Ausgewählte Rechtsprechung und Rechtsentwicklung
Freitag, 8. Mai 2015
BVerfG, 1 BvR 1411/91 vom 09.08.1991, Bundesverfassungsgericht
382 E 86, 382,1 Nr. 17

Nr. 17

1. Droht einem Beschwerdeführer, der sich unmittelbar gegen ein Ge-
setz wendet, bei der Verweisung auf den Rechtsweg in der Hauptsache ein
schwerer Nachteil, kann er nach dem Grundsatz der Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde gehalten sein, vor der Anrufung des Bundesver-
fassungsgerichts wenigstens den Rechtsweg im Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes zu erschöpfen.

2. Hält ein Gericht eine für seine Entscheidung maßgebliche Gesetzes-
norm für verfassungswidrig, so ist es durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht
gehindert, vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren,
wenn dies im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint
und die Hauptsache dadurch nicht vorweggenommen wird.

Beschluß des Ersten Senats vom 24. Juni 1992 gemäß 524 BVerfGG

- 1 BvR 1028/91 -

in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. des Herrn A... und

weiterer 98 Beschwerdeführer — Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Willi A.

Handorn, Klaus Wagner und Partner, Talstraße 27, Homburg/Saar — gegen

das Gesetz vom 23. September 1990 zu dem Vertrag vom 31. August 1990

zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokrati-
schen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands — Einigungs-
vertragsgesetz — und der Vereinbarung vom 18. September 1990 (BGBl. II
S. 885), soweit darin den Regelungen des Vertrages, wonach Kiese und
Kiessande im Beitrittsgebiet als bergfreie Bodenschätze im Sinne des 53
Abs. 3 BBergG eingestuft werden, zugestimmt worden ist.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL:

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

GRÜNDE:

A.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Regelung des
Einigungsvertrages, daß Kiese und Kiessande im Beitrittsgebiet als
bergfreie Bodenschätze behandelt werden und damit — im Unter-
schied zu der Rechtslage, die nach dem Bundesberggesetz im alten
Bundesgebiet galt und weiterhin gilt — nicht im Eigentum des
Grundstückseigentümers stehen.

24. 6. 92 383

1. Das Bundesberggesetz — BBergG —— vom 13.August 1980
(BGBl.I S. 1310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.Februar
1990 (BGBl.I S.215), unterscheidet zwischen grundeigenen und
bergfreien Bodenschätzen. Grundeigene Bodenschätze stehen im
Eigentum des Grundeigentümers; auf bergfreie Bodenschätze er-
streckt sich das Eigentum an einem Grundstück nicht (53 Abs.2
BBergG). Sofern Bodenschätze weder bergfrei (5 3 Abs. 3 BBergG)
noch grundeigen (5 3 Abs. 4 BBergG) sind, stehen sie als sonstige
Grundeigentümerbodenschätze ebenfalls im Eigentum des Grund-
eigentümers. Jedoch findet das Bundesberggesetz‚ das auch Vor-
schriften über das Aufsuchen, Gewinnen und Aufbereiten grundei-
gener Bodenschätze enthält, darauf keine Anwendung.

Nach der im alten Bundesgebiet bestehenden Rechtslage gehören
Kiese und Kiessande zu den grundeigenen Bodenschätzen, soweit
sie untertägig aufgesucht oder gewonnen werden (5 3 Abs. 4 Nr. 2
BBergG), und, soweit dies nicht der Fall ist, zu den sonstigen Grund-
eigentümerbodenschätzen.

2. In der Deutschen Demokratischen Republik bestimmte 53
des Berggesetzes vom 12. Mai 1969 (GBl. I S. 29):

Mineralische Rohstoffe, deren Nutzung von volkswirtschaftlicher Be-
deutung ist, sind Bodenschätze und - unabhängig Vorn Grundeigentum -
Volkseigentum.

In der Verordnung über die Verleihung von Bergwerkseigentum
vom 15. August 1990 (GBl. I S. 1071) wurden als Bodenschätze im
Sinne von 5 3 des Berggesetzes die in der Anlage zu dieser Verord-
nung aufgeführten mineralischen Rohstoffe bestimmt. Nach
Nr. 9.23 der Anlage fielen darunter:

Kiese und Kiessande zur Herstellung von Betonzuschlagstoffen (Kies-
anteil größer 2mm: mehr als 10% geologische Vorratsmenge: größer
1,0 Mio t), einschließlich darin enthaltener Quarzkiese zur Herstellung
von Ferro-‚ Chemie- und Filterkies.

Durch 51 Abs. 1 dieser Verordnung wurde der Ministerrat oder
eine von ihm bestimmte Stelle ermächtigt, der Treuhandanstalt auf
Antrag für ein bestimmtes Feld und für bestimmte unter 53 des
384 E 86, 382, I Nr. 17
Berggesetzes fallende Bodenschätze Bergwerkseigentum zu verlei-
hen mit der Befugnis, es gegen Entgelt weiter zu übertragen.

3. Gemäß Art.8 des Einigungsvertrages und dessen Anlage I
Kapitel V Sachgebiet D Abschnitt III Nr. 1 (BGBl.II S. 1004f.) ist
das Bundesberggesetz im Beitrittsgebiet mit folgenden Maßgaben
in Kraft getreten:

a) Mineralische Rohstoffe im Sinne des 53 des Berggesetzes der
Deutschen Demokratischen Republik vom 12.Mai 1969 (GBl.I Nr.5
S. 29) und der zu dessen Durchführung erlassenen Vorschriften sind
bergfreie Bodenschätze im Sinne des 53 Abs. 3.

d) (1) Gewinnungsrechte an mineralischen Rohstoffen im Sinne des
5 3 des Berggesetzes der Deutschen Demokratischen Republik kann der
zur Ausübung Berechtigte innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach
dem Tage des Wirksamwerdens des Beitritts bei der für die Zulassung
von Betriebsplänen zuständigen Behörde zur Bestätigung anmelden. . ..

Die Bestätigung ist unter den in Absatz 2 dieser Regelung ge-
nannten Voraussetzungen zu erteilen. Ein bestätigtes Gewinnungs-
recht gilt, wenn das Gewinnungsrecht dem Antragsteller aufgrund
der Verordnung vom 15.August 1990 als Bergwerkseigentum
übertragen worden war, als Bergwerkseigentum im Sinne von
5151 BBergG (Absatz 4 Nr.2 i.V.m. Absatz 2 Nr. 1.2 der Rege-
lung).

II.

Mit der am 3.Juli 1991 erhobenen Verfassungsbeschwerde, der
sich weitere Beschwerdeführer am 20. August 1991 angeschlossen
haben, wenden sich die Beschwerdeführer gegen die genannte Re-
gelung des Einigungsvertrages‚ soweit danach Kiese und Kiessande
als bergfreie Bodenschätze im Sinne von 53 Abs. 3 BBergG einge-
stuft worden sind. Sie rügen eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1,
Art. 14 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 2 GG und tragen vor:

Sie seien Eigentümer oder Miteigentümer von Kiesgrundstücken,
die sich innerhalb zweier der insgesamt 1300 auf dem Gebiet der
ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vorhandenen
Kieslagerstätten befänden. Durch die angegriffene Regelung sei
ihnen das Gewinnungsrecht am Kies auf ihren Grundstücken entzo-
gen. Die Treuhandanstalt habe von der Möglichkeit gemäß 51 der
Verordnung vom 15. August 1990 Gebrauch gemacht und sich an
sämtlichen Kies- und Kiessandgrundsstücken in den neuen Bundes-
ländern das Bergwerkseigentum verleihen lassen. Inzwischen habe
die Treuhandanstalt sämtliche Kiesbetriebe nach einzelnen Be-
triebsstätten ausgeschrieben und sei jetzt dabei, die Betriebsstätten
zur Ausbeutung zu vergeben. Einige Vergaben seien bereits erfolgt.

Sie seien durch die gesetzliche Regelung selbst, gegenwärtig und
unmittelbar betroffen. Außer der Verfassungsbeschwerde hätten
sie keine Möglichkeit, sich gegen die Verletzung ihrer Grundrechte
zu wehren. Die vorliegende Verfassungsbeschwerde sei auch von
großer allgemeiner Bedeutung. Die Ungewißheit über die rechtli-
che Zulässigkeit der Vergabe des Bergwerkseigentums durch die
Treuhandanstalt an Dritte stelle ein bedeutsames Hemmnis für den
wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern dar. Insge-
samt seien etwa 65 O00 Grundstückseigentümer betroffen. Im Falle
der Fortgeltung der jetzigen Regelung entstünde ihnen durch die
Vorenthaltung des Eigentums am Kies ein schwerer und unabwend-
barer Nachteil.

Für die ungleiche Behandlung der Grundstückseigentümer im
Osten und im Westen Deutschlands sei ein sachlicher Grund nicht
ersichtlich. Die Gründe, die nach dem Bundesberggesetz für die
Bergfreiheit bestimmter Bodenschätze in Betracht kämen (Siche-
rung der Rohstoffversorgung, Abwehr von Gefahren beim Abbau
der Bodenschätze), träfen auf den Abbau von Kies nicht zu.

