeschriebenen Förm-



lichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden (§ 165



ZPO). wenn eine Klägerin - wie im gegenwärtigen Fall - vor dem



LSG durch einen Rechtsanwalt vertreten war, ist der protokol-



lierte Antrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ebenso maß-



geblich, wie wenn sie nicht rechtskundig vertreten war. Im



zweiten Fall muß das Revisionsgericht davon ausgehen, daß der



Vorsitzende des Berufungsgerichts einen gestellten Beweisantrag



hätte protokollieren lassen (§ 112 Abs 2 Satz 2 SGG iVm § 160



Abs 3 Nr 2 ZPO). Die Klägerin behauptet nicht, sie habe durch



ihren Rechtsanwalt die Protokollierung eines Beweisantrages, auf



den die Beschwerde abstellt, beantragt (§ 160 Abs 4 Satz 1 ZPO)



und dies sei abgelehnt worden (§ 160 Abs 4 Satz 2 und 3 ZPO).



Schließlich hat die Klägerin keine Protokollergänzung oder -be-



richtigung beantragt (§ 160a Abs 2 Satz 3 und § 164 ZPO).







Ein Beweisantrag, auf den sich die Klägerin jetzt bezieht, wird



auch nicht im Tatbestand des Berufungsurteils wiedergegeben



(§ 136 Abs 1 Nr 5 und Abs 2 Satz 2 SGG). Insoweit hat die Kläge-



rin keine Berichtigung des Urteils beantragt (§ 139 SGG). Eine



Prozeßhandlung, die für die Eröffnung des Revisionsverfahrens



unerläßlich wäre, muß in verfahrensrechtlich vorgeschriebener







- 4 -







Form beurkundet sein, dh im Protokoll oder wenigstens im Ur-



teilstatbestand. Die Zulassung der Revision kann nicht davon ab-



hängig sein, ob sich bei einer vom Revisionsgericht zu veran-



lassenden Zeugenvernehmung die Richter, der Schriftführer oder



ein Beteiligter daran erinnern können, daß der Kläger eine wei-



tere Beweiserhebung mündlich beantragt hat.







Die Beschwerdebegründung verweist mit ihrem Bezug auf die beiden



Schriftsätze der Klägerin vom 14. März 1986 und 29. April 1986



nicht auf einen solchen Beweisantrag. Die Beschwerde wird darauf



-gestützt, daß ein Ursachenzusammenhang zwischen einer Leberschä-



digung und einer Lues-Behandlung mit arsenhaltigem Neo-Salvarsan



nicht geprüft worden sei. Zwar hat die Klägerin in den bezeich-



neten Schriftsätzen für notwendig erklärt, noch durch ein Gut-



achten zu klären, ob eine Salvarsan-Behandlung ihren Leberschaden



verursacht habe. Aber damit stellte sie kein neues Beweisthema



zur Diskussion; denn Prof. Dr. K , dessen Gutachten vom



25. Mai 1984 die Klägerin damals beanstandete und noch weiterhin



für unzureichend hält, hat auch eine Leberschädigung durch andere



Medikamente als Quecksilberpräparate zur Behandlung einer Lues



nicht als wahrscheinlich beurteilt (vgl das wörtliche Zitat in



der Beschwerdebegründung). Bei dieser Sachlage hätte die Klägerin



zu ihren schriftlichen Anträgen darlegen müssen, warum das Gut-



achten insoweit unzureichend sein sollte. Abgesehen davon wird



mit der Beschwerde nicht schlüssig geltend gemacht, nach dem



weiteren Verfahrensverlauf müsse angenommen werden, daß der Be-



weisantrag in der mündlichen Verhandlung aufrecht erhalten wurde



(BSGE 3, 284, 285; SozR 1500 § 160 Nr 12). Falls der Klägerin die







- 5 -







nach ihrer schriftlichen Beweisanregung vorgenommene Sachaufklä-



rung nicht genügte, hätte ihr Prozeßbevollmächtigter im Hinblick



auf § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG zuletzt vor der mündlichen



Verhandlung oder im Termin selbst einen ergänzenden Beweisantrag



entsprechend dem jetzigen Beschwerdevorbringen ausdrücklich stel-



len müssen. Die Klägerin behauptete nicht, sie habe genau einen



derartigen Beweisantrag in der Sitzung vorgebracht. Bei dieser



Verfahrenslage durfte das LSG davon ausgehen, daß eine Begutach-



tung über eine Verursachung durch Neo-Salvarsan nicht mehr bean-



tragt wurde.







Die Kostenentscheidung entspricht § 193 SGG.

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BGH, VIII 298/83 vom 30.05.1984, Bundesgerichtshof
BUNDESGERICHTSHOF

VIII ZR 298/83

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

der Firma S. G.. de B. S.A., Aktiengesellschaft
belgischen Rechts, , M. du P., B., vertreten durch
ihren Vorstand, Albert C., Rene L., Yves B., Comte Eric
de V. de C, ebenda, diese vertreten durch die
B. Bank, Niederlassung K., der S. G. de
B. S.A,, Z.straße in K, vertreten durch
die Geschäftsleitunq, Dr. Jürgen D., Georges N.,

Kägerin und Revisionsklägerin

Prozeßbevollmächtiqter: Rechtsanwalt Dr.

den Kaufmann Mohammed Reza M.-Z., Inhaber der Handels-
firma M. Bros., G. B. in H. ,

Beklagten und Revisionsbeklagten,

Prozeßbevollmächtigte Rechtsanwälte Dr. und ,
IT. Instanz: in

- 2 -

Der VIII Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den
Vorsitzenden Richter B. und die Richter T., Dr. Z.,
Dr. P. und G.

am 30. Mai l984

beschlossen:

Der Antrag des Beklagten, ihm unter Beiordnung
seiner zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten
Prozeßkostenhilfe für das beabsichtigte Verfahren
zur Bewilligung der Prozeßkostenhilfe zu gewähren,
wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte beantragt, ihm Pro-
zeßkostenhilfe für das Verfahren zur Bewilligung von Prozeßko-
stenhilfe für das Revisionsverfahren zu gewähren und ihm dafür
seine zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten beizuordnen.
Nach Bewilligung beabsichtigt er, Prozeßkostenhilfe für seine
Rechtsverteidigung in der Revisionsinstanz und für eine unsel-
bständige Anschlußrevision zu beantragen.

- 3 -

II. 1. Unter der Geltung des Armenrechts und auch nach
Einführung der Prozeßkostenhilfe war und ist in Rechtsprechung
und Literatur umstritten, ob im Prozeßkostenhilfe- (bzw. im
Armenrechts-) Bewilligungsverfahren Prozeßkostenhilfe (bzw.
Armenrecht) gewährt werden kann (vgl. ablehnend: OLG Schleswig
SchlHA 1978, 75; OLG Hamburg FamRZ 1978, 936; OLG Bremen JurBüro
1979, 447; OLG Karlsruhe AnwBl 1980, 198; OLG Düsseldorf JurBüro
1981, 773; OLG Nürnberg NJW 1982, 288; OLG Hamm FamRZ 1982, 623;
KG FamRZ 1982, 831; Schneider MDR 1981, 793; Pentz NJW 1982,
1269; Thomas/Putzo, ZPO, 12. Aufl. § 114 Anm. 1; Wieczorek,
ZPO, 2. Aufl. § 114 Rdn. A II; Zöller/Schneider, ZPO,
13. Aufl. Anm. I 1 b; ders. Vorbem. § 114 Anm. III;
bejahend: OLG Köln OLGZ 1969, 33, 35; OLG Celle Nds Rpfl 1977,
190; OLG Köln MDR 1980, 407; OLG Hamm NJW 1982, 287; Baumbach/
Lauterbach/Hartmann, ZPO, 41. Aufl. § 114 Anm. 2 B i, § 119
Anm. 1 C e; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl. § 118 a
Rdn. 14). Der Bundesgerichtshof hat diese Streitfrage bisher
nicht entschieden; er hat sie in seinem Beschluß vom 28. Janu-
ar 1956 - IV ZR 225/55 (*= LM ZPO § 119 Nr. 3) ausdrücklich
offen gelassen.

2. Der überwiegenden Auffassung, nach der für das Pro-
zeßkostenhilfeverfahren grundsätzlich keine Prozeßkostenhilfe
gewährt werden kann, ist zuzustimmen. Das Gesetz sieht Prozeß-
kostenhilfe für das Bewilligungsverfahren nicht vor (so auch OLG
Schleswig SchlHA 1978, 75, 76; OLG Bremen JurBüro 1979, 447; OLG

- 4 -

Düsseldorf JurBüro 1981, 773, 774; OLG Nürnberg, NJW 1982, 288;
OLG Hamm FamRZ 1982, 623). Nach § 114 ZPO kann Prozeßkostenhilfe
für die "Prozeßführung" gewährt werden. Hierunter ist das ei-
gentliche Streitverfahren zu verstehen, nicht aber das Prozeß-
kostenhilfeprüfungsverfahren, in welchem lediglich über die Ge-
währung staatlicher Hilfe für den Antragsteller zu befinden ist
(vgl. OLG Hamm FamRZ 1982, 623). Dagegen weisen diejenigen, die
Prozeßkostenhilfe für das Prüfungsverfahren befürworten, darauf
hin, im Prozeßkostenhilfeverfahren werde zwar unmittelbar über
staatliche Fürsorgeleistungen entschieden, gleichzeitig erfolge
jedoch eine vorläufige rechtliche Prüfung durch den Richter, in
deren Rahmen die Beteiligten ihre Rechte verfolgten. Das Be-
willigungsverfahren sei deshalb dem streitigen Prozeßverfahren
eng verwandt (OLG Köln OLGZ 1969, 33, 35, 36; vgl. auch OLG
Köln MDR 1980, 407).

Einer solchen ausdehnenden Auslegung bedarf es nach Sinn
und Zweck der Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe jedoch
nicht. Der armen Partei soll ermöglicht werden, ihr Recht vor
Gericht zu verfolgen oder sich in einem Rechtsstreit zu vertei-
digen. Die Partei wird nicht dadurch benachteiligt, daß ihr für
das Bewilligungsverfahren keine Prozeßkostenhilfe gewährt, ins-
besondere kein Rechtsanwalt beigeordnet wird. Bedarf der Antrag-
steller, bevor er einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe stellt, der
Beratung über die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung, so findet das Beratungshilfegesetz Anwen-

- 5 -

dung, das unter den Voraussetzungen des § 1 Rechtsberatung durch
Anwalt oder Gericht außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens er-
möglicht (vgl. OLG Nürnberg NJW 1982, 288; Schneider MDR 1981,
793, 794; Zöller/Schneider, ZPO, 13. Aufl. § 119 Anm. I 1 b
und Vorbem.§ 114 Anm. III; für die Anwendbarkeit des Bera-
tungshilfegesetzes zugunsten des Antrags g e g n e r s, weil
für diesen das Prozeßkostenhilfeverfahren kein gerichtliches
Verfahren sei, Pentz NJW 1982, 1269, 1270; a.A. auch für den
Antragsgegner: OLG Hamm NJW 1982, 287). Ziel des Beratungshilfe-
gesetzes ist es, sicherzustellen, daß die rechtliche Betreuung
finanziell hilfsbedürftiger Bürger auch im vor- und außerge-
richtlichen Bereich gewährleistet ist (vgl. Gesetzentwurf der
Bundesregierung und Stellungnahme des Bundesrates in BR-Drucks.
404/79, Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
(6. Ausschuß) in BT-Drucks. 8/3695). Hierzu gehört die Be-
ratung der armen Partei über ein beabsichtigtes Prozeßkosten-
hilfeverfahren, insbesondere die für die Bewilligung der Prozeß-
kostenhilfe maßgeblichen Erfolgsaussichten der vorgesehenen
Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, die im vorliegenden
Falle vom Gericht zwar nicht hinsichtlich der Rechtsverteidigung
des Beklagten als Rechtsmittelgegner (vgl. § 119 Satz 2 ZPO),
wohl aber hinsichtlich der beabsichtigten Anschlußrevision zu
prüfen wären. Auch für eine solche Beratung im Vorfeld des
Prozeßkostenhilfeverfahrens muß die staatliche Betreuung der
armen Partei gewährleistet sein. Denn der zweitinstanzliche
Prozeßbevollmächtigte würde - wie jeder neu eingeschaltete

- 6 -

Rechtsanwalt - für diese Tätigkeit eine besondere Auskunfts-
gebühr nach § 20 BRA- GebO erhalten (Riedel/Sußbauer/Fraunholz,
BRAGebO, 3. Aufl. § 20 Rdn. 16).

Der Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe als sol-
cher kann sodann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt
werden (§ 117 Abs. 1 ZPO); Anwaltszwang besteht nach § 78
Abs. 2 ZPO auch in der Revisionsinstanz nicht. Dabei ist der
Urkundsbeamte verpflichtet, den Antragsteller über die Antrags-
erfordernisse des § 117 ZPO sachgemäß zu beraten (Baumbach/
Lauterbach/Hartmann, ZPO, 42. Aufl. § 117 Anm. 2 B).

Der armen Partei, der für das Bewilligungsverfahren Pro-
zeßkostenhilfe nicht gewährt wird, entstehen auch keine Kosten-
nachteile. Das Prozeßkostenhilfeprüfungsverfahren ist gerichts-
gebührenfrei (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 42. Aufl.
§ 118 Anm. 5 A; Thomas/Putzo, ZPO, 12. Aufl. § 118
Anm. 3 a). Dem Gegner werden außergerichtliche Kosten, die ihm
im Bewilligungsverfahren entstehen, nicht erstattet (§ 118
Abs. 1 Satz 4 ZPO). Auch für etwaige Auslagen nach § 118
Abs. 1 Satz 5 ZPO muß der Antragsteller keinen Vorschuß lei-
sten. Sie werden zunächst von der Staatskasse getragen und nach
Abschluß des Rechtsstreits der unterlegenen Partei als Gerichts-
kosten auferlegt (Baumbach/Lauterbach/Hartmann aaO; Thomas/Putzo
aaO).

- 7 -

3. Da die Rechtsberatung der armen Partei durch das Be-
ratungshilfegesetz gewährleistet ist und der Urkundsbeamte der
Geschäftsstelle für einen vollständigen und sachgemäßen Antrag
der Partei sorgen muß, ist die Chancengleichheit der armen Par-
tei im Vergleich zu finanziell gut gestellten Rechtssuchenden
gewahrt. Die restriktive Auslegung des Begriffes "Prozeßführung"
in § 114 ZPO verstößt daher nicht gegen den Gleichheitssatz des
Art. 3 Abs. 1 GG (so auch OLG Bremen JurBüro 1979, 447). Auch
ist dem Erfordernis des Art. 103 Abs. 1 GG (rechtliches Gehör)
Rechnung getragen (so auch OLG Nürnberg NJW 1982, 288). Denn das
Grundgesetz verlangt nicht, daß das rechtliche Gehör gerade
durch Vermittlung eines Anwalts wahrgenommen wird (BVerfG NJW
1971, 2302).

4. Das Oberlandesgericht Hamm hat in seinem Beschluß vom
10. November 1981 dem Antragsgegner für das Prozeßkostenhilfe-
verfahren Prozeßkostenhilfe mit der Begründung gewährt, die Neu-
fassung des § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO nötige unter den Voraus-
setzungen des § 114 ZPO zur Bewilligung der Prozeßkostenhilfe
und Beiordnung eines Rechtsanwalts, weil danach das Interesse
einer Partei an anwaltlicher Vertretung immer dann beachtlich
sei, wenn auch die andere Partei durch einen Rechtsanwalt ver-
treten sei (NJW 1982, 287, 288). Dem kann nicht gefolgt werden.
Denn § 121 ZPO regelt lediglich, ob der Partei, der Prozeß-
kostenhilfe bewilligt worden ist, auch ein Rechtsanwalt beige-
ordnet werden muß. Dieser Vorschrift kann umgekehrt aber nicht

- 8 -

entnommen werden, daß dem - armen - Gegner einer anwaltlich ver-
tretenen Partei immer Prozeßkostenhilfe bewilligt und ein Anwalt
beigeordnet werden muß.

5. Da die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozeß-
kostenhilfe nach alledem nicht vorliegen, kann offen bleiben, ob
der gestellte Antrag nicht schon deshalb zurückgewiesen werden
müßte, weil dem Beklagten im Falle der Bewilligung der nach-
gesuchten Prozeßkostenhilfe seine zweitinstanzlichen Prozeßbe-
vollmächtigten nach § 121 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht beigeordnet
werden könnten. Hierdurch entstünden nämlich zusätzliche Kosten.
Das Prozeßkostenhilfeverfahren zählt zum Gebührenrechtszug des
Verfahrens, auf das es sich bezieht (Riedel/Sußbauer/Keller,
BRAGebO, 3. Aufl. § 51 Rdn. 13), hier also zur Revisionsin-
stanz. Das bedeutet, daß die im Prozeßkostenhilfeverfahren ver-
dienten Gebühren auf die im Rechtsstreit entstehenden ange-
rechnet werden (Riedel/Sußbauer/Keller aaO). Die Vertretung der
Partei im Prozeßkostenhilfeverfahren durch einen beim Revisions-
gericht nicht zugelassenen Rechtsanwalt würde daher die Anrech-
nung verhindern. Dieses Ergebnis soll durch § 121 Abs. 2 Satz 2
ZPO ausgeschlossen werden. Ohne die Beiordnung seiner zweitin-
stanzlichen Prozeßbevollmächtigten hätte die Bewilligung von
Prozeßkostenhilfe für das Prozeßkostenhilfeverfahren für den
Beklagten indessen kein erkennbares Interesse.

- 9 -

6. Ob über die Frage der Gewährung von Prozeßkostenhilfe
für das Bewilligungsverfahren anders zu entscheiden wäre, wenn
im Rahmen des Prozeßkostenhilfeverfahrens ein Vergleich ge-
schlossen werden soll (vgl. hierzu OLG Schleswig SchlHA 1978,
75, 76; Pentz NJW 1982, 1269, 1270), kann hier dahinstehen, da
ein solcher Fall nicht vorliegt.

B. T. Dr. Z.
Dr. P. G.

Nachschlagewerke: ja
BGHZ: ja

ZPO §§ 114, 121 Abs. 2 Satz 2

Für das Prozeßkostenhilfeverfahren kann Prozeßkostenhilfe nicht
gewährt werden.

BGH, Beschl. v. 30. Mai 1984 - VIII ZR 298/83 - OLG Hamburg
LG Hamburg

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BVerwG, 7 B 46.88 vom 31.03.1988, Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE: nein

Fachpresse: ja



Sachgebiet:

Prüfungsrecht

Erste Juristische Staatsprüfung

Verwaltungsprozeßrecht



Stichworte:

Prüfungsrechtliches Gebot der Sach-

lichkeit; Voraussetzungen einer

Divergenz



Rechtsquelle:



VwGO S 132 Abs. 2 Nr. 2

Buchh. 310 § 132 VwGO Nr. 260 (LT1)

KMK HScHR 1988, 981-982 (LT1)



Beschluß vom 31. März 1988 - BVerwG 7 B 46.88



Leitsatz:



Die unrichtige Anwendung eines vom Bundes-

verwaltungsgericht entwickelten und vom

Berufungsgericht nicht in Frage gestell-

ten Rechtsgrundsatzes auf den zu entschei-

denden Einzelfall begründet keine Abwei-

chung im Sinne des S 132 Abs. 2 Nr. 2

VwGO (ständige Rechtsprechung).



Beschluß des 7. Senats vom 31. März 1988 - BVerwG 7 B 46.88



I. VS Hannover vom 04 02.1987 - Az.: 6 VG A 17/85 -

II. OVG Lüneburg vom 15.12.1987 - Az.: 10 OVG A 5/87 -



BUNDESVERWALTUNGSGERICHT



BVerwG 7 B 46.88

10 OVG A 5/87



BESCHLUSS



In der Verwaltungsstreitsache



hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts



am 31. März 1988 .



durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts

Prof. Dr. S. und die Richter am Bundes-

verwaltungsgericht S. und Dr. G.



beschlossen:



Die Beschwerde der Klägerin gegen die

Nichtzulassung der Revision in dem Urteil

des Oberverwaltungsgerichts für die Länder

Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom

15. Dezember 1987 wird zurückgewiesen.



Die



- 2 -



Die Klägerin trägt die Kosten des Be-

schwerdeverfahrens.



Der Wert des Streitgegenstandes wird

für das Beschwerdeverfahren auf

6 000 DM festgesetzt.



Die Klägerin, die die Erste Juristische Staatsprüfung mit

der Abschlußnote "vollbefriedigend (11,20 Punkte)" bestanden

hat, möchte erreichen, daß die Note auf "gut" verbessert

wird. Sie stützt ihr Begehren darauf, daß die Beurteilung

ihrer Hausarbeit als "gut (13 Punkte)" Fehler enthalte.



Nach ihrer Auffassung wäre die Hausarbeit ohne die Fehler

mindestens als "gut (14 Punkte)" beurteilt und damit die

erstrebte Gesamtnote erzielt worden. Widerspruch, Klage und

Berufung waren ohne Erfolg.