Des weiteren sei Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Bei der Ausgestal-
tung des Eigentums sei der Gesetzgeber an die Tradition des Berg-
rechts gebunden. Er dürfe danach nur die volkswirtschaftlich be-
sonders wichtigen Bodenschätze vom Verfügungsrecht des Grund-
eigentümers ausschließen. Die angegriffene Regelung sei grob sach-
widrig und verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

386 E 86, 382,1 Nr. 17

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

I.

Die angegriffene Regelung kann in Verbindung mit dem Eini-
gungsvertragsgesetz Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde
sein (vgl. BVerfGE 84, 90 [113]). Die Beschwerdeführer haben
auch hinreichend dargelegt, daß sie von der Regelung selbst, gegen-
wärtig und unmittelbar betroffen sind. Insbesondere bewirkt die
angegriffene Regelung allein — ohne Hinzutreten eines weiteren
hoheitlichen Aktes (vgl. BVerfGE 79, 174 [187f.]) —, daß sich das
Grundstückseigentum nicht auf den in einem Grundstück liegenden
Kies erstreckt. Ob der Sachvortrag, mit dem die Beschwerdeführer
hre Betroffenheit schlüssig dargelegt haben, tatsächlich zutrifft,
wäre eine Frage der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde
(vgl. BVerfGE 84, 90 [117]).

II. i

Der Zulässigkeit steht jedoch der Grundsatz der Subsidiarität der
Verfassungsbeschwerde entgegen. Die Beschwerdeführer können
zwar vor den Fachgerichten nicht unmittelbar gegen die angegriffe-
ne Regelung Rechtsschutz erlangen. Sie können aber die Fachge-
richte zur Sicherung und Durchsetzung der Rechte in Anspruch
nehmen, die sie aus der Verfassungswidrigkeit der Regelung herlei-
ten. Zur Herbeiführung einer Verklärung der tatsächlichen und ein-
fachrechtlichen Lage sind sie gehalten, zunächst — zumindest vor-
läufigen — Rechtsschutz vor den Fachgerichten zu suchen.

1. Der in 5 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommende
Grundsatz der Subsidiarität gewährleistet unter anderem, daß dem
Bundesverfassungsgericht in der Regel nicht nur die abstrakte
Rechtsfrage und der Sachvortrag des Beschwerdeführers unterbrei-
tet werden, sondern auch die Beurteilung der Sach- und_ Rechtslage
durch ein für diese Materie zuständiges Gericht (vgl. BVerfGE 69,
122 [125]; 74, 69 [74f.]). Der Verklärung durch die Fachgerichte
kommt inbesondere dort Bedeutung zu, wo die Beurteilung der mit
der Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen die Prüfung tatsäch-
licher oder einfachrechtlicher Fragen Voraussetzt, für die das Ver-
fahren vor den Fachgerichten besser geeignet ist. Der Subsidiari-
tätsgrundsatz stellt sicher, daß dem Bundesverfassungsgericht in
solchen Fällen infolge der fachgerichtlichen Vorprüfung der Be-
schwerdepunkte ein bereits eingehend geprüftes Tatsachenmaterial
vorliegt und ihm auch die Fallanschauung und die Rechtsauffassung
der Fachgerichte vermittelt werden.

Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der mit der Verfas-
sungsbeschwerde erhobenen Rügen bedarf es hier der Klärung
sowohl tatsächlicher als auch einfachrechtlicher Fragen. So müßte
zunächst das Eigentum der Beschwerdeführer an den betroffenen
Grundstücken festgestellt werden. Des weiteren müßte geklärt
werden, ob das Kiesvorkommen an den Grundstücken, die im
Eigentum der Beschwerdeführer stehen, unter die angegriffene ge-
setzliche Regelung fällt. Schließlich könnte für die verfassungs-
rechtliche Beurteilung auch von Bedeutung sein, wie die Kiesaus-
beutung in der Deutschen Demokratischen Republik praktisch ge-
handhabt wurde, insbesondere auch, ob und in welchem Umfang
die Eigentümer in der Lage waren, in ihren Grundstücken lagern-
den Kies zu verwerten.

Solange die Treuhandanstalt das ihr verliehene — jedenfalls dem
Rechtsschein nach bestehende — Bergwerkseigentum noch nicht auf
Dritte übertragen hat, können die Beschwerdeführer vor den Fach-
gerichten geltend machen, daß die Verleihung des Bergwerkseigen-
tums auf einer verfassungswidrigen Norm beruhe und daß die Treu-
handanstalt deshalb keine Rechte daraus herleiten könne. Sofern
eine Weiterübertragung auf Dritte erfolgt ist, können sich die Be-
schwerdeführer gegen einen Kiesabbau auf ihren Grundstücken im
Zivilrechtsweg zur Wehr setzen. Diese Verfahren ermöglichen eine
Klärung der tatsächlichen und einfachrechtlichen Fragen. Sie bieten
auch nicht von vornherein so wenig Aussicht auf Erfolg, daß sie den
Beschwerdeführern unzumutbar wären. Insbesondere kann nicht
von vornherein davon ausgegangen werden, daß die Fachgerichte
im Falle der Übertragung des Bergwerkseigentums auf private Drit-
te - bei Annahme der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen
Regelung - jedenfalls die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs
des Bergwerkseigentums durch die Vertragspartner der Treuhand-
anstalt bejahen würden.

2. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung vor Erschöpfung
des Rechtswegs nach der - im Rahmen des Subsidiaritätsgrundsat-
zes sinngemäß anwendbaren - Vorschrift des 590 Abs. 2 Satz 2
BVerfGG sind nicht erfüllt.

a) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Verfassungsbeschwerde
allgemeine Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift zukommt. Selbst
wenn diese unterstellt wird, würde sie nicht für sich allein eine
Vorabentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht gebieten.

Sie wäre vielmehr nur ein Moment bei der Abwägung für und wider
eine sofortige Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(vgl. BVerfGE 71, 305 [349] m.w.N.).

Bei dieser Abwägung wäre insbesondere auch zu bedenken, daß
eine Vorabentscheidung in der Regel dann nicht in Betracht kommt,
wenn entscheidungserhebliche Tatsachen noch nicht aufgeklärt
sind (vgl. BVerfGE 8, 222 [227] ; 13, 284 [289]). Gegen eine Vor-
abentscheidung kann ferner sprechen, daß die einfachrechtliche
Lage nicht hinreichend geklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluß vom
25. März 1992 — 1 BvR 1859/91 —, NJW 1992, S. 1676 [1677])1. Das
ergibt sich aus dem Sinn des Subsidiaritätsgrundsatzes. Dieser dient
auch einer sachgerechten Aufgabenverteilung zwischen dem Bun-
desverfassungsgericht und den Fachgerichten (vgl. BVerfGE 55,
244 [247]; 77, 381 [401] m.w.N.). Danach obliegt es vorrangig den
Fachgerichten, einfachrechtliche Vorschriften auszulegen und die
zur Anwendung der Vorschriften erforderlichen Ermittlungen so-
wie die Würdigung des Sachverhalts vorzunehmen. Das Interesse
an der fachgerichtlichen Verklärung wiegt hier so schwer, daß das
allgemeine Interesse an einer sofortigen Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts zurücktreten muß.

b) Eine Vorabentscheidung ist auch nicht wegen eines den Be-
schwerdeführern drohenden schweren und unabwendbaren Nach-
teils geboten.

Die Verweisung auf den Rechtsweg könnte sich insofern für die
1 Nr. 2 S. 15, 22f.

24. 6. 92 389

Beschwerdeführer nachteilig auswirken, als nicht auszuschließen
ist, daß während des fachgerichtlichen Verfahrens, das möglicher-
weise längere Zeit in Anspruch nimmt, das Kiesvorkommen auf
ihren Grundstücken ausgebeutet wird. Es ist nicht sicher abzuse-
hen, daß sie nach der einfachrechtlichen Lage dafür einen Ausgleich
erlangen könnten, wenn die angegriffene Regelung für verfassungs-
widrig erklärt würde. Ebenso ist nicht vorherzusehen, 0b und mit
welchem Inhalt der Gesetzgeber, falls die Regelung für verfassungs-
widrig erklärt wird, nachträglich einen Ausgleich schaffen würde.

Die Beschwerdeführer können jedoch im fachgerichtlichen Ver-
fahren gegen die Inanspruchnahme ihrer Grundstücke für den Kies-
abbau vorläufigen Rechtsschutz beantragen. An der Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes wären die Fachgerichte für den Fall,
daß sie die angegriffene Regelung für verfassungswidrig erachten,
nicht dadurch gehindert, daß sie über die Frage der Verfassungswi-
drigkeit nicht selbst entscheiden könnten, sondern insoweit die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1
GG einholen müßten. Das dem Bundesverfassungsgericht vorbe-
haltene Verwerfungsmonopol hat zwar zur Folge, daß ein Gericht
Folgerungen aus der (von ihm angenommenen) Verfassungswidrig-
keit eines formellen Gesetzes — jedenfalls im Hauptsacheverfah-
ren— erst nach deren Feststellung durch das Bundesverfassungsge-
richt ziehen darf (vgl. BVerfGE 79, 256 [266]). Die Fachgerichte
sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der
im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vor-
läufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umstän-
den des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten
erscheint und die Hautsacheentscheidung dadurch nicht vorwegge—
nommen wird. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes würde
den Eintritt von Nachteilen während der Durchführung des Haupt-
sacheverfahrens verhindern. Selbst wenn den Beschwerdeführern
vorläufiger Rechtsschutz versagt werden sollte, wäre dieses Verfah-
ren jedenfalls bereits zur Verklärung der offenen tatsächlichen und
einfachrechtlichen Fragen geeignet.

Auch insoweit überwiegt bei der zu treffenden Abwägung das

390 E 86, 390, II N11 13

Interesse an der fachgerichtlichen Verklärung das Interesse der
Beschwerdeführer an einer sofortigen Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts jedenfalls so lange, als die Beschwerdeführer
noch nicht einmal vorläufigen Rechtsschutz im fachgerichtlichen
Verfahren begehrt haben. Ob darüber hinaus, wenn das Begehren
auf vorläufigen Rechtsschutz erfolglos bleiben sollte, auch noch der
Rechtsweg in der Hauptsache erschöpft werden muß, hängt von
dem Ergebnis des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes und
der bis dahin im übrigen eingetretenen weiteren Entwicklung ab.

(gez.) Herzog Henschel Seidl
Grimm Söllner Dieterich
Kühling Seibert

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BSG, 1/3 RK 13/90 vom 28.06.1990, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: 1/3 RK 13/90

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Allgemeine Ortskrankenkasse München,

München 2, Maistraße 43 - 47,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 26.
Februar 1992 durch den Präsidenten Prof. Dr. R., die Richterin Dr. W. und
den Richter K. sowie die ehrenamtliche Richterin B. und den
ehrenamtlichen Richter B. für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28.
Juni 1990 wird zurückgewiesen.

- 2 -

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren
nicht zu erstatten.

- 3 -

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung von Krankengeld für die Zeit vom
12. November 1985 bis 20. März 1986.

Der in Jugoslawien geborene Kläger war seit 1968 in der Bundesrepublik als Arbeiter
beschäftigt und bezog zuletzt als Arbeitsloser Leistungen vom Arbeitsamt. Mit dessen
Zustimmung begab er sich für die Zeit vom 20. August 1985 bis 17. September 1985 auf
Heimaturlaub. Dort wurde er am 11. September 1985 wegen zahlreicher Erkrankungen
zunächst drei Wochen arbeitsunfähig krank geschrieben. Der jugoslawische
Versicherungsträger teilte dies der Beklagten, bei der der Kläger aufgrund des
Leistungsbezuges krankenversichert war, auf dem hierfür vorgesehenen Formblatt mit.

Später gingen weitere Meldungen über Arbeitsunfähigkeitszeiten bei der Beklagten ein,
wobei noch zusätzliche Erkrankungen genannt wurden.

Nachdem der Vertrauensärztliche Dienst unter Berücksichtigung der beigezogenen
Unterlagen von einer Arbeitsunfähigkeit von zwei Monaten ausgegangen war, bewilligte
die Beklagte für die Zeit nach Beendigung der Leistungserbringung durch das Arbeitsamt
Krankengeld bis zum 11. November 1985. Gleichzeitig erbat sie bei einem eventuellen
Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit um die Übersendung neuer ärztlicher Befunde. Weil
nach Auffassung des Vertrauensärztlichen Dienstes aus den vom Kläger übersandten
neuen ärztlichen Unterlagen auf eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht geschlossen
werden könne, lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld über den
11. November 1985 hinaus ab (Bescheid vom 18. Februar 1986).

Obwohl der jugoslawische Versicherungsträger inzwischen Arbeitsunfähigkeit bis
einschließlich 20. März 1986 bestätigt und gemeldet hatte, sah die Beklagte den
Widerspruch nicht als begründet an, da die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht
nachgewiesen sei (Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 1986).

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) München abgewiesen,
nachdem es erfolglos versucht hatte, weitere Krankenunterlagen aus Jugoslawien zu
erhalten (Urteil vom 26. Oktober 1988). Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG)
zurückgewiesen (Urteil vom 28. Juni 1990). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Dem
Kläger stehe Krankengeld für den streitigen Zeitraum nicht zu, weil das Bestehen von
Arbeitsunfähigkeit über den 11. November 1985 hinaus nicht nachgewiesen sei. Der
Versicherte sei bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit arbeitsuchend gemeldet und damit
weitgehend auf andere Tätigkeiten verweisbar gewesen. Es fehle jeder Nachweis
darüber, daß die behaupteten Krankheiten sich derart langfristig auf seine Arbeitsfähigkeit

- 4 -

ausgewirkt haben könnten und daß keine ihm zumutbare Arbeit möglich gewesen wäre.

Die Beklagte müsse entgegen der Ansicht des Klägers die Arbeitsunfähigkeitsmeldung
des jugoslawischen Versicherungsträgers nicht ungeprüft übernehmen. Eine solche
Rechtsfolge lasse sich aus dem deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen
nicht entnehmen. Der Kläger könne auch keine Rechte aus den europäischen Verträgen
und den aus ihnen hervorgegangenen EG-Verordnungen Nr 1408/71 und 574/72 sowie
der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des
Bundessozialgerichts (BSG) herleiten. Diese Regelungen seien mit dem
deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen nicht vergleichbar. Der
Grundsatz, daß die Beklagte als leistender Versicherungsträger entsprechend den
Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) über die Krankengeldgewährung zu
entscheiden habe, werde auch nicht durch das dem Kläger ausgehändigte Merkblatt, in
dem Art 4 des Zusatzabkommens zum deutsch-jugoslawischen
Sozialversicherungsabkommen wiedergegeben sei, aufgehoben. Hiermit habe sich die
Beklagte nicht verpflichtet, ihre Entscheidungskompetenz gesetzwidrig auf den jugoslawi-
schen Versicherungsträger zu verlagern. Zwar könne es für den Versicherten
unbefriedigend sein, wenn das Krankengeld wegen unterschiedlicher Auffassungen von
der Arbeitsunfähigkeit zwischen den jugoslawischen Ärzten bzw Krankenver-
sicherungsgemeinschaften einerseits und den deutschen Krankenkassen andererseits
verweigert werde, obwohl er alles getan habe, was ihm das Abkommen vorschreibe und
er wenig Einfluß auf die Aussagekraft der Bescheinigungen und die durchgeführten
Untersuchungen habe. Dies könne aber nicht dazu führen, die Beklagte zu verpflichten,
ungeprüft gesetzlich geforderte Voraussetzungen zu unterstellen, zumal sie selbst
keinerlei Einfluß auf die von ihr nicht zu vertretenden Mängel bei der Anwendung des
Abkommens habe.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 30
Abs 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -(SGB I), 182 Abs 1 Nr 2, Abs 3 und 183 RVO
sowie des Art 29 iVm Art 4 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens.

Das LSG habe übersehen, daß, unabhängig davon, wie nach innerstaatlichem Recht das
Bestehen von Arbeitsunfähigkeit festgestellt werde, Ausnahmen durch das Recht der
europäischen Gemeinschaften oder durch zwischenstaatliche Abkommen bestimmt
werden könnten. Der Entscheidungskompetenz der Beklagten über die Arbeitsunfähigkeit
stünden Art 29 iVm Art 4 des Abkommens und die übrigen Vereinbarungen mit
Jugoslawien entgegen. Hiernach leisteten Träger, Verbände von Trägern, Behörden und
Gerichte der Vertragsstaaten einander bei der Durchführung der in Art 2 Abs 1
bezeichneten Rechtsvorschriften und des Abkommens gegenseitige Hilfe. Die Amtshilfe
erstrecke sich ausdrücklich auch auf ärztliche Kontrolluntersuchungen. Ferner bestimme
Art 3 der Durchführungsvereinbarung zum Abkommen, daß die Pflicht des Versicherten,
dem zuständigen Träger das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, nur gegenüber
dem Träger des Aufenthaltsortes bestehe. Entsprechend werde der Versicherte von

- 5 -

seiner Krankenkasse durch Merkblätter informiert. Das gesamte Regelwerk des
Abkommens mache deutlich, daß die Mitteilung über das Bestehen und die Überwachung
der Arbeitsunfähigkeit ausschließlich bei dem örtlich zuständigen jugoslawischen
Krankenversicherungsträger liege. Da das Abkommen keinen Vorbehalt gegen die
Feststellung der jugoslawischen Kontrollärzte enthalte, stehe den deutschen
Krankenkassen keine eigene Feststellungs- und Kontrollbefugnis hinsichtlich der
Arbeitsunfähigkeit zu. Für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und deren Kontrolle solle
nach dem Abkommen und den Zusatzvereinbarungen das Recht des Aufenthaltsstaates
maßgebend sein. Das sei der eindeutige Wille der vertragschließenden Staaten gewesen.
Falls bei dem deutschen Versicherungsträger berechtigte Zweifel an der Richtigkeit des
Ergebnisses von Kontrolluntersuchungen bestehen sollten, müsse er dieselben über den
zuständigen jugoslawischen Versicherungsträger ausräumen lassen und gegebenenfalls
auf seine Kosten eine stationäre Beobachtung in einem jugoslawischen Krankenhaus
beantragen. Er, der Kläger, habe alle seine Mitwirkungspflichten erfüllt und mit der
Übersendung der Mitteilung über das Bestehen oder Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit
durch den jugoslawischen Träger zugleich den ihm obliegenden Nachweis der Arbeits-
unfähigkeit geführt.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 1990 und des
Sozialgerichts München vom 26. Oktober 1988 aufzuheben und die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 18. Februar 1986 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 1986 zu verurteilen, ihm Krankengeld über
den 11. November 1985 hinaus bis einschließlich 20. März 1986 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Krankengeld über den
11. November 1985 hinaus.