Auch die Beschwerde, mit der die Klägerin sich gegen die

Nichtzulassung der Revision wendet, kann keinen Erfolg

haben. Die allein geltend gemachte Abweichung des Berufungs-

urteils von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom

20. September 1984 (BVerwGE 70, 143 = DVBl. 1985, 61 =

DÖV 1985, 488 = NVwZ 1985, 187) liegt nicht vor.



In dem bezeichneten Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht

ausgesprochen, daß im Prüfungsrecht das Gebot der Sachlich-

keit gilt, und dargelegt, welche Anforderungen dieses Gebot

an den Prüfer stellt. Eine Abweichung im Sinne des S 132

Abs. 2 Nr. 2 VwGO läge nur dann vor, wenn das Berufungs-

urteil dem widersprochen, also das Gebot der Sachlichkeit

nicht



- 3 -



nicht als Voraussetzung eines fehlerfreien Prüfungsverfahrens

anerkannt oder hinsichtlich der Anforderungen andere Maßstäbe

gesetzt hätte. Das aber ist nicht der Fall.



Das Berufungsgericht geht ersichtlich davon aus, daß das Gebot

der Sachlichkeit zu den allgemeingültigen Bewertungsgrundsätzen

gehört, denn es behandelt ausdrücklich die Frage, ob die Korrek-

toren der Hausarbeit gegen dieses Gebot verstoßen haben (UA S. 9).

Daß es hierbei andere Maßstäbe angelegt hat als das Bundes-

verwaltungsgericht‚ ergibt sich aus dem Urteil nicht. Die Be-

schwerde verweist insoweit (unter den Buchstaben a) bis c))

auf Fehler, die nach ihrer Auffassung den Beurteilern unter-

laufen sind. Dabei übersieht sie, daß sich aus einer fehler-

haften Beurteilung allein noch nicht der Schluß auf einen Verstoß

gegen das Gebot der Sachlichkeit ziehen läßt. Davon abgesehen

läuft die Argumentation der Beschwerde darauf hinaus, das Be-

rufungsgericht habe die Fehler zu Unrecht nicht als prüfungs-

rechtlich relevant gewertet und damit das Recht - in seiner

Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht - unrichtig ange-

wendet. Die unrichtige Anwendung eines vom Bundesverwaltungs-

gericht entwickelten und vom Berufungsgericht nicht in Frage

gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden Einzel-

fall wäre aber noch keine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2

Nr. 2 VwGO. Die Beschwerde verkennt, daß der Tatbestand dieser

Bestimmung nur erfüllt ist, wenn das Berufungsgericht in einer

Rechtsfrage - losgelöst von der Würdigung des Einzelfalles -

eine dem Bundesverwaltungsgericht widersprechende Rechtsauf-

fassung vertritt. Das ist hier nicht der Fall.



Die Kostenentscheidung beruht auf S 154 Abs. 2 VwGO, die Streit-

wertfestsetzung auf S l4 Abs. 1 Satz l in Verbindung mit S l3

Abs. 1 Satz 2 GKG. '



Prof. Dr. S. S. Dr. G.

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VG Wiesbaden, 6 K 1374/11.WI vom 15.03.2013, Verwaltungsgericht Wiesbaden
6 K 1374/11.WI



Verkündet am: 15.03.2013



(K...)

Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle



VERWALTUNGSGERICHT WIESBADEN





URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES



In dem Verwaltungsstreitverfahren





- Kläger —

bevollmächtigt:

Rechtsanwälte



gegen



Bundesrepublik Deutschland,

vertreten durch das



- Beklagte -



wegen



Verfahren nach dem Informationsfreiheitsgesetz



- 2 -



hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden durch

Vorsitzenden Richter am VG Schild als Berichterstatter



aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2012 am 15.03.2013 für Recht er-

kannt:



Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren einge-

stellt. lm Übrigen wird die Klage abgewiesen.



Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.



Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf

die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe

der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Voll-

streckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.



Tatbestand



Der Kläger begehrt Einsicht in die Haushaltsbücher der Einkommens- und Verbraucher-

stichprobe des Jahres 2008 (EVS 2008).



Der Kläger wandte sich erstmals mit Mail vom 29.09.2010 an die Beklagte. Dabei führte

er aus, dass er den Regelsatz für Alleinstehende für zu niedrig halte. Aufgrund seiner

persönlichen Erfahrung könne er sich nicht vorstellen, dass der Regelsatz korrekt be-

rechnet worden sei. Er benötige deshalb alle Berechnungsfaktoren und bitte um ent-

sprechende Zusendung. Er halte es für zwingend notwendig, die Berechnung des Sta-

tistischenBundesamtes zu prüfen; dies, um auszuschließen, dass die Berechnungen



- 3 -



manipuliert oder gemäß dem politischen Willen der Koalition interpretiert worden seien.

Er bitte, ihm alle für eine Nachvollziehung der Berechnung notwendigen Einzeldatensät-

ze, am Besten eine Ablichtung der abgegebenen Datenaufschreibung zukommen zu

lassen.



Nachdem ihm verschiedene Veröffentlichungen zugänglich gemacht worden waren, er-

klärte der Kläger mit Mail vom 11.01.2011, dass er alle 60.000 Haushaltsbücher zwecks

Auswertung, jedoch ohne Namensangabe und konkreten Wohnsitz benötige. Daraufhin

wurde ihm mitgeteilt, dass anonymisierte Mikrodaten (Einzeldaten aus den Haushalts-

büchern) Wissenschaftlern auf Antrag bereitgestellt würden.



Nachdem der Beklagte dem Kläger Daten der Einkommens- und Verbraucherstichprobe

(EVS) 2008 zum Haushaltsbudget u.a. den privaten Verbrauch nach Einzelcodes in der

tiefsten Gliederung zugesandt hatte, beantragte der Kläger mit Mail vom 24.08.2011

erneut, ihm die 60.000 Datensätze, die Basis für die Hartz IV-Regelsatzberechnung wa-

ren, als Datenfiles zukommen zu lassen. Dabei berief er sich auf das Informationsfrei-

heitsgesetz.



Daraufhin wurde dem Kläger mit Mail vom 29.08.2011 mitgeteilt, dass das Statistische

Bundesamt die Informationsversorgung der Bevölkerung gewährleiste, indem es sehr

detaillierte Ergebnisse der EVS 2008 kostenlos zur Verfügung stelle. Die Ergebnisse

basierten auf den Daten von 55.100 Haushalten, die Haushaltsbücher der EVS 2008

ausgefüllt hätten. Mikrodaten würden für Wissenschaftler bereitgestellt. Im Sinne größt-

möglicher Transparenz und Nachvollziehbarkeit habe das Bundesministerium für Arbeit

und Soziales alle statistischen Berechnungen offen gelegt, die bei der Neuberechnung

der Regelsätze verwendet worden seien. Diese Berechnungen seien Sonderauswertun-

gen vom Statistischen Bundesamt, welche im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit

und Soziales durchgeführt worden.



Daraufhin begehrte der Kläger mit Mail vom 29.08.2011 eine formelle Bescheidung.



- 4 -



Mit Schreiben der Beklagten vom 01.09.2011 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die ge-

sammelten, personenbezogenen Daten für Zwecke der amtlichen Statistik erhoben und

deshalb dem Statistikgeheimnis nach § 16 Bundesstatistikgesetz (BStatG) unterliegen

würden. Nach § 16 Abs. 6 BStatG dürften Daten, die dem Statistikgeheimnis unterfallen,

auch in anonymisierter Form nur für die Durchführung wissenschaftlicher Vorhaben an

Hochschulen oder sonstigen Einrichtungen unabhängiger Forschung übermittelt wer-

den, wenn die Einzelangaben nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand an Zeit, Kos-

ten, Arbeitskraft zugeordnet werden könnten und die Empfänger Amtsträger oder für

den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete nach § 16 Abs. 7 BStatG seien. Der

Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er zu dem begünstigten Personenkreis zäh-

le.



Das Informationsfreiheitsgesetz (lFG) gebe jedermann nach Maßgabe der Gesetze ge-

genüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informati-

onen. Dieser Zugang sei jedoch nicht schrankenlos, sondern an Voraussetzungen ge-

knüpft. So sei z.B. auch der Zugang zu personenbezogenen Daten eingeschränkt. Dies

sei der Fall, wenn ein besonderes Amtsgeheimnis der Informationsgewährung entgegen

stehe. Dies sei mit § 16 BStatG gegeben. Man gebe ihm abschließend Gelegenheit zur

Stellungnahme.



Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 04.09.2011 ihm Kopien der ca.

60.000 Haushaltsbücher in anonymisierter Form, in Papierform oder aber hilfsweise als

Datenfiles, zukommen zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht habe ihm mit Schrei-

ben vom 17.02.2011 mitgeteilt, dass die Rohdaten beim Beklagten zu beziehen seien.

Er wiederhole ausdrücklich, dass er keinerlei personenbezogene Daten (Namen und

Anschriften der Haushaltsbuchführer) erhalten wolle, sondern lediglich alle Daten, die es

ihm ermöglichten, die Richtigkeit der EVS-Erhebung kontrollieren zu lassen, da er diese

anzweifle.



Mit Bescheid des Beklagten vom 15.09.2011, zur Post gegeben am 16.09.2011, wurde

der Antrag abgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass auf-



- 5 -



grund der Beachtung und Wahrung des Statistikgeheimnisses nach § 16 Abs. 6 BStatG

durch das Statistische Bundesamt keine Einzeldaten herausgegeben werden könnten.

Das Statistikgeheimnis sei ein besonderes Amtsgeheimnis.



Hiergegen legte der Kläger mit Fax vom 21.09.2011 Widerspruch ein. Im Weiteren frage

der Kläger an, ob die Datenfiles EVS 2008 Wissenschaftlern, Gutachtern sowie übrigen

Beteiligten der Anhörung im Bundestagsausschuss Arbeit und Soziales zur Verfügung

gestellt worden seien.



Nach mehreren Erinnerungen des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid des Be-

klagten vom 09.11.2011 der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im

Wesentlichen ausgeführt, dass der Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen

nach § 1 IFG nicht schrankenlos sei. Gemäß § 3 IFG bestehe ein Anspruch auf Informa-

tionszugang nicht, sondern sei z.B. ausgeschlossen bei militärischen oder sicherheitsre-

levanten Bereichen und auch dann, wenn die Informationen einem Berufs- oder beson-

derem Amtsgeheimnis unterliegen. Das Statistikgeheimnis nach § 16 Abs. 1 BStatG

stelle eine solches Amtsgeheimnis dar. Unter seinem Schutz stünden Einzelangaben

über persönliche oder sachliche Verhältnisse, die für die Bundesstatistik gemacht wor-

den seien. Schutzwürdig und damit geheim zu halten seien danach Einzeldaten, die

vom Auskunftspflichtigen oder Befragten in Erfüllung seiner statistischen Auskunfts-

pflicht oder bei einer Erhebung ohne Auskunftspflicht freiwillig abgegeben würden. Die

in den Haushaltsbüchern von den teilnehmenden Haushalten gemachten Angaben un-

terlägen damit dem Statistikgeheimnis und dürften nicht herausgegeben werden. Selbst

wenn man die begehrten Haushaltsbücher derart anonymisiere, dass sie nur mit einem

unverhältnismäßig großem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeit zugeordnet werden

könnten, dürften diese nicht zur Verfügung gestellt werden, da sie nicht die Voraus-

setzungen des § 16 Abs. 1 BStatG erfüllten.



Der Widerspruchsbescheid wurde am 15.11.2011 zugestellt.



- 6 -



Mit Schriftsatz vom 11.12.2011, eingegangen am selben Tage bei dem VerwaItungsge-

richt Wiesbaden, hat der Kläger Klage erhoben mit dem Ziel, ihm Kopien der rund

60.000 Haushaltsbücher, die Gegenstand der EVS 2008 waren, in anonymisierter Form

zu überlassen.



Im Laufe des weiteren Verfahrens beantragte der Kläger schließlich in der mündlichen

Verhandlung am 30.11.2012



die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die im Rahmen der EVS 2008 erhobenen

Daten zur Verfügung zu stellen, soweit sie folgende Teile der Haushaltsbücher

betreffen:



— alle Daten eines Einpersonenhaushalts mit Ausnahme der Datenfelder Land,

Haushaltsnummer, Datenfelder A bis H; stattdessen das von der Beklagten

ermittelte Nettoeinkommen pro Einpersonenhaushalt;



— die Ausgaben I bis W

mit der Maßgabe, dass der Beklagten zugestanden wird, für jedes einzelne

Datenfeld die Extremwerte im Volumen der jeweils kleinsten bzw. größten

zehn Prozent der Werte, mindestens jedoch fünf der jeweiligen Spitzenwerte

(im oberen bzw. unteren Bereich) unkenntlich zu machen und so darzustellen,

als ob keine Angaben eingefügt worden sind;



— der Beklagten nachgelassen bleibt, einzelne Datensätze vollständig auszulas-

sen, wenn die Daten so signifikant sind, dass sie mit geringem Aufwand an

Zeit, Kosten und Arbeitsaufwand einer Person zugeordnet werden können.



Der Kläger stellt klar, dass keine Namen, Geburtsdaten oder sonstigen personenbezo-

genen/beziehbaren Daten erwünscht werden. Der Beklagten werde dabei freigestellt, in

welcher Form die Daten zur Verfügung gestellt werden.



Der Kläger erklärte ferner klarstellend, dass mit den obersten und untersten zehn Pro-

zent der jeweils oberste und unterste Wert für jedes einzelne Merkmal gemeint seien.



- 7 -



Im Übrigen nahm er die Klage zurück.



Das beklagte Statistische Bundesamt beantragt,

die Klage abzuweisen.



Es führt letztendlich zur Begründung aus, dass, nach dem nunmehrigen Antrag des Klä-

gers die Vorgaben nach dem Klageantrag zwar technisch möglich umgesetzt werden

könnten. Insoweit könnten die Datensätze der Einzelhaushalte (15.465 Haushalte) her-

ausgefiltert werden. Aus diesen Datensätzen würden dann alle Datenfelder gelöscht mit

Ausnahme der Datenfelder, die Angaben zu den Haushaltsbuchabschnitten I bis W so-

wie den Wert zum jeweiligen Haushaltsnettoeinkommen enthalten. Ebenfalls technisch

umsetzbar sei die Vorgabe, dass jedes einzelne Datenfeld die Extremwerte in Volumen,

die jeweils kleinsten bzw. größten 10 % der Werte, mindestens jedoch 5 der jeweiligen

Spitzenwerte unkenntlich zu machen, indem sie so dargestellt werden, als ob der Haus-

halt keine Angaben gemacht hätte.



Jedoch gebe das Bundesstatistikgesetz vor, dass Einzelangaben nur an Hochschulen

oder sonstige Einrichtungen mit der Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher For-

schung übermittelt werden dürften, sofern sie nur mit unverhältnismäßig großem Auf-

wand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft zugeordnet werden könnten. Der Kläger zähle als

Privatperson nicht zu diesem Adressatenkreis. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 BStatG dürften

Einzelangaben Privatpersonen nur zugänglich gemacht werden, wenn sie den Befragten

oder Betroffenen nicht mehr zuzuordnen seien.



Die Kriterien für einen absolut anonymisierten Datensatz könnten vorliegend nicht erfüllt

werden. Bei den gewünschten Daten handele es sich um keine Stichprobe. Auch sei die

Erhebung noch aktuell. Hinzu komme, dass der Kläger das ermittelte Nettoeinkommen

pro Ein-Personen-Haushalt „spitz“ wünsche. Die Angaben I bis W müssten mindestens

5-fach besetzt sein.



- 8 -



Eine absolute Anonymisierung der Daten führe dazu, dass eine Deanonymisierung nur

mit erheblich höherem Aufwand durchführbar wäre, wenn nicht die Originaldaten, son-

dern in geeigneter Weise durch Berechnungsverfahren veränderte Daten herausgege-

ben würden. Dies würde aber bedeuten, dass ein neuer Datensatz berechnet werden

müsste. Dies entspreche dann nicht mehr den Vorgaben des lFG. Hiernach müsse die

Behörde nur vorhandene Daten bzw. Aufzeichnungen herausgeben. Jedoch müssen

keine neuen Aufzeichnungen hergestellt werden.



Ohne Neuberechnung wäre trotz der erfolgten Löschung etc. eine Deanonymisierung

der Daten möglich. Dabei müsse insbesondere auch die Kombination von Ausgabeposi-

tionen betrachtet werden, die derart exklusiv seien, dass sie einem bestimmten Haus-

halt zugeordnet werden könnten. Für einige wenige Positionen seien die exakten Aus-

gaben zu erkennen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass mehr als ein Haushalt eine auf

den Cent-Betrag identische Ausgabenkombination aufweise, ausgesprochen gering sei.

An den Kläger dürften aber nur absolut anonymisierte Datensätze zur Verfügung gestellt

werden.



Außerhalb des IFG gebe es die Möglichkeit, für den Kläger einen absolut anonymisier-

ten Datensatz herzustellen. Die Herstellung und Übermittlung eines solchen Datensat-

zes erfolge dann aber nur gegen eine entsprechende Kostenübernahme (in Höhe von

geschätzt mehreren Tausend Euro).



Bereits mit Kammerbeschluss vom 22.05.2012 wurde dem Kläger nur insoweit Prozess-

kostenhilfe gewährt, als ihm die im Rahmen der EVS 2008 erhobenen Daten von rund

60.000 Haushaltsbüchern als Datenfiles in anonymisierter Form zur Verfügung zu stel-

len seien. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt.



Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Klägers wurde vom HessVGH mit Beschluss

vom 16.08.2012 zurückgewiesen (Az. 6 D 1218/12).



- 9 -



Eine dagegen eingelegte Anhörungsrüge wurde mit Beschluss des HessVGH vom

10.09.2012 zurückgewiesen (Az. 6 D 1757/12.R).



Bereits mit Schriftsatz vom 14.12.2011 (Bl. 31 GA) hat sich der Kläger und mit Schrift-

satz vom 28.12.2011 hat sich das beklagte Statistische Bundesamt (Bl. 34 GA) mit einer

Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.



In der nach mehreren Terminierungsversuchen durchgeführten mündlichen Verhand-

lung am 30.11.2012 wurde der Sach- und Streitstand sehr ausgiebig erörtert. Insoweit

wird vollinhaltlich auf das Protokoll Bezug genommen.



Aufgrund des insoweit in der mündlichen Verhandlung gestellten, modifizierten und ein-

geschränkten Klageantrages erhielt sowohl das Statistische Bundesamt als auch an-

schließend der Kläger hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme. Auf die abgegebe-

nen Stellungnahmen wird vollinhaltlich Bezug genommen.



Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die Prozesskos-

tenhilfe-Akte, die Behördenakte sowie die Gerichtsakte 6 L 928/12.WI Bezug genom-

men, welche sämtlich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung

gemacht worden sind.



Entscheidungsgründe



Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Klage zurückgenommen hat, war

das Verfahren einzustellen.



Der von dem Kläger nunmehr gestellte konkretisierende Antrag ist zulässig und sach-

dienlich. Er ist aber nicht begründet. Zwar hat jeder nach Maßgabe des IFG gegenüber

den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen, § 1

Abs. 1 Satz 1 IFG. Jedoch besteht ein solcher Anspruch auf Informationszugang nicht,



- 10 -



wenn die Informationen einer durch Rechtsvorschrift oder allgemeine Verwaltungsvor-

schrift zum materiellen oder organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten

Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitsverpflichtung oder einem Berufs- oder besonde-

ren Amtsgeheimnis unterliegt, § 3 Nr. 4 IFG. Bei der Regelung des § 3 IFG handelt es

sich um einen absoluten Ausschlusstatbestand. Unter besondere Amtsgeheimnisse fal-

len neben dem Sozialgeheimnis (§ 35 SGB l) und dem Steuergeheimnis (§ 30 AO) auch

das Statistikgeheimnis gemäß § 16 BStatG.



Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 BStatG sind „Einzelangaben über persönliche und sachliche

Verhältnisse, die für eine Bundesstatistik gemacht worden sind und von den Amtsträ-

gern und für den Öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, die mit der Durchführung

von Bundesstatistiken betraut sind, geheimzuhalten, soweit durch besondere Rechts-

vorschriften nichts anderes bestimmt ist“. Bei der Einkommens- und Verbraucherstich-

probe des Jahres 2008 (EVS 2008) handelt es sich um eine Bundesstatistik. Hierbei

wurden von den jeweiligen Betroffenen Einzelangaben in die Haushaltsbücher eingetra-

gen. Damit unterliegen diese der Geheimhaltung gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 BStatG.



Eine besondere Rechtsvorschrift, die etwas anderes bestimmt und damit die Geheim-

haltungspflicht des § 16 Abs. 1 S. 1 BStatG durchbricht, ist nicht gegeben.



Das Statistikgeheimnis findet jedoch gemäß § 16 Abs. 1 S. 2 BStatG keine Anwendung,

wenn



a) der Befragte schriftlich in die Übermittlung oder Veröffentlichung von Einzelangaben

eingewilligt hat,



b) die Einzelangaben aus allgemein zugänglichen Quellen stammen,



c) die Einzelangaben von dem Statistischen Bundesamt oder den statistischen Ämtern

der Länder mit den Einzelangaben anderer Befragter zusammengefasst und in statis-

tischen Ergebnissen dargestellt sind (sog. aggregierte Daten)

oder aber, wenn



d) die Einzelangaben dem Befragten oder Betroffenen nicht zuzuordnen sind (§ 16

Abs. 1. S. 2 Nr. 4 BstatG).



- 11 -



Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Denn der Kläger begehrt mit seinem Klageantrag

alle Daten eines Ein-Personen-Haushaltes mit Ausnahme der Datenfelder: Land, Haus-

nummer, Datenfelder A — H. Insoweit begehrt er das jeweils ermittelte Nettoeinkommen

pro Ein-Personen-Haushalt und ferner die Angaben über die Ausgaben I — W (Kosten

für Wohnen und Energie, Verkehr, Post und Telekommunikation, Gesundheit und

Körperpflege, Bekleidung und Schuhe, Innenausstattung, Haushaltsgeräte und

—gegenstände, laufende Haushaltsführung, Freizeit, Unterhaltung und Kultur, Gaststät-

ten, Kantinen, Hotels, Pensionen, Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren, Bildungswe-

sen und Kinderbetreuung, sonstige Waren und Dienstleistungen, Versicherungsbeträge,

Bildung von Geldvermögen, Restzahlungen, Ratenzahlungen, Soll- und Überziehungs-

zinsen, Neuaufnahme von Krediten). Bei diesen Daten handelt es sich um Einzelanga-

ben, die dem jeweiligen Betroffenen, der das Haushaltsbuch ausgefüllt hat, im Einzel-

nen zugeordnet werden können.



Zwar hat der Kläger dargelegt, dass er die Datensätze vollständig ausgelassen habe

wolle, die so signifikant sind, dass mit geringem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeits-

aufwand diese einer Person zugeordnet werden können, jedoch bleiben auch die übri-

gen Einzelangaben grundsätzlich dem jeweiligen Betroffenen zuordenbar. Es handelt

sich in diesem Fall, so wie der Kläger die Daten nunmehr von der Beklagten begehrt, -

wenn überhaupt - um lediglich anonymisierte Daten. Denn mit einem entsprechenden

Zusatzwissen kann das auf Cent genau angegebene Einkommen, aber auch eine Aus-

gabe, einer Person zugerechnet werden.



Nur soweit die Daten so zusammengefasst und so gehäuft sind, dass es sich um statis-

tische und damit aggregierte Daten handelt, sind Einzelangaben einer natürlichen Per-

son sicher nicht mehr zuordnenbar. Dabei ist zu beachten, dass § 3 Abs. 1 BDSG be-

stimmt, dass personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche

Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person sind. Soweit die

Daten nicht statistisch zusammengefasst sind, wofür es mindestens der Daten von fünf

Betroffenen zur Aggregierung bedarf, sind die Daten allenfalls als anonymisierte Daten



- 12 -



nur mit einem unverhältnismäßig großem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft ei-

ner bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zuordnenbar. Dabei ist anony-

misieren definiert als das Verändern personenbezogener Daten derart, dass die Einzel-

angaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse nicht oder nur mit einem unver-

hältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder

bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden können. Es handelt sich hierbei

jedoch weiterhin um personenbezogene Daten, solange eine Wiederzusammenführung

der zur Identifikation geeigneten Daten mit anderen anonymisierten Daten möglich ist.

Soweit eine Reidentifizierung nicht völlig ausgeschlossen werden kann, ist daher immer

von einem personenbezogenen Datum auszugehen.



Zur Anoymisierung ist es zwar auch unerlässlich, dass die direkten oder indirekten Iden-

tifikationsmerkmale, wie Name, Anschrift, Personenkennzeichen usw. gelöscht werden.

Dieser Vorgang, wie ihn der Kläger begehrt, führt jedoch letztendlich nicht dazu, dass

eine Personenbeziehbarkeit auszuschließen ist. Die Einzelangaben können im Zweifel

einem Betroffenen zugeordnet werden, auch wenn dazu vielleicht ein Zusatzwissen er-

forderlich ist. Erst wenn aus den Daten „Einzelangaben“ ein neuer Datenbestand ge-

schaffen wird, der personenbeziehbare Daten nicht mehr enthält, handelt es sich um

Einzelangaben, die einer natürlichen Person nicht mehr zugeordnet werden können.



Dabei ist zunächst festzustellen, dass das von dem Betroffenen angegebene Nettoein-

kommen und seine Ausgaben nach dem Klagebegehen (mit Ausnahme der „Extremwer-

te“) unverändert übermittelt werden sollen und damit einem einzelnen Betroffenen

grundsätzlich zuordnenbar sind. Nur wenn — wie die Beklagte zu Recht ausführt — die

Originaldaten in geeigneter Weise durch Berechnungsverfahren verändert würden (Zu-

sammenfassung von mindestens fünf Einzelhaushalten und Ermittlung eines Durch-

schnittswertes), lägen aggregierte Daten und damit keine Einzelangaben vor.



Bei den von dem Kläger begehrten Daten handelt es sich jedoch, selbst wenn man die

Datenfelder Land, Haushaltsnummer Datenfelder A — H löscht und auch signifikante Ext-

remwerte ausblendet, um nichts anderes als um anonymisierte Daten, die — wenn auch



- 13 -



gegebenenfalls mit einem erheblichen Aufwand —- einem Betroffenen zugerechnet wer-

den können.



Bezüglich anonymisierter Daten enthält § 16 BStatG jedoch eine Sonderregelung. Hier

regelt § 16 Abs. 6 BStatG, dass Einzelangaben, die nur mit unverhältnismäßig großem

Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft zugeordnet werden können, zur Durchführung

wissenschaftlicher Vorhaben an Hochschulen oder sonstige Einrichtungen mit der Auf-

gabe unabhängiger wissenschaftlicher Forschung übermittelt werden dürfen, wenn die

Empfänger Amtsträger sind oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete o-

der verpflichted nach § 16 Abs. 7 BStatG sind, sie also auf das Statistikgeheimnis ver-

pflichtet wurden.



Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil (Urteil vom

15.12.1983, Az.: 1 BvR 209/83 u.a.) festgestellt: „Für den Schutz des Rechts auf infor-

mationelle Selbstbestimmung ist — und zwar auch schon für das Erhebungsverfahren —

die strikte Geheimhaltung der zu statistischen Zwecken erhobenen Einzelangaben un-

verzichtbar, solange ein Personenbezug noch besteht oder herstellbar ist (Statistikge-

heimnis); das Gleiche gilt für das Gebot einer möglichst frühzeitigen faktischen Anony-

misierung, verbunden mit Vorkehrungen gegen eine Deanonymisierung.“



Damit wurde festgestellt, dass dem Betroffenen im Rahmen des Statistikgeheimnisses

das Restrisiko einer Deanonymisierung im Verhältnis zu der Statistikbehörde zugemutet

werden kann. Diese Überlegung führt jedoch nicht dazu, dass anonymisierte Daten von

der Statistikbehörde an Außenstehende wie den Kläger weiter gegeben werden dürfen.



Insoweit hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Urteil vom 10.09.2003, Az.:

5 E 2413/02, Rdnr. 28 — nach juris — ausgeführt:



„Angesichts der erheblichen Bedeutung der Statistik für die staatliche Politik, die

den Prinzipien und Richtlinien des Grundgesetzes verpflichtet ist, muss der Ein-

zelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbe-



- 14 -



stimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen (so BVerwG, Urteil

vom 15.12.1983, Az.: 1BvR 209/83 u.a.). Dabei muss berücksichtigt werden,

dass es nicht Aufgabe der Bundesstatistik ist, personen- oder institutionsbezoge-

ne Nachweise zu liefern, sondern sich mit Massenerscheinungen auseinanderzu-

setzen. Die amtliche Statistik ist daher generell dem Grundsatz verpflichtet, wo-

nach die Aufbereitung von Individualdaten immer zu einer strukturierten, anony-

misierten Form führen muss. Der Grundsatz der Geheimhaltung der statistischen

Einzelangaben ist somit als konstitutiv für die Funktionsfähigkeit der amtlichen

Statistik anzusehen (vgl. dazu Dr. Poppenheger, Erläuterung zu § 16 BStatG, in:

Das deutsche Bundesrecht Vl/l Z1 O). “



Insoweit sind Daten, welche letztendlich noch einem Betroffenen zugeordnet werden

können, dem Statistikgeheimnis unterliegend, soweit diese Daten beim Statistischen

Bundesamt vorliegen.



Zur Einhaltung des Statistikgeheimnisses gemäß § 16 Abs. 1 BStatG bedarf es vorlie-

gend auch mehr als dem einfachen Weglassen von personenbeziehbaren Datenteilen.

Vielmehr müssten die Daten komplett neu berechnet und verändert werden, was bedeu-

tet, dass neue Datensätzen herzustellen sind. Dies wiederum ist von dem Anspruch auf

Informationsfreiheit nicht gedeckt. Denn der Anspruch bezieht sich nur auf vorhandene

Informationen. Denn gemäß § 2 Nr. 2 IFG sind amtliche Informationen jede amtlichen

Zwecken dienende Aufzeichnung unabhängig von der Art ihrer Speicherung, mithin be-

reits vorhandene Daten. Insoweit kennt das IFG auch keine Informationsbeschaffungs-

pflicht oder gar Herstellungspflicht von Informationen.



Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob durch entsprechende Überarbeitung der

Daten diese so verändert werden können, dass sie einer einzelnen Person nicht mehr

zugeordnet werden können. Dies auch, wenn der Kläger dazu anmerkt, dass wenn man

das gesamte Anonymisierungsraster über die Daten legen würde, wie der Beklagte sie

vorgeschlagen habe, dies keinen Erkenntniswert mehr für ihn habe.



- 15 -



Wie sich im Rahmen des Verfahrens ergeben hat, liegen bei der Beklagten auch keine

„Rohdaten“ vor, welche so beschaffen sind, dass möglicherweise darin enthaltene Ein-

zelangaben dem Betroffenen nicht zuzuordnen sind. Insoweit ist der nunmehrige ge-

richtliche Kenntnisstand ein weitergehender als zum Zeitpunkt der Gewährung der Pro-

zesskostenhilfe bei dem Beschluss vom 22.05.2012.



Nach alledem war die Klage abzuweisen.



Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 VwGO.



Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit bezüglich der Kosten folgt

aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.



Rechtsmittelbelehrung



Die Beteiligten können die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil beantragen. Der

Antrag auf Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des voll-

ständigen Urteils bei dem



Verwaltungsgericht Wiesbaden

Mainzer Straße 124

65189 Wiesbaden



zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Mona

ten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen

die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag

vorgelegt worden ist, bei dem



Hessischen Verwaltungsgerichtshof

Brüder-Grimm-Platz 1

34117 Kassel



einzureichen.



Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn



1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,



2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,



3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,



- 16 -



4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwal-

tungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes o-

der des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht o-

der



5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend

gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.



Vor dem Hessischen Venrwaltungsgerichtshof besteht gemäß § 67 Abs. 4 VwGO Vertre-

tungszwang. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren beim Hessi-

schen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird.



Bei den hessischen Verwaltungsgerichten und dem Hessischen VerwaItungsgerichtshof

können elektronische Dokumente nach Maßgabe der Verordnung der Landesregierung

über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwalt-

schaften vom 26. Oktober 2007 (GVBI. l, S. 699) eingereicht werden. Auf die Notwen- '

digkeit der qualifizierten digitalen Signatur bei Dokumenten, die einem schriftlich zu un-

terzeichnenden Schriftstück gleichstehen, wird hingewiesen (§ 55a Abs. 1 Satz 3

VwGO)

Hinweis:

Soweit eine Ausfertigung dieses Urteils Randnummern enthält, sind diese von der Un-

terschrift des Richters nicht gedeckt und entspricht nicht dem Original.

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BSG, 5 RJ 26/94 vom 12.12.1995, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT



Im Namen des Volkes



Urteil



in dem Rechtsstreit



Az: 5 RJ 26/94



Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:



gegen



Landesversicherungsanstalt Hessen,

Frankfurt, Städelstraße 28,

Beklagte und Revisionsbeklagte.



Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 12.

Dezember 1995 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. B.,

die Richter B. und Dr. F. sowie die ehrenamtliche Richterin W.

und den ehrenamtlichen Richter van S. für Recht erkannt:



Auf die Revision des Klägers wird der Beschluß des Hessischen Landessozial-gerichts

vom 15. Oktober 1993 aufgehoben.



Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht

zurückverwiesen.



- 2 -



Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung

vorbehalten.



- 3 -



Gründe:



I



Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des

60. Lebensjahres und einer Arbeitslosigkeit von mindestens 52 Wochen in den letzten

eineinhalb Jahren an den Kläger. Streitig ist insbesondere das maßgebliche

Geburtsdatum des Klägers.



Der Kläger ist türkischer Nationalität. Er arbeitete zwischen 1969 und 1988 versi-

cherungspflichtig in der Bundesrepublik Deutschland. Bei der Erteilung der Versi-

cherungsnummer in der gesetzlichen Rentenversicherung wurde als Geburtsdatum der

10. Januar 1935 zugrunde gelegt. Seinen unter der Vorlage einer Entscheidung des

Amtsgerichts E /Türkei, wonach sein Geburtsdatum auf den 10. Januar 1930 geändert

worden war, gestellten Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs 2

der Reichsversicherungsordnung (RVO) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom

16. Februar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Januar 1991 ab,

weil der Kläger das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet habe.



Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts vom

14. August 1992; Beschluß des Landessozialgerichts vom 15. Oktober 1993). Zur

Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Nach den Urteilen des

Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. und 14. Oktober 1992 - 5 RJ 16/92 und 5 RJ 24/92 -

habe ein Versicherter grundsätzlich keinen Anspruch darauf, daß der Versicherungsträger

ein anderes Geburtsdatum als das bei der Bildung der Versicherungsnummer

berücksichtigte verwende. Denn richtiges Geburtsdatum sei stets und auf Dauer das von

dem Versicherungsträger bei Vergabe der Versicherungsnummer zugrunde gelegte

Geburtsdatum, wenn dieses den im damaligen Zeitpunkt vom Versicherten gemachten

Angaben entspreche und mit den von ihm damals vorgelegten ausländischen Urkunden

übereinstimme. Die spätere Änderung des Geburtsdatums sei daher nicht zu

berücksichtigen; somit entfalle die Notwendigkeit weiterer Beweiserhebung. Diese

Grundsätze seien auch auf den sogenannten "Leistungsfall" zu beziehen.



Der Kläger hat die vom BSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des

§ 1248 Abs 2 RVO und des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Er ist der Ansicht: Der Versicherungsträger sei bei Geltendmachung von Lei-

stungsansprüchen verpflichtet, das richtige Geburtsdatum für den Leistungsfall

festzustellen. Das in der Versicherungsnummer enthaltene Geburtsdatum des Ver-

sicherten könne nicht präjudiziell für die Festlegung des Leistungsfalls sein; so habe das

BSG im Urteil vom 29. November 1985 (4a RJ 9/85 - SozR 2200 § 1248 Nr 44) auch

entschieden, daß der Versicherungsträger stets verpflichtet sei, im Leistungsfall das



- 4 -



richtige Geburtsdatum aufgrund freier Beweiswürdigung festzustellen. Im Rahmen dieser

Beweiswürdigung komme dem durch ausländische Gerichte festgesetzten Geburtsdatum

zumindest Indizfunktion ("prima facie"-Beweis) zu. Dieses geänderte Geburtsdatum

werde auch von deutschen Behörden, zB der Ausländerbehörde, dem Arbeitsamt und der

Krankenkasse, als verbindlich anerkannt.

Der Kläger beantragt,

den Beschluß des Hessischen Landessozialgerichts vom 15. Oktober 1993, das

Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. August 1992 sowie den Bescheid der

Beklagten vom 16. Februar 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom

25. Januar 1991 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter

Zugrundelegung des Geburtsdatums vom 10. Januar 1930 ab 1. Februar 1990

Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs 2 RVO zu gewähren,



hilfsweise,



den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG

zurückzuverweisen.



Die Beklagte beantragt,



die Revision zurückzuweisen.



Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und die Rügen des Klägers für un-

begründet. Den vom Kläger angebotenen Zeugenbeweis sieht sie für prinzipiell nicht

geeignet an, das Geburtsdatum eines Versicherten zu beweisen, weil es sich allenfalls um

einen Beweis vom "Hörensagen" handelte. Im weiteren führt sie aus: Zeugen, die

behaupteten, im gleichen Jahr wie der Kläger geboren zu sein, könnten diese Tatsache

nicht aus eigener Kenntnis bekunden. Das Geburtsdatum der Zeugen sei ebensowenig zu

beweisen, wie das des Klägers. Wenn Eintragungen in türkische Geburtsregister falsch

sein könnten, könnten dies auch die Eintragungen hinsichtlich der Zeugen sein.



II



Die kraft Zulassung durch das BSG statthafte Revision des Klägers ist iS der Aufhebung

des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und

Entscheidung an das LSG begründet. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen

für eine abschließende Entscheidung nicht aus. Das Berufungsgericht wird zum Alter des

Klägers und zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des vorgezogenen

Altersruhegeldes wegen Arbeitslosigkeit noch weitere Ermittlungen anzustellen haben.

Nach § 1248 Abs 2 RVO erhält Altersruhegeld auf Antrag der Versicherte, der - neben

weiteren Voraussetzungen - das 60. Lebensjahr vollendet hat. Feststellungen zum Alter



- 5 -



des Klägers hat das Berufungsgericht noch nicht getroffen. Es hat das Geburtsdatum des

Klägers vielmehr der bisher für ihn vergebenen Versicherungsnummer entnommen und

ausgeführt, ein Versicherter habe grundsätzlich kein Recht darauf, daß der

Versicherungsträger ein anderes Geburtsdatum als das bei der Bildung der

Versicherungsnummer berücksichtigte verwende. Bei der Gewährung von Altersruhegeld

gemäß § 1248 Abs 2 RVO sind die anspruchsbegründenden Tatsachen im Leistungsfall

jedoch von Amts wegen unter Ausschöpfung aller erreichbaren und tauglichen

Beweismittel nach den auch sonst im sozialrechtlichen Verwaltungs- und

Gerichtsverfahren geltenden Regeln festzustellen (dazu unten noch näher). Insoweit stellt

§ 1248 Abs 2 RVO als Anspruchsgrundlage keine Ausnahme vom Modell

leistungsrechtfertigender Normen iS des § 2 Abs 1 Satz 2 des Ersten Buches

Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) dar, für die es selbstverständlich ist, daß

zur ordnungsgemäßen Leistungsabwicklung der den jeweiligen Tatbestandsmerkmalen

entsprechende Sachverhalt im Einzelfall nach §§ 20 ff des Zehnten Buches

Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) und §§ 117 ff SGG konkret und

vollständig zu ermitteln und festzuschreiben ist.



Eine Besonderheit gegenüber den allgemein gültigen Grundsätzen besteht hierbei auch

nicht in der Frage, ob und in welchem Umfang es eine Bindung an zuvor schon in

anderem rechtlichen Zusammenhang und auf andere rechtliche Verfahrensweise

vorgenommene Notierungen von Daten gibt. Greifen nicht derartige generelle

Gesichtspunkte prozeß- oder auch sozialversicherungsrechtlicher Art (zB Beweis-

sicherung nach § 76 SGG, Tatbestandswirkung, Vormerkung von Versicherungszeiten)

mit bestätigender - dh Zweifel erschwerender oder sogar ausschließender - Wirkung ein,

bleibt es für eine anspruchsbegründende Tatsache beim Grundsatz der aktuell auf den

Leistungsfall bezogenen vollen Ermittlung und Beweisführung. Der Tatsache des

Geburtsdatums eines Versicherten ist durch die Verwendung als Bestandteil der

Versicherungsnummer in dieser Hinsicht keine Sonderstellung eingeräumt.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts gibt es weder eine materiell-rechtliche

Bestimmung noch einen sonstigen Rechtssatz, wonach für den Versicherungsfall

maßgebendes Geburtsdatum stets und auf Dauer das vom Versicherungsträger bei der

Vergabe der Versicherungsnummer zugrunde gelegte Geburtsdatum ist, wenn dieses den

im damaligen Zeitpunkt von dem Versicherten gemachten Angaben entspricht und mit

den von ihm damals vorgelegten ausländischen Urkunden übereinstimmt. Die insoweit

vom LSG zitierten Urteile des erkennenden Senats vom 13. und 14. Oktober 1992 (5 RJ

16/92 und 24/92 -BSGE 71, 170 = SozR 3-5748 § 1 Nr 1 und SozVers 1993, 278)

betreffen allein den Anspruch eines Versicherten auf Berichtigung seiner bisherigen

Versicherungsnummer (Vergabe einer neuen Versicherungsnummer) bei geändertem

Geburtsdatum. In diesen Entscheidungen hat der Senat auf die Ordnungsfunktion der

Versicherungsnummer abgestellt, die lediglich dazu dient, die personenbezogene



- 6 -



Zuordnung der Daten für die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe nach dem Sozi-

algesetzbuch (SGB) zu ermöglichen, § 147 des Sechsten Buches Sozialgesetz-

buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI). Hierzu hat er ausgeführt, mit der auf

die Ordnungsfunktion beschränkten Aufgabe der Versicherungsnummer sei nicht zu

vereinbaren, daß der Versicherungsträger nach ordnungsgemäßer Bildung der

Versicherungsnummer gezwungen werden solle, späterem Vorbringen des Versicherten

über die Unrichtigkeit der seinerzeit von ihm selbst gemachten Angaben nachzugehen,

um in aller Regel nur feststellen zu können, daß ein anderes Geburtsdatum allenfalls

möglich, das genaue Geburtsdatum aber ohnehin nicht feststellbar sei.