Nach § 182 Abs 1 Nr 2 RVO, der mit Wirkung ab 1. Januar 1989 durch Art 5 Nr 2 des
Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I, S 2477)
aufgehoben wurde, hier jedoch noch anwendbar ist, wird Krankengeld gewährt, wenn die
Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht. Das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit
muß gemäß § 182 Abs 3 RVO von einem Arzt festgestellt werden, wobei es unerheblich
ist, aus welchem Anlaß und zu welchem Zweck diese Feststellung getroffen wird
(BSGE 41, 201, 203 = SozR 2200 § 182 Nr 12). Die Feststellung kann auch durch einen

- 6 -

ausländischen Arzt erfolgen. Dem während eines Urlaubsaufenthaltes im Ausland
erkrankten Versicherten steht - sofern ein Sozialversicherungsabkommen
entsprechendes regelt - deshalb auch Krankengeld für die Zeit des Auslandsaufenthaltes
zu, in der er nachweislich arbeitsunfähig ist. Bestand kein Sozialversicherungsabkommen
mit dem Aufenthaltsstaat, war Krankengeld in der Zeit der Geltung des § 182 RVO
trotzdem bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeit zu gewähren (BSGE 31, 100, 101 f = SozR
Nr 39 zu § 182 RVO). Ab 1. Januar 1989 gilt demgegenüber § 16 Abs 1 Nr 1
Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Hiernach ruht der
Anspruch auf Leistungen, solange sich der Versicherte außerhalb des Geltungsbereiches
dieses Gesetzes aufhält, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. Solche Ausnahmen
sind Regelungen im zwischen- bzw überstaatlichen Recht, insbesondere also in
Sozialversicherungsabkommen. Ansonsten kann Krankengeld während eines
Auslandsaufenthaltes nicht mehr gewährt werden (BT-Drucks 11/2237, S 165).

Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Beklagte an die Feststellung der
Arbeitsunfähigkeit durch einen jugoslawischen Arzt oder an die Meldung des
jugoslawischen Versicherungsträgers nicht gebunden. Eine solche Bindung läßt sich
insbesondere nicht aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom
12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, S 1438) idF des Änderungsabkommens vom
30. September 1974 (BGBl II 1975, S 390) - zukünftig Abkommen genannt - und der
Durchführungsvereinbarung zum Abkommen entnehmen.
Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens sieht vor, daß, soweit das Abkommen nichts anderes
bestimmt, die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von
Ansprüchen auf Leistungen oder Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von
Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die Staatsangehörigen
gelten, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten. Diese Regelung enthält
den Grundsatz der uneingeschränkten Leistungsgewährung in dem anderen Vertrags-
staat (Denkschrift der Bundesregierung zum Abkommen, BT-Drucks V/4124).

Krankengeld ist nach dem Abkommen also grundsätzlich auch dann zu zahlen, wenn die
Arbeitsunfähigkeit in Jugoslawien eintritt. Weitere Regelungen, insbesondere hinsichtlich
der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, beinhaltet Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens
nicht. Sozialversicherungsabkommen enthalten - anders als bei den Sachleistungen, die
im allgemeinen nach dem Recht des Aufenthaltsstaates gewährt werden (vgl Art 15 Abs 2
des Abkommens und Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit
ausländischen Staaten, Bd I, Allgemeiner Teil, S 296; Baumeister in Gesamtkommentar
zur Sozialversicherung, Bd X, Stichwort Jugoslawien, Art 15 Anm 2; Neumann-Duesberg,
DOK 1985, S 302, 309) - regelmäßig keinen Eingriff in das innerstaatliche Recht
hinsichtlich der Voraussetzungen für den Anspruch auf Krankengeld (Begriff der
Arbeitsunfähigkeit) und bezüglich der Höhe der Geldleistungen. Es bleiben vielmehr die

- 7 -

für den zuständigen Träger nach innerstaatlichem Recht geltenden Vorschriften
maßgebend (Plöger/Wortmann, aaO, Bd I, Allgemeiner Teil, S 395). Diese allgemeine
Regelung gilt auch für das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen (vgl
dazu Art 16 des Abkommens). Hiernach werden auf Ersuchen der deutschen
Krankenkassen Geldleistungen vom jugoslawischen Sozialversicherungsträger
ausgezahlt, woraus sich gleichzeitig ergibt, daß die Prüfung der
Anspruchsvoraussetzungen und der Höhe und Dauer der auszuzahlenden Geldleistungen
Aufgabe der deutschen Krankenkassen bleibt (Baumeister, aaO, Bd X, Stichwort Jugosla-
wien, Art 16 Anm 1). Aus Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens läßt sich also eine Bindung
des deutschen Versicherungsträgers an die Feststellung der jugoslawischen Ärzte oder
Krankenversicherungsgemeinschaften nicht entnehmen.

Gleiches gilt für Art 15 Abs 2 des Abkommens, denn er enthält lediglich die Regelung,
daß die Sachleistungen - von gewissen Ausnahmen abgesehen - nach den für den Träger
des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften gewährt werden. Für Geldlei-
stungen gilt diese Vorschrift damit nicht.

Gemäß Art 29 Abs 1 Satz 1 des Abkommens leisten die Träger, Verbände von Trägern,
Behörden und Gerichte der Vertragsstaaten einander bei Durchführung der vom
Abkommen umfaßten Rechtsvorschriften und dieses Abkommens gegenseitige Hilfe, als
wendeten sie die für sie geltenden Rechtsvorschriften an. Art 29 Abs 1 Satz 1 gilt, wie
Abs 2 dieser Vorschrift regelt, auch für ärztliche Untersuchungen. Nach der Denkschrift
der Bundesregierung enthalten die Art 29 bis 38 des Abkommens die auch sonst üblichen
Regelungen für das Zusammenwirken der in den beiden Staaten mit der Durchführung
des Abkommens betrauten Stellen. In Art 29 sind also Vorschriften über die Rechts- und
Amtshilfe enthalten. Die deutschen Krankenkassen können sich daher jugoslawischer
Ärzte für Untersuchungen und zu Kontrollzwecken bedienen, indem sie sich im Wege der
Amtshilfe an die zuständige Krankenversicherungsgemeinschaft wenden. Die
Formulierung "als wendeten sie die für sie geltenden Rechtsvorschriften an" umschreibt
lediglich Art und Umfang der Amts- und Rechtshilfe. Deutsche Sozialversicherungsträger
haben bei der Erbringung der Amtshilfe daher die Regelungen der §§ 3 ff
Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X), aber auch § 35 SGB I iVm §§ 67 ff
SGB X über die Offenbarung von Daten, die unter das Sozialgeheimnis fallen, zu
beachten (Baumeister, aaO, Bd X, Stichwort Jugoslawien, Art 29 Anm 1; Koch/Hartmann,
Die Rentenversicherung im Sozialgesetzbuch unter besonderer Berücksichtigung der
Angestelltenversicherung - zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht -Bd I, Allgemei-
ner Teil, Anm 9.3.). Ärztliche Untersuchungen müssen unter Berücksichtigung der §§ 62,
65 SGB I durchgeführt werden. Umgekehrt haben die jugoslawischen
Versicherungsträger bei Untersuchungen in ihrem Staat die für sie geltenden Verfah-
rensvorschriften anzuwenden.

- 8 -

Eine weitere - über den dargestellten Inhalt hinausgehende - Regelung, insbesondere
über die Begründung materiell-rechtlicher Leistungsansprüche oder die Bindung
deutscher Sozialversicherungsträger an die im Rahmen der Amtshilfe getroffenen
Feststellungen, kann aus Art 29 des Abkommens nicht entnommen werden. Der Wortlaut,
dem bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge im allgemeinen eine größere
Bedeutung beizumessen ist als bei der Auslegung innerstaatlicher Gesetze (BSGE 36,
125, 126 = SozR Nr 16 zu § 1303 RVO; BSGE 39, 284, 287 = SozR 2200 § 1303 Nr 3;
BSGE 55, 131, 134 = SozR 6555 Art 26 Nr 1; Gobbers, Gestaltungsgrundsätze des
zwischenstaatlichen und überstaatlichen Sozialversicherungsrechts, 1980, S 10 mwN),
läßt die vom Kläger behauptete Bindung an die in Jugoslawien getroffenen Feststellungen
nicht erkennen. Er ist nicht unklar, mißverständlich oder gar mehrdeutig; die
wortlautmäßige Auslegung führt auch nicht zu unvernünftigen, mit dem Ziel und Zweck
der Bestimmung und des Vertrages unvereinbaren Ergebnissen, so daß eine andere
Auslegung erforderlich wäre. Auch läßt der in der Denkschrift zum Abkommen
manifestierte Wille der Vertragspartner keine andere Auslegung zu.