Damit hat der Senat zwar erkannt, daß sich ein "richtiges" Geburtsdatum für die Bildung

einer neuen Versicherungsnummer nach Tag, Monat und Jahr Jahrzehnte nach der

Geburt selbst im Inland in aller Regel nachträglich nicht bestimmen läßt, es sei denn

anhand der Eintragungen im Geburtenbuch oder anderer geburtsnah erstellter Urkunden.

Er hat aber auch ausgeführt, daß eine Entscheidung des Versicherungsträgers, nunmehr

bei Bildung der Versicherungsnummer ein anderes Geburtsdatum zu verwenden, nicht

vorgreiflich für eine spätere Entscheidung im Leistungsfall oder bindend für andere

Behörden sein kann, eine Divergenz zwischen dem zur Bildung der

Versicherungsnummer angenommenen Geburtsdatum und dem Geburtsdatum, das den

altersabhängigen Leistungsfall begründet, mithin grundsätzlich nicht auszuschließen ist.

Inwieweit der Versicherungsträger auch im Leistungsfall von dem bei Eintritt in die

Versicherung angegebenen Geburtsdatum ausgehen darf, hat der Senat ausdrücklich

offengelassen.



Wegen der unterschiedlichen Bedeutung des Geburtsdatums bei Bildung der Versi-

cherungsnummer (Ordnungsfunktion oder auch "Identifizierungsmerkmal", vgl Se-

natsurteil vom 12. April 1995 - 5 RJ 48/94) und im Leistungsfall (Anspruchsbegründung)

mußte der Senat deshalb bisher auch nicht entscheiden, ob er sich der Ansicht des

4. Senats im Urteil vom 29. November 1985 (4a RJ 9/85 - SozR 2200 § 1248 Nr 44)

anschließt, wonach der Versicherungsträger stets verpflichtet ist, im Leistungsfall das

richtige Geburtsdatum festzustellen, auch wenn der Versicherte vorher bei der Bildung der

Versicherungsnummer ein anderes - für den Leistungsfall ungünstigeres - Geburtsdatum

angegeben hat. Der erkennende Senat tritt nunmehr der Auffassung des 4. Senats bei.



Dem geltenden Recht läßt sich keine Grundlage dafür entnehmen, daß die inner-

staatlichen Sozialleistungsträger das Recht haben, bei der Beurteilung des Leistungsfalles

ohne Prüfung die frühere oder auch spätere Eintragung in den ausländischen

Personenstandsunterlagen zugrunde zu legen. Ergeben sich Zweifel, sind sie stets im

Wege gesonderter Tatsachenfeststellung auszuräumen. Die bereits dargelegte

Normstruktur des § 1248 Abs 2 RVO als Anspruchsgrundlage läßt keine andere

Vorgehensweise zu.



- 7 -



Für die verbindliche Feststellung von Personenstandsdaten ist weder im materiellen

Sozialrecht noch im Sozialverfahrensrecht eine die Besonderheit der Problematik

betreffende Regelung getroffen worden. Während bei einer Geburt in Deutschland das

Geburtenbuch als Personenstandsbuch den Tag der Geburt beweist (§ 1 Abs 2, § 2

Abs 2, §§ 16 ff, 60 Abs 1 Satz 1 des Personenstandsgesetzes idF der

Bekanntmachung vom 8. August 1957 ) und Personenstandsurkunden,

zu denen der Geburtsschein und die Geburtsurkunde gehören (§§ 61a, 61c, 62 PStG),

dieselbe Beweiskraft haben wie Personenstandsbücher (§ 66 PStG), kann ein

gleichwertiger Beweis gestützt bloß auf Eintragungen in ausländischen

Personenstandsbüchern nicht geführt werden. Denn die Personenstandsbuchführung ist

vom Territorialitätsprinzip beherrscht. Die deutschen Personenstandsbücher beurkunden

also nur innerstaatliche Personenstandsfälle (vgl im einzelnen BSG Urteil vom

29. November 1985 - 4a RJ 9/85 -SozR 2200 § 1248 Nr 44). Demgemäß gilt die

Beweisregel der § 60 Abs 1 Satz 1, § 66 PStG nicht für eine ausländische

Geburtsurkunde. Diese kann zwar ("geeignetes") Beweismittel sein; ihr Inhalt unterliegt im

Gerichtsverfahren aber - nicht anders als ihre Echtheit (§ 438 der Zivilprozeßordnung

) - freier richterlicher Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 SGG.



Eine erhöhte Beweiskraft erlangen ausländische Personenstandsunterlagen auch nicht

über Art 2 Abs 1 des Übereinkommens über die Erteilung gewisser für das Ausland

bestimmter Auszüge aus Personenstandsbüchern vom 27. September 1956 (BGBl II

1961, 1055; für die Bundesrepublik in Kraft ab 23. Dezember 1961 - BGBl II 1962, 42)

oder über Art 2 Abs 1 des Übereinkommens betreffend die Entscheidungen über die

Berichtigung von Eintragungen in Personenstandsbüchern (Zivilstandsregister) vom

10. September 1964 (BGBl II 1969, 445 und 446, in Kraft ab 25. Juli 1969 - BGBl II 1969,

2054). Denn entsprechende Unterlagen erhalten hierdurch nur die Beweiskraft einer

ausländischen, nicht einer deutschen öffentlichen Urkunde. Eine die Geburt des Klägers

betreffende Eintragung wird aus einem türkischen Personenstandsregister nicht in ein

deutsches Personenstandsbuch übernommen (vgl hierzu im einzelnen: BSG Urteil vom

29. November 1985 - 4a RJ 9/85 - SozR 2200 § 1248 Nr 44).



Das Urteil des türkischen Amtsgerichts E vom 28. August 1987 bindet die deutschen

Sozialleistungsträger und Gerichte nicht. Dieses Urteil ordnet eine Berichtigung des in

V /E geführten türkischen Personenstandsregisters an; es kann keine

weitergehenden Wirkungen haben, als die aufgrund dieses Urteils berichtigte Eintragung

im türkischen Personenstandsregister selbst (BSG Urteil vom 29. November 1985 - 4a RJ

9/85 - SozR 2200 § 1248 Nr 44; Urteil vom 29. Januar 1985 - 10 RKg 20/83 - SozR 5870

§ 2 Nr 40).



Unterliegt bei fehlender Bindung einer - berichtigten - Eintragung in ein türkisches

Personenstandsbuch die Feststellung des Tags der Geburt des Klägers mithin der freien



- 8 -



Beweiswürdigung des deutschen Gerichts, so kann die Auffassung des LSG nicht

zutreffen, es sei - wenn auch nicht an die berichtigte zweite, so doch - an die erste

Feststellung des Geburtsdatums bei Vergabe der Versicherungsnummer gebunden. Die

erste wie die berichtigte Eintragung in türkische Personenstandsunterlagen sind in bezug

auf ihre Beweiskraft, die sie in der Bundesrepublik Deutschland entfalten, darin gleich zu

beurteilen, daß sie beide die deutschen Sozialleistungsträger und Gerichte nicht binden.



Danach mußte das angefochtene Urteil auf die Revision des Klägers aufgehoben und

dem LSG durch Zurückverweisung der Sache Gelegenheit gegeben werden zu prüfen, ob

der Vortrag des Klägers den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beweisführung

genügt, um gegebenenfalls sodann den Geburtstag des Klägers - und daran

anschließend die Vollendung des 60. Lebensjahres - aufgrund einer Beweiserhebung, die

den allgemein dafür geltenden Regeln folgt, in freier Beweiswürdigung festzustellen.



Dabei wird es im Rahmen der Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG) lediglich solche

Ermittlungen anzustellen haben, die nach "Lage der Sache" erforderlich sind

(Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 5. Aufl 1993, RdNr 7 zu § 103), dh, es hat nur, aber auch

stets zu ermitteln, soweit Sachverhalt und Beteiligtenvortrag Nachforschungen nahelegen

(BSG Beschluß vom 14. September 1955 - 10 RV 490/55 -SozR Nr 3 zu § 103). Seine

Ermittlungspflicht wird durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten beschränkt

(Meyer-Ladewig, aaO). Gerade in Fällen wie dem vorliegenden hängen die

Ermittlungsmöglichkeit und -notwendigkeit maßgeblich von der Benennung

des Beweismittels durch den Kläger - mithin seiner Mitwirkung - ab.



Beim - hier angebotenen - Zeugenbeweis wird der Beweis gemäß § 118 Abs 1 SGG iVm

§ 373 ZPO durch die Benennung der Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen

angetreten, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll. Dazu wird sich das

LSG Gedanken machen müssen zur Substantiierung der Beweisbehauptung, denn die

Ablehnung des Beweises für beweiserhebliche Tatsachen ist zulässig, wenn die

Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, daß ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann

oder wenn die Bezeichnung der Tatsachen zwar in das Gewand einer bestimmt

aufgestellten Behauptung gekleidet, gleichwohl aber nur aufs Geradewohl gemacht sind.

Bei solchen gleichsam "ins Blaue" aufgestellten Behauptungen ist ein Beweisantrag

rechtsmißbräuchlich (Bundesgerichtshof , Urteil vom 15. Dezember 1994 - 7 ZR

140/93 - NJW-RR 1995, 722 ff).



Die Behauptung einer bloß vermuteten Tatsache im Prozeß ist nur dann unzulässig, wenn

der Beteiligte sie ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich aufstellt; bei der Annahme von

Willkür in dem Sinne ist Zurückhaltung geboten (BGH, Urteil vom 25. April 1995 - VI ZR

178/94 - MDR 1995, 738). Wird nämlich eine Behauptung nach schlüssigem Vorbringen

des Klägers unter Beweis gestellt, so hat das Gericht diesen Beweis dem Gebot der



- 9 -



Erschöpfung der Beweismittel folgend (Art 103 Abs 1 Grundgesetz , § 118 Abs 1

SGG, § 286 ZPO) zu erheben (Bundesverfassungsgericht Beschluß vom

28. Februar 1992 - 2 BvR 1179/91 - NJW 1993, 254, 255; Beschluß vom 20. April

1982 - 1 BvR 1429/81 - BVerfGE 60, 250, 252; Bundesverwaltungsgericht

Urteil vom 11. Dezember 1981 - 4 C 71/79 - NVwZ 1982, 244).



Entschließt sich das LSG hiernach zur Erhebung des angebotenen

Beweises - gegebenenfalls durch Vernehmung der aufgebotenen Zeugen im Wege der

Rechtshilfe in der Türkei -, so hat es das Ergebnis der Beweisaufnahme iS des § 128

Abs 1 SGG frei zu würdigen. Dabei verstößt es gegen den Grundsatz der freien

Beweiswürdigung, wenn das Gericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen allein deshalb

verneint, weil der Zeuge einem Prozeßbeteiligten nahe steht und bei seiner Vernehmung

keine Umstände zu Tage getreten sind, die die von vornherein angenommenen Bedenken

gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen zerstreut hätten (BGH, Urteil vom 18. Januar

1995 - VIII ZR 23/94 - MDR 1995, 629). § 286 Abs 1 ZPO, der über § 202 SGG auch im

sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet (§ 128 Abs 1 SGG spricht - pauschaler -

nur vom "Gesamtergebnis des Verfahrens"), gebietet vielmehr, eine individuelle

Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der

Beweisaufnahme vorzunehmen. Auch die Annahme möglichen Eigeninteresses eines

aufgebotenen Zeugen führt nicht per se zur Verneinung der Glaubwürdigkeit dieses

Zeugen. Eine solche Annahme begründete eine - verfahrensrechtlich unzulässige -

abstrakte Beweisregel, die das Gesetz nicht kennt (BGH Urteil vom 3. November

1987 - VI ZR 95/87 -MDR 1988, 307 zur sogenannten Beifahrer-Rechtsprechung). Es gibt

aber keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß Zeugen, die einem Prozeßbeteiligten nahe

stehen, von vornherein als parteiisch und unzuverlässig zu gelten haben und ihre Aussa-

gen deswegen grundsätzlich unbrauchbar sind (BGH Urteil vom 18. Januar 1995 - VIII ZR

23/94 - MDR 1995, 629). Eine entsprechende Einschränkung der freien Beweiswürdigung

ist verfahrenswidrig (vgl hierzu Baumgärtel, Zwei wichtige BGH-Entscheidungen zu

Ausforschungsbeweis und "Behauptung ins Blaue hinein", MDR 1995, 987).



Bei seiner Beweiswürdigung wird das LSG berücksichtigen können, daß der Kläger die

Tatsache seiner früheren Geburt schon längere Zeit gewußt, der Beklagten gegenüber

aber nicht kund getan hat. Gemäß § 444 ZPO können nämlich im Falle der Vereitelung

des Urkundenbeweises Behauptungen des Gegners über die Beschaffenheit und den

Inhalt der Urkunde als bewiesen angesehen werden. Dieser Vorschrift wohnt der

allgemeine Rechtsgedanke inne, daß für den Fall, daß eine Partei eine Beweisführung

(teilweise) unmöglich macht, die Behauptung des Prozeßgegners zu der

beweiserheblichen Problematik als bewiesen angesehen werden kann

(Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO-Komm, 53. Aufl 1995, RdNrn 1 und 2 zu

§ 444). Eine arglistige oder auch nur fahrlässige Vereitelung einer Beweisführung durch

ein Tun oder pflichtwidriges Unterlassen (vgl BSG Urteil vom 10. August 1993 - 9/9a RV



- 10 -



10/92 - NJW 1994, 1303) kann im Rahmen freier Beweiswürdigung für die Richtigkeit des

gegnerischen Vorbringens gewürdigt werden (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,

aaO, RdNr 2). Unabdingbare Voraussetzung für eine solche Beweiswürdigung wird aber

sein, daß das pflichtwidrige Handeln oder Unterlassen den Beteiligten, der den

(vereitelten) Beweis zu führen hätte, in Beweisnot, dh in eine ausweglose Lage, gebracht

hat.



Das LSG kann ferner berücksichtigen, daß der Kläger - gestützt durch Erzählungen seiner

Eltern oder weiterer Verwandter bzw durch bestimmte Ereignisse wie die Einschulung -

möglicherweise selbst über lange Jahre davon überzeugt gewesen ist, iS des bisher

angenommenen Geburtsdatums später geboren zu sein. Dies kann unter Umständen zur

Prüfung Anlaß geben, ob in der nachträglichen Behauptung eines früheren

Geburtsdatums ein "venire contra factum proprium" liegt, etwa wenn der Kläger vorher

selbst das "alte" Geburtsdatum stets als das richtige im Geschäftsverkehr verwendet und

darauf gestützt rechtliche Vorteile genutzt hat. Denn das Verbot widersprüchlichen

Verhaltens gilt als Sonderfall des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben auch im

Bereich des öffentlichen Rechts, insbesondere des Sozialversicherungsrechts, und

kommt in diesem Sinne sowohl für das Handeln des Versicherungsträgers als auch für

das Verhalten des Versicherten in Betracht (BSG Urteil vom 21. Juli 1981 - 7 RAr 37/80 -

nicht veröffentlicht). Die Erkenntnis widersprüchlichen Verhaltens wiederum kann bei der

Beweiswürdigung die Überzeugung rechtfertigen, daß das "neue" Geburtsdatum nur

zweckgerichtet - zur früheren Erlangung einer Sozialleistung - behauptet und die Berichti-

gung der Personenstandsdaten in der Türkei nur deswegen veranlaßt worden ist. Diese

Überzeugung könnte - allerdings unter Abwägung aller Umstände - vorliegend dadurch

gestützt werden, daß der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren angegeben hat

(Schriftsatz vom 12. März 1992), Unterlagen über einen Schulbesuch oder Zeugnisse

könnten nicht beigebracht werden, weil er keine Schule besucht habe, während er zur

Begründung seiner Revision (Schriftsatz vom 6. Juni 1994) ausführt, der Zeuge A

hätte Fragen zum gleichzeitigen Schulbesuch beantworten können.



Bei der Beweiswürdigung kann ferner Berücksichtigung finden, daß eine auffallend hohe

Zahl nachträglicher Berichtigungen ausländischer Geburtseinträge in Fällen, in denen dies

Leistungsbewerbern in der Bundesrepublik günstig erscheinen kann, vorliegt (BSG Urteil

vom 29. November 1985 - 4a RJ 9/85 - SozR 2200 § 1248 Nr 44). Wie der 4. Senat in

seinem Beschluß vom 22. Februar 1995 - 4 S (A) 5/94 - klarstellt, wird hierdurch

allerdings keine abstrakte Beweisregel begründet, die das Gesetz nicht kennt. Vielmehr

handelt es sich allein um die Berücksichtigung von Erfahrungssätzen, die das

Tatsachengericht im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung zu gewichten hat.

Soweit der 10. Senat des BSG in seinem Urteil vom 29. Januar 1985 - 10 RKg 20/83 -

(SozR 5870 § 2 Nr 40) ausführt, die aufgrund eines Urteils berichtigte Eintragung in

türkischen Personenstandsregistern habe die Vermutung der Richtigkeit für sich, ist eine



- 11 -



gesetzlich begründete Vermutung nicht gemeint, da eine solche im Gesetz nicht

ausgesprochen ist. Zu prüfen ist allerdings, ob einer solchen Berichtigung ein hoher

Beweiswert zukommt, was eine "tatsächliche Vermutung" darstellen kann. Diese Prüfung

geschieht im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Tatsachengerichts.



Bleibt im Ergebnis der Beweiswürdigung ein non liquet, so gibt die materielle Beweislast

den Ausschlag für die Entscheidung. Sie besagt, daß ein nicht festgestelltes

Tatbestandsmerkmal so zu behandeln ist, als sei es nicht vorhanden (Meyer-Ladewig,

SGG-Komm, RdNr 19 zu § 103). Zu tragen ist der Nachteil der Unerwiesenheit von dem,

zu dessen Gunsten das Tatbestandsmerkmal im Prozeß wirkt (Meyer-Ladewig, aaO,

RdNr 6 zu § 118). Das bedeutet, daß es dann zu keiner Änderung des Geburtsdatums für

die Zwecke der Rentenversicherung kommt, wenn nicht festgestellt werden kann, daß der

Versicherte zu dem nunmehr von ihm behaupteten Zeitpunkt geboren ist.



Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung

vorbehalten.

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BVerwG, 5 ER 625.90 vom 18.12.1990, Bundesverwaltungsgericht
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BVerwG 5 ER 625.90
OVG 16 A 1486/89

BESCHLUSS

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Dezember 1990
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht
Dr. F. und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
R. und Dr. P.

beschlossen:

Der Antrag der Klägerin, ihr für eine Be-
schwerde gegen die Nichtzulassung der Revi-
sion in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
21. März 1990 Prozeßkostenhilfe zu bewilligen
und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird ab-
gelehnt.

- 2 -

Gründe:

Das Prozeßkostenhilfegesuch der Klägerin ist abzulehnen; die be-
absichtigte weitere Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).

Die angekündigte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts müßte erfolglos bleiben,
weil Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt und auch sonst
nicht erkennbar sind.

Die Klägerin macht geltend, das Oberverwaltungsgericht weiche von
dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. April 1987
- BVerwG 5 B 103.86 - (NJW 1988, 154) und von dem Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts vorn 12. Juni 1987 - BVerwG 5 C 2.83 -
FarnRZ 1987, 1089) ab und beruhe auf dieser Abweichung (§ 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die gerügte Abweichung könnte aber nicht zur
Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO führen.

Wie die Klägerin nicht verkennt, hat das Bundesverwaltungsgericht
sich der weiter entwickelten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
für den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BAföG an-
geschlossen und seine frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufge-
geben, soweit sie entgegensteht (Beschluß vorn 14. August 1989
- BVerwG 5 B 76.89 - ). Die Abweichung von einer Rechtsprechung, an der
das Bundesverwaltungsgericht in späteren Entscheidungen selbst
nicht mehr festhält, rechtfertigt die Zulassung der Revision
nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO jedoch nicht (vgl. u.a. BVerwG,
Beschluß vorn 20. November 1981 - BVerwG 3 B 52.81 - ; Weyreuther, Revisionszulassung
und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten
Bundesgerichte, 1971, Rdnr. 104).

Soweit die Klägerin ferner rügt, das Oberverwaltungsgericht habe
die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus dem Urteil
vom 7. Juni 1989 - IV b ZR 51/88 - angewandt, namentlich zu Unrecht
(BGHZ 107, 376) unzutreffend angenommen, zwischen ihrer
kaufmännischen Ausbildung und ihrem späteren Studium der Wirt-

- 3 -

schaftswissenschaften bestehe ein enger sachlicher und zeitlicher
Zusammenhang, benennt die Klägerin nicht den Zulassungsgrund, der
mit diesem Vortrag geltend gemacht werden soll. Abgesehen davon,
ist mit dem Vorbringen der Klägerin auch in der Sache kein Zu-
lassungsgrund dargelegt und auch unabhängig davon nicht erkennbar.

Das Oberverwaltungsgericht ist von den rechtlichen Grundsätzen
ausgegangen, die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
entwickelt und vorn Bundesverwaltungsgericht übernommen worden
sind. Es hat von diesen Grundsätzen ausgehend in Würdigung des
Einzelfalles der Klägerin nur nicht die Schlußfolgerungen gezogen,
die die Klägerin aus der Rechtsprechung von Bundesgerichtshof
und Bundesverwaltungsgericht für ihren Fall gezogen wissen möchte.
Die angeblich unrichtige Anwendung eines in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung entwickelten und vorn Berufungsgericht nicht in
Frage gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden
Einzelfall stellt aber keine Abweichung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar (BVerwG, Beschluß vom 31. März 1988
- BVerwG 7 B 46.88 - ).

Die Klägerin setzt sich im übrigen mit dem angefochtenen Urteil
unter wesentlicher Heranziehung der Umstände ihres Einzelfalles
nach Art einer Berufungs- oder Revisionsbegründung auseinander.
Damit wird weder eine konkrete Rechtsfrage bezeichnet noch
erkennbar gemacht, inwieweit die Beantwortung dieser Rechtsfrage
entscheidungserheblich und über den Fall der Beschwerdeführerin
hinaus von allgemeiner Bedeutung sein könnte. Deshalb ist auch
eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO weder dargelegt noch sonst ersichtlich.

Die Klägerin macht schließlich geltend, das angefochtene Urteil
beruhe auf Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Klägerin rügt, das Oberverwaltungsgericht habe seine
Pflichten verletzt, darauf hinzuwirken, daß ungenügende tat-
sächliche Angaben ergänzt und alle für die Feststellung und

- 4 -

Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben
werden (§ 86 Abs. 3 VwGO), sowie die Streitsache mit dem Beteiligten
tatsächlich und rechtlich zu erörtern (§ 104 Abs. 1 VwGO). Die ge-
rügten Verfahrensmängel liegen indes nicht vor. Das Oberverwaltungs-
gericht hat nicht seine Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) verletzt.
Der Berichterstatter des Berufungsgerichts hat vielmehr durch prozeß-
leitende Verfügungen die Klägerin auf das während des Berufungsver-
fahrens bekanntgewordene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni
1989 hingewiesen, verbunden mit der Anfrage, ob die Klägerin die
Klage aufrechterhalte. Die Klägerin wußte damit, daß das Oberver-
waltungsgericht dem Urteil des Bundesgerichtshofs auch für ihren
Fall Bedeutung beimißt und die dort aufgestellten Voraussetzungen
für ein Fortbestehen der Unterhaltspflicht als wohl gegeben ansah.
Die Klägerin hatte damit Gelegenheit, alles vorzutragen, was aus
ihrer Sicht gegen den engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang
zwischen praktischer kaufmännischer Ausbildung und wirtschaftswissen-
schaftlichem Studium, namentlich aber dagegen sprach, ihren Eltern
sei die Finanzierung ihres Studiums wirtschaftlich zumutbar. Die
Klägerin hat von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gernacht und ins-
besondere dargelegt, aus welchen Gründen sie die Finanzierung des
Studiums durch ihre Eltern für diese wirtschaftlich nicht für zurnut-
bar hielt. Sie hat dabei allerdings nicht erwähnt, einer ihrer Brüder
befinde sich noch in der Ausbildung, ein weiterer Bruder sei arbeits-
los und müsse wegen des geringen Arbeitslosengeldes durch die Eltern
unterstützt werden. Warum es eines weiteren Hinweises des Oberverwal-
tungsgerichts bedurft hätte, um auch diese Umstände noch vorzutragen,
legt die Beschwerde nicht dar. Das Unterbleiben eines weiteren Hin-
weises verstieß nicht gegen § 86 Abs. 3 VwGO. Die Hinweispflicht in
bezug auf den Sachvortrag der Beteiligten kann sich nur auf die Er-
gänzung ungenügender tatsächlicher Angaben erstrecken, deren Unvoll-
ständigkeit für das Gericht erkennbar ist. Eine Verletzung der Hin-
weispflicht kommt nur dann in Betracht, wenn für das Gericht erkennbar
der Kläger von falschen Voraussetzungen bei seiner Rechtsverfolgung
ausgegangen ist und deshalb unterlassen hat vorzutragen, was zur
Wahrnehmung seiner Rechte vorzutragen ist (BVerwG, Urteil vom
8. Mai 1984 - BVerwG 9 C 141.83 - ). Das Oberverwaltungsgericht konnte dem

- 5 -

Vortrag der Klägerin entnehmen, ihr sei bekannt, es komme u.a.
darauf an, ob ihren Eltern die Finanzierung des Studiums finanziell
zumutbar sei. Das Oberverwaltungsgericht durfte deshalb annehmen,
die Klägerin werde auch ohne weitere Hinweise alles vorbringen,
was hierzu aus ihrer Sicht vorzubringen war. Unter diesen Umständen
hat das Oberverwaltungsgericht auch nicht gegen seine Pflicht
aus § 104 Abs. 1 VwGO verstoßen, die Streitsache in tatsächlicher
Hinsicht zu erörtern (vgl. zu§ 104 Abs. 1 VwGO u.a. BVerwG, Urteil
vom 23. Mai 1989 - BVerwG 7 C 2.87 - ), zumal die Klägerin selbst gemäß § 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2
VwGO auf eine mündliche Verhandlung und damit auf eine Erörterung
der Streitsache verzichtet hat.

Die Klägerin rügt zum anderen, das Oberverwaltungsgericht habe
seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu erfor-
schen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Sie ist insoweit der Ansicht, das Ober-
verwaltungsgericht hätte ihre Eltern zu deren wirtschaftlichen
Verhältnissen als Zeugen hören müssen. Eine Anregung, in diese
Richtung Beweis zu erheben, hat die Klägerin im Berufungsverfahren
nicht gegeben. Erst recht hat sie keinen förmlichen Beweisantrag
gestellt. Im Gegenteil hat sie auf eine mündliche Verhandlung
ausdrücklich verzichtet, weil sie den Sachverhalt bereits für
geklärt hielt. Unter diesen Umständen könnte der Verfahrensmangel
einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts nur dann gegeben
sein, wenn ersichtlich wäre, weshalb sich dem Oberverwaltungsge-
richt eine weitere Sachaufklärung in der jetzt aufgezeigten
Richtung hätte aufdrängen müssen. Dem Gericht kann nur dann eine
unzureichende Aufklärung des Sachverhalts vorgeworfen werden,
wenn nach den gesamten Umständen - auch ohne einen entsprechenden
Beweisantrag - erkennbar war, daß weitere Beweismittel vorhanden
waren und diese der weiteren Sachaufklärung dienlich sein konnten
(BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1985 - BVerwG 3 C 36.84 - ). Das Oberverwaltungsgericht durfte aber
nach dem Verhalten der Klägerin annehmen, die Klägerin habe insoweit
alle - ohnehin in ihrem Lebensbereich liegenden - Umstände vorge-
tragen.

Dr. F. R. Dr. P.

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BVerwG, 5 C 12.80 vom 04.06.1981, Bundesverwaltungsgericht
VR 1981, 449-449(L1-2)



Sachgebiet:

Sozialhilferecht



Rechtsquellen:

BSHG § 1 Abs. 2

§ 2 Abs. 1

§ 76 Abs. 2 Nr. 3 und 4

VO zur Durchführung des § 76 BSHG

§ 3 Abs. 4 und 6



Begriff "gesetzlich vorgeschrieben":

§ 76 Abs. 2 und 3 BSHG

Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung

- Absetzung vom Einkommen, Angemessen-

heit dem Grunde nach;



Führung eines menschenwürdigen Lebens

und Halten eines Kfz.



FEVS 1981, 372 (LT1+2)

Zfs 1981, 342 (LT1+2)

ZfsH 1981, 340 (LT1+2)

Vole Beo A 1981, 313 (LT1+2)

Buchh 436.0 § 76 BSHG Nr 13 (LT)

DVBl 1982, 266 (LT1+2)

BVerwGE Bd. 62 261-267 (LT1+2)





Urteil vom 4. Juni 1981 - BVerwG 5 C 12.80



Leitsätze:



1. Im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt

(Abschnitt 2 des Bundessozialhilfe-

gesetzes) umfaßt der notwendige Lebens-

unterhalt den Aufwand für das Halten

eines Kraftfahrzeugs nicht.



2. Der Beitrag zur Kraftfahrzeug-Haftpflicht-

versicherung, der an die Kraftfahrzeug-

haltung als einen Akt freier Entscheidung

anknüpft, ist nicht "gesetzlich vorge-

schrieben" im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 3

BSHG; er ist bei der Gewährung von Hilfe

zum Lebensunterhalt nicht als eine dem

Grunde nach angemessene Ausgabe vom

Einkommen abzusetzen.



Urteil des 5. Senats vom 4. Juni 1981 - BVerwG 5 C 12.80



I. VG Bremen, Gerichtsbescheid vom 31.1.1979

- Az.: VG III A 449/78 -



II. OVG Bremen, Urteil vom 13.11.1979

- Az.: OVG II BA 9/79 -



- 1 -



Verkündet



am 4. Juni 1921

Neidhardt

Justizobersekretär

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle





BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BVerwG 5 C 12.80

OVG 2 BA 9/79



IM NAMEN DES VOLKES



In der Verwaltungsstreitsache



hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts

auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 1981

durch den Vornitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht

K. und die Richter am Bundesverwaltungsgericht

R. , Dr. S. , R. und

B.

für Recht erkannt: Die



- 2 -



Die Revision der Kläger gegen das

Urteil des Oberverwaltungsgerichts

der Freien Hansestadt Bremen vom

13. November 1979 wird zurückge-

wiesen.



Die Kläger tragen die Kosten des

Revisionsverfahrens als Gesamt-

schuldner. Gerichtskosten werden

nicht erhoben.



Gründe:



I.



Die Kläger, Eheleute, bezogen 1977 und 1978 für sich und

ihre Tochter Sozialhilfe in Gestalt von (ergänzender) Hilfe

zum Lebensunterhalt, da das dem Kläger als Berufsprakti-

kanten für den Beruf des Sozialarbeiters gezahlte Prakti-

kantencehalt unter dem sozialhilferechtlichen Bedarfssatz

für die Familie lag. Bei der Bemessung der Sozialhilfe be-

rücksichtigte der Träger der Sozialhilfe Ausgaben des Klä-

gers für das Halten eines Kraftfahrzeugs (Kfz) - durch Ab-

setzung eines Pauschbetrages vom Einkommen -, solange der

Kläger das Kfz für· die Ausübung der Praktikantentätigkeit

außerhalb seines Wohnorts benutzte (Oktober 1977 bis

März 1978). Als der Kläger anschließend an seinem Wohnort

als Berufspraktikant beschäftigt wurde, setzte der Träger

der Sozialhilfe. nur noch die Kosten der Fahrkarte für das

öffentliche Verkehrsmittel ab (DM 39 monatlich).



Anfang Juli 1978 beantragten die Kläger, die bereits Anfang

Mai fällig gewordene Kfz-Steuer (Halbjahresbetrag: 118,60 DM)

und die am 1. Juli 1978 fällig gewordenen Halbjahr.esbei träge für



- 3 -



für die Kfz-Haftpflichtversicherung, die Teilkaskoversiche-

rung und die Unfallversicherung (262,70 DM, 17,50 DM und

15,50 DM) vom einzusetzenden Einkommen abzusetzen. Die Be-

klagte lehnte dies ab, weil der Kläger für die Fahrt zwischen

Wohnung und Arbeitsstätte zumutbar öffentliche Verkehrsmittel

benutzen könne.



Mit der daraufhin erhobenen Klage haben die Kläger in den

Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Das Berufungsurteil ist

im wesentlichen wie folgt begründet: Die streitigen Aufwen-

dungen seien nicht mit der Erzielung des Einkommens verbun-

dene notwendige Ausgaben, weil der Kläger - wie gerichtsbe-

kannt sei - den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit

öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen könne. Als gesetz-

lich vorgeschriebene Beiträge zu einer privaten Versicherung

im Sinne der Nummer 3 des § 76 Abs. 2 BSHG könnten die

Versicherungsbeiträge nicht anerkannt werden, weil es nicht

der Sinn dieser Vorschrift sei, beliebigen Zwecken dienen-

de Versicherungsbeiträge abzusetzen. Der Gesamtzusammenhang

der Regelung ergebe, daß nur solche Beiträge in Betracht

kämen, mit denen der Hilfesuchende wie mit Vorsorgeleistungen

nach der Nummer 2 des § 76 Abs. 2 BSHG für Krankheit, Unfall-

folgen, Alter und Arbeitslosigkeit die Voraussetzungen für

einen Ausgleich bei einem künftigen Wegfall des Einkommens

aus eigener Erwerbstätigkeit schaffe. - Für eine Absetzung

der Kfz-Steuer außerhalb der Nummer 4 des § 76 Abs. 2 BSHG

gebe es offensichtlich keine Rechtsgrundlage.



Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter;

lediglich hinsichtlich der zunächst noch erstrebten Absetzung

eines Betrages von 2,00 DM (Säumniszuschlag bei der Kfz-Steuer)

haben sie das Rechtsmittel in der Revisionsverhandlung zurück-

genommen. Sie halten die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts

mit Rücksicht auf den klaren Wortlaut des Gesetzes für unrich-

tig; die Kfz-Haftpflichtversicherung sei gesetzlich vorge-

schrieben. Die Kfz-Steuer kann nach Meinung der Kläger nicht

anders behandelt werden; sie lasse sich bei analoger Anwen-

dung des Gesetzes berücksichtigen.



- 4 -



Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Sie macht sich

die Gründe des angefochtenen Urteils zu eigen.



II.



Die - zulässige - Revision ist unbegründet, so daß sie zu-

rückzuweisen ist ( § 144 Abs. 2 VwGO)



Die Kläger haben mit ihrer Klage in den Vorinstanzen zu

Recht keinen Erfolg gehabt. Sie haben keinen Anspruch dar-

auf, daß der Träger der Sozialhilfe ihnen und ihrer Tochter

(als Bedarfsgemeinschaft) von Juli 1978 an ergänzende Hilfe

zum Lebensunterhalt unter (anteilmäßiger) Berücksichtigung der

Aufwendungen gewährt, die dem Kläger im Zusammenhang mit dem

Halten eines Kraftfahrzeuges (Kfz) in Gestalt der Kfz-Steuer und

der Beiträge zu Kfz-Versicherungen erwachsen waren. Die Auffas-

sung des Oberverwaltungsgerichts, daß es sich dabei während

der fraglichen Zeit nicht um mit der Erzielung des Ein-

kommens des Klägers (Praktikantengehalt) verbundene not-

wendige Ausgaben gehandelt hat, steht mit § 76 Abs. 2 Nr. 4

BSHG in Einklang; denn nach den das Bundesverwaltungsge-

richt bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungs-

gerichts war es dem Kläger zuzumuten, den Weg zwischen der

Wohnung und der Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrs-

mitteln zurückzulegen (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 6

Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 76 des Bundes-

sozialhilfegesetzes vom 28. November 1962 [BGBl. I S. 692]).

Dies wollen offenbar auch die Kläger nicht in Abrede stel-

len; denn sie begehren - wie ihre Revisionsbegründung

zeigt -, die erwähnten Ausgaben nach der Nummer 3 des § 76

Abs. 2 BSHG zu berücksichtigen.



Ihrer Ansicht, daß die erwähnten Ausgaben nach dem schlichten

und klaren Wortlaut des Gesetzes ohne weiteres deshalb vom

Einkommen des Klägers abzusetzen seien, weil es sich um „gesetzlich



- 5 -



"gesetzlich vorgeschriebene" Beiträge handele, kann jedoch

nicht beigetreten werden. Was die Kfz-Steuer angeht, so ist

sie - gerade nach dem von den Klägern für sich in Anspruch

genommenen schlichten und klaren Wortlaut des Gesetzes - kein

Beitrag zu einer öffentlichen oder privaten Versicherung; oder

ähnlichen Einrichtune; und Beiträge zur Teilkasko- und Unfall-

versicherung sind nicht gesetzlich vorgeschrieben, ebenso-

wenig Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, soweit diese

die Mindestdeckungssummen überschreitet (vgl. dazu das Gesetz

über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter vom

5. April 1965 [BGBl. I S. 213] in Verbindung mit der Verord-

nung zur Änderung der Mindesthöhe der Versicherungssummen

in der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter vom

23. Juli 1971 [BGBl. I S. 1109]).



Aber auch die Kfz-Haftpflichtversicherung, soweit sie vom Um-

fang her gesetzlich vorgeschrieben ist, ist nicht schon aus

diesem Grund ohne weiteres vom Einkommen abzusetzen. Es kann

offenbleiben, ob die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft,

daß die Absetzbarkeit dieser Ausgabe nach der Nummer 3 des § 76

Abs. 2 BSHG deshalb von Rechts wegen ausgeschlossen sei, weil

es sich um eine Ausgabe handele, die im Rahmen der Absetzungen

nach der Nummer 4 des § 76 Abs. 2 BSHG in Verbindung mit § 3

Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 2 der Durchführungsverord-

nug berücksichtigt werden könne, und weil diese Vorschriften

die Frage songergesetzlich abschließend regelten. Hierfür

spricht manches; gerade auch dass von den Klägern - wenn auch

mit entgegengesetzter Schlußfolgerung - angeführte Argument,

daß aus einem einheitlichen Lebensvorgang, nämlich dem Halten

eines Kraftfahrzeugs, erwachsende gesetzliche Verpflichtungen

(zur Zahlung von Kfz-Steuer und Kfz-Haftpflichtversicherungs-

beitrag) sozialhilferechtlich nicht unterschiedlich behandelt

werden könnten: Da die einheitliche Berücksichtigung dieser

"Pflichtausgaben" nur in § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG in Verbin-

dunp; mit § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 2 der Durch-

führungsverordnung vorgesehen ist, hat es bei dieser Sicht

der Dinge eben dabei sein Bewenden auch in bezug auf den

Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung; mit anderen



- 6 -



Worten: Die mit dem Halten eines Kfz verbundenen notwendi-

gen Ausgaben sollen danach nur dann absetzbar sein, wenn

sie mit der Erzielung von Einkommen verbundene notwendige

Ausgaben sind.



Jedoch braucht diese Frage nicht abschließend beantwortet

zu werden. Selbst wenn man hinsichtlich jeder Art von

Versicherung die Absetzbarkeit des Beitrages ausgangs-

weise für rechtlich möglich hält, ist die Absetzung des

Beitrags für die Kfz-Haftpflichtversicherung (mit ihrem

Mindestumfang) nicht ipso jure geboten. Auch hinsichtlich

dieses Beitrages ist im Einzelfall zu prüfen, ob er nach

Grund und Höhe unter dem Aspekt angemessen ist, dem Hilfe-

suchenden Mittel zu belassen (also mittelbar Sozialhilfe

zu gewähren), die ihn in den Stand setzen, Versicherungen

aufrechtzuerhalten, für die aus der Sicht der das Sozial-

hilferecht prägenden Grundsätze ein Bedürfnis besteht.



Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann dem

Träger der Sozialhilfe nicht mit der Begründung verwehrt

werden, daß die Kfz-Haftpflichtversicherung "gesetzlich vor-

geschrieben" sei. Das Bundesverwaltungsgericht teilt nicht

die Ansicht, die hierzu im Schrifttum verschiedentlich ver-

treten wird (Gottschick/Giese, Das Bundessozialhilfegesetz,

6. Aufl. 1977, § 76 RdNr. 8.3 Abs. 3; Jehle/Schmitt, Sozial-

hilferecht, Loseblatt-Kommentar, A (1. Teil), § 76 Erl. 4c;

Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum Bundessozialhilfe-

gesetz, 9. Aufl. 1977, § 76 RdNr. 21; Gutachten des Deutschen

Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 26. April

1971, Kleinere Schriften Heft 54 S. 30; anderer Ansicht

aber: Rehnelt in ZfF 1969, 280 [282]) und die auch vom

Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 16. Januar 1979

- ZfSH 1979, 216) geteilt wird. Das Tatbestandsmerkmal der

gesetzlich vorgeschriebenen Versicherung erhält den ihm in

§ 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG zugedachten Sinn erst mit der Frage

nach dem Grund für die Beitragsverpflichtung, nämlich ob

die betreffende Versicherung per se dem Hilfesuchenden

auferlegt



- 7 -



auferlegt ist, so daß er sich ihr durch freie Entschei-

dung nicht entziehen kann, oder danach, ob jedenfalls eine

solche Entscheidung unzumutbar erscheint. Der Abschluß der

Kfz-Haftpflichtversicherung ist die Folge des Hal-

tens eines Kfz. Dies ist dem einzelnen aber freigestellt.