Nach Art 3 der Durchführungsvereinbarung zum Abkommen, auf den sich der Kläger
weiter beruft, besteht die Pflicht des Versicherten, dem zuständigen Träger das Vorliegen
der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, bei Anwendung des Art 4 Abs 1 des Abkommens nur
gegenüber dem Träger des Aufenthaltsortes. Tritt bei einem bei einer deutschen
Krankenkasse Versicherten in Jugoslawien Arbeitsunfähigkeit ein, so enthebt ihn diese
Bestimmung lediglich der Verpflichtung, das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit dieser
Krankenkasse bzw beim Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 3 Abs 2
Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) dem Arbeitgeber und der Krankenkasse zu melden, um
ein Ruhen des Krankengeldanspruches nach § 216 Abs 3 RVO (ab 1. Januar 1989 § 49
Abs 1 Nr 5 SGB V) oder des Lohnfortzahlungsanspruches nach § 5 Nr 1 LFZG zu
verhindern. Es genügt, wenn er die jugoslawische Krankenversicherungsgemeinschaft
vom Bestehen der Arbeitsunfähigkeit unterrichtet; diese leitet die Mitteilung mittels des
vorgesehenen Vordruckes Ju 4 an die deutsche Krankenkasse weiter, die wiederum
gegebenenfalls den Arbeitgeber informiert. Hierüber werden die Versicherten in dem
Merkblatt Ju 93 unterrichtet. Weitere Regelungen sind in Art 3 der
Durchführungsvereinbarung nicht enthalten, insbesondere läßt sich aus dieser Regelung
keine Bindung an die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch jugoslawische Ärzte oder
jugoslawische Versicherungsträger entnehmen (vgl auch BSG SozR 2200 § 369 b Nr 1
und BSG USK 83 160 zum deutsch-spanischen Sozialversicherungsabkommen).

Schließlich sind die Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 10. September 1987 (BSG
SozR 6055 Art 18 Nr 2) und das ihr zugrundeliegende Urteil des EuGH vom 12. März
1987 (SozR 6055 Art 18 Nr 1) nicht einschlägig. Die dort angenommene Bindung der
deutschen Krankenkassen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die vom Träger des
Wohnortes getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der

- 9 -

Arbeitsunfähfigkeit betrifft nur Staaten der Europäischen Gemeinschaft, zu denen
Jugoslawien nicht gehört. Art 18 der EWG-VO Nr 574/72 hat zudem einen völlig anderen
Wortlaut als die Vorschriften im hier anwendbaren Abkommen und enthält auch inhaltlich
ganz unterschiedliche Regelungen.

Wird somit der Grundsatz, daß krankenversicherungsrechtliche Geldleistungen vom
deutschen Versicherungsträger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zu
gewähren sind, durch das Abkommen nicht berührt, sind das Vorliegen von
Arbeitsunfähigkeit und der Anspruch auf Krankengeld nach § 182 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 3
RVO zu prüfen. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist ein Rechtsbegriff, dessen
Voraussetzungen die Krankenkasse anhand ärztlich erhobener Befunde festzustellen hat.

Das Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hat lediglich die
Bedeutung einer ärztlichen Stellungnahme, die die Grundlage für den über den
Krankengeldbezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet (vgl BSGE 54,
62, 65 = SozR 2200 § 182 Nr 84; BSG SozR 2200 § 216 Nr 8; Höfler in Kasseler
Kommentar zur Sozialversicherung, § 46 RdNr 7; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale
Krankenversicherung, § 182 Anm, 4.1; Krauskopf, Soziale
Krankenversicherung - SGB V -, § 44 RdNr 15; Peters, Handbuch der
Krankenversicherung, § 182 Anm 13b). Aus den Bestimmungen der §§ 182 Abs 3 und
369b RVO (nun § 46 Satz 1 Nr 2 und § 275 SGB V) folgt, daß die Krankenkasse die
ärztliche Feststellung über das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nur überprüft (BSG SozR
2200 § 216 Nr 8), während sie die sonstigen Leistungsvoraussetzungen (zB
Mitgliedschaft mit Krankengeldanspruch, Erschöpfung des Leistungsanspruches
innerhalb der Blockfrist) selbständig ermittelt und dann über die Krankengeldgewährung
entscheidet. Den Bescheinigungen ausländischer Ärzte kommt dabei nicht von vornherein
ein geringerer Beweiswert zu als denen deutscher Ärzte (BSGE 31, 100, 102 = SozR
Nr 39 zu § 182 RVO; BAGE 48, 115, 119; BAG EzA § 3 LFZG Nr 11; LSG
Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1984, 361, 362). Da der Begriff der Arbeitsunfähigkeit den
deutschen Ärzten vertraut ist (vgl jetzt die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien vom
3. September 1991, BKK 1991, S 707 = WzS 1991, S 326), genügt es in der Praxis
regelmäßig,
wenn sie Arbeitsunfähigkeit bescheinigen (BSGE 41, 201, 203 = SozR 2200 § 182 Nr 12).
Kenntnisse über den Begriff der Arbeitsunfähigkeit iS der deutschen Krankenversicherung
und die versicherungsrechtliche Bedeutung dieser Feststellung sind ausländischen Ärzten
dagegen normalerweise fremd (BSGE 31, 100, 102 = SozR Nr 39 zu § 182 RVO). Zur
Kontrolle kann die Krankenkasse daher bei Zweifeln über das Vorliegen von
Arbeitsunfähigkeit, insbesondere wenn die aus dem Ausland mitgeteilten Diagnosen und
Befunde nicht jede Erwerbstätigkeit ausschließen und - wie hier - für arbeitslose Arbeiter
eine weite Verweisbarkeit in Betracht kommt (BSG SozR 4100 § 105b Nr 4), oder wenn
die genannten Diagnosen Zweifel an der Dauer der Arbeitsunfähigkeit weken, den
Medizinischen Dienst heranziehen. Eine Überprüfung durch den Vertrauensärztlichen bzw

- 10 -

Medizinischen Dienst ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein ausländischer Arzt
die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat. § 369b RVO enthält, ebenso wie § 275 SGB V,
keine Einschränkung dahingehend, daß nur die Feststellungen inländischer Ärzte
überprüft werden könnten. Einen Ermessensfehler bei der Entscheidung über die
Erforderlichkeit der Untersuchung (BSG SozR 2200 § 369b Nr 1) hat das
Berufungsgericht nicht festgestellt.

Schließlich hat das LSG nicht den Grundsatz der objektiven Beweislast verletzt. Er regelt,
wen die Folgen treffen, wenn das Gericht bestimmte Tatsachen nicht feststellen kann. Es
gilt der Grundsatz, daß die Folgen der objektiven Beweislosigkeit oder des
Nichtfestgestelltseins einer Tatsache von dem Beteiligten zu tragen ist, der aus dieser
Tatsache ein Recht herleiten will (BSGE 30, 121, 123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG;
Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl, 1991, § 103 RdNr 19 mwN). Die Regeln über
die objektive Beweislast können nach der ständigen Rechtsprechung des BSG erst
angewendet werden, wenn alle verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind (BSG
SozR 2200 § 317 Nr 2; BSG SozR 1500 § 128 Nr 18). Sie entheben den Tatrichter nicht
seiner insbesondere durch § 103 und § 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen
Würdigung der erhobenen Beweise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände
des Einzelfalles. Die Frage der Beweislastverteilung stellt sich erst dann, wenn es nach
Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhaltes nicht gelungen ist,
die bestehende Ungewißheit über eine ungeklärte Tatsache zu beseitigen (BSGE 30, 121,
123 = SozR Nr 83 zu § 128 SGG; BSG SozR 1500 § 128 Nr 18). Trotz seines engen
Zusammenhangs mit dem Verfahrensrecht gehört der Grundsatz der objektiven
Beweislast zum materiellen Recht (BSG SozR 1500 § 161 Nr 26; Meyer-Ladewig, aaO,
§ 103 RdNr 19; BVerwGE 45, 131, 132; BGH NJW 1983, 2032, 2033; NJW 1985, 1774,
1775; Kopp, Komm zum VWGO, 8. Aufl 1989, § 108 RdNr 12; aA Peters/Sauters/Wolff,
Komm zum SGG, § 103 Anm 4 S II/74 - 14 -; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl 1987,
S 274). Seine richtige Anwendung ist deshalb vom Senat auch grundsätzlich ohne
entsprechende Rüge durch den Kläger zu prüfen.

Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die medizinischen Grundlagen für die
Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit über den 11. November 1985 hinaus nicht mehr
aufklärbar sind. Hierbei handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, an die das Revi-
sionsgericht nach § 163 SGG gebunden ist, wenn die Beteiligten - wie im vorliegenden
Falle - dagegen keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben haben. Daß
die Vorinstanz nach Auffassung des erkennenden Senats nicht alle Möglichkeiten der
Aufklärung genutzt hat, läßt die Bindung nicht entfallen. Das Revisionsgericht wäre nur
dann nicht nach § 163 SGG gebunden, wenn die tatrichterliche Feststellung der nicht
weiteren Aufklärbarkeit mit anderen Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil im
Widerspruch stünde (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 139). Das ist hier aber nicht der

- 11 -

Fall. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, daß das LSG den Grundsatz der objektiven
Beweislast angewendet hat und davon ausgegangen ist, daß der Kläger die Folgen der
Nichtfeststellbarkeit der von ihm behaupteten Arbeitsunfähigkeit zu tragen hat.

Nach alledem war die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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BSG, 13 BJ 271/96 vom 13.05.1997, Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Az: 13 BJ 271/96

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Bahnversicherungsanstalt, Bezirksleitung Rosenheim,
Klepperstraße 1a, 83026 Rosenheim,

Beklagte und Beschwerdegegnerin,

beigeladen:

Freistaat Bayern,

vertreten durch die Bezirksfinanzdirektion Regensburg,
Bahnhofstraße 7, 93047 Regensburg.

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat am 13. Mai 1997 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. G. sowie die Richter Dr. L.
und M.

beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayeri-
schen Landessozialgerichts vom 21. Mai 1996 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für das Beschwerdeverfahren
nicht zu erstatten.

Gründe:

- 2 -

Im Ausgangsverfahren ist die Rückgängigmachung einer Beitragserstattung, hilfsweise
die Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen, ggf im Wege einer Nachversi-
cherung, streitig.

Der am 20. März 1940 geborene Kläger war bei der Deutschen Bundesbahn zunächst
vom 1. September 1954 bis 20. November 1957 als versicherungspflichtiger Jungwerker
und anschließend bis zum 31. Juli 1961 als versicherungsfreier Betriebsaufseher-Anwär-
ter tätig. Auf seinen Antrag wurden ihm mit Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember
1959 die in der Zeit vom 1. September 1954 bis 20. November 1957 entrichteten Arbeit-
nehmeranteile der Beiträge zur Rentenversicherung erstattet. Zum 1. August 1961 wech-
selte der Kläger in eine versicherungsfreie Tätigkeit bei der Finanzverwaltung über, wo er
1991 als Steuerhauptsekretär in den Ruhestand versetzt wurde. Da seine Zeit bei der
Deutschen Bundesbahn nicht als ruhegehaltsfähige Dienstzeit angerechnet wurde, er-
folgte für die Zeit vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli 1961 eine Nachversicherung. Mit
Bescheid vom 23. November 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1993
lehnte die Beklagte sowohl eine Rückgängigmachung der 1959 erfolgten Beitragserstat-
tung als auch eine Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit von Septem-
ber 1954 bis November 1957 ab. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteile des
Sozialgerichts Regensburg vom 11. Oktober 1994 und des Bayerischen Landes-
sozialgerichts vom 21. Mai 1996).

Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Eine Verpflichtung der Beklagten zur Rückgängigmachung der Beitragserstattung vom
22. Dezember 1959 bestehe nicht. Der Erstattungsbescheid sei wirksam und bestands-
kräftig geworden. Zwar habe der Kläger als nach damaligem Recht Minderjähriger einen
Antrag auf Beitragserstattung nicht wirksam stellen können, auch habe das Fehlen eines
wirksamen Antrages auf Beitragserstattung die Nichtigkeit des Erstattungsbescheides zur
Folge, hier sei jedoch § 108 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entsprechend anzu-
wenden. Das bedeute, daß ein Zustand schwebender Unwirksamkeit bestanden habe.

Nach Eintritt der Volljährigkeit des Klägers, nach damaligem Recht am 20. März 1961, sei
seine Genehmigung an die Stelle der fehlenden Genehmigung seines gesetzlichen Ver-
treters getreten (vgl § 108 Abs 3 BGB). Eine solche Genehmigung könne auch konkludent
anzunehmen sein, wenn der volljährig Gewordene den Vertrag fortsetze bzw - wie hier -
die Beitragserstattung nicht beanstande. Dies habe von seiten der Beklagten als Geneh-
migung aufgefaßt werden müssen. Der Beitragserstattungsbescheid vom 22. Dezember
1959 sei also spätestens mit Volljährigkeit des Klägers im März 1961 wirksam geworden.

Der Bescheid sei auch nicht rechtswidrig gewesen. Mit der Aufnahme des Klägers in die
Bundesbahn-Anwärterliste ab 1. Dezember 1957 sei die Versicherungspflicht zur gesetz-
lichen Rentenversicherung entfallen, ohne daß der Kläger ein Recht zur freiwilligen Wei-

- 3 -

terversicherung gehabt habe. Im übrigen ließe sich die seinerzeitige Beitragserstattung
auch dann nicht rückgängig machen, wenn deren gesetzliche Voraussetzungen nicht vor-
gelegen hätten.

Konzediere man trotz der hoheitlichen Abwicklung einer Beitragserstattung eine gewisse
Ähnlichkeit mit öffentlich-rechtlichen Verträgen, so habe hier ein Irrtum über die Ge-
schäftsgrundlage in Gestalt der außerhalb der Beitragserstattung liegenden rechtlichen
Gegebenheiten seitens der Beteiligten nicht vorgelegen. Vielmehr habe der Kläger damit
rechnen können, bei Fortführung seines Anwärterverhältnisses Versorgung von der Deut-
schen Bundesbahn unter Einbeziehung auch der Zeit seit dem 1. Dezember 1957 zu er-
halten. Die Erwartung des Fortbestehens dieser Perspektive könne aber nicht als Ge-
schäftsgrundlage einer Beitragserstattung angesehen werden, deren Fortfall einen An-
spruch auf Rückgängigmachung begründe.

Es finde sich auch keine Rechtsgrundlage für eine Nachversicherung. § 8 des Sechsten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar,
da der Kläger von September 1954 bis November 1957 versicherungspflichtig beschäftigt
gewesen sei.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht
der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Dazu trägt er ua vor:

Zwar werde vom LSG anerkannt, daß er als damaliger Minderjähriger keinen wirksamen
Antrag auf Beitragserstattung habe stellen können, jedoch werde in rechtsfehlerhafter
Weise § 108 BGB entsprechend angewendet. Er habe nachträglich als Volljähriger die
Tragweite seines Beitragserstattungsantrages nicht erkennen und damit diesen auch
nicht konkludent iS von § 108 Abs 3 BGB genehmigen können, da er damals die Konse-
quenzen nicht habe übersehen können. Die Annahme einer Genehmigung der Beitrags-
rückerstattung nach § 108 Abs 3 BGB würde den Minderjährigenschutz ins Gegenteil ver-
kehren. Wegen der besonderen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache schon in
diesem Punkt sei die Revision zuzulassen.

Ferner liege die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auch darin, wie seine
"Zwitterstellung" im damaligen Beschäftigungszeitraum vom 1. Dezember 1957 bis
31. Juli 1961 rechtlich zu bewerten sei. Eine einwandfreie Versicherungsfreiheit ab
1. Dezember 1957 sei nicht ohne weiteres gegeben, zumal er zum Ablauf des 31. Juli
1961 ohne Anwartschaft auf Versorgung aus dieser Beschäftigung ausgeschieden sein.

Im übrigen sei die vom LSG zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom
9. Dezember 1981 für diesen konkreten Sonderfall nicht einschlägig. Die klärungsbedürf-
tige Rechtsfrage sei auch nicht in dem weiter angeführten Urteil des BSG vom 11. Juli
1972 entschieden worden. Diese beziehe sich nicht auf den hier streitbefangenen Fall,
dessen Brisanz und Entscheidungswichtigkeit sich erst im Rahmen seiner Versetzung in

- 4 -

den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit zum 1. Oktober 1991 herauskristallisiert und ma-
nifestiert habe. Zwar sei nun die Zeit vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli 1961 nachversi-
chert worden, nicht jedoch der davorliegende Zeitraum vom 1. September 1954 bis zum
30. November 1957. Daraus ergebe sich die besondere Rechtsproblematik für ihn und
damit die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

Aufgrund dieser Konstellation sei seiner Auffassung nach § 8 Abs 2 SGB VI analog anzu-
wenden. Grundlage für den damaligen Antrag auf Beitragsrückerstattung sei zunächst die
falsche Beratung durch die damaligen Dienstvorgesetzten, ferner seine Unmündigkeit und
die Ungeklärtheit seiner Stellung für den Zeitraum vom 1. Dezember 1957 bis 31. Juli
1961 gewesen. Aufgrund dieser ungeklärten Situation hätte eine Beitragsrückerstattung
auch nicht vorgenommen werden dürfen. Zumindest habe ein Irrtum über die Geschäfts-
grundlage der Beitragsrückerstattung zum damaligen Zeitpunkt vorgelegen, der nicht zu
seinen Lasten gehen dürfe.

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den sich aus
§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergebenden

Anforderungen.

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen - grundsätzliche
Bedeutung, Abweichung, Verfahrensmangel - zugelassen werden. In der Beschwerdebe-
gründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt und die Ent-
scheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet
werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Daran fehlt es hier.

Um die vom Kläger allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache
(vgl § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) darzulegen, ist es zunächst erforderlich, die nach Ansicht des
Beschwerdeführers grundsätzliche Rechtsfrage klar zu formulieren und aufzuzeigen, daß
sie allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitze (vgl BSG SozR
1500 § 160a Nrn 11, 39). Ferner ist darzutun, daß die Rechtsfrage klärungsbedürftig sei.