Der Hilfesuchende kann daher auf das Halten eines Kfz ver-

zichten. Ein solcher Verzicht wird ihm vom Gesetz auch zuge-

mutet, wenn er aus dem von seinen Mitbürgern erarbeiteten

Bruttosozialprodukt, ohne das Leistung von Sozialhilfe nicht

möglich ist, die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt er-

wartet, die in § 11 BSHG auf den notwendigen

Lebensunterhalt begrenzt ist. In dem Verzicht auf ein Kfz

liegt dann Selbsthilfe, zu der § 2 Abs. 1 BSHG verpflich-

tet, in dem Sinne, daß der Hilfesuchende Ausgaben vermeidet,

die die ihm zur Verfügung stehenden und in erster Linie

für die Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts einzu-

setzenden Mittel mindern könnten. Das ergibt sich aus dem

inneren Zusammenhang, in dem die Vorschriften über den

Einsatz des Einkommens und Vermögens mit den Vorschriften

stehen, mit denen die materiellen Voraussetzungen für die

Gewährung von Sozialhilfe geregelt sind, in concreto aus dem

inneren Zusammenhang zwischen § 76 BSHG und den §§ 11 ff.

BSHG. Es macht keinen Unterschied, ob einem gänzlich Hilfe-

bedürftigen für die Bezahlung des Beitrages zur Kfz-Haft-

pflichtversicherung Sozialhilfe gewährt wird oder ob die

einem teilweise Hilfebedürftigen zu gewährende (ergänzende)

Hilfe zum Lebensunterhalt deshalb höher ausfällt, weil von

seinem als einsetzbar in Betracht zu ziehenden Einkommen

der Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung abgezogen wird.

Dieser im o.a. Schrifttum und vom Verwaltungsgericht Berlin

nicht erwogene, aber zwangsläufig bestehende innere Zusam-

menhang findet sich im Gesetz selbst in einem Teilbereich

ausgedrückt, nämlich im auch vom Oberverwaltungsgericht

erwähnten § 13 BSHG. Darin ist die Obernahme von Kranken-

versicherungsbeiträgen bestimmt (in Absatz 1 als "Muß"-

Leistung, in Absatz 2 als "Kann"-Leistung), wobei folge-

richtig § 76 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 BSHG von der Anwendung

ausgenommen



- 8 -



ausgenommen wird; andernfalls käme der Hilfeempfänger zwei-

mal in den Genuß entsprechender Beträge.



Wollte man also die Entrichtung eines Beitrages zur Kfz-Haft-

pflichtversicherung als im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG

"gesetzlich vorgeschrieben" erachten und ihre Berücksichti-

gung nach dieser Vorschrift deshalb als "Muß", so hätte das

zur Folge, daß einer völlig mittellos gewordenen Person, die

jedoch "aus besseren Tagen" noch ein Kfz besitzt, Sozialhilfe

nicht nur zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts

(vgl. besonders § 12 BSHG), sondern auch zur Bezahlung des

Beitrages zur Kfz-Haftpflichtversicherung (und wenn es nach

den Klägern ginge, auch zur Bezahlung der Kfz-Steuer) ohne

weiteres gewährt werden müßte. Es braucht nicht

näher dargelegt zu werden, daß eine solche Leistung mit den

das Sozialhilferecht prägenden Grundsätzen nicht vereinbar

ist. Daher muß bei einem "gesetzlich vorgeschriebenen" Bei-

trag, der dies nicht per se, sondern nur als Folge freiwil-

ligen Handelns ist, hier wie dort gefragt werden, ob seine

Berücksichtigung mit der Zielsetzung des Sozialhilferechts

in Einklang steht, die Führung eines Lebens zu ermöglichen,

das der Würde des Menschen entspricht, und den Hilfeempfän-

ger zur Selbsthilfe zu befähigen, damit weitere Gewährung

von Sozialhilfe entbehrlich wird (§ 1 Abs. 2 BSHG). Diesen

Zusammenhang haben offenbar auch die Kläger erkannt; denn

sie führen aus: Das Anschaffen und das Halten eines KfZ

seien nach allgemein gewandelter Anschauung nicht mehr an

den "Status eines zahlungskräftigen Bürgers" gebunden,

ein Kfz werde nicht mehr als Luxusgegenstand, sondern als

ein durchaus übliches Mittel zur Fortbewegung angesehen,

es sei menschenwürdiger, die Anschaffung eines Kfz als

freie Entscheidung eines Hilfeempfängers hinzunehmen als

in dem Gebrauch eines Kfz ein Statussymbol zu sehen.

Dieser Argumentation, die am Ende darauf hinausläuft, daß

ein menschenwürdiges Leben nur mit einem Kfz geführt werden

könne



- 9 -



könne, so daß für die Anschaffung und die Unterhaltung eines

Kfz Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren

sei, kann sich das Bundesverwaltungsgericht nicht anschließen.

Steht nur Hilfe zum Lebensunterhalt in Frage, so ist die Füh-

rung eines menschenwürdigen Lebens vom Halten und Benutzen

eines Kfz noch weniger abhängig als vom Fernsehen (vgl. zu

letzterem BVerwGE 48, 237). Daß ein Kfz ein übliches I1ittel

zur Fortbewegung ist, besagt nicht, daß es eine von,der Men-

schenwürde her gebotene Notwendigkeit ist. Es ist eine An-

nehmlichkeit, auf die zu verzichten übrigens aus Gründen

der Ökologie und der Energieeinsparung zunehmend aufgefor-

dert wird. Überdies läßt sich dem Sozialhilferecht selbst

entnehmen, daß die Übernahme der Kosten für das Anschaffen

eines Kfz und seine Unterhaltung nur als Maßnahme der Ein-

gliederungshilfe in Betracht kommt (§ 40 Abs. 1 Nr. 2 BSHG

in Verbindung mit den §§ 8 und 10 Abs. 6 der Eingliederungs-

hilfe-Verordnung in der Fassung vom 1. Februar 1975

[BGBl. I S. 434]).



Entgegen der Ansicht der Kläger liegt in der Nichtberück-

sichtigung des Beitrags zur Kfz-Haftpflichtversicherung

keine "Gängelei", für die es keine rechtliche Grundlage

gäbe, so lange die Voraussetzungen für die Anwendung des

§ 25 BSHG nicht vorlägen. Die Kläger übersehen, daß es in

diesem Rechtsstreit nicht um die sinnvolle Verwendung ge-

währter Hilfe zum Lebensunterhalt durch sie geht; vielmehr

darum, daß sie zusätzlich eine Leistung der Sozialhilfe be-

gehren (indem ein entsprechender Betrag des vorhandenen

Einkommens ihnen freigelassen wird), die sie erst in den

Stand setzen·soll, ein Kraftfahrzeug zu halten.



Jedenfalls aus diesen Gründen war der Beitrag des Klägers

zur Kfz-Haftpflichtversicherung in seiner ganzen Höhe kein

dem Grunde nach angemessener und damit kein nach § 76 Abs. 2

Nr. 3 BSHG vom Einkommen absetzbarer Beitrag; ebensowenig

der Beitrag zur Teilkasko- und zur Unfallversicherung. Daß

sich aus eben diesen Gründen verbietet, § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG

analog



- 10 -



analog anzuwenden, um die Absetzbarkeit der Kfz-Steuer vom

Einkommen zu rechtfertigen, versteht sich dann von selbst.



Die Kostenentscheidung, bei der der durch partielle Revi-

sionsrücknahme erledigte Teil des Rechtsstreites einzube-

ziehen war, beruht auf den§§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2·und

159 Satz 2 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit.auf § 188

Satz 2 VwGO.



K. R. Dr. S.

R. B.

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BSG, 5 BJ 114/85 vom 14.02.1986, Bundessozialgericht
Bundessozialgericht

5b BJ 114/85

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Klägerin, Antragstellerin
und Beschwerdeführerin,
Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Beklagte, Antragsgegnerin ‘
und Beschwerdegegnerin.

Der 5b Senat des Bundessozialgerichts hat am 14. Februar
1986

beschlossen:

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Beschwerdeverfahren
vor dem Bundessozialgericht Prozeßkostenhilfe zu bewilli- '
gen und ihr ihren Prozeßbevollmächtigten beizuordnen, wird
abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen
vom 28. Februar 1985 wird als unzulässig verworfen.



- 2 -


Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten
des Beschwerdeverfahrens nicht zu erstatten.

Gründe:

Nach § 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 11M der Zivil-
prozeßordnung (ZPO) kann einem Beteiligten für das Beschwerde-
verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) Prozeßkostenhilfe nur
dann bewilligt und ein Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigter
beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hin-
reichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzung liegt
hier nicht vor. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und ebenso auch eine Abweichung des
Berufungsurteils iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG macht die Klägerin
mit der Beschwerde nicht geltend. Anhaltspunkte dafür sind auch
aus den Akten nicht erkennbar.

Der zur Beschwerdebegründung allein gerügte Verfahrensmangel iS
von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist nicht hinreichend bezeichnet. Nach
§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG muß in der Beschwerdebegründung der Ver-
fahrensmangel bezeichnet werden. Die Begründung muß - wie bei der
Verfahrensrevision (vgl § 164 Abs 2 Satz 3 SGG) - die Tatsachen
bezeichnen, die den Mangel ergeben (vgl BSG in SozR 1500 § 160a
Nr 14). Da die Beschwerdebegründung auf einen Beweisantrag ver-
weist, den die Klägerin zu Beginn des Berufungsverfahrens in
ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 29. Mai 198U dahin ge-

- 3 -

stellt hat, erneut eine Diagnose von Dr. B. und einen Befund
von einem anderen Facharzt oder einer Klinik nach etwaigem Be- ·
obachtungsaufenthalt einzuholen, hatte sie besonderen Anlaß, nach
Durchführung der vom Landessozialgericht (LSG) angeordneten
Sachaufklärung in Gestalt der Einholung eines Befundberichts des
Dr. B. vom 19. August 198U und des nach zweitägiger sta-
tionärer Untersuchung der Klägerin erstatteten nervenfachärztli-
chen Gutachtens des Dr. F. vom 22. Januar 1985 einen An-
trag auf ergänzende Ermittlungen zu stellen, soweit ihr solche
erforderlich erschienen. Hierzu bestand insbesondere deshalb be-
sonderer Anlaß, weil das LSG dem Sachverständigen im Beweisbe-
schluß auch die Frage gestellt hatte, ob zur Klärung des medizi-
nischen Sachverhalts weitere Ermittlungen erforderlich seien, und
der Sachverständige diese Frage am Ende seines Gutachtens ver-
neint hatte. Spätestens bei Kenntnisnahme des Gutachtens mußte
die Klägerin daher auf eine etwa von ihr noch begehrte weitere
Beweiserhebung hinweisen. Da sie dies nicht getan hat, hat sie
einen Beweisantrag, über den das LSG iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG
hätte hinweggehen können, nicht mehr gestellt. Zur Beschwerdebe-
gründung hätte die Klägerin deshalb im einzelnen darlegen müssen,
daß und inwiefern für das LSG erkennbar ihr Beweisantrag aus der
Berufungsbegründungschrift durch die vom LSG angestellten Er-
mitlungen nicht erledigt war und somit bei der Entscheidung über
ihre Berufung ohne hinreichende Begründung übergangen worden ist.
Solche Darlegungen läßt die Beschwerdebegründung jedoch vermis-
sen.

Mangels der erforderlichen Erfolgsaussicht mußte daher das Gesuch

- 4 -

der Klägerin um Gewährung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung
ihres Prozeßbevollmächtigten abgelehnt werden. Zugleich war die
nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form begründete Be-
schwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG durch Beschluß
ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter wegen Formmangels als
unzulässig zu verwerfen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5;
BVerfG aaO Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des
§ 193 SGG.

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BGH, IVA ZR 318/86 vom 03.06.1987, Bundesgerichtshof
BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

IVa ZR 318/86

in dem Rechtstreit

des Handelsvertreter Joachim N. , W. Straße 61,

Klägers und Revisionsklägers,

- Prozeßbevollmächtigter Rechtsanwalt Dr. -

gegen

die S. Lebenversicherungs- und Rentenanstalt,

Versicherungsgenossenschaft auf Gegenseitigkeit, vertreten

durch den Hauptbevollmächtigten Dipl. Math. Günther H.,

L. straße 8-10, ,M. ,

Beklagte und Revisionsbeklagte,

- Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwälte Dr. und

II. Instanz: Partner, S. Ring 18, H. -

- 2 -

er IVa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den

Vorsitzenden Richter Dr. H. und die Richter R.,

D., Dr. S. und Dr. R.

am 3. Juni 1987

beschlossen

Der Antrag des Klägers auf Prozeßkostenhilfe
wird abgelehnt.

Gründe

Der Kläger ist rechtsschutzversichert; sein Versicherer
verweigert die Deckung der Revisionskosten lediglich deshalb,
weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf
Erfolg biete. In einem solchen Fall kann Prozeßkostenhilfe
nicht gewährt werden. Sollte der Rechtsschutzversicherer die
Prozeßaussichten zutreffend beurteilt haben, so wäre nach
§ 114 Satz 1 ZPO auch die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe
ausgeschlossen. Falls aber der Versicherer die Erfolgsaus-
sicht zu Unrecht verneint haben sollte, kann vom Antragstel-
ler erwartet werden, daß er seinen Prozeßbevollmächtigten

- 3 -

mit einem Stichentscheid nach § 17 Abs. 2 ARB beauftragt. Ei-
ne finanzielle Belastung ist für ihn damit nicht verbunden,
da die Kosten des Stichentscheids auch dann zu Lasten des
Rechtsschutzversicherers gehen, wenn der Anwalt dem Rechts-
mittel keine Erfolgschancen zubilligen sollte.

Dr. H. D.

Nachschlagewerk: ja

BGHZ: nein

ZPO § 114

Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen einer Partei
Prozeßkostenhilfe gewährt werden kann, wenn ihr Rechts-
schutzversicherer die Kostendeckung wegen mangelnder Er-
folgsaussicht ablehnt.

BGH, Beschl.v. 3. Juni l987 - IVa ZR 318/86 -

- 1 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

IVa ZR 318/86

in dem Rechtstreit

des Handelsvertreter Joachim N. , W. Straße 61,

Klägers und Revisionsklägers,

- Prozeßbevollmächtigte Rechtsanwältin als Ab-

wicklerin der Kanzlei des ver-
storbenen Rechstanwalts

Dr. -

gegen

die S. Lebenversicherungs- und Rentenanstalt,

Versicherungsgenossenschaft auf Gegenseitigkeit, vertreten
durch den Hauptbevollmächtigten Dipl. Math. Günther H.,
L. straße 8-10, ,M. ,

Beklagte und Revisionsbeklagte,

- Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwälte Dr.

- 2 -

Der IVa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den
Vorsitzenden Richter Dr. H. und die Richter R.,
, Dr. L. , D. und Dr. Z.

am 13. Januar 1988

beschlossen

Die Revision des Klägers gegen das Urteil

des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts

in Hamm vom 5. Dezember 1986 wird nicht

angenommen.

Der Kläger trägt die Kosten der Revision.

Gründe

Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die
Revision verspricht keine Erfolg.

Der Senat versteht die rechtsfehlerfreien tatsäch-
lichen Feststellungen des Berufungsgerichts dahin, daß
beim Kläger bereits im Mai 1984 ein Zustand vorlag, der
bei rückschauender Betrachtung eine Wiederherstellung
einer (zumindest halben) Arbeitskraft innerhalb abseh-

- 3 -

barer Zeit nach de Stand der Wissenschaft nicht mehr zu-
ließ. Infolgedessen kommt es auf die im Berufungsurteil
erörterte Frage, ob die Bedingungen der Beklagten eine
Prognose darüber verlangen, für welchen Zeitraum der Ver-
sicherte voraussichtlich krankheitsbedingt an der Aus-
übung seines Berufs gehindert ist, nicht an.

Dr. H. R. Dr. L.

D. Dr. Z.

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BGH, IV ZR 214/88 vom 17.01.1990, Bundesgerichtshof
BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

IV ZR 214/88 URTEIL

verkündet am:

17. Januar 1990

Keller

Justizassistentin

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle



in dem Rechtsstreit

der C ge-
setzlich vertreten durch den Vorstand, K. -Allee

H

Beklagten und Revisionsklägerin,

— Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt

gegen

Herrn Theo K , Alte H. , N

Kläger und Revisionsbeklagten,

- Prozeßbevollmächtigter Rechtsanwalt als Ab-
wickler für die Kanzlei

- 2 -

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch
den Vorsitzenden Richter B. und die Richter D.,
Dr. S., Dr. Z. und Dr. R. auf die münd-
liche Verhandlung vom 17. Januar 1990
für Recht erkannt:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil
des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Celle vom 15. Juni 1988 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisions-
verfahrens.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte dem Kläger
vertraglichen Rechtsschutz in einem gegen die Muttergesell-
schaft der Beklagten geführten Prozeß auch für die Beru-
fungsinstanz zu gewähren hat. Sie gehen übereinstimmend da-
von aus, daß dem zwischen ihnen bestehenden Versicherungs-
verhältnis die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-
versicherung (ARB) zugrunde liegen. Für den ersten Rechtszug
des gegen den Unfallversicherer des Klägers geführten Pro-
zesses hatte die Beklagte Rechtsschutz gewährt. Die Klage
ist abgewiesen worden. Mit ihrer Ablehnung, auch für das Be-
rufungsverfahren eine Kostenzusage zu geben, stellte es die
Beklagte dem Kläger anheim, einen für beide Teile verbindli-

- 3 -

chen Stichentscheid eines Rechtsanwaltes seines Vertrauens
gemäß § 17 Abs. 2 ARB herbeizuführen. Nach Erhalt eines die
Erfolgsaussicht der Berufung bejahenden Schreibens des Beru-
fungsanwaltes des Klägers vom 5. Februar 1987 und erneut
nach Erhalt einer Kopie der Berufungsbegründung vom 11. Fe-
bruar 1987 blieb die Beklagte jeweils bei ihrer Ablehnung,
die erbetene Kostenzusage zu geben. Nach ihrer Ansicht liegt
ein wirksamer, sie bindender Stichentscheid im Sinne des
§ 17 Abs. 2 ARB nicht vor.

Zu dem Prozeß gegen den Unfallversicherer des Klägers
ist es gekommen, weil der Kläger nach der Teilnahme an einer
Wanderung am Himmelfahrtstage 1985, auf der an drei ver-
schiedenen Rastplätzen Bier getrunken worden war, auf der
Heimfahrt als Beifahrer auf dem Soziussitz des von Oliver
G , einem Mitglied der Wandergruppe, geführten Mo-
torrades verunglückte. Zur Unfallzeit betrug die Blutalko-
holkonzentration bei dem Fahrer 1,54 und bei dem Kläger
2,87 g ‰. Klage und Berufung des Klägers sind ab- bzw.
zurückgewiesen worden mit der Begründung, der Kläger habe
seinen Unfall durch eine alkoholbedingte Bewußtseinsstörung
verursacht.

Im anhängigen Verfahren ist dem Klagebegehren auf Ge-
währung von Rechtsschutz in den beiden Vorinstanzen stattge-
geben worden. Mit ihrer - zugelassenen — Revision verfolgt
die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.

- 4 -

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht hat das Schreiben des Rechtsanwal-
A vom 5. Februar 1987 als eine beide Parteien
bindende Stellungnahme im Sinne des § 17 Abs. 2 ARB gewer-
tet. Die Ausführungen, die das Berufungsgericht zu den An-
forderungen gemacht hat, denen eine derartige Stellungnahme
formell und inhaltlich entsprechen muß, treffen zu.