Das ist zum einen nicht der Fall, wenn die Antwort von vornherein praktisch außer Zweifel
steht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 4, 11). Zum anderen ist auch eine Rechtsfrage, die
das BSG bereits entschieden hat, nicht mehr klärungsbedürftig und kann somit keine
grundsätzliche Bedeutung mehr haben, es sei denn, die Beantwortung der Frage ist aus
besonderen Gründen klärungsbedürftig geblieben oder erneut geworden; das muß sub-
stantiiert vorgetragen werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 13, 65). Schließlich ist
darzulegen, daß die Rechtsfrage in dem einer Zulassung folgenden Revisionsverfahren
entscheidungserheblich und damit auch klärungsfähig sei (vgl BSG SozR 1500 § 160a
Nr 54).

- 5 -

Diesen Begründungserfordernissen hat der Kläger nicht in vollem Umfang Genüge getan.

Es ist bereits zweifelhaft, ob er eine von ihm als grundsätzlich erachtete Rechtsfrage
deutlich genug gestellt hat, jedenfalls fehlt es an hinreichenden Ausführungen zur Klä-
rungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der von ihm angesprochenen Punkte.

Soweit es die Anwendung des § 108 Abs 3 BGB betrifft, hat es der Kläger zur Darlegung
eines höchstrichterlichen Klärungsbedarfes gänzlich unterlassen, sich mit der dazu ergan-
genen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes auseinanderzusetzen. Als
höchstrichterlich geklärt muß nämlich eine Rechtsfrage auch dann angesehen werden,
wenn sie zwar vom BSG noch nicht ausdrücklich entschieden worden ist, zur Auslegung
der anzuwendenden Vorschrift aber schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen
sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung dieser Frage geben (vgl BSG SozR
3-1500 § 160 Nr 8; ebenso Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, Rz 117
mwN). Dementsprechend hätte der Kläger in seiner Beschwerdebegründung auf die
Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte zu § 108 Abs 3 BGB eingehen müssen.

Dabei hätte sich folgende Rechtslage ergeben: Zunächst hat das BSG die § 106 ff BGB
bereits im Zusammenhang mit dem Antrag eines nicht voll geschäftsfähigen Versicherten
auf Beitragserstattung nach § 1303 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entspre-
chend angewandt (vgl BSG SozR Nr 3 zu § 1613 RVO). Ferner ist eine Genehmigung
nach § 108 Abs 3 BGB - wie insbesondere der Bundesgerichtshof (BGH) bereits ent-
schieden hat - zwar auch durch schlüssiges Verhalten möglich, sie setzt dann jedoch vor-
aus, daß sich der volljährig Gewordene der schwebenden Unwirksamkeit des Rechtsge-
schäfts bewußt gewesen ist oder mindestens mit ihr gerechnet hat (vgl BGHZ 53, 174,
178; BGH LN Nr 4 zu § 108 BGB; ebenso Bundesarbeitsgericht, NJW 1964, 1641, 1643).

Unter diesen Umständen hätte der Kläger möglicherweise eine Abweichung des LSG von
der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung geltend machen können (vgl § 160
Abs 2 Nr 2 SGG), eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache lag hingegen fern.

Soweit der Kläger die Frage seiner Versicherungsfreiheit als Anwärter bei der Deutschen
Bundesbahn für grundsätzlich bedeutsam hält, kann dahingestellt bleiben, ob er ihre Klä-
rungsbedürftigkeit hinreichend dargetan hat, jedenfalls wäre diese Frage nur entschei-
dungserheblich und damit klärungsfähig, wenn der Beitragserstattungsbescheid bei Ver-
neinung einer Versicherungsfreiheit des Klägers in der Zeit ab Dezember 1957 und damit
bei Fehlen der Voraussetzungen des § 1303 RVO, von der Beklagten zurückgenommen
werden müßte. Da das LSG eine Rückgängigmachung der Beitragserstattung auch für
diesen Fall unter Bezugnahme auf Entscheidungen des BSG abgelehnt hat, hätte der
Kläger für diese tragende Begründung ebenfalls einen Zulassungsgrund iS von § 160
Abs 2 SGG ordnungsgemäß geltend machen müssen. Auch insoweit läßt die Beschwer-
debegründung jedoch die gebotene Auseinandersetzung mit der einschlägigen Recht-
sprechung des BSG vermissen. Die bloße Behauptung, die Entscheidungen des BSG

- 6 -

vom 11. Juli 1972 (BSG SozR Nr 16 zu § 1232 RVO) und 9. Dezember 1981 (BSG SozR
2200 § 1303 Nr 23) seien im konkreten Fall nicht einschlägig, reicht insoweit nicht aus,
um einen weiterhin bestehenden Klärungsbedarf zu begründen, zumal das BSG-Urteil
vom 9. Dezember 1981 durch spätere Entscheidungen bestätigt worden ist (vgl BSG
SozR 2200 § 1744 Nr 17; SozR 2200 § 1303 Nr 26; SozR 1300 § 45 Nr 7). Auch hinsicht-
lich der anderen in diesem Zusammenhang vom Kläger hervorgehobenen
Gesichtspunkte wird nicht deutlich, warum sie einer Heranziehung
dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegenstehen sollen.

Schließlich stellen auch die Ausführungen des Klägers zur analogen Anwendung des § 8
Abs 2 SGB VI und zum "Irrtum über die Geschäftsgrundlage" keine hinreichende Be-
schwerdebegründung dar; sie entbehren insbesondere einer näheren Darlegung der Klä-
rungsbedürftigkeit damit zusammenhängender Rechtsfragen.

Da somit Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt worden sind, ist die Beschwerde
als unzulässig zu verwerfen. Dem Kläger bleibt die Möglichkeit, das von ihm bean-
spruchte Recht auf Rückabwicklung der im Jahre 1959 erfolgten Beitragserstattung in ei-
nem Verfahren nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) erneut geltend
zu machen.

Die Verwerfung der Beschwerde des Klägers kann in entsprechender Anwendung des
§ 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen (vgl BSG SozR
1500 § 160a Nrn 1, 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

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BSG, 13 BJ 207/92 vom 21.01.1993, Bundessozialgericht
BSG SozR 3-1500 § 160 Nr. 8

BUNDESSOZIALGERICHT

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Az.: 13 BJ 207/92

Klägerin und Beschwerdegegnerin,

Prozeßbevollmächtigte

gegen

Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken,
Bayreuth 2, Wittelsbacherring 11,

Beklagte und Beschwerdeführerin.

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat am 21. Januar 1993 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. G. und die Richter Dr. W.
und Dr. L. sowie den ehrenamtlichen Richter
Freiherr von B. und die ehrenamtliche Richterin
G.

beschlossen:

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil
des Bayerischen Landessozialgerichts vom 2. Juni 1992 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Beschwerde-
verfahren zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

I

lm Ausgangsverfahren ist die Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs auf
die wiederaufgelebte Witwenrente der Klägerin streitig.

Die 1940 geborene Klägerin bezog nach dem Tode ihres ersten Ehemannes bis zu
ihrer Wiederheirat Witwenrente von der Beklagten. Die zweite Ehe wurde geschie-
den, nachdem sich die Klägerin einem anderen Mann zugewandt hatte und aus
der ehelichen Wohnung ausgezogen war. Im Scheidungsverfahren verzichteten die
Klägerin und ihr zweiter Ehemann wechselseitig auf nachehelichen Unterhalt.

Auf die der Klägerin gewährte, wiederaufgelebte Witwenrente rechnete die Be-
klagte mit Bescheid vom 7. August 1989 einen Unterhaltsanspruch der Klägerin
gegen den zweiten Ehemann an. Der nach erfolglosem Widerspruch (Wider-
spruchsbescheid der Beklagten vom 21. Februar 1990) erhobenen Klage gab das
Sozialgericht (SG) Nürnberg statt. Durch Urteil vom 30. April 1991 verpflichtete
es die Beklagte, die Witwenrente ohne Anrechnung von Unterhaltsansprüchen zu
gewähren. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Nach dem Urteil des
Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 2. Juni 1992 läßt sich ein anrechen-
barer Unterhaltsanspruch der Klägerin, der hier nach § 1579 Nr 6 des Bürgerli-
chen Gesetzbuches (BGB) wegen ihres ehewidrigen Verhaltens ausgeschlossen
sei, auch nicht im Hinblick darauf unterstellen, daß die Klägerin ihn durch eigenes
Verschulden verwirkt habe. Es gebe nach Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes
1972 (RRG 1972) im Gesetz keinen Anknüpfungspunkt mehr für die Herstellung
eines Zusammenhanges zwischen ehelichem oder nachehelichem Fehlverhalten in
der zweiten Ehe und dem Anspruch auf wiederaufgelebte Witwenrente.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Beklagte im wesentlichen eine
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Die entscheidungserhebliche
Frage, ob ein wegen groben ehelichen Fehlverhaltens vor der Scheidung verwirk-
ter Unterhaltsanspruch gegen den zweiten Ehemann auf die wiederaufgelebte Wit-
wenrente nach dem ersten Ehemann angerechnet werden kann, sei klärungsbe-
dürftig.

- 3 -

II

Die Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet.

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Abweichung, Verfahrensman-
gel - zugelassen werden. Die Beklagte beruft sich sowohl auf eine grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache als auch auf eine Abweichung von einer Entscheidung
des Bundessozialgerichts (BSG). Damit kann sie keinen Erfolg haben.