1.a) Dem Rechtsanwalt, der gemäß § 17 Abs. 2 ARB tätig
wird, obliegt in der Funktion eines Schiedsgutachters die
Aufgabe, die "Notwendigkeit" der Interessenwahrnehmung von
Seiten des Versicherungsnehmers dem Streit der (Vertrags-)
Parteien zu entziehen (Harbauer, Rechtsschutzversicherung
3. Aufl. § 17 Rdn. 14). Gemäß § 1 Abs. 1 ARB ist die Inter-
essenwahrnehmung notwendig nur, "wenn sie hinreichende Aus-
sicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint." Mit
dieser wortgetreuen Übernahme der sachlichen Voraussetzungen
für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe, die folgerichtig
in § 17 Abs. 2 ARB wiederholt wird, haben die Rechtsschutz-
versicherer klargestellt, daß die Notwendigkeit der Wahrneh-
mung rechtlicher Interessen im Rahmen einer Rechtsschutzver-
sicherung nur und erst dann zu bejahen ist, wenn bei dem ge-
gebenen Sachverhalt einer Partei, die nach ihren persönli-
chen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten einer
Prozeßführung (ganz oder teilweise) nicht aufzubringen ver-
mag, Prozeßkostenhilfe zu gewähren wäre. Die Anforderungen
an die Erfolgsaussicht, zu der in einem Stichentscheid gemäß
§ 17 Abs. 2 ARB Stellung zu nehmen ist, sind demnach nicht
niedriger als in einem Prozeßkostenhilfeverfahren (a.A. Har-
bauer, aaO § 1 Rdn. 33). Diesen Maßstab hat der Berufungsan-

- 5 -

walt des Klägers indes nicht verkannt; er hat auf hinrei-
chende Erfolgsaussicht der Berufung abgestellt und diese be-
jaht.

b) Da gemäß § 17 Abs. 2 ARB eine begründete Stellung-
nahme zu der Notwendigkeit einer Wahrnehmung rechtlicher In-
teressen abzugeben ist, ist der Rechtsanwalt gehalten, die
Grundlagen seiner gutachterlichen Entscheidung und den Weg,
auf dem er zu ihr gelangt ist, aufzuzeigen; er hat deshalb
grundsätzlich den entscheidungserheblichen Streitstoff dar-
zustellen, anzugeben, inwieweit für bestrittenes Vorbringen
Beweis oder Gegenbeweis angetreten werden kann, die sich er-
gebenden rechtlichen Probleme unter Berücksichtigung von
Rechtsprechung und Rechtslehre herauszuarbeiten und das nach
seiner Ansicht bestehende (Prozeß—)Risiko aufzuzeigen, d.h.
sich auch mit etwa vorhandenen Argumenten auseinanderzuset-
zen, die gegen eine Erfolgsaussicht sprechen. Dabei ist es
von nachrangiger Bedeutung und weitgehend von den Besonder-
heiten des Einzelfalles abhängig, in welche Form der Anwalt
seine Stellungnahme kleidet und wie umfänglich er sie ge-
staltet und dabei auf die vom Rechtsschutzversicherer ange-
meldeten Bedenken eingeht. Das ist abhängig vom Umfang oder
von der Komplexität des Streitstoffes, von dem Stand der
vorangegangenen Korrespondenz mit dem Rechtsschutzversiche-
rer und seiner dadurch begründeten Vorkenntnis, ferner von
dem Stadium, in dem sich die Interessenwahrnehmung jeweils
befindet.

c) Der Inhalt und nicht die Form einer Stellungnahme
bleibt stets primär maßgebend dafür, ob sie den Anforderun-
gen an eine begründete Bejahung hinreichender Erfolgsaus-

- 6 -

sicht genügt; deshalb sind auch - jedenfalls zeitnahe – Er-
gänzungen einer Stellungnahme, in der noch nicht auf alle
für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Wahrnehmung
rechtlicher Interessen eine Rolle spielenden Gesichtspunkte
umfassend eingegangen worden war, zulässig und rechtlich be-
achtlich. Um eine derartige Ergänzung zur Stellungnahme vom
5. Februar 1987 handelt es sich bei der unter dem 11. Febru-
ar 1987 gefertigten Berufungsbegründung, die der Beklagten
am 18. Februar 1987 zugegangen ist. Daß der Berufungsanwalt
des Klägers hiermit seine bisherigen Ausführungen zur hin-
reichenden Erfolgsaussicht der Berufung ergänzen und unter-
mauern wollte, war auch für die Beklagte unübersehbar. Sie
hatte ihm in ihrem ersten Ablehnungsschreiben vom 2. Dezem-
ber 1986 unter anderem mitgeteilt: "Um ein Berufungsverfah-
ren mit einiger Aussicht auf Erfolg durchführen zu können,
müßten hier unseres Erachtens zumindest Zeugen dafür benannt
werden, daß für unseren Versicherungsnehmer auch in nüchter-
nem Zustand keineswegs erkennbar gewesen wäre, daß Herr Gl
alkoholbedingt fahruntüchtig war. Dies erscheint
uns nach dem bisher bekannten Sachverhalt nicht möglich zu
sein."

In seiner Stellungnahme vom 5. Februar 1987 hatte
Rechtsanwalt A. die Ansicht vertreten, die Kausalitätsfrage
sei nur noch am Rande von Bedeutung, weil im Berufungsver-
fahren eine andere Beurteilung der alkoholbedingten Bewußt-
seinsstörung des Klägers erwartet werden dürfe. Er hatte da-
zu aufgezeigt, was sein Mandant gegen die Annahme des Land-
gerichts anführen könne, er sei bei Fahrtantritt alkoholbe-
dingt bewußtseinsgestört gewesen. Mit der umgehend nachge-
reichten Berufungsbegründung verdeutlichte er der Beklagten

- 7 -

dann zum einen, daß der Kläger auch Beweis anbieten könne
für diese Behauptung, und führte ihr zum anderen nunmehr
auch vor Augen, daß der Kläger auch zur Entkräftung der vom
Landgericht bejahten Kausalität einer alkoholbedingten Be-
wußtseinsstörung für den Fahrtantritt mit einem absolut
fahruntüchtigen Motorradfahrer und damit für den Unfall noch
nicht erhobenen Beweis angetreten hatte.

Ist bestrittenes Vorbringen, mit dem die Rechtsverfol-
gung oder die Rechtsverteidigung begründet werden soll, un-
ter Beweis gestellt, ohne daß sich auf Anhieb sagen ließe,
dieses Vorbringen sei mit der jeweils verfolgten Wahrnehmung
rechtlicher Interessen schlechterdings nicht in Zusammenhang
zu bringen, oder hat der Versicherungsnehmer gegen eine ihm
ungünstige Feststellung in einem Urteil, das er angreifen
will, Beweis angetreten, so bindet die hierauf in einem
Stichentscheid gestützte Bejahung von Erfolgsaussicht die
Parteien des Rechtsschutzversicherungsvertrages, solange
nicht derjenige, der die Bindungswirkung anzweifelt, be-
weist, daß die Stellungnahme "offenbar von der wirklichen
Rechtslage erheblich abweicht." Keine Rolle spielt es bei
der Beurteilung, ob der Stichentscheid ausreichend begründet
worden ist bzw. ob er offenbar erheblich von der wirklichen
Rechtslage abweicht, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung tatsächlich Erfolg hatte. wie im
Prozeßkostenhilfeverfahren ist nur eine ex ante-, nicht eine
ex post-Beurteilung erlaubt, d.h. es ist unter anderem uner-
heblich, zu welchem Ergebnis spätere Beweisaufnahmen geführt
haben.

d) Für ihre Ansicht, die zeitnah und zu Beginn des Be-
rufungsverfahrens gegen den Unfallversicherer nachgereichte

— 8 —

Berufungsbegründung sei keine beachtliche Ergänzung der ur-
sprünglichen Stellungnahme vom 5. Februar 1987, kann sich
die Beklagte nicht auf die in VersR 1980, 671 veröffentlich-
te Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm berufen. Auch
wenn die Annahme dieses Gerichts zutreffen sollte, es bleibe
kein Raum mehr für ein Verfahren gemäß § 17 Abs. 2 ARB, wenn
dem Rechtsschutzversicherer erstmalig nach Abschluß eines
gerichtlichen Verfahrens von einer auf diesem Wege verfolg-
ten Wahrnehmung rechtlicher Interessen Mitteilung gemacht
worden sei, besagt dies nichts dazu, ob eine zeitgerechte
Stellungnahme zu ihrer Begründung gemäß § 17 Abs. 2 ARB
zeitnah durch weitere Schriftstücke ergänzt werden darf.

Ebensowenig einschlägig ist der Beschluß des erkennenden Se-
nates vom 3. Juni 1987 - IVa ZR 318/86 - VersR 1987, 978; er
besagt nur, daß es einer Partei, deren Rechtsschutzversiche-
rer eine Kostenzusage mangels Erfolgsaussicht abgelehnt hat,
zuzumuten ist, einen Stichentscheid gemäß § 17 Abs. 2 ARB
herbeizuführen, so daß ihr nicht stattdessen Prozeßkosten-
hilfe bewilligt werden kann.

2.a) Den ihr obliegenden Beweis offenbar erheblichen
Abweichens des Stichentscheids von der wirklichen Rechtslage
hat die Beklagte nicht geführt. Zu Recht bezweifelt auch die
Beklagte nicht, daß eine alkoholbedingte Bewußtseinsstörung
des Klägers (bzw. deren Fehlen oder deren Nichterweislich-
keit) und die Kausalität dieser Bewußtseinsstörung für den
Unfall maßgeblich sind und waren zur Beurteilung hinreichen-
der Erfolgsaussicht der Berufung gegen das Urteil, mit dem
Ansprüche gegen den Unfallversicherer abgewiesen worden wa-
ren. Was den juristischen Ausgangspunkt betrifft, den
Rechtsanwalt A. für seinen Stichentscheid gewählt hatte,

- 9 -

kommt demnach ein Abweichen von der wirklichen Rechtslage
nicht in Betracht.

b) Es ging in dem Prozeß gegen den Unfallversicherer
allein darum, ob sich der Kläger nur und gerade wegen einer
alkoholbedingten Bewußtseinsstörung einem absolut fahrun-
tüchtigen Motorradfahrer anvertraut hatte; es ging dagegen
nicht um ein alkoholbedingtes unfallursächliches Verhalten
des Klägers während der Fahrt. In zutreffender Berücksichti-
gung der Senatsrechtsprechung (vgl. Urteil vom 27. Februar
1985 — IVa ZR 96/83 - VersR 1985, 583 unter II) hatte das
Erstgericht nicht allein aufgrund der erwiesenen Blutalko-
holkonzentration von 2,87 g ‰ eine alkoholbedingte Be-
wußtseinsstörung im Sinne des in § 3 Abs. 4 der Allgemeinen
Unfallversicherungsbedingungen (AUB) enthaltenen Risikoaus-
schlusses bejaht; es hatte seine Überzeugung - ein An-
uscheinsbeweis kam nicht in Betracht (vgl. dazu auch Senats-
urteil vom 24. Februar 1988 — IVa ZR 193/86 unter 2 – VersR
1988, 733) — zusätzlich aus den Feststellungen hergeleitet,
die der den Kläger nach dem Unfall behandelnde Arzt getrof-
fen hatte. In seiner Stellungnahme vom 5. Februar 1987 zeig-
te Rechtsanwalt A. auf: Die ärztliche Feststellung, die
Atemluft des Klägers habe deutlich nach Alkohol gerochen,
sage über den Grad seiner erwiesenen Alkoholisierung nichts
aus; ein sogenanntes Alkoholdelirium, das während des Kran-
kenhausaufenthaltes aufgetreten sein soll, sei ebenfalls oh-
ne Aussagewert für die Alkoholisierung des Klägers bei
Fahrtantritt am Himmelsfahrttag, weil damit Entzugserschei—
nungen während des stationären Aufenthaltes angesprochen
seien, deren Auftreten gerade die Behauptung des Klägers un-
termauerten, er sei besonders alkoholgewohnt; der Anwalt bot

- 10 -

- zumindest in Verbindung mit der Berufungsbegründung – Be-
weis durch den Arzt an, der dem Kläger das Blut entnommen
hatte, daß der Kläger bei der Blutentnahme eine deutliche
Sprechweise, ein beherrschtes Verhalten, eine unauffällige
Stimmung mit klarer Bewußtseinslage und geordneten Denkab-
läufen gezeigt habe. Unter diesen Umständen wich sein wer-
tungsergebnis, er messe einer hierauf gestützten Berufung
hinreichende Erfolgsaussicht bei, nicht offenbar erheblich
von der wirklichen Rechtslage ab. Die Feststellung alkohol-
bedingter Bewußtseinsstörung verlangt, wo es nicht nur um
Fahruntüchtigkeit geht, ausnahmslos eine am Einzelfall ori-
entierte, alle in Betracht kommenden Indizien einschließende
Beweiswürdigung. Es ging bei der Feststellung einer alkohol-
bedingten Bewußtseinsstörung des Klägers auch nicht um einen
Anscheins-, sondern um Vollbeweis.

c) Die Bejahung hinreichender Erfolgsaussicht der Beru-
fung weicht auch nicht offenbar erheblich von der wirklichen
Rechtslage ab, soweit sie zusätzlich daraus hergeleitet wur-
de, daß der Kläger in der Berufungsbegründung auch Beweis
gegen die im ersten Urteil bejahte Kausalität seiner Alkoho-
lisierung für den Unfall angetreten hatte. Es war Sache des
Unfallversicherers zu beweisen, daß der Kläger ohne seine
alkoholische Beeinflussung mit Rücksicht auf die ihm dann
erkennbar gewordene oder sich ihm dann zumindest aufdrängen-
de Fahruntüchtigkeit des Motorradfahrers, dem äußerlich bei
Fahrtantritt eine Alkoholisierung nicht anzumerken war, Ab-
stand genommen hätte von einem Mitfahren. Alles, was der
Kläger gegen die Berechtigung einer solchen Annahme anführen
und unter Beweis stellen konnte, war grundsätzlich geeignet,
seinen Anspruch zu stützen. Die Berücksichtigung dieses Vor-

- 11 -

bringens in dem Stichentscheid bei der Bejahung hinreichen-
der Erfolgsaussicht konnte demnach ebenfalls nicht dazu füh-
ren, daß dieser erheblich und offenbar von der wirklichen
Rechtslage abwich.

Das Feststellungsbegehren des Klägers ist begründet.

B. D. Dr. S.

Dr. Z. Dr. R.

Nachschlagewerk: ja

BGHZ: nein

BGHR: ja

AVB f. Rechtsschutzvers. (ARB) § 17 Abs. 2

Zu den Anforderungen an eine Stellungnahme gemäß § 17 Abs. 2

ARB (Stichentscheid).

BGH, Urteil vom 17. Januar 1990 — IV ZR 214/88 — OLG Celle

LG Hannover

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BSG, IV ZB 5/90 vom 04.10.1990, Bundesgerichtshof
BUNDESGERICHTSHOF

IV ZB 5/90

Beschluss in dem Rechtsstreit

- 2 -

Der IV Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch
den vorsitzenden Richter B. und die Richter R.
, Dr. S. , Dr. Z. und R.

am 4. Oktober 1990

beschlossen:

Auf die sofertige Beschwerde des Beklagten wird
der Beschluß des 7. Zivilsenats des Ober1andes-
gerichts Stuttgart vom 21. Juni 1990 zu Nr. 2 und
3 aufgehoben.

Dem Beklagten wird wegen Versäumung der Berungs-
frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ge-
währt.

Die Kosten der Wiedereinsetzung einschließlich
der Kosten des Beschwerdevertfahrens nach einem
Beschwerdewert von 40.304,15 DM trägt der Be-
klagte.

Gründe

Das dem Rückzahlungsantrag des Klägers stattgebende Ur-
teil des Landgerichts ist dem Anwa1t des Beklagten am
5. März 1990 zugestellt werden. Mit Schriftsatz vom·30. März
1990, der beim Berufungsgericht am 2. April 1990 eingegangen
ist, beantragte der Beklagte für die Berufung gegen dieses

- 3 -

Urteil Prozeßkostenhilfe unter Vorlage der erforderlichen
Belege und Darlegung der beabsichtigten Berufungsbegründung.
Seine Rechtsschutzversicherung, die lediglich für die erste
Instanz Deckung zugesagt hatte, unterrichtete er am gleichen
Tage in gleicher Weise. Diese antwortete ihm, daß sie vor
Ablauf der Berufungsfrist die Frage der Deckungszusage für
die Berufungsinstanz nicht entscheiden werde. Mit Schreiben
vom 12., dem Anwalt des Klägers zugegangen am 19. April 1990
gewährte sie dann Deckungsschutz. Daraufhin legte der Be-
klagte am 23. April 1990 Berufung ein, begründete diese
gleichzeitig und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand.

Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Be-
schluß

1. den Antrag auf Prozeßkostenhilfe zurückgewiesen,

2. den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und

3. die Berufung verworfen.

Gegen die Nr. 2 und 3 dieses Beschlusses wendet sich der Be-
klagte mit seiner fristgerecht eingelegten sofortigen Be-
schwerde. Diese hat Erfolg.

Das Berufungsgericht meint, der Beklagte habe bei
Durchführung der ihm und seinem Prozeßbevollmächtigten zu-
mutbaren Maßnahmen die Deckungszusage so rechtzeitig erhal-
ten können, daß er fristgerecht Berufung habe einlegen kön-
nen. Diese Begründung ist rechtsfehlerhaft.

- 3 -

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtsho-
fes ist ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmit-
tel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist die Bewilligung von
Prozeßkestenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über
den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der Einle-
gung oder Begründung des Rechtsmittels verhindert anzusehen,
als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht
mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftig-
keit rechnen muß (BGHZ 26, 99, 101; Beschlüsse vom 14.3.1984;
und 29.1.1985 - IVb ZB 114/83 und VI ZB 20/84 - FamRZ 1984,
677 unter II 1a und VersR 1985, 395 unter 1). Erst dann,
wenn das Hindernis der Bedürftigkeit entfallen ist, wenn
z.B. die anfängliche Armut des Rechtsmittelführers, durch nun
erlangtes Arbeitseinkommen wegfällt, muß er mit der Ableh-
dnung seines Antrages auf Prozeßkostenhilfe rechnen (BGH, Be-
schluß vom - 13.7.1988 - IVb ZR 19/88 - BGHR ZPO § 234 Abs. 2
Prozeßkestenhi1fe 2 = FamRZ 1988, 1153). Erst dann ist ihm
zuzumuten, die Berufung einzulegen, wofür ihm gegebenenfalls
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. So
liegt es hier. Erst mit dér Deckungssusage des Re¢htsschutz-
versicherers entfiel das Hindernis der Bedürftigkeit, dessen
Vorliegen der Beklagte mit seinem Antrag auf Prozeßkosten-
hilfe und den dazu eingereichten Unterlagen ordnungsgemäß
dargetan hatte.

Allerdings hat der Senat entschieden, daß Prozeßkosten-
hilfe nicht gewährt werden kann, wenn der Rechtsscbutzversi-
cherer die Deckung wegen fehlender Erfolgsaussicht des
Rechtsmittels verweigert (Beschluß vom 3.6.1987 - IVa ZR
318/86 - BGHR ZPO § 114 Abs. 1. Rechtschutzversicherung 1 =
VersR 1987, 978). Bei zutreffender Beurteilung der mangeln

- 5 -

den) Erfolgsaussicht durch den Rechtsschutzversicherer ist
ohnehin nach S 114 Satz 1 ZPO die Bewilligung von Prozeßko-
stenhilfe ausgeschlossen (vgl. Senatsurteil vom 16.9.1987
- IVa ZR 76/86 - BGHR ZPO § 114 Abs. 1 Satz 1 Erfolgsaus-
sicht 1 = VersR 1987, 1186, dazu Bauer, VersR 1988, 174).
Einer unrichtigen Beurteilung der Erfolgsaussicht kann der
Rechtsmittelführer durch den Stichentscheid gemäß S 17
Abs. 2 der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzver—
sicherung (ARB) entgegentreten.

Das besagt jedoch nichts zur Frage der Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand. Derjenige, der die Kosten seines
Rechtsmittels nicht aufbringen kann, darf wie ein anderer
die Frist für die Einlegung oder Begründung des Rechtsmit-
tels bis zum letzten Tag ausnutzen; er darf also noch am
letzten Tag der Frist die Entscheidung treffen, ob er das
Rechtsmittel einlegen will, und braucht erst dann den aller-
dings vollständigen Antrag auf Prozeßkostenhilfe einzurei-
chen (BGHZ 16, 1 und 38, 376). Daran kann sich nichts da-
durch ändern, daß er rechtsschutzversichert und auf das Ver-
fahren gemäß § 17 ARB angewiesen ist. Der Stichentscheid ge-
mäß § 17 Abs. 2 ARB setzt die vorausgegangene Verneinung der
Leistungspflicht seitens des Rechtsschutzversicherers vor-
aus. Solange dieser sich nicht entschieden hat, ist für ei-
nen Stichentscheid kein Raum. Es liegt auf der Hand, daß
dieses Verfahren - zunächst die Entscheidung des Rechts-
schutzversicherers über die Erfolgsaussicht, dann gegebenen-
falls der Stichentscheid - eine gewisse Zeit erfordert. Die-
ser Zeitraum muß dem Rechtsmittelführer, der rechtsschutz-
versichert ist, ohne Rechtsnachteil zur Verfügung stehen. Er
darf, wenn er im übrigen die wirtschaftlichen Voraussetzun-

- 6 -

gen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe erfüllt nicht
wegen der Rechtsschutzversicherung schlechtergestellt werden
den als die übrigen Rechtsmittelführer.

Danach ist dem Beklagten mit der Kostenfolge § 238
Abs. 4 ZPO Wiedereinsetzung zu gewähren.

B. Dr. Z.

Nechschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

Für einen rechtsschutzversicherten Rechtsmittelführer, der die
die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von
Prozeßkostehhilfe im übrigen erfüllt, entfällt das Hindernis
der Bedürftigkeit erst mit der Deckunugszusage seines Rechts-
schutzversicherers.