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist eine Rechtssa-
che, wenn sie eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art aufwirft, die klärungsbedürftigist. Die Frage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz be-
antworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ent-
schieden sein (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 4). Diese Voraussetzung erfüllt die
von der Beklagten herausgestellte Frage nicht. Das BSG hat diese Frage zwar
noch nicht ausdrücklich entschieden, es sind jedoch zur Auslegung vergleichbarer
Regelungen schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen, die ausreichende
Anhaltspunkte zu ihrer Beantwortung geben (vgl allgemein Kummer, Die Nichtzu-
Iassungsbeschwerde, 1990, RdNr 117). Dabei ist mit dem Bundesverfassungs-
ericht (BVerfG) davon auszugehen, daß die Wiederauflebensregelung im Sozial-
versicherungsrecht mit den entsprechenden Bestimmungen im Beamten- und
Kriegsopferversorgungsrecht vergleichbar ist, weil hier das gleiche familienpoliti-
sche Problem vom Gesetzgeber übereinstimmend gelöst worden ist (vgl
BVerfGE 38, 187, 203 ff, 205). Mithin kann die zu den anderen Rechtsgebieten
vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung auch für die Beurteilung der An-
rechnung von (fiktiven) Unterhaltsansprüchen im Rahmen des § 1291 Abs 2
Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) herangezogen werden. Insofern ist
zu beachten, daß nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
(BVerwG) vom 25. Januar 1961 (BVerwGE 11, 350) das Witwengeld der wieder-
verheirateten Beamtenwitwe nach der Scheidung der zweiten Ehe auch dann wie-
derauflebt, wenn die Ehegatten eigens zu diesem Zweck die Scheidung betrieben
haben. In solch einem Fall dürfen selbst tatsächliche Zuwendungen des geschiede-
nen zweiten Ehemannes, auf die kein Anspruch besteht, nicht den in der Wieder-
auflebensregelung behandelten Unterhaltsansprüchen gleichgestellt und wie diese
auf das Witwengeld angerechnet werden (vgl BVerwGE 11, 350, 354). Dieser

- 4 -

Rechtsprechung hat sich das BSG bereits für den Bereich der Kriegsopferversor-
gung angeschlossen. In seinem Urteil vom 2. Oktober 1975 hat es ausgeführt,
daß der Anspruch auf Witwenversorgung seit Inkrafttreten des RRG 1972 umso
sicherer, ungefährdeter und vollständiger - nämlich ohne Anrechnung etwaiger
Unterhaltsansprüche - wiederauflebt, wenn die Ehe aus dem Alleinverschulden der
Frau geschieden worden ist (vgl BSGE 40, 260, 262 = SozR 3100 § 44 Nr 5
Seite 14). Da keine Gesichtspunkte ersichtlich sind, warum diese Beurteilung nicht
auch in der gesetzlichen Rentenversicherung Geltung beanspruchen kann, ist
insofern keine weitere höchstrichterliche Klärung erforderlich.

Auch die gerügte Abweichung des LSG von dem Urteil des BSG vom 25. Mai
1971 (BSG SozR Nr 31 zu § 1291 RVO) liegt nicht vor (vgl § 160 Abs 2 Nr 2
SGG). Denn die letztgenannte Entscheidung ist zu der alten, durch das RRG 1972
geänderten Fassung des § 1291 RVO ergangen. Zwar ist der Wortlaut der An-
rechnungsbestimmung selbst gleichgeblieben, jedoch wird deren Auslegung durch
den Wegfall der Verschuldensklausel in der Wiederauflebensregelung entscheidend
beeinflußt (vgl BSGE 40, 260, 264 = SozR 3100 § 44 Nr 5 Seite 16).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193
SGG.

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BSG, 12/11 BA 116/75 vom 02.03.1976, Bundessozialgericht
SozR 1500 § 160 Nr 17

Bundessozialgericht

12/11 BA 116/75

Beschluß

in dem Rechtsstreit

Kläger und Beschwerdeführer

gegen

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte,

Berlin 57, Ruhrstreße 2,

Beklagte und Beschwerdegegnerin„

Der 12. Senat des Bundessczielgerichts hat am 2. März
1976 durch den Vorsitzenden Richter Dr. H.
und die Richter Dr. F. und
O. beschlossen:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin
vom 16 Juli 1975 wird als unzulässig verworfen.

Anßergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens
haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

- 2 -

Gründe:

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers_ist als unzu-
lässig zu verwerfen (§ 169 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Da der Kläger seine Nichtzulassungsbeschwerde allein auf
den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 160 Abs.2 Nr. 1 SGG) stützt, hätte er in
der Beschwerdebegründung hinreichend die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache darlegen müssen (§ 160 a Abs. 2
Satz 3 SGG. Das ist nicht geschehen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat es, wie bereits die
Beklagte und das Sozialgericht (SG), abgelehnt, dem Kläger
auf dessen Antrag gemäß Art. 2 § 49 a Abs. 2 des Ange
stelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes zu gestatten,
freiwillige Beiträge (§ 40 des Angestelltenversicherungs-
gesetzes -AVG-) für die Zeiten vom 1. Januar 1956 an bis
31. Dezember 1973 nachzuentrichten. Die Voraussetzungen
der Nachentrichtung hat das LSG damit verneint, der
Kläger habe weder seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik
Deutschland, da er seit Jahrzehnten in den Vereinigten
Staaten von Amerika lebe, noch sei er Deutscher i.S. des
Art. 116 Abs. 4 des Grundgesetzes, da er seit 1944 ameri-
kanischer Staatsbürger sei. Die Nachentrichtung sei auch
nicht auf Grund der in Art. IV Abs. 2 des Freundschafts-,
Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der Bundes-
republik Deutschland und den Vereinigten Staaten von
Amerika vom 29. Oktober 4954 verfügten Inländerbehand-
lung gerechtfertigt„ Nach dem eindeutigen Wortlaut und
dem Sinn dieser Vorschrift erstrecke sich diese Inländer-
behandlung nur auf Leistungen. Die in Abs. 4 des Art. IV
genannten "anderen Vorteile" seien in Abs. 2 ausdrücklich

- 3 -

nicht erwähnt. Der Bundesminister für Arbeit (BMA) habe in
seinem Erlaß vom 10 Oktober 1956 (abgedruckt in: Deutsche
Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten, XVI
USA, Art. IV des Freundschaftsvertrags, An. 1) in diesem
Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Vorschriften über
die freiwillige Versicherung (§ 21 AVG damaliger Fassung)‘
durch den Vertrag nicht berührt würden, weil Art, IV die
Gleichbehandlung nur in bezug auf die innerstaatlichen Vor-
schriften vorschreibe, die Leistungen aus der Sozialversi-
cherung oder der Arbeitslosenversicherung vorsehen. Das
Recht auf Selbstversicherung stelle jedoch keine Leistung·
dar.

Der Kläger möchte der Sache deshalb grundsätzliche Bedeutung
beimessen, weil das Bundessozialgericht bisher über die
Auslegung des Art. IV Ab. 2 des Freundschaftsvertrages im
Hinblick auf das Recht der Selbstversicherung noch nicht
entschieden habe, eine solche Entscheidung aber für eine
Unzahl gleichgelagerter Fälle bedeutsam sei. Der Vertrags-
text des Art. IV Abs. 2 des Vertrages sei nicht so eindeu-
tig, daß sich bereits von vornherein die Rechtsfrage nicht
stelle. Wie er näher ausführt, hält er die Inländerbehand-
lung auch bei der Anwendung des Rechts zur Selbstversiche-
rung für zulässig.

Diese Ausführungen des Klägers entsprechen nicht den Anfor-
derungen an die dem Beschwerdeführer obliegende Pflicht,
die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen
(§ 460 a Abs. 2 Satz 5 SGG). Eine Rechtsfrage hat u.a. nur
dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie klärungsbedürftig
ist. Dies ist aber regelmäßig dann zu verneinen, wenn
- wie hier - die Beantwortung der Rechtsfrage so gut wie
unbestritten ist (Weyreuther, Revisionszulassung und Nicht-
zulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten
Bundesgerichte, NJW-Schriften 14, RdNr. 65 mit weiteren Hin-

- 4 -

weisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung). Der Kläger
hätte daher, um die Ausnahme darzutun, im einzelnen darlegen
müssen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen
Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten und inwie-
fern sie im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist. Zu
einer solchen Darlegung mußte sich der Kläger im vorliegenden
Fall schon deshalb gedrängt fühlen, weil sich das LSG in seiner -
Begründung noch ausdrücklich auf den gegen die Auffassung des ·
Klägers sprechenden, den Inhalt des Vertrages klarstellenden
Erlaß des BMA vom 10. Oktober 1956 gestützt hat. Auf den Er-
laß ist der Kläger aber überhaupt nicht eingegangen. Das·wäre
jedoch erforderlich gewesen. Bei der Auslegung von Sozial-
versicherungsabkommen - hier des Freundschaftsvertrages - ist
nämlich die Auffassung des beim Zustandekommen eines solchen
Abkommens beteiligten Fachministers wegen dessen Kenntnis der
Zusammenhänge und der mit dem Abkommen verbundenen Verstellun-
gen beider Vertragsteile von nicht geringer Bedeutung.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des
§ 195 SGG.

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