BGH, Beschl. v. 4. Oktober 1990 - IV ZB 5/90 - OLG Stuttgart
LG Rottweil


Faksimile 1 2 3 4 5 6 Leitsatz

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BSG, 3 RK 3/82 vom 23.03.1983, Bundessozialgericht
BSGE 55, 37, 38 ff [BSG 23.03.1983 - 3 RK 3/82] = SozR 2200 § 194 Nr 10



Bundessozialgericht



3 RK 3/82



Verkündet am

23. März 1983



Im Namen des Volkes



Urteil



in dem Rechtsstreit



Klägerin und Revisionsklägerin,

Prozeßbevollmächtigte:



gegen



Beklagte und Revisionsbeklagte,

Prozeßbevollmächtigter:



Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche

Verhandlung vom 23. März 1983



für Recht erkannt:



Auf die Sprungrevision der Klägerin wird das Urteil des

Sozialgerichts Dortmund vom 28. September 1981 aufgehoben.



Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das

Sozialgericht zurückverwiesen.



- 2 -



Gründe:



I



Die Klägerin begehrt die Erstattung von Krankentransportkosten.



Die Klägerin wohnt in D. und ist Mitglied der Beklagten. Am

27. April 1980 erlitt sie während ihres Urlaubs im Sauerland

einen Unterschenkelbruch rechts. Sie wurde zum nächstgelegenen

Krankenhaus, dem M. -H. -Krankenhaus in W. gefahren.

Dort wurde vom Chefarzt Dr. K. (K.) die Reposition

durchgeführt und ein Transportgips angelegt. Die Klägerin wurde

am selben Tag noch liegend ins Knappschaftskrankenhaus D.

transportiert. Für diese Fahrt stellte der Kreis S. 468,-- DM

in Rechnung, die die Klägerin beglich.



Die Übernahme der Kosten für die Fahrt von W. nach D.

lehnte die Beklagte am 7. Oktober 1980 ab. Mit ihrem Widerspruch

machte die Klägerin geltend, sie sei Mutter eines vierjährigen

Kindes. Ihm wäre es wegen der Dauer einer Reise von D. nach

W. (über BO km) praktisch nicht möglich gewesen, die Klä-

gerin regelmäßig zu sehen. Eine Trennung von Mutter und Kind

wirke sich unter Berücksichtigung der psychosomatischen Zusam-

menhänge auch für den Genesungsprozeß der Mutter äußerst nach-

teilig aus.



Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Sozialgericht



- 3 -



(SG) hat ausgeführt, der Transport der Klägerin von W. nach

D. sei nicht durch die Art und Weise der erforderlichen

Krankheitsbehandlung bedingt gewesen. Die erforderliche, medizi-

nisch ausreichende und zweckmäßige Krankenhauspflege wäre im

M. -H. -Krankenhaus gesichert gewesen. Medizinisch erforder-

lich sei die Verlegung nach D. auch nicht deshalb gewesen,

weil das Verbleiben der Klägerin in W. zu psychischen

Störungen mit Krankheitswert bei dem Kind hätte führen können.

Die Möglichkeit des Eintritts einer Krankheit bei einem anderen

könne die medizinische Notwendigkeit im Hinblick auf die zu

behandelnde Krankheit des Versicherten nicht beeinflussen. Am

27. April 1980 hätten auch konkrete Hinweise darauf gefehlt, daß

die sofortige Verlegung nach D. die medizinisch einzig

geeignete Maßnahme zur Sicherstellung des Genesungsprozesses der

Klägerin gewesen wäre. Vielmehr habe der verantwortliche Chefarzt

mitgeteilt, daß eine medizinische Notwendigkeit zur Verlegung

nicht bestanden habe. Diese Notwendigkeit werde auch nicht durch

das kassenarztrechtlich vorgesehene Formular der Anordnung des

Krankentransports bestätigt, denn darin gehe es nicht um die

Frage, ob die Verlegung erforderlich sei, sondern um deren Art

und Weise. Zwar behaupte die Klägerin, das Krankenhaus habe die

Verlegung veranlaßt. Es sei aber jedenfalls nicht Aufgabe der

Krankenkasse, Kosten einer nicht medizinisch bedingten Verlegung

zu tragen. Medizinische Gründe für die Verlegung habe Dr. K.

ausdrücklich verneint.



Die Klägerin hat Sprungrevision eingelegt und macht geltend, das

kassenarztrechtlich vorgesehene Formular bestätige die Notwen-



- 4 -



digkeit der Verlegung. Auch sei der Transport der Klägerin not-

wendig gewesen wegen der gesundheitlichen Gefährdung von Mutter

und und und der Beeinträchtigung des Genesungsprozesses durch

die Trennung zwischen beiden.



Die Klägerin beantragt sinngemäß,



die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des

Sozialgerichts Dortmund vom 28. September 1981

und der Bescheide vom 7. Oktober 1980 und

3. Februar 1981 zu verurteilen, an sie 468,-- DM

nebst 4 % Zinsen ab 1. März 1981 zu zahlen.



Die Beklagte beantragt,



die Revision zurückzuweisen.



II



Die Revision ist im Sinn der Zurückverweisung der Sache an das

SG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet. Anhand der

im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen des SG kann

der Senat nicht abschließend entscheiden, ob die angefochtenen

Bescheide rechtmäßig sind, und cb der Anspruch der Klägerin be-

steht.



Nach § 194 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) übernimmt die

Beklagte die im Zusammenhang mit der Gewährung einer Leistung

der Krankenkasse erforderlichen Fahrkosten für den Versicherten.



- 5 -



Der Anspruch aus § 19A Abs 1 RV0 setzt voraus, daß die Kassen-

leistung dem Versicherten an einem bestimmten Ort zu gewähren

ist und der Transport lediglich dazu dient, ihn zu diesem Ort zu

befördern (Urteil des Senats vom 28. März 1979 in BSGE NB, 139 =

SozR 2200 § 194 RVO Nr U). Aus den Feststellungen des SG ergibt

sich nicht, ob die Beklagte der Klägerin die Krankenhausbehand-

lung in diesem Sinn gerade im Knappschaftskrankenhaus in D.

zu gewähren hatte.



Die Gewährung der stationären Behandlung im Knappschaftskranken-

haus und die dafür erforderliche Fahrt nach D. sind nicht

von Dr. K. in einer für die Beklagten verbindlichen Weise

angeordnet worden. Mit Recht hat das SG die Frage offengelassen,

ob die Fahrt von W. nach D. Q von der Klägerin oder von

Dr. K. veranlaßt worden ist. Das SG hat bindend festgestellt,

Dr. K. habe die Verlegung jedenfalls nicht aus medizinischen

Gründen veranlaßt. Wenn der Arzt die Verlegung des Versicherten

von einem Krankenhaus in ein anderes aus medizinischen Gründen

veranlaßt, mag dies die Pflicht der Krankenkasse zur Übernahme

der Transportkosten auch dann nach sich ziehen, wenn die Gründe

objektiv nicht gegeben waren. Eine derartige Verpflichtung der

Krankenkasse ist zwar nicht ausdrücklich geregelt. Es liegt aber

nahe, sie dem Grundgedanken von Vorschriften wie § 20 Abs 5 des

Bundesmantelvertrages Ärzte (BMVÄ) vom 28. August 1978 zu ent-

nehmen. Nach § 20 Abs 5 BMVÄ bleibt bei der Verordnung von Kran-

kenhauspflege die Kostenverpflichtungserklärung gegenüber dem

Krankenhaus der Krankenkasse vorbehalten. Veranlaßt der Arzt in

Notfällen ausnahmsweise von sich aus die Aufnahme in ein



- 6 -



Krankenhaus, so hat er dieses in der Verordnung besonders zu be-

gründen. Aus der Vorschrift ergibt sich aber keinerlei Anhalts-

punkt dafür, daß ein Arzt durch seine Verordnung die Kasse zu

Leistungen verpflichten könnte, die er nicht im einzelnen für

medizinisch begründet hält.



Die Kosten des Transports von W. nach D. sind von der

Beklagten auch nicht schon deshalb zu tragen, weil Dr. K. die

ärztliche Notwendigkeit der Krankenfahrt festgestellt hat. Das SG

hat festgestellt, der Arzt treffe mit dem Formular keine

Anordnung hinsichtlich des "Ob" des Transports. Damit hat das SG

eine tatsächliche Feststellung getroffen, die mit der

Sprungrevision nicht angegriffen werden kann (§ 161 Abs 4

Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Klägerin bezieht sich in ihrer

Revisionsbegründung insoweit auf das Urteil des

Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 24. Januar 1980

- L 5 K 46/79 -. Darin wird ausgeführt, Chefarzt Dr. M. habe den

Transport auf einem dafür vorgesehenen Formblatt angeordnet, und

die Anordnung beziehe sich nicht lediglich auf die Art des

Transports, sondern auch auf die Durchführung selbst; das

Formblatt sei nämlich als Nachweis der ärztlichen Anordnung für

die Krankenkasse bestimmt. Das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz

enthält insoweit tatsächliche Feststellungen, wobei es noch nicht

einmal vom gleichen Formblatt ausgeht wie im Fall der Klägerin.

Für den Rechtsstreit der Klägerin gegen die Beklagte sind die

Feststellungen des LSG Rheinland-Pfalz nicht verbindlich. Die

Auslegung der formularmäßigen Erklärung durch das SG läßt auch

keinen rechtlichen Fehler erkennen. Allerdings dient das



- 7 -



Formblatt dem Nachweis für die Krankenkasse. Das SG war aber

nicht an der Auslegung gehindert, daß es nur um den Nachweis der

angeordneten Art des Transports geht. Insoweit wird die Auslegung

durch die neuen Richtlinien über die Verordnung von

Krankenfahrten, Krankentransport- und Rettungsdienstleistungen

vom 26. Februar 1982 (BAnz Beilage 32 Seite 9) bestätigt. Darin

ist die Auswahl des Beförderungsmittels eingehend geregelt. Es

wird zwar auch bestimmt, daß Ausgangs- und Zielort der Fahrt

anzugeben sind. Die Richtlinien sehen aber keine Aussage des

Arztes über den Zweck und die Notwendigkeit der Fahrt vor.



Ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Fahrkosten kann sich

aber aus einem anderen Rechtsgrund ergeben. Unter den

Krankenhäusern, mit denen Verträge über die Erbringung von

Krankenhauspflege bestehen, kann der Versicherte nach § 184 Abs 2

RVO wählen. Der Versicherte bestimmt mit dieser Wahl des Kran-

kenhauses allerdings nicht den Ort der Leistung in der Weise, daß

die Bestimmung die Pflicht der Krankenkasse zur Übernahme der

Kosten für die Fahrt dorthin nach sich zieht. Vielmehr hat er

selbst die Mehrkosten zu tragen, wenn er ohne zwingenden Grund

ein anderes ale eines der nächsterreichbaren Vertragskranken-

häuser in Anspruch nimmt (§ 184 Abs 2 Satz 2 RVO). Die Vorschrift

des § 184 Abs 2 Satz 2 RVO ist im vorliegenden Fall anwendbar.

Zu dem dieser Vorschrift im ambulanten Bereich entsprechenden

§ 368d Abs 2 RVO hat der Senat bereits entschieden, daß auch die

Kosten der Fahrt zum gewählten Arzt Mehrkosten in diesem Sinn

sind, soweit sie die Kosten der Fahrt zum nächsterreichbaren Arzt

überschreiten (BSG SozR 2200 § 368d RVO Nr N). Anderes



- 8 -



Krankenhaus iS des § 184 Abs 2 Satz 2 RVO ist allerdings in der

Regel das im Krankheitsfall zuerst aufgesuchte Krankenhaus.

Indessen ist kein durchschlagender Grund erkennbar, warum die

Vorschrift nicht auch im Fall des Krankenhauswechsels, der

Verlegung von einem Krankenhaus in ein anderes angewendet werden

soll. Die Klägerin hätte je nach Art des Unfalls genausogut

unmittelbar vom Unfallort nach D. gebracht werden können.

Nach der Interessenlage kann die - offenbar nur ambulante -

Erstversorgung in W. die Erstattung der Fahrkosten nach

D. nicht ausschließen.



Die Klägerin hat das Knappschaftskrankenhaus in D. "in

Anspruch genommen", selbst wenn die Verlegung dorthin allein von

Dr. K. oder durch andere Angestellte des W. Krankenhauses

veranlaßt werden sein sollte. Inanspruchnahme bedeutet keine

bewußt ausgeübte Wahl. Der Versicherte nimmt grundsätzlich das

Krankenhaus in Anspruch, in dem er sich behandeln läßt.



Die Feststellungen des SG reichen nicht aus für eine Entscheidung

darüber, ob für die Verlegung der Klägerin von W. nach

D. ein zwingender Grund gegeben war.



Zur Übernahme der Kosten für einen solchen Weitertransport ist

die Kasse nur verpflichtet, wenn Gründe dafür in der Art und

Weise der Krankheitsbehandlung liegen (BSG SozR 2200 § 194 RVO

Nr 4). Die erforderliche, medizinisch ausreichende und zweck-

mäßige Krankenhauspflege wäre nach den bindenden Feststellungen

des SG im M. -H. -Krankenhaus in W. gesichert gewesen.



- 9 -



Mit Recht hat das SG auch dargelegt, die Gefahr von psychischen

Störungen bei dem Kind der Klägerin sei kein in der Art und

weise der Krankheitsbehandlung liegender Grund. Krankheitsbe-

handlung in diesem Sinn ist nur die Behandlung der Klägerin

selbst. Zu den gesetzlichen Aufgaben der gesetzlichen Kranken-

versicherung gehört es nicht, gesundheitliche Gefahren für

Familienangehörige des Kranken abzuwehren, auch wenn die Angehö-

rigen selbst Krankenversicherungsschutz genießen.



Zu Unrecht hat das SG keine Feststellungen darüber getroffen, ob

und in welcher Weise die Trennung von Mutter und Kind den Gene-

sungsprozeß der Mutter beeinträchtigt hätte. Das SG hat die

Sachaufklärung dazu unterlassen, weil am 27. April 1980 offen-

kundig alle konkreten Hinweise für die Notwendigkeit der Verle-

gung aus diesem Grund gefehlt haben. Darauf kommt es indessen

nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob die Notwendigkeit objek-

tiv vorgelegen hat. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom

28. März 1979 angedeutet, daß die Gefahr einer psychischen

Erkrankung des Versicherten beim Verbleib in dem Krankenhaus

außerhalb seines Wohnorts für die Entscheidung erheblich sein

könnte. Im Verhältnis einer Mutter zu ihrem vierjährigen Kind

liegt die Beeinträchtigung des Genesungsprozesses der Mutter

durch eine Trennung nicht so fern, daß das SG von einer weiteren

Sachaufklärung ohne weiteres entbunden wäre. wenn die Gefahr

ernsthaft bestanden hat, wird das SG eine etwa zu befürchtende

Verzögerung der Genesung gegen die Transportkosten abzuwägen und

auch etwaige andere Möglichkeiten der Kontaktsicherung zu

berücksichtigen haben.



- 10 -



Die Kostenentscheidung bleibt dem Urteil des SG vorbehalten.

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BVerwG, 3 B 62.88 vom 21.02.1989, Bundesverwaltungsgericht
Sachgebiet: BVerwGE: nein

Lebensmittelrecht Fachpresse: nein

Weinrecht

Rechtsquellen:

VO (EWG) Nr. 2179/83 Art. 4 Abs. 2.· Art. 5 Abs. 1

VwVfG

§§ 38 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 2. 44

VwGO § 132 Abs . 2 Nr . 1 u . Nr . 2

Stichworte:

Behördliche Genehmigung eines Vertrags zur Destillation von
Wein. allgemeine Hinweise im Genehmigungsbescheid. Auslegung
eines Hinweises als bedingte Zusicherung der Gewährung einer
Beihilfe; keine Grundsatzfrage (unbegründete Nichtzulassungs-
beschwerde)

Beschluß des 3. Senats vom 21. Februar 1989- BVerwG 3 B 62.88
I. VG Frankfurt am Main vom 13.06.1986 - Az.: I/3 E 2021/84 -
II. VGH Kassel vom 19.05.1988 - Az.: 8 UE 2017/86

- 1-

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BVerwG 3 B 62.88

VGH 8 UE 2017/86

BESCHLUSS

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Februar 1989
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. D. sowie die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht S. Und W.-E. S.
beschlossen:

- 2 -

Die Beschwerde der Beklagten gegen die
Nichtzulassung der Revision im Urteil des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom
19. Mai 1988 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen
der Beklagten zur Last.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren
wird auf 28 374.79 DM festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision im angefochtenen Urteil des Berufungsgerichts erweist
sich als unbegründet. Keiner der in der Beschwerdebegründung
dargelegten rechtlichen Gesichtspunkte vermag die Zulassung der
Revision zu rechtfertigen.

Die von der Beklagten als klärungsbedürftig dargelegte Frage.
ob Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 und Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1
der Verordnung (EWG) Nr. 2179/83 des Rates vom 25. Juli 1983
dahin auszulegen sind. daß ein Verwaltungsakt. der eine dort
vorgesehene Genehmigung eines Vertrags zur Destillation von
Wein zum Inhalt hat. gleichzeitig die Zusicherung enthält. eine
für die Destillation beantragte Beihilfe zu gewähren, hat keine
grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
weil sie in dieser Allgemeinheit nicht klärungsfähig ist. Im
Grundsatz wäre diese Frage sicherlich zu verneinen, weil es sich
von selbst versteht. daß ein Verwaltungsakt, der lediglich die
Genehmigung eines Vertrags zum Inhalt hat, nicht zugleich auch
die Zusicherung einer Leistung enthält. Allerdings kann sich

- 3 -

aus der Begründung einer Genehmigung ergeben, daß über die Ge-
nehmigung hinaus zugleich eine Zusicherung erteilt worden ist.
Dies hängt also von den jeweiligen besonderen Umständen des kon-
kreten Einzelfalls ab.

Die weiterhin von der Beklagten dargelegte Frage, ob ein Ver-
waltungsakt, der die Genehmigung eines Vertrags zur Destillation
von Wein betrifft, durch Interpretation eines allgemeinen Hin-
weises zu der Genehmigung dahin ausgelegt werden kann, daß er
zugleich die Zusicherung enthält, eine für die Destillation be-
antragte Beihilfe werde gewährt, ist nicht klärungsbedürftig,
weil sie zweifelsfrei zu bejahen ist. Denn es ist unter den
Umständen des konkreten Einzelfalls durchaus möglich, daß ein
zur Begründung der Genehmigung gegebener Hinweis als eine Zu-
sicherung zu verstehen ist. Ob dies im Einzelfall zutrifft. ist
wiederum keine Grundsatzfrage. sondern eine Frage der Auslegung
des konkreten Verwaltungsakts. Im übrigen ist die Frage. ob im
vorliegenden Falle die Umstände nicht eher gegen die Feststel-
lung des Berufungsgerichts sprechen. die Behörde habe eine Zu-
sicherung gegeben. vom Bundesverwaltungsgericht nicht zu ent-
scheiden.

Die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung wegen Abweichung
nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen ebenfalls nicht vor. Eine
Zulassung aus diesem Grunde kommt nur in Betracht. wenn die
Meinungsverschiedenheit die Frage der Geltung eines bestimmten
abstrakten Rechtssatzes betrifft.

- 4 -

Was die angebliche Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts vom 17. Oktober 1975- BVerwG 4 C 66.72- (NJW 1976.
303 = BVerwGE 49. 244) anbetrifft, so wird in der Beschwerde
lediglich behauptet, das Berufungsgericht habe nicht die Anfor-
derungen beachtet, die das Bundesverwaltungsgericht an eine
behördliche Zusage stelle, nicht aber, daß das Berufungsgericht
die Richtigkeit dieser Anforderungen in Zweifel gezogen habe.

Ein etwaiger Fehler bei der Anwendung des zwischen Tatsachenge-
richt und Bundesverwaltungsgericht unumstrittenen Rechtssatzes
rechtfertigt keine Zulassung wegen Abweichung.

Zu Unrecht gerügt wird auch die Abweichung vom Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 7. Juli 1966 - BVerwG 3 C 219.64-
(BVerwGE 24. 294) und von dem Beschluß vom 20. März 1973
- BVerwG 1 WB 217.72- (BVerwGE 46. 89); denn die diesbezügli-
chen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts enthalten
keine rechtliche Aussage zu den Voraussetzungen einer wirksamen
behördlichen Zusicherung. und auf den in diesen Entscheidungen
behandelten Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hat das Be-
rufungsgericht nicht abgehoben. so daß es naturgemäß auch die
Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts für einen wirksamen Ver-
trauensschutz nicht in Frage gestellt hat. Im übrigen wird in
dem einschlägigen Beschwerdevorbringen übersehen, daß sich das
vom Berufungsgericht erwähnte Vertrauen auf das behördliche
Einverständnis mit der Destillation bezieht. die zeitlich nach
dem Zugang der Genehmigung erfolgte.

Im übrigen sei nur noch bemerkt. daß § 38 Abs. 2 VwVfG die Un-

- 5 -

wirksamkeit einer Zusicherung unbeschadet des § 38 Abs. 1
Satz 1 VwVfG nur unter den Voraussetzungen des § 44 VwVfG an-
nimmt.

Zusammenfassend ergibt sich. daß die Nichtzulassungsbeschwerde
unter keinem dargelegten rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben
kann. so daß sie mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO
zurückzuweisen ist. Die Streitwertfestsetzung beruht auf§ 13
Abs. 1 Satz 1 GKG.

Dr. D. S. S.

